Mojib Latif (60) ist Professor für Klimaphysik und Leiter des Forschungsbereichs Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Geomar Helmholtz-Zentrum Kiel. Für seine wissenschaftlichen Leistungen und seinen öffentlichen Einsatz für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur erhielt er mehrere Auszeichnungen, darunter die Sverdrup-Gold-Medaille der Amerikanischen Meteorologischen Gesellschaft und den DUH-Umwelt-Medienpreis. 086-091_ne1501-EM_Mojib Latif.indd 86 19.12.2014 13:31:35 Uhr macher _Mojib Latif „Irgendwann brauchen wir keine Klimakonferenzen mehr“ Portrait Der Meteorologie-Professor Mojib Latif über die Chancen globaler Umweltabkommen, Deutschlands Rolle beim weltweiten Grenzwerte-Poker – und seinen Spaß am langsamen Autofahren. Interview: Astrid Dähn neue energie: In Lima ist vor kurzem wie- Latif: Naja, die Ziele selbst sind ziemlich letzten gut einhundert Jahren schon ge- der einmal ein Verhandlungsmarathon halbherzig. Wichtig in diesem Zusammen- messen haben, würde sich weiter fortset- zum globalen Klimaschutz zu Ende gegan- hang ist: Beide haben sich dazu bekannt, zen. Wenn die Anstiegsrate beim CO2-Aus- gen. Ist das Klima aus Expertensicht noch dass es ein Klimaproblem gibt und dass stoß gleich bleibt, könnte der Temperatur- zu retten? man etwas tun muss. Das ist die Kernbot- anstieg am Ende im Bereich von vier, fünf Mojib Latif: Ja, klar. Dazu müsste sich die schaft. Hinter Obamas Angebot, knapp 30 oder sogar sechs Grad liegen. Diese Zahlen Politik bloß mal auf irgendetwas einigen. Prozent des amerikanischen Kohlendioxid- sind sehr abstrakt. Was sie bedeuten, wird Bis jetzt muss man leider konstatieren, Ausstoßes bis 2030 zu reduzieren, steckt al- klarer, wenn man sie mit dem Temperaturunterschied zwischen einer Eiszeit und einer dass es so gut wie keinen Klimaschutz gibt. lerdings ein kleiner Taschenspieler-Trick. Das lässt sich an einer Zahl festmachen: Obama hat nämlich das Bezugsjahr geän- Warmzeit vergleicht: Der liegt in derselben Der weltweite CO2-Ausstoß ist seit 1990 um dert. Fast alle Staaten beziehen sich in sol- Größenordnung, ungefähr bei fünf Grad. Wir 60 Prozent gestiegen. Bis jetzt waren diese chen Fällen auf das Jahr 1990. Die EU bei- würden also innerhalb von nur 100 Jahren Verhandlungen also nicht gerade von Erfolg spielsweise hat gesagt, wir wollen mindes- einen wahnsinnigen Wandel hervorrufen, für gekrönt. tens 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. den die Natur normalerweise viele zig Jahr- Obama wählt dagegen das Jahr 2005 als Be- tausende braucht. Die Landtemperaturen ne: Hat die Lima-Konferenz nun einen Fort- zugsdatum. Nun hat Amerika von 1990 bis sind im Mittel seit Beginn der Messungen schritt gebracht? 2005 seinen Ausstoß aber massiv erhöht. bereits um deutlich mehr als ein Grad ge- Latif: Ganz und gar nicht. Das war auch Wenn das Land also jetzt wieder um 30 Pro- stiegen, der Meeresspiegel im Schnitt unge- nicht zu erwarten. Lima war ja nach offiziel- zent runtergeht, ist es am Ende nur wenig fähr um 20 Zentimeter. Die Ozeane reagie- ler Lesart nur eine Vorbereitungskonferenz unter dem Wert von 1990. Das heißt, im Ver- ren träge, aber bis zum Ende des Jahrhun- für 2015 in Paris, wo das große neue Klima- gleich zu den Europäern bietet Obama fast derts könnte ihr Spiegel durchaus um einen abkommen unterzeichnet werden soll. Und gar nichts an. weiteren Meter steigen und anschließend über viele Jahrhunderte noch mehrere Me- ich bin mir auch sicher, dass es in Paris einen neuen Klimavertrag geben wird. Aber ne: Und China? ter nach oben gehen, selbst wenn wir dann der wird vermutlich windelweich sein. Das Latif: Die Chinesen sagen, sie wollen bis 2030 kein CO2 mehr ausstoßen würden. Gleich- Verfahren läuft nämlich so, dass sich alle ihren Ausstoß weiter steigern, dann vielleicht zeitig würden Wetterextreme zunehmen, je Länder ihre Klima-Ziele selbst vorgeben den Scheitelpunkt erreichen. Bedenkt man, nach Region Starkregen, Überschwemmun- dürfen. Deswegen wird der Vertrag zwar zu- dass China mit 27 Prozent Anteil am welt- gen, Dürreperioden oder Hitzewellen – al- stande kommen, jedoch mit Sicherheit nicht weiten CO2-Ausstoß heute schon der größte les Dinge, die wir uns sicherlich nicht wün- gewährleisten, dass man die globale Erwär- Verursacher ist, dann ist das ein verheeren- schen. mung auf höchstens zwei Grad gegenüber des Signal. Wenn es bei diesen Angeboten der vorindustriellen Zeit beschränken kann, bleibt, werden wir bestimmt nicht unterhalb wie von der Politik eigentlich angepeilt. des Zwei-Grad-Limits bleiben können. ne: Und wie müsste man aus Sicht der Wissenschaft gegensteuern? Foto: Holger Jacoby Latif: Betrachten wir die CO 2-Äquivalenne: Immerhin haben US-Präsident Barack ne: Was würde passieren, wenn man das te, das heißt alle Treibhausgase zusam- Obama und sein chinesischer Amtskolle- Ziel einfach aufgäbe und nichts oder wenig men umgerechnet auf CO2. Die Marschrou- ge Xi Jinping kürzlich in einem gemeinsa- gegen die Erderwärmung täte? te müsste lauten: 50 Prozent Reduktion des men Auftritt neue Klimaziele für ihre Län- Latif: Die Erwärmung von rund 0,8 Grad globalen CO2-Äquivalent-Ausstoßes bis 2050, der verkündet... im weltweiten Durchschnitt, die wir in den 100 Prozent bis 2100. Nebenbei könnte man neue energie 01/2015 086-091_ne1501-EM_Mojib Latif.indd 87 87 19.12.2014 13:31:37 Uhr macher _Mojib Latif Die weltweite Energiewende hat längst begonnen.“ vielleicht noch Aufforstung betreiben, um ge gründlich aufzuarbeiten. Wenn ich zum ne: Die so genannten „Klimaskeptiker“ at- Kohlendioxid zusätzlich aus der Luft zu neh- Beispiel als Strafarbeit einen Aufsatz aufge- tackieren Wissenschaftler oft scharf, deren men. So ließe sich das Zwei-Grad-Limit ver- brummt bekommen habe, habe ich mir im- Forschung den Klimawandel als real und mutlich einhalten. mer irgendwelche Wissenschaftsthemen wie menschengemacht darstellt. Auch Ihre Ex- „die Zuckerkrankheit“ oder „Süßwasserpoly- pertise wird etwa im Web lautstark infrage ne: Wieviel Zeit haben wir noch für eine sol- pen“ ausgesucht – auch, um den Lehrer zu gestellt. Wie gehen Sie damit um? Latif: Das lässt mich kalt. Ich sage mir, Pa- che Kehrtwende? ärgern. Als es darum ging, was ich studie- Latif: Das Zeitfenster ist schwer zu defi- ren sollte, wollte ich ein naturwissenschaft- pier ist geduldig und das Internet ist es auch. nieren. Aber ich denke: Wir müssen kei- liches Fach wählen, aber meine Eltern sag- Aber die Fakten sprechen für sich: Alles, was nen Crashkurs fahren, wir haben ja noch ten: „Nein, mach lieber etwas Ordentliches, meine Kollegen zum Teil schon vor mehr 85 Jahre bis zum Ende des Jahrhunderts. womit du auch Geld verdienen kannst.“ Also als hundert Jahren postuliert hatten – die Wenn man bedenkt, was in den letzten 100 habe ich mich an der Uni Hamburg für Wirt- Klimaforschung ist ja schon ziemlich alt –, Jahren alles passiert ist und welche techno- schaftswissenschaften eingeschrieben. Nach hat sich letztendlich auch so entwickelt: Die logischen Fortschritte es gab, dann würde drei oder vier Semestern war mir allerdings Temperatur hat sich in dem Maße erhöht, es mich wundern, wenn wir das nicht hin- absolut klar: Das war nicht das, was ich ma- wie der CO 2-Gehalt in der Luft zugenom- kriegen. chen wollte. Daher habe ich auf Meteorologie men hat, der Meeresspiegel ist gestiegen. umgesattelt und später am Max-Planck-In- Ich kann nicht erkennen, dass wir uns an ir- ne: Sind sie ein Optimist? stitut meine Promotion zur Klimaforschung gendeiner Stelle massiv geirrt hätten. Des- Latif: Ja, grundsätzlich, und an dieser Stel- verfasst. Dabei bin ich geblieben. halb reagiere ich einfach nicht auf die Vor- ren Energien das Mittel der Wahl sehe, die ne: Was ist Ihr Spezialgebiet? sich das alles tot. Emissionen zu reduzieren. Und ich glaube, Latif: Mein Spezialgebiet sind die natürli- le besonders, weil ich in den erneuerba- würfe. Das ist die beste Strategie, dann läuft dass die weltweite Energiewende längst be- chen Klimaschwankungen, die von Jahr zu ne: Weshalb werden die Klimadebatten gonnen hat. Das wird in der Öffentlichkeit Jahr oder von Jahrzehnt zu Jahrzehnt auf- überhaupt so emotional geführt? In der bloß nicht wahrgenommen. Auch ein Land treten und dem langfristigen Erwärmungs- Wissenschaft ist solch ein Ton doch eher wie China investiert inzwischen sehr viel in trend überlagert sind. Man darf nicht den ungewöhnlich. erneuerbare Energien. Meiner Einschätzung Fehler machen zu glauben, dass die Tempe- Latif: Das liegt zum einen daran, dass die- nach wird das Ganze einen Schwung entwi- ratur wegen des menschlichen Einflusses se Debatten häufig ideologisiert und in das ckeln, der nicht mehr aufzuhalten ist. Was stets ansteigt. Das tut sie nicht. Sie ändert übliche Parteiengezänk einbezogen werden. die großen Energiekonzerne momentan ma- sich vielmehr in Wellen, mal rauf, mal run- Der wichtigste Punkt aus meiner Sicht ist chen, sind nur noch die letzten Rückzugs- ter. Diese Schwankungen, das Chaotische aber: Die Lösung des Klimaproblems würde gefechte. Wir haben es bei uns in Deutsch- im System finde ich vom wissenschaftlichen fast alle Bereiche unseres Lebens betreffen. land ja gerade gehört: Eon will jetzt eine Art Standpunkt aus spannend. Unterm Strich Das heißt, viele liebgewordene Gewohnhei- „Bad Bank“ für die konventionellen Energi- ist es dabei zwar immer wärmer geworden. ten müsste man über Bord werfen. en schaffen. Das zeigt, dass solche Konzer- Ein Menschenleben reicht aber kaum aus, ne mittlerweile einsehen: Ihr bisheriges Ge- das selbst am eigenen Leib zu spüren. Wir ne: Zum Beispiel? schäftsmodell ist von gestern, die Zukunft hatten in Deutschland seit 1900 eine Erwär- Latif: Um einen Punkt zu nennen, der ei- muss man anders gestalten, auch wenn es mung von circa einem Grad – das sind un- nen der wichtigsten Faktoren im Klimasys- gefähr 0,1 Grad pro Jahrzehnt. Solch einen tem der Erde betrifft, nämlich das Meer: Ich Unterschied spürt man nicht so ohne wei- würde die Plastiktüte verbieten. Die hatten etwas Mühe erfordert. ne: Weshalb haben Sie sich ausgerechnet teres. Daher kommt es vielleicht, dass vie- wir früher als Kinder nicht. Und wir sind gut dieses mühsame und strittige Thema Klima- le Menschen nicht das Gefühl haben, dass ohne sie zurechtgekommen. Heute leiden schutz als Forschungsgebiet ausgesucht? sich irgendetwas ändert – und geneigt sind, die Meere extrem unter Plastikmüll. Öl ist Latif: Ich bin über Umwege dazu gekommen. den Leugnern des Klimawandels Glauben überdies ein viel zu wichtiger Rohstoff, um Schon als Kind hatte ich die Tendenz, Din- zu schenken. als Plastikmüll im Wasser zu landen. Außer- 88 neue energie 01/2015 086-091_ne1501-EM_Mojib Latif.indd 88 19.12.2014 13:31:37 Uhr macher _Mojib Latif Engagierter Kämpfer für den Klimaschutz: Mojib Latif – hier im Gespräch mit Bundespräsident Joachim Gauck – scheut keine Debatte. Er habe etwas Missionarisches, sagt er von sich. dem werden wir irgendwann eine Kohlen- le Deutschlands beim Klimaschutz geteilter lung im Nahen und Mittleren Osten, dann stoffsteuer einführen: Wer viel fossile Ener- Meinung sein. Aber Deutschland hat zumin- können wir nicht darauf vertrauen, dass fos- gie verbraucht, wird entsprechend mehr zur dest ein Verdienst: Es hat die erneuerbaren sile Energie für uns immer in dem Umfang Kasse gebeten werden. Das führt dann viel- Energien nach vorne gebracht. Es hat ge- verfügbar sein wird, wie wir sie brauchen. leicht dazu, dass es zu teuer wird, in Städten zeigt, dass die Erneuerbaren einsatzfähig Wir müssen gleichzeitig zusehen, dass es riesige Geländewagen zu nutzen wie heute sind, und das zu einigermaßen erträglichen nicht irgendwann Kriege um Energie gibt, üblich. Ist das schlimm? Generell werden Preisen. Foto: Axel Heimken / dpa wie wir es beim Irak-Krieg in Ansätzen schon erlebt haben. Energiepolitisch umzu- wir dahin kommen müssen, dass Umweltbelastung etwas kostet. Natürlich berührt ne: Und lohnt sich die Energiewende auch das die Menschen und heizt die Diskus- für das Land? sion an. Latif: Ja, ich glaube schon. Auch wenn die ne: Was halten Sie von dem Klimapaket, das Energiewende zunächst kostet – sie ist eine die Bundesregierung Anfang Dezember ge- steuern lohnt sich also in vieler Hinsicht. ne: Gilt das auch für die Wirtschaft? Investition in die Zukunft. Wir zahlen hier schnürt hat? Latif: Sicher, die Industrie ist ebenfalls stark kein Lehrgeld, wir machen uns fit und un- Latif: Darin sind mir zu viele „wenn“ und betroffen und versucht entsprechend, in die abhängig. Denn für ein Land wie Deutsch- „aber“ enthalten. 40 Prozent weniger Treib- Debatte einzugreifen. Die Wirtschaft aller- land mit wenigen Rohstoffressourcen ist der hausgas bis 2020 – das Ziel ist in Ordnung, dings hat meiner Ansicht nach längst er- Nachschub an fossilen Brennstoffen nicht aber ich kann nicht erkennen, dass es mit kannt, dass die erneuerbaren Energien der unbedingt sichergestellt. Wenn wir uns die den genannten Maßnahmen wirklich zu re- Zukunftsmarkt sind. Man kann über die Rol- Ukraine-Krise angucken oder die Entwick- alisieren ist. Und es wäre ein fatales Signal neue energie 01/2015 086-091_ne1501-EM_Mojib Latif.indd 89 89 19.12.2014 13:31:40 Uhr macher _Mojib Latif Auf einem Forschungsschiff des Geomar-Insituts: Mojib Latif liebt das Meer. Sein jüngstes Buch wirbt dafür, sorgsamer mit den Ökosystemen der Ozeane umzugehen. für den Rest der Welt, wenn Deutschland tuierenden Energiequellen flexibel umgehen Ich bin überzeugt, dass der Ausstieg aus der dieses Ziel verfehlen würde. Gerade auch kann und auch kleinteilige, speziell an den Kohle innerhalb von 20 Jahren möglich ist. da bei uns der CO2-Ausstoß zuletzt wieder jeweiligen Standort angepasste Energielö- gestiegen ist, nachdem er jahrelang gefal- sungen unterstützt. Die Erneuerbaren ent- ne: Wie wird dann die Sicherheit der Ener- len war – nur, weil wir wieder stärker in die wickeln ihre vollen Stärken nur, wenn man gieversorgung garantiert? Kohleverstromung eingestiegen sind. Kohle sie dezentral anordnet. Dazu müssen wir Latif: Aus der Kohle auszusteigen, heißt ja ist derzeit sehr billig, weil der europäische das Netz entsprechend umorganisieren. Das nicht, ganz auf fossile Energien zu verzich- Emissionshandel nicht funktioniert, und dar- sehe ich im Moment noch nicht. ten. Wir müssten einen Teil der Kohlemeiler ne: Und was soll Deutschland mit der Koh- sentlich emissionsärmer. Wir könnten dar- durch Gaskraftwerke ersetzen. Die sind we- an trägt Deutschland eine Mitverantwortung. ne: Was sollte Deutschland also tun? le machen? über hinaus Kreisläufe entwickeln, um er- Latif: Neben dem Ausbau der Erneuerba- Latif: Aussteigen, ganz einfach aussteigen. neuerbares Erdgas herzustellen, etwa in- ren gilt es, in die passende Infrastruktur zu Nicht zuletzt, weil Kohle wie Öl ein wertvol- dem wir CO2 mit Wasserstoff zur Reaktion investieren. Wir benötigen eine intelligente ler Rohstoff ist, etwa für Kohlefasern und bringen. Den Wasserstoff dafür würde man Netzstruktur, die den erneuerbaren Ener- ähnliche Materialien. Was erzählen wir un- mittels Windstrom und Elektrolyse erzeu- gien gerecht wird. Stromautobahnen von der seren Enkeln, wenn die uns fragen: „Wieso gen. Im großen Stil funktioniert das Verfah- Nordsee nach Bayern ergeben nach meinem habt ihr Öl verbrannt, wieso habt ihr Kohle ren noch nicht. Aber kleinere Pilotanlagen Dafürhalten keinen Sinn. Wir brauchen ein verbrannt? Das war doch das schlechteste, zur Produktion von erneuerbarem Erdgas relativ engmaschiges Netz, das mit den fluk- was man mit den Stoffen anfangen konnte.“ gibt es schon, wie die von Audi. Das ist also 90 neue energie 01/2015 086-091_ne1501-EM_Mojib Latif.indd 90 19.12.2014 13:31:45 Uhr macher _Mojib Latif Deutschland kann innerhalb von 20 Jahren aus der Kohle aussteigen.“ keine abwegige Idee von grünen Spinnern, Latif: Ich denke, beides muss parallel laufen. chen, hat Stress mit dichtem Verkehr oder sondern eine wirklich ernstzunehmende Denn in dem Maße, wie einige Länder – da- Stau. Ich habe Autofahren wirklich von der runter zum Beispiel auch Dänemark – zei- Pike auf gelernt, weil ich mein Studium Entwicklung. gen, dass der Wandel klappt, in dem Maße durch Taxifahren finanziert habe. Aber ich ne: Wenn Deutschland all diese Maßnah- werden diese Vorreiter auch bei den Ver- fühle mich besser, wenn ich U-Bahn oder men tatsächlich konsequent umsetzen wür- handlungen eine bessere Position haben Bus fahre. Ich bin einfach entspannter. de, wäre dem Weltklima damit allerdings und andere mitziehen. Irgendwann ist diese trotzdem kaum geholfen... Dynamik dann hoffentlich so stark, dass wir ne: Haben Sie überhaupt ein Auto? Latif: Sicher, selbst wenn Deutschland plötz- die Klimakonferenzen gar nicht mehr brau- Latif: Ja, habe ich. Und ich muss auch lich gar kein Kohlendioxid mehr ausstößt, chen. manchmal autofahren, die Menschen wol- ne: Wie kann man die Menschen dabei mit- Rad komplett zurückzudrehen. Aber ich Welt vormachen, wie es funktioniert. Wenn nehmen? Bei uns ist im Moment eher eine habe mein persönliches Tempolimit, ich fah- andere Länder sehen, dass es Deutschland gewisse Energiewende-Müdigkeit zu spü- re nur hundert, dann ist Schluss. Man kann ja vieles machen, wenn man es einigerma- len autofahren. Es geht nicht darum, das fällt das für den globalen Klimaschutz praktisch nicht ins Gewicht. Aber wir können der wirtschaftlich gut geht, obwohl es seine ren als Dynamik. Emissionen senkt, dann ist das eine Blaupau- Latif: Wir müssen endlich weg von dieser ßen umweltfreundlich oder zumindest nicht se für die anderen. Ich hoffe, dass Deutsch- Verzichtsdebatte, von diesem Lamentieren, zu umweltschädlich gestaltet. Das möchte land auf diese Weise eine Lawine lostreten dass alles nur teuer ist. Stattdessen soll- ich vermitteln. kann und die Erneuerbaren am Ende einen ten wir Positivbeispiele bringen. Wir müs- ähnlichen Siegeszug weltweit antreten wie sen den Gewinn aufzeigen, den man von der ne: Das tun Sie sehr engagiert. Sie schal- beispielsweise das Smartphone. Umstellung hat. ten sich häufig in die öffentliche Debatte um Foto: Jan Steffen / GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel den Klimaschutz ein. Wo nehmen Sie die ne: Es geht also darum vorzumachen, dass ne: Nämlich? Begeisterung her, immer wieder dieselben Wirtschaftswachstum und Wohlstand auch Latif: Nehmen Sie zum Beispiel das Auto. Argumente vorzutragen, ohne an der Lang- bei einem weitgehenden Verzicht auf fossi- Allein schon wenn man mit dem Gaspedal samkeit des politischen Fortschritts zu ver- le Energie möglich sind? Mit Blick auf Euro- ein bisschen vorsichtiger umgeht, also ein zweifeln? pa und die USA argumentieren die Schwel- wenig auf Energieeffizienz bedacht ist, kann Latif: (lacht) Naja, ich habe vermutlich et- lenländer bislang immer: Wenn wir so reich man schnell ein paar hundert Euro pro Jahr was Missionarisches in mir. Mein Vater war werden wollen wir ihr, dann brauchen wir sparen. Angenommen Sie fahren 20 000 Ki- Imam und kam aus Pakistan, um in Ham- diese Energiequellen, denn ihr habt sie ja lometer pro Jahr und sparen einen Liter auf burg beim Aufbau einer Moschee mitzuhelfen. Das hat mich geprägt. Aber der eigent- auch gebraucht. 100 Kilometer – was ganz leicht ist, indem Latif: Das ist richtig. Aber Deutschland hat Sie nicht immer Bleifuß fahren –, dann spa- liche Grund ist ein anderer: Ich bin über- immerhin seit 1990 gut 20 Prozent seiner ren Sie bei einem Benzinpreis von 1,50 Euro zeugt, dass man einen langen Atem haben Treibhausgase eingespart, und wir hatten je Liter 300 Euro pro Jahr. So eine Netto-Ge- muss, wenn man etwas erreichen will. Neh- dabei fast immer ein gutes, wenn nicht sehr haltserhöhung bekommen Sie nie. Darauf men Sie die Anti-Atom-Bewegung. Die gab gutes Wirtschaftswachstum. Es geht also. muss man die Leute hinweisen. Und darauf, es jahrzehntelang, bevor sie letztendlich Und das hat zum Beispiel China erkannt. Er- dass es letztendlich um die wahren Werte Früchte getragen hat und der Atomausstieg klärtes Ziel der chinesischen Regierung ist geht, etwa um Gesundheit oder Lebensqua- für Deutschland beschlossen wurde. Oder es, Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß lität. die Wiedervereinigung. Die Menschen wollten das DDR-System nicht mehr, haben sich zu entkoppeln. ne: Wie meinen Sie das? langsam immer mehr getraut und irgend- ne: Dann versprechen Sie sich von einer Latif: Bleiben wir beim Beispiel Auto. In ei- wann ist die Revolution von unten passiert. Vorbildfunktion, wie sie Deutschland der- ner Stadt wie Hamburg, wo ich wohne, wür- Ich glaube, dass man auch die Energiewen- zeit ausübt, mehr als von Klimakonferen- de ich nie auf die Idee kommen, das Auto zu de von unten anstoßen muss – dann wird sie zen und Grenzwertvereinbarungen? nehmen. Da muss man einen Parkplatz su- am Ende ebenfalls gelingen. neue energie 01/2015 086-091_ne1501-EM_Mojib Latif.indd 91 91 19.12.2014 13:31:45 Uhr