Mojib Latif - Neue Energie

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Mojib Latif
(60) ist Professor für Klimaphysik und Leiter des Forschungsbereichs
Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Geomar Helmholtz-Zentrum
Kiel. Für seine wissenschaftlichen Leistungen und seinen öffentlichen Einsatz für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur erhielt er
mehrere Auszeichnungen, darunter die Sverdrup-Gold-Medaille der
Amerikanischen Meteorologischen Gesellschaft und den DUH-Umwelt-Medienpreis.
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„Irgendwann brauchen wir
keine Klimakonferenzen mehr“
Portrait
Der Meteorologie-Professor Mojib Latif über die Chancen globaler Umweltabkommen,
Deutschlands Rolle beim weltweiten Grenzwerte-Poker – und seinen Spaß am langsamen
Autofahren.
Interview: Astrid Dähn
neue
energie: In Lima ist vor kurzem wie-
Latif: Naja, die Ziele selbst sind ziemlich
letzten gut einhundert Jahren schon ge-
der einmal ein Verhandlungsmarathon
halbherzig. Wichtig in diesem Zusammen-
messen haben, würde sich weiter fortset-
zum globalen Klimaschutz zu Ende gegan-
hang ist: Beide haben sich dazu bekannt,
zen. Wenn die Anstiegsrate beim CO2-Aus-
gen. Ist das Klima aus Expertensicht noch
dass es ein Klimaproblem gibt und dass
stoß gleich bleibt, könnte der Temperatur-
zu retten?
man etwas tun muss. Das ist die Kernbot-
anstieg am Ende im Bereich von vier, fünf
Mojib Latif: Ja, klar. Dazu müsste sich die
schaft. Hinter Obamas Angebot, knapp 30
oder sogar sechs Grad liegen. Diese Zahlen
Politik bloß mal auf irgendetwas einigen.
Prozent des amerikanischen Kohlendioxid-
sind sehr abstrakt. Was sie bedeuten, wird
Bis jetzt muss man leider konstatieren,
Ausstoßes bis 2030 zu reduzieren, steckt al-
klarer, wenn man sie mit dem Temperaturunterschied zwischen einer Eiszeit und einer
dass es so gut wie keinen Klimaschutz gibt.
lerdings ein kleiner Taschenspieler-Trick.
Das lässt sich an einer Zahl festmachen:
Obama hat nämlich das Bezugsjahr geän-
Warmzeit vergleicht: Der liegt in derselben
Der weltweite CO2-Ausstoß ist seit 1990 um
dert. Fast alle Staaten beziehen sich in sol-
Größenordnung, ungefähr bei fünf Grad. Wir
60 Prozent gestiegen. Bis jetzt waren diese
chen Fällen auf das Jahr 1990. Die EU bei-
würden also innerhalb von nur 100 Jahren
Verhandlungen also nicht gerade von Erfolg
spielsweise hat gesagt, wir wollen mindes-
einen wahnsinnigen Wandel hervorrufen, für
gekrönt.
tens 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.
den die Natur normalerweise viele zig Jahr-
Obama wählt dagegen das Jahr 2005 als Be-
tausende braucht. Die Landtemperaturen
ne: Hat die Lima-Konferenz nun einen Fort-
zugsdatum. Nun hat Amerika von 1990 bis
sind im Mittel seit Beginn der Messungen
schritt gebracht?
2005 seinen Ausstoß aber massiv erhöht.
bereits um deutlich mehr als ein Grad ge-
Latif: Ganz und gar nicht. Das war auch
Wenn das Land also jetzt wieder um 30 Pro-
stiegen, der Meeresspiegel im Schnitt unge-
nicht zu erwarten. Lima war ja nach offiziel-
zent runtergeht, ist es am Ende nur wenig
fähr um 20 Zentimeter. Die Ozeane reagie-
ler Lesart nur eine Vorbereitungskonferenz
unter dem Wert von 1990. Das heißt, im Ver-
ren träge, aber bis zum Ende des Jahrhun-
für 2015 in Paris, wo das große neue Klima-
gleich zu den Europäern bietet Obama fast
derts könnte ihr Spiegel durchaus um einen
abkommen unterzeichnet werden soll. Und
gar nichts an.
weiteren Meter steigen und anschließend
über viele Jahrhunderte noch mehrere Me-
ich bin mir auch sicher, dass es in Paris einen neuen Klimavertrag geben wird. Aber
ne: Und China?
ter nach oben gehen, selbst wenn wir dann
der wird vermutlich windelweich sein. Das
Latif: Die Chinesen sagen, sie wollen bis 2030
kein CO2 mehr ausstoßen würden. Gleich-
Verfahren läuft nämlich so, dass sich alle
ihren Ausstoß weiter steigern, dann vielleicht
zeitig würden Wetterextreme zunehmen, je
Länder ihre Klima-Ziele selbst vorgeben
den Scheitelpunkt erreichen. Bedenkt man,
nach Region Starkregen, Überschwemmun-
dürfen. Deswegen wird der Vertrag zwar zu-
dass China mit 27 Prozent Anteil am welt-
gen, Dürreperioden oder Hitzewellen – al-
stande kommen, jedoch mit Sicherheit nicht
weiten CO2-Ausstoß heute schon der größte
les Dinge, die wir uns sicherlich nicht wün-
gewährleisten, dass man die globale Erwär-
Verursacher ist, dann ist das ein verheeren-
schen.
mung auf höchstens zwei Grad gegenüber
des Signal. Wenn es bei diesen Angeboten
der vorindustriellen Zeit beschränken kann,
bleibt, werden wir bestimmt nicht unterhalb
wie von der Politik eigentlich angepeilt.
des Zwei-Grad-Limits bleiben können.
ne: Und wie müsste man aus Sicht der Wissenschaft gegensteuern?
Foto: Holger Jacoby
Latif: Betrachten wir die CO 2-Äquivalenne: Immerhin haben US-Präsident Barack
ne: Was würde passieren, wenn man das
te, das heißt alle Treibhausgase zusam-
Obama und sein chinesischer Amtskolle-
Ziel einfach aufgäbe und nichts oder wenig
men umgerechnet auf CO2. Die Marschrou-
ge Xi Jinping kürzlich in einem gemeinsa-
gegen die Erderwärmung täte?
te müsste lauten: 50 Prozent Reduktion des
men Auftritt neue Klimaziele für ihre Län-
Latif: Die Erwärmung von rund 0,8 Grad
globalen CO2-Äquivalent-Ausstoßes bis 2050,
der verkündet...
im weltweiten Durchschnitt, die wir in den
100 Prozent bis 2100. Nebenbei könnte man
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Die weltweite Energiewende
hat längst begonnen.“
vielleicht noch Aufforstung betreiben, um
ge gründlich aufzuarbeiten. Wenn ich zum
ne: Die so genannten „Klimaskeptiker“ at-
Kohlendioxid zusätzlich aus der Luft zu neh-
Beispiel als Strafarbeit einen Aufsatz aufge-
tackieren Wissenschaftler oft scharf, deren
men. So ließe sich das Zwei-Grad-Limit ver-
brummt bekommen habe, habe ich mir im-
Forschung den Klimawandel als real und
mutlich einhalten.
mer irgendwelche Wissenschaftsthemen wie
menschengemacht darstellt. Auch Ihre Ex-
„die Zuckerkrankheit“ oder „Süßwasserpoly-
pertise wird etwa im Web lautstark infrage
ne: Wieviel Zeit haben wir noch für eine sol-
pen“ ausgesucht – auch, um den Lehrer zu
gestellt. Wie gehen Sie damit um?
Latif: Das lässt mich kalt. Ich sage mir, Pa-
che Kehrtwende?
ärgern. Als es darum ging, was ich studie-
Latif: Das Zeitfenster ist schwer zu defi-
ren sollte, wollte ich ein naturwissenschaft-
pier ist geduldig und das Internet ist es auch.
nieren. Aber ich denke: Wir müssen kei-
liches Fach wählen, aber meine Eltern sag-
Aber die Fakten sprechen für sich: Alles, was
nen Crashkurs fahren, wir haben ja noch
ten: „Nein, mach lieber etwas Ordentliches,
meine Kollegen zum Teil schon vor mehr
85 Jahre bis zum Ende des Jahrhunderts.
womit du auch Geld verdienen kannst.“ Also
als hundert Jahren postuliert hatten – die
Wenn man bedenkt, was in den letzten 100
habe ich mich an der Uni Hamburg für Wirt-
Klimaforschung ist ja schon ziemlich alt –,
Jahren alles passiert ist und welche techno-
schaftswissenschaften eingeschrieben. Nach
hat sich letztendlich auch so entwickelt: Die
logischen Fortschritte es gab, dann würde
drei oder vier Semestern war mir allerdings
Temperatur hat sich in dem Maße erhöht,
es mich wundern, wenn wir das nicht hin-
absolut klar: Das war nicht das, was ich ma-
wie der CO 2-Gehalt in der Luft zugenom-
kriegen.
chen wollte. Daher habe ich auf Meteorologie
men hat, der Meeresspiegel ist gestiegen.
umgesattelt und später am Max-Planck-In-
Ich kann nicht erkennen, dass wir uns an ir-
ne: Sind sie ein Optimist?
stitut meine Promotion zur Klimaforschung
gendeiner Stelle massiv geirrt hätten. Des-
Latif: Ja, grundsätzlich, und an dieser Stel-
verfasst. Dabei bin ich geblieben.
halb reagiere ich einfach nicht auf die Vor-
ren Energien das Mittel der Wahl sehe, die
ne: Was ist Ihr Spezialgebiet?
sich das alles tot.
Emissionen zu reduzieren. Und ich glaube,
Latif: Mein Spezialgebiet sind die natürli-
le besonders, weil ich in den erneuerba-
würfe. Das ist die beste Strategie, dann läuft
dass die weltweite Energiewende längst be-
chen Klimaschwankungen, die von Jahr zu
ne: Weshalb werden die Klimadebatten
gonnen hat. Das wird in der Öffentlichkeit
Jahr oder von Jahrzehnt zu Jahrzehnt auf-
überhaupt so emotional geführt? In der
bloß nicht wahrgenommen. Auch ein Land
treten und dem langfristigen Erwärmungs-
Wissenschaft ist solch ein Ton doch eher
wie China investiert inzwischen sehr viel in
trend überlagert sind. Man darf nicht den
ungewöhnlich.
erneuerbare Energien. Meiner Einschätzung
Fehler machen zu glauben, dass die Tempe-
Latif: Das liegt zum einen daran, dass die-
nach wird das Ganze einen Schwung entwi-
ratur wegen des menschlichen Einflusses
se Debatten häufig ideologisiert und in das
ckeln, der nicht mehr aufzuhalten ist. Was
stets ansteigt. Das tut sie nicht. Sie ändert
übliche Parteiengezänk einbezogen werden.
die großen Energiekonzerne momentan ma-
sich vielmehr in Wellen, mal rauf, mal run-
Der wichtigste Punkt aus meiner Sicht ist
chen, sind nur noch die letzten Rückzugs-
ter. Diese Schwankungen, das Chaotische
aber: Die Lösung des Klimaproblems würde
gefechte. Wir haben es bei uns in Deutsch-
im System finde ich vom wissenschaftlichen
fast alle Bereiche unseres Lebens betreffen.
land ja gerade gehört: Eon will jetzt eine Art
Standpunkt aus spannend. Unterm Strich
Das heißt, viele liebgewordene Gewohnhei-
„Bad Bank“ für die konventionellen Energi-
ist es dabei zwar immer wärmer geworden.
ten müsste man über Bord werfen.
en schaffen. Das zeigt, dass solche Konzer-
Ein Menschenleben reicht aber kaum aus,
ne mittlerweile einsehen: Ihr bisheriges Ge-
das selbst am eigenen Leib zu spüren. Wir
ne: Zum Beispiel?
schäftsmodell ist von gestern, die Zukunft
hatten in Deutschland seit 1900 eine Erwär-
Latif: Um einen Punkt zu nennen, der ei-
muss man anders gestalten, auch wenn es
mung von circa einem Grad – das sind un-
nen der wichtigsten Faktoren im Klimasys-
gefähr 0,1 Grad pro Jahrzehnt. Solch einen
tem der Erde betrifft, nämlich das Meer: Ich
Unterschied spürt man nicht so ohne wei-
würde die Plastiktüte verbieten. Die hatten
etwas Mühe erfordert.
ne: Weshalb haben Sie sich ausgerechnet
teres. Daher kommt es vielleicht, dass vie-
wir früher als Kinder nicht. Und wir sind gut
dieses mühsame und strittige Thema Klima-
le Menschen nicht das Gefühl haben, dass
ohne sie zurechtgekommen. Heute leiden
schutz als Forschungsgebiet ausgesucht?
sich irgendetwas ändert – und geneigt sind,
die Meere extrem unter Plastikmüll. Öl ist
Latif: Ich bin über Umwege dazu gekommen.
den Leugnern des Klimawandels Glauben
überdies ein viel zu wichtiger Rohstoff, um
Schon als Kind hatte ich die Tendenz, Din-
zu schenken.
als Plastikmüll im Wasser zu landen. Außer-
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Engagierter Kämpfer für den Klimaschutz: Mojib Latif – hier im Gespräch mit Bundespräsident Joachim Gauck – scheut keine Debatte. Er habe
etwas Missionarisches, sagt er von sich.
dem werden wir irgendwann eine Kohlen-
le Deutschlands beim Klimaschutz geteilter
lung im Nahen und Mittleren Osten, dann
stoffsteuer einführen: Wer viel fossile Ener-
Meinung sein. Aber Deutschland hat zumin-
können wir nicht darauf vertrauen, dass fos-
gie verbraucht, wird entsprechend mehr zur
dest ein Verdienst: Es hat die erneuerbaren
sile Energie für uns immer in dem Umfang
Kasse gebeten werden. Das führt dann viel-
Energien nach vorne gebracht. Es hat ge-
verfügbar sein wird, wie wir sie brauchen.
leicht dazu, dass es zu teuer wird, in Städten
zeigt, dass die Erneuerbaren einsatzfähig
Wir müssen gleichzeitig zusehen, dass es
riesige Geländewagen zu nutzen wie heute
sind, und das zu einigermaßen erträglichen
nicht irgendwann Kriege um Energie gibt,
üblich. Ist das schlimm? Generell werden
Preisen.
Foto: Axel Heimken / dpa
wie wir es beim Irak-Krieg in Ansätzen
schon erlebt haben. Energiepolitisch umzu-
wir dahin kommen müssen, dass Umweltbelastung etwas kostet. Natürlich berührt
ne: Und lohnt sich die Energiewende auch
das die Menschen und heizt die Diskus-
für das Land?
sion an.
Latif: Ja, ich glaube schon. Auch wenn die
ne: Was halten Sie von dem Klimapaket, das
Energiewende zunächst kostet – sie ist eine
die Bundesregierung Anfang Dezember ge-
steuern lohnt sich also in vieler Hinsicht.
ne: Gilt das auch für die Wirtschaft?
Investition in die Zukunft. Wir zahlen hier
schnürt hat?
Latif: Sicher, die Industrie ist ebenfalls stark
kein Lehrgeld, wir machen uns fit und un-
Latif: Darin sind mir zu viele „wenn“ und
betroffen und versucht entsprechend, in die
abhängig. Denn für ein Land wie Deutsch- „aber“ enthalten. 40 Prozent weniger Treib-
Debatte einzugreifen. Die Wirtschaft aller-
land mit wenigen Rohstoffressourcen ist der
hausgas bis 2020 – das Ziel ist in Ordnung,
dings hat meiner Ansicht nach längst er-
Nachschub an fossilen Brennstoffen nicht
aber ich kann nicht erkennen, dass es mit
kannt, dass die erneuerbaren Energien der
unbedingt sichergestellt. Wenn wir uns die
den genannten Maßnahmen wirklich zu re-
Zukunftsmarkt sind. Man kann über die Rol-
Ukraine-Krise angucken oder die Entwick-
alisieren ist. Und es wäre ein fatales Signal
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Auf einem Forschungsschiff des Geomar-Insituts: Mojib Latif liebt das Meer. Sein jüngstes Buch wirbt dafür, sorgsamer mit den Ökosystemen
der Ozeane umzugehen.
für den Rest der Welt, wenn Deutschland
tuierenden Energiequellen flexibel umgehen
Ich bin überzeugt, dass der Ausstieg aus der
dieses Ziel verfehlen würde. Gerade auch
kann und auch kleinteilige, speziell an den
Kohle innerhalb von 20 Jahren möglich ist.
da bei uns der CO2-Ausstoß zuletzt wieder
jeweiligen Standort angepasste Energielö-
gestiegen ist, nachdem er jahrelang gefal-
sungen unterstützt. Die Erneuerbaren ent-
ne: Wie wird dann die Sicherheit der Ener-
len war – nur, weil wir wieder stärker in die
wickeln ihre vollen Stärken nur, wenn man
gieversorgung garantiert?
Kohleverstromung eingestiegen sind. Kohle
sie dezentral anordnet. Dazu müssen wir
Latif: Aus der Kohle auszusteigen, heißt ja
ist derzeit sehr billig, weil der europäische
das Netz entsprechend umorganisieren. Das
nicht, ganz auf fossile Energien zu verzich-
Emissionshandel nicht funktioniert, und dar-
sehe ich im Moment noch nicht.
ten. Wir müssten einen Teil der Kohlemeiler
ne: Und was soll Deutschland mit der Koh-
sentlich emissionsärmer. Wir könnten dar-
durch Gaskraftwerke ersetzen. Die sind we-
an trägt Deutschland eine Mitverantwortung.
ne: Was sollte Deutschland also tun?
le machen?
über hinaus Kreisläufe entwickeln, um er-
Latif: Neben dem Ausbau der Erneuerba-
Latif: Aussteigen, ganz einfach aussteigen.
neuerbares Erdgas herzustellen, etwa in-
ren gilt es, in die passende Infrastruktur zu
Nicht zuletzt, weil Kohle wie Öl ein wertvol-
dem wir CO2 mit Wasserstoff zur Reaktion
investieren. Wir benötigen eine intelligente
ler Rohstoff ist, etwa für Kohlefasern und
bringen. Den Wasserstoff dafür würde man
Netzstruktur, die den erneuerbaren Ener-
ähnliche Materialien. Was erzählen wir un-
mittels Windstrom und Elektrolyse erzeu-
gien gerecht wird. Stromautobahnen von der
seren Enkeln, wenn die uns fragen: „Wieso
gen. Im großen Stil funktioniert das Verfah-
Nordsee nach Bayern ergeben nach meinem
habt ihr Öl verbrannt, wieso habt ihr Kohle
ren noch nicht. Aber kleinere Pilotanlagen
Dafürhalten keinen Sinn. Wir brauchen ein
verbrannt? Das war doch das schlechteste,
zur Produktion von erneuerbarem Erdgas
relativ engmaschiges Netz, das mit den fluk-
was man mit den Stoffen anfangen konnte.“
gibt es schon, wie die von Audi. Das ist also
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Deutschland kann innerhalb von
20 Jahren aus der Kohle aussteigen.“
keine abwegige Idee von grünen Spinnern,
Latif: Ich denke, beides muss parallel laufen.
chen, hat Stress mit dichtem Verkehr oder
sondern eine wirklich ernstzunehmende
Denn in dem Maße, wie einige Länder – da-
Stau. Ich habe Autofahren wirklich von der
runter zum Beispiel auch Dänemark – zei-
Pike auf gelernt, weil ich mein Studium
Entwicklung.
gen, dass der Wandel klappt, in dem Maße
durch Taxifahren finanziert habe. Aber ich
ne: Wenn Deutschland all diese Maßnah-
werden diese Vorreiter auch bei den Ver-
fühle mich besser, wenn ich U-Bahn oder
men tatsächlich konsequent umsetzen wür-
handlungen eine bessere Position haben
Bus fahre. Ich bin einfach entspannter.
de, wäre dem Weltklima damit allerdings
und andere mitziehen. Irgendwann ist diese
trotzdem kaum geholfen...
Dynamik dann hoffentlich so stark, dass wir
ne: Haben Sie überhaupt ein Auto?
Latif: Sicher, selbst wenn Deutschland plötz-
die Klimakonferenzen gar nicht mehr brau-
Latif: Ja, habe ich. Und ich muss auch
lich gar kein Kohlendioxid mehr ausstößt,
chen.
manchmal autofahren, die Menschen wol-
ne: Wie kann man die Menschen dabei mit-
Rad komplett zurückzudrehen. Aber ich
Welt vormachen, wie es funktioniert. Wenn
nehmen? Bei uns ist im Moment eher eine
habe mein persönliches Tempolimit, ich fah-
andere Länder sehen, dass es Deutschland
gewisse Energiewende-Müdigkeit zu spü-
re nur hundert, dann ist Schluss. Man kann
ja vieles machen, wenn man es einigerma-
len autofahren. Es geht nicht darum, das
fällt das für den globalen Klimaschutz praktisch nicht ins Gewicht. Aber wir können der
wirtschaftlich gut geht, obwohl es seine
ren als Dynamik.
Emissionen senkt, dann ist das eine Blaupau-
Latif: Wir müssen endlich weg von dieser
ßen umweltfreundlich oder zumindest nicht
se für die anderen. Ich hoffe, dass Deutsch-
Verzichtsdebatte, von diesem Lamentieren,
zu umweltschädlich gestaltet. Das möchte
land auf diese Weise eine Lawine lostreten
dass alles nur teuer ist. Stattdessen soll-
ich vermitteln.
kann und die Erneuerbaren am Ende einen
ten wir Positivbeispiele bringen. Wir müs-
ähnlichen Siegeszug weltweit antreten wie
sen den Gewinn aufzeigen, den man von der
ne: Das tun Sie sehr engagiert. Sie schal-
beispielsweise das Smartphone.
Umstellung hat.
ten sich häufig in die öffentliche Debatte um
Foto: Jan Steffen / GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel
den Klimaschutz ein. Wo nehmen Sie die
ne: Es geht also darum vorzumachen, dass
ne: Nämlich?
Begeisterung her, immer wieder dieselben
Wirtschaftswachstum und Wohlstand auch
Latif: Nehmen Sie zum Beispiel das Auto.
Argumente vorzutragen, ohne an der Lang-
bei einem weitgehenden Verzicht auf fossi-
Allein schon wenn man mit dem Gaspedal
samkeit des politischen Fortschritts zu ver-
le Energie möglich sind? Mit Blick auf Euro-
ein bisschen vorsichtiger umgeht, also ein
zweifeln?
pa und die USA argumentieren die Schwel-
wenig auf Energieeffizienz bedacht ist, kann
Latif: (lacht) Naja, ich habe vermutlich et-
lenländer bislang immer: Wenn wir so reich
man schnell ein paar hundert Euro pro Jahr
was Missionarisches in mir. Mein Vater war
werden wollen wir ihr, dann brauchen wir
sparen. Angenommen Sie fahren 20 000 Ki-
Imam und kam aus Pakistan, um in Ham-
diese Energiequellen, denn ihr habt sie ja
lometer pro Jahr und sparen einen Liter auf
burg beim Aufbau einer Moschee mitzuhelfen. Das hat mich geprägt. Aber der eigent-
auch gebraucht.
100 Kilometer – was ganz leicht ist, indem
Latif: Das ist richtig. Aber Deutschland hat
Sie nicht immer Bleifuß fahren –, dann spa-
liche Grund ist ein anderer: Ich bin über-
immerhin seit 1990 gut 20 Prozent seiner
ren Sie bei einem Benzinpreis von 1,50 Euro
zeugt, dass man einen langen Atem haben
Treibhausgase eingespart, und wir hatten
je Liter 300 Euro pro Jahr. So eine Netto-Ge-
muss, wenn man etwas erreichen will. Neh-
dabei fast immer ein gutes, wenn nicht sehr
haltserhöhung bekommen Sie nie. Darauf
men Sie die Anti-Atom-Bewegung. Die gab
gutes Wirtschaftswachstum. Es geht also.
muss man die Leute hinweisen. Und darauf,
es jahrzehntelang, bevor sie letztendlich
Und das hat zum Beispiel China erkannt. Er-
dass es letztendlich um die wahren Werte
Früchte getragen hat und der Atomausstieg
klärtes Ziel der chinesischen Regierung ist
geht, etwa um Gesundheit oder Lebensqua-
für Deutschland beschlossen wurde. Oder
es, Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß
lität.
die Wiedervereinigung. Die Menschen wollten das DDR-System nicht mehr, haben sich
zu entkoppeln.
ne: Wie meinen Sie das?
langsam immer mehr getraut und irgend-
ne: Dann versprechen Sie sich von einer
Latif: Bleiben wir beim Beispiel Auto. In ei-
wann ist die Revolution von unten passiert.
Vorbildfunktion, wie sie Deutschland der-
ner Stadt wie Hamburg, wo ich wohne, wür-
Ich glaube, dass man auch die Energiewen-
zeit ausübt, mehr als von Klimakonferen-
de ich nie auf die Idee kommen, das Auto zu
de von unten anstoßen muss – dann wird sie
zen und Grenzwertvereinbarungen?
nehmen. Da muss man einen Parkplatz su-
am Ende ebenfalls gelingen.
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