4 stauferforum 1/2011 Speisezettel aus der Steinzeit Bald auch Logi-Kost zur Auswahl am Stauferklinikum „Immer mehr Menschen ernähren sich immer fälscher“, sagt Dr. Wolfgang Schienle. Er weiß, worüber er redet: Der Mann ist Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie (die Lehre von den Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes sowie den damit zusammenhängenden Organen) und Diabetologe und leitet den Diabetologischen Schwerpunkt am Zentrum für Innere Medizin des Stauferklinikums. Das heißt, er ist zuständig für alle Patienten, die mit oder wegen Diabetes eingeliefert werden. Und das werden immer mehr: Von den rund 120 000 Menschen, die im Großraum Schwäbisch Gmünd leben, dürften statistisch gesehen acht Prozent, also 9600, an der Stoffwechselkrankheit leiden. Auf die 320 000 Bewohner des Ostalbkreises hochgerechnet, sind es 25 400. Die Forscher gehen derzeit nämlich von einem Diabetiker-Anteil von acht Prozent an der deutschen Bevölkerung aus – Tendenz stark steigend. Ein entscheidender Punkt in der Behandlung dieser Krankheit, die bei schlechter Einstellung zu gravierenden Folgekrankheiten führen kann, ist die Ernährung. Und da wird, meint Wolfgang Schienle, den Diabetikern seit Jahren etwas Falsches empfohlen. „Diabetiker werden seit Jahrzehnten auf eine an Kohlehydraten orientierte Ernährung geschult“, gibt der Mediziner den derzeitigen Stand wieder, den auch Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) (s. Ernährungspyramide „1“) und in (sinnvoller) Verbesserung und Abwandlung die Deutsche Gesellschaft Das Team des diabetologischen Schwerpunkts (v. l.) Dr. Wolfgang Schienle, Anita Elser (Diab.Ber.DDG), Silke Kallert - Saam (Dipl.öc.troph und Diab.Ass.DDG), Hidegard Holz (Diab.Ber.DDG), Gisela Kriso (Diätassistentin). (Fotos: Tom) für Ernährung (s. Ernährungspyramide „2“) vertrete. In der Praxis heißt das, 50 und mehr Prozent der Ernährung solle aus Kohlehydraten bestehen, also in der Regel Kartoffeln und Getreide (dazu gehören auch Reis, Nudeln und vor allem Brot). „Ich habe immer mehr Zweifel, ob das richtig ist“, sagt Wolfgang Schienle. Er verweist auf die Entwicklung des Menschen. Der lebt mehr als Die Menschen sollten mehr zu Gemüse und weniger zu Fleisch und Wurst greifen, rät Dr. Wolfgang Schienle. (Fotos: Tom) 300 000 Jahren auf der Erde. Aber erst seit etwa 6000 Jahren sei der Mensch (Cro Magnon, unser direkter genetischer Vorfahre) seßhaft, betreibe damit Vorratshaltung und nutze damit in größerem Maße Getreide und andere Kohlehydrate für die Ernährung. Der Magen-Darm-Trakt des Menschen und damit auch die Verdauung habe deshalb noch vergleichsweise wenig Zeit gehabt, sich auf den größeren Anteil von Cerealien einzustellen. „So viel hat sich in diesen 6000 Jahren noch nicht verändert. Viele von uns sind noch gar nicht konstruiert für eine vorwiegend auf Kohlehydrate ausgerichtete Ernährung“, sagt Dr. Wolfgang Schienle. Viel besser zu verarbeiten sei für den menschlichen Körper die Steinzeit-Kost (in der Fachsprache die paläolithische Kost), Viel Gemüse, wenig Kohlenhydrate: So könnte eine Mahlzeit nach dem Logi-Prinzip aussehen. (Fotos: Tom) 5 stauferforum 1/2011 Logi-Methode: Die Logi-Methode basiert auf Ernährungsempfehlungen der Harvard-Universitätskinderklinik. Nach ihrer Definition steht Logi für Low Glycemic Index, was auf englisch niedriger glykämischer Index bedeutet. Der deutsche Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm definiert die Abkürzung als „Low glycemic and insulinemic“, was niedrigen Blutzuckerund Insulinspiegel bedeutet. Ernährungspyramide 1 (DDG). Ernährungspyramide 2 (DGE) die stärker aus Eiweiß und Fett bestehe. Das sähen inzwischen immer mehr Experten so. Deshalb verändert auch das Stauferklinikum sein Schulungs – und Ernährungsangebot. Etwa im Lauf des zweiten Halbjahres 2011 wird interessierten Patienten in Einzelberatung und Gruppenberatung sowohl die Standard Kost (DDG), als auch eine Kost nach dem Insulinprinzip als auch eine Kost nach der so genannten Logi-Kost (s. Ernährungspyramide „3“) erklärt und auf Station und in der Cafeteria wahlweise auf Wunsch angeboten. Dabei ist bei der Ernährung nach dem Insulinprinzip die Kost in der 2. Tageshälfte Kohlehydrat reduziert bzw. minimiert und die LOGI Kost orientiert sich vollends ganz an der Steinzeit-Kost und enthält zu allen Tageszeiten mehr Eiweiß und Fett. Dr. Wolfgang Schienle ist allerdings überzeugt, dass die Logi-Kost nicht nur für Diabetiker der bessere Weg ist, sondern selbst für alle Gesunden. Es gebe durchaus Studien, die belegen, dass die Logi-Kost für den Menschen besser sei als die vielgerühmte mediterrane Kost. Fast-Food-Fans sollten sich allerdings nicht zu früh freuen, denn die Logi-Kost empfiehlt nicht Schnitzel pfundweise und fette Soßen in Litern. 2/3 des Tellers bzw. der Mahlzeit stammen immer aus dem Sektor Gemüse, Salat (und 2 Portionen Obst). Das Mehr an Fett, erläutern Schienle und sein Team, soll zum Beispiel durch mehr Käse, Quark und ähnliche Milchprodukte eingebaut werden. „Ich bin kein Verfechter von viel Fleisch“, sagt der Diabetologe. Auch er ist überzeugt, dass die Gesellschaft viel zu viel Fleisch und Wurst verzehre. Laut der jüngsten Erhebung dazu aß der Durchschnitts-Deutsche 2003 84 Kilo Fleisch pro Jahr. 1961 waren es noch 20 Kilogramm weniger. Nach dieser Überzeugung richtet Schienle übrigens auch seinen persönlichen Speiseplan aus. „Zwei Mal wöchentlich 100 Gramm rotes Fleisch, also Rind oder Schwein, reichen.“ Die Menschen sollten lieber weniger Fleisch essen, dafür aber hochwertige Stücke von Erzeugern aus der Region, bei denen sie auch wissen, wie die Tiere ernährt werden. Übrigens rät Schienle auch in einer Gesellschaft, in der es Lebensmittel im Überfluss gibt, dem Einzelnen durchaus mal zu Zeiten des weniger Essens/Fastens. Die bisher den Diabetikern empfohlene Kohlehydrat-orientierte Diät könnte nach Schienles Ansicht sogar dazu beitragen, die Zahl der Diabetiker zu erhöhen: Die Bauchspeicheldrüse – die das Hormon Insulin produziert, mit dessen Hilfe der Körper die Kohlehydrate in der Nahrung in Energie umwandelt - sei ein Organ, das altere wie jedes andere Organ auch. Je mehr es im Lauf des Lebens gefordert war, desto schwächer sei es im Alter. Das führt, meint Schienle, dazu, dass viele Menschen im Alter Diabetes bekommen. Wenn beim Essen weniger Kohlehydrate aufgenommen werden, die Bauchspeicheldrüse also weniger Insulin produzieren muss, dann halte sie länger durch. Auch eine Studie in den USA besage: Je höher die glykämische Last“, also die Ausnahme von Kohlehydraten im Lauf eines Lebens, je eher tritt Diabetes auf. Und Bewegung? Die sieht der Experte bei der Behandlung von Diabetikern nur als Hilfe. „Sie ist natürlich immer sinnvoll,“ sagt Schienle. Aber bei Typ-I-Diabetikern (auch jugendlicher Diabetes genannt, weil er in der Regel im Kinder- oder Jugendalter auftritt) habe sie keine durchschlagende Wirkung auf den Diabetes selbst, da bei dieser Form der Krankheit die Bauchspeicheldrüse gar kein Insulin produziert. Bei Typ-II-Diabetikern helfe Bewegung, da sie das Gewicht reduzieren kann und die Wirksamkeit des Insulins im Körper wieder verbessert. Aber viele Patienten seien eben nicht dazu zu bewegen, Bewegung konsequent langfristig zu betreiben. Dabei hätte Bewegung nicht nur für Diabetiker gesundheitliche Vorteile: Übergewicht sei Faktor für viele Erkrankungen bis hin zu Krebs. Und auch deshalb setzt Dr. Wolfgang Schienle auf die Logi-Kost: In einer Studie haben Teilnehmer bei der Steinzeit-Kost mehr Gewicht und Hüftumfang verloren als bei die Vergleichs-Teilnehmer mit mediterraner Kost. Wolfgang Fischer Zum Nachlesen: Katja Richter, Ulrike Gonder: Stopp Diabetes – raus aus der Insulinfalle. Systemed Verlag. Detlef Pape, Rudolf Schwarz, Helmut Gillesen: Satt, Schlank, Gesund – Das ErnährungsPraxisbuch nach dem Insulinprinzip, Deutscher Ärzteverlag. Ernährungspyramide 3 (LOGI Kost: Prof.Ludwig, Dr. Worm).