Ethik in der Politik - Sicherheitsdirektion

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Sicherheitsdirektion Kanton Zürich
Direktor
Ethik in der Politik
Referat von Regierungsrat Dr. Hans Hollenstein am 17. September 2009
bei der Gottfried Keller-Loge Nr. 20 in Zürich
Herr Obermeister,
sehr geehrte Herren
Vor einer guten Woche ist in der Neuen Zürcher Zeitung eine Sonderbeilage zum
Thema "Weiterbildung und Karriere" erschienen. Der einleitende Beitrag befasste
sich mit Ethik und der Rolle der Ethikausbildung im Rahmen der
Managementausbildung.
Das Thema "Ethik" erlebt eine eigentliche Blüte. Ich erwähne die zahlreichen
Ethikkommissionen, ich erwähne das "Ethik-Zentrum" an der Universität Zürich
und die nicht überblickbare Publikationsflut zum Thema. Die Palette reicht von
Ethik in der Wirtschaft, Ethik in Medizin und Wissenschaft über Sozialethik bis zu
Militär- und Polizeiethik.
Obwohl die Worte „Ethik“ und „ethisch“ längst zu unserem alltäglichen Wortschatz
gehören, ist es nicht einfach, eine knappe und allgemein anerkannte Definition
zu finden. Eine der kürzesten Umschreibungen findet sich im Internet-Lexikon der
Philosophie (PhilLex). Sie lautet: „Die Ethik oder Moralphilosophie befasst sich mit
Aussagen über moralische Werte und moralische Handlungsnormen“. Solche
Werte sind der Massstab, wie wir handeln sollen. Werte sind zum Beispiel
Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Toleranz, Achtung der Menschwürde oder Offenheit.
Die Ausprägungen dieser einzelnen Werte sind unterschiedlich; unterschiedlich
nach Alter der Person, nach deren Herkunft, der Region, aber beispielsweise
auch im Zeitablauf. Dazu ein Beispiel: Offenheit war im frühen Staatswesen eher
klein geschrieben. Vieles galt per se als vertraulich. Ab Ende der 80er Jahre
waren jedoch Pressesprecherinnen und Pressesprecher ständig an den
Regierungssitzungen anwesend. Heute im Jahre 2008 haben wir die „gläserne
Verwaltung“, d.h. die Akten der Verwaltungen sind grundsätzlich öffentlich. Es
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Telefon 043 259 21 01, Fax 043 259 51 36, [email protected]
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muss definiert werden, was vertraulich ist. Oder am Beispiel des Wertes Treue.
Haben junge Leute sich früher oft eine lebenslange Treue versprochen und durch
den Ehebund besiegelt, gibt es heute zahlreiche Leute, die sich nicht mehr
verheiraten und die Partnerin und den Partner als Lebensabschnittspartner
bezeichnen.
Eine ganz zentrale Rolle spielen ethische Fragen in der Politik. Das hat
verschiedene Gründe:
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Im Zentrum der Ethik stehen Werte für unser Zusammenleben. Und in der
Politik geht es ja letztlich um nichts anderes. Wir regeln und organisieren
unser Zusammenleben.
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Eine besondere Bedeutung haben Werte in der Politik sodann, weil wir dem
Staat nicht ausweichen können, ja weil wir ihm sogar unterworfen sind. Dem
Staat, der die Rechtsordnung notfalls mit Zwang durchsetzt, können wir uns
nicht entziehen. Umso wichtiger ist es, dass wir darauf vertrauen können, dass
hinter dem staatlichen Handeln Werte stehen.
-
Werte sind im Zusammenhang mit Staat und Politik sodann von besonderer
Bedeutung, weil es an den für Wirtschaft und Wissenschaft typischen
Gradmessern fehlt. Die Wirtschaft – zumindest die Marktwirtschaft –
funktioniert vorab nach dem einfachen Massstab des wirtschaftlichen Erfolgs.
Schwarze Zahlen allein sind demgegenüber kein Erfolgsausweis für den Staat.
Denn es ist ja gerade ein politischer Entscheid, wie viele Mittel wir dem Staat
für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe zur Verfügung stellen. So ist es ein
politischer Entscheid, wie viel Geld mir für die Rekrutierung von Polizistinnen
und Polizisten zur Verfügung gestellt wird. Und dahinter steht letztlich die
Frage, welchen Wert wir der Sicherheit beimessen. Wir verfügen in der
Politik aber auch nicht über den in den exakten Wissenschaften üblichen
Massstab von „richtig“ oder „falsch“. Der politische Entscheid – an der Urne
oder im Parlament – wäre ja nicht nötig, wenn es die wissenschaftlich einzig
richtige Lösung gäbe. Deshalb setzen wir auf den Mehrheitsentscheid. Aber
Werte sollten dem Mehrheitsentscheid Grenzen setzen. Allein mit
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Mehrheitsentscheiden der Parlamente dürfen wir uns nicht zufrieden geben.
Die Entscheide müssen auch für eine unterlegene Minderheit tragbar sein. Die
Schweiz als Willensnation mit ihren vier Sprachen und den verschiedenen
Regionen hat nur eine Überlebenschance, wenn wir uns diesen Grundsatz
stets vor Augen halten.
Gemeinsame Werte liegen eben unserem Staat und unserer Gesellschaft zu
Grunde. Sie machen Teil unserer Kultur aus. Diese Kultur ist stark christlich
geprägt. Doch es sind Werte, die über die christliche Kultur hinaus universell
anerkannt sind. Beispiele sind Gerechtigkeit, Menschenwürde, Toleranz,
Ehrlichkeit.
Solche Werte sind umso wichtiger, je heterogener unsere Gesellschaft wird. Sie
gewinnen an Bedeutung für das friedliche Zusammenleben, je vielfältiger
unsere Gesellschaft wird. Garant für das friedliche Zusammenleben ist die
Rechtsordnung. Doch eine Rechtsordnung allein – ohne Werte – kann nicht
funktionieren:
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Der Rechtsordnung selbst liegen Werte zu Grunde. Am deutlichsten zeigt
dies das Strafgesetzbuch. Es stellt Handlungen unter Strafe, mit denen so
genannte Rechtsgüter verletzt werden. Solche Rechtsgüter sind zum Beispiel
Leib und Leben, die Freiheit, das Vermögen. Das sind nichts anderes als
Werte, die wir als schutzwürdig erachten. Und anerkannt waren diese Werte
lange, bevor es staatliche Strafgesetzbücher gab. Das ist ja auch der Grund,
dass es den meisten Menschen gelingt, sich gesetzeskonform zu verhalten,
obwohl sie die umfangreiche Gesetzgebung gar nicht im Detail kennen.
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Werte kommen als Zweites dort zum Tragen, wo das Gesetz selbst offen ist,
wo es einen Ermessensspielraum einräumt. Natürlich spielen Präjudizien,
frühere Entscheide von Gerichten also, eine wichtige Rolle. Doch am Schluss
kommt man nicht daran vorbei, dass es um eine Wertung geht. Und das heisst
ja nichts anderes als Werte abwägen.
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Eine Gesellschaft kann schliesslich nicht allein durch eine Rechtsordnung
funktionieren, weil die Rechtsordnung nie alle Lebensbereiche abdeckt.
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Eine Gesellschaft kann nicht funktionieren, wenn alle nur das machen,
was vorgeschrieben ist, bzw. nur das nicht machen, was verboten ist.
Werte kommen auch dort zum Tragen, wo sich das Gesetz ausschweigt. Dabei
geht es um Fragen, wie wir miteinander, mit Sachwerten, mit der Natur
umgehen. Natürlich kommt der Punkt, wo es strafbar wird. Doch Werte spielen
schon vorher eine Rolle. Denn beileibe nicht alles, was nicht verboten ist,
ist ethisch vertretbar! Dazu kennen wir beispielsweise in der Arbeitswelt den
Begriff „Mobbing“. Oder wenn Sie gegenüber Ihrer Nachbarin die Türe stets
laut zuknallen, begehen Sie per se mal keinen rechtlichen Fehler, ebenso ist
es, wenn die Eltern ein Kind aus der Kinderschar einseitig bevorzugen. Dies
sind keine Rechtsbrüche, aber ethisch sind diese Verhalten sehr negativ zu
bewerten.
Was aber sind denn die Werte, die für unser Zusammenleben so wichtig sind? Ich
habe die unsere Kultur prägenden Werte wie Gerechtigkeit, Menschenwürde,
Toleranz und Ehrlichkeit erwähnt. Doch gibt es einen obersten Wert? Darüber
lässt sich natürlich streiten. Als Politiker, der mit Problemen im Alltag konfrontiert
ist, bin ich aber immer mehr überzeugt, dass es einen Schlüsselwert gibt. Dieser
Wert heisst: Respekt.
Ich sehe in mangelndem Respekt eine der Hauptursachen für zahlreiche der
heutigen gesellschaftlichen Probleme. Nur ein Beispiel bevor ich näher darauf
eingehe: Ein Problem, das uns besonders beschäftigt, ist die zunehmende
Jugendgewalt. Sie hat vielfältige Ursachen und wir können nur vernetzt dagegen
angehen. Doch eine zentrale Ursache sehe ich darin, dass es den betreffenden
Jugendlichen an Respekt fehlt oder genauer gesagt, dass ihnen dies nicht
beigebracht wurde.
Respekt ist in verschiedensten Richtungen von Bedeutung:
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Respekt ist das Schlüsselwort für den Umgang mit unseren Mitmenschen.
Es geht dabei um die grossen Werte „Menschenwürde“ und „Ehrlichkeit“. Doch
es geht auch um ganz Konkretes, Praktisches. Darum, wie wir die politische
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Auseinandersetzung führen. Dass wir sie um die Sache und nicht um die
Person führen. Respekt ist aber auch gefordert, wenn es um den Umgang mit
Fehlern geht. Wer von einer „Nullfehlererwartung“ ausgeht, ist unredlich und
unrealistisch und leistet letztlich nur Lügen Vorschub. Politische Skandale –
Sie kennen Beispiele so gut wie ich – haben ihre Ursache regelmässig nicht in
Fehlern, sondern im Umgang mit ihnen, konkret im Vertuschen von Fehlern.
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Respekt hat aber noch weitere Facetten: Ich erwähne als nächstes Respekt
gegenüber der Vergangenheit. Ich meine damit nicht nur den Respekt
gegenüber Baudenkmälern. Wichtig ist mir auch Respekt gegenüber den
Leistungen der Vorfahren. So störe ich mich regelmässig daran, wenn junge
Journalisten oder Historiker mit heutigen Werten, die Leistungen früherer
Generationen überkritisch begutachten.
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Ich erwähne als nächstes den Respekt gegenüber der Natur. Zu lange sind
wir sorglos mit der Natur umgegangen. Gewaltige ökologische Probleme sind
die Folge.
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Zum Respekt gegenüber der Zukunft. Der Zusammenhang mit dem Respekt
gegenüber der Natur ist hier offensichtlich. Denn durch sorglosen Umgang mit
der Natur schaffen wir ein Problem für die Zukunft, ein Problem für die
nächsten Generationen. Mit der Forderung nach nachhaltiger Politik erfüllen
wir auch die Forderung nach Respekt gegenüber der Natur, nach Respekt
gegenüber zukünftigen Generationen.
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Ich erwähne schliesslich den Respekt gegenüber Sachmitteln. Ich habe auf
das Problem der Jugendgewalt hingewiesen. Natürlich geht es vorab um
physische Gewalt gegen Mitmenschen. Doch die Problematik beginnt eben
schon früher: Mit Sachbeschädigungen, mit Schmierereien, aber auch mit dem
achtlosen Wegwerfen und Liegenlassen von Abfällen. Und letztlich äussert
sich darin ja auch eine Respektlosigkeit gegenüber der Gesellschaft,
gegenüber den Mitmenschen, welche die Folgen irgendwie beheben müssen.
Zum Schluss stellt sich natürlich die Frage, wie wir es schaffen, dass Respekt in
seinen verschiedenen Facetten zum Tragen kommt oder noch besser, wieder
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stärker zum Tragen kommt. Meine Antwort lautet: Gefordert sind wir alle, und
zwar mit dem, was wir vorleben. Gefordert sind Familie und Elternhaus; was hier
den Kindern nicht vorgelebt wird, wird ihnen meist fehlen. Gefordert sind Schulen,
Kirche, Parteien, Arbeitgeber und Vereine. Wir haben es selbst in der Hand, mit
respektvollem Beispiel voranzugehen. Und damit Sie mich für die Politik richtig
verstehen: Es geht nicht darum, der Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen.
Sondern es geht darum, wie wir die Auseinandersetzung führen. Wie gesagt:
Gefordert sind wir alle. Ihre Loge stellt Werte in das Zentrum ihrer Tätigkeit. Und
deshalb benutze ich gern die Gelegenheit, Ihnen zum Schluss für Ihr Engagement
zu danken.
090917 Ethik in der Politik.doc
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