Das Theater liegt wie ein riesiges Schiff am Ufer des Yangtse Westliche Architektur erobert China Das Grand Theatre in Chongqing (China) Dipl.-Ing. Günther Konecny Die Umformung der chinesischen Gesellschaft, die enorme Wanderung der Landbevölkerung in die Metropolen sowie die industrielle Besiedelung bislang ländlicher Regionen machen es notwendig, nicht nur neue Bauten zu schaffen, sondern auch ganze Städte aus dem Nichts zu planen. Das Transformieren moderner Architektur nach China ist derzeit eine der größten Herausforderungen der gegenwärtigen Architekturszene. In den letzten Jahren wurden viele öffentliche Kultureinrichtungen als besondere Attraktio­nen in verschiedenen Städten Chinas gebaut. Darunter ist das Bauen von luxuriösen, sogenannten „Grand Theaters“ besonders populär geworden. Die Fassaden sind dabei meistens aus Glas, wobei keinerlei chinesischen Architektur-Elemente mehr verwendet werden. Der Einbau hoch entwickelter Bühnentechnik kostet naturgemäß viel, sodass sich mittelgroße Städte eine solche Maschinerie und solche Theater gar nicht leisten können. Wegen der hohen Kosten solcher Bauten meinen viele Chinesen, dass so viel Geld besser den Arbeitslosen, Kindern, die nicht in die Schule gehen können, armen Leuten oder wissenschaftlichen Entwicklungen zukommen sollte. Die luxuriösen Theater können nämlich wegen der hohen erforderlichen Eintrittspreise nur von einer relativ kleinen Zahl von Chinesen frequentiert werden. Die meisten Theater wurden von internationalen Architekten entworfen. Das „National Center for the Performing Arts“ (NCPA) in Beijing, das sogenannte „riesige Ei“ wurde zum Beispiel von dem Franzosen Paul Andreu entworfen, das „Shanghai Oriental Arts Center“ (SOAC) ebenfalls. Das „Yulan Grand Theater“ in Dongguan und das „Hangzhou Grand Theater“ wurde von dem Kanadier Carlos Ott konzipiert. Der Entwurf für das „Chongqing Grand Theater“, das tief im Westen Chinas liegt, stammt von Meinhard von Gerkan und Klaus Lenz (Partner: Nikolaus Goetze), die dafür den ersten Preis bei dem dafür im Jahr 2004 ausgeschriebenen Wettbewerb erhielten. Die Projektleitung dieses Bauvorhabens in Chongqing liegt bei Volkmar Sievers. Das Projekt Das Grand Theater Chongqing soll noch in diesem Jahr fertig gestellt werden. Es enthält in seiner gläsernen Hülle zwei Bühnen: Das Opernhaus mit 1.750 Plätzen und das Schauspielhaus mit 800 Plätzen. Die Stadt Chongqing mit 4,6 Millio­ nen Einwohnern ist ein Verkehrsknotenpunkt in Zentral­china und liegt am Yangtse, dem längsten Fluss Chinas. Das Grand Theater liegt auf einer Landzunge oberhalb des Yangtse, vis à vis dem ­„Business District“ von Chongqing. Durch die Einzigartigkeit des Ortes, des Panorama­blickes auf die imposante Skyline der Stadt in Verbindung mit der skulpturalen Architektur, wird dieses Theater künftig ein Wahrzeichen dieser Stadt sein. Eine steinerne Sockelplattform bildet die Basis für die gläserne Skulptur. Grund- und Aufriss folgen trotz scheinbar willkürlicher Expressivität und maritimen Analogien – die Umrisse erinnern aus der Ferne betrachtet an ein riesiges Schiff – streng den funktionalen Anforderungen der beiden Aufführungsstätten in seinem Inneren. Das Grand Theater ist kein Gebäude mit üblicher Fassade aus Wandund Fensterflächen. Das von innen nach außen dringende Licht und die Reflexionen von Sonne, Wolken und Wasser auf den vielschichtig geneigten und gebrochenen Glasflächen lassen den Baukörper in immer wieder neuen Lichtstimmungen erscheinen und erstrahlen. Wo immer Tageslicht in das Innere des Gebäudes dringt, ist die gläserne Hülle die Klimahaut, gewährt Einblick und Ausblick, verbindet das Innen mit dem Außen. Dort, wo das Innere verborgen bleiben soll, z. B. im Bereich der hohen Bühnentürme, bildet eine zweite massive Hülle den nötigen Schutz. Beide Säle mit ihren zugeordneten Foyers liegen auf der Längsachse, gleichsam auf der Kiellinie eines Schiffes, und bilden so am Bug und Heck die Eingangsbereiche. Mittig, also „mittschiffs“, zu diesen beiden Eingangsbereichen liegt die Ausstellungshalle, die somit alle Foyerflächen des Theaters miteinander verbindet. Es können dabei unabhängig voneinander alle denkbaren Aufführungen und Veranstaltungen zeitgleich durchgeführt werden. Das Opernhaus beinhaltet alle notwendigen technischen und infra­ strukturellen Flächen sowie entsprechende Probenräume. Über die aufwändige Bühnentechnik und das Theater selbst werden wir nach dessen Fertigstellung ausführlich berichten. Projektdaten Bauherr: Chongqing Urban Construction Investment Entwurf: Meinhard von Gerkan mit Klaus Lenz, Partner: Nikolaus ­Goetze Projektleitung: Volkmar Sievers Mitarbeiter am Entwurf: Heiko Thiess, Monika van Vught, Robert Friedrichs, Matthias Ismael, Tobias Jortzick, Dominik Reh, Christian Dahle, Julia Gronbach Mitarbeiter bei der Ausführung: Knut Maass, Huan Zhu, Kerstin Steinfatt, Jan Stolte, Nils Dethlefs Gebäudegröße: 100.000 m² BGF Bauzeit: 2005–2009 Bühnentechnik: Die Bühnentechnik für das Schauspielhaus (800 Sitzplätze) wird von Waagner Biro Stage Systems geliefert und installiert, jene für das Opernhaus von der chinesischen Firma Dafeng Industry. Foto: GMP China ist derzeit die größte Baustelle der Welt und im Zeitalter der Globalisierung drängen sich dort die international berühmtesten Architekten. theater Längsschnitt: links das ­Schauspielhaus, rechts die Oper Oktober 2009 53