Phytotherapie Spricht man von Borretsch, ist so viel klar er wärmt das Herz und bringt Laune wunderbar. (Schule von Salerno, 11. Jhd.) Abb. 1: Borago officinalis vor der Blüte (Foto: Ulrike Biegel) Die Phytotherapie gehört in allen Ländern und allen Kulturen zu den ältesten medizinischen Therapien, die die Menschheit kennt. Bis heute enthalten die Pflanzen häufig noch ihre Wirkung in Ihrem Namen, wie zum Beispiel das Seifenkraut, oder der lindernde Augentrost (Euphrasia officinalis) sowie Beinwell (Symphytum officinalis), das bei verschiedensten Verletzungen und Brüchen des Gebeins (Knochen) sehr hilfreich war und ist. Der Name Symphytum geht auf sympho („ich wachse zusammen“) zurück. In älteren Quellen wurde die Gattung auch Consolida genannt (consolidare lateinisch = Zusammenführen bzw. Zusammenwachsen), wobei von dieser Wirkung sowohl Knochen als auch Sehnen und Haut profitieren. Die klinische Wirkung von Symphytum wurde in randomisierten und plazebokontrollierten Studien nachgewiesen. (Staiger, 2012) Geschichtliches Es darf vermutet werden, dass bereits in der Jungsteinzeit Heilpflanzen therapeutisch verwendet wurden. Archäologische Funde lassen vermuten, dass das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen schon Jahrtausende alt ist und diese daher zum größten Arzneischatz gehörten, über den ein Arzt verfügen konnte, wie schon der griechische Arzt Hippokrates bestätigte (460 v.Chr.). Er und Galen (ca. 131 n. Chr.) formulierten die Vier-Säfte-Lehre oder Humoralpathologie bzw. die Vier-Elemente-Lehre (Feuer, Wasser, Luft und Erde) Diese Einteilung findet auch in späteren Quellen zur Heilpflanzenkunde Erwähnung bzw. Anlehnung. Seit dem Frühmittelalter wurden Hospitäler von Klöstern betrieben und der Begriff Klostermedizin wurde geprägt. Sie bildete einen grossen Teil der europäischen Medizingeschichte, die in wesentlichen Ansätzen auf der antiken Humoralpathologie von Hippokrates und Galen beruht. Kaiser Karl der Große (747-814) förderte in seiner Zeit sehr stark die Entwicklung der Heilpflanzenkunde mit seinen Anordnungen die im capitulare de villis enthalten sind. Hierin wurde der Anbau von Heilpflanzen in Klöstern und Städten verbindlich bestimmt. Aus diesem Werk und aus dieser Zeit sind das älteste erhaltene Buch der Klostermedizin (Lorscher Arzneibuch) und der sogenannte St. Gallener Klosterplan, ein genauer Anbauplan erhalten. Er zeigte die ideale Pflanzenanordnung von 16 Arzneipflanzen. Abb. 2: St. Galler Klosterplan um ca. 800 Der Abt von Reichenau, Walahfrid Strabo (808 – 849) beschreibt in seinem Hortulus 26 Heilpflanzen in Gedichtform, damit die Schüler das Wichtigste zur Pflanze und ihrer Wirkung leichter lernen und behalten sollten. Hier ein Beispiel: RETTICH Hier der Rettich mit mächtiger Wurzel und von seiner Blätter Breitem Dach überhöht, ist im letzten der Beete zu sehen. Ziemlich scharf ist die Wurzel, gegessen besänftigt sie aber Husten, der dich erschüttert, und Trank aus zerriebenen Samen Heilet gar oft das Leiden derselben verderblichen Krankheit. Innerhalb der Klostermedizin sammelte sich über die Zeit das Erfahrungswissen im Umgang mit den Heilpflanzen und auch Wasseranwendungen, in Verbindung mit dem Wissen aus der Volksmedizin, dem Wissen und den Erfahrungen der Hebammen, sowie der Bader und Scherer. Der Höhepunkt findet sich in den Werken von Hildegard von Bingen (1098-1179), die jedoch in Ihrer Zeit weniger bekannt war wie heute. Der Begriff „Hildegardmedizin“ wurde erst in neuerer Zeit geprägt. Neben anderen Werken enthalten die von ihr verfassten Abhandlungen Causae et Curae (Ursachen und Heilung) und Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum, (Buch über das innere Wesen der verschiedenen Kreaturen und Pflanzen) sehr viel über das damalige Wissen von Krankheiten und Pflanzen aus der griechischlateinischen Tradition, dass sie mit dem Wissen der Volksmedizin zusammenbrachte und erstmals die volkstümlichen Pflanzennamen benutzte. Sehr modern war seinerzeit die Schule von Salerno (Schola medica Salernitana) eine Einrichtung des Klosters Monte Cassino, zunächst als Hospital für die kranken Ordensbrüder gedacht, legten auch bald Schiffe mit Erkrankten aus aller Herren Länder in Salerno an. Es entwickelte sich eine Art Hochschule, bei der Frauen sowohl als Schüler, als auch als Lehrer zugelassen waren. Abb. 3 Schule von Salerno, Source: Miniature from Avicenna's Canon: manuscript 2197 Ein Beispiel für das Heilpflanzenwissen der Schule von Salerno ist über den Borretsch am Anfang des Textes zu lesen. An der Entwicklung der Phytotherapie war eine ganze Reihe von Persönlichkeiten beteiligt, von denen hier einige aufgezählt werden sollen Dioskurides (Lebensdaten nicht überliefert): Materia medica mit 1000 Arzneimitteln, davon 813 pflanzlich; 1. Jahrhundert n. Chr.). Hieronymus Bock (1498-1554): New Kreuterbuch von Underscheidt, Würckung und Namen der Kreuter, so in teutschen Landen wachsen (1546). Leonhard Fuchs (1501-1566): New Kreuterbuch (1543; erste botanische Exkursionen). „Matthiolus“, Pietro Andrea Mattioli (1501-1577): Übersetzer und Kommentator der Materia medica von Dioskurides. “Tabernaemontanus” (1522-1590): bedeutendster Botaniker des 16. Jhrdts; Neuw Kreuterbuch (1588). Otto von Brunfels (1488-1534): Herbarum vivae icones (1530, drei Teile; Contrafayt Kräuterbuch, (1532, zwei Teile stützt sein Wissen nicht auf die antiken Quellen sondern auf eigene Pflanzenbeobachtung, sowie auf die Sammlung einheimischer Pflanzen. Sebastian Kneipp (1821-1897): Meine Wasserkur (1886), Standardwerk, neben Wasser- auch Heilpflanzenanwendung. Johann Künzle (1857-1945): Schweizer Kräuterpfarrer;„Chrut und Uchrut“ (1915). Gerhard Madaus (1890-1942): Lehrbuch der biologischen Heilmittel, 3 Bände (1938) Rudolf Fritz Weiss (1895-1991): Rudolf Fritz Weiß, Volker Fintelmann: Lehrbuch der Phytotherapie (2002). Maurice Messegue (*1921) französischer « Kräuterpapst » mit 300 jähriger Familientradition; C’est la nature qui a raison (1972), Mon herbier de sante (1994) . Grundlagen Grundsätzlich wird sowohl in der traditionellen wie In der modernen Phytotherapie immer die ganze Pflanze, Teile der Pflanze, wie Blatt, Blüte, Wurzel, Frucht oder Samen und deren Zubereitungen verwendet. Grundlage der Phytotherapie ist die Kenntnis der Heilpflanzen (Phytopharmakognosie), sowie deren Pharmakologie inklusive Toxikologie und Pharmazeutik. Traditionelles Wissen um alte Rezepte fließt ebenso in die moderne Phytotherapie, wie neu kombinierte, individuelle Zusammenstellungen, die sich innerhalb der rationalen Phytotherapie einer wissenschaftlichen Überprüfung ihrer Wirkung und Wirksamkeit unterziehen. Es gibt Therapieansätze in denen die Phytotherapeutika nach therapeutischen Gesichtspunkten der konventionellen Medizin ausgewählt und angewendet werden. Zum Beispiel sind Pflanzen mit antiphlogistischer, spasmolytischer, antitussiver oder adstringierender Wirkrichtung bekannt. Daneben wird die Phytotherapie aber auch aus verschiedenen Denkansätzen heraus verwendet (Traditionell chinesisch, traditionell europäisch, in der Kloster und der Volksmedizin, in der Signaturenlehre, aufgrund von Erfahrungswissen usw.).. Pflanzliche Inhaltsstoffe Durch chemische- und pharmazeutische Untersuchungen und Extraktionsverfahren konnten viele Inhaltstoffe von Pflanzen sowie ihre chemische Struktur nachgewiesen werden. Dabei wird zwischen primären - und sekundären Pflanzenstoffen unterschieden. Bei den primären Pflanzenstoffen handelt es sich um Kohlehydrate, Fette und Proteine, die direkt für den Stoffwechsel der Pflanze als Energielieferant, Strukturbaustein oder Speicherstoffe dienen. Daneben gibt es die sogenannten sekundären Pflanzenstoffe, die für die Pflanze nicht essentiell sind und sich entwickelt haben um sich gegen Fressfeinde zur Wehr zu setzen sowie als Verdunstungsschutz und Vieles mehr. Es handelt sich zum Beispiel um Gerbstoffe, Flavonoide, Saponine, ätherische Öle, Alkaloide, Bitterstoffe, Glykoside, Schleimstoffe und viele andere mehr, die alle ein spezielles Wirkspektrum aufweisen. Abb. 4: Carvon macht 60% der ätherischen Öle in Kümmel aus und ist die geruchsbestimmende Komponente. Meist wird die potentielle Wirkung der Heilpflanze auf die ihres Hauptinhaltsstoffes bezogen. Es darf darüber aber nicht vergessen werden, dass die Pflanze ein ganzes, höchstwahrscheinlich in sich ausgewogenes Gemisch an Inhaltsstoffen enthält, wobei die Wirkung der ganzen Pflanze meist der Wirkung seines Hauptinhaltsstoffes überlegen ist. Aufbereitungsmethoden Die pflanzlichen Ausgangsstoffe, soweit diese nicht auch als Gewürz oder Zutat zur Ernährung dienen, werden vor Ihrer Anwendung in eine galenisch verwertbare Form gebracht. Es gibt hierfür die verschiedensten Möglichkeiten. Die einfachste Zubereitungsmethode von Heilpflanzen ist ein Infus, der Teeaufguss. Es handelt sich hierbei um einen einfachen Wasserauszug. Grundsätzlich gilt, dass Blüten und Blätter meist nur kurz mit heißem Wasser überbrüht werden, wogegen bei Verwendung von Kraut oder Wurzel ein Kaltauszug (Ansatz mit kaltem Wasser) mit anschließendem auskochen (Abkochen) notwendig sein kann. Bei Extrakten und Tinkturen Extraktionsmitteln ausgezogen. werden die Inhaltsstoffe mit alkoholischen Darüber hinaus gibt es auch Urtinkturen, und ölige Pflanzenauszüge, beides meist aus Frischpflanzen gewonnen. Aus traditioneller Anwendung kennt man aber auch medizinische Weine und Sirupe. Ausbildung zu Veterinärphytotherapeuten Die SMGP (Schweizerische medizinische Gesellschaft für Phytotherapie) bietet ein Ausbildungsprogramm für Veterinärphytotherapeuten an (www.smgp.ch). Zur Ausbildung in der Veterinärphytotherapie werden umfassende Kenntnisse über einzelne Heilpflanzen mit ihren jeweiligen botanischen aber auch chemischphysikalischen, pharmazeutischen und pharmakologischen Eigenschaften der Inhaltsstoffe und Wirkungsweisen gegeben. Darüber hinaus werden die zukünftigen Phytotherapeuten in regelmässigen, ausgedehnten Exkursionen in die Lage versetzt, die wichtigsten Arzneipflanzen in der Natur zu erkennen und unter Berücksichtigung des Artenschutzes in nachhaltiger Weise zu sammeln und zu verarbeiten. Es werden Kenntnisse von analytischen Methoden in der Phytotherapie, zum Beispiel die Standardisierung, sowie die verschiedenen Herstellungsarten pflanzlicher Arzneimittel und der Einfluss der verschiedenen Zubereitungsarten auf die Wirksamkeit der einzelnen Arzneipflanzen dargestellt. Ferner werden die aktuellen gesetzlichen Grundlagen und Verordungen der Phytotherapie in der Veterinärmedizin vorgestellt und erörtert, da gerade im Nutztierbereich, die Anwendung teilweise eingeschränkt ist und Überschneidungen von Arzneipflanzen und Futterpflanzen bestehen. Der Veterinärphytotherapeut soll nach der Ausbildung in der Lage sein ein eigenes phytotherapeutisches Grundsortiment zusammenzustellen und unter Berücksichtigung von Indikationen, Kontraindikationen, Interaktionen und unerwünschten Wirkungen, in der individuellen Situation der Patienten anzuwenden. Phytotherapeutische Behandlungsoptionen sollen mit konventionellen Therapien sinnvoll und sicher kombiniert werden können. Die Ausbildung soll schlussendlich zum Fähigkeitsausweis Phytotherapie führen. Bei Fragen zum Thema kontaktieren Sie uns gerne. (Abb: 5: Chamomilla martricaria recutita, Foto: U. Biegel)