Anlässlich der 18. Schweizerischen Tagung für Phytotherapie am 13. November 2003 in Baden (Schweiz) wurde zum 7. Mal der Alfred Vogel-Preis zur Förderung der Phytotherapie verliehen. Der Preis ist mit CHF 10.000.- dotiert und zeichnet Arbeiten aus, welche die traditionelle Pflanzenheilkunde mit der modernen wissenschaftlichen Phytotherapie verbinden. Der Alfred-Vogel-Preis 2003 wurde an Dr. Jürg Gertsch (von Schaffhausen, CH) und PD Dr. Jörg Heilmann (von Mülheim, BRD), beide Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, ETH Zürich, für ihre multidisziplinären Arbeiten verliehen, welche ethnobotanische, ethnopharmakologische, biologische, phytochemische, zell- und molekularbiologische Denkansätze und Arbeitsmethoden miteinander verknüpfen. Die Arbeit von Dr. Jürg Gertsch begann in Venezuela, wo er sich im Rahmen von ethnobotanischen Untersuchungen mit den Medizinal-, Gift- und Nahrungspflanzen der Yanomamï Indianer beschäftigt hat. Der Brückenschlag zur modernen Pharmakognosie erfolgte durch biologische und phytochemische Charakterisierung wichtiger im Quellgebiet des Orinoco gesammelter Pflanzen. Seine Dissertation „From Ethnobotany to Molecular Pharmacognosy – A Transdisciplinary Approach“ ging aber thematisch – wie aus dem Titel abgeleitet werden kann – viel weiter. Aus der Dissertation und anschließenden weiteren Arbeiten mit PD Dr. Jörg Heilmann sind eine Reihe von Publikationen in international renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen, die der Philosophie des Schweizer Naturheilkundepioniers Dr. h.c. Alfred Vogel, das traditionelle Wissen der Pflanzenheilkunde mit modernen Methoden zu untermauern und zu belegen, entsprechen. Erfolge in der Arzneimittelforschung der letzten Dekade haben die Notwendigkeit aufgezeigt, geeignete zell- und molekularbiologische Arbeitstechniken und Testssysteme auch zur Überprüfung und Belegung von Arzneimitteln der Phytotherapie zu integrieren. Jürg Gertsch hat im Rahmen seiner Dissertation ein funktionelles Transcriptomics Testsystem (Functional Transcriptomics Assay = FTA) entwickelt. Dabei handelt es sich um ein innovatives In-vitro-Testsystem auf der Basis der „Reverse Transcription – Real Time – PCR“ Technologie, das die biologische Charakterisierung von Pflanzeninhaltsstoffen ermöglicht, die in modernen Phytopharmaka eine wichtige Rolle spielen. Bei zahlreichen Naturstoffen ist zwar die biologische Aktivität beschrieben, aber nur von wenigen dieser Substanzen ist im Detail bekannt, welche zellulären Zielstrukturen sie angreifen, d.h. welcher Mechanismus für ihre Wirkung verantwortlich ist. Der neu entwickelte FTA ermöglicht insbesondere die Untersuchung des Einflusses von Pflanzeninhaltsstoffen auf die Gentranskription in der Zelle und die Beeinflussung der Lebensfähigkeit von Zellen. Neben der Entwicklung und Validierung des Testsystems wurden durch die beiden Preisträger damit eine Reihe von Naturstoffen insbesondere auf entzündungshemmende, cytotoxische, chemopräventive und immunmodulierende Wirkungen untersucht, so Hypericin aus Hypericum perforatum, Helenalin aus Arnica montana, Capsaicin aus Capsicum-Arten sowie Curcumin und Cyclosporin A. Für die Klasse der Sesquiterpenlactone sind wesentliche neue Erkenntnisse zur Erklärung ihres entzündungshemmenden Potentials gefunden worden. Beispielsweise wurde für die monofunktionellen Pseudoguaianolide Chamissonolid und Dihydrohelenalinacetat (bedeutsame Sekundärstoffe in Arnica-Arten) erstmals eine rationale In-vitroErklärung (Reduktion der mRNA Spiegel pro-inflammatorischer Zytokine) für ihre entzündungshemmende Aktivität in-vivo gefunden. Der Wissensstand um Wirkstoffe von Arzneipflanzen und deren mögliche Wirkungsmechanismen wurde durch die beiden Preisträger wesentlich bereichert. Ihre Arbeiten sind ein eindrückliches Beispiel innovativer Forschungsansätze, die zeigen, wie Wirkung und Wirkungsmechanismen auch von Phytopharmaka mit heute zur Verfügung stehender zell- und molekularbiologischer Methoden wissenschaftlich belegt werden können. Das neu entwickelte Testsystem besitzt ein großes Einsatzpotential, da es neben der biologischen Charakterisierung von isolierten Reinsubstanzen auch bei der Suche nach neuen pflanzlichen Wirkungen und Wirkstoffen sowie zur biologischen Standardisierung von therapeutisch verwendeten Pflanzenextrakten genutzt werden kann, Fragestellungen die gegenwärtig an der ETH Zürich in Bearbeitung sind. Die Anwendung dieses und ähnlicher Bioassays erlauben in Zukunft, die komplexen Wirkmechanismen von Extrakten und mögliche synergistische Effekte einzelner Sekundärstoffe zu beschreiben. Das Testsystem wird damit einen erheblichen praktischen Nutzen für die Erforschung und die Therapie von Phytopharmaka ermöglichen. Prof. em. Dr. Dr.h.c. Otto Sticher