Vielfalt der Phytotherapie in der Behandlung älterer Patienten

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Stellenwert der Phytotherapie
Vielfalt der Phytotherapie in der
Behandlung älterer Patienten
An der diesjährigen SwissFamilyDocs Conference im Kongresshaus Zürich lud die Zeller
Medical AG zu einem Lunchsymposium zum Thema „Phytotherapie in der Geriatrie“ ein.
Unter dem Vorsitz von Prof. Dr. med. Jürgen Drewe legten die beiden Referenten Prof. Dr.
med. Reto W. Kressig und Dr. med. Simon Feldhaus anhand praxisrelevanter Beispiele
eindrücklich den Stellenwert der evidenzbasierten Phytotherapie in der Behandlung älterer bzw. geriatrischer Patienten dar.
drian) erhältlich. „Besonders die Kombination aus
Komplementär- und Alternativmedizin sind in
der Bevölkerung gut akzeptiert (1), eröffnete
Prof. Dr. med. Jürgen Drewe, Basel/Romanshorn, das Symposium. So gaben über 50% der
Patienten mit Angststörungen, ­Panikattacken,
Depression und kardiovaskulären Erkrankungen an, pflanzliche und alterna­
tive Behandlungsmethoden anzuwenden (2). 50% der
Patienten, die pflanzliche und alternative Behandlungsmethode verwenden, tun dies zur
Prävention (3). Zwar kommt es durch die allgemeine gute Verträglichkeit der Phytopharmaka selten zu unerwünschten Wirkungen und
Arzneimittelinteraktionen, dennoch handelt es
sich um Arzneimittel, über deren Anwendung
der behandelnde Arzt informiert werden sollte,
so Prof. Dr. med. Reto W. Kressig, Basel. Geri­
atrische ­Patienten zeigen aufgrund ihres Alters
verschiedene körper­
liche Einschränkungen,
wie reduzierte Mobilität, Nachlassen intellektueller Fähigkeiten und Gedächtnisleistungen,
verminderte Sehkraft und Hörvermögen, um
nur einige zu nennen. Die häufigen Folgen
sind soziale Isolation, Verlust der Unabhängigkeit und Depression. Veränderte Pharmakokinetik und -dynamik im Alter führen über
inadäquate Dosierung und/oder Medika­tion zu
unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei geri­
atrischen Patienten. „Die globale Sicht auf die
Funktionalität des Patienten ist in der Altersmedizin besonders wichtig“, so Prof. Dr. med.
Kressig und legte nachfolgend dar, ­warum die
Phytotherapie besonders interessant für d
­ iese
Patientengruppe ist.
„Im Allgemeinen gut verträglich und von
grosser therapeutischer Breite weisen die
Phytotherapeutika ein nur geringes Interaktionspotential auf und stellen deshalb eine
besonders wertvolle Therapieform für poly­
morbide ältere Menschen mit Polypharmazie dar“, erläuterte Prof. Dr. med. Kressig. Die
Elimina­tion der Phytopharmaka schädigt we-
Teil erst nach Tagen oder Wochen eintritt, ist es ratsam, dass der Arzt die Patienten darauf hinweist.
der die ­Niere, noch kommt es zu Kumulation bei eingeschränkter Nierenfunktion. Eine
Dosisanpassung ist daher nicht erforderlich.
Im Allgemeinen gut resorbierbar führen die
Phytopharmaka durch ihre ­
geringe Protein­
bindung bei Hypoalbuminämie nicht zu Überdosierungen oder Wechselwirkung durch die
Verdrängung eines Arzneimittels aus der Eiweissbindung. Aus klinisch pharmakologischer
und pharmakokinetischer Sicht sind pflanzliche Arzneimittel im Alter risikoärmer als chemisch-synthetische Medikamente. Prof. Dr.
med. Drewe fügte an, dass das Interaktionspotential von Johanniskraut-Präparaten in erster Linie vom Hyperforin-Gehalt des Extraktes
abhängt. Hyperforin-arme Exstrakte weisen ein
geringeres Interaktionspotential auf.
Anwendung bei nichtorganischer
Insomnie
Charakterisiert von Ein- und Durchschlafstörungen und schlechter Schlafqualität führt die Insomnie zu entsprechendem Leidensdruck. Die
European Medicines Agency (EMA) bestätigt Baldrianwurzel, Hopfenzapfen, Passionsblumenkraut,
Melissenblättern und Lavendelblüten/-öl die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei Schlafstörungen und ­beurteilt die Evidenz für Baldrianwurzel
(Valerianae radix) und die Kombination von Baldrianwurzel (Valerianae radix) und Hopfenzapfen
(Lupuli strobulus) mit dem Status „well-established
use“ für die Behandlung von Schlafstörungen. Baldrian bietet den Vorteil, dass keine Sucht, Abhängigkeit oder Tachyphylaxie entwickelt werden. Die
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Passionsblumenkraut (Passiflora herba), Melisseblättern
(Melissae folium) und Lavendelblüten/-öl (Lavendulae flos/aetheoleum) bei psychischer Belastung
und Schlafstörungen beurteilt die EMA mit dem
Status „traditional use“. Es sind auch entsprechende Kombinationspräparate (teilweise auch mit Bal-
Baldrian und Hopfen (z.B. redormin ® 500), aber
auch mit Melisse, Lavendel und Passionsblumenkraut sind ideale Kombinationen bei Schlafstörungen“ lies Prof. Kressig wissen. Da sich die Wirkung
pflanzlicher Arzneimittel langsam aufbaut und zum
Anwendung bei Depression
Bereits im Mittelalter wurde Johanniskraut
(Hyperici herba) nicht nur äusserlich wegen
seiner wundheilenden Wirkung, sondern auch
innerlich bei „Zittern und Beben“ eingesetzt
(4). ­Extrakten von Johanniskraut attestiert die
EMA mit dem Status "well-established use"
Wirksamkeit und Sicherheit für die Behandlung leichter bis mittelgradiger depressiver
Episoden (F32.0 und F32.1 gemäss ICD-10)
und mit dem Status „traditional use“ für vorübergehenden geistigen Erschöpfungszustand.
Möglicherweise entfaltet Johanniskraut eine
vergleichbare Wirksamkeit wie die SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI), da die verschiedenen Komponenten synergistisch die
Wiederaufnahme von Noradrenalin, Dopamin
und Serotonin hemmen und die Rezeptorbindung an der postsynaptischen Membran
beeinflussen. Daneben sind Johanniskrautpräparate besser verträglich als SSRI. Eine
Cochrane Review zu Patienten mit schweren
depressive Episoden bestätigt, dass Johanniskraut den SSRI absolut ebenbürtig ist (5).
Die Remis­sionsrate verbesserte sich im Vergleich zu SSRI um ca. 24% (p<0.029) und
die Therapieabbruchrate wegen Nebenwirkungen war um 47% niedriger als mit SSRI.
Die Wirksamkeit war unabhängig vom Schweregrad der Depression und nahm mit der Therapiedauer zu. Somit weist ­Johanniskraut, im
Vergleich zu SSRIs, ein besseres Nebenwirkungsprofil bei gleicher Wirksamkeit auf.
Anwendung von Phytopharmaka
bei Demenz
Neben den Hemmern der Acetylcholinesterase und den nicht-kompetitiven NMDA-Antagonisten ist Ginkgo biloba ein klinisch belegter
_ 2014 _ der informierte arzt
4809 sonderreport
Therapieansatz in der Demenztherapie. Der
Einfluss von Ginkgo biloba auf die kognitiven
Fähigkeiten ist dosisabhängig, aber besonders
der klinische Gesamteindruck wurde infolge
Therapie mit 240 mg Ginkgo biloba in den Studien verbessert (6).
«Die Bereitschaft, pflanzliche Arzneimittel
einzunehmen, ist bei chronischen
Erkrankungen besonders hoch.»
*
«Hyperforin-arme Johanniskraut-Extrakte
weisen ein geringeres Interaktionspotential
auf als Hyperforin-reiche.»
Therapie der Herzinsuffizienz NYHA I-II
Literatur:
1. Kessler RC et al. The use of complementary and alternative
therapies to treat anxiety and depression in the United States. Am J Psychiatry 2001;158(2):289-94
2. Ho TF et al. Generational Differences in Complementary and
Alternative Medicine (CAM) Use in the Context of Chronic
Diseases and Pain: Baby Boomers versus the Silent Generation. JABFM 2014; 27( 4):465-73
3. Eisenberg DM et al. Trends in alternative medicine use in
the United States, 1990-1997: results of a follow-up national
survey. JAMA. 1998 Nov 11;280(18):1569-75
4. Mattioli PA, Camerarius J Kreuterbuch desz hochgelehrten
uund weitberühmten Herrn D. Petri Andreae Matthioli III,
114; 1590 (http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-9763)
5. Linde K et al. St John’s wort for major depression (Review) the
Cochrane Collaboration;http://www.thecochranelibrary.com
der informierte arzt _ 09 _ 2014
Prof. Dr. med. Jürgen Drewe
«Pflanzliche Arzneimittel sind im
Allgemeinen gut verträglich und weisen nur
ein geringes Interaktionspotential auf.»
*
«Unter anderem eignet sich die Kombination
aus Baldrian und Hopfen besonders gut zur
Therapie von Schlafstörungen.»
Prof. Dr. med. W. Reto Kressig
«Es empfiehlt sich, möglichst frühzeitig
mit einer Crataegus-Therapie zu beginnen.»
*
«Die Bereitschaft des Patienten,
Crataegus als Add-on-Therapie bei
Herzinsuffizienz einnehmen ist hoch
und beeinträchtigt nicht die Compliance
der Standardtherapie.»
Dr. med. Simon Feldhaus
se, sondern auf Evidenz basierende Ergebnisse vorliegen“, schloss Dr. med. Feldhaus seinen
Vortrag.
In der anschliessenden lebhaften Diskussion zeigte die Erfahrung eines Praktikers,
dass selbst bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffi­zienz eine Add-On Therapie mit
Weiss­
dorn ­
Erfolge zeigt. „Besser ist es natürlich, das Präparat frühzeitig einzusetzen“, so Dr.
med. Feldhaus. „Die Bereitschaft von Herzin-
6. IQWiG-Bericht 2008 Nr. 39
7. Pittler MH et al. Hawthorn extract for treating chronic heart
failure. The Cochrane database of systematic reviews (online) 2008 CD005312
8. Holubarsch CJF. The efficacy and safety of Crataegus extract WS 1442 in patients with heart failure: the SPICE trial.
Eur J Heart Fail 2008;10(12):1255-63
9. Walker AF et al. Hypotensive effects of hawthorn for patients
with diabetes taking prescription drugs: a randomised controlled trial. Br J Gen Pract 2006;56:437-43
10. Vellas B et al. Long-term use of standardised Ginkgo biloba extract for the prevention of Alzheimer's disease (GuidAge): a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol. 2012;11(10):851-9
suffizienz-Patienten, Crataegus als Add-on-Therapie einzunehmen, ist hoch und beeinträchtigt
die Compliance der Standardtherapie nicht.“ So
kam es auch zur Frage der „präventiven Einsatzmöglichkeit von Phytotherapeutika“. Prof.
Dr. med. Kressig wies auf die Subgruppenanalyse der französischen GUIDANCE Studie hin, die
eine „umso grössere Reduzierung der Konversion in ­Demenz nachweisen konnte, je länger präventiv mit ­Ginkgo therapiert wurde“ (10).
IMPRESSUM
Berichterstattung: Dr. Heidrun Ding
Redaktion: Thomas Becker
Quelle: Satellitensymposium der Zeller AG
„Vielfalt in der geriatrischen Phytotherapie“
SwissFamilyDocs Conference, 28.8.2014, Zürich
Unterstützt von Zeller Medical AG, Romanshorn
© Aerzteverlag medinfo AG, Erlenbach
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86224/2014/729
Mit dem allgemeinen Grundsatz „Jede Herzmuskelschwäche muss therapiert werden, auch
wenn sie noch keine Beschwerden bereitet. Je
früher mit der Therapie begonnen wird, desto grösser die Chance, das Fortschreiten der
Erkrankung zu verlangsamen oder gar umzukehren“ begann Dr. med. Simon F
­ eldhaus, Baar,
seinen Vortrag. Die schulmedizinische Therapie ist häufig mit Nebenwirkungen verbunden,
­daher werden diese Medikamente erst dann eingesetzt, wenn erste Symptome vorliegen und
nicht schon zur Prävention. G
­ enau dies ist mit
nahezu nebenwirkungsfreien Phytotherapeutika möglich. Der Weissdorn (Crataegus) wird bei
nachlassender Leistungsfähigkeit des Herzens
im Stadium I oder II nach NYHA wegen seiner
synergistischen positiv inotropen, antihypertensiven, kardioprotektiven und antiarrhythmischen
Wirkungen eingesetzt. Eine Cochrane Review
zeigt den Nutzen von Weiss­dorn bei Herzinsuffi­
zienz der NYHA Stadien I-III. Die Symptomkontrolle und die physiologischen Werte wurden
durch die Add-On-Therapie signifikant verbessert (7). Die S
­PICE Studie, durchgeführt mit
2681 Patienten über 24 Monate, zeigte in der
Analyse der Subgruppe (LVEF von 25 % bis 35
%) für Crataegus als Add-on-Therapie eine signifikante Reduktion der „harten Endpunkte“ kardiale Mortalität und plötzlicher Herztod (8). In
einer placebokontrollierten Studie mit Typ II Diabetikern konnte der diastolische Blutdruck durch
die Behandlung mit Weissdornextrakt signifikant
gesenkt werden (9). kardionin®, ein Trockenextrakt aus Weissdornblättern mit Blüten, ist das
einzige Crataegus Präparat in der Schweiz, das
für Herzinsuffizienz bis NYHA II zugelassen ist.
„Dies bedeutet, dass zur Wirksamkeit des Phyto­
therapeutikums Weissdornextrakt nun nicht
mehr nur auf Erfahrung basierende Erkenntnis-
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