Dossier Alter

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Basler Zeitung, Seite 21 10. Februar 2014
Gesundes Altern: Wer sich bewegt, stürzt weniger
Im Alter verliert man Muskeln. Fitnesstraining und Eier helfen, den
Muskelschwund abzubremsen
Martin Brodbeck. «Geniessen Sie Ihr Frühstücksei – es tut Ihnen gut.» Wenn Professor
Reto W. Kressig vor älteren Menschen spricht, muss er die Vorurteile vor dem
Eierkonsum ins Visier nehmen. «Lange hat man geglaubt, dass Eier den CholesterinSpiegel erhöhen – das ist inzwischen wider-legt.» Heute weiss man: Der Verzehr von
Eiern ist gerade auch für ältere Menschen von Bedeutung. «Eiweiss und proteinhaltige
Lebensmittel sind ein wesentlicher Beitrag zur Sturzprophylaxe », stellt Kressig klar. Der
Chefarzt des universitären Zentrums für Altersmedizin und Rehabilitation am FelixPlatter-Spital rät den Senioren zudem, Molkeprodukte zu konsumieren. Rivella, Eier,
Molkeprodukte und Co. helfen mit, den Muskelschwund bei älteren Menschen
abzubremsen. Die Muskelmasse zwi-schen dem 30. und dem 80. Lebensalter reduziert
sich um rund einen Drittel, stellt Kressig fest. Vornehmlich davon betroffen seien die
schnellen Muskelfasern. «Verminderte Muskelmasse bei gleichzeitig verlangsamter
Gehgeschwindigkeit wird Sarkopenie genannt.» Diese sei der häufigste Risikofaktor für
Stürze.
Hauptgrund für Hospitalisierung
Das Gehen ist im Alter keine Selbstverständlichkeit mehr. Jedes Jahr stürzen 25 bis 50
Prozent der Betagten. Schätzungsweise 10 bis 20 Prozent der Stürze führen zu
ernsthaften Verletzungen, beispielsweise Knochenbrüchen. «Stürze bilden damit einen
der Hauptgründe für Hospitalisierungen im Alter», sagt Kressig. Behinderungen bei der
Mobilität seien neben der Demenz der wichtigste Faktor für langfristige Einschränkungen
im Alter. Viele Betagte nehmen diese Mobilitätseinschränkungen fatalistisch hin. Doch
Professor Reto W. Kressig macht ihnen Mut. Eine gute Sturzprophylaxe trägt dazu bei,
dass Stürze im Alter seltener werden. Das erspart nicht nur enorme Kosten im Gesundheitswesen. Das verbessert auch die Lebensqualität von Senioren und hilft, die
Selbstständigkeit und damit das Wohnen zu Hause bis ins hohe Alter zu ermöglichen. Das
Frühstücksei ist dafür nur ein Baustein. Denn verschiedene Faktoren führen zu
Gangunsicherheiten im Alter. Auch darum genügt eine proteinhaltige Nahrung alleine
nicht. Kressig berichtet von erstaunlichen Ergebnissen. Die Muskelkraft lasse sich selbst
im hohen Alter trainieren. Bei 90-jährigen Pflegeheimbewohnern nahm die Kraft nach
einem 20-wöchigen Krafttraining mit Therabändern um 100 Prozent zu. Bei einer Kontrollgruppe, die gleichzeitig Proteindrinks erhielt, lag die Zunahme sogar bei knapp 150
Prozent. Das zeigt eindrücklich, wie das Zusammenspiel mehrerer Faktoren sich positiv
auf die Fitness im Alter auswirkt. Laut Kressig gelangen schnelle Proteine wie Molke
schnell in den Muskel und stehen für den Muskelaufbau wirksam zur Verfügung. Als
weiteren wichtigen Baustein zur Sturzprophylaxe nennt Kressig eine genügende
Versorgung mit Vitamin D: Die alte Haut nimmt bis zu vier Mal weniger Vitamin D über
das Sonnenlicht auf als die junge Haut. Darum ist es in unseren von der Sonne nicht so
verwöhnten Breitengraden in den meisten Fällen sinnvoll, Vitamin D zusätzlich einzunehmen. Damit lassen sich laut Kressig Stürze bis zu maximal fünfzig Prozent reduzieren. Zu
viele Menschen in Mitteleuropa bewegen sich zu wenig. Nur knapp die Hälfte aller über
65-jährigen Europäer sind mindestens dreieinhalb Stunden pro Woche körperlich aktiv.
Dabei wird alles dazugezählt: Gehen, Gartenarbeit, Velofahren, Schwimmen, Fitness und
Tanz. Mit anderen Worten: Allein schon ein halbstündiger Spaziergang pro Tag tut nicht
nur der Seele gut. Er ist ein wichtiger Beitrag zur Sturz-prophylaxe. Und braucht es
zusätzlich ein Krafttraining? Der Nutzen eines Krafttrainings alleine ist umstritten. Wichtig
hingegen ist ein Fitnesstraining, das neben den Muskeln (auch den tiefer liegen-den
Muskeln, welche für die Stabilität des Bewegungsapparats wichtig sind) zusätzlich
Kondition und den Gleichgewichtssinn umfasst. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass
eine weitaus lustvollere Tätigkeit hervorragende Resultate ergibt: Das Tanzen. Fast ist
man versucht, den alten Schlagertext umzuformulieren: «Tanze mit mir in das Alter,
tanze mit mir in das Glück.» Dossier Alter Februar 2014
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Selbstständig bis ins hohe Alter._ Sturzprophylaxe (hier die Jacques-Dalcroze-Rhythmik) verbessert
auch die Le-bensqualität
Gehen und reden fällt schwer
Professor Kressig betont: «Für eine gute Mobilität braucht es nicht nur Muskelkraft,
sondern auch gute koordinative Fähigkeiten, Aufmerksamkeit und schnelle
Reaktionsfähigkeit.» Er nennt dabei zwei gute Beispiele für eine gleichzeitige körperliche
und geistige Stimulation. Tai-Chi und die Jacques- Dalcroze-Rhythmik. Tai-Chi ist
ursprünglich eine chinesische Kampfkunst, die heute als Bewegungssystem für
Gesundheit, Persönlichkeitsentwicklung und Meditation verwendet wird. Die JacquesDalcroze- Rhythmik ist eine von Emile Jacques-Dalcroze zu Beginn des 20. Jahrhunderts
in Genf entwickelte Musik- und Bewegungsintervention. Körperliche Übungen mit
mehreren Bewegungsabläufen («multi-tasking») werden im Rhythmus zu improvisiert
gespielter Musik ausgeführt. «Diese Rhythmik sensibilisiert den Menschen in seiner
Ganzheit, entwickelt seine Wahrnehmungen und fördert seine geistige und körperliche
Mobilität», schreibt der Verein Erwachsenen- und Seniorenrhythmik nach Dalcroze. Diese
Bewegungsmethode spricht dabei nicht nur den Intellekt an, son-dern auch den
«Muskelsinn», wie neuere Forschungsergebnisse gezeigt haben. Kein Wunder, dass so
die Sturzgefahr reduziert wird. In Basel kann die Methode im Café Balance erlernt
werden, das mittlerweile in neun Basler Quartiertreffpunkten angeboten wird. Dieser
Rahmen bietet auch soziale Kontakte für ältere Menschen. Denn zu einer umfassenden
Sturzprophylaxe gehört nicht nur die körperliche Fitness, sondern auch seelisches
Wohlbefinden und geistige Anregung. «Multi-tasking» ist auch ein Schlüsselwort in der
Forschung zur Sturzprophylaxe. Es hat sich gezeigt, dass ältere Menschen oft Mühe
haben, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Darum wird in Ganganalysen nicht nur nach
Abweichungen beim normalen Gehen gesucht. Wenn Probanden beim Gehen gleichzeitig
sprechen müssen, zeigen sich grössere Schwierigkeiten. Professor Reto W. Kressig ist
überzeugt, dass eine Früherkennung von Gehstörungen mittels Ganganalyse ein
wichtiger Beitrag zur Prophylaxe von Stürzen ist.
www.seniorenrhythmik.ch
www.aelterbasel.ch Dossier Alter Februar 2014
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