12 Diagnose & Therapie Lebermetastasen sind häufiger Tumor ist nicht gleich Tumor Im Vergleich zu anderen Organen ist die Leber erstaunlich regenerations­ fähig. Sie wächst sogar nach, wenn man große Teile aus ihr herausschneidet. Doch gegen Krebstumoren und Metastasen ist auch sie ohne ärztliche Inter­ vention machtlos. Ob es gelingt, den Krebs zu besiegen, hängt von verschie­ denen Faktoren ab. Am besten sind die Aussichten, wenn der Leberkrebs früh erkannt wird und eine operative Entfernung des Tumors noch möglich ist. Von Dr. Nicole Schaenzler L eberkrebs ist die Tumorerkrankung, die in den westlichen Industrienationen derzeit am stärksten zunimmt. So erhalten inzwischen allein in Deutschland jährlich knapp 9000 Menschen die Diagnose Leberkrebs – damit hat sich die Zahl der Neuerkrankungen in den letzten Jahren verdoppelt. Wenn von »Leberkrebs« die Rede ist, ist meist das Leberzellkarzinom (Hepatozelluläres Karzinom, HCC) gemeint. Hierbei geht die bösartige Erkrankung von den Leberzellen aus. Leberzellkrebs kann auf die Leber begrenzt bleiben, er kann allerdings auch die lebernahen Lymphknoten befallen und in entfernte Organe »streuen«. Dass Leberkrebs seit Jahren weltweit zunimmt, liegt vor allem daran, dass der wichtigste Risikofaktor in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat: die Leberzirrho- se. Deren Kennzeichen ist ein fortschreitender – irreparabler – Umbau der Leberstruktur mit Knötchen- und Narbenbildung, wodurch die Leberfunktion zunehmend beeinträchtigt wird. Für eine Leberzirrhose ist wiederum fast immer entweder chronischer Alkoholmissbrauch oder eine Hepatitis-Infektion die Ursache, allen voran eine Infektion mit Hepatitis C. Aber auch eine Verfettung der Leberzellen birgt die Gefahr für die Entstehung einer Leberzirrhose. Denn die sogenannte nichtalkoholische Fettleber, die hierzulande auf dem besten Weg ist, sich zur Volkskrankheit zu entwickeln, geht mit ganz ähnlichen Leberveränderungen einher wie die alkoholbedingte Fettleber-Hepatitis. Aus den Zellen der Gallengänge in der Leber kann sich ebenfalls ein bösartiger Tumor entwickeln. Auch in diesem Fall steht die Entstehung des Gallengangkarzinoms (cholangiozelluläres Karzi­ nom, CCC) höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit einer chronischen Hepatitis-C-Infektion bzw. mit einer alkoholischen/nichtalkoholischen Hepatitis. Zudem werden andere Begleiterkrankungen (z. B. Colitis ulcerosa) sowie der (langjährige) Kontakt mit bestimmten krebserregenden Substanzen (z. B. Ni­ tro­samine) als mögliche Auslöser diskutiert. Kein anderes Organ erfüllt so viele Aufgaben im Körper wie die Leber: Sie ist Filter-, Entgiftungs-, Speicherund Ausscheidungsorgan, steuert die wichtigsten Stoffwechselprozesse und ist eine unermüdliche ­Produktions- und Hormonfabrik. Topfit 2 / 2015 Die mit Abstand häufigsten Lebertumoren sind jedoch nicht die Tumoren, die sich direkt aus dem Lebergewebe entwickeln, sondern die Lebermetastasen. Sie entstehen, wenn sich Krebszellen von bösartigen Tumoren in einem anderen Organ ablösen und in der Leber ansiedeln. So gesehen sind Lebermetastasen kein Leberkrebs im engeren Sinn. Dennoch können sie genauso verheerende Folgen haben wie der »primäre« Leberkrebs, wenn sie nicht rechtzeitig entdeckt und entfernt werden. Metastasen können sich zwar prinzipiell fast überall im Körper absiedeln, die Leber ist jedoch das Organ, das am häufigsten betroffen ist: Bei mehr als der Hälfte aller fortgeschrittenen Krebserkrankungen lassen sich Lebermetastasen nachweisen. Einer der Gründe dafür ist, dass die Leber das Blut gleich aus zwei Quellen, aus der Leberschlagader und der Pfortader, erhält. Bei Krebserkrankungen der Verdauungsorgane ist der Metastasierungsweg über den Pfortader- Die Lebertransplantation ist nur beim Leberzellkrebs sinnvoll, aber nicht immer möglich. kreislauf besonders kurz. »Vor allem bei Dickdarm- und Mastdarmkrebs ist die Gefahr groß, dass es über die Pfortader zu hepatischen Absiedelungen kommt. Bei einem Drittel der Darmkrebs-Patienten haben sich zum Zeitpunkt der Darmkrebs-Diagnose bereits Lebermetastasen gebildet«, erklärt Privatdozent Dr. Johann Spatz und Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Krankenhaus Barmher­zige Brüder München. Aber auch bei Brustkrebs oder Lungenkrebs kommt es häufig zu einer Metastasierung in der Leber. In diesen Fällen gelangen die Krebszellen über den Blutkreislauf in die Leber. Die Therapie des Leberzellkrebs richtet sich nach dem Stadium der Erkrankung. In fortgeschrittenen Stadien und ohne effektive Behandlung liegt die Wahrscheinlichkeit, zwei Jahre zu überleben, unter zehn Prozent. Wurde der Leberkrebs jedoch frühzeitig entdeckt und liegt keine Leberzirrhose vor, ist eine Teilentfernung der Leber die Therapie der Wahl. Mehr als die Hälfte der Patienten mit einer Leber-Teilentfernung lebt vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an fünf Jahre und länger. Noch besser ist die Prognose, wenn eine Lebertransplantation vorgenommen werden kann. Diese ist jedoch nur möglich, wenn sich in der Leber maximal drei Knoten mit einem Durchmesser von weniger als drei Zentimetern befinden oder wenn lediglich ein Tumor mit einem Durchmesser von weniger als fünf Zentimetern vorliegt. Doch selbst dann, wenn die medizinischen Kriterien erfüllt sind, kann es sein, dass es nicht zu einer Transplantation kommt – denn in Deutschland stehen kaum Spenderorgane zur Verfügung. Foto: fotolia (7activestudio) Leberkrebs und Lebermetastasen Diagnose & Therapie 13 Nachgefragt Im Gespräch mit TOPFIT erläutert PD Dr. Johann Spatz vom Krankenhaus Barmherzige Brüder München u. a., weshalb der Leberzellkrebs in den meisten Fällen nach einer anderen Behandlungsstrategie verlangt als Lebermetastasen. Herr Dr. Spatz, die Prognose bei ­Leberkrebs gilt als eher schlecht. Was sind die Gründe? Dr. Spatz: Das Hauptproblem ist, dass die meisten Patienten als Grunderkrankung eine Leberzirrhose haben. In dieser Situation ist eine Operation oft nicht mehr möglich, da die Leber keine Reserven mehr hat und schon die Narkose zu einer völligen Dekompensation führen kann. Zudem bilden sich die Tumorknoten oft an verschiedenen Stellen der Leber und sind deshalb chirurgisch nicht zugänglich. Hinzu kommt, dass es nach erfolgreicher Entfernung des Tumors oft an einer anderen Stelle in der Leber erneut zu einer Tumorbildung kommt. Wie sind die Heilungsaussichten, wenn es sich um Lebermetastasen handelt? Dr. Spatz: Bei Lebermetastasen stellt sich die Situation ganz anders dar, da die Leber meist noch gesund ist. Vor allem für die Absiedelungen vom Dickdarm- oder Mastdarmkrebs kann man für ca. 20 Prozent der Patienten durch eine einmalige Operation – mit oder ohne vorausgegangene Chemotherapie – eine Heilung erreichen; vorausgesetzt es gelingt, alle Herde zu entfernen. In vielen anderen Fällen kann die Tumorerkrankung über Jahre kontrolliert werden. So gesehen lohnt es sich praktisch immer, auch bei Rezidiven erneut zum Messer zu greifen. Dies gilt jedoch nur für Lebermetastasen aufgrund eines Dickdarm- oder Mastdarmkrebs; für die Absiedelungen anderer Krebsarten wie Magen-, Speiseröhren- oder Brustkrebs ist dies nicht belegt. Wenn eine operative Behandlung ansteht: Wie viel Leber kann man chirurgisch entfernen, wie viel muss bleiben? Dr. Spatz: Ist die Leber gesund, kann im Extremfall bis zu 80 Prozent der Leber entfernt werden. Allgemein gilt: Es muss ein minimales Restvolumen der Leber erhalten bleiben, das 0,5 Prozent des Körpergewichts des Patienten nicht unterschreiten darf. Durch bestimmte Maßnahmen ist es sogar möglich, die Leberanteile, die im Körper belassen werden sollen, im Vorfeld einer Operation mithilfe der sogenannten Pfortaderembolisation zum Wachsen anzuregen. Hierbei wird einige Wochen vor der Operation ein Teil der Pfortader durch eine perkutane Punktion mit dem Ziel verschlossen, die nach der geplanten Resektion verbleibenden Leberanteile zum Wachstum zu bringen. Auf diese Weise hat die Leber zum Zeitpunkt der Operation dann eine Größe angenommen, die nun eine Entfernung größerer Leberanteile sicher möglich macht. können – und so die Chance auf eine lang­ fristige Tumorkontrolle zu ermöglichen. Wie wichtig sind Tumorboards für die Behandlungsplanung? Dr. Spatz: Der Goldstandard ist die offene Chirurgie. Der Sicherheitsabstand muss nicht groß sein, wichtig ist, die sichere Entfernung der Raumforderungen ohne Resttumor zu belassen. Viele Tumore lassen sich heute auch mithilfe der Schlüssellochchirurgie-Technik entfernen. Dies betrifft vor allem Tumorknoten, die in den Randbereichen der Leber liegen. Dr. Spatz: Wie schon erwähnt, der beste Behandlungserfolg kann nur im Zusammenspiel der verschiedenen Fachdisziplinen erreicht werden. Das Tumorboard ist hier unerlässlich und bietet den optimalen Rahmen, um gerade in Grenzbereichen der Machbarkeit sinnvoll und realistisch zu planen. An unserem Haus wird der Fall jedes einzelnen Tumorpatienten ausführlich besprochen. Chirurgen, Onkologen, Gastroenterologen, Radiologen, Pathologen und Strahlentherapeuten sind immer anwesend, um ihre Expertise zum Wohle des Patienten einzubringen. Das ist auch die Voraussetzung für die Zertifizierung als Darmzentrum. Primärtumor im Darm oder Metastase – gibt es Unterschiede in der operativen Behandlung? Was für weitere Behandlungsmöglichkeiten stehen bei Leberkrebs zur Verfügung? Dr. Spatz: Die operative Technik ist grundlegend verschieden; das gilt auch für die zum Einsatz kommenden Instrumente. Beim Darmkrebs kommt der Präparation in anatomischen Schichten und der Mitentfernung der drainierenden Lymphknoten eine entscheidende Bedeutung zu. Hierfür setzen wir die minimal-invasive Technik ein, auf die wir in unserem Haus seit Jahren spezialisiert sind. Für die Entfernung von Lebermetastasen gelten andere Kriterien. Hier liegt die Kunst – neben der Beherrschung der chirurgischen Technik – ganz wesentlich in der Einschätzung des Einzelfalls: Ist es möglich, alle Herde zu entfernen? Welche OP-Techniken bieten sich an? Reicht der verbleibende Rest aus, um den Patienten am Leben zu erhalten? Um all diese Fragen zu klären, bedarf es einer jahrelangen Erfahrung und setzt voraus, dass alle Spezialisten in den Entscheidungsprozess mit eingebunden sind. Dr. Spatz: Ist die chirurgische Entfernung oder eine Transplantation nicht mehr möglich, stehen Behandlungsmöglichkeiten wie die Verödung der tumoreigenen Gefäße, gegebenenfalls mit vorherigem Einspritzen von Chemotherapeutika (Embolisation/ Chemoembolisation), aber auch eine Hitzeverödung der Herde mittels Ultraschall oder Mikrowelle (Thermo­ablation) oder Medikamente zur Verfügung. Bei manchen Patienten können auch mehrere Verfahren zum Einsatz kommen. In vielen Fällen lässt sich dadurch ein Fortschreiten der Erkrankung einbremsen oder auch ein Stillstand erreichen. Welche chirurgischen Maßnahmen ­ führen Sie durch? Stichwort »Lebermetastasen«. Ist es möglich und sinnvoll, auch dann noch zu operieren, wenn bereits mehrere Lebermetasen vorhanden sind? Dr. Spatz: Immer wenn es gelingt, alle Herde zu entfernen, eröffnet sich die Perspektive auf eine 20-prozentige Heilungschance. Multimodale Behandlungskonzepte ermöglichen es, bei zunächst inoperablen Befunden durch eine gemeinsame Anstrengung und die Zuhilfenahme verschiedener Behandlungstechniken wie Chemotherapie, Pfortaderembolisation, Mikrowellen­ ablation, Radiofrequenzablation oder zweizeitige Operation häufig doch noch eine erfolgreiche Operation durchführen zu Zur Person Privatdozent Dr. med. Johann Spatz ist Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder München. Ein Teilbereich der Abteilung ist die viszeralchirurgisch onkologische Chirurgie, die auf die Entfernung von bösartigen Tumoren im Bauchraum spezialisiert ist. In enger Kooperation mit dem zertifizierten Darmzentrum des Hauses werden unter der Leitung von PD Dr. Spatz Krebspatienten in allen Krankheitsstadien umfassend medizinisch versorgt. Dabei umfasst die operative Therapie sämtliche modernen Verfahren: von der endoskopischen Tumor­ abtragung bis hin zur komplexen viszeralchirurgischen Operation unter Ausschöpfung aller interdisziplinären Möglichkeiten. Nähere Infos: www.barmherzige-muenchen.de Topfit 2 / 2015