Uraufführung: Die Astronomin in der Oper

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Uraufführung: Die Astronomin in der Oper
02.03.2010 | 18:52 | WILHELM SINKOVICZ (Die Presse)
Uraufführung in Lyon: "Emilie" von Kaija Saariahos zeigt eine Forscherin und ihre Einsamkeit
in der Männerwelt ­ in milder Abgeklärtheit, auch musikalisch.
Einen Tag nach der Wiener Uraufführung von Aribert Reimann zeigte Lyon die neueste
Musiktheaterkreation Kaija Saariahos. Spätestens seit der Salzburger Festspielpremiere ihrer
Troubadour­Oper „L'amour de loin“ gilt die finnische Komponistin als eine der führenden
Künstlerinnen im seltsamen Uraufführungs­Karussell der internationalen Opernhäuser. Da wird
mittels gut dotierter Auftragskompositionen suggeriert, es gäbe noch so etwas wie einen lebendigen
Opernbetrieb. Tatsächlich werden – der Kunstszene nicht unähnlich – seit Jahren konsequent
Novitäten für einen Museumsbetrieb hergestellt. Arthur Honeggers resignativer Satz, ein Komponist
sei jemand, der sich nach Leibeskräften bemüht, etwas herzustellen, wofür danach kein Mensch
wirklich Verwendung hat, ist von tiefer Aktualität.
Junges Publikum
Immerhin der Museumsbetrieb funktioniert. Nicht zuletzt in Lyon, wo Intendant Serge Dorny es
geschafft hat, bei einem zwischen Barock und Avantgarde bunt gemischten, durch internationale
Gastspielvernetzung gut abgesicherten Programm den Altersdurchschnitt seiner Zuschauer extrem
zu senken: Ein Viertel der Besucher des von Jean Nouvel artifiziell erneuerten Hauses ist unter 25 –
und geht zu Mozart ebenso wie zu Strawinsky; oder eben zu Saariaho.
Die Finnin schrieb diesmal einen großen, fast eineinhalbstündigen Monolog für ihre Freundin Karita
Mattila. Mit „Emilie“ gelang ihr ein Pendant zu den Well­Made­Plays, die im englischen Sprachraum
die Theaterszene lebendig halten. Vielleicht würde ohne die Mitwirkung der Mattila sich kaum
jemand für die Seelennöte der Wissenschaftlerin Émilie du Châtelet interessieren, die im
18.Jahrhundert dank ihrer adeligen Herkunft ein Leben in der Männerdomäne der Astronomie und
Mathematik führen konnte, mit Voltaire befreundet war.
Gigantisches Astrolabium
Mit der Mattila aber ist das eine von sanften Klängen untermalte psychologische Studie: Die
schwangere Forscherin als Zentralgestirn eines gigantischen Astrolabiums (Bühne: François Girard
und François Séguin) philosophiert über Leben, Liebe und Tod, führt einen imaginären Dialog mit den
Männern ihres Lebens. Die Planeten, die ihren einsamen Schreibtisch umkreisen, tragen die Namen
Voltaire, Saint­Lambert, aber auch Newton, dessen „Principia mathematica“ Emilie übersetzt.
Sie singt auch dem Kind, das sie im Leibe trägt, Mut zu: „Wenn du ein Mädchen wirst, dann lass dir
deinen Teil vom Glück nicht rauben.“ Die Einsamkeit einer Frau in einer Männerwelt, einer
verlassenen Geliebten ist die Grundtonart, in der sich das von dem aus dem Libanon stammenden
französischen Schriftsteller Amin Maalouf gedichtete Stück bewegt. Es ist frei von Larmoyanz, aber
auch von jeglicher Aggression. Alles erscheint im Licht milder Abgeklärtheit, wie es auch dem
Kompositionsstil Saariahos entspricht.
Der arbeitet mit behutsam sich verschiebenden Klangflächen, die hie und da von
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morsezeichenartigen Signalen durchsetzt sind. Vor dieser Folie kann sich die nur selten in extreme
Höhen und Tiefen getriebene Singstimme bequem abheben: Mattila verströmt ihre sinnlich schöne,
weiche, doch ausdrucksstarke Stimme mit veritabler Primadonnen­Grandezza. Sie nutzt „Emilie“ als
Schaustück für ihren Sopran.
Das Lyonnaiser Orchester unter Kazushi Ono umflort ihn behutsam. Dank Saariahos
Instrumentationstechnik, die viel von den silbrig schimmernden Qualitäten von Cembalo,
Glockenspiel und Vibraphon Gebrauch macht, bleiben auch vielschichtige Akkordmassen transparent
und durchscheinend, schmerzen also auch ein avantgardeskeptisches Auditorium nie. Dieses kann
sich im Übrigen an die mehrheitlich aus Dur­Moll­Restbeständen gefügten melodischen Linien halten,
die „Emilie“ und auch manchen Bläsersoli geschenkt sind – und applaudiert zuletzt den beiden
Damen herzlich.
Nächste Novität: „After Life“
Schon am 18.März folgt in Lyon mit Michel van der Aas „After Life“ die nächste Novität. Für die
kommende Spielzeit kündigt Serge Dorny unter anderem einen kompletten Mozart'schen Daponte­
Zyklus an, aber auch Neuproduktionen von Werken Gershwins, Strawinskys, Verdis „Luisa Miller“
und Wagners „Tristan“, den erstmals Kirill Petrenko dirigieren wird. Der junge russische Maestro
nimmt in diesem Jahr ab 29.April die Trilogie der Puschkin­Opern Peter I. Tschaikowskys wieder auf,
die er in Lyon mit Peter Stein erarbeitet hat.
www.opera­lyon.com
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