Überleben nach dem Der Wald rund um den Pinatubo war die Lebensgrundlage der Aetas. Doch bei der grössten Vulkankatastrophe des vergangenen Jahrhunderts vor 15 Jahren ging ihre Welt regelrecht im Feuerregen unter. Noch heute leidet das philippinische Urvolk unter den Folgen dieses Ausbruchs. Text und Fotos: Robert Schmid-Sandherr D ie Aetas sind eine ethnische Minderheit, die zur Urbevölkerung der Philippinen zählt. Vor dem Ausbruch des Pinatubo lebten schätzungsweise 9000 von ihnen in den Bergen rund um den Vulkan. Sie sind von kleiner Statur, haben dunkelbraune Hautfarbe, krauses Haar und runde Augen. 26 Natürlich | 6-2006 Die Aetas mussten ihren Lebensstil über Jahrhunderte hinweg den Verhältnissen der bewaldeten Berggebiete anpassen. Zum Beispiel lernten sie, Bergreis ohne Bewässerung zu kultivieren. Man darf sie nicht gerade als Nomaden bezeichnen, doch wechselten sie häufig ihre Wohnorte. War die Fruchtbarkeit der Brandrodungsfelder erschöpft, zogen sie in ein anderes Waldstück um und öffneten mit Feuer neue Felder. Ihre Behausungen waren dementsprechend aus Bambus- oder Holzpfählen, geflochtenen Bambuswänden und Grasdächern gebaut. Sie lebten als grosse Familie allein oder in Gruppen von zwei bis drei Familien zusammen, meist auf den Bergrippen. Eine normale Aeta-Siedlung umfasste also rund 25 Personen. Gegenseitige Hilfe bei Hausbau, Kochen, Jagd, Brandrodung und Ackerbau war selbstverständlich. Das harte Brot der Waldbauern Während die Bevölkerungszahl anstieg, erhöhte sich der Druck auf die verbliebenen Waldgebiete immer weiter. So gab es auch vor dem Vulkanausbruch eigentlich keine Reportage NATUR Brennholz für die Dörfer: Kilometerweit wird rares Heizmaterial auf Ochsenkarren über dicke Aschefelder transportiert waren alle zerstört, doch sie fanden Material, um sie wieder behelfsmässig aufzubauen. Hilfswerke verteilten ihnen Nahrungsmittel. Oft lag meterhoch Asche auf den Feldern. Der Wald war nur noch in kläglichen Resten vorhanden, und viele der Baumruinen würden nicht mehr ausschlagen. Die Böden waren von der Asche versauert und für die meisten Nutzpflanzen unbrauchbar. Ein entwurzeltes Leben Weltuntergang Primär-, also richtige Urwälder mehr. Alle waren schon mindestens einmal in den Zyklus der «Shifting Cultivation» einbezogen worden, bei dem das mit Süsskartoffeln, Bergreis, Yams, Maniok, Taro, Bananen und Mais bebaute steile, ausgelaugte Land nach drei Jahren aufgegeben und neues durch Brandrodung gewonnen wird. Zwar schlägt ein Teil der Baumstrünke wieder aus, aber es entsteht ein artenmässig verarmter, lockerer Sekundärwald, der den Boden wenig vor den taifunbedingten Starkregen schützt. Konnte man früher nach 10 bis 15 Jahren ein solches Gebiet wiederum abbrennen und landwirtschaftlich nutzen, so erzwangen Bevölkerungswachstum und Bodenverarmung jetzt eine Wiederverwendung bereits nach der Hälfte der Zeit. War früher die Jagd eine wertvolle Ergänzung des Nahrungsangebots, so führten auch hier die Wilderei und die Übernutzung zu einem starken Rückgang des Tierbestandes. Kurz: Schon vor dem Vulkanausbruch kämpften die Aetas ums wirtschaftliche Überleben. Entwurzelt und heimatlos In dieser Situation ereilte das Waldvolk die Vulkankatastrophe im Sommer 1991. Obwohl viele rechtzeitig flohen, blieben nicht wenige zurück, um die Tiere zu betreuen. Sie kamen alle beim Hauptausbruch ums Leben. Die rechtzeitig Geflohenen trieben sich als entwurzelte und heimatlos gewordene Flüchtlinge in der weiteren Umgebung herum. 1992, bei einem ersten Besuch des Autors bei einigen Aetas, zeigte sich ein desolates Bild. Ohne Hilfe von aussen konnten sie nicht überleben. Ihre Häuser Das Hauptproblem aber: Den Aetas fehlt die Lebensgrundlage Wald auf Jahrzehnte hinaus. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine solche «Durststrecke» durchzustehen vermögen, ist sehr klein. Wie schlecht es dem Volk der Aetas geht, zeigte ein zweiter Besuch bei ihnen, 15 Jahre nach der Vulkankatastrophe. Die Zahl der im Ursprungsgebiet wohnenden Aetas hat abgenommen. Der Wald hat sich teilweise ein wenig erholt. Bambus wuchert wild und wird auch schon wieder abgebrannt. Manche Aetas haben ihre Häuser in die Nähe von Strassen verlegt, da sie dort besser in den Genuss von Hilfslieferungen kommen. An einigen Stellen sind Ascheschichten abgetragen worden, um Gemüsegärten anzulegen. Der Boden scheint aber immer noch stark sauer zu sein und nur wenige Gemüse wachsen erfolgreich. Am besten gedeihen Süsskartoffeln, welche seit jeher zur Grundnahrung der Aetas gehörten, dazu Maniok und Bananen. Ackerbau in der traditionellen Weise mit Brandrodung und Landwechsel ist nicht mehr möglich. Taglöhnerei und Kartenspiel Männer, Frauen und Kinder durchstreifen die Waldruinen und schlagen verbliebene Baumstrünke, um daraus Holzkohle herzustellen. Diese verkaufen sie entlang der Strassen, um etwas Weniges an Bargeld zu verdienen. Hilfswerke unterstützen sie dabei, Baumschulen anzulegen, um mit Aufforstungen zu beginnen, die bestenfalls in 20 Jahren den eigenen Natürlich | 6-2006 27 NATUR Reportage Vulkanasche, wohin das Auge blickt: Ganze Aetas-Familien stehen auch 15 Jahre nach dem Ausbruch des Pinatubo vor dem Nichts. Rund um ihre Häuser und auf den Feldern versauert Asche den Boden, junge Männer verkaufen in Säcke abgepackte Holzkohle, um zu überleben. Auf Aschenfelder gebaut entsteht im Tal des San-Tomaso-Flusses der Ort San Rafael völlig neu Brennholzbedarf der Aetas decken werden. Junge Aeta-Männer versuchen deshalb als Tagelöhner Arbeit in den Dörfern des Tieflandes zu erhalten. Notgedrungen sitzen viele Aetas einfach herum, spielen Karten oder Basketball und langweilen sich. Da sie keine festen Landtitel haben, lohnt sich auch eine Investition wie das Anlegen von Bewässerungskanälen oder das Pflanzen von Fruchtbäumen nicht. Die Situation ist für viele Aetas aussichtslos – ausser sie könnten einen handwerklichen Beruf erlernen und damit später im Tiefland ihren Lebensunterhalt verdienen. Mit dem traditionellen Lebensstil ist es dann aber endgültig vorbei. 28 Natürlich | 6-2006 Eine Chance für Tieflanddörfer Etwas besser als den Aetas geht es heute den Bewohnern der Tieflanddörfer wie Santa Fé und San Rafael. Sie lagen im rund zwei Kilometer breiten Talboden des Santo-Tomas-Flusses, der vom Pinatubo bis zum Meer fliesst. Grosse Teile des Tales waren bewässerte Reisfelder, die Bauern hatten viel Arbeit und konnten gut leben. San Rafael, das mitten im Talboden lag, wurde durch einen gewaltigen Schlammstrom, der sich im Nachgang des Vulkanausbruches meterhoch durch das Flussbett wälzte, total zerstört. Nur noch einige Strünke von Kokospalmen erinnern daran, wo das Dorf stand. Von den Häusern und Reisfeldern ist gar nichts mehr zu sehen. Die Bewohner konnten alle rechtzeitig fliehen. Der Schlamm verhärtete sich innert Wochen, sodass er nur noch mit dem Pickel entfernt werden konnte. Da Experten damit rechnen, dass sich während der nächsten 30 Jahre jeden Sommer nach starken Regenfällen Schlammströme durch dieses Tal wälzen werden, war an einen Wiederaufbau des Dorfes an der alten Stelle nicht zu denken. Für die Bewohner von San Rafael wurde darum hinter einem Schutzdamm ein so genanntes Resettlement-Dorf errichtet. Die Holzhäuser sind auf Stelzen und recht gut gebaut, gedeckt mit Wellblech, unter dem es aber unangenehm heiss wird – dafür gibt es elektrisches Licht. Doch die den Familien zugeteilten Gartenparzellen sind viel zu klein als dass man sich davon selber versorgen könnte. Die Leute sind deshalb unzufrieden mit ihrer Situation, und die meisten Jungen sind bereits weggezogen. Aufbruch zu neuen Ufern In Santa Fé hingegen, das vor dem Vulkanausbruch ebenfalls am Rande des Talbodens lag, nun aber weiter den Hang hin- Reportage NATUR auf wieder aufgebaut wurde, erhellt sich das düstere Bild etwas. Santa Fé erholte sich dank Eigeninitiative und Fremdhilfe langsam. Heute haben alle Familien wieder ein Haus in ähnlicher Qualität wie vor der Katastrophe. Die Dächer sind sogar besser als vorher und es gibt auch elektrischen Strom. Die Kirche ist verlegt. Ihr fehlt aber noch ein Kirchturm und die alte Glocke ist nur provisorisch befestigt. Den Bauern ist es gelungen einige Äcker, welche nur wenig von AscheSchlamm bedeckt waren, in mühsamer Arbeit freizulegen und ein neues Kanalsystem anzulegen, das ein Bewässern der Reisfelder ganzjährig ermöglicht. Leider ist so nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Ackerland-Fläche wiederhergestellt und die Produktion reicht bei weitem nicht zur Ernährung der Dorfbevölkerung aus. Einige kleine Läden sind im neuen Dorf eröffnet worden, und es gibt zwei Schulen, doch die Jungen sind trotzdem skeptisch. Es hat zu wenig Arbeit für ein bäuerliches Auskommen und daher sehen sie ihre einzige Chance im Wegzug. Das Ganze wird noch erschwert durch die schwierige Zufahrt, welche durch das schlammbedeckte Flussbett führt und in der Regenzeit kaum passierbar ist. Natürlich | 6-2006 29 Im offenen Jeep über Aschefelder: Vulkantouristen lassen sich zum Krater des Pinatubo chauffieren NATUR Reportage Viele Ideen und viele Hindernisse Es mangelt in der ganzen von der Vulkankatastrophe betroffenen Region nicht an neuen Ideen, um wirtschaftlich überleben zu können. Doch können sie nur einen Teil der durch den Vulkanausbruch verursachten langfristigen Schäden kompensieren. Aus den schlammgefüllten Flussbetten kann Sand zu Bauzwecken gewonnen werden, vor allem zur Herstellung von Beton-Steinen. In den durch die Sandgewinnung entstandenen grossen Vertiefungen werden Fischteiche angelegt, in denen Tilapia- und Milchfische gezüchtet werden können. Das ist einträglich, verlangt aber ein Startkapital. Die Rückgewinnung von Kulturland durch Beseitigung der Schlamm-Massen erfordert viele Arbeitsstunden. Wenn Aussenstehende bereit sind, dafür zu bezahlen, kann damit auf Jahre hinaus viel Beschäftigung geschaffen werden. Aller- Ein Vulkanausbruch verändert die Welt Der Ausbruch des Pinatubo war so gewaltig, dass der ganze Globus Monate lang von einer Aschewolke eingehüllt wurde. Weltweit sank dadurch die Durchschnittstemperatur um ein halbes Grad. Es war der 15. Juni 1991, als der bis kurz davor noch als erloschen geltende Vulkan Pinatubo auf der Nordinsel der Philippinen, 90 Kilometer nördlich der Hauptstadt Manila, mit gewaltiger Kraft ausbrach. Es war der zweitgrösste Ausbruch eines Vulkans im 20. Jahrhundert – ungefähr zehnmal grösser als derjenige des in den USA gelegenen Mt. St. Helen von 1980. Die Spitze des Pinatubo ist seither mit einer Höhe von 1485 Meter 260 Meter niedriger als vor dem Ausbruch. Zudem ist anstelle des früheren Gipfels ein 2,5 Kilometer breiter Kratersee entstanden. Blutröte am Abendhimmel Die Auswirkungen der Eruptionen waren weltweit spürbar. Sie bewirkten eine grössere Freisetzung von Aerosolen und Staub in die Stratosphäre als irgendein Vulkanausbruch seit demjenigen des Krakatau im Jahre 1883. Allein während der gewaltigsten und mit drei Stunden längsten seiner Eruptionen wurde Asche 34 Kilometer in den Himmel geschleudert. Dies führte in den folgenden Monaten zu einer den Globus umfassenden Schicht 30 Natürlich | 6-2006 aus schwefelsäurigem Nebel, was die Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche um fünf Prozent reduzierte. Sonnenuntergänge waren in dieser Zeit durch besondere Farbintensität gekennzeichnet. Weiterhin verzeichnete man weltweit einen Temperaturabfall um 0,5 Grad und eine erhöhte Ozonkonzentration. Pinatubo, am 7. Juni diejenige in der Zone bis 20 Kilometer und am 14. Juni bis 40 Kilometer. Vor dem Hauptausbruch am 15. Juni hatten insgesamt 60 000 Menschen das Gebiet verlassen. Die meisten flohen in Richtung Manila. Trotz der rechtzeitigen Evakuation starben durch den Vulkanausbruch über 500 Menschen. Erfolgreiche Evakuation Erste Erdbeben, die das überraschende Erwachen des Feuerberges ankündigten, wurden bereits im Sommer 1990 registriert. Ab März 1991 kam es zu kleineren Ausbrüchen und es zeichnete sich ab, dass eine explosive Eruption wahrscheinlich wurde. Viele der an den bewaldeten Hängen des Vulkans wohnenden Ureinwohner, die Aetas, verliessen ihre Dörfer voller Furcht vor den Naturgewalten freiwillig. Am 10. April erfolgte die erste offizielle Evakuierung in einer 10-Kilometer-Zone um den Alles erstickende Asche Insgesamt 364 Gemeinden und rund 2,1 Millionen Menschen waren direkt von den Folgen des Ausbruchs betroffen. Mehr als 8000 Häuser wurden komplett zerstört, weitere 73 000 beschädigt. Dörfer, Strassen und Kommunikations-Einrichtungen überall um den Vulkan wurden durch Lava- und AschenSchlammströme, so genannte Lahars, beschädigt oder ganz zerstört. Viele Wälder erstickten unter der Aschelast. Verwüstet wurden vor allem 800 Quadratkilometer für die Ernährung lebenswichtige Reisflächen. Fast eine Million Stück Vieh und Geflügel starben. Doch nicht genug damit: Die ausgeworfenen Aschemassen, welche bis zu 30 Meter hoch die kraternahen Abhänge bedeckten, sind auch heute noch nicht stabil. Nach jedem starken Regen gerät der Wasser/Schlammbrei in Bewegung und bedroht erneut wieder aufgebaute Siedlungen, Verkehrswege und neu erschlossenes Ackerland. Reportage NATUR sowie den Kratersee bewundern. Aus der Luft erhalten Touristen auch einen Überblick über die Ausdehnung des Schadensgebietes – und dieser Imposante Anblick der Auswirkungen der Naturgewalten lässt die Betrachter auch 15 Jahre nach der Vulkankatastrophe noch erschauern. ■ Infobox dings ist in weitem Umkreis zu beobachten, dass die Aschenbedeckung den Nutzpflanzen, insbesondere Reis und Mais, noch heute Schwierigkeiten bereitet. Der Wiederaufbau von Strassen, Brücken, öffentlichen Gebäuden, Häfen und Privathäusern schafft eine erhöhte Nachfrage nach Bauarbeitern, zumindest vorübergehend. Die Vulkan-Touristen kommen Schliesslich hat der inzwischen wieder ruhig gewordene Vulkan eine beachtliche touristische Attraktivität erlangt. Adventure-Touristen, welche Trekking-Touren machen wollen, werden angesprochen und das gibt Arbeit für Jeep-Fahrer, für Guides und Träger, welche den Touristen den Weg durch das Labyrinth von tiefen, grotesken Schluchten zum Kraterrand und zum smaragdgrünen Kratersee zeigen, in dem man gefahrlos schwimmen kann. Es soll eine Art Nationalpark entstehen. Wer es bequemer haben will, kann sich Rundflüge im Kleinflugzeug buchen und so die einzigartige Erosionslandschaft an den Abhängen Literatur • Bardintzeff: «Vulkanologie», Verlag Spektrum 1999, ISBN: 3-8274-1221-8, Fr. 32.– • Frank: «Handbuch der 1350 aktiven Vulkane der Welt», Ott Verlag 2003, ISBN: 3-7225-6792-0, Fr. 58.– Film • «Das Geheimnis der Vulkane», Verlag Impuls/National Geographic 2002, DVD-25102, BZ-Bestellnr. 1175686, Fr. 33.95 Internet • www.vulkanismus.de • www.uni-muenster.de/Mineralogie Museum/vulkane/Vulkan-3.htm • www.vulkanausbruch.de/ausbruch.htm • www.storyal.de/Philippines/pinatubo.htm Aetas-Siedlung am Vulkan-Hang: Nur spärlich wachsen Pflanzen aus der Asche Natürlich | 6-2006 31