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Überleben nach dem
Der Wald rund um den Pinatubo war die Lebensgrundlage
der Aetas. Doch bei der grössten Vulkankatastrophe des
vergangenen Jahrhunderts vor 15 Jahren ging ihre Welt
regelrecht im Feuerregen unter. Noch heute leidet das
philippinische Urvolk unter den Folgen dieses Ausbruchs.
Text und Fotos: Robert Schmid-Sandherr
D
ie Aetas sind eine ethnische Minderheit, die zur Urbevölkerung
der Philippinen zählt. Vor dem
Ausbruch des Pinatubo lebten
schätzungsweise 9000 von ihnen in den
Bergen rund um den Vulkan. Sie sind von
kleiner Statur, haben dunkelbraune Hautfarbe, krauses Haar und runde Augen.
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Die Aetas mussten ihren Lebensstil
über Jahrhunderte hinweg den Verhältnissen der bewaldeten Berggebiete anpassen. Zum Beispiel lernten sie, Bergreis ohne Bewässerung zu kultivieren.
Man darf sie nicht gerade als Nomaden
bezeichnen, doch wechselten sie häufig
ihre Wohnorte. War die Fruchtbarkeit
der Brandrodungsfelder erschöpft, zogen
sie in ein anderes Waldstück um und
öffneten mit Feuer neue Felder. Ihre Behausungen waren dementsprechend aus
Bambus- oder Holzpfählen, geflochtenen
Bambuswänden und Grasdächern gebaut.
Sie lebten als grosse Familie allein oder
in Gruppen von zwei bis drei Familien
zusammen, meist auf den Bergrippen.
Eine normale Aeta-Siedlung umfasste
also rund 25 Personen. Gegenseitige
Hilfe bei Hausbau, Kochen, Jagd, Brandrodung und Ackerbau war selbstverständlich.
Das harte Brot der Waldbauern
Während die Bevölkerungszahl anstieg, erhöhte sich der Druck auf die verbliebenen
Waldgebiete immer weiter. So gab es auch
vor dem Vulkanausbruch eigentlich keine
Reportage NATUR
Brennholz für die Dörfer: Kilometerweit wird
rares Heizmaterial auf Ochsenkarren
über dicke Aschefelder transportiert
waren alle zerstört, doch sie fanden Material, um sie wieder behelfsmässig aufzubauen. Hilfswerke verteilten ihnen Nahrungsmittel. Oft lag meterhoch Asche auf
den Feldern. Der Wald war nur noch in
kläglichen Resten vorhanden, und viele
der Baumruinen würden nicht mehr ausschlagen. Die Böden waren von der Asche
versauert und für die meisten Nutzpflanzen unbrauchbar.
Ein entwurzeltes Leben
Weltuntergang
Primär-, also richtige Urwälder mehr. Alle
waren schon mindestens einmal in den
Zyklus der «Shifting Cultivation» einbezogen worden, bei dem das mit Süsskartoffeln, Bergreis, Yams, Maniok, Taro, Bananen und Mais bebaute steile, ausgelaugte
Land nach drei Jahren aufgegeben und
neues durch Brandrodung gewonnen wird.
Zwar schlägt ein Teil der Baumstrünke
wieder aus, aber es entsteht ein artenmässig verarmter, lockerer Sekundärwald, der
den Boden wenig vor den taifunbedingten
Starkregen schützt. Konnte man früher
nach 10 bis 15 Jahren ein solches Gebiet
wiederum abbrennen und landwirtschaftlich nutzen, so erzwangen Bevölkerungswachstum und Bodenverarmung jetzt eine
Wiederverwendung bereits nach der Hälfte
der Zeit.
War früher die Jagd eine wertvolle Ergänzung des Nahrungsangebots, so führten
auch hier die Wilderei und die Übernutzung zu einem starken Rückgang des Tierbestandes. Kurz: Schon vor dem Vulkanausbruch kämpften die Aetas ums wirtschaftliche Überleben.
Entwurzelt und heimatlos
In dieser Situation ereilte das Waldvolk
die Vulkankatastrophe im Sommer 1991.
Obwohl viele rechtzeitig flohen, blieben
nicht wenige zurück, um die Tiere zu
betreuen. Sie kamen alle beim Hauptausbruch ums Leben. Die rechtzeitig Geflohenen trieben sich als entwurzelte und
heimatlos gewordene Flüchtlinge in der
weiteren Umgebung herum.
1992, bei einem ersten Besuch des
Autors bei einigen Aetas, zeigte sich ein
desolates Bild. Ohne Hilfe von aussen
konnten sie nicht überleben. Ihre Häuser
Das Hauptproblem aber: Den Aetas fehlt
die Lebensgrundlage Wald auf Jahrzehnte
hinaus. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie
eine solche «Durststrecke» durchzustehen
vermögen, ist sehr klein. Wie schlecht
es dem Volk der Aetas geht, zeigte ein
zweiter Besuch bei ihnen, 15 Jahre nach
der Vulkankatastrophe.
Die Zahl der im Ursprungsgebiet wohnenden Aetas hat abgenommen. Der Wald
hat sich teilweise ein wenig erholt. Bambus
wuchert wild und wird auch schon wieder
abgebrannt. Manche Aetas haben ihre
Häuser in die Nähe von Strassen verlegt,
da sie dort besser in den Genuss von Hilfslieferungen kommen. An einigen Stellen
sind Ascheschichten abgetragen worden,
um Gemüsegärten anzulegen. Der Boden
scheint aber immer noch stark sauer zu
sein und nur wenige Gemüse wachsen
erfolgreich. Am besten gedeihen Süsskartoffeln, welche seit jeher zur Grundnahrung der Aetas gehörten, dazu Maniok und
Bananen. Ackerbau in der traditionellen
Weise mit Brandrodung und Landwechsel
ist nicht mehr möglich.
Taglöhnerei und Kartenspiel
Männer, Frauen und Kinder durchstreifen die Waldruinen und schlagen verbliebene Baumstrünke, um daraus Holzkohle
herzustellen. Diese verkaufen sie entlang
der Strassen, um etwas Weniges an Bargeld zu verdienen. Hilfswerke unterstützen sie dabei, Baumschulen anzulegen,
um mit Aufforstungen zu beginnen, die
bestenfalls in 20 Jahren den eigenen
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NATUR Reportage
Vulkanasche, wohin das Auge blickt:
Ganze Aetas-Familien stehen auch 15 Jahre
nach dem Ausbruch des Pinatubo vor
dem Nichts. Rund um ihre Häuser und auf
den Feldern versauert Asche den Boden,
junge Männer verkaufen in Säcke abgepackte
Holzkohle, um zu überleben. Auf Aschenfelder
gebaut entsteht im Tal des San-Tomaso-Flusses
der Ort San Rafael völlig neu
Brennholzbedarf der Aetas decken werden. Junge Aeta-Männer versuchen deshalb als Tagelöhner Arbeit in den Dörfern
des Tieflandes zu erhalten.
Notgedrungen sitzen viele Aetas einfach herum, spielen Karten oder Basketball und langweilen sich. Da sie keine
festen Landtitel haben, lohnt sich auch
eine Investition wie das Anlegen von
Bewässerungskanälen oder das Pflanzen
von Fruchtbäumen nicht. Die Situation
ist für viele Aetas aussichtslos – ausser
sie könnten einen handwerklichen Beruf
erlernen und damit später im Tiefland
ihren Lebensunterhalt verdienen. Mit
dem traditionellen Lebensstil ist es dann
aber endgültig vorbei.
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Eine Chance für Tieflanddörfer
Etwas besser als den Aetas geht es heute
den Bewohnern der Tieflanddörfer wie
Santa Fé und San Rafael. Sie lagen im
rund zwei Kilometer breiten Talboden
des Santo-Tomas-Flusses, der vom Pinatubo bis zum Meer fliesst. Grosse Teile
des Tales waren bewässerte Reisfelder, die
Bauern hatten viel Arbeit und konnten
gut leben.
San Rafael, das mitten im Talboden
lag, wurde durch einen gewaltigen
Schlammstrom, der sich im Nachgang
des Vulkanausbruches meterhoch durch
das Flussbett wälzte, total zerstört. Nur
noch einige Strünke von Kokospalmen
erinnern daran, wo das Dorf stand. Von
den Häusern und Reisfeldern ist gar
nichts mehr zu sehen. Die Bewohner
konnten alle rechtzeitig fliehen.
Der Schlamm verhärtete sich innert
Wochen, sodass er nur noch mit dem
Pickel entfernt werden konnte. Da Experten damit rechnen, dass sich während der
nächsten 30 Jahre jeden Sommer nach
starken Regenfällen Schlammströme
durch dieses Tal wälzen werden, war an
einen Wiederaufbau des Dorfes an der
alten Stelle nicht zu denken.
Für die Bewohner von San Rafael wurde
darum hinter einem Schutzdamm ein so
genanntes Resettlement-Dorf errichtet. Die
Holzhäuser sind auf Stelzen und recht gut
gebaut, gedeckt mit Wellblech, unter dem
es aber unangenehm heiss wird – dafür gibt
es elektrisches Licht. Doch die den Familien zugeteilten Gartenparzellen sind
viel zu klein als dass man sich davon selber
versorgen könnte. Die Leute sind deshalb
unzufrieden mit ihrer Situation, und die
meisten Jungen sind bereits weggezogen.
Aufbruch zu neuen Ufern
In Santa Fé hingegen, das vor dem Vulkanausbruch ebenfalls am Rande des Talbodens lag, nun aber weiter den Hang hin-
Reportage NATUR
auf wieder aufgebaut wurde, erhellt sich
das düstere Bild etwas. Santa Fé erholte
sich dank Eigeninitiative und Fremdhilfe
langsam. Heute haben alle Familien wieder
ein Haus in ähnlicher Qualität wie vor
der Katastrophe. Die Dächer sind sogar
besser als vorher und es gibt auch elektrischen Strom. Die Kirche ist verlegt. Ihr
fehlt aber noch ein Kirchturm und die alte
Glocke ist nur provisorisch befestigt.
Den Bauern ist es gelungen einige
Äcker, welche nur wenig von AscheSchlamm bedeckt waren, in mühsamer
Arbeit freizulegen und ein neues Kanalsystem anzulegen, das ein Bewässern der
Reisfelder ganzjährig ermöglicht. Leider
ist so nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Ackerland-Fläche wiederhergestellt
und die Produktion reicht bei weitem nicht
zur Ernährung der Dorfbevölkerung aus.
Einige kleine Läden sind im neuen
Dorf eröffnet worden, und es gibt zwei
Schulen, doch die Jungen sind trotzdem
skeptisch. Es hat zu wenig Arbeit für
ein bäuerliches Auskommen und daher
sehen sie ihre einzige Chance im Wegzug.
Das Ganze wird noch erschwert durch
die schwierige Zufahrt, welche durch
das schlammbedeckte Flussbett führt
und in der Regenzeit kaum passierbar ist.
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Im offenen Jeep über Aschefelder:
Vulkantouristen lassen sich
zum Krater des Pinatubo chauffieren
NATUR Reportage
Viele Ideen
und viele Hindernisse
Es mangelt in der ganzen von der Vulkankatastrophe betroffenen Region nicht
an neuen Ideen, um wirtschaftlich überleben zu können. Doch können sie nur
einen Teil der durch den Vulkanausbruch verursachten langfristigen Schäden kompensieren.
Aus den schlammgefüllten Flussbetten kann Sand zu Bauzwecken gewonnen werden, vor allem zur Herstellung
von Beton-Steinen. In den durch die
Sandgewinnung entstandenen grossen
Vertiefungen werden Fischteiche angelegt, in denen Tilapia- und Milchfische
gezüchtet werden können. Das ist einträglich, verlangt aber ein Startkapital.
Die Rückgewinnung von Kulturland
durch Beseitigung der Schlamm-Massen
erfordert viele Arbeitsstunden. Wenn
Aussenstehende bereit sind, dafür zu bezahlen, kann damit auf Jahre hinaus viel
Beschäftigung geschaffen werden. Aller-
Ein Vulkanausbruch verändert die Welt
Der Ausbruch des Pinatubo war so gewaltig,
dass der ganze Globus Monate lang von einer
Aschewolke eingehüllt wurde. Weltweit sank
dadurch die Durchschnittstemperatur um ein
halbes Grad.
Es war der 15. Juni 1991, als der bis kurz davor
noch als erloschen geltende Vulkan Pinatubo
auf der Nordinsel der Philippinen, 90 Kilometer
nördlich der Hauptstadt
Manila, mit gewaltiger Kraft
ausbrach. Es war der zweitgrösste Ausbruch eines
Vulkans im 20. Jahrhundert
– ungefähr zehnmal grösser
als derjenige des in den USA
gelegenen Mt. St. Helen
von 1980. Die Spitze des
Pinatubo ist seither mit
einer Höhe von 1485 Meter
260 Meter niedriger als vor
dem Ausbruch. Zudem ist
anstelle des früheren Gipfels ein 2,5 Kilometer breiter Kratersee entstanden.
Blutröte am Abendhimmel
Die Auswirkungen der Eruptionen waren
weltweit spürbar. Sie bewirkten eine grössere
Freisetzung von Aerosolen und Staub in die
Stratosphäre als irgendein Vulkanausbruch
seit demjenigen des Krakatau im Jahre 1883.
Allein während der gewaltigsten und mit drei
Stunden längsten seiner Eruptionen wurde
Asche 34 Kilometer in den Himmel geschleudert. Dies führte in den folgenden Monaten
zu einer den Globus umfassenden Schicht
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aus schwefelsäurigem Nebel, was die Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche um
fünf Prozent reduzierte. Sonnenuntergänge
waren in dieser Zeit durch besondere Farbintensität gekennzeichnet. Weiterhin verzeichnete man weltweit einen Temperaturabfall um 0,5 Grad und eine erhöhte
Ozonkonzentration.
Pinatubo, am 7. Juni diejenige in der Zone bis
20 Kilometer und am 14. Juni bis 40 Kilometer. Vor dem Hauptausbruch am 15. Juni
hatten insgesamt 60 000 Menschen das
Gebiet verlassen. Die meisten flohen in Richtung Manila. Trotz der rechtzeitigen Evakuation starben durch den Vulkanausbruch über
500 Menschen.
Erfolgreiche Evakuation
Erste Erdbeben, die das überraschende Erwachen des Feuerberges ankündigten, wurden
bereits im Sommer 1990 registriert. Ab März
1991 kam es zu kleineren Ausbrüchen und es
zeichnete sich ab, dass eine explosive Eruption wahrscheinlich wurde. Viele der an den
bewaldeten Hängen des Vulkans wohnenden
Ureinwohner, die Aetas, verliessen ihre Dörfer voller Furcht vor den Naturgewalten freiwillig.
Am 10. April erfolgte die erste offizielle Evakuierung in einer 10-Kilometer-Zone um den
Alles erstickende Asche
Insgesamt 364 Gemeinden
und rund 2,1 Millionen
Menschen waren direkt
von den Folgen des Ausbruchs betroffen. Mehr als
8000 Häuser wurden komplett zerstört, weitere
73 000 beschädigt. Dörfer,
Strassen und Kommunikations-Einrichtungen überall um den Vulkan wurden
durch Lava- und AschenSchlammströme, so genannte Lahars, beschädigt
oder ganz zerstört. Viele
Wälder erstickten unter der Aschelast. Verwüstet wurden vor allem 800 Quadratkilometer für die Ernährung lebenswichtige Reisflächen. Fast eine Million Stück Vieh und
Geflügel starben.
Doch nicht genug damit: Die ausgeworfenen
Aschemassen, welche bis zu 30 Meter hoch
die kraternahen Abhänge bedeckten, sind
auch heute noch nicht stabil. Nach jedem
starken Regen gerät der Wasser/Schlammbrei in Bewegung und bedroht erneut wieder
aufgebaute Siedlungen, Verkehrswege und
neu erschlossenes Ackerland.
Reportage NATUR
sowie den Kratersee bewundern. Aus
der Luft erhalten Touristen auch einen
Überblick über die Ausdehnung des
Schadensgebietes – und dieser Imposante
Anblick der Auswirkungen der Naturgewalten lässt die Betrachter auch 15
Jahre nach der Vulkankatastrophe noch
erschauern.
■
Infobox
dings ist in weitem Umkreis zu beobachten, dass die Aschenbedeckung den Nutzpflanzen, insbesondere Reis und Mais,
noch heute Schwierigkeiten bereitet.
Der Wiederaufbau von Strassen,
Brücken, öffentlichen Gebäuden, Häfen
und Privathäusern schafft eine erhöhte
Nachfrage nach Bauarbeitern, zumindest
vorübergehend.
Die Vulkan-Touristen kommen
Schliesslich hat der inzwischen wieder
ruhig gewordene Vulkan eine beachtliche
touristische Attraktivität erlangt. Adventure-Touristen, welche Trekking-Touren
machen wollen, werden angesprochen
und das gibt Arbeit für Jeep-Fahrer,
für Guides und Träger, welche den
Touristen den Weg durch das Labyrinth
von tiefen, grotesken Schluchten zum
Kraterrand und zum smaragdgrünen
Kratersee zeigen, in dem man gefahrlos
schwimmen kann. Es soll eine Art Nationalpark entstehen. Wer es bequemer haben will, kann sich Rundflüge im Kleinflugzeug buchen und so die einzigartige
Erosionslandschaft an den Abhängen
Literatur
• Bardintzeff: «Vulkanologie», Verlag Spektrum 1999, ISBN: 3-8274-1221-8, Fr. 32.–
• Frank: «Handbuch der 1350 aktiven Vulkane
der Welt», Ott Verlag 2003,
ISBN: 3-7225-6792-0, Fr. 58.–
Film
• «Das Geheimnis der Vulkane», Verlag
Impuls/National Geographic 2002,
DVD-25102, BZ-Bestellnr. 1175686, Fr. 33.95
Internet
• www.vulkanismus.de
• www.uni-muenster.de/Mineralogie
Museum/vulkane/Vulkan-3.htm
• www.vulkanausbruch.de/ausbruch.htm
• www.storyal.de/Philippines/pinatubo.htm
Aetas-Siedlung am Vulkan-Hang: Nur spärlich wachsen Pflanzen aus der Asche
Natürlich | 6-2006 31
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