Teilen alle Juden ein bestimmtes Gen? wie Thilo Sarrazin in seinem Bestsellerbuch „Deutschland schafft sich ab“ behauptet? In Gesprächen mit parteilosen Freunden, aber auch mit CDU-Mitgliedern, habe ich immer wieder erleben müssen, dass die von der Presse unmittelbar nach Erscheinen des Buches lanzierte Kurzbezeichnung eines „Judengens“ Eingang in die Politik gefunden hatte und dort natürlich eifrig, ohne das Buch gelesen zu haben, mit unschönen Angriffen auf den Autor dementiert worden ist. Die Angriffe waren so schwerwiegend, dass eine Staatskrise wegen einer vorschnellen Verurteilung des Autors durch den Bundespräsidenten drohte und die SPD ihren Parteifreund, gebilligt vom Führungsgremium, in einem Parteiverfahren aus der SPD ausgeschlossen werden sollte. Das ist nicht geschehen. Sarrazin bleibt SPD-Mitglied und verteidigt in vielen Lesungen seine in dem Buch vertretene Meinung vor zahlreichen Zuhörern. Auch namhafte CDU-Mitglieder formierten sich, ohne das Buch sorgfältig gelesen zu haben. Dann wurde es bedenklich still. Die SPD ist nun gespalten, die CDU grübelt weiter über die misslungene Integration vor allem der Muslime. Der Bürgermeister Buschkowski des Stadtbezirks Neukölln in Berlin, eine muslimische Hochburg in der Hauptstadt Deutschlands, stellt sich auf die Seite von Sarrazin. Was ist geschehen? Natürlich habe ich das Buch von Sarrazin wie viele andere auch gelesen. In dem CDU-Gemeindeverband ist über die Thesen nicht diskutiert worden, dafür aber außerhalb der Mitgliederversammlungen. Mich interessierte zunächst nur die geradezu hysterische Reaktion der Politiker auf die ersten Pressemitteilungen zum Thema „Judengen“. Diese Bezeichnung gibt es in dem Buch von Sarrazin nicht, wohl aber meint er genetisch bedingten Krankheiten u.a. auch bei Juden. Bereits während des Medizinstudium an der Humboldt-Universität in Berlin musste ich mich in der Pathologievorlesung mit dem Vererbungsmechanismus einiger lysosomaler Speicherkrankheiten befassen, so auch mit der Tay-Sachs-Erkrankung. Zu diesem Thema gab es in einer Zeitung ein Interview mit Gil Atzmon, der zusammen mit Harry Ostrer genetische Untersuchungen über die Herkunft der Juden am Albert-Einstein-College of Medicine in New York angestellt hatte. Das Ergebnis seiner Arbeiten fasse ich wie folgt zusammen: Das menschliche Genom (Humangenomprojekt) ist seit einigen Jahren entschlüsselt. Das hat den Vorteil, dass man jetzt bestimmte Gensequenzen kartografieren kann. Dabei entsteht eine sog. „HapMap“ für vier Bevölkerungsgruppen, nämlich Weiße, Chinesen Japaner und Afrikaner. Diese „HapMap“ macht Unterschiede zwischen einzelnen Ethnien sichtbar. Auf diese Weise kann man erkennen, welche Mutationen mit welchen Krankheiten zusammenhängen. Genetisch bedingte Krankheiten lassen sich auf diese Weise vergleichen. Das jüdische „HapMap“ war besonders interessant, weil Tay-Sachs jüdischen Kindern zugeordnet werden konnte, eine Tatsache, die Eingang in Lehrbücher gefunden hat, aber auch für andere Erbkrankheiten zutrifft. Die Tay-Sachs-Erkrankung, besonders häufig bei aschkenasischen Juden, ist aber eliminiert, kommt also nicht mehr vor. Sie trat im 1. Lebensjahr nach der Geburt auf und endete tödlich. Die Ursache für die schwere Erbkrankheit einer bestimmten jüdischen Gruppe ist ihre Homogenität. Die meisten Juden dieser Gruppe stammten aus New York, man fand sie aber auch in Europa. Voraussetzung war, dass es sich um europäische Juden, also aschkenasischer Abstammung waren und alle Großeltern auch Aschkenasen waren. Alle Juden haben gemeinsame Vorfahren, die sich bis in den Nahen Osten zurückverfolgen lassen. Während es noch im ersten Jahrtausend 10 Prozent der Bevölkerung im byzantinischen Reich Juden waren, schrumpfte dieser Anteil im 15. Jahrhundert auf einige Tausend zusammen. Vor dem 2. Weltkrieg gab es in Europa aber wieder neuneinhalb Millionen Juden, davon sind sechs Millionen dem Holocaust geopfert worden. In der weit zurückliegenden Zeit konvertierten viele Nichtjuden zu Juden, außerdem heirateten in Europa, auch in Deutschland des 19. Jahrhundert Juden und Nichtjuden zu Mischehen. Dadurch wurde dieses „Judengen“ genetisch ausgedünnt. Wesentlich früher, nämlich im achten Jahrhundert, heirateten Juden nur noch untereinander. Juden sind also das einzige Beispiel in der Geschichte, dass eine Religion, nämlich das Gebot, untereinander zu heiraten, ein Genom erhalten hat. Deshalb hatte dieser Artikel die reißerische Überschrift „Hochzeiten bewahren den Genpool“. Dr. Else Ackermann Neuenhagen, den 14. August 2011