42 UMBAU ROHMÜHLE IN BONN: EVOLUTION AM RHEIN Die Stadt Bonn hat dafür Sorge getragen, dass das exponierte Rheingrundstück schräg gegenüber des Rheinauenparks, des Langen Eugen als UN-Standort und des Posttowers mit hochwertigen Büros bebaut wurde, die in das Zukunftsprofil der Stadt als IT-Standort passen. Das Architekturbüro Schommer aus Bonn gewann Mitte 2002 den städtebaulichen Wettbewerb für das Gesamtareal und den parallel ausgelobten Realisierungswettbewerb für die ersten beiden Bauabschnitte. Im Umbau der so genannten Rohmühle gelang die Zusammenführung von Alt und Neu besonders eindrucksvoll und ausdrucksstark. Historische Rhein-Ansicht der Zementfabrik Fotos: Tomas Riehle Foto: Rainer Viertlböck 43 Blick von der Uferpromenade auf die Rohmühle Lageplan Gesamtareal 40 Restaurant „Rohmühle” im Erdgeschoss 41 Ein offener Raumeindruck prägt die Büroetagen nach der Sanierung. 46 Schnitt 5. Obergeschoss 4. Obergeschoss 3. Obergeschoss Erdgeschoss Die denkmalgeschützte Rohmühle gehört zu einer der ältesten Zementfabriken Europas. Sie wurde 1956-58 von Hermann Bleibtreu errichtet. Der Baustoff Portland-Zement wurde hier nach einem neuen technischen Verfahren hergestellt, das Hermann Bleibtreu entwickelt hat. Das „Bonner Portland Zementwerk“ wurde stufenweise ausgebaut. Nach 130 Jahren entschied sein letzter Besitzer, die Dyckerhoff AG, die Produktion an diesem Standort 1987 einzustellen. Die meisten Fabrikgebäude wurden abgerissen, lediglich die Fabrikantenvilla, der Wasserturm mit zwei Nebengebäuden sowie die Rohmühle blieben erhalten. Das Grundstück liegt inmitten der Rheinaue gegenüber dem Rheinauenpark. Die Stadt hatte das Gelände mit Konversionsmitteln erworben und noch in ihre Hauptstadtplanung einbezogen sowie später als Sonderentwicklungsgebiet für innovative Industrie ausgewiesen. Man wollte, dass das Areal seiner Güte entsprechend genutzt wird. So dauerte es bis zum Jahr 2001, bevor man die richtigen Nutzer gefunden hatte, unter ihnen die GWI, ein Unternehmen, das innovative Informationszentren für den klinischen Bereich entwickelt und heute zur Agfa-Gruppe gehört. Das Büro Schommer erhielt in einem anonymen Wettbewerbsverfahren für das Gesamtareal im Juni 2002 den 1. Preis. Der städtebaulichen und architektonischen Leitidee zur Bebauung des Zementfabrikgeländes wurden im Wesentlichen vier städtebauliche Merkmale zugrunde gelegt, die die herausragende Lage dieses Standortes charakterisieren. Exponierte Lage des Standortes zum Rheinufer: Ziel des Entwurfes war es, die Qualität der Sichtbeziehung zum Rhein für alle zukünftigen Nutzer des Standortes erlebbar werden zu lassen. Darüber hinaus ist aber auch der großzügigen Sichtbeziehung zum Siebengebirge eine besondere Bedeutung zuzuordnen. Vernetzung des vorhandenen Grünraumes: Ein weiteres Ziel der städtebaulichen Konzeption war es, die vorhandene Freiraumqualität des Rheinauenparks, der in seinen beiden Teilen lediglich durch die Rheinuferpromenade verbunden ist, über das Planungsgebiet zu vernetzen. Durch diese Vernetzung des Landschaftsraumes wird für die zukünftigen Nutzer das „Arbeiten in einer Parklandschaft“ verwirklicht. Gebäudeensemble/Plätze und Höfe: Ein weiteres Merkmal zur städtebaulichen Leitidee lag in der Markanz und in der Lage der vorhandenen alten Gebäude Rohmühle, Villa und Wasserturm. Das Bebauungskonzept sah vor, zwischen Altbauten und Neubauten ein Gebäudeensemble zu entwickeln, in dem Plätze und Höfe entstehen, die hohe Aufenthaltsqualität bieten und einen spannungsvollen Dialog zwischen vorhandener Bausubstanz und neuer Architektur an dieser Stelle erlebbar machen. Um diesen Dialog zu verdeutlichen, wurden gezielt die vorhandenen alten Gebäude durch neue zeitgenössische Architektur erweitert bzw. ergänzt. Ausrichtung der Gebäude nach Süd-West: Der überwiegende Teil der Gebäude ist nach Süd-West orientiert, um einerseits eine optimale natürliche Belichtung zu gewinnen und andererseits einen starken Bezug zum Rhein herzustellen. Um die o. g. Punkte in städtebaulicher und architektonischer Hinsicht zu realisieren, wurden kompakte Baukörper gewählt, die vielfältige Blickbeziehungen zum Rhein ermöglichen. Die Rohmühle sollte in Verbindung mit der Villa und dem Wasser- 47 Architekturbüro Schommer zum Umbau der ehemaligen Rohmühle in Bonn turm einen besonderen Stellenwert als „Symbol“ für dieses Areal erhalten. Das Wegenetz des Areals wurde mit der bereits vor dem Wettbewerb 2001 angelegten Rheinuferpromenade verknüpft, die Stadt, Parkanlagen und Naherholungsanlagen miteinander verbindet und in ein überregionales Radwegenetz eingebunden ist. Der Entwurf sah vor, die beiden unbedeutenden Gebäude neben dem Wasserturm nicht zu erhalten. Die drei Bauten, die für die Geschichte des Ortes repräsentativ sind, wurden als Wahrzeichen hervorgehoben: Fabrikantenvilla und Rohmühle liegen dementsprechend den neuen Gebäuden in der ersten Reihe an der Promenade vorgelagert. Die neuen Gebäude der GWI-Zentrale wurden als 2-hüftige Gebäude ausgebildet, in deren Mitte sich eine gläserne viergeschossige Eingangshalle befindet. Diese steht exakt in der Blickachse zwischen Wasserturm und Fabrikantenvilla. Von der Halle und deren Verbindungsstegen auf den einzelnen Geschossen ist somit von den Nutzern und Besuchern der Dialog der historischen Gebäude mit den neuen mit Betonrahmungen eingefassten Gebäudestrukturen erlebbar. DIE ROHMÜHLE Die Rohmühle wurde durch einen L-förmigen gläsernen Bügel an der Westseite und auf dem Dach erweitert: Ein Kompensat an Tageslicht für das ehemalige Industriegebäude mit seinem geringen Fensteranteil, in dem ursprünglich Kalk und Gestein mit großen Mühlwerken für die Zementproduktion zerrieben wurden. Auch für die Fassade im Hauptbaukörper mussten für die neue Büronutzung zusätzliche Öffnungen geschaffen werden. Analog zur Haltung, mit der sich auf dem ganzen Gebäude Alt und Neu als jeweils seiner Zeit zugehörig zeigt, wurde auch hier darauf verzichtet, das Alte nachzuahmen. Stattdessen wurden in das Ziegelmauerwerk schmale Rechtecke eingeschnitten. Sie wurden mit nach außen parallel zur Fassade ausstellbaren Fenstern versehen, die im geschlossenen Zustand bündig mit dem Außenrand sind. Sie sollten bewusst als zweite Schicht und als neue Elemente wahrgenommen werden und nicht in der Ebene der sonstigen Fenster stehen. Daher liegt auch diesen neuen schlanken Hochrechteckformaten als zusätzlichen Fensterelementen eine andere, spielerischere Ordnung zugrunde als die Vertikalordnung der ursprünglichen Fenster. In Bezug auf den Dialog mit den vorhandenen rundbögigen Fensterproportionen wurden die Proportionen der neuen Fenster sorgfältig ausgewählt, die Breite wurde auf 50 cm festgelegt. Diese wurden in einem Stahlrahmen als Structural-Glasing-Elemente rahmenlos ausgebildet. Damit darüber hinaus möglichst viel Tageslicht ins Innere des Gebäudes fällt, wurden die Mauerwerkslaibungen nach innen und oben abgeschrägt. In die vorhandenen Fensteröffnungen wurden Holzfenster in Anlehnung an die Originalkonstruktionen eingebaut. Der ursprünglich vom Rhein aus links gelegene, zwischenzeitlich zerstörte Aufbau wurde wieder vervollständigt, ohne dass er rekonstruiert worden wäre; er wurde neu interpretiert und mit größeren Fenstern versehen. Er bildet in diesem Zusammenspiel aus massivem und gläsernem Volumenhalt ein Gleichgewicht für den gläsernen Bügel. Die neuen Glasfassaden sind als Doppelfassade ausgebildet; innen verschiebbare Holzflügel, außen Verbundglas mit offenen Fugen. Somit ist gewährleistet, dass auch bei hohen Windstärken der Sonnenschutz unten bleibt. DIE NUTZUNG UND DAS INNERE Die oberen Etagen der Rohmühle werden als Büros genutzt. Im Erdgeschoss wurde ein Restaurant eingerichtet, das im neuen Anbau über zusätzlichen Raum für besondere Anlässe verfügt. Dort, wo sich im Bestandsbau eine geschlossene Fassade mit nach innen und außen angrenzenden Betonanlagen für damalige Verladerampen der Anlegerschiffe am Rhein befand, wurde in die Fassade eine große Fensterfront eingeschnitten, um den Blick aus dem Restaurant auf die Terrasse und den Rhein freizugeben. Im Inneren gelang es durch entsprechende Nachweise und durch die Anordnung einer Vollsprinklerung, die alte Holzkonstruktion sichtbar zu gestalten. Teilweise hatte man im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss statt des Holzes Gusseisen als Material für die Stützen verwendet. Die vorhandenen Decken aus einer Holzkonstruktion auf Unterzügen wurden mit zusätzlichen Estrichen auf Stahltrapezblechen versehen. Darüber sind Hohlraumböden angeordnet. Die Büros sind lediglich durch raumhohe Verglasungen voneinander getrennt, zum einen, um der alten Tragstruktur die Dominanz zu bewahren, zum anderen, damit möglichst viel Tageslicht bis in die innere Flurzone gelangt. Eine Besonderheit sind die beiden oberen Geschosse. Aufgrund der durch die hohe ausladende Ziegelattika niedrigen Fenster sind der gläserne Aufbau und die letzte Ebene des Bestands zu einer zweigeschossigen Bürolandschaft zusammengefasst. In der unteren Ebene liegen die weniger Licht benötigenden Medienräume; durch die großzügigen Treppenöffnungen an der Südseite erhalten die anderen unteren Räume ausreichend Licht. Im selben Sinne ist der gläserne Dachaufbau auf der dem Fluss abgewandten Nordseite über der alten Fassade zurückgesetzt, so dass zusätzliches Tageslicht von oben einfallen kann. Diese Räume werden von der BonnVisio Immobilienverwaltung belegt, die mit Partnern das gesamte Areal entwickelt. Der gesamte Innenausbau einschließlich der Schreibtische, der Besprechungstische mit integrierter IT-Technik und unsichtbarer Verkabelung wurden nach Entwürfen des Büros gefertigt. Die Oberfläche wurde in einem lasierten Kirschbaumfurnier ausgeführt, das im Zusammenspiel mit dem anthrazitfarbenen Teppichboden und einem eingefärbten Putz steht, in Anlehnung an die Farbe des äußeren Ziegels in einem sanften Ockerton. Im haushohen Teil des Gebäudes, in dem sich ursprünglich die Maschinen und die dazugehörigen Krananlagen befanden, wurden das Treppenhaus und der Aufzug integriert. Die hier vorgefundenen zahlreichen Fragmente von Malereien wurden vollständig erhalten und teilweise im Bereich von Beschädigungen rekonstruiert. WEITERE ENTWICKLUNG DES AREALS Westlich angrenzend an die Rohmühle sind zwei weitere Bauabschnitte im Bau. Die städtebauliche Anordnung der Gebäudeteile beruht auf dem Wettbewerbsentwurf der Büros von 2002. Direkt neben der Rohmühle, jedoch nach hinten versetzt, entsteht ein 5-Sterne-Hotel mit großzügigen Konferenzräumen sowie ein weiterer Bürokomplex. Die Fertigstellung ist für Mitte 2008 geplant. Bauherr BonnVisio Immobilien Verwaltung GmbH & Co. KG Planung Architekturbüro Karl-Heinz Schommer Bonn Bauleitung Architekturbüro Gradias Königswinter (Stieldorf) Bestandsaufnahme Pancini und Fitzek Köln Fassadenplanung Emmer Pfenninger & Partner AG Münchenstein, CH TGA-Planung Bähr Ingenieure GmbH Köln Tragwerksplanung AWD Ingenieurgemeinschaft Köln Bauphysik Ingenieurbüro Heinrichs Kerpen Brandschutz Kempen Ingenieurgesellschaft GbR Aachen Landschaftsplanung Heinz Dahs Freier Landschaftsarchitekt BDLA Königswinter Fotos: Tomas Riehle 48 Detail-Grundriss Fenstereinschnitt in die historische Fassade Detail-Schnitt Aufsatz Glas-Doppelfassade Detail-Schnitt Deckenanschluss GlasDoppelfassade 49 Die Fassade der Rohmühle mit zeitgemäßen Ergänzungen und Einschnitten Detail-Grundriss Fassadenecke Glas-Doppelfassade