Der lerntheoretische Ansatz

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Der lerntheoretische Ansatz
Susanne Lin
Die Grundannahme des lerntheoretischen Ansatzes besteht darin, Stereotypen und Vorurteile als
ebenso
erlernt
zu
betrachten
wie
andere
Lernund
Wissensinhalte
bzw.
,Sozialisationsübernahmen' auch. Das bedeutet zunächst einmal, dass lerntheoretisch kein
Abwertungsmotiv vorausgesetzt wird, sondern dass eine Person, ein Kind, ein Jugendlicher im
Prozess des sozialen Lernens das übernimmt, was ihm oder ihr in der ,näheren und weiteren
Umgebung', im Elternhaus, durch Schule, Freundeskreis und Medien innerhalb historischkultureller Prozesse im Rahmen der eigenen Gesellschaft vermittelt wird. Zum anderen entstehen
- nach lerntheoretischen Annahmen - Stereotypen und Vorurteile durch die Beobachtung von
realen Unterschieden zwischen sozialen Gruppen. Diese beobachteten realen Unterschiede
zwischen sozialen Gruppen werden dann durch Fähigkeits- oder Eignungsunterschiede erklärt
und führen so zu Stereotypenbildung. Stroebe illustriert diese Annahme mit dem Beispiel der
Rollenverteilung von Mann und Frau (STROEBE 1988, S. 509ff). Wenn z.B. in einer Gesellschaft
in der Regel die Frauen für die Kinder sorgen, dann ist es nahe liegend, ihnen Eigenschaften
zuzuschreiben, die für die Kindererziehung notwendig sind, z.B. Fürsorglichkeit und Wärme.
Dieser Annahme folgend vermuteten Eagly und Steffen (EAGLY/STEFFEN 1984), dass
Geschlechterstereotypen entstehen, weil Männer und Frauen typischerweise in unterschiedlichen
Rollen erlebt werden. In einer Reihe von Untersuchungen, in denen berufstätige Frauen oder im
Haushalt tätige Männer beurteilt werden mussten, konnten Eagly und Steffen nachweisen, dass
hier traditionelle Geschlechterstereotypen zum Teil revidiert wurden. Diese Nachweise belegen,
dass die sozialen Unterschiede, die durch verschiedene Rollen bedingt sind, dazu führen, die
,Natur' des Mannes oder der Frau verschieden zu interpretieren, obwohl genau jene
Eigenschaftszuschreibungen rollenbedingt sind! Die Annahme, dass (Geschlechter-) Stereotypen
durch rollenbedingte Eigenschaftszuschreibungen entstehen, behalten Eagly und Steffen auch
zur Erklärung von Rassenstereotypen und -vorurteilen bei. Das bedeutet, dass bestimmten
,Rassen' deshalb bestimmte soziale Wertigkeiten zugeschrieben werden, weil ihnen
gesellschaftsbedingt (nur) bestimmte, festgelegte Rollen zugedacht wurden.
Die Lerntheorie setzt in ihren Annahmen also kein Abwertungsmotiv für die Entstehung von
Stereotypen und Vorurteilen voraus und macht allgemeine gesellschaftliche Prozesse für die
Übernahme derselben verantwortlich. Weshalb allerdings Stereotypen und Vorurteile anderen
Gruppen gegenüber in der Regel negativ sind, kann zunächst mit dem
sozialisationstheoretischen Ansatz nicht erklärt werden. Denn wenn Stereotypen historische oder
gegenwärtige soziale Unterschiede reflektieren, sollten positive Einstellungen ebenso häufig
entstehen können wie negative. Der dominierende Trend der Fremdgruppenabwertung bedarf in
sozialisationstheoretischer Hinsicht also noch der Erklärung. Außerdem kann die soziale
Lerntheorie zwar erklären, dass durch die beobachteten Unterschiede ,stärkere Gruppen'
negative Stereotypen über ,schwächere' haben, nicht jedoch, wieso diese Stereotypen häufig
wechselseitig bestehen.
© 2002, Susanne Lin
Überarbeitete Fassung aus:
Susanne Lin: Vorurteile überwinden - eine friedenspädagogische Aufgabe. Grundlegung und
Der lerntheoretische Ansatz
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Darstellung einer Unterrichtseinheit. Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 1999, S. 29 - 138.
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