GRUNDLAGEN DER ENERGIELEHRE

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2 Grundlagen der Energielehre
2-1
2
GRUNDLAGEN DER ENERGIELEHRE
Ziel des Kapitels
• Darstellung der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Energielehre: Einführung in die
Grundlagen der Thermodynamik
• Einführung in die Bilanzierung der Energie in technischen Systemen zu Analyse- und Vergleichszwecken
• Vorstellung von Energiebilanzen wirtschaftlicher Systeme als wichtiges Hilfsmittel bei der
Analyse von Volkswirtschaften oder deren Teilbereiche
2-2
2 Grundlagen der Energielehre
2 GRUNDLAGEN DER ENERGIELEHRE
Was ist Energie? Möchte man diesen Begriff, der uns aus unserem täglichen Sprachgebrauch
wohl vertraut ist erklären, so stößt man auf erhebliche Schwierigkeiten. Dabei ist es doch
völlig offensichtlich, dass es Energie ist, die wir benötigen um unsere Wirtschaft aufrechtzuerhalten, unsere täglichen Bedürfnisse zu befriedigen, ja sogar um einfach nur zu leben, benötigen wir Energie.
Das Wort "Energie" kommt vom griechischen Wort "εργον", was soviel bedeutet wie "Arbeit" oder auch " Lebenskraft" [Ohta, 1994]. Sucht man den Begriff der Energie zu erklären,
so stößt man dabei auf viele Erklärungsversuche: Die einfachste, häufig im Schulunterricht
gebrauchte Erklärung ist die, dass "Energie die Fähigkeit ist, Arbeit zu verrichten". [Hahne,
1993] verbindet Energie mit der Vorstellung, dass "Energie ein Maß für die Arbeitsfähigkeit"
sei und fügt außerdem noch hinzu, dass "Energie ein Maß für die Erwärmbarkeit" sei. Der
Physiker Max Planck (1858-1947) drückte es noch etwas umfassender aus: "Energie ist die
Fähigkeit eines Systems, äußere Wirkungen hervorzubringen".
Für alle diese Erklärungsversuche trifft zu, dass sie zwar Teilaspekte des Phänomens Energie
erklären und auch hilfreich sind, diesen abstrakten Begriff etwas anschaulicher zu fassen,
jedoch andere Eigenschaften der Energie nicht beschreiben können. So können beispielsweise, wie in Abschnitt 2.1.2 gezeigt wird, zwei Systeme die gleiche Menge an Energie enthalten, müssen dabei aber nicht die gleiche Arbeitsfähigkeit aufweisen. Auch die in der Umgebung (z. B. Luft, Weltmeere) als innere Energie gespeicherte Energiemenge ermöglicht weder die Gewinnung von Arbeit, noch kann sie äußere Wirkungen hervorbringen. Energie fasst
also ein Phänomen zusammen, das sich sehr schwer beschreiben lässt und das in den unterschiedlichsten Formen auftreten kann. So kennen wir Energie in der Form von Arbeit, Wärme, Licht, elektrischem Strom, Bewegung usw.
2.1 Naturwissenschaftliche Grundlagen der Energielehre
Energie, das wurde eingangs schon festgestellt, ist ein uns täglich begegnendes physikalisches Phänomen. Es ist daher auch kaum verwunderlich, dass sich eine ganze Unterdisziplin
der Physik zu einer umfassenden „Energielehre“ entwickelt hat: die Thermodynamik.
Ursprünglich entstand dieser Teilbereich der Physik als „Wärmelehre“, befasste sich also mit
der Physik, die die Umwandlung von Wärme („Thermo“) in Arbeit („Dynamik“) und umgekehrt beschreibt. Im Laufe ihrer Entwicklung hat sie jedoch den Bereich der reinen „Wärmeerscheinungen“ längst verlassen und ist vielmehr als eine „allgemeine Energielehre“ zu definieren [Baehr, 1992], [Stephan und Mayinger, 1990]. Sie befasst sich dabei mit den verschiedenen Erscheinungsformen der Energie, mit den Umwandlungen von Energien und mit den
Eigenschaften von Materie, da Energieumwandlungen eng mit den Eigenschaften der Materie
verknüpft sind [Stephan und Mayinger, 1990].
2 Grundlagen der Energielehre
2-3
In den folgenden Unterabschnitten sollen daher die Grundlagen dieser „allgemeinen Energielehre“ oder „Thermodynamik“ näher vorgestellt werden, wobei auf die unterschiedlichen
Erscheinungsformen der Energie und die mit der Energiewandlung verbundenen Hauptsätze
der Thermodynamik näher eingegangen werden soll.
2.1.1 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik (Energieerhaltungssatz)
Möchte man den Energiebegriff naturwissenschaftlich sauber erfassen, so akzeptiert man die
Energie am besten als eine physikalische Größe, die bestimmte Eigenschaften hat, die sich
mit Hilfe physikalischer Gesetze beschreiben lassen. Dabei ist die wichtigste Eigenschaft der
Energie, dass sie zwar in den unterschiedlichsten Formen auftreten kann und zwischen diesen
auch umgewandelt werden kann, aber dabei immer erhalten bleibt. Das bedeutet auch, dass
Energie niemals erzeugt oder vernichtet werden kann.
Damit ist auch schon der „erste Hauptsatz der Thermodynamik“, der auch „Energieerhaltungssatz“ genannt wird, formuliert:
„Jedes System besitzt eine extensive Zustandsgröße Energie. Die Energie kann sich nur
durch Energietransport über die Systemgrenzen ändern: Für Energien gilt ein Erhaltungssatz“
[Baehr, 1992]
oder anders formuliert:
„Jedes System besitzt eine extensive Zustandsgröße Energie. Sie ist für ein abgeschlossenes
System konstant“ [Stephan und Mayinger, 1990].
Der erste Hauptsatz ist als ein allgemein gültiges Grundprinzip der Physik anzusehen. Er ist
nicht zu beweisen, wenn gleich alle Schlussfolgerungen, die aus ihm gezogen werden, durch
die Erfahrung bestätigt werden [Stephan und Mayinger, 1990].
In den folgenden Abschnitten sollen zunächst unterschiedliche Formen der Energie vorgestellt werden und dann Möglichkeiten der Energiewandlung, Energiespeicherung und des
Energietransports erläutert werden.
2.1.1.1 Erscheinungsformen der Energie
Betrachtet man zwei Systeme, zwischen denen Energie übertragen wird, so kann man zunächst feststellen, dass beide Systeme vor der Übertragung einen bestimmten energetischen
Zustand einnehmen. Dieser Zustand wird durch die Übertragung von Energie zwischen beiden Systemen verändert. Erfolgt die Energieübertragung, wie in Abb. 2.1 dargestellt, von
System A auf System B, so nimmt der Energieinhalt des Systems A wegen des Prinzips der
Energieerhaltung um den Betrag ab, um den die Energie des Systems B zunimmt. Während
des Übertragungsprozesses wird also eine ganz bestimmte Menge Energie von System A auf
System B übertragen.
2 Grundlagen der Energielehre
2-4
.
System A
EA + dEA/dt
Energieübertragung E
System B
EB + dEB/dt
Änderung des Energieinhalts des Systems A
(Änderung der im System A gespeicherten Energie):
dEA/dt
Übertragener Energiestrom (Prozeßenergiestrom):
.
E
Änderung des Energieinhalts des Systems B
(Änderung der im System B gespeicherten Energie):
dEB/dt
Prinzip der Energieerhaltung:
.
dEA/dt = E = -dEB/dt
Abb. 2.1: Schematische Energieübertragung zwischen zwei Systemen
Es ist an dieser Stelle also bereits zu erkennen, dass Energie in zwei grundsätzlich verschiedenen Arten auftritt:
Als Energie E eines Systems, die den Zustand eines Systems charakterisiert und dem Energieinhalt des Systems oder der in ihm gespeicherten Energie entspricht. Diese Art der Energie charakterisiert den Zustand des Systems und ist somit eine „Zustandsgröße“.
In der Physik charakterisieren Zustandsgrößen Zustände, die Systeme annehmen können unabhängig davon, wie das System in diesen Zustand kommt. Sie sind also „wegunabhängig“.
Die Energie eines Systems ist eine solche physikalische Zustandsgröße, die zusätzlich noch
die Eigenschaft aufweist, dass sie mengenbezogen teilbar ist. Das bedeutet, dass bei einer
Teilung des Systems in zwei Hälften jedes Teilsystem genau die Hälfte der Energie des gesamten Systems enthält, oder dass beim Zusammenfügen eines Systems aus zwei Teilsystemen der Energieinhalt des Gesamtsystems genau dem der Summe der beiden Teilsysteme
entspricht. Eine solche Größe ist physikalisch gesehen eine „extensive“ Größe.
Zustandsgrößen treten also entsprechend ihren Eigenschaften als absolute Größen E1 bzw. E2
auf, die einen bestimmten Zustand 1 bzw. 2 beschreiben. Häufig interessieren jedoch die bei
Zustandsänderungen auftretenden Differenzen dieser Zustandsgrößen ΔE = E2 - E1 oder eine
differentiell kleine Änderung dieser Zustandsgröße dE. Ist die Größe wie o. a. mengenbezogen teilbar, so kann man sie auch auf die Masse bzw. Teilchenmenge eines Systems beziehen. Solche massebezogenen Größen, die auch spezifische Größen genannt werden, sollen im
2 Grundlagen der Energielehre
2-5
Folgenden mit kleinen Buchstaben (e1, e2, Δe = e2 - e1, de) gekennzeichnet werden. Für die
sogenannten molaren Größen, die auf die Teilchenmenge bezogen sind, stehen im Folgenden
Großbuchstaben mit Querstrich ( E1 , E2 , ΔE = E2 − E1 , dE ).
Demgegenüber tritt die Art der Energie, die zwischen den Systemen übertragen wird, nur
während des Übertragungsprozesses auf. Sie ist damit also keine Zustandsgröße, sondern
eine - ebenfalls „extensive“ - Prozessgröße. Die „Prozessenergie“ kann daher also durch eine
Menge (die Energie, die bei der Zustandsänderung zwischen Zustand 1 und 2 übertragen
wurde) ΔE12, einen Strom E oder eine differentiell kleine Menge dE (bzw. durch die entsprechenden spezifischen oder molaren Größen) beschrieben werden.
•
Betrachtet man Prozesse unter dem physikalischen Blickwinkel dieser Unterscheidung, so
erkennt man nach [Falk und Ruppel, 1976], dass sich nur die Prozessenergie in unterschiedliche Erscheinungsformen wie Arbeit, Wärme, elektrischer Strom usw. unterscheiden lässt.
Diese Formen der Energie sollen im Folgenden als „Prozessenergieformen“ bezeichnet werden. Dagegen lässt sich die gespeicherte Energie eines Systems nicht notwendigerweise unterteilen, sie kann aber unter bestimmten Voraussetzungen in „Energieanteile“, wie kinetische Energie, potentielle Energie oder innere Energie zerlegt werden.
Prozessenergieformen:
Verschiedene Prozessenergieformen sind uns aus dem täglichen Leben wohl vertraut. So gehen wir mit Arbeit, Wärme oder auch dem elektrischen Strom täglich selbstverständlich um.
Es ist uns dabei ebenso selbstverständlich, dass diese Energieformen voneinander eindeutig
zu unterscheiden sind und nur durch entsprechende Energiewandler innerhalb bestimmter
Grenzen ineinander übergeführt werden können.
Betrachtet man physikalische Systeme, so stellt man fest, dass diese als Energiewandler fungieren [Falk und Ruppel, 1976]. Wie Abb. 2.2 zeigt, wird einem solchen System im allgemeinen ein Prozessenergiestrom, der aus einer oder mehreren Prozessenergieformen besteht,
zugeführt, ein anderer Prozessenergiestrom wird wieder abgeführt. Dieser kann aus denselben oder anderen Prozessenergieformen bestehen. Möglicherweise kann dabei auch die im
System gespeicherte Energie erhöht oder erniedrigt werden. Insgesamt muss jedoch gemäß
dem Prinzip der Energieerhaltung folgende Energiebilanz erfüllt sein:
dE
E& zu − E& ab =
dt
( 2.1 ).
zugeführte Prozeßenergie Ezu
Systemgrenze
Ezu,1
physikalisches
Ezu,2
...
Ezu,k
Eab,1
System
dE/dt = Ezu- Eab
Eab,2
...
Eab,l
abgeführte Prozeßenergie Eab
2 Grundlagen der Energielehre
2-6
Energie des
Teilchenstroms
der Abgase
ET, ab
Systemgrenze
ET, zu
fossiles
Kraftwerk
EWärme, ab= Qab
dE/dt = 0 (stationärer Betrieb)
Eel, ab= Wel, ab
Energie des
Teilchenstroms
des Brennstoffs
und der Luft
elektrische
Abwärme über
Arbeit (Energie)
Kühltürme und
Wärmeverluste
durch Abgas und
Gebäudehülle
Abb. 2.3: Energiebilanz eines fossilen Kraftwerks
abgeführte Prozeßenergie Eab
zugeführte Prozeßenergie Ezu
Abb. 2.2: Energiebilanz an einem physikalischen System
2 Grundlagen der Energielehre
2-7
Systemgrenze
ET, zu
aufzuheizendes
Wohnhaus
dE/dt = Ezu - Eab
Energie des
Teilchenstroms
des Brennstoffs
und der Luft
Energie des
Teilchenstroms
der Abgase
ET, ab
EWär., ab.=Qab
Wärmeverluste
durch Abgas und
Gebäudehülle
abgeführte Prozeßenergie Eab
zugeführte Prozeßenergie Ezu
Diese kann man sich am Beispiel des Systems eines herkömmlichen, fossil befeuerten Kraftwerks deutlich machen, s. Abb. 2.3. Dem System Kraftwerk werden dabei Brennstoff und
Luft und damit der Energiestrom dieser Teilchenströme zur Verbrennung zugeführt. Die zugeführte Energie wird in andere Prozessenergieströme umgewandelt, die in der Summe dem
zugeführten Prozessenergiestrom entsprechen, da im stationären Betrieb im Kraftwerk keine
Energie gespeichert wird. Abgeführte Prozessenergieformen sind der elektrische Strom, die
über die Kühltürme und Abgase abgegebene Wärme und die Energie des Teilchenstroms der
Abgase.
Abb. 2.4: Energiebilanz für ein Gebäude
Betrachtet man als weiteres Beispiel ein Gebäude, das im Winter ausgekühlt ist und wieder
aufgeheizt werden muss, so sieht die Energiebilanz für das physikalische System „Gebäude“
entsprechend Abb. 2.4 aus. Dem Gebäude wird die Prozessenergieform „Energie eines Teilchenstroms“ über den Brennstoff und die Luft zugeführt. Ein Teil dieser Energie wird bei der
Aufheizung des Mauerwerks und der Luft im Gebäude gespeichert und ein anderer Teil in
den Prozessenergieformen „Energie eines Teilchenstroms“ und „Wärme“ als Verluste an die
Umgebung abgegeben.
Im Folgenden sollen die für die Energietechnik wichtigsten Prozessenergieformen vorgestellt
und charakterisiert werden. Es ist dabei festzustellen, wie später gezeigt wird, dass die Prozessenergieformen sich formal einheitlich beschreiben lassen.
2-8
2 Grundlagen der Energielehre
Ganz allgemein lassen sich alle Prozessenergieformen Ei in der Form
dEi = ξ i dXi
bzw.
E& i = ξ i X& i
( 2.2 )
schreiben, wobei nach [Stephan und Mayinger, 1990] ξi (griech.: „Xi“) einer generalisierten
Kraft und dXi einer generalisierten Verschiebung entsprechen.
Die generalisierten Kräfte ξi sind dabei immer intensive, also nicht mengenbezogen teilbare
Größen. Sie können auch als die zur Energieübertragung in dieser Prozessenergieform notwendigen treibenden Kräfte angesehen werden. Betrachtet man beispielsweise die Prozessenergieform „elektrische Arbeit“, so ist die bei der Übertragung dieser Prozessenergieform
wirkende treibende Kraft die elektrische Potentialdifferenz Δφ, die auch als elektrische Spannung Uel, bezeichnet wird.
Sind bei der Energieübertragung zwischen zwei Systemen die entsprechenden intensiven
Zustandsgrößen ξi der beiden Systeme gleich groß, so wird die für die Energieübertragung in
der entsprechenden Prozessenergieform dEi notwendige treibende Kraft Δξi zu null, und es
kann keine Energie in Form dieser Prozessenergie übertragen werden. Man sagt, dass sich die
beiden Systeme bezüglich dieser Prozessenergieform im „Gleichgewicht“ befinden. Sie befinden sich im vollständigen Gleichgewicht, wenn die intensiven Zustandsgrößen ξi,j beider
Systeme (j = 1, 2) gleich sind. D. h. im Gleichgewicht gilt:
ξ i,1 = ξ i,2
für alle i = 1, 2,..., k
( 2.3 ).
Die generalisierten Verschiebungen dXi sind die Änderungen der Zustandsgrößen der Systeme, die mit der Übertragung der Prozessenergieform verbunden sind. Zugleich mit der Übertragung von Energie in Form von Prozessenergie wird also auch immer eine weitere Größe
übertragen, nämlich die extensive Größe Xi. Sie entspricht zugleich den extensiven Zustandsgrößen der Systeme, die an der Energieübertragung beteiligt sind. Prozessenergieströme E& i
sind also immer mit der Strömung einer weiteren extensiven Größe X& i verknüpft. Betrachtet
man erneut die Prozessenergieform „elektrische Arbeit“ als Beispiel, so erkennt man, dass
mit einer Übertragung der Prozessenergieform „elektrische Arbeit“ eine Übertragung von
elektrischen Ladungen Qel (extensive Größe) verbunden ist, wobei ein Strom elektrischer
Ladungen auch als elektrische Stromstärke I = Q& el bezeichnet wird.
Allgemein ausgedrückt gilt nach dem Energieerhaltungssatz damit, dass einer infinitesimal
kleinen Änderung der in einem System gespeicherten Energie dE immer die Summe der zuund abgeführten infinitesimal kleinen Mengen der Prozessenergieformen dEi entsprechen
muss:
dE = ∑ dEi
i
( 2.4 ).
2 Grundlagen der Energielehre
2-9
Drückt man die infinitesimal kleinen Mengen der Prozessenergieformen mit Hilfe der zugehörigen intensiven und extensiven Größen gemäß Gl. ( 2.2 ) aus, so ergibt sich die
Gibbs’sche Fundamentalgleichung genannte Form des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik in ihrer allgemeinen Form:
dE = ∑ ξ i dXi
( 2.5 ).
i
• Verschiebearbeit:
Betrachtet man, wie in Abb. 2.5 gezeigt,
einen Körper, der im Gravitationsfeld
der Erde um die Höhe Δh angehoben
wird, so benötigt man für diese Verschiebung Energie. Man nennt die bei
diesem Prozess zugeführte Prozessenergieform „Verschiebearbeit“ WG, für die
im Gravitationsfeld der Erde gilt:
ΔWG = m g Δh
h2
Δh
g
( 2.6 ).
Dabei ist m die Masse des Körpers und
g die Erdbeschleunigung.
m
h1
mg
Allgemeiner gefasst ist Verschiebearbeit
dWG notwendig, um eine Veränderung
des Ortes in einem konservativen KraftF=mg
feld zu erreichen. Konservative Kraftfelder sind physikalisch gesehen Kraftfelder, die sich als Gradient einer skalaAbb. 2.5: Anheben eines Gewichts im
ren Ortsfunktion φ darstellen lassen
Gravitationsfeld der Erde
[Stephan
und
Mayinger,
1990]
r
( F = − gradφ ). Dies ist beispielsweise
für Kraftfelder gegeben, die aus der Massenanziehung zweier Körper herrühren, und
gilt damit auch für das Gravitationsfeld der Erde. Die Verschiebearbeit lässt sich somit allgemein als
r r r
Verschiebearbeit = dWG = − gradφ ⋅ dr = F ⋅ dr
→
( 2.7 )
schreiben, wobei F die auf den Körper wirkende Kraft des konservativen Kraftfelds
r der Ortsvektor.
mit dem Potential φ ist und →
2 Grundlagen der Energielehre
2-10
Vergleicht man Gl. ( 2.7 ) mit dem Konzept der generalisierten Kräfte und Verschiebungen in Gl. ( 2.2 ), so erkennt man, dass in diesem Fall die generalisierte Kraft ξi
→
die Kraft F und die generalisierte Verschiebung dXi die Verschiebung dr→ ist.
Dabei fällt allerdings auf, dass die eingangs getroffene Unterscheidung von intensiven
und extensiven Größen anhand der mengenbezogenen Teilbarkeit hier nicht zutrifft.
r als extensive
Es ist dennoch physikalisch korrekt, in diesem Fall eine Verschiebung →
Größe zu bezeichnen, da im Zusammenhang mit Feldern, und hier dreht es sich um
ein Kraftfeld, auch nicht mengenbezogen teilbare Größen im physikalischen Sinne extensive Größen sind. Darauf soll wegen der geringen Bedeutung für die praktische
Anwendung in der Energietechnik hier allerdings nicht weiter eingegangen werden.
• Bewegungsarbeit:
Beschleunigt man einen Körper der Masse m und Geschwindigkeit v→ dadurch, dass
→
man in anstößt, so wird durch den Stoß ein Impuls J auf den Körper übertragen. Es
wird dem mit der Geschwindigkeit v→ bewegten Körper also in jedem Moment zu→
sammen mit einem infinitesimal kleinen Impuls dJ eine infinitesimal kleine Menge
der Prozessenergieform „Bewegungsarbeit“ dWB übertragen, die sich somit allgemein
zu
r r
Bewegungsarbeit = dWB = v ⋅ dJ
( 2.8 )
→
ergibt. Dabei ist v→ die intensive Größe (generalisierte Kraft ξi) und dJ die Änderung
der extensiven Größe (generalisierte Verschiebung dXi), die mit der Prozessenergieübertragung verknüpft sind.
Abb. 2.6 zeigt die Zufuhr von Bewegungsarbeit bei der Beschleunigung eines Eisenbahnwagens: Die ziehende Lokomotive überträgt in jedem infinitesimal kleinen Zeit→
intervall dt einen Impuls dJ auf den Eisenbahnwagen, der sich in diesem Zeitintervall
dt mit der Geschwindigkeit v→ vorwärts bewegt. Dabei entspricht eine Impulsänderung
→
→
über der Zeit einer Kraft F B = dJ /dt, die übertragene Prozessenergieform also einer
Arbeit (längs eines Wegs verrichtete Kraft), die man in Form der zeitlichen Ableitung
als Leistung bezeichnet. Da die am Eisenbahnwagen verrichtete Arbeit zu einer Änderung dessen Geschwindigkeit führt, nennt man sie „Bewegungsarbeit“. Gl. ( 2.8 ) lässt
sich damit auch in folgender Form schreiben:
r
r
dW
dJ
dr r
r
r r
B
&
WB =
=v⋅
= v ⋅ FB =
⋅ FB
dt
dt
dt
( 2.9 ),
oder in der für die Belange der Energietechnik ausreichenden, vereinfachten Form:
dr
W& B =
FB = v FB
dt
( 2.10 ).
2 Grundlagen der Energielehre
2-11
Dabei ist zu beachten, dass - trotz der Ähnlichkeit der beiden Gln. ( 2.7 ) und ( 2.10 ) die Bewegungsarbeit nicht der Verschiebearbeit entspricht. Denn in Gl. ( 2.7 ) be→
→
zeichnet F die Kraft eines konservativen Kraftfelds, F B dagegen die Kraft, die beschleunigend auf den Eisenbahnwagen wirkt und dabei nichts mit einem konservativen Kraftfeld zu tun hat. Sie steht vielmehr im Zusammenhang mit einer Impulsübertragung. Es wird also Bewegungsarbeit und nicht Verschiebearbeit verrichtet oder
übertragen.
d J
=
F
b
d t
v
m
J
Abb. 2.6: Beschleunigung eines Eisenbahnwagens
Wird dagegen der Eisenbahnwagen, der reibungsfrei fährt, an einem Berg einfach aus
dem Stillstand losgelassen, so wird er durch die auf ihn wirkende Kraft des Gravitationsfelds der Erde beschleunigt. Es stellt sich also die Frage, ob nun Verschiebe- oder Bewegungsarbeit an ihm verrichtet wurde.
Die Lösung ist, dass keine Arbeit an ihm verrichtet wurde: Die Verschiebearbeit, die
der Wagen durch den Ortswechsel im Gravitationsfeld abgegeben hat, wird ihm in
Form von Bewegungsarbeit wieder zugeführt, so dass sich der Wagen selbst beschleunigt. Es wird also in der Summe keine Arbeit am Wagen verrichtet und damit
dem System Wagen keine Prozessenergie zu- oder abgeführt, sein Energieinhalt bleibt
konstant.
• Rotationsarbeit:
Stellt man sich, wie in Abb. 2.7 dargestellt, eine punktförmige Masse m vor, die im
r um eine masselose Welle mit der Winkelgeschwindigkeit ω→ rotiert, so
Abstand →
kann dem System dadurch Energie zugeführt werden, dass man es durch ein Drehmoment
r
r
r dL d r r r
r
d
dω
=
M=
( r × (ω × r )) dm = dt Θ ⋅ω = Θ ⋅ dt
dt dt ∫
( )
→
( 2.11 )
beschleunigt, ihm also einen Drehimpuls dL zuführt, wobei das letzte Gleichheitszeichen nur für einen starren Körper mit einer festen Rotationsachse ( Θ = const. ) gilt.
2 Grundlagen der Energielehre
2-12
Die mit der Änderung des Drehimpulses verbundene Prozessenergieübertragung
nennt man Rotationsarbeit:
r r
Rotationsarbeit = dWR = ω ⋅ dL
( 2.12 ).
Dabei bezeichnet Θ das Trägheitsmoment des zu beschleunigenden Körpers bezüglich
der Rotationsachse. Verwendet man die vektorielle Schreibweise der physikalischen
Größen, so ist Θ ein Tensor, er wird Trägheitstensor genannt.
Mit der Übertragung der
Prozessenergieform Rotationsarbeit ist zugleich eine
Drehimpulsübertragung
(generalisierte
Verschiebung) verbunden, d. h. die
extensive
Zustandsgröße
→
Drehimpuls L des Systems
wurde verändert. Die die
Prozessenergieform charakterisierende intensive Größe
ξi (generalisierte Kraft) ist
die Winkelgeschwindigkeit
ω→.
m
L
ω
v
J
r
dL = M dt
Abb. 2.7: Rotation einer punktförmigen Masse
Bezogen auf den Drehimpulsstrom ergibt sich aus Gl. ( 2.12 ) in vereinfachter Schreibweise:
dϕ
W& R = ω L& = ω M =
M
dt
( 2.13 ),
wobei ϕ der Drehwinkel des rotierenden Systems ist.
Betrachtet man die Zusammenhänge zwischen Geschwindigkeit v→ und
r rWinkelger
r r r
→
schwindigkeit ω = r × v bzw. zwischen Impuls J und Drehimpuls dL = r × dJ (gilt
für eine punktförmige Masse), so stellt man fest, dass es gleichgültig ist, ob man dem
System einen Drehimpuls oder einen entsprechenden Impuls zuführt. Die zugeführte
Energie entspricht sich in beiden Fällen, d. h. die beiden Energieformen Bewegungsarbeit und Rotationsarbeit sind voneinander abhängig. Sie können jedoch auch voneinander unabhängig sein, wenn sich z. B. der Körper um eine durch ihn selbst hindurch gehende Achse dreht [Falk und Ruppel, 1976]. Ob Energieformen voneinander
abhängig sind oder nicht, ist also eine Frage des Systems [Falk und Ruppel, 1976].
• Volumenänderungsarbeit:
Betrachtet man ein Gas, das sich in einem durch einen bewegliche Kolben abgeschlossenen Zylinder befindet, so kann man feststellen, dass zur Verschiebung des
→
→
Kolbens gegen den Druck p des Gases, eine Kraft F = p A längs eines Weges dr→, al-
2 Grundlagen der Energielehre
2-13
so Arbeit verrichtet werden muss. Dabei verändert sich das Volumen des Gases V,
wie Abb. 2.8 zeigt:
r r
r r
dWV = F ⋅ dr = p A ⋅ dr = − p dV
( 2.14 ),
→
wobei, aufgrund der allseitigen Wirkung des Drucks p, A immer die Fläche senkrecht
→
→
des Weges dr→ und der Kraft F bezeichnet. Der Vektor A ist dabei dem Vektor dr→
entgegengesetzt, was zum negativen Vorzeichen im letzten Ausdruck führt. Da die
→ →
Ausrichtung von F , A und dr→ somit festgelegt ist, kann die Volumenänderungsarbeit
nicht mit der Verschiebearbeit gleichgesetzt werden, da die Vektoren in Gl. ( 2.7 ) beliebig gerichtet sein können.
Die mit der Volumenänderung dV verbundene Arbeit ist also eine unabhängige Prozessenergieform, die Energie mit einem Gas austauscht, wenn dessen extensive Zustandsgröße Volumen V verändert wird. Man nennt sie daher „Volumenänderungsarbeit“ dWV :
Volumenänderungsarbeit = dWV = − p dV
Das Volumen V entspricht folglich der übertragenen extensiven Größe dXi (generalisierte
Verschiebung), der Druck p der
intensiven Größe ξi (generalisierte Kraft).
( 2.15 ).
dV = A dr
A
Gasfüllung
F
p, V
Das negative Vorzeichen in
Gl. ( 2.15 ) lässt sich auch dadurch erklären, dass dem Gas
Abb. 2.8: Arbeit bei der Volumenänderung eiVolumenänderungsarbeit zugenes Gases
führt wird (dWV >0), wenn es
komprimiert wird (dV < 0) und
Volumenänderungsarbeit gewonnen wird (dWV <0), wenn es entspannt wird (dV > 0).
• elektrische Arbeit (elektrischer Strom):
Bringt man eine infinitesimal kleine elektrische Ladung dQel in ein elektrisches Feld
mit dem Potential φ, so muss dazu eine Arbeit dWel verrichtet werden, die vom Ort
r und von dem an diesem Ort herrschenden Potential des elektrischen
der Ladung →
→
Felds φ(r ) abhängig ist:
r
r
dWel = φ ( r ) dQel ( r )
( 2.16 ).
2 Grundlagen der Energielehre
2-14
Werden gleichzeitig mehrere infinitesimal kleine Ladungen dQel(→
r i) an verschiedenen
→
Orten r i in das elektrische Feld eingebracht, so ist die dafür zu verrichtende Arbeit
dWel :
r
r
elektrische Arbeit = dWel = ∑ φ (ri ) dQel (ri )
( 2.17 ).
i
Die „elektrische Arbeit“ ist zugleich die Prozessenergieform, in der Energie dem System „elektrisches Feld“ zugeführt wird, wenn man elektrische Ladungen in diesem
Feld verschiebt, was einem „Hinzufügen“ und „Wegnehmen“ von Ladungen an den
entsprechenden Orten entspricht. Die Ladungsänderungen dQel entsprechen dabei der
Änderung der extensiven Größe dXi (generalisierte Verschiebung), das elektrische Potential φ der intensiven Zustandsgröße „generalisierte Kraft“ ξi.
Betrachtet man statt einzelner infinitesimal kleiner Ladungen dQel Ladungsströme
dQel
=I
dt
( 2.18 ),
die herkömmlich mit der Stromstärke I bezeichnet werden, und beachtet, dass elektrische Potentialdifferenzen nichts anderes als elektrische Spannungen Uel darstellen, so
erhält man bei entsprechender Schreibweise der Gl. ( 2.17 ), die schon aus dem Physikunterricht bekannte Formel für die Leistung eines elektrischen Stroms:
dQel,i
dWel
W& el =
= ∑φ i
= Uel I
dt
dt
i
( 2.19 ).
• Wärme:
Die Prozessenergieform „Wärme“ ist ein physikalisches Phänomen, das uns allen
wohl vertraut ist und doch - wie die Energie -, wenn man es sauber physikalisch erfassen will, einige Mühe bereitet. Wärme ist physikalisch gesehen die Energie, die zwischen zwei Systemen übertragen wird, die eine unterschiedliche Temperatur aufweisen. Dabei wird solange Wärme übertragen, bis beide Systeme die gleiche Temperatur
aufweisen.
Wärme hat also etwas mit der Temperatur zu tun. Genauer: Wärme ist diejenige Prozessenergieform, die aufgrund der treibenden Kraft von Temperaturunterschieden
übertragen wird. Überträgt man diese Erkenntnis in das allgemein gültige Konzept der
generalisierten Kräfte und Verschiebungen (s. Gl. ( 2.2 )), so erkennt man, dass die
zur Prozessenergieform Wärme gehörende intensive Zustandsgröße oder generalisierte Kraft ξi die thermodynamische (absolute) Temperatur T in K ist.
2 Grundlagen der Energielehre
2-15
Die zur Prozessenergieform „Wärme“ gehörende extensive Größe Xi (generalisierte
Verschiebung) ist uns aus dem täglichen Leben nicht vertraut. Es ist die von Rudolf
Clausius (1822–1888) eingeführte Größe „Entropie“ [Falk und Ruppel, 1976], die mit
dem Buchstaben S bezeichnet wird. Es gilt also:
Wärme = dQ = T dS
( 2.20 ).
Ein Wärmestrom Q& ist also immer mit einem Entropiestrom S& verbunden:
Q& = T S&
( 2.21 ).
Die Entropie als eine in der Thermodynamik wichtige physikalische Größe ist zugegebenermaßen nicht anschaulich zu erfassen. Aus diesem Grund ist es für den praktischen Umgang mit dieser Größe am einfachsten, wenn man sie - wie die Energie
auch - als abstrakte, aber genau definierte physikalische Größe akzeptiert, für die bestimmte Gesetzmäßigkeiten gelten, auf die im Abschnitt 2.1.2 eingegangen werden
soll.
• Energie eines Teilchenstroms (chemische/kernphysikalische Energie):
Sowohl chemische wie auch kernphysikalische Reaktionen werden durch die Tatsache gekennzeichnet, dass bestimmte Arten von Teilchen (das können Moleküle, Ionen, Atome, Elementarteilchen usw. sein) verschwinden, während andere gebildet
werden. Bei diesen Vorgängen wird häufig Energie freigesetzt bzw. Energie benötigt.
Die Menge der jeweils übertragenen Energie wird zum einen durch die Art der Reaktion, d. h. welche Teilchen verschwinden und welche gebildet werden, und durch die
Menge der an der Reaktion beteiligten Teilchen bestimmt.
Aus dieser Betrachtung wird deutlich, dass aufgrund der zugeführten bzw. abgeführten Teilchenströme Energie zugeführt bzw. abgeführt wird, d. h. die bei chemischen
bzw. kernphysikalischen Reaktionen auftretende Prozessenergieform muss mit dem
Auftreten von Teilchenströmen verbunden sein. Die Teilchenmenge ist dabei aufgrund ihrer Mengenabhängigkeit eine extensive Größe. Somit ist die extensive Größe
gefunden, die mit dieser Prozessenergieform verbunden ist. Die Prozessenergieform
wird aus diesem Grund „Energie eines Teilchenstroms“ genannt.
Man bezeichnet Teilchenströme in der Physik und Chemie üblicherweise als Mengen•
ströme ni der Teilchen i bzw. Änderungen der Teilchenmenge als Mengenänderung
dni. Die sich daraus ergebende Einheit ist „Teilchen pro Sekunde“ bzw. „Teilchen“
[Falk und Ruppel, 1976]. Da im Bereich der Atome diese Einheit jedoch recht unanschaulich ist, wurde eine bestimmte Anzahl Teilchen zur Grundlage einer Maßeinheit
für Mengen definiert [Phys. Techn. Bundesanstalt, 1987]:
23
(6,0221367±0,000036) 10 Teilchen = 1 Mol
Man nennt diese Zahl auch Avogadro-Konstante oder Loschmidt-Zahl [Stephan und
Mayinger, 1990]. Sie legt fest, wie viele Teilchen einer Teilchenart zusammen ein
2-16
2 Grundlagen der Energielehre
„Mol“ (Zeichen: „mol“) ergeben. Die genaue Zahl ist dabei mehr oder weniger willkürlich gewählt und ergibt sich aus folgender Festlegung [IUPAP, 1965]:
Die Zahl der Teilchen eines Stoffs nennt man ein Mol, wenn dieser Stoff aus ebenso
vielen unter sich gleichen Teilchen besteht wie in genau 12 g reinen atomaren Koh12
lenstoffs des Nuklids C enthalten sind.
Die intensive Zustandsgröße, die zur Beschreibung der Prozessenergieform „Energie
eines Teilchenstroms“ notwendig ist, ist die als chemisches Potential µi des Teilchens
i bezeichnete Größe. Es beschreibt nach [Stephan und Mayinger, 1992], um wie viel
sich bei einer quasistatischen Zustandsänderung die innere Energie eines Systems allein auf Grund des Materietransports ändert, wenn man einem System ein Mol eines
Stoffes i zuführt. Möchte man Kernreaktionen betrachten, so ist zwar der Name „chemisches Potential“ irreführend, aber prinzipiell ließe sich für solche Vorgänge auch
eine entsprechende Größe µi finden. Damit ergibt sich die „Energie eines Teilchenstroms“ zu:
Energie eines Teilchenstroms = dET = μ i dni
( 2.22 ).
So kann man also die bei Reaktionen, d. h. die aufgrund des Verschwindens bzw. Entstehens bestimmter Teilchen, insgesamt mit der Umgebung ausgetauschte Energie als
die Energie auffassen, die allein auf die Zufuhr der Teilchen i zum System und die
Abfuhr der Teilchen j aus dem System zurückzuführen ist.
Reaktionsenergie = ∑ dET = ∑ μ i dni
i
( 2.23 ).
i
In der Technik sind offene Systeme, d. h. Systeme, die auch Materie über ihre Grenzen hinweg austauschen, weit verbreitet. Da durch diesen Materieaustausch immer
Teilchenströme in das System ein- bzw. ausfließen, tauschen solche Systeme zugleich
auch immer Prozessenergie in der Form „Energie eines Teilchenstroms“ aus. Dies
trifft auch zu, wenn in dem betreffenden System keine chemischen oder kernphysikalischen Reaktionen ablaufen.
2 Grundlagen der Energielehre
2-17
zugeführte
Teilchenmenge
Δn1
offenes System
offenes System
Zustand 1
U1
Zustand 2
U2
Systemgrenze des
offenen Systems
abgeführte
Teilchenmenge
Δn2
Abb. 2.9: Offenes System
Da Materieströme aufgrund der Eigenschaften von Materie, die ein bestimmtes Volumen und auch eine bestimmte Entropie besitzt, immer auch zusätzlich mit Volumenströmen und Entropieströmen verbunden sind, die im Zusammenhang mit den
Teilchenströmen nicht nur zu einer Übertragung von Energie der Teilchenströme,
sondern zusätzlich von Volumenänderungsarbeit und Wärme führen, hat sich in der
Thermodynamik eine speziell für offene Systeme geeignete Betrachtungsweise der
energetischen Zusammenhänge mit Materieströmen herausgebildet.
Möchte man die gesamte Energieübertragung eines offenen Systems erfassen, die im
Zusammenhang mit der Zufuhr einer Teilchenmenge Δn1 und der Abfuhr der Teilchenmenge Δn2 steht, so betrachtet man den in Abb. 2.9 dargestellten offenen Prozess
in einem geschlossenen Ersatzsystem (s. Abb. 2.10) [Stephan und Mayinger, 1990].
2 Grundlagen der Energielehre
2-18
p1 V1 Δn1
Systemgrenze des
offenen Systems
zugeführte
Teilchenmenge
Δn1
Zustand 1
Zustand 2
abgeführte
Teilchenmenge
Δn2
p2 V2 Δn2
Systemgrenze des
geschlossenen Ersatzsystems
Abb. 2.10: Geschlossenes Ersatzsystem
Die im offenen System gespeicherte Energie im Zustand 1 ist:
E1 = U1 + Ekin,1 + E pot ,2
( 2.24 ),
wobei U1 die innere Energie des Systems, Ekin,1 die kinetische Energie des Systems
und Epot,1 die potentielle Energie des Systems bezeichnet. Näheres zu dieser Aufgliederung der gespeicherten Energie in Energieanteile und zu den Energieanteilen ist
dem folgenden Abschnitt „Energieanteile der gespeicherten Energie“ zu entnehmen.
Für den Zustand 2 des offenen Systems lässt sich analog schreiben:
E2 = U 2 + Ekin ,2 + E pot ,2
( 2.25 ).
Für die im geschlossenen Ersatzsystem (s. Abb. 2.10) im Zustand i =1,2 gespeicherte
Energie ergibt sich:
(
)
EE ,i = Ei + Ui + Ekin,i + E pot ,i Δni
( 2.26 ).
Betrachtet man nun die Zustandsänderung 1 ⌫ 2 am geschlossenen Ersatzsystem unter der Vorgabe, dass das System Prozessenergie mit der Umgebung nur in Verbindung mit den Teilchenströmen austauscht, so stellt man fest, dass bei der Zustandsän-
2 Grundlagen der Energielehre
2-19
derung zweimal das Volumen des geschlossenen Ersatzsystems verändert wird. Bei
der Zufuhr der Teilchenmenge Δn1 muss also eine Volumenänderungsarbeit p1 V1 Δn1
verrichtet werden, beim Ausstoß der Teilchenmenge Δn2 wird dagegen eine Volumenänderungsarbeit p2 V2 Δn2 frei. Die Energiebilanz über der Zustandsänderung
1 ⌫ 2 des geschlossenen Ersatzsystems ergibt sich somit nach dem ersten Hauptsatz
zu:
EE ,2 − EE ,1 = p1 V1 Δn1 − p2 V2 Δn2
( 2.27 ).
Wobei die beiden Terme auf der rechten Seite die zum Ein- bzw. Ausschieben der
Teilchenmengen notwendigen Volumenänderungsarbeiten sind.
Mit Gl. ( 2.27 ) in Gl. ( 2.26 ) eingesetzt ergibt sich:
(
)
(
)
E2 − E1 + U 2 + Ekin ,2 + E pot ,2 Δn2 − − U1 + Ekin,1 + E pot ,1 Δn1 = p1 V1 Δn1 − p2 V2 Δn2
( 2.28 )
und daraus:
(
)
(
)
ΔE = E2 − E1 = U1 + p1 V1 + Ekin,1 + E pot ,1 Δn1 − U2 + p2 V2 + Ekin,2 + E pot ,2 Δn2
( 2.29 ).
Führt man in Gl. ( 2.29 ) abkürzend die molare „Enthalpie“
H =U + pV
( 2.30 )
ein, so ergibt sich:
(
)
(
)
ΔE = H1 + Ekin,1 + E pot ,1 Δn1 − H2 + Ekin ,2 + E pot ,2 Δn2
( 2.31 ).
Sind kinetische und potentielle Energieänderungen, wie in der Thermodynamik häufig
der Fall, gegenüber den anderen Energieanteilen vernachlässigbar, so ergibt sich für
die Änderung der inneren Energie des offenen Systems aufgrund der ein- und ausfließenden Teilchenmengen die einfache Gleichung:
ΔE = ΔU = U 2 − U1 = H1 Δn1 − H2 Δn2
( 2.32 ).
Die Enthalpie eignet sich somit besonders zur Betrachtung offener Systeme, da sie bereits die gesamte Energiezu- bzw. -abfuhr eines in ein offenes System hinein- bzw.
herausströmenden Stoffstroms erfasst, d. h. die mit dem Teilchenstrom verbundene
Übertragung von Wärme und Volumenänderungsarbeit in das bzw. aus dem System
ist mit der Enthalpie bereits erfasst. Das Konzept der Energie des Teilchenstroms dagegen erlaubt keine solch einfache Bilanzierung offener Systeme, obgleich es die physikalischen Zusammenhänge der Energieformen besser verdeutlicht. Denn gemeinsam
mit dem Teilchenstrom fließt nicht nur die Energie des Teilchenstroms in das System,
sondern auch Wärme und Volumenänderungsarbeit. Hinzukommt, dass sich die
2-20
2 Grundlagen der Energielehre
Enthalpie mit Hilfe der in der Thermodynamik häufig verwendeten einfachen Modelle
zur Beschreibung von Stoffverhalten (s. Abschnitt 2.1.3) aus messbaren Zustandsgrößen wesentlich einfacher berechnen lässt als das chemische Potential.
Aus diesem Grund wird für praktische Berechnungen im Zusammenhang mit offenen
Systemen in der Energietechnik und der Thermodynamik üblicherweise das Konzept
der Enthalpie verwendet. Auch chemische Reaktionen lassen sich mit Hilfe dieses
Konzepts einfach erfassen.
Zur praktischen Berechnung der durch eine Verbrennungsreaktion einem System zugeführten Energie mit Hilfe des Enthalpiekonzepts wird der sogenannte spezifische
„Heizwert“ hu (früher: „unterer Heizwert“) bzw. „Brennwert“ ho (früher: „oberer
Heizwert“) der jeweiligen Brennstoffe verwendet. Die spezifischen bzw. molaren
Werte des Heiz- oder Brennwerts beziehen sich dabei auf die Brennstoffmasse bzw.
Brennstoffmenge.
Der spezifische Heizwert hu entspricht der bei einer isotherm, isobar ablaufenden stöchiometrischen Verbrennung abzuführenden Wärme pro Masse Brennstoffeinsatz,
wobei das entstehende Wasser im gasförmigen Zustand verbleibt. Unter einer „stöchiometrischen“ Verbrennung versteht man dabei eine Verbrennung, bei der genau so
viel Luftsauerstoff zugegeben wird, dass eine vollständige Verbrennung des Brennstoffs ohne Luftüberschuss möglich ist. Nach der Verbrennung fossiler Brennstoffe
(Kohlenwasserstoffe) liegen demnach lediglich Kohlendioxid (CO2) und Wasser
(H2O) sowie der nicht an der Reaktion beteiligte Luftstickstoff (N2) vor.
Der spezifische Brennwert ho ist analog dem spezifischen Heizwert hu eines Brennstoffs definiert, allerdings bezieht sich der spezifische Brennwert ho auf eine Verbrennung, bei der das entstehende Wasser im kondensierten Zustand vorliegt. D. h. der
Brennwert Ho ist um die Kondensationsenthalpie ΔHV des bei der Verbrennung gebildeten Wassers höher als der Heizwert Hu:
Ho = m Br ho = m Br hu + mW ΔhV = Hu + ΔHV
( 2.33 ),
wobei mBr die Masse des Brennstoffs und mW die Masse des bei der Verbrennung gebildeten Wassers bezeichnen.
Heiz- und Brennwerte sind für praktisch alle technisch interessanten Verbrennungsreaktionen in Nachschlagewerken und Lehrbüchern (z. B.: [Dubbel, 1990], [LandoltBörnstein, 1972], [Baehr, 1992] oder [Stephan und Mayinger, 1992]) tabelliert und
damit für die praktische Berechnung von Reaktionsenergien einfach verfügbar. Beispielhaft sind in Tab. 2.1 die Heiz- und Brennwerte einiger gängiger Energieträger
aufgeführt.
2 Grundlagen der Energielehre
2-21
Tab. 2.1: Mittlere Heiz- und Brennwerte gängiger Energieträger (Daten nach
H.D. Baehr und W. Gumz [Baehr, 1992])
Energieträger
Heizwert hu
Brennwert ho
ho/hu
Holz (lufttrocken)
15,3 MJ/kg
16,9 MJ/kg
1,11
Braunkohle (Rheinland)
8,1 MJ/kg
9,9 MJ/kg
1,22
Braunkohlebrikett
19,3 MJ/kg
20,6 MJ/kg
1,07
Steinkohle
28-32 MJ/kg
30-34 MJ/kg
1,06-1,07
Steinkohlenkoks
29 MJ/kg
30 MJ/kg
1,03
Heizöl S
40,0 MJ/kg
42,3 MJ/kg
1,06
Heizöl EL
42,7 MJ/kg
36,3 MJ/l
45,4 MJ/kg
38,6 MJ/l
1,06
Dieselkraftstoff
42,7 MJ/kg
35,9 MJ/l
45,4 MJ/kg
38,1 MJ/l
1,06
Benzin
43,5 MJ/kg
31,6 MJ/l
46,5 MJ/kg
33,8 MJ/l
1,07
54,1 MJ/kg
3
42,4 MJ/m
1,14
47,6 MJ/kg
3
37,3 MJ/Nm
Erdgas H
1)
1)
Die Heizwerte je Kubikmeter Erdgas liegen in einem Bereich von 33,32 MJ (Niederlande) und 43,72 MJ (Tunesien).
Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Energiedichte der wichtigsten Energieträger soll verglichen werden, in welcher Menge des jeweiligen Energieträgers die
Energie von 1 kWh enthalten ist:
In ca.
• 120 g Steinkohle,
• 444 g Braunkohle,
• 86 g Erdöl,
• 84 g bzw. 0,099 l Heizöl EL,
• 83 g bzw. 0,114 l Benzin,
3
• 76 g bzw. 0,097 m Erdgas oder
• 0,12 mg Uran
2 Grundlagen der Energielehre
2-22
ist jeweils 1 kWh Energie enthalten, wenn man vom Heizwert der jeweiligen Brenn2
stoffe ausgeht (Zum Vergleich: Am Äquator strahlt auf eine Fläche von ca. 4 m und
2
an den Polen auf eine Fläche von ca. 11 m im Mittel 1 kW solare Strahlung ein).
Zur Erstellung von Energiebilanzen für offene Systeme mit Verbrennung wird einfach
von der Vorstellung ausgegangen, dass der zugeführte Brennstoffstrom zusätzlich zu
seiner Enthalpie noch die bei der Verbrennung frei werdende Enthalpie, den Heizoder Brennwert, enthält. Die abgeführten Verbrennungsabgase gehen dann einfach
mit ihrer Enthalpie in die Energiebilanz ein. Für ein stationäres offenes System, das
die bei der Verbrennung frei werdende Energie als Wärme abgibt, ergibt sich die
Energiebilanz also beispielsweise zu:
dU
= 0 = H& zu − H& ab − Q& = m& Br (hBr + hu ) + m& Luft hLuft − m& Abgas hAbgas − Q&
dt
( 2.34 ).
• Arbeit zur Änderung eines elektromagnetischen Felds - elektromagn. Strahlungsenergie:
Um Änderungen eines elektromagnetischen Felds hervorzurufen, ist entweder das
elektrische oder das magnetische Feld zu ändern, aus denen das elektromagnetische
Feld besteht. Es können auch beide Felder geändert werden. Mit der Änderung der
beiden Felder sind folgende Prozessenergieformen verbunden:
Zur Änderung des elektrischen Felds in einem isotropen Medium ist eine Arbeit notwendig, die sich problemlos in die o. a. allgemeine Form der Prozessenergie einfügt:
r r
Arbeit zur Änderung eines elektrischen Felds = dWeF = E ⋅ dD
→
( 2.35 ).
→
Dabei ist D das elektrische Dipolmoment und E die Feldstärke des elektrischen
Felds.
Zur Änderung eines Magnetfelds ist Prozessenergie in Form von Magnetisierungsarbeit erforderlich:
r r
Magnetisierungsarbeit = dWmagn = H ⋅ dB
→
→
( 2.36 ),
wobei B die magnetische Induktion und H die magnetische Feldstärke bezeichnet.
2 Grundlagen der Energielehre
2-23
Tab.: 2.2: Prozessenergieformen und die mit ihnen verknüpften intensiven und extensiven
Größen
Prozessenergieform
intensive Größe
extensive Größe
Zusammenhang
Verschiebearbeit
WG
konservative
r Kraft
F
Verschiebung
r
r
r r
dWG = F ⋅ dr
Bewegungsarbeit
WB
Geschwindigkeit
r
v
Impuls
r
J
r r
dWB = v ⋅ dJ
Rotationsarbeit
WR
Winkelgeschwindigkeit
r
Drehimpuls
r
L
r r
dWR = ω ⋅ dL
Volumenänderungsarbeit
WV
Druck
p
Volumen
V
dWV = − p dV
elektrische Arbeit
Wel
elektrische Potential
φ
elektrische Ladung
Qel
dWel = ∑ φ i dQel ,i
Wärme
Q
absolute Temperatur
T
Entropie
S
dQ = T dS
Energie eines Teilchenstroms
ET
chemisches Potential
Teilchenmenge
µ
n
dET ,i = μ i dni
Arbeit zur Änderung
eines elektrischen Felds
WeF
elektrische Feldstärke
elektrisches
Dipolmoment
r
D
r r
dWel = E ⋅ dD
Magnetisierungsarbeit
magnetische Feldstärke
Wmagn
r
H
magnetische
Induktion
v
B
r r
dWmagn = H ⋅ dB
verallgemeinerte
Verschiebung
Xi
dEi = ξ i dXi
allgemeine
Prozessenergieform
Ei
ω
r
E
verallgemeinerte
Kraft
ξi
i
2-24
2 Grundlagen der Energielehre
Da sowohl Licht als auch Wärmestrahlung elektromagnetische Wellen verschiedener
Wellenlänge sind, ist die Prozessenergieform, die Energie in Form elektromagnetischer Wellen mit der Umgebung austauscht, für die Energietechnik von Bedeutung.
Dabei interessiert sich der Energietechniker weniger für das physikalische Phänomen
der elektromagnetischen Welle als für Tatsache, dass mittels Strahlung Prozessenergie
zwischen Systemen übertragen werden kann. So sollen die Prozessenergieformen, die
mit elektromagnetischen Feldern zusammenhängen, vielmehr unter dem Begriff
„elektromagnetische Strahlungsenergie“ und dem Zeichen ES zusammengefasst werden.
So kann man davon sprechen, dass eine elektrische Leuchte einen Energiewandler
darstellt, der elektrische Arbeit teilweise in eine spezielle elektromagnetische Strahlungsenergie umwandelt, die wir im täglichen Leben „Licht“ nennen. Genauso findet
zwischen warmen Körpern, die sich im Vakuum befinden, eine Energieübertragung in
Form von elektromagnetischer Strahlungsenergie statt, die Wärmestrahlung genannt
wird.
• Sonstige Prozessenergieformen:
Man kann bei der Untersuchung weiterer physikalischer Systeme noch viele zusätzliche Formen feststellen, in denen Prozessenergie übertragen wird. Dazu zählen z. B.
die Deformationsarbeit, die bei der Deformation von Festkörpern verrichtet werden
muss, oder die Oberflächenänderungsarbeit, die bei der Veränderung der Oberfläche
einer Flüssigkeit aufgrund der Oberflächenspannung verrichtet werden muss. Doch alle diese Energieformen haben gemeinsam, dass sie für die Energietechnik nicht von
Bedeutung sind und daher hier nicht näher vorgestellt werden.
Abschließend seien noch einmal alle in diesem Abschnitt vorgestellten Prozessenergieformen
und die mit ihnen verbundenen intensiven (generalisierten Kräfte) und extensiven (generalisierte Verschiebungen) Größen aufgeführt.
Energieanteile der gespeicherten Energie:
Die in einem physikalischen System gespeicherte Energie ist, wie bereits oben erwähnt, eine
extensive Zustandsgröße. Das bedeutet, dass die Energie eines Systems dessen Zustand charakterisiert und sich bei einer Änderung des Zustands des Systems ändert. Sie sagt dabei aber
nichts über die Art oder den Prozess, wie der Zustand geändert wurde, aus.
Betrachtet man die in einem System gespeicherte Energie, so ist zunächst festzustellen, dass
sie im Gegensatz zur Prozessenergie, die in den verschiedensten Formen auftreten kann, nicht
in verschiedene Formen unterteilt werden kann. Diese Tatsache ist möglicherweise für manchen überraschend und geht uns gegen unsere Gewohnheit, denn wir sind es schon aus dem
Physikunterricht an der Schule gewohnt, gespeicherte Energie in additive Energieanteile zu
zerlegen [Falk und Ruppel, 1976], wie dies in der klassischen Newton’schen Mechanik möglich ist.
2 Grundlagen der Energielehre
Zustand 1:
Wind
2-25
Zustand 2:
dJ
Segelschiff
dWB
m
Ekin,1
m
J1
v1
Ekin,1= 1/2 m v12 = 1/2 J12/m
Ekin,2
J2
v2
Ekin,2= 1/2 m v22 = 1/2 J22/m
= Ekin,1+dWB
Abb. 2.11: Beschleunigung eines Segelschiffs
Es stellt sich daher also die Frage, wann die in Systemen gespeicherte Energie in solche
Energieanteile zerlegt werden kann und wie eine solche Aufteilung erfolgen muss. Betrachtet
man beispielsweise ein Segelschiff, das, wie in Abb. 2.11 gezeigt, beschleunigt wird, so kann
man feststellen, dass sich die kinetische Energie des Segelschiffs durch die mit der Impulszufuhr verbundene Zufuhr an Bewegungsenergie durch den Wind verändert. Möchte man das
Segelschiff wieder anhalten, so muss ein entsprechender Impuls in entgegengesetzter Richtung übertragen werden, der die kinetische Energie des Segelschiffs dann wiederum in einer
Energieform abführt. Das bedeutet, dass die kinetische Energie des Segelschiffs alleine durch
Impulsänderungen verändert werden kann, die kinetische Energie hängt also alleine vom Impuls ab.
Betrachtet man demgegenüber, wie in Abb. 2.12 dargestellt, das System eines Zylinders, in
dem ein Gas adiabat eingeschlossen ist (Zustand 1) und dem eine bestimmte Menge Energie
in Form von Volumenänderungsarbeit dWV zugeführt wird, so ändert sich die im Gas gespeicherte Energie E (Zustand 2). Diese Energie kann man dem Gas wieder entziehen, indem
man die gleiche Menge an Energie wieder als Volumenänderungsarbeit abführt (Zustand 3a).
Man kann sie dem Gas jedoch genauso gut entziehen, indem man ihm unter Beibehaltung des
Volumens Wärme entzieht (Zustand 3b). Das bedeutet im Gegensatz zu obigem Beispiel mit
dem Segelschiff, dass die durch die Zufuhr von Volumenänderungsarbeit, also unter Änderung der extensiven Zustandsgröße Volumen V, im Gas gespeicherte Energie unter Änderung
einer anderen extensiven Zustandsgröße, in diesem Fall der Entropie S, wieder abgeführt
werden kann. Der Teil des Systems „Gas“, der die Volumenänderungsarbeit aufgenommen
hat, kann also nicht unabhängig sein von dem Teil des Systems, der die Energie wieder in
Form von Wärme abgegeben hat.
2 Grundlagen der Energielehre
2-26
1
p1
V1
T1
S1
dWV
= -p dV
1-2
E1
dE/dt
2
p2 > p1
V2< V1
T2 >T1
S2= S1
E2
a)
2
p2
V2
T2
S2
2-3a
dWV
= -p dV
dE/dt
E2
3a
p3a < p2
V3a >V2
T3a< T2
S3a= S2
E3a
b)
2
p2
V2
T2
S2
2-3b
E2
dQ
=T dS
dE/dt
Abb. 2.12: In einem Gas gespeicherte Energie
3b
p3b < p2
V3b= V2
T3b< T2
S3b< S2
E3b
2 Grundlagen der Energielehre
2-27
Stellt man sich den in Abb. 2.12 gezeigten Zylinder insgesamt auf einen Eisenbahnwagen
montiert vor, so könnte man durch Impulszufuhr den Zylinder beschleunigen, d. h. die im
System Zylinder gespeicherte Energie entsprechend erhöhen. Dieser Teil der im Zylinder
gespeicherten Energie kann jedoch nicht durch Volumenänderung in Form von Arbeit oder
als Wärme abgegeben werden, sondern vielmehr immer nur durch Änderung der Zustandsgröße des Impulses. Dieser Energieanteil ist also unabhängig von dem anderen Energieanteil,
der mit der Volumenänderungsarbeit und der Wärme zusammenhängt. Man nennt diesen
Energieanteil, wie bereits oben eingeführt, die kinetische Energie.
Genauso verhält es sich mit dem Segelschiff: Die Wärme, die das Segelschiff mit dem Wasser austauschen kann, hat keinerlei Einfluss auf die kinetische Energie des Schiffs, wenngleich sie natürlich die im System Segelschiff gespeicherte Energie verändert. Die kinetische
Energie lässt sich also nur im Zusammenhang mit einer Impulsänderung verändern, sie ist
damit unabhängig von allen anderen Zustandsgrößen des Systems.
Allgemein lässt sich nach [Falk und Ruppel, 1976] feststellen, dass es für die Zerlegung der
Energie E eines Systems in Anteile Ei notwendig ist, dass sich das System selbst in voneinander unabhängige Teilsysteme zerlegen lässt:
E = ∑ Ei ( Xi,1 , Xi,2 ,..., Xi,k )
( 2.37 ),
wobei Xi,j die unabhängigen Zustandsgrößen sind, von denen der Energieanteil Ei abhängt.
In anderen Worten bedeutet dies, dass der Energieanteil eines Teilsystems Energie nur über
extensive Größen austauschen kann, von denen die anderen Teilsysteme unabhängig sind.
Solche für energietechnische Systeme typischen Energieanteile sollen im Folgenden vorgestellt werden.
• Kinetische Energie:
Die kinetische Energie ist die „Energie der trägen Masse“, d. h. sie ist der Energieanteil, der in einem massebehafteten Körper dadurch gespeichert ist, dass dieser sich mit
einer bestimmten Geschwindigkeit fortbewegt:
Ekin =
1
m v2
2
( 2.38 ).
Dabei ist m die Masse und v der Betrag der Geschwindigkeit des Körpers oder Systems.
Die kinetische Energie eines Körpers oder Systems kann nur dadurch geändert wer→
den, dass der Impuls J des Systems sich ändert. Sie ist damit die Energie eines vom
Rest des Systems unabhängigen Teilsystems. Die kinetische Energie ist also alleine
→
von der Zustandsgröße des Impulses J des Systems abhängig:
2 Grundlagen der Energielehre
2-28
Ekin
r
r
r
J
J
r J
r r 1 r r
1 2 1
= f J = ∫ dWB = ∫ v dJ = ∫ J dJ =
J = m v2
2m
2
m0
0
0
()
( 2.39 ).
Darin enthalten ist auch der Teil der in einem rotierenden Körper gespeicherten Enerr
gie, die abhängig von der Geschwindigkeit v ist (s. o.), d. h. die Energie eines nicht
um sich selbst rotierenden Körpers.
Als Beispiel kann man eine mittelalterliche Kanonenkugel betrachten, die aufgrund
ihrer Masse und Geschwindigkeit eine bestimmte Menge kinetischer Energie enthält.
Trifft diese Kugel auf eine Stadtmauer, so wird die in der Kanonenkugel enthaltene
kinetische Energie über eine Prozessenergieform an die Stadtmauer übertragen, die
dabei beschädigt oder zerstört wird. Auch die Strömung des Wassers in Flüssen bzw.
der Wind, der nichts anderes als eine Luftströmung ist, enthalten kinetische Energie,
die in entsprechenden Wasserkraftwerken oder Windkraftanlagen nutzbar gemacht
werden kann.
• Potentielle Energie:
Die potentielle Energie entspricht der „Energie der schweren Masse“. Sie ist die Energie, die ein massebehafteter Körper aufgrund seines Orts in einem konservativen
Kraftfeld (s. o.) hat. Für die potentielle Energie gilt allgemein:
r r r
r r
E pot = − gradφ ⋅ (r − r0 ) = F ⋅ (r − r0 )
( 2.40 ),
wobei →
r 0 den Ortsvektor im Referenzzustand, r→ den Ortsvektor des Körpers, φ die Po→
tentialfunktion des Kraftfelds und F die Kraft, die das konservative Kraftfeld auf den
Körper ausübt, bezeichnen.
Im gegebenen Kraftfeld ist die potentielle Energie also eine alleine vom Ort des Systems abhängige Zustandsgröße:
r
r
E pot
r
r
r r
= f ( r ) = ∫ − gradφ ⋅ dr = − gradφ ⋅ (r − r0 )
( 2.41 ).
r
r0
Ist das konservative Kraftfeld das Gravitationsfeld der Erde, so lässt sich die potentielle Energie eines Körpers der Masse m im Gravitationsfeld der Erde bezogen auf
eine Referenzhöhe h0 wie folgt angeben:
E pot = m g (h − h0 )
( 2.42 ).
Dabei steht g für die Erdbeschleunigung und h für die Höhe des Körpers. Die potentielle Energie eines Körpers der Masse m im Gravitationsfeld der Erde ist also alleine
von der Höhe h abhängig. Die Referenzhöhe h0 kann dabei beliebig gewählt werden,
da für technische Zwecke nur Differenzen der potentiellen Energie von Bedeutung
sind.
2 Grundlagen der Energielehre
2-29
Bei Pumpspeicherkraftwerken wird beispielsweise die höhere potentielle Energie des
Wassers im Oberbecken (Stausee) genutzt, um Energie zu speichern. Während Zeiten
geringer Nachfrage nach elektrischem Strom wird dem Kraftwerk Strom zugeführt,
das damit Wasser vom Unter- in das Oberbecken pumpt und so die potentielle Energie
des Wassers erhöht. Zu Zeiten hoher Stromnachfrage lässt man das Wasser wieder in
das Unterbecken strömen, das dabei unter Verringerung seiner potentiellen Energie
Strom erzeugt. Aber auch die Energie, die in einer gespannten Feder gespeichert ist,
ist potentielle Energie. So wird eine herkömmliche Armbanduhr dadurch angetrieben,
dass sich eine zuvor gespannte Feder entspannt. Die dabei verringerte potentielle
Energie der Feder treibt das Uhrwerk an.
• Innere Energie (Ruheenergie):
Betrachtet man demgegenüber Systeme, die sich in Ruhe und nicht in einem konservativen Kraftfeld befinden bzw. ihren Ort in einem solchen Kraftfeld nicht verändern,
so stellt man fest, dass auch solche Systeme gespeicherte Energie enthalten bzw. Energie unter Änderung der gespeicherten Energie austauschen können. Ein Beispiel
für solch ein System ist der ruhende Zylinder in Abb. 2.12.
Reale Systeme müssen also einen weiteren Energieanteil zusätzlich zur kinetischen
und potentiellen Energie enthalten, der die in einem ruhenden System gespeicherte
Energie beschreibt. Dieser Energieanteil wird daher „Ruheenergie“ oder speziell in
der Thermodynamik „innere Energie“ genannt. Er bezeichnet den Energieanteil, der
in der Materie eines Körpers oder Fluids gespeichert ist.
Die Thermodynamik betrachtet dabei üblicherweise Systeme, bei denen der Energieaustausch über die folgenden extensiven Größen vernachlässigt werden kann: Der
Austausch von Energie über den vom Impuls unabhängigen Drehimpuls, die Oberfläche und die extensiven Größen der elektrischen und magnetischen Felder. Das bedeutet, dass die „Ruheenergie“ oder „innere Energie“ in der Thermodynamik alleine von
den Zustandsgrößen des Volumens V, der Entropie S und den Teilchenmengen Ni der
Teilchensorten i abhängt. Damit lässt sich für die „Ruheenergie“ oder „innere Energie“, die in der Thermodynamik üblicherweise mit einem „U“ bezeichnet wird,
schreiben:
E Ruhe = U = f ( V , S, N1 , N 2 , ..., N k )
( 2.43 ).
Aus der Anschauung heraus ist einfach zu verdeutlichen, dass sich dieser Energieanteil nicht weiter aufgliedern lässt: Eine Änderung des Energieanteils Ruheenergie, die
mit der Änderung der oben genannten Zustandsgrößen einhergeht, ist innerhalb des
Systems in den ungeordneten Bewegungen der Moleküle, in den Bewegungen der
Elektronen und in den unterschiedlichsten Bewegungen und Kräften des atomaren
Aufbaus der Materie gespeichert. Es ist also kein unabhängiges Teilsystem der inneren Energie abzugrenzen, das sich z. B. nur bei Wärmeübertragung, nur bei chemischen Reaktionen oder nur bei Kernreaktionen verändert. Läuft eine Kernreaktion ab,
so ändert sich die Ruheenergie des Systems. Es verändert sich aber möglicherweise
2-30
2 Grundlagen der Energielehre
zugleich auch seine chemische Reaktionsfähigkeit, so dass keine unabhängigen Teilsysteme der Ruheenergie etwa für chemische Reaktionen oder Kernreaktionen festzulegen sind. Dieser Sachverhalt lässt sich auch mathematisch nachweisen, wie in [Falk
und Ruppel, 1976] gezeigt wird.
Die Gibbs’sche Fundamentalgleichung, die in Gl. ( 2.6 ) allgemein formuliert wurde,
nimmt für Systeme, bei denen nur die mit der inneren Energie ausgetauschten Energieformen von Bedeutung sind, die folgende in der Thermodynamik gebräuchliche
Form an:
dU = T dS − p dV + ∑ μ i dni
( 2.44 ).
i
Die an dieser Stelle eingeführte Unterteilung der in einem System gespeicherten Energie in
die Energieanteile kinetische, potentielle und innere Energie muss damit natürlich noch lange
nicht vollständig sein. Es sind nur die in der Thermodynamik am häufigsten vorkommenden
Energieanteile aufgeführt. Betrachtet man beispielsweise zusätzlich noch elektrische oder
magnetische Felder, die durch Feldänderungen oder Ladungsverschiebungen Energie mit der
Umgebung austauschen können, so stellt man bei der Bilanzierung solcher Systeme fest, dass
auch in elektrischen bzw. magnetischen Feldern Energie gespeichert werden kann. Dies soll
an dieser Stelle allerdings nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
2.1.1.2 Wandlung, Speicherung und Übertragung von Energie
Im vorangegangenen Abschnitt wurde festgestellt, dass Energie in zwei prinzipiell unterschiedlichen Arten auftreten kann: als Prozessenergie und als gespeicherte Energie.
Prozessenergie kann dabei in unterschiedlichen Formen zwischen verschiedenen physikalischen Systemen übertragen werden und innerhalb der Systeme von einer oder mehreren Formen in eine oder mehrere andere Formen umgewandelt werden. Solche Systeme bezeichnet
man als Energiewandler. Beachtet man, dass Energie nur als Prozessenergie von Systemen
aufgenommen oder abgegeben werden kann, so wird schnell klar, dass eine Energieübertragung zwischen Systemen ebenfalls nur durch Prozessenergieformen möglich ist. Wird von
einem System Prozessenergie abgegeben bzw. aufgenommen, so wird diese immer auf ein
anderes System, das ggf. auch die Umgebung sein kann, übertragen, da Energie nach dem
Energieerhaltungssatz weder verschwinden noch entstehen kann.
Zusätzlich zur Eigenschaft der Energiewandlung können Systeme auch als Energiespeicher
auftreten, d. h. sie speichern aufgenommene Prozessenergie bzw. geben Prozessenergie dadurch ab, dass sie die innerhalb des Systems gespeicherte Energie verringern. Die allgemeinen energetischen Zusammenhänge eines physikalischen Systems sind in Abb. 2.2 dargestellt. Abb. 2.13 zeigt die allgemeinen Zusammenhänge der Energiewandlung, -speicherung
und -übertragung auf.
Betrachtet man reale Systeme, so stellt man fest, dass sie häufig beide Eigenschaften vereinigen: Sie sind zu einem Teil sowohl Energiewandler als auch Energiespeicher (s. z. B. Abb.
2 Grundlagen der Energielehre
2-31
2.4). Bedingung ist jedoch in jedem Fall, dass der erste Hauptsatz der Thermodynamik erfüllt
ist.
Systeme, die Energie ausschließlich wandeln, nicht aber speichern, bezeichnet man als „stationäre“ Systeme, da sie ihren Zustand über der Zeit nicht ändern (s. z. B. Abb. 2.3). Systeme,
die ihren Zustand mit der Zeit ändern, also Energie speichern, bezeichnet man als „instationäre“ Systeme. Dabei ist festzustellen, dass das Verhalten eines Systems nicht als eine unveränderliche Eigenschaft zu betrachten ist, sondern sich durchaus verändern kann. So kann
z. B. beim Anfahren eines Kraftwerksgenerators festgestellt werden, dass er bis zum Erreichen der Synchrondrehzahl eine instationäre Betriebsweise aufweist, danach, wenn die Last
konstant bleibt, aber ohne Veränderung seines eigenen Zustands, also stationär, die zugeführte Rotationsarbeit der Antriebswelle in elektrischen Strom und Abwärme umwandelt.
Energieübertragung
Energiewandlung
System A
dEA /dt
System B
{
E2
E3
.
Prozeßenergieformen E
{
Energiespeicherung
Energiewandlung
+
Energiespeicherung
E1
E4
E5
i
E6
System C
Energiewandlung
+
Energiespeicherung
Abb. 2.13: Energiewandlung, -speicherung und -übertragung
Zur übergreifenden Betrachtung von Energiesystemen werden in aller Regel stationäre Zustände der Energiewandler betrachtet, wenn man von speziellen Systemen zur Energiespeicherung wie Speicherkraftwerken, Akkumulatoren etc. absieht. Instationäre An- und Abfahrvorgänge bleiben bei der übergreifenden Betrachtung von Energiesystemen üblicherweise
unberücksichtigt.
2-32
2 Grundlagen der Energielehre
Betrachtet man die Energiewandlungsvorgänge in Systemen genauer, so stellt man fest, dass
häufig eine spezielle Energieform für einen bestimmten Zweck bereitgestellt werden soll. So
benötigt man zur Aufrechterhaltung der Raumtemperatur im Winter beispielsweise Wärme
oder zum Lesen Licht, was nichts anderes als eine spezielle Form der elektromagnetischen
Strahlungsenergie ist. Dabei stellt sich die Frage, welchen Gesetzmäßigkeiten Energieumwandlungen unterliegen, denn Aufgabe der Energietechnik ist es, die für einen bestimmten
Zweck benötigte Energieform bereitzustellen.
2 Grundlagen der Energielehre
2-33
2.1.2 Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz)
Als Beispiel wird zunächst ein stationärer Energiewandler betrachtet, der einen Wärmestrom
•
Q bei einem bestimmten Temperaturniveau T aufnimmt und diesen in die gewünschte Ener•
gieform mechanische Leistung W (Strom von Bewegungsarbeit) umwandelt. Die Energiebilanz nach dem ersten Hauptsatz ergibt sich für den stationären Fall unter der Voraussetzung,
•
•
dass das System nur den Wärmestrom Q und die mechanische Leistung W über die Systemgrenzen austauscht, zu:
dU & &
= Q−W = 0
dt
( 2.45 ).
•
•
Das heißt, dass die zu gewinnende mechanische Leistung W dem zugeführten Wärmestrom Q
•
•
•
entsprechen muss ( W = Q ), wenn der Wärmestrom Q nicht teilweise auch in andere Energieformen umgewandelt wird. Einen solchen Energiewandler zeigt Abb. 2.14.
Leider lässt sich solch ein Energiewandler nicht realisieren, wie
Wärme
[Planck, 1887] formulierte: „Es ist
unmöglich, eine periodische MaQ= T S
schine zu konstruieren, die weiter
nichts bewirkt als Hebung einer
Last unter Abkühlung eines Wärmereservoirs“. Was nichts anderes
ist als der in Abb. 2.14 gezeigte
Energiewandler W = ω L mech.
Energiewandler, denn die Zufuhr
Arbeit
stationär: dXi/dt = 0
von Wärme zum Energiewandler
entspricht der Abkühlung eines
Wärmereservoirs und die Hebung
einer Last der Verrichtung einer
Abb. 2.14: Gedachter Energiewandler nach dem
mechanischen Arbeit. Man nennt
ersten Hauptsatz
einen solchen gedachten Energiewandler deshalb auch ein „perpetuum mobile 2. Art“ [Baehr, 1992], da er zwar dem ersten
Hauptsatz der Thermodynamik genügt, aber diese weitere fundamentale Erkenntnis verletzt.
Untersucht man die physikalischen Zusammenhänge der in Abb. 2.14 gezeigten Energiewandlung näher, so stellt man fest, dass, wie bereits in Abschnitt 2.1.1.1 eingeführt, alle
übertragenen Prozessenergieströme mit der Übertragung einer anderen extensiven Größe
verbunden sind. Der zugeführte Wärmestrom ist, wie in Abb. 2.15 gezeigt, immer mit einem
•
•
Entropiestrom S verbunden, der Strom der Bewegungsarbeit W (mechanische Leistung) mit
•
einem Drehimpulsstrom L (Drehmoment):
Q&
S& =
T
und
W&
L& =
ω
( 2.46 ).
2-34
2 Grundlagen der Energielehre
Für Impuls und Drehimpuls gilt nach den physikalischen Grundsätzen der Mechanik ein Erhaltungssatz. Dieser ist im Falle des Energiewandlers in Abb. 2.15, den man auch als „Wärmekraftmaschine“ bezeichnet, durch das Widerlager des Motors oder der Turbine erfüllt.
Dort nimmt die Wärmekraftmaschine einen entsprechenWärme
den Drehimpulsstrom von der
Erde auf, der wegen ω = 0
Q= T S
nicht mit einem Strom an
S
Bewegungsarbeit (mechaniW=ωL
scher Leistung) verbunden
Widermech.
Energiewandler
lager
Arbeit
ist.
stationär: dXi /dt = 0
L
L
Zusammen mit der Wärme
Q0= T 0 S
fließt Entropie in das System
S
ein. Da gemeinsam mit der
Abwärme
mechanischen Arbeit keine
Entropie dem System entAbb. 2.15: Ideale Wärmekraftmaschine
nommen wird, muss diese
dort entweder vernichtet oder
gespeichert werden. Eine
Speicherung scheidet aus, da
das System vereinbarungsgemäß stationär betrieben wird, d. h. sein Zustand ändert sich nicht.
Die Vernichtung scheidet ebenfalls aus, da ein weiterer Erfahrungssatz der Thermodynamik,
der „zweite Hauptsatz“, eine Vernichtung von Entropie verbietet. Eine Formulierung des
zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik lautet [Stephan und Mayinger, 1990]:
„Es existiert eine Zustandsgröße S, die Entropie eines Systems, deren zeitliche Änderung
•
•
dS/dt sich aus der Entropieströmung S und der Entropieerzeugung Si zusammensetzt.
Für die Entropieerzeugung gilt:
•
Si = 0 für reversible Prozesse,
•
Si > 0 für reale Prozesse,
•
Si < 0 nicht möglich.“
Wird Entropie bei Prozessen erzeugt, kann sie also durch nichts mehr „aus der Welt“ geschafft werden. Sie kann zwar durch Übertragung auf ein anderes System übertragen werden,
aber innerhalb eines abgeschlossenen Systems kann sie nur gleich bleiben oder ansteigen.
Die Entropie oder noch konkreter die Entropieerzeugung ist demnach ein physikalisches Maß
für die Unumkehrbarkeit oder „Irreversibilität“ von Prozessen.
Der zweite Hauptsatz legt also fest, dass auch im idealen Fall eines reversiblen Prozesses,
nicht die gesamte einem stationären Energiewandler zugeführte Wärme in mechanische Ar•
beit umgewandelt werden kann. Es muss ein Teil Q0 der Wärme an die Umgebung abgegeben werden. Dieser Teil bestimmt sich im stationären, reversiblen Fall aus folgender Entropiebilanz:
2 Grundlagen der Energielehre
dS & &
= S − S0 = 0
dt
2-35
( 2.47 ).
Die bei Umgebungstemperatur T0 abzuführende Wärme berechnet sich also zu:
T
Q& 0 = T0 S&0 = T0 S& = 0 Q&
T
( 2.48 ).
Damit lässt sich die nach dem ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik aus einem
Wärmestrom maximal gewinnbare mechanische Leistung aus dem ersten Hauptsatz (für stationäre Systeme gilt dU/dt = 0)
dU & & &
= Q − W − Q0 = 0
dt
( 2.49 )
T
W& = Q& − Q& 0 = ⎛⎜1 − 0 ⎞⎟ Q&
⎝
T⎠
( 2.50 ).
berechnen:
Ein Wärmestrom, der bei einer bestimmten Temperatur zur Verfügung steht, lässt sich also
nur mit einem maximalen Wirkungsgrad von
η th =
T
Nutzen
W&
= & = 1− 0
Aufwand Q
T
( 2.51 )
in mechanische Leistung umwandeln. Man nennt diesen Wirkungsgrad, der eine physikalisch
bedingte Grenze für die Umwandlung von Wärme einer bestimmten absoluten Temperatur T
in mechanische Arbeit angibt, den „thermischen“ oder, wenn - wie hier - T0 der Umgebungstemperatur entspricht, den „Carnot’schen“ Wirkungsgrad (zu Ehren des „ersten“ Thermodynamikers N. L. S. Carnot (1796-1832) benannt).
Es lässt sich also physikalisch eindeutig festlegen, welcher Teil einer Wärme sich im idealen
Fall und bei definierten Umgebungsbedingungen in Arbeit umwandeln lässt. Auch für andere
Energieformen lässt sich dieser in Arbeit umwandelbare Teil mit Hilfe der Entropie bestimmen. Da Arbeit eine im technischen Bereich sehr wichtige Energieform ist, wurde zur Kennzeichnung des Anteils einer Energie, der sich in Arbeit umwandeln lässt, von [Rant, 1956]
der Begriff der „Exergie“ (von griechisch „ex ergon“ = Arbeit, die man (aus einem System)
herausholen kann) eingeführt.
Für die Exergie gilt entsprechend dem zweiten Hauptsatz kein Erhaltungssatz. Exergie kann
nicht erzeugt werden, jedoch wird Exergie bei realen Prozessen, bei denen Entropie erzeugt
wird, vernichtet. Bei reversiblen Prozessen bleibt die Exergie erhalten. Exergieverluste charakterisieren somit wie die Entropieerzeugung Irreversibilitäten.
2 Grundlagen der Energielehre
2-36
Wird Exergie Ex vernichtet, so wird sie in „Anergie“ A umgwandelt. Als „Anergie“ wird der
Teil einer Energie E bezeichnet, der sich nicht in Arbeit umwandeln lässt, also nicht Exergie
ist. Es gilt somit allgemein:
E = Ex + A
( 2.52 ).
Als Beispiel ergibt sich die Exergie Ex einer Wärme Q, die bei der absoluten Temperatur T
zur Verfügung steht zu:
T
E x = ⎛⎜1 − 0 ⎞⎟ Q
⎝
T⎠
( 2.53 ),
wobei T0 die Temperatur der Umgebung bezeichnet. Tab. 2.4 soll veranschaulichen, wie viel
Exergie die bei einer bestimmten Temperatur verfügbare Wärme enthält, wenn man die Temperatur der Umgebung zu 293,15 K setzt.
Weitere Beispiele für Exergien von Energieanteilen und Energieformen enthält Tab. 2.3, wobei sich Größen mit dem Index 0 immer auf die Umgebungsbedingungen beziehen.
Tab. 2.3: Korrespondierende Exergie einiger Energieanteile bzw. Energieformen
Energieanteil / Energieform
kinetische Energie Ekin =
1
m v2
2
Exergie
Ex =
(
1
m v 2 − v02
2
)
potentielle Energie E pot = m g (h − h0 )
E x = m g (h − h0 )
innere Energie U
E x = U − U0 − T0 ( S − S0 ) + p0 (V − V0 )
Arbeit (ohne Volumenänderung) Wt,12
E x ,12 = Wt ,12
Arbeit (mit Volumenänderung) W12
E x,12 = W12 − p0 (V2 − V1 )
Wärme Q12
T
E x ,12 = ⎛⎜1 − 0 ⎞⎟ Q12
⎝
T⎠
Enthalpiestrom H&
E& x = H& − H& 0 − T0 S& − S&0
Verbrennungsenthalpie Δhu
e x ≈ Δhu
Reaktionsenthalpie ΔhR
e x = ΔhR − T0 ( s& − s&0 )
elektrische Leistung W& el = Uel I
E& x ≈ W& el
(
)
2 Grundlagen der Energielehre
2-37
Tab. 2.4: Exergien von Wärmen bei verschiedenen Temperaturen
Temperatur, bei der Wärme verfügbar ist
Anteil der Exergie
bei Umgebungstemperatur T0 = 293,15 K
1273,15 K
77 %
773,15 K
66 %
373,15 K
21 %
313,15 K
6%
295,15 K
0,7 %
293,15 K
0%
273,15 K
7%
263,15 K
11 %
193,15 K
34 %
2.1.3 Thermodynamische Eigenschaften der Materie
Da Energieumwandlungen eng mit den Eigenschaften von Materie verknüpft sind, ist die
Beschreibung der Eigenschaften der Materie ebenfalls ein wichtiges Gebiet der Thermodynamik [Stephan und Mayinger, 1990]. Speziell Zusammenhänge zur Beschreibung wichtiger
thermodynamischer Zustandsgrößen mit Hilfe experimentell einfach zu ermittelnder Größen,
wie die Temperatur, der Druck oder das Volumen, sind zur quantitativen Beschreibung von
physikalischen Systemen unentbehrlich.
Darauf soll im Folgenden, soweit für das Verständnis der energietechnischen Zusammenhänge wichtig, eingegangen werden. Da es um Eigenschaften von Materie geht, werden in der
Regel spezifische Größen, d. h. massebezogene Größen, die durch kleine Buchstaben gekennzeichnet sind, verwendet.
2.1.3.1 Die kalorischen Zustandsgleichungen
Es ist uns allen aus der Erfahrung her vertraut, dass, wenn man einem Körper oder einem
Fluid Wärme zuführt, sich dessen Temperatur erhöht. Eine Ausnahme liegt nur dann vor,
wenn ein Phasenübergang vorliegt, d. h. geschmolzen oder verdampft wird (s. Abschnitt 2.1.3.2) oder Reaktionen ablaufen.
2-38
2 Grundlagen der Energielehre
Auch wenn man einem System Volumenänderungsarbeit zuführt, kann man eine Temperaturerhöhung beobachten. Komprimiert man beispielsweise ein Gas, so erwärmt es sich, was
physikalisch korrekt gesprochen eine Erhöhung der Temperatur bedeutet.
Betrachtet man alle diese Prozesse, so haben sie gemeinsam, dass durch die Zufuhr von Prozessenergie die innere Energie des Systems erhöht wird. Lässt man Änderungen der Teilchenmengen außer acht (dni = 0), so kann in der Thermodynamik die innere Energie eines
Systems lediglich durch Prozessenergieaustausch in Form von Wärme und Volumenänderungsarbeit, die mit einer Änderung der extensiven Zustandsgrößen Entropie und Volumen
verknüpft sind, verändert werden. Die innere Energie kann also durch die beiden Zustandsgrößen Entropie s und Volumen v festgelegt werden (s. Abschnitt 2.1.1.1):
u = u( s, v)
( 2.54 ).
Die innere Energie u eines Systems lässt sich also durch zwei andere unabhängige Zustandsgrößen beschreiben. Diese Zustandsgrößen müssen aber nicht notwendigerweise die Entropie
s und das Volumen v sein. Die innere Energie kann vielmehr als Funktion von je zwei beliebigen, unabhängigen Zustandsgrößen des Systems beschrieben werden.
Ersetzt man also die Zustandsgröße Entropie s durch die einfacher zu messende intensive
Zustandsgröße Temperatur T, so ist die innere Energie durch T und v erneut eindeutig beschrieben:
u = u( T , v)
( 2.55 ).
Betrachtet man nun eine Änderung der inneren Energie u, so folgt aus Gl. ( 2.55 ):
⎛ ∂u ⎞
⎛ ∂u ⎞
du = ⎜ ⎟
dT + ⎜ ⎟
dv
⎝ ∂T ⎠ v = const .
⎝ ∂v ⎠ T =const .
( 2.56 ),
wobei man die partielle Ableitung der spezifischen inneren Energie u nach der Temperatur T
bei konstantem Volumen als „spezifische Wärmekapazität bei konstantem Volumen“ bezeichnet. Da die das Verhalten des Stoffes, dessen innere Energie geändert wurde, charakterisiert, wird sie als Stoffwert bezeichnet. Sie ist für viele Stoffe vertafelt [Stephan und Mayinger, 1990], [Dubbel, 1992], [Baehr, 1992] etc.:
⎛ ∂u ⎞
= cv
⎜ ⎟
⎝ ∂T ⎠ v = const .
( 2.57 ).
Sie lässt sich leicht dadurch ermitteln, dass man einem Stoff eine bestimmte Menge Wärme
bei konstantem Volumen zuführt. Aus der gemessenen Temperaturerhöhung lässt sich dann
die Wärmekapazität bei konstantem Volumen Cv = m cv , oder wenn sie auf die Teilchenmenge n bezogen wird, die molare Wärmekapazität Cv = 1 / n Cv = M cv bei konstantem Volumen ermitteln (M = m/n bezeichnet die Molmasse).
2 Grundlagen der Energielehre
2-39
Für die Enthalpie h als Funktion der intensiven Zustandsgrößen Temperatur T und Druck p
kann man analog verfahren. Führt man einem Stoffstrom Prozessenergie zu, so verändert sich
seine Enthalpie:
⎛ ∂h ⎞
⎛ ∂h ⎞
dh = ⎜ ⎟
dT + ⎜ ⎟
dp
⎝ ∂T ⎠ p=const .
⎝ ∂p ⎠ T =const .
( 2.58 ).
Die partielle Ableitung der spezifischen Enthalpie h nach der Temperatur T bei konstantem
Druck p nennt man „spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck“ cp. Sie lässt sich
bestimmen, wenn man die Temperaturänderung eines Stoffes misst, dem bei konstantem
Druck eine bestimmte Wärmemenge zugeführt wird.
⎛ ∂h ⎞
= cp
⎜ ⎟
⎝ ∂T ⎠ p=const .
( 2.59 ).
In der Thermodynamik bedient man sich zur Berechnung von Zustandsänderungen häufig
zweier Stoffmodelle, die zwar die Realität nicht vollständig korrekt wiedergeben, jedoch unter bestimmten Voraussetzungen hinreichend genau sind und eine erhebliche Vereinfachung
ermöglichen: Es ist das Modell des idealen Gases und das der inkompressiblen Flüssigkeit.
Das Modell des idealen Gases geht davon aus, dass sich alle Gasteilchen vollkommen unabhängig voneinander bewegen können. Dies trifft zwar für reale Gase nicht zu, ist aber bei
geringen Drücken meist näherungsweise erfüllt, so dass in diesem Bereich ohne großen Fehler mit dieser Näherung gerechnet werden darf.
Dabei weist das ideale Gas als Eigenschaft die Besonderheit auf, dass seine innere Energie
bzw. Enthalpie alleine von der Temperatur abhängt [Stephan und Mayinger, 1990]. Das hat
zur Folge, dass die kalorischen Zustandsgleichungen für ideale Gase eine besonders einfache
Form annehmen:
du = cv dT
und
dh = c p dT
( 2.60 ).
Das Modell der inkompressiblen Flüssigkeit geht davon aus, dass sich eine Flüssigkeit bei
Druckerhöhung nicht komprimieren lässt. Auch das ist bei realen Flüssigkeiten nur bis zu
mäßigen Drücken mit genügend genauer Näherung der Fall, so dass in diesen Fällen dieses
vereinfachte Modell zur Anwendung kommen kann. Dies führt dazu, dass die spezifischen
Wärmekapazitäten bei konstantem Druck und konstantem Volumen gleich sind, d. h. es gilt
für inkompressible Flüssigkeiten:
cv = c p = c
( 2.61 ).
2 Grundlagen der Energielehre
2-40
Auch bei inkompressiblen Flüssigkeiten sind die innere Energie und die Enthalpie alleine von
der Temperatur abhängig, da voraussetzungsgemäß keine Volumenarbeit verrichtet werden
kann. Dies führt zu der einfachen Form der kalorischen Zustandsgleichung für inkompressible Flüssigkeiten:
du = dh = c dT
( 2.62 ).
2.1.3.2 Phasenübergänge
Liegen Phasenübergänge im System vor, d. h. wird verdampft, geschmolzen, kondensiert,
erstarrt oder sublimiert, so gelten die in Abschnitt 2.1.3.1 dargestellten kalorischen Zustandsgleichungen nicht. Dies ist uns ebenfalls aus dem Physikunterricht vertraut, wo man bereits
feststellte, dass bei der Verdampfung einem System Wärme zugeführt wird, ohne dass sich
die Temperatur erhöht.
Natürlich wird die bei einem Phasenwechsel zugeführte Prozessenergie wie gewohnt in der
inneren Energie des Systems gespeichert, doch lässt sich diese Änderung der inneren Energie
bei einem Phasenwechsel nicht mit Hilfe einer kalorischen Zustandsgleichung beschreiben.
Dies ist nur bei Zustandsänderungen ohne Phasenwechsel (und Reaktionen) der Fall.
Versucht man dieses Phänomen physikalisch zu deuten, so kann man die Erhöhung der inneren Energie in Fluiden ohne Phasenwechsel als eine Verstärkung der Bewegungen der einzelnen Moleküle eines Stoffes ansehen. Vollzieht sich ein Phasenwechsel, wird die zugeführte Energie im Gegensatz dazu zur Aufhebung der zwischen den einzelnen Molekülen bestehenden Bindungskräfte genutzt, die in Feststoffen und auch, in geringerem Maße, in Flüssigkeiten vorhanden sind.
Für technische Zwecke führt man zur Erfassung der Änderung der inneren Energie bei einem
Phasenwechsel die sogenannte Phasenwechselenergie ein. Da in der Technik Phasenwechsel
meist bei konstantem Druck durchgeführt werden, ist die „Phasenwechselenthalpie“ die gebräuchlichere Größe, da sie die bei Prozessen mit konstantem Druck zur Volumenänderung
nötige Volumenänderungsarbeit bereits berücksichtigt. Man nennt die „Phasenwechselenthalpien“ nach den von ihnen beschriebenen Phasenwechseln „spezifische Verdampfungsenthalpie“ ΔhV, „spezifsche Schmelzenthalpie“ ΔhS oder „spezifische Sublimationsenthalpie“ ΔhSV. Da Verdampfen, Schmelzen und Sublimieren in der Regel reversible Vorgänge
sind, entsprechen diese Enthalpien auch denen, die bei den umgekehrten Phasenwechseln
auftreten.
Möchte man beispielsweise die Enthalpieerhöhung bestimmen, die Wasser der Temperatur T1
in den Zustand des Wasserdampfs der Temperatur T2 bei konstantem Druck übergehen lässt,
so kann man sie nach der folgenden Gleichung berechnen:
h2 − h1 = cWasser (TS − T1 ) + Δ hV + cp, Dampf (T2 − TS )
( 2.63 ).
Dabei ist TS die Sättigungstemperatur, d. h. die Temperatur, bei der beim vorliegenden Druck
die Verdampfung abläuft.
2 Grundlagen der Energielehre
2-41
2.1.3.3 Zustandsdiagramme
Da bei einphasigen thermodynamischen Systemen Zustände durch zwei unabhängige Zustandsgrößen beschrieben werden können, lassen sich solche Zustände anschaulich in sogenannten Zustandsdiagrammen darstellen. Prinzipiell sind alle Kombinationen zweier unabhängiger Zustandsgrößen für Zustandsdiagramme geeignet, es haben sich jedoch einige spezielle Diagramme als für technische Zwecke besonders geeignet herausgestellt.
Diese sind das p-v-, das T-s- und das h-s-Diagramm, die schematisch in Abb. 2.16 bis Abb.
2.18 zu sehen sind. Um Prozessabläufe darstellen zu können, bei denen eine Zustandsgröße
konstant gehalten wird, werden in diesen Diagrammen Linien eingetragen, die dieser konstanten Zustandsgröße entsprechen. Man nennt
• Prozesse bei konstantem Volumen isochor (v = konst.),
• Prozesse bei konstantem Druck isobar (p = konst.),
• Prozesse bei konstanter Temperatur isotherm (T = konst.),
• Prozesse bei konstanter Entropie isentrop (s = konst.),
• Prozesse, bei denen keine Wärme übertragen wird, adiabat (dq = 0), wobei ein reversibel
adiabater Prozess einem isentropen Prozess entspricht.
Außerdem kann man die Siede- und die Taulinien in diese Diagrammen eintragen, die die
Zustände markieren, bei denen der Verdampfungs- bzw. Kondensationsvorgang beginnt. Im
Bereich zwischen diesen beiden Linien liegen zwei Phasen (Flüssigkeit und Dampf) gleichzeitig vor. Der Zustand in diesem sogenannten „Nassdampfgebiet“ ist also wegen des zusätzlichen Freiheitsgrads der Koexistenz zweier Phasen erst durch drei Zustandsgrößen festgelegt. Aus diesem Grund sind in diesem Bereich zusätzlich Linien konstanten Dampfgehalts x
eingetragen. Der Dampfgehalt bezeichnet den Anteil der Dampfmasse an der Gesamtmasse
des Systems.
2 Grundlagen der Energielehre
2-42
p
K
Ta
u
lin
l in ie
x=
ie
x=
0 ,6
,4
0,8
x=
1
x=0
,5
,2
x= 0
Siede
x= 0
x= 0
T=const
v
Abb. 2.16: p-v-Diagramm
nst
T
Flüssigkeit
Si
ed
n
el i
p=c
o
K
ie
überhitzter Dampf
Ta
u
Naßdampfgebiet
x=0
l in
ie
x=1
x=0,2
x=0,4
x=0,6
x=0,8
s
Abb. 2.17: T-s-Diagramm
2 Grundlagen der Energielehre
2-43
Im p-v-Diagramm, das in Abb. 2.16 dargestellt ist, sind die Isobaren waagerechte Linien und
die Isochoren senkrechte Linien. Die Isothermen verlaufen von links oben nach rechts unten
und sind im Nassdampfgebiet waagerecht, entsprechend der eingezeichneten Linien, da im
Nassdampfgebiet gilt, dass für p = konst. auch T = konst. ist. Oberhalb einer bestimmten
Temperatur und eines bestimmten Drucks, die durch den kritischen Punkt K festgelegt sind,
kann man die flüssige nicht mehr von der gasförmigen Phase unterscheiden, so dass kein
Phasenübergang mehr stattfinden kann. Die Siedelinie geht daher im kritischen Punkt K in
die Taulinie über.
Trägt man Zustandsänderungen in das p-v-Diagramm ein, so lässt sich die bei diesen Zustandsänderungen verrichtete Volumenänderungsarbeit wV,12 im p-v-Diagramm einfach ermitteln: Sie entspricht der Fläche unter der Kurve der Zustandsänderung:
2
wV ,12 = − ∫ p dv
( 2.64 ).
1
In Abb. 2.17 ist ein typisches T-s-Diagramm dargestellt. In diesem Diagramm sind die waagerechten Linien Isothermen und die senkrechten Isentropen. Die Isobaren verlaufen, wie
gezeigt, von links unten nach rechts oben und sind im Nassdampfgebiet waagerecht. Auch im
T-s-Diagramm ist der kritische Punkt deutlich zu erkennen.
Die bei einer Zustandsänderung übertragene Wärme q12 lässt sich im T-s-Diagramm einfach
ermitteln: Sie entspricht der Fläche unter der Kurve der Zustandsänderung:
2
q12 = ∫ T ds
1
( 2.65 ).
2 Grundlagen der Energielehre
2-44
co
ns
t
h
p=
T=const
Tauli
n
ie
x=1
Naßdampfgebiet
K
x=0,9
x=0,8
Si
ed
nie
i
l
e
x=0
x=0,3
x=0,7
x=0,6
x=0,5
x=0,4
x=0,2
s
Abb. 2.18: h-s-Diagramm
Die waagerechten Linien im in Abb. 2.18 dargestellten h-s-Diagramm entsprechen Isenthalpen, die senkrechten Isentropen. Die Isothermen verlaufen von links unten nach rechts und
die Isobaren von links unten nach rechts oben, wie in Abb. 2.18 gezeigt.
Die Bedeutung des h-s-Diagramms folgt aus der Tatsache, dass in der Technik häufig offene
Systeme betrachtet werden, die sich mit Hilfe der Enthalpie einfach beschreiben lassen. Idealisierte Prozesse, wie die bei einer adiabaten Zustandsänderung verrichtete Arbeit bzw. ein
isobarer Wärmeaustausch, sind dabei im h-s-Diagramm besonders leicht erfassbar, da sich
beide Prozesse durch Enthalpiedifferenzen darstellen lassen:
w12 = h2 − h1 bei dq = 0
bzw. q12 = h2 − h1 bei dp = 0
( 2.66 ).
2 Grundlagen der Energielehre
2-45
2.1.4 Maßeinheiten der Energie
Möchte man physikalische Größen quantifizieren, benötigt man Maßstäbe, mit deren Hilfe
man sie in absoluten Zahlen ausdrücken kann: die Maßeinheiten. Da die Energie, wie oben
gezeigt, eine Zustandsgröße ist, braucht man zu ihrer Quantifizierung eine Maßeinheit.
Die Einheit der Energie ist das „Joule“ (Zeichen: „J“), das dem SI-Standard entspricht und
seit dem 1.1.1978 in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich für die Energie vorgeschrieben ist. Es entspricht in den Basiseinheiten des internationalen SI-Standards ausgedrückt:
kg m 2
1 J =1
( = 1 Nm = 1 Ws = 1 VAs) .
s2
Beim Maßsystem des internationalen SI-Standards werden die Maßeinheiten für alle physikalischen Größen aus den sieben frei definierten Basiseinheiten der Basisgrößen gebildet. Die
Basisgrößen des SI-Systems mit den zugehörigen Basiseinheiten sind in Tab. 2.5 aufgeführt.
Tab. 2.5: SI-Basisgrößen und -einheiten [Stephan und Mayinger, 1990]
Basisgröße
Basiseinheit
Zeichen
Länge
Meter
m
Masse
Kilogramm
kg
Zeit
Sekunde
s
elektrische Stromstärke
Ampère
A
thermodynamische Temperatur
Kelvin
K
Stoffmenge
Mol
mol
Lichtstärke
Candela
cd
2 Grundlagen der Energielehre
2-46
Die Maßeinheiten können durch entsprechende Vorsätze in ihrer Größenordung um Zehnerpotenzen verändert werden. Die Vorsätze und ihre Zeichen sind mit den zugehörigen Zehnerpotenzen in Tab. 2.6 aufgelistet.
Tab. 2.6: Vorsätze der Maßeinheiten zur Kennzeichnung von Zehnerpotenzen
Vorsatz
Vorsatzzeichen
Zehnerpotenz
Vorsatz
Vorsatzzeichen
Deka
da
10
Hekto
h
10
Kilo
k
10
Mega
M
Giga
Zehnerpotenz
1
Dezi
d
10
2
Zenti
c
10
3
Milli
m
10
10
6
Mikro
µ
10
G
10
9
Nano
n
10
Tera
T
10
12
Piko
p
10
Peta
P
10
15
Femto
f
10
Exa
E
10
18
Atto
a
10
Zetta
Z
10
21
Zepto
z
10
Yotta
Y
10
24
Yocto
y
10
-1
-2
-3
-6
-9
-12
-15
-18
-21
-24
In der Literatur kommen neben dem „Joule“ als Einheit für die Energie noch eine Vielzahl
anderer Einheiten vor. Sie sind aufgrund ihrer teilweisen traditionellen Bedeutung auch heute
noch gebräuchlich und in Tab. 2.7 zusammengestellt. In Tab. 2.8 sind die entsprechenden
Umrechnungsfaktoren zwischen den gebräuchlichsten Einheiten dargestellt. Zur Umrechnung
3
der „natürlichen“ Einheiten, wie 1 bbl Öl oder 1 Nm Gas, beziehen sich die Zahlenangaben,
wie in den Energiebilanzen üblich, auf den Heizwert, wobei für Gas in Tab. 2.8 von dieser
Regel und den Energiebilanzen abgewichen wurde: Es wurde der Brennwert verwendet. Dabei ist zu beachten, dass die angenommenen Heiz- und Brennwerte nicht den tatsächlichen
Heiz- bzw. Brennwerten der natürlich vorkommenden Brennstoffe entsprechen, da diese aufgrund ihrer inhomogenen Zusammensetzung immer etwas schwanken.
Eine der neben dem „Joule“ gebräuchlichsten Einheiten der Energie kommt aus der Leistungsmessung. Die Leistung wird gemäß dem SI-Standard in „Watt“ (Zeichen: „W“) gemessen, was gemäß der physikalischen Definition dieser Größe als Energie oder Arbeit pro Zeit,
den folgenden Zusammenhang mit der Energie ergibt:
1 W =1
J
s
2 Grundlagen der Energielehre
2-47
Kennt man die Leistung eines bestimmten Prozesses, so lässt sich die Arbeit oder Energie
einfach dadurch angeben, dass man die Energie die der Prozess bei konstanter Leistung in
einer Stunde aufnimmt oder abgibt als Maßeinheit für die Energie einführt: Man erhält die
„Kilowattstunde“ (Zeichen: „kWh“).
1kWh = 1kW ⋅ 1 h = 1 k W ⋅ 3600 s = 3600 k J
Sie ist besonders im Bereich der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft die übliche Maßeinheit für
Energie.
Tab. 2.7: Gebräuchliche Einheiten für die Energie
Einheit
Zeichen
Umrechnung
Kilowattstunde
kWh
1 kWh = 3 600 kJ
Kalorie
cal
1 cal = 4,1868 J
Tonnen Steinkohleneinheiten
t SKE
1 t SKE = 29,308 GJ
Tonnen Rohöleinheiten
t RÖE
1 t RÖE = 41,868 GJ
Normkubikmeter Gas
Nm Gas
3
1 Nm = 35,169 MJ
Barrel Erdöl
bbl
1 bbl = 159 l ≈ 1/7 t
1 bbl Öl ≈ 5,981 GJ
3
Um einen Bezug zu den Größenordnungen der Energieeinheiten zu bekommen, sollen sie im
Folgenden anhand einiger Beispiele veranschaulicht werden:
• Zur Erwärmung von 1 l (entspricht ca. 1 kg) Wasser um 1 K sind ungefähr 4,2 kJ oder
1 kcal Wärme notwendig.
• Zum Verdampfen von 1 l Wasser bei Atmosphärendruck (d. h. bei ca. 100°C) sind ungefähr 2 260 kJ nötig.
• 1 J entspricht der Energie, die notwendig ist, um auf der Erde die Masse von 1 kg um etwa
10 cm hoch zu heben.
• Mit 1 kWh (entspricht 3 600 kJ) Energie kann man 10 l Wasser um ca. 85 K erhitzen.
• Mit 1 kWh Energie aus dem Kraftstoff kann ein Oberklassewagen mit einem spezifischen
Verbrauch von 10,5 l/100 km etwa 1 km weit fahren.
• Mit 1 kWh elektrischer Energie kann eine 100 W Glühbirne 10 h lang brennen.
• Ein Arbeiter, der 735 Säcke von je 50 kg eine 10 m hohe Treppe hinaufträgt, verrichtet
eine Nutzarbeit von etwa 1 kWh.
2 Grundlagen der Energielehre
2-48
Tab. 2.8: Umrechnungsfaktoren zwischen den gebräuchlichsten Energieeinheiten
Einheit
Umrechnungsfaktor zur Einheit
kJ
1 kJ
kcal
0,239
kWh
kg SKE
-4
2,78 10
-3
4,1868
1 kWh
3 600
860
1 kg SKE
29 308
7 000
8,14
1 kg RÖE
41 868
10 000
11,63
1,429
1 Nm Gas
35 169
8 405
9,769
1,200
1 Mio t SKE
29,308 PJ
7 Pcal
8,141 TWh
1 Mio t RÖE
41,868 PJ
10 Pcal
11,63 TWh
35,169 PJ
8,4 Pcal
9,7692 TWh
3
3
1 Mrd Nm Gas
1,163 10
-5
2,389 10
-4
1 10
3,412 10
1 kcal
1,429 10
0,123
kg RÖE
-5
-4
0,086
0,7
0,840
2.2 Bilanzierung von energietechnischen Systemen
Die Bereitstellung der jeweils benötigten Energieform ist für unser Wirtschaftssystem, aber
auch für unser tägliches Leben von entscheidender Bedeutung. Möchten wir beispielsweise
unser Mittagessen kochen, so benötigen wir dazu die Energieform Wärme. Wollen wir dagegen ein Buch lesen, so benötigen wir dazu die Energieform Strahlungsenergie (Licht), hätten
wir Energie in einer anderen Form, z. B. Wärme, vorliegen, so wäre sie uns völlig nutzlos.
Es ist also für unser Leben, wie auch für unser Wirtschaftssystem von entscheidender Bedeutung, die jeweils benötigte Energieform zur Verfügung zu haben. Die Bereitstellung von Energie zur rechten Zeit am rechten Ort geschieht durch verschiedenste technische Systeme,
die sowohl die Energiewandlung in die gewünschte Nutzenergieform als auch die Übertragung sicherstellen.
In Abschnitt 2.1.2 wurde bereits gezeigt, dass eine Umwandlung zwischen den Energieformen zwar dem Energieerhaltungssatz entsprechen muss, aber dass dies nicht gleichbedeutend
damit ist, dass sich eine Energieform ohne Einschränkungen in eine andere umwandeln lässt.
Das bedeutet, dass aus der vorliegenden Energieform möglicherweise bei der Umwandlung
nicht nur die gewünschte, sondern auch noch eine oder mehrere andere Energieformen entstehen. Diese nicht gewünschten und damit oft nicht nutzbaren Energieformen nennt man
Verluste.
2 Grundlagen der Energielehre
2-49
Dabei wurden in Abschnitt 2.1.2 vor allem die Einschränkungen aufgrund physikalischer
Gesetze aufgezeigt. Zusätzlich zu diesen Einschränkungen sind technische Systeme aufgrund
der Tatsache, dass ideale Maschinen und Übertragungssysteme nicht realisierbar sind, immer
auch mit zusätzlichen Verlusten verbunden.
Energie ist grundsätzlich eine knappe Ressource, da zum einen die Vorräte an nicht erneuerbaren Energien auf der Erde beschränkt sind und auch die regenerativen Energien nur einen
begrenzten Strom aufweisen1 und zum anderen knappe Ressourcen aufzuwenden sind, um die
Energievorräte und Energiequellen nutzbar zu machen. So ist die auf die Erde innerhalb einer
bestimmten Zeit eingestrahlte Sonnenenergie eine endliche Menge. Es ist also zur Beurteilung der Güte von Systemen von Bedeutung, wie viel Energie und andere knappe Ressourcen
eingesetzt werden müssen, um die gewünschte Energieform dem Nutzer zur Verfügung zu
stellen.
Zur vollständigen Beurteilung von Energiesystemen ist jedoch nicht nur die Güte der Energiewandlung und der Energieübertragung entscheidend, vielmehr sind durch umfangreiche
Analysen zusätzlich Erkenntnisse über weitere technische und wirtschaftliche Aspekte und
die Einflüsse auf die Umwelt zu betrachten. Dazu müssen quantitative Größen der Systeme
ermittelt werden, die sich in vielen Bereichen durch Bilanzierung über dem gesamten System
oder über bestimmten abgegrenzten Teilsystemen bestimmen lassen. Durch die Wahl geeigneter Bilanzgrenzen lassen sich so sowohl innere Zusammenhänge als auch gegenseitige Abhängigkeiten von Systemen untersuchen.
2.2.1 Grundlagen der technischen Bilanzierung
In der Physik gibt es neben der Energie noch eine Vielzahl weiterer bilanzierbarer extensiver
Größen, wie z. B. den Impuls, die Masse, die Teilchenmenge, die Entropie oder auch einzelne Energieformen. Sie alle haben gemeinsam, dass die zu ihrer Bilanzierung notwendigen
Bilanzgleichungen zwar teilweise, historisch bedingt, recht unterschiedliche Formen aufweisen, jedoch trotzdem auf eine gemeinsame Grundstruktur zurückzuführen sind. Alle Bilanzen
lassen sich auf nur drei grundsätzliche Vorgänge zurückführen:
• Speicherung,
• Übertragung bzw. Transport über die Systemgrenzen und
• Wandlung.
Woraus sich die allgemeine Form einer Bilanz ergibt:
Speicherung = Übertragung bzw. Transport + Wandlung
1
( 2.67 ).
Zwar ist auch die Sonnenenergie prinzipiell endlich, da die auf der Sonne ablaufenden Reaktionen aus einem
endlichen „Brennstoffreservoir“ gespeist werden, jedoch sind die „Vorräte“ auf der Sonne so groß, dass man sie
im Vergleich zu den nicht erneuerbaren Energiequellen auf der Erde als quasi unbegrenzt ansehen kann. Doch
sind trotz dieser Annahme die regenerativen Energien beschränkt: Ihr Strom, also die Energie pro Zeit, ist eine
endliche Größe.
2 Grundlagen der Energielehre
2-50
Für die Energie wurden diese drei Grundvorgänge und ihre Zusammenhänge bereits in Abschnitt 2.1.1.2 aufgezeigt.
Als Eingangsbeispiel soll die in Abb. 2.19a dargestellte Kohlemengenbilanz eines Kohlekraftwerks betrachtet werden. Da die Kohlemenge betrachtet werden soll, ist die Bilanzgröße
die Kohlemenge. Auf Grund der drei genannten Vorgänge lassen sich die Veränderung der
innerhalb der Systemgrenze im Kohlebunker gespeicherten Kohlemenge ΔnK, die innerhalb
eines Zeitraums Δt12 in das System transportierte Kohlenmenge (Übertragung über die Systemgrenze) ΔnK,12 und die innerhalb dieses Zeitraums Δt12 im Kraftwerk verbrannte (gewandelte) Kohlemenge ΔΓ12nK unterscheiden.
Kohlemenge nK
Zeitraum Δt12
Kraftwerk
ΔnK,12
Mengenbilanz
Kohlebunker
n
ΔnK = ΔnK,12 – ΔΓ12K
n
ΔΓ12K
ΔnK
Übertragung/
Transport
Speicherung
Wandlung
Abb. 2.19a: Beispiel einer integralen Mengenbilanz an einem Kohlekraftwerk
Bilanziert man also über der Kohlemenge innerhalb des Systems, so ergibt sich der folgende
Zusammenhang:
Δn K = Δn K ,12 − ΔΓ12nK
( 2.68 ).
Die Veränderung der im Kohlebunker gespeicherten Kohlemenge entspricht also der Differenz zwischen der in das System transportierten und der im System gewandelten Kohlemenge.
2 Grundlagen der Energielehre
Kohlemasse mK
Luftmasse mL
Abgasmasse mA
2-51
Δmab,A,12
Δmzu,L,12
Kraftwerk
Δmzu,K,12
Kohlebunker
Massenbilanz
Δm = Δmzu,L,12 + Δmzu,K,12
-
Δm
- Δmab,A,12
Übertragung/
Transport
Speicherung
Wandlung
Abb. 2.19b: Beispiel einer integralen Massenbilanz an einem Kohlekraftwerk
Betrachtet man demgegenüber die Massenbilanz über dasselbe System in Abb. 2.19b, so
stellt man fest, dass aufgrund des für die Masse gültigen Prinzips der Erhaltung keine Wandlung auftreten darf. Stattdessen wird zusätzlich zu den zugeführten Massenströmen
Δmzu,12 = Δmzu,K,12 + Δmzu,L,12 (Kohlemassenstrom Δmzu,K,12 und Luftmassenstrom Δmzu,L,12)
ein Massenstrom in Form von Abgas Δmab,12 (=Δmab,A,12) wieder über die Systemgrenze abgeführt. Nun ergibt sich die Veränderung der im Kohlebunker gelagerten Masse Δm aus der
Differenz zwischen der innerhalb des Zeitabschnitts Δt12 zu- und abgeführten Masse Δmzu,12
bzw. Δmab,12:
Δm = Δm zu,12 − Δm ab,12
( 2.69 ).
Oft sind diese Bilanzgleichungen aus der Physik zwar in Formen bekannt, die diese Analogie
aufgrund verschiedener Bezeichnungen nicht offensichtlich erkennen lassen, sie lassen sich
jedoch durch eine Vereinheitlichung der Schreibweise leicht in eine Form bringen, in der die
Analogie deutlich wird.
Zu den bekanntesten Bilanzgleichungen in der Physik gehören die Energiebilanzen, die dem
ersten Hauptsatz gehorchen, die Entropiebilanzen, die dem zweiten Hauptsatz gehorchen und
die Navier-Stokes-Gleichungen aus der Strömungsmechanik, die dem Impulserhaltungssatz
gehorchen. Auch das zweite Fourier’sche Gesetz für die Wärmeübertragung ist eine Bilanz
über der Energieform Wärme, und das zweite Fick’sche Gesetz für die Diffusion ist eine Bilanz über der Teilchenmenge.
Bei der Bilanzierung physikalischer Größen kann man zusätzlich noch die Art der Bilanz
unterscheiden: Es gibt „integrale“ Bilanzen, die zur Bilanzierung ganzer Anlagen oder Teilen
davon über bestimmten Zeitabschnitten verwendet werden. Sie dient häufig z. B. als Massen-
2-52
2 Grundlagen der Energielehre
oder Energiebilanz zur Kontrolle von technischen Systemen, Anlagen und Maschinen, kann
aber auch zur theoretischen Beschreibung des Verhaltens der Systeme herangezogen werden.
Im Gegensatz dazu ermöglichen die „differentiellen“ Bilanzen die theoretische Behandlung
und Modellierung des örtlichen und zeitlichen Geschehens in Systemen. Die differentielle
Bilanzgleichung entsteht in diesem Falle als in der Regel partielle Differentialgleichung der
zu bilanzierenden Größe mit Zeit und Ort als unabhängigen Variablen und wird üblicherweise für ein differentiell kleines Volumenelement dV als Bilanzsystem angesetzt. Bekannte
Vertreter der „differentiellen“ Bilanzgleichung sind das zweite Fourier’sche Gesetz, das
zweite Fick’sche Gesetz und die Navier-Stokes-Gleichungen.
2.2.1.1 Analogien und Definitionen
Wenn für die verschiedensten Bilanzen gleiche Grundprinzipien gelten, so ist zum einfacheren Verständnis eine einheitliche Darstellung der Bilanzgleichungen hilfreich, die die auftretenden Analogien verdeutlicht. Die dafür notwendigen Formalismen sollen in diesem Abschnitt auf einer allgemeinen Ebene eingeführt werden.
Bilanzgrößen
Die Bilanzgröße ist allgemein eine beliebige extensive Größe X, die der Materiemenge proportional, also mengenartig teilbar ist (vgl. Abschnitt 2.1.1.1). Sie lässt sich aufgrund dieser
Eigenschaften addieren und damit bilanzieren.
Die für die Energietechnik wichtigsten bilanzierbaren Größen der Physik sind z. B.: Die Mas→
→
se m, die Teilchenmenge n, Energie E, die Entropie S, der Impuls J , der Drehimpuls L oder
die Exergie Ex. Dabei ist es für die Eigenschaft der Bilanzierbarkeit und das Auftreten der
drei Grundvorgänge Speicherung, Übertragung bzw. Transport und Wandlung unerheblich,
ob die Bilanzgröße eine skalare Größe (z. B. m, n, E, S oder Ex) oder eine vektorielle Größe
→
→
(z. B. J oder L ) ist.
Darüber hinaus lassen sich auch andere Mengen bilanzieren, die auf den ersten Blick keine
physikalischen Größen sind. Solche Mengen sind z. B. das Geld (Geldbilanz), die Menschen
(Volkszählung) oder Autos (Verkehrszählung). Untersucht man diese Mengen jedoch genauer, so erkennt man, dass sie im Prinzip nichts anderes sind als eine spezielle Teilchenmenge,
womit die Brücke zur Physik wieder geschlagen wäre.
Bilanzbereich
Zur Erstellung von Bilanzen muss neben der Bilanzgröße auch der Bilanzbereich durch Bilanzgrenzen festgelegt werden. Der Bilanzbereich ist also vollständig durch die Bilanzgrenzen umschlossen, wobei die Bilanzgrenzen nicht notwendigerweise real vorhandenen, konkreten Trennlinien bzw. im dreidimensionalen Fall Trennflächen der technischen Anlage entsprechen müssen (z. B. einer Wand), sie können beliebig gedachte Linien (bzw. Flächen)
sein. Die Bilanzgrenzen müssen den Bilanzbereich lediglich vollständig umschließen. Darüber hinaus gibt es für die Festlegung von Bilanzräumen keine allgemein gültigen Regeln,
2 Grundlagen der Energielehre
2-53
sie hängt vielmehr davon ab, welche Informationen mit Hilfe der Bilanz gewonnen werden
sollen.
Da bei der Bilanzierung alleine der Bilanzraum betrachtet wird, nennt man ihn auch „System“, denn er ist das System, das betrachtet wird. Für technische Bilanzen ist dieser Bilanzbereich häufig ein abgegrenztes Volumen oder ein infinitesimal kleines Volumenelement. Er
kann aber auch eine Maschine oder Anlage, eine Komponente davon oder mehrere Maschinen oder Anlagen umschließen. Der Bilanzbereich muss dabei nicht ortsfest sein, es kann
beispielsweise auch ein in einer Strömung mitbewegtes Volumenelement dV sein.
Bei der Festlegung von Bilanzbereichen stellt man fest, dass es im Prinzip drei unterschiedliche Typen von Systemen gibt:
• „Abgeschlossene“ Systeme, die nicht in Wechselwirkung mit der Umgebung stehen (Übertragungs- bzw. Transportströme über die Systemgrenzen sind null),
• „geschlossene“ Systeme, bei denen keine Materie bzw. Teilchen die Systemgrenze passieren können (Massen- bzw. Teilchentransportströme über die Systemgrenzen sind null) und
• „offene“ Systeme, die alle Größen, auch Materie und Teilchen mit der Umgebung austauschen können.
Ferner gibt es „adiabate“ Systeme, bei denen keine Wärmeübertragung über die Systemgrenze hinweg (Transport von Wärme über die Systemgrenze hinweg) stattfindet.
Als Beispiel soll ein Raum betrachtet werden, in dem sich ein elektrisch betriebener Ventilator befindet. Zur Untersuchung der Energieströme und der Zustandsänderungen im System
„Raum“ durch den Betrieb des Ventilators wählt man die Wände des Raums als Bilanzgrenzen (s. Abb. 2.20a). Man erhält ein geschlossenes System, das, wenn man die Wärmeströme
durch die Wände vernachlässigt, nur durch den elektrischen Strom Energie von außen übertragen bekommt. Bei dieser Betrachtungsweise ließe sich einfach berechnen, wie sich die
Temperatur im Raum durch den Betrieb des Ventilators verändert. Die zugeführte elektrische
Energie muss mangels abgeführter Energieformen im System gespeichert werden. Die Raumluft wird sich also erwärmen.
2 Grundlagen der Energielehre
2-54
a)
b)
Jz
ΔWel,12
Bilanzgrenze
Jy
dV
ΔU
Bilanzgrenze
Jx
Jx+dJx
Jy+dJy
Raum
Kontrollvolumen dV
Jz+dJz
Abb. 2.20: Bilanzbereiche
Bei der Wahl dieses Bilanzbereiches erhält man jedoch keinerlei Erkenntnisse über die durch
den Ventilator im Raum erzeugten Strömungsverhältnisse. Möchte man diese ermitteln, so
bilanziert man über einem infinitesimalen, ortsfesten Volumenelement dV des Luftraums
(s. Abb. 2.20b). Dies ist dann ein offenes System, da durch dieses ortsfeste Volumenelement
ständig Luft strömt. Natürlich lässt sich auf diese Weise die Temperaturveränderung im
Raum, wenn überhaupt, dann nur sehr aufwendig berechnen, aber man erhält durch die Erstellung einer differentiellen Impulsbilanz über diesen Bilanzbereich einen Zusammenhang,
der die Strömung beschreibt. Man erkennt anhand dieses Beispiels, dass es für die Beantwortung einer bestimmten Fragestellung ganz entscheidend ist, welchen Bilanzbereich man
wählt.
Vor der konkreten Aufstellung von Mengen- und Energiebilanzen müssen geeignete Bilanzhüllen (Bilanzgrenzen) festgelegt werden. Je nachdem, welche Information erarbeitet werden
soll, sind Bilanzbereiche zu definieren. Als Beispiel für die Einteilung möglicher Bilanzbereiche ist in der Abb. 2.21 ein fossil gefeuertes Kraftwerk dargestellt. Innerhalb der Gesamtanlage kann als ein Teilbereich, beispielsweise der Dampferzeuger, betrachtet werden. Innerhalb des Dampferzeugers kann als eine Komponente der Verdampferbereich analysiert werden. Ein Einzelelement oder ein Teilbereich dieser Komponente sind Verdampferrohre. Innerhalb dieser wiederum können einzelne differentielle Volumenelemente betrachtet werden.
Entsprechend der gewünschten Aussage ist ein zweckdienlicher Bilanzraum zu wählen.
2 Grundlagen der Energielehre
Brennstoffvorbereitung
Wasserversorgung
Kessel
Wasser-DampfKreislauf
Rauchgasbehandlung
Abwärmeabfuhr
2-55
Zwischenüberhitzer
Überhitzer
Turbosatz
Eco
Verdampfer
Luvo
**
a
b
Ein Rohr des
Verdampfers
Verdampfer
c
d
Differentielles
Volumenelement
e
Abb. 2.21: Bilanzräume in einem Kraftwerk
Soll z. B. der Gesamtwirkungsgrad eines Kraftwerks ermittelt werden, so ist eine Bilanzierung der Gesamtanlage nach der Abb. 2.21a unumgänglich. Wenn kesseltechnische Fragen
im Vordergrund des Interesses stehen, etwa die Ermittlung von Dampfmengen, Brennstoff-,
Luft- und Rauchgasmengen oder die Schadstoffproduktion, so ist die Bilanzhülle um den
Kessel allein zu legen (s. Abb. 2.21b). Soll dagegen der Verdampfungsprozess gesondert
untersucht werden, so wird man zweckmäßig den Verdampferbereich allein betrachten (s.
Abb. 2.21c). Im Rahmen von tiefergehenden Analysen, etwa zur Stabilität der Verdampfung,
sind Einzelelemente des Verdampferbereichs als geeignete Bilanzhüllen anzusehen (s. Abb.
2.21d). Eine differentielle Betrachtung eines Rohrabschnitts schließlich (s. Abb. 2.21e) würde es bei dem hier wiedergegebenen Beispiel erlauben, auf Einzelheiten wie Wärmeübertragung, mechanische Auslegung und Werkstoffbeanspruchung einzugehen. Vor dem Aufstellen
angepasster Bilanzgleichungen ist also zu prüfen, wie weit eine Einengung des Bilanzbereichs getrieben werden muss. Auch sind rechtzeitig Überlegungen anzustellen, welcher Genauigkeitsgrad der Aussage erreicht werden muss, um ein brauchbares Ergebnis zu erzielen.
2-56
2 Grundlagen der Energielehre
Grundvorgänge
Wie schon eingangs festgestellt wurde, setzten sich alle Bilanzen aus drei Grundvorgängen
zusammen: Speicherung, Übertragung bzw. Transport und Wandlung. Diese drei Grundvorgänge sollen im Folgenden näher untersucht werden.
Zunächst ist festzustellen, dass sich alle Bilanzen entweder über einem endlichen Zeitraum
Δt12 = t2 - t1 oder über einem infinitesimal kleinen Zeitabschnitt dt erstellen lassen. Dementsprechend sind auch die Bilanzgrößenänderungen entweder endlich (ΔX) oder infinitesimal
klein (dX).
Den Speichervorgang, bei dem innerhalb einer bestimmten Zeit Δt12 eine bestimmte Menge
der Bilanzgröße X im System eingespeichert bzw. aus dem System entnommen wird, kann
man auch durch die Änderung ΔX der im Speicher enthaltenen Menge der Bilanzgröße X
beschreiben. Die Änderung der im Speicher enthaltenen Menge der Bilanzgröße lässt sich
also durch die Änderung der Bilanzgröße X (Zustandsgröße des Systems) zwischen den Zuständen X1 und X2 beschreiben. Bezieht man sich auf einen infinitesimal kleinen Zeitabschnitt dt, so lässt sich der Speicherterm durch die zeitliche Änderung dX/dt der im Speicher
gespeicherten Bilanzgröße X beschreiben. Dabei wird die Konvention getroffen, dass Änderungen, bei denen die Menge der Bilanzgröße im Speicher zunimmt, mit einem positiven
Vorzeichen und solche, bei denen die gespeicherte Menge der Bilanzgröße abnimmt, mit
negativem Vorzeichen in die Bilanz eingehen.
Betrachtet man den Übertragungs- oder Transportvorgang, so stellt man fest, dass er sich
durch die während einer bestimmten Zeit Δt12 übertragene oder transportierte Menge ΔX12
der Bilanzgröße X beschreiben lässt. Dabei kennzeichnet der Index „12“, dass sich das Differenzenzeichen Δ nicht auf eine Differenz zwischen den Zuständen 1 und 2 bezieht, sondern es
sich um die zwischen den Zeitpunkten 1 und 2 übertragene oder transportierte Menge handelt. Bezieht man Übertragungs- bzw. Transportvorgänge auf einen infinitesimal kleinen
Zeitabschnitt dt, so kann man die pro Zeit dt übertragene Menge der Bilanzgröße dX als
Strom X& = dX / dt der Bilanzgröße X auffassen. Zur besseren Unterscheidung, soll aus diesem Grund bei Übertragungs- oder Transportvorgängen der Strom der Bilanzgröße als X&
und nicht als dX/dt bezeichnet werden. Entsprechend der Vorzeichenkonvention zählen dem
System zugeführte Mengen der Bilanzgröße als positiv, abgeführte Mengen negativ.
Der dritte grundlegende Vorgang ist die Wandlung der Bilanzgröße, bei der die Bilanzgröße
verschwindet oder im umgekehrten Fall entsteht. Das bedeutet, dass der Wandlungsvorgang
eine Senke oder Quelle für die Bilanzgröße darstellt. Innerhalb eines Zeitabschnitts Δt verschwindet bzw. entsteht die Menge ΔΓ12X der Bilanzgröße X durch Wandlung. Bezogen auf
einen infinitesimal kleinen Zeitabschnitt dt ergibt sich wieder ein Mengenstrom
Γ& X = dX / dt , der dem von der Bilanzgröße X umgewandelten Mengenstrom entspricht. Zur
Unterscheidung von den anderen Grundvorgängen sollen die mit der Wandlung zusammenhängenden Mengen bzw. Mengeströme durch das Zeichen Γ (griech.: Gamma) gekennzeichnet werden. Die Entstehung der Bilanzgröße X wird dabei durch ein positives Vorzeichen, die
Vernichtung durch ein negatives Vorzeichen erfasst.
2 Grundlagen der Energielehre
2-57
2.2.1.2 Integrale Bilanzen
Die integrale Bilanzierung dient der Überprüfung und Beurteilung ganzer Systeme oder ganzer Anlagenkomponenten im Sinne der üblichen Masse- und Energiebilanzen. Sie kann dazu
verwendet werden, theoretische Analysen über das stationäre und instationäre Verhalten von
Systemen durchzuführen. Sie dient also der Behandlung von Vorgängen an technischen Systemen oder Teilen davon, wenn nur die in diese Systeme oder Systemteile einfließenden
Ströme der Bilanzgrößen und evtl. einige Zustandsgrößen der Systeme bekannt sind.
Sie lässt sich prinzipiell in zwei Arten darstellen: Als „Integralbilanz der Mengen“ und als
„Integralbilanz der Ströme“, wobei letztere Variante oft auch mit bezogenen Größen (z. B.
spezifische oder molare Größen) dargestellt wird.
Die „Integralbilanz der Mengen“ betrachtet endliche Mengen, die dem System übertragen,
dort gespeichert oder gewandelt werden. Die allgemeine Bilanzgleichung für die Bilanzgröße
X ergibt sich damit gemäß Gleichung ( 2.68 ) in dieser Form zu:
ΔX = ΔX12 + ΔΓ12X
( 2.70 ).
Die Form der „Integralbilanz der Ströme“ betrachtet Ströme, die in das System hinein- oder
herausfließen und dort gespeichert bzw. gewandelt werden. Die allgemeine Bilanzgleichung
dieser Form ergibt sich damit zu:
dX
= X& + Γ& X
dt
( 2.71 ).
Betrachtet man reale Systeme, so stellt man fest, dass die einzelnen Vorgänge nur selten aus
einzelnen Strömen bestehen. So können Systemen zugleich mehrere Ströme der Bilanzgröße
zu- und abgeführt werden oder mehrere Wandlungen parallel stattfinden. Auch die Speicherung kann in mehreren Teilsystemen erfolgen, so dass die allgemeine Bilanzgleichung mit
Summen geschrieben werden muss:
∑ ΔX = ∑ ΔX
12
+ ∑ ΔΓ12X
oder
dX
∑ dt = ∑ X& + ∑ Γ&
X
( 2.72 ).
2.2.1.3 Differentielle Bilanzen
Die differentielle Bilanzierung am infinitesimal kleinen Volumenelement dV dient der Erfassung der Vorgänge in Raum und Zeit im Zusammenhang mit der bezogenen Bilanzgröße x,
d. h. zur Berechnung des örtlichen und zeitlichen Verlaufs von Feldern der mit der extensiven
Bilanzgröße verknüpften intensiven Größen (z. B. Dichte, Temperatur, Konzentration oder
Geschwindigkeit). Mit den Orts- und Zeitfunktionen dieser Felder erhält man ein Modell, mit
dessen Hilfe sich dann spezielle Ströme von Bilanzgrößen in technischen Anlagen bzw. Anlagenteilen theoretisch ermitteln lassen. Alle Differentialbilanzen dienen also der Berechnung
von Feldern, so z. B. die differentielle Wärmebilanz in Form des zweiten Fourier’schen Gesetzes zur Berechnung von Temperaturfeldern. Da differentielle Bilanzen also alleine aus
2-58
2 Grundlagen der Energielehre
theoretischen physikalischen Zusammenhängen und Gesetzen erstellt werden, stellen sie die
Grundlage für die Theorienbildung dar.
Mit diesen differentiellen Bilanzen wird dann versucht, die Vorgänge innerhalb eines Systems zu beschreiben, wie z. B. den Temperaturverlauf in einer Wand, den Verlauf des Schadstoffgehalts in der Luft hinter einem Schornstein oder die Strömungsgeschwindigkeiten in
einem Rohr als Funktion von Ort und Zeit.
Eine Zielsetzung der Anwendung von differentiellen Bilanzen ist also die tatsächliche Berechnung von Feldern, die allerdings oft nur mit erheblichem Rechenaufwand und oft nur mit
Hilfe numerischer Verfahren zu erreichen ist, da die differentiellen Bilanzgleichungen häufig
nicht analytisch lösbare partielle Differentialgleichungen darstellen, wie z. B. die NavierStokes-Gleichungen. Dennoch sind die differentiellen Bilanzgleichungen die Grundlage für
heute weit verbreitete Simulationsrechnungen in der Strömungsmechanik, Energie- und Verfahrenstechnik.
2.2.1.4 Gesetze für spezielle Bilanzen
Wie bereits oben gezeigt, setzten sich im allgemeinen alle Bilanzen aus drei Grundvorgängen
zusammen: Speicherung, Übertragung bzw. Transport und Wandlung. Betrachtet man jedoch
spezielle Bilanzgrößen oder Systeme, so vereinfachen sich Bilanzen oft dadurch, dass bestimmte Grundvorgänge nicht auftreten und ihre Terme in der Bilanz zu null werden.
Bilanzen mit Erhaltungssatz (Energie, Impuls und Masse)
Betrachtet man beispielsweise die Bilanzgröße Energie, so ist aus der Thermodynamik her
bekannt, dass für sie ein Erhaltungssatz (erster Hauptsatz) gilt. Für die Bilanz ergibt sich aus
dem Prinzip, dass Energie weder verschwinden noch entstehen kann, dass der Wandlungsterm prinzipiell null sein muss ( ΔΓ12E = 0 bzw. Γ& E = 0 ). Die allgemeine Form einer Energiebilanz ergibt sich damit zu
ΔE = ΔE12
oder
dE &
=E
dt
( 2.73 ).
Dieselbe Form gilt auch für alle anderen Bilanzgrößen, für die ein Erhaltungssatz gilt, also
z. B. den Impuls, den Drehimpuls und die Masse (wenn man von Kernreaktionen absieht).
Die Massenbilanz im Bereich der Gültigkeit des Massenerhaltungssatzes lautet analog
Gl. ( 2.73 ):
Δm = Δm12
2
oder
dm
= m&
dt
( 2.74 ).2
Laufen im System dagegen auch Kernreaktionen ab, so gilt der Massenerhaltungssatz nicht mehr, so dass sich
& + Γ&
die allgemeine Bilanzgleichung für solch ein System zu Δm = Δm12 + ΔΓ12 oder dm / dt = m
m
m
ergibt.
2 Grundlagen der Energielehre
2-59
Weshalb spricht man dann aber von Energiewandlern, wenn für Energiebilanzen allgemein
gilt, dass der Wandlungsterm null ist? Obwohl Energie nach dem ersten Hauptsatz nicht gewandelt werden kann und daher der Wandlungsterm in einer Energiebilanz immer null ist,
können Energieformen sehr wohl in andere Energieformen gewandelt werden und genau dies
macht ein Energiewandler. Erstellt man nun eine Bilanz über eine spezielle Energieform, so
gilt für diese Energieform kein Erhaltungssatz und folglich auch nicht, dass der Wandlungsterm null sein muss. Ebenso kann man statt über der Gesamtmasse eines Systems, für die,
wenn man von Kernreaktionen absieht, ein Erhaltungssatz gilt, auch über der Masse eines
Stoffes (z. B. eines speziellen Energieträgers) bilanzieren, dessen Masse im Gegensatz zur
Gesamtmasse gewandelt (z. B. bei einer Verbrennung) werden kann. Es ist bei der Erstellung
von Bilanzen also immer genau darauf zu achten, über welchen Bilanzgrößen man bilanziert.
Bilanzen für die Entropie
Für die Entropie gilt nach dem zweiten Hauptsatz kein Erhaltungssatz. Allerdings kann Entropie gemäß diesem Hauptsatz nicht vernichtet, sondern nur erzeugt werden. Daraus folgt für
Entropiebilanzen allgemein, dass der Wandlungsterm immer größer oder gleich null sein
muss ( ΔΓ12S ≥ 0 bzw. Γ& S ≥ 0 ). Die allgemeine Form einer Entropiebilanz lautet also:
ΔS = ΔS12 + ΔΓ12S
oder
dS & & S
= S+Γ
dt
( 2.75 ).
Die Entropie in einem System kann also nur durch Übertragung bzw. Transport von Entropie
über die Systemgrenzen hinweg reduziert werden.
Bilanzen für die Exergie
Für die Exergie gilt ebenfalls kein Erhaltungssatz, aber im Gegensatz zur Entropie ergibt sich
aus dem zweiten Hauptsatz die Forderung, dass Exergie nur vernichtet, nicht aber erzeugt
werden kann. Das bedeutet, dass der Wandlungsterm in einer Exergiebilanz immer kleiner
gleich null sein muss ( ΔΓ12Ex ≤ 0 bzw. Γ& Ex ≤ 0 ):
ΔE x = ΔE x ,12 + ΔΓ12Ex
oder
dE x
= E& x + Γ& Ex
dt
( 2.76 ).
Damit kann die Exergie eines Systems - im Gegensatz zur Entropie - nur durch Übertragung
bzw. Transport von Exergie in das System hinein erhöht werden.
Bilanzen für stationäre Systeme
Betrachtet man bei der Bilanzierung Bilanzbereiche, die ein stationäres Verhalten aufweisen,
d. h. deren Zustand sich mit der Zeit nicht ändert, so folgt daraus, dass der Speicherterm in
der Bilanz zu null werden muss (ΔX = 0 bzw. dX/dt = 0). Die Bilanz für stationäre Systeme
ergibt sich damit zu:
2-60
2 Grundlagen der Energielehre
0 = ΔX12 + ΔΓ12X
oder
0 = X& + Γ& X
( 2.77 ).
Bilanzen für abgeschlossene Systeme
Für den speziellen Fall, dass der Bilanzbereich ein abgeschlossenes System ist, d. h. keine
Wechselwirkungen mit der Umgebung auftreten, ergibt sich für die Bilanzgleichung, dass der
Übertragungs- bzw. Transportterm null sein muss ( ΔX12 = 0 oder X& = 0 ):
ΔX = 0 + ΔΓ12X
oder
dX
= 0 + Γ& X
dt
( 2.78 ).
Diese spezielle Form der Bilanzgleichung gilt auch für die Teilchenbilanz bei geschlossenen
Systemen, da geschlossene Systeme keine Teilchenströme austauschen können.
Für Größen, für die zugleich ein Erhaltungssatz gilt ( ΔΓ12X = 0 oder Γ& X = 0 ), ergibt sich die
Bilanz für ein abgeschlossenes System zu:
ΔX = 0
oder
dX
=0
dt
( 2.79 ).
Diese Form der Bilanz gilt auch für Massenbilanzen an geschlossenen Systemen, da solche
Systeme ebenfalls keine Masse austauschen können.
2.2.2 Energetische Analyse technischer Systeme
Wie bereits in Abschnitt 2.2.1 dargestellt, ist bei der Analyse von Energiewandlungssystemen
eine der wichtigsten Kenngrößen, wie viel Energie einem System zugeführt werden muss, um
eine bestimmte Menge an Energie in der gewünschten Form zu erhalten. Diese gewünschte
bzw. benötigte Energieform kann man als „Zielenergie“ bezeichnen [Rudolph und Schaefer,
1994]. Die Energie, die das Energiewandlungssystem nicht in der gewünschten Energieform
„Zielenergie“ verlässt, nennt man „Verlustenergie“ [Rudolph und Schaefer, 1994].
Bei der zugeführten Energie kann noch zwischen den Energieformen unterschieden werden,
die mit Energieträgern dem System zugeführt werden und der zusätzlich vom System aufgenommenen Umgebungs- bzw. Abwärme. Erstere stellen, da sie knappe Ressourcen sind, einen „Aufwand“ dar, letztere keinen, da sie sozusagen „kostenlos“ zur Verfügung stehen. Somit sind für die Beurteilung von Energiesystemen meist nur die mit Energieträgern zugeführten Energieformen von Bedeutung. Dies gilt nicht für die Wärmepumpentechnologie, bei der
alle Energieströme berücksichtigt werden müssen. Abb. 2.22 stellt eine allgemeine Energiebilanz über einem Energiesystem dar und verdeutlicht die erläuterten Zusammenhänge.
Die Analyse von Energiesystemen erfolgt mit Hilfe von Energiebilanzen und speziellen
Kenngrößen, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll.
2 Grundlagen der Energielehre
2-61
2.2.2.1 Energiebilanzen technischer Systeme
Die Energiebilanzen technischer Systeme lassen sich auch als Energieflussdiagramme oder
„Sankey“-Diagramme darstellen (s. Abb. 2.22). Sie ermöglichen eine quantitative Beschreibung der Prozesse des Systems zur Umwandlung und Nutzung von Energie und geben einen
guten Überblick über die zur Bereitstellung der gewünschten Zielenergie durch das betrachtete System notwendigen Energieströme und die dabei entstehenden Verlustenergieströme. Sie
eignen sich daher zur analytischen Betrachtung und zum Vergleich verschiedener Energiesysteme, die dieselbe Zielenergie auf unterschiedlichen Wegen zur Verfügung stellen. Ziel
der Energieflussdiagramme und Energiebilanzen ist es, im Sinne einer Optimierung des Verhältnisses Zielenergie zu aufgewendeter Energie (mit Energieträgern zugeführte Energie)
Strukturen, Energieströme, Verluste und Einsparpotentiale etc. zu analysieren.
Umgebungs- bzw.
Abwärme
Verlustenergie
Zielenergie
abgegebene Energie
zugeführte Energie
mit Energieträgern
zugeführte Energie
Energiewandlungssystem
Abb. 2.22: Allgemeine Form der Energiebilanz über einem Energiewandler
Um eine einfache Vergleichbarkeit verschiedenartiger Systeme zu erreichen, beziehen sich
alle Zahlenangaben immer auf die Bereitstellung von 100 Einheiten der gewünschten Nutzenergie.
Abb. 2.23 zeigt das Sankey-Daigramm einer einfachen Energiebilanz für das technische System einer Ölheizung. Es ist in dieser Darstellung einfach zu erkennen, in welchen Teilsystemen welche Verlustenergieströme anfallen und wie groß die insgesamt aufzuwendende Primärenergie und die vom Verbraucher zu bezahlende Endenergie ist, wenn 100 Einheiten
Nutzenergie (Heizwärme) bereitgestellt werden sollen.
2 Grundlagen der Energielehre
2-62
Heizwärme
Systemgrenze
Regelung
und
Verteilung
4
Heizkessel
43
Bereitstellung
und
Transport
11
100
104
147
158
Wärme nach
Heizkessel
vom Kunden zu
bezahlende Endenergie (Heizöl)
Primärenergie
(Mineralöl)
Abb. 2.23: Energiebilanz für das System Ölheizung
In Abb. 2.24 sind die Energieflussdiagramme verschiedener Energiesysteme zur Deckung
eines Nutzenergiebedarfs zur Raumheizung vergleichend dargestellt. Man erkennt in dieser
Darstellung sofort, wie viel Primärenergie bei den einzelnen Systemen aufgewendet werden
muss, um dieselbe Nutzenergie bereitzustellen und in welchen Teilsystemen welche Verluste
auftreten. Zugleich sind die üblichen Nutzungsgrade (s. Abschnitt 0) der Teilsysteme angegeben, so dass die Energiebilanzen leicht nachvollzogen werden können.
Betrachtet man beispielsweise das Energiesystem „Stromheizung“, so treten bei der Nutzenergiebereitstellung (in diesem Fall die Zielenergie) beim Verbraucher keinerlei Verluste
auf, dafür sind aber die Verluste im Kraftwerk erheblich, so dass 294 Einheiten Primärenergie aufgewendet werden müssen, um 100 Einheiten Nutzenergie in der gewünschten Form
bereitzustellen.
Demgegenüber sind bei Verwendung einer Stromwärmepumpe nur 101 Einheiten Primärenergie aufzuwenden, beim Einsatz einer Gas-Wärmepumpe sogar nur 71 Einheiten, da bei
diesen Systemen teilweise Umgebungswärme, die keinen Aufwand bedeutet, zur Nutzenergiebedarfsdeckung herangezogen wird. Die Gas-Wärmepumpe erzielt den niedrigeren
Primärenergieaufwand dadurch, dass zusätzlich auch die Gasmotorabwärme zur Nutzenergiebereitstellung genutzt wird.
2 Grundlagen der Energielehre
2-63
Primärenergiebedarf
Primärenergiebedarf
Primärenergiebedarf
Primärenergiebedarf
Verluste
122
Fossiles
Kraftwerk
ζ = 45 %
125
100
Verluste
Verluste
14
11
Erdölraffinerie
ζ = 89 %
111
Verluste
Heizenergiebedarf
100
100
Heizenergiebedarf
100
100
Heizenergiebedarf
100
100
Heizenergiebedarf
100
11
Gasversorgung
ζ = 93 %
111
Erdgaskessel
ζ = 90 %
34
Elektrowärmepumpe
β=3
Verluste
42
76
Fossiles
Kraftwerk
ζ = 45 %
66
Umgebungswärme
Verluste
Verluste
Primärenergiebedarf
Heizölkessel
ζ = 90 %
100
Verluste
8
119
elektrische
Heizung
ζ = 100 %
5
71
Gasversorgung
ζ = 93 %
66
11
Gasmotor
ζ = 30 %
20
Wärmepumpe
β = 3,3
35
65
Heizenergiebedarf
100
45
Umgebungswärme
Abb. 2.24: Energieflussdiagramme verschiedener Systeme zur Bereitstellung von Heizenergie
2 Grundlagen der Energielehre
2-64
Beispiel: stationär betriebene Dampfturbine (dx/dt = 0) mit mehreren Dampfanzapfungen
.
m1, h1
h
1 p1
2
Pmech
3
4
.
.
.
m5
h5
.
m2 m3 m4
p5
5
5‘
h2 h3 h4
Massenstrombilanz
s
m
Wegen des Massenerhaltungssatzes ist keine Wandlung möglich: Γ& = 0
5
Es gilt: dm = 0 = m
∑ & i , m& 1 = ∑ m& i
dt
i= 2
i
Energiestrombilanz
Für Energie gilt ein Erhaltungssatz: Γ& E = 0
5
&
& 1h1 − ∑ m
& ihi − Pmech − ∑ Q
Damit folgt für die Energiestrombilanz 0 = m
j
i= 2
& : Verlustströme durch nicht-adiabate Wärmedämmung
mit Q
j
j
Exergiestrombilanz
Exergie = Anteil einer Energie, der sich in Arbeit umwandeln läßt.
Die Exergiestrombilanz weist Parallelen zur Energiestrombilanz auf, wobei für die Exergie kein
Erhaltungssatz gilt, da Wandlung möglich ist. Exergie kann aber nicht erzeugt werden.
& Ex ≤ 0
⇒ Γ
Es gilt
5
0 = m& 1 eex ,1 − ∑ m& i eex , i − Pmech − Γ& Ex − ∑ Q& j ηc , j
i =2
j
- Pmech ist reine Exergie
⎛ T ⎞
- Exergie eines Wärmestroms: E& j = Q& j ⎜1 − 0 ⎟ = Q& j ηc , j
⎝
T⎠
2 Grundlagen der Energielehre
2-65
2.2.2.2 Kenngrößen für Energiesysteme
Zur vergleichenden Beurteilung von Energiesystemen werden zahlreiche Kenngrößen gebildet, die üblicherweise die Summe der Zielenergieformen (gewünschtes Ergebnis) auf die
Summe der zugeführten Energieformen bzw. die Summe der mit Energieträgern zugeführten
Energieformen (Aufwand) beziehen.
Erstere Kenngrößen werden „Grade“ genannt. Ihre Zahlenwerte bewegen sich immer zwischen null und eins und können nie größer als eins werden, da die Summe der Zielenergieformen wegen des Prinzips der Energieerhaltung nie größer als die insgesamt zugeführte
Energie werden kann. Die anderen Kenngrößen werden „Zahlen“ genannt, wobei sie in Abhängigkeit der zugeführten Umgebungs- oder Abwärme auch Zahlenwerte größer als eins
annehmen können. Sie sind wie folgt definiert [Rudolph und Schaefer, 1994]:
Grad =
Zahl =
∑ Zielenergieformen
( 2.80 ),
∑ Zielenergieformen
( 2.81),
∑ zugeführte Energieformen
∑ Mit Energieträgern zugeführte Energieformen
wobei die beiden Kenngrößen für Systeme, die keine oder keine nennenswerte Umgebungsbzw. Abwärme aufnehmen, den gleichen Wert annehmen, da bei solchen Systemen die Summe der mit Energieträgern zugeführten Energieformen der Summe der insgesamt zugeführten
Energieformen entspricht.
Bei den Graden unterscheidet man ferner zwischen sogenannten „Wirkungsgraden“, die mit
dem Zeichen η (griech.: eta) bezeichnet werden, und „Nutzungsgraden“ mit dem Zeichen ζ
(griech.: zeta).
Wirkungsgrade sind Grade, die sich auf bestimmte Betriebspunkte des Systems beziehen.
Dabei setzen sie die bei einem bestimmten stationären Betriebspunkt auftretenden Zielenergieströme E& Z,i und die zugeführten Energieströme E& zu,i in Bezug zueinander [Knoche u. a.,
1994]. Es sollte daher bei der Angabe von Wirkungsgraden immer auch der betrachtete Betriebszustand des Systems (z. B. Volllast) mit angegeben werden.
∑ E&
η=
∑ E&
Z ,i
i
( 2.82 ).
zu , j
j
Nutzungsgrade beziehen sich dagegen auf bestimmte Zeiträume. Sie setzten also die während
des gewählten Betrachtungszeitraums Δt12 = t2 - t1 vom System abgegebenen Zielenergiemengen ΔEZ,i,12 und die in dieser Zeit zugeführten Energiemengen ΔEzu,j,12 in Bezug zueinander [Knoche u. a., 1994]. Sie beschreiben damit den kompletten, während des Betrachtungszeitraums Δt12 durchlaufenen Betriebszyklus einschließlich aller Stillstandszeiten sowie
2 Grundlagen der Energielehre
2-66
An- und Abfahrvorgängen. Sinnvollerweise muss zusammen mit einem Nutzungsgrad auch
immer der entsprechende Bezugszeitraum angegeben werden.
ζ
∑ ΔE
=
∑ ΔE
Z ,i ,12
i
( 2.83 ).
zu , j ,12
j
Analog den Wirkungs- und Nutzungsgraden werden bei den Zahlen „Leistungszahlen“ und
„Arbeitszahlen“ unterschieden. Leistungszahlen setzen die Zielenergieströme E& Z ,i in Beziehung zu den mit Energieträgern zugeführten Energieströmen E& Tzu, j und betrachten dabei bestimmte Betriebszustände des Systems analog den Wirkungsgraden:
∑ E&
ε=
∑ E&
Z ,i
i
( 2.84 ).
Tzu , j
j
Arbeitszahlen setzen die während eines Zeitraums Δt12 abgegebenen Zielenergiemengen
ΔEZ,i,12 in Bezug zu den während dieses Zeitraums mit Energieträgern zugeführten Energiemengen ΔETzu,j,12 und betrachten analog den Nutzungsgraden bestimmte Zeiträume:
∑ ΔE
β=
∑ ΔE
Z ,i ,12
i
( 2.85 ).
Tzu , j ,12
j
In Tab. 2.9 sind beispielhaft einige Grade und Zahlen von energietechnischen Systemen aufgeführt. Die bei den verschiedenen Graden und Zahlen eingehenden unterschiedlichen Energieströme hängen mit der Wahl des jeweiligen Bilanzsystems zusammen.
Tab. 2.9: Beispiele für Grade und Zahlen
Bezeichnung
Zeichen
Beziehung
Wirkungsgrad einer Wärmekraftmaschine
η
W& ab / Q& zu
Leistungszahl einer Wärmepumpe
ε
Q& ab / W& zu
Wirkungsgrad einer Brennkammer
η
Q& ab / H& Br ,zu
Jahresnutzungsgrad eines Kraftwerks
ζ
ΔWel , Jahr / ΔH Br , zu , Jahr
Wirkungsgrad eines Solarkollektors
η
H& ab / E& S
2 Grundlagen der Energielehre
2-67
2.3 Bilanzierung von energiewirtschaftlichen Systemen
Neben technischen Systemen können auch Energiebilanzen für ganze Wirtschaftssysteme
oder wirtschaftliche Teilsysteme erstellt werden. Sie dienen wie die Energiebilanzen technischer Systeme der Analyse der untersuchten Wirtschaftssysteme.
Im Folgenden sollen zunächst einige Grundlagen zur Bilanzierung von Wirtschaftssystemen
diskutiert werden und dann die Energiebilanz der Bundesrepublik Deutschland vorgestellt
werden.
2.3.1 Definition einiger grundlegender Begriffe aus der Energiewirtschaft
Energieträger
Als Energieträger werden bezeichnet:
- Stoffe, in denen Energie mechanisch, thermisch, chemisch oder physikalisch gespeichert ist,
- elektromagnetische Felder.
Primärenergie
Primärenergie ist der Energieinhalt von Energieträgern, die in der Natur vorkommen und
technisch noch nicht umgewandelt wurden (z. B. der Energieinhalt von Steinkohle, Braunkohle, Rohöl und der solaren Strahlung).
Sekundärenergie
Sekundärenergie ist der Energieinhalt von Energieträgern, die aus Primärenergie durch einen
oder mehrere Umwandlungsschritte (Prozesse zur Änderung der physikalischen und/ oder der
chemischen Struktur bzw. Zusammensetzung) gewonnen werden (z. B. Energieinhalt des
Heizöls nach der Umwandlung von Rohöl in einer Raffinerie oder die elektrische Energieabgabe des Generators einer Kraftwerks).
Endenergie
Endenergie ist der Energieinhalt der Primär- und Sekundärenergieträger, die in den einzelnen
Verbrauchergruppen (Endverbraucher) unmittelbar der Erzeugung von Nutzenergie für die
jeweiligen Verbraucher dienen. Als Endenergieverbrauch gilt damit der Energieinhalt der
von den Endverbrauchern bezogenen Primär- und Sekundärenergieträger, vermindert um den
nicht-energetischen Verbrauch und die Umwandlungsverluste und den Eigenbedarf bei der
Strom- und Gaserzeugung beim Endverbraucher.
Nicht-energetischer Verbrauch
Zum nicht-energetischen Verbrauch zählt der Energieinhalt von
- Stoffen, die als Produkte im Umwandlungsbereich anfallen, deren Verwendung aber
nicht durch ihren Energieinhalt, sondern durch ihre stofflichen Eigenschaften bestimmt wird (z. B. Bitumen für den Straßenbau, Schmierstoffe).
- Energieträgern, die zu anderen Zwecken als der Erzeugung von Nutzenergie dienen,
z. B. Kohlenwertstoffe, Rohbenzin, andere Mineralölprodukte und verschiedene Ar-
2-68
2 Grundlagen der Energielehre
ten von Gasen als Rohstoffe chemischer Prozesse oder Koks als Reduktionsmittel bei
der Roheisenerzeugung.
Nutzenergie
Nutzenergie ist die Energie bzw. Form der Energie, welche nach der letzten Umwandlung in
den Geräten des Endverbrauchers für die Bereitstellung von Energiedienstleistungen genutzt
wird. Folgende Nutzenergieformen werden unterschieden:
- Arbeit (oft auch als „Kraft“ oder „mechanische Energie“ bezeichnet),
- Wärme (hierzu wird üblicherweise auch elektromagnetische Wärmestrahlung gezählt); auch Kälte gehört hierher, da sie ein umgekehrt gerichteter Wärmestrom ist,
- Licht,
- Nutzelektrizität,
- Schall.
Energiedienstleistungen
Energiedienstleistungen sind die aus dem Einsatz von Nutzenergie und anderen Produktionsfaktoren befriedigten Bedürfnisse bzw. erzeugten Güter (z. B. angenehm temperierte Räume,
beleuchtete Flächen, beförderte Personen bzw. Güter, erwärmte bzw. gekühlte Stoffe, physikalisch bzw. chemisch gewandelte Stoffe, Information etc.).
Primärenergie
(z.B. Steinkohle, Braunkohle, Rohöl, Solarstrahlung)
Sekundärenergie
(z.B. Koks, Briketts, Benzin, Biodiesel, Heizöl, Strom, Fernwärme)
Umwandlungsverluste,
Eigenbedarf bei der
Strom- u. Gaserzeugung
beim Endverbraucher
Endenergie
(z.B. Briketts, Benzin, Heizöl, Erdgas,
Strom, Hackschnitzel, Fernwärme)
nicht-energetischer Verbrauch
(z.B. Bitumen für den Straßenbau,
Schmierstoffe, Kohlenwertstoffe,
Rohbenzin, Mineralölprodukte,
Koks)
Nutzenergie
(z.B. Wärme, Licht, Arbeit (Kraft))
Energiedienstleistung
andere Produktionsfaktoren
(z.B. angenehm temperierte Räume,
beleuchtete Flächen, beförderte
Personen bzw. Güter, erwärmte bzw.
gekühlte Stoffe, Information)
Abb. 2.25: Energieflussschema von der Primärenergie zur Nutzenergie
2 Grundlagen der Energielehre
2 Bereitstellung der
Energiedienstleistung
warmer Raum
EnergieWarmwasser
beleuchtete Flächen dienstleistung
1 dezentrale Umwandlung
Solarkollektoren
Solarzellen
Windkonverter
Biogasanlage
Energiedienstleistung
2
5
1
Primärenergie
(regenerativ)
4
3
an die Umgebung
abgegebene Energie
2
Primärenergieströme
(z.B. Sonnenstrahlung)
Primärenergievorräte
(z.B. Kohle)
2-69
1
5 Bereitstellung der
Energiedienstleistung
warmer Raum
beleuchtete Flächen
Information
Beförderung
Materialumwandlung
4 dezentrale Umwandlung
Heizkessel
Elektromotor
elektrische Leuchte
Kraftfahrzeug
3 Transport, Verteilung und
Speicherung
Gaspipeline
Tankzug
Hochspannungsnetz
2 zentrale Umwandlung
Kraftwerk
Raffinerie
Solarkraftwerk
1 Energieträgergewinnung
Zeche
Ölfeld
an die Umgebung
Uranbergwerk
abgegebene Energie
Abb. 2.26: Schematische Darstellung des Energieflusses von der Primärenergie bis zur
Energiedienstleistung
Zur Verdeutlichung der Energiebegriffe dient Abb. 2.25, in der die Energieflüsse und Umwandlungsstufen dargestellt sind. Abb. 2.26 verdeutlicht den Begriff der Energiedienstleitung
bzw. stellt schematisch die Energieflüsse dar, die in Energiesystemen zur Bereitstellung von
Energiedienstleistungen notwendig sind.
2 Grundlagen der Energielehre
2-70
2.3.2 Energiebilanzen von Wirtschaftssystemen
Energiebilanzen kann man nicht nur für einzelne energietechnische Anlagen oder Prozesse,
sondern für ganze Energieversorgungssysteme oder Wirtschaftssysteme, beispielsweise eine
Volkswirtschaft, aufstellen. Eine Energiebilanz ist gleichsam eine Energiestatistik. Es wird
das Aufkommen, die Umwandlung und die Verwendung von Energieträgern möglichst lückenlos und detailliert bilanziert. Beschrieben werden die durch eine Volkswirtschaft fließenden Energiemengen (Integralbilanz der Mengen):
• von der Gewinnung bzw. dem Import von Energieträgern,
• über die Umwandlung
• bis zur Letztverwendung in den verschiedenen volkswirtschaftlichen Sektoren.
Abb. 2.27 zeigt schematisch den Aufbau einer derartigen Energiebilanz. Er gliedert sich in
die Bereiche Primärenergiebilanz, Umwandlungsbilanz und Endenergiebilanz. In Tab. 2.10
sind diese Bereiche noch etwas genauer aufgeschlüsselt.
Tab. 2.10:
Das Schema der Energiebilanz
Primärenergiebilanz
Gewinnung im Inland (Primärenergieträger)
+
Einfuhr (Primär- und Sekundärenergieträger)
+
Bestandsentnahmen (Primär- und Sekundärenergieträger)
=
Energieaufkommen im Inland (Primär- und Sekundärenergieträger)
-
Ausfuhr (Primär- und Sekundärenergieträger)
-
Hochseebunkerungen (Sekundärenergieträger)
-
Bestandsaufstockungen (Primär- und Sekundärenergieträger)
=
Primärenergieverbrauch im Inland (Primär- und Sekundärenergieträger)
Umwandlungsbilanz
-
Umwandlungseinsatz insgesamt (Primär- und Sekundärenergieträger)
+
Umwandlungsausstoß insgesamt (Primär- und Sekundärenergieträger)
-
Verbrauch in der Energiegewinnung und in den Umwandlungsbereichen insgesamt (Primär- und
Sekundärenergieträger)
-
Fackel- und Leitungsverluste, Bewertungsdifferenzen (Primär- und Sekundärenergieträger)
=
Energieangebot im Inland nach Umwandlungsbilanz (Primär- und Sekundärenergieträger)
Endenergiebilanz
-
Nichtenergetischer Verbrauch (Primär- und Sekundärenergieträger)
±
Statistische Differenzen (Primär- und Sekundärenergieträger)
=
Endenergieverbrauch (Primär- und Sekundärenergieträger)
Abb. 2.27: Das Schema der Energiebilanz
energieträger
Sekundär-
energieträger
Primär-
Ausfuhr
Einfuhr
Umwandlungsausbringung
Einsatz zur Umwandlung
Primärenergieverbrauch
Endenergieverbrauch
+/- statistische Differenzen
Energieangebot im Inland nach Umwandlungsbilanz
Hochseebunkerungen
Aufkommen im Inland
Gewinnung im Inland
Verluste
verluste
Verbrauch
Nichtenergetischer
Leitungs-
Fackel- und
Energiesektor
Verbrauch im
aufstockungen
Bestands-
entnahmen
Bestands-
2 Grundlagen der Energielehre
2-71
Umwandlungsbilanz
2 Grundlagen der Energielehre
2-72
2.3.3 Energiebilanz der Bundesrepublik Deutschland
Für die Bundesrepublik Deutschland (alt) wird seit 1950 von der "Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen" eine detaillierte Energiebilanz erstellt. Seit 1990 sind darüber hinaus Energiebilanzen für die neuen Bundesländer und für Gesamtdeutschland erarbeitet worden [Görgen
und Ziesing, 1996]. Vom Bilanzjahr 1995 an werden die Energiebilanzen nur noch für
Deutschland erstellt.
In der Energiebilanz werden das Aufkommen, die Umwandlung und die Verwendung von
Energieträgern in einer Volkswirtschaft oder in einem Wirtschaftsgebiet in Form einer Matrix für einen bestimmten Zeitraum möglichst lückenlos und detailliert nachgewiesen. Das von
der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen von 1995 an verwendete Bilanzschema ist eine
Matrix von 33 Spalten und 68 Zeilen (einschließlich der Summenspalten und -zeilen).
• In der vertikalen Gliederung (Spalten) sind die Primär- und Sekundärenergieträger sowie
der nicht-energetische Verbrauch von Energieträgern, z. B. als Rohstoffe für die industrielle Produktion, ausgewiesen.
• In der horizontalen Gliederung (Zeilen) werden das Energieaufkommen (Primärenergiebilanz), die Energieumwandlung (Umwandlungsbilanz) und der Energieträgerverbrauch
nach Sektoren dargestellt.
Tab. 2.11 zeigt beispielhaft eine vereinfachte Energiebilanz für Deutschland.
Tab. 2.11:
Beispiel einer vereinfachten Energiebilanz für Deutschland
Gewinnung im Inland
Import/Export
Bestandsentn./-aufst.
Primärenergieverbrauch
Raffinerien
Wärmekraftwerke
Kohlen
Sonstige 1)
Mineralöle
Gase
Strom
[PJ]
[PJ]
[PJ]
[PJ]
[PJ]
Wasserk.2)
Kerne.
[PJ]
[PJ]
Fernw.
Summe
[PJ]
[PJ]
3.307
191
125
621
-
83
-
-
4.327
434
-
5.508
2.221
17
-
1.682
-
9.862
54
-
55
- 30
-
-
-
-
79
3.795
191
5.688
2.812
17
83
1.682
-
14.268
-
-
- 17
-
-
-
-
-
- 17
- 2081
- 2.787
- 60
- 97
- 418
1.281
-
-
-
Brikettfabriken
- 84
-
- 28
82
-
-
-
-
- 30
Kernkraftwerke
-
-
-
-
555
-
- 1.681
-
- 1126
-5
Wasserkraftwerke
Sonst. Energieerzeuger
Eigenverbrauch
Übertragungsverluste
Angebot im Inland
Nicht-energet. Verbrauch.
Stat. Differenzen
-
-
-
-
78
- 83
-
-
- 342
- 10
- 38
14
-
-
-1
417
40
- 21
- 11
- 245
- 95
- 201
-
-
- 10
- 583
-
-
-
- 41
- 82
-
-
- 41
- 164
561
110
5.263
2.354
1.648
-
-
366
10.302
27
-
861
75
-
-
-
-
963
99
-
-
- 116
-
-
-
- 17
Endenergieverbrauch
633
110
4.402
2163
1.648
-
-
366
9.322
Industrie
480
10
346
882
685
-
-
70
2473
Verkehr
0,1
2
2.554
-
58
-
-
-
2614
Haushalte, Gewerbe, Handel,
Dienstleistungen
153
98
1.502
1.281
905
-
-
296
4235
1)
2)
Müll und sonstige Biomasse, sonstige erneuerbare Energien
inkl. Windenergie und Photovoltaik
2 Grundlagen der Energielehre
2-73
Im Folgenden sind die Untergliederungen der kompletten Energiebilanzmatrix aufgezählt:
Untergliederung des Umwandlungsbereiches
Kokereien
Stein- und Braunkohlebrikettfabriken
Öffentliche Wärmekraftwerke (ohne HKW)
Industriewärmekraftwerke
Kernkraftwerke
Wasserkraftwerke, Wind- und Photovoltaikanlagen
Öffentliche Heizkraftwerke
Fernheizwerke
Hochöfen
Raffinerien
Sonstige Energieerzeuger
Untergliederung des Verarbeitenden Gewerbes
Gewinnung von Steinen und Erden, sonst. Bergbau
Ernährung und Tabak
Papiergewerbe
Grundstoffchemie
Sonstige chemische Industrie
Gummi- und Kunststoffwaren
Glas und Keramik
Verarbeitung von Steinen und Erden
Metallerzeugung
NE-Metalle, Gießereien
Metallbearbeitung
Maschinenbau
Fahrzeugbau
Sonstige Wirtschaftszweige
Sonstige Bereiche
Verkehr
Private Haushalte
Handel, Gewerbe, Dienstleistungen
Untergliederung nach Energieträgern
Steinkohlen:
Kohle
Koks
Briketts
Kohlenwertstoffe
Braunkohlen:
Kohle
Briketts
Hartbraunkohle
andere Braunkohlenprodukte
2 Grundlagen der Energielehre
2-74
Mineralöle:
Erdöl (roh)
Ottokraftstoffe
Rohbenzin
Flugturbinenkraftstoff
Dieselkraftstoff
Heizöl leicht
Heizöl schwer
Petrolkoks
Flüssiggas
Raffineriegas
andere Mineralölprodukte
Gase:
Kokereigas, Stadtgas
Gichtgas und Konvertergas
Naturgase
- Erdgas
- Erdölgas
- Grubengas
Elektrischer Strom und andere Energieträger:
Strom
Kernenergie
Fernwärme
Erneuerbare Energien:
Wasserkraft
Wind- und Photovoltaikanlagen
Müll und sonstige Biomasse
Sonstige erneuerbare Energien
Untergliederung des Endenergieverbrauchs
Anwendungsbereiche:
Wärme (Raumwärme, Warmwasser, sonstige Prozesswärme)
Mechanische Energie (Kraft)
Information und Kommunikation
Beleuchtung
Verbrauchergruppen:
Industrie (Produzierendes Gewerbe ohne Branchen des Energieumwandlungsbereichs und ohne Baugewerbe)
Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (inkl. militärischer Dienststellen)
Private Haushalte
Verkehr
Energiearten:
Mineralöle (leichtes und schweres Heizöl, Sonstige (vor allem Kraftstoffe))
Gase (Erdgas, Gas aus Öl und Kohle)
Strom
Fernwärme (aus Kraft-Wärme-Kopplung und Heizwerken)
Kohle (Steinkohle, Braunkohle)
Sonstige (Brennholz, Brenntorf etc.)
Vorratsveränderungen:
2 Grundlagen der Energielehre
2-75
Die an Haushalte und Gewerbe, Handel, Dienstleistungen abgelieferten Mengen fester und flüssiger Brennstoffe werden in der Energiebilanz als Endenergieverbrauch
ausgewiesen. Durch den Auf- und Abbau von Vorräten lagerbarer Energien (besonders Heizöl) kann deshalb bei diesen Verbrauchern der Endenergieverbrauch gemäß
Energiebilanz vom tatsächlichen Endenergieverbrauch abweichen.
Auf der Basis der Energiebilanz wird ein Energieflussbild erstellt. Die Abb. 2.28 zeigt das
Energieflussbild für Deutschland für das Jahr 2007.
Gewinnung
im Inland
0,18
Import
11,8
4,1
16,1
2,1
14,0
1,0
3,8
0,1
0,5
8,6
2,4
2,6
2,2
Industrie
Verkehr
Haushalt
Abb. 2.28:
1,3
Gewerbe, Handel,
Dienstleistungen
Energieflussbild 2007 für die BRD in EJ (*Anteil der erneuerbaren Energieträger von 7,2 %), alle Zahlen vorläufig/ geschätzt
2-76
2 Grundlagen der Energielehre
2.3.4 Probleme bei der Erstellung der Energiebilanz
Bei der Bewertung von Energieträgern, für die es keinen einheitlichen Maßstab wie den
Heizwert gibt, können unterschiedliche Methoden angewandt werden. Dies gilt für:
• den Außenhandel mit Strom,
• die Wasserkraft und die übrigen erneuerbaren Energieträger (außer Biomasse),
• den Müll und
• die Kernenergie.
Wie soll der importierte Strom in der Aufkommensbilanz bewertet werden: mit seinem Energieäquivalent oder mit dem Energieträgerereinsatz für die zu seiner Herstellung notwendigen
Wärme?
Was ist der Primärenergieeinsatz in Kernkraftwerken?
Als Bewertungsmethode in der Energiebilanz wurde bislang das Substitutionsprinzip angewandt: Dabei werden die genannten Energieträger so bewertet, als ob dieselbe Strommenge
in konventionellen Kraftwerken erzeugt werden müsste, wobei für die konventionellen Kraftwerke ein Wirkungsgrad zugrunde gelegt wird, der dem Mittel der öffentlichen Wärmekraftwerke in der Bundesrepublik entspricht (1995 in den alten Bundesländern: 38,3 %).
Von der Energiebilanz für das Jahr 1995 an werden die genannten Energieträger jedoch im
Einklang mit den internationalen Statistiken der IEA, ECE und Eurostat nach dem Wirkungsgradprinzip bewertet. Dabei werden der Bewertung als repräsentativ für die jeweilige Energieumwandlung erachtete Wirkungsgrade zugrunde gelegt. Diese werden beispielsweise für
die Kernenergie mit 33 %, für erneuerbare Energieträger, z. B. Wasser- und Windkraft, Solarenergie etc. und Müll mit 100 % angesetzt. Der Außenhandel mit Strom wird auf Basis des
Heizwerts des Stroms ebenfalls mit einem „Wirkungsgrad“ von 100 % bewertet [Görgen und
Ziesing, 1996].
Beide Verfahren haben dabei ihre Vor- und Nachteile. Die Anwendung der Substitutionsmethode erfasst zwar die Menge der durch andere Energieträger verdrängten fossilen Energieträger effektiv, schlägt aber andererseits den nicht fossilen Energieträgern in der Realität
nicht vorhandene Verluste von etwa 2/3 eines fiktiven Primärenergieeinsatzes (analog den
fossilen Energieträgern) zu. Bei der Bewertung nach dem Wirkungsgradprinzip entfällt diese
Problematik. Dafür bestehen jedoch erhebliche Schwierigkeiten bei der Festlegung der jeweiligen Wirkungsgrade [Görken und Ziesing, 1996]. So sind besonders die mit 100 % angenommenen Wirkungsgrade für die Wind- und Sonnenenergie physikalisch fragwürdig und
können leicht ein falsches Bild vermitteln.
Daneben stellen sich Erfassungsprobleme: In einigen Fällen ist nicht der tatsächliche Energieeinsatz, sondern nur die Lieferung erfassbar (z. B. Heizölverbrauch der privaten Haushalte).
2 Grundlagen der Energielehre
2-77
Bei Kuppelproduktionen von mehreren Produkten in einem Prozess fehlen allgemein gültige
Regelungen über die Aufteilung des Energieeinsatzes auf die einzelnen Produkte (z. B. gekoppelte Strom- und Fernwärmeerzeugung, gekoppelte Erzeugung von Mineralölprodukten
wie Benzin, Diesel, leichtes Heizöl, schweres Heizöl und Bitumen).
2.3.5 Schwächen und Unzulänglichkeiten der Energiebilanz
Die Verwendung gleicher Einheiten, wie Joule oder SKE, täuscht eine energie- und anwendungstechnische Gleichwertigkeit aller Energieträger vor, die nicht gegeben ist. Zur besseren
Beurteilung der Wertigkeit einzelner Energieaufkommen wäre eine Exergiebilanz denkbar.
Der Sektor „Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD)“ beinhaltet Bereiche mit sehr heterogener Verbrauchsstruktur (neben dem Handel und dem Dienstleistungssektor z. B. auch industrielle Kleinbetriebe und Handwerk, die Landwirtschaft und das Baugewerbe). Eine Zusammenfassung aller dieser verschiedenen Bereiche zu dem Sektor „GHD“ bleibt unbefriedigend. Eine weitere Aufteilung ist jedoch schwer möglich, da eine getrennte Erfassung kaum
erfolgt.
Die Energiebilanz enthält keine Aufteilung des Endenergieeinsatzes nach Verwendungszwecken oder Informationen über die Umwandlung von End- in Nutzenergie und Verluste.
Bislang bestehen allerdings weder die methodischen noch die statistischen Voraussetzungen,
um eine hinreichend gesicherte Quantifizierung des Nutzenergieverbrauchs vornehmen zu
können, weshalb man sich auf die Aufteilung des Endenergieverbrauchs auf die verschiedenen Anwendungsbereiche konzentriert. Hierfür werden umfangreiches Datenmaterial sowie
verschiedene Analysen und Messungen herangezogen, Unsicherheiten bleiben dennoch bestehen. Die Tab. 2.12 gibt den Endenergieverbrauch nach Verwendungszwecken für das Jahr
2007 in Deutschland wieder.
Tab. 2.12:
Aufteilung des Endenergieverbrauchs 2007 in Deutschland in PJ
Raumwärme
Prozesswärme
mechanische
Energie1)
Beleuchtung
gesamt
Anteile
Strom
102
532
1 086
185
1 904
22,2 %
Fernwärme
211
53
0
0
264
3,1 %
1 121
1 029
15
3
2 168
25,2 %
Kohle
47
437
0
0
484
5,6 %
Öl2)
564
205
2 464
9
3 242
37,8 %
Sonstige
203
165
153
1
522
6,1 %
Summe
2 248
2 421
3 718
198
8 585
Anteile
26,2 %
28,2 %
43,3 %
2,3 %
Gas
1)
2)
inkl. Information/ Kommunikation
inkl. Kraftstoffe
2 Grundlagen der Energielehre
2-78
2.4 Zusammenfassung
Ziel dieses Kapitel ist es, die Grundlagen der Energielehre zu vermitteln. Um das Grundverständnis für Energie und ihre Erscheinungen zu schaffen, wurde zunächst auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Energielehre, die Thermodynamik, eingegangen. Anschließend wurde als Hilfsmittel zur Analyse und zum Vergleich von Energiesystemen die Bilanzierung allgemein und - speziell vertieft - die Bilanzierung der Energie dargestellt. Im letzten
Teil des Kapitels wurde diese Vorgehensweise auf ganze Wirtschaftssysteme übertragen und
die Energiebilanz der Bundesrepublik Deutschland erläutert.
Die wichtigsten Punkte der drei Hauptabschnitte dieses Kapitels sollen im Folgenden nochmals stichpunktartig zusammengefasst werden.
2.4.1 Naturwissenschaftliche Grundlagen der Energielehre
• Energie ist eine mengenartig teilbare (extensive) physikalische Größe.
• Die wichtigste Eigenschaft der Energie ist das Prinzip der Energieerhaltung, das im ersten
Hauptsatz der Thermodynamik formuliert ist.
• Energie tritt in grundsätzlich zwei verschiedenen Arten auf: als in Systemen „gespeicherte“ Energie oder als zwischen Systemen übertragene „Prozessenergie“:
∗ Nur die Prozessenergie lässt sich in Energieformen unterscheiden, die jeweils
durch den mit dem Prozessenergiestrom verbundenen Strom - einer weiteren extensiven Größe - und mit einer intensiven Größe als treibender Kraft verbunden
sind. Die wichtigsten Energieformen sind die Verschiebearbeit, Bewegungsarbeit,
Rotationsarbeit, Volumenänderungsarbeit, elektrische Arbeit, Energie eines Teilchenstroms, Wärme und Strahlungsenergie.
∗ Die gespeicherte Energie lässt sich im Bereich der Energietechnik üblicherweise in
drei Anteile zerlegen: Die kinetische Energie, die potentielle Energie und die innere Energie genannte Ruheenergie.
• Die unterschiedlichen Energieformen lassen sich ineinander umwandeln, wobei diese
Umwandlungen entsprechend dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beschränkt
sind.
• Im Zusammenhang mit dem zweiten Hauptsatz ist die extensive Größe „Exergie“ definiert, die dem Teil einer Energie entspricht, der bei bestimmten Umgebungsbedingungen
in einem idealen Prozess in mechanische Arbeit umgewandelt werden kann.
• Zur Beschreibung von Zustandsänderungen von Systemen bzw. zur quantitativen Erfassung der Energie ist die Kenntnis des Verhaltens der Materie im Zusammenhang mit Energie von Bedeutung:
∗ Zur Beschreibung der inneren Energie und der Enthalpie dienen die kalorischen
Zustandsgleichungen und Phasenänderungsenthalpien.
∗ Das Verhalten von Materie lässt sich auch in Zustandsdiagrammen darstellen, in
denen Prozesse verfolgt werden können.
2 Grundlagen der Energielehre
2-79
2.4.2 Bilanzierung von energietechnischen Systemen
• Zur quantitativen Analyse und zum Vergleich von technischen Systemen eignen sich Bilanzen über geeignete Bilanzgrößen und Bilanzbereiche:
∗ Die Wahl des durch Bilanzgrenzen festgelegten Bilanzbereichs ist für das Ergebnis
der Bilanzierung von entscheidender Bedeutung.
∗ Bilanzierbar sind prinzipiell alle mengenartig teilbaren physikalischen Größen.
∗ Alle Bilanzen weisen dieselbe Grundform auf: Sie sind aus den drei Grundvorgängen Speicherung, Übertragung bzw. Transport und Wandlung aufgebaut.
∗ Integrale Bilanzen betrachten endliche Mengen oder Ströme der Bilanzgröße über
endlich großen Bilanzbereichen, z. B. ganze Energiesysteme, Anlagen, Maschinen
oder deren Teile.
∗ Differentielle Bilanzen werden dagegen über differentiell kleine Bereiche, meist
über einem Kontrollvolumen dV, gebildet. Sie haben üblicherweise die Form einer
partiellen Differentialgleichung über Zeit und Ort und dienen der Ermittlung von
theoretischen Zusammenhängen, der Modellierung und Simulation.
• Zur Analyse und Beurteilung technischer Energiesysteme werden unterschiedliche Kenngrößen, z. B. Wirkungs- und Nutzungsgrade, Leistungs- und Arbeitszahlen definiert.
• Energiebilanzen lassen sich anschaulich in Energieflussdiagrammen darstellen, die eine
schnelle übergreifende Analyse und Beurteilung ermöglichen.
2.4.3 Bilanzierung von energiewirtschaftlichen Systemen
• Energiebilanzen sind ein wichtiges Hilfsmittel zur Analyse und Darstellung der Energieströme in Wirtschaftssektoren und ganzen Volkswirtschaften.
• Energiebilanzen stellen eine wichtige Datenbasis für alle Arten von energiewirtschaftlichen Untersuchungen zur Verfügung.
• Zur Bewertung von Energieträgern, für die es keinen einheitlichen Bewertungsmaßstab
gibt, kann das Substitutions- oder Wirkungsgradprinzip angewendet werden.
• Für die Bundesrepublik Deutschland (alt) existiert eine Energiebilanz, die seit 1950 detailliert das Energieaufkommen, die Umwandlung und den Endenergieverbrauch dokumentiert.
• Kritikpunkte an der für die Bundesrepublik Deutschland erstellten Energiebilanz sind die
teilweise ungenügende Detaillierung von „Gewerbe, Handel, Dienstleistungen“ und die
fehlende Aufteilung der Endenergie nach Verwendungszwecken.
2-80
2 Grundlagen der Energielehre
2.5 Übungsaufgabe
Aufgabenstellung
Als Übungsaufgabe sollen die integralen Mengen- und Strombilanzen für die Brennstoffmasse und Energie an einem Kohlekraftwerk aufgestellt werden.
Ein an einem Fluss gelegenes Kohlekraftwerk wird über Schiffe mit Kohle beliefert (s. Abb.
2.19). Ein Kohlebunker dient als Puffer zwischen Kohleanlieferung und Kohleverbrennung
im Kraftwerk. Es werden folgende vereinfachende Annahmen getroffen:
•
•
•
•
•
•
•
Die Kohle wird im Kraftwerk vollständig umgesetzt,
eine Speicherung erfolgt ausschließlich im Kohlebunker,
das Kraftwerk selbst arbeitet stationär,
die mit den Abgasen abgeführte Energie wird mit der Abwärme gemeinsam als Verlustwärmestrom erfasst,
es treten keine Verluste in Form von Kohleoxidation auf dem Lagerplatz auf,
es tritt kein Kohleabrieb beim Transport der Kohle zum Kraftwerk auf und
der Energieumsatz chemischer Reaktionen bei der Rauchgasreinigung wird vernachlässigt.
Die folgenden technischen Daten des Kraftwerks sind bekannt:
•
•
•
•
•
Elektrische Leistung des Kraftwerks:
Nettowirkungsgrad des Kraftwerks:
Fassungsvermögen des Kohlelagerplatzes:
Spezifischer Heizwert der Kohle:
Kohleladung des Schiffes:
640 MWel
40 %
400 000 t
30 MJ/kgKohle
1 350 t
Aufgabenstellung:
1. Wie groß ist die Abwärmemenge, die vom Kraftwerk bei Volllastbetrieb täglich abgegeben wird?
2. Wie viele Schiffe n müssen täglich bei
a) Volllastbetrieb
b) einer täglichen Ausnutzungsdauer α des Kraftwerks von 66,7 %
entladen werden, wenn die gelagerte Kohlemenge konstant bleibt?
3. Wie groß ist der Brennstoffmassenstrom bei Volllastbetrieb?
4. Aufgrund von Instandhaltungsarbeiten an der Schiffsanlegestelle kann nur noch ein
Schiff pro Tag entladen werden. Wie lange ist der Volllastbetrieb des Kraftwerks möglich, wenn der Kohlebunker zu Beginn der Instandhaltungsarbeiten zu 90 % gefüllt ist?
2 Grundlagen der Energielehre
2-81
Lösung
1. Es wird eine Energiebilanz aufgestellt. Als Bilanzbereich wird das Kraftwerk ausgewählt.
Die integrale Bilanzgleichung für Mengen über dem Zeitraum eines Tages
( Δt12 = 24 h )lautet allgemein:
ΔE = ΔE12 + ΔΓ12E .
Da das Kraftwerk selbst voraussetzungsgemäß stationär arbeitet, ist der Speicherterm auf
der linken Seite null ( ΔE = 0 ). Ebenso ist der Wandlungsterm aufgrund des Energieerhaltungssatzes null ( ΔE12 = 0 ), da Energie nur von einer in andere Formen übergeführt, nicht
aber erzeugt oder vernichtet werden kann. Als übertragene Energiemengen sind die Abwärme, die elektrische Leistung und der zugeführte Brennstoff zu berücksichtigen. Gemäß
der getroffenen Konvention über die Vorzeichen werden zugeführte Energiemengen positiv, abgeführte negativ bilanziert, die Energiebilanz für den Bilanzbereich Kraftwerk ergibt sich also zu:
0 = ΔE Brennstoff ,12 − ΔWel ,12 − ΔQab ,12 + 0
bzw. mit Zahlen:
0=
640 MWel ⋅ 24 h
− ΔQab ,12 − 640 MWel ⋅ 24 h .
0,4
Daraus ergibt sich für die während eines Tages abgegebene Abwärmemenge:
ΔQ12 =
640 MWel ⋅ 24 h
− 640 MWel ⋅ 24 h = 23040 MWh .
0,4
2. Ausgangspunkt für diesen Aufgabenteil ist die Bilanz der Kohlenmasse über dem Bilanzraum „Kohlebunker“ für einen Tag ( Δt12 = 24 h ):
ΔmK = ΔmK ,12 + ΔΓ12mK .
Da konstante Lagerhaltung vorausgesetzt wird, ist der Speicherterm auf der linken Seite
wieder null ( ΔmK = 0 ). Wandlung tritt ebenfalls nicht auf, da die teilweise Oxidation der
Kohle im Kohlebunker voraussetzungsgemäß vernachlässigt werden soll ( ΔΓ12mK = 0 ). Es
bleiben die Transportmengen der Kohlezufuhr von den Schiffen und der Kohleabfuhr ins
Kraftwerk übrig:
0 = ΔmK ,zu ,12 − ΔmK ,ab ,12 .
Mit der Anzahl n der täglich zu entladenden Schiffe und der Ausnutzungsdauer α gilt damit:
0 = n ⋅ 1350
tK
640 MWel ⋅ α ⋅ 24
−
Schiff
0,4
h
d
⋅
tK
MJ
1
⋅ 3600
3
MWh
30 ⋅ 10 MJ
2 Grundlagen der Energielehre
2-82
und somit
n=
640 ⋅ 3600 ⋅ α ⋅ 24 Schiffe
.
0,4 ⋅ 30 ⋅10 3 ⋅ 1350
d
Bei Volllastbetrieb (α = 1) sind es also 3,41 Schiffe pro Tag, bei einer täglichen Ausnutzungsdauer von 66,7 % 2,28 Schiffe pro Tag.
3. Zur Beantwortung dieser Teilaufgabe wird eine Kohlenmassenstrombilanz um das Kraftwerk aufgestellt, deren allgemeine Form lautet:
dmK
= m& K + Γ& mK .
dt
Da der Speicherterm des stationär arbeitenden Kraftwerks null ist (dmK/dt = 0), treten in
der Bilanz nur der dem Kraftwerk zugeführte Kohlenmassestrom (Brennstoffmassestrom)
und der Wandlungsstrom der Verbrennung auf, bei der Kohle gewandelt wird:
mK
0 = m& K ,zu − Γ& Verbrennung
.
Der Wandlungsstrom der Verbrennung ergibt sich aus der Kraftwerksleistung, dem Kraftwerkswirkungsgrad und dem spezifischen Heizwert der Kohle. Damit ist der zugeführte
Brennstoffmassestrom:
mK
m& K ,zu = Γ& Verbrennung
=
640 MWel MWBr kg
kg
= 53,33
.
0,4 ⋅ 30 MWel MJ Br
s
4. Die Kohlemassebilanz um den Kohlbunker lautet:
ΔmK = ΔmK ,12 + ΔΓ12mK .
Da noch immer die Voraussetzung gilt, dass die im Kohlebunker stattfindende teilweise
Oxidation der Kohle vernachlässigt werden kann, ist der Wandlungsterm null ( ΔΓ12mK = 0 ).
Die Kohlemassebilanz ergibt sich damit zu:
ΔmK = ΔmK ,zu ,12 − ΔmK ,ab ,12 = 1350
tK
t hs
t
− 53,33 ⋅ 10 −3 ⋅ 24 ⋅ 3600 K
= 3257,7 K .
d
sd h
d
Das bedeutet, dass dem Kohlelagerplatz während der Instandsetzungsarbeiten der Anlagestelle bei Volllastbetrieb des Kraftwerks täglich 3 257,7 t Kohle entnommen werden. Damit lässt sich die Reichweite des Kohlevorrats bestimmen:
Δt =
0,9 ⋅ 400000 t K
3257,7
tK
d
= 110,5 d .
2 Grundlagen der Energielehre
2-83
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2 Grundlagen der Energielehre
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