„Objektivität der Mediaagenturen nicht mehr gewährleistet“

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C OV E R m ar k e ti ng & me d i a
Mittwoch, 28. Mai 2008
© SW Schweizer Werbung
10 – medianet
Die Abwicklung – das Delkredere – in der Schweizer Media-Landschaft unterscheidet
sich von Österreich. Kunden sind direkte Vertragspartner der Medienanbieter.
Schweiz Arbeitsgruppe gegen Media-Missstände eingerichtet – Im Media-Geschäft gehe es so undurchsichtig zu wie am Roulettetisch
„Objektivität der Mediaagenturen
nicht mehr gewährleistet“
20 Prozent Rendite bei 1 Prozent Kundenhonorar: Zwingen Kunden Mediaagenturen, ihr Geld bei den Medien zu holen?
Michael Ziesmann
Luzern. Ob ihn die Atmosphäre des
Casinos in Luzern inspiriert hat,
ist nicht bekannt. Dem Präsidenten
des Verbandes Schweizer Werbung
SW, Carlo Schmid, ist der Kragen
geplatzt. Er hatte sich als medienwirksame Plattform den Tag der
Schweizer Werbung ausgesucht,
der im Casino Luzern stattfand:
für ungewohnt deutliche Kritik an
der Marktpraxis der Mediaagenturen. „Neutralität und Objektivität der Beratung durch Mediaagenturen sind nicht mehr gewährleistet. Im Schweizer Media-Markt
geht es so undurchsichtig zu wie
am Roulettetisch“, so Schmid
wörtlich.
Zeit für Maßnahmen
Es gebe mehrere Rabattierungsmodelle, und nicht immer werde
der Grundsatz „Alle Kommissionen
und Rabatte werden den Kunden
erstattet“ beherzigt. „Es ist an der
Zeit, Maßnahmen zu treffen, um
diesem Zustand ein Ende zu setzen,
es sei denn, man wolle riskieren,
dass Verhältnisse wie in Deutschland entstehen, wo zahlreiche
Strafverfahren gegen Branchenmitglieder eingeleitet worden sind.
Dort sind bereits Staatsanwälte am
Ermitteln, es werden Hausdurchsuchungen durchgeführt, um he­
rauszufinden, wer sich in diesem
Rabattierungsgeflecht der Veruntreuung, der Bestechung, ja sogar
des Betruges strafbar gemacht
hat“, so Schmid weiter.
Was war passiert? Hatten bisher
die Schweizer Marktteilnehmer
und berät – leitet die Rechnungen
dann jedoch an die Kunden weiter,
die diese direkt bezahlen. Anders
als in Österreich oder Deutschland, wo die Mediaagenturen Vertragspartner der Medien sind und
damit auch Inkasso und Haftung
übernehmen.
Ziel: 20 Prozent Rendite
„Das System ist ganz
anders bei uns. Veruntreuungen wie im Fall
Ruzicka kann es bei
uns gar nicht geben.“
Walter Merz
Branchen­verband BSW
gebetsmühlenartig argumentiert,
dass die Konsequenzen aus dem
sogenannten Fall Ruzicka für die
Schweiz nicht relevant wären. Das
Delkredere sei ein anderes, „daher
geht hier nichts“, hieß es. Tatsächlich schließen die Medien Verträge in der Schweiz direkt mit den
Kunden. Die Mediaagentur prüft
Woran verdienen Mediaagenturen in der Schweiz, wenn da
„nichts geht“? Dachten einige Werbekunden ernsthaft, dass ein Prozent Honorar auch nur im Ansatz
kostendeckend ist? Die Renditevorgaben der internationalen Media
Networks liegen europaweit bei
20% und mehr. Aus den Honoraren
der Kunden allein können diese gar
nicht erfüllt werden.
Schweizer Branchenkenner berichten, dass auch viele eidgenössische Mediaagenturen nur noch
20% ihrer Gewinne aus Honoraren
der Kunden erwirtschaften. Wie
international üblich, kämen bis zu
80% des Gewinns aus Cashbacks
der Medien und aus kapitalisierten
Naturalrabatten – trotz anderem
Delkredere. Die Medien zahlen die
Zeche.
Wie aus medianet vorliegenden
Unterlagen hervorgeht, geben
Schweizer Vermarkter auch hohe
Schweizer Initiative Arbeitsgruppe gegen Media-Missstände
Gemeinsame Lösungen
medianet: Herr Schwenninger, sie sind Moderator der Arbeitsgruppe gegen Media-Missstände
des Verbandes SW Schweizer Werbung. Was sind die Ziele dieser Initiative?
Marc Schwenninger: Wir haben uns Bestandsaufnahme und Definition von allfälligen Maßnahmen als Ziel gesetzt. Es fragt sich zum Beispiel, ob es Sinn machen würde, einen Code of Conduct
zu erstellen. Am runden Tisch der SW Schweizer Werbung sollen möglichst alle Parteien vertreten sein, so insbesondere auch Vertreter der Mediaagenturen und der Werbeauftraggeber.
medianet: Dieser Versuch ist, ebenso wie der Code of Conduct, in Deutschland gescheitert. Wie
wollen sie konkret diese „deutschen Verhältnisse“ in der Schweiz vermeiden?
Schwenninger: Das kann nicht die SW vermeiden, sondern nur die involvierten Parteien.
Die SW bietet nur eine Plattform für die Marktteilnehmer, um sich auszutauschen und mitei­
nander Lösungsansätze zu kreieren. Wenn die Marktteilnehmer tatsächlich keine Veränderung
wollen, dann macht meines Erachtens auch die Arbeitsgruppe keinen Sinn.
Naturalrabatte. In Beispielfällen
mehr als 50% auf das tatsächlich
gebuchte Budget. Wobei ShareDeal-Commitments wegen des
kleineren Marktes sogar weiter
gehen als in Deutschland: die Umsätze der Mediaagenturen in TV,
Online, Radio oder wahlweise Print
werden gebündelt. Die Summe dessen können Mediaagenturen dort
einsetzen, wo es „individuell ge-
„Es ist an der Zeit,
Maßnahmen zu ­setzen.
Es sei denn, man
wolle Verhältnisse
wie in Deutschland
­riskieren, wo zahlreiche
Straf­verfahren gegen
Branchen­mitglieder
geführt werden.“
Carlo Schmid, Präsident
SW Schweizer Werbung
wünscht wird“. Dies gilt auch für
die Nutzung verschiedener Onlinebuchungssysteme. Dem Vernehmen
nach soll es bei den Abgeltungen
der Medien für den Mehraufwand
bei der Nutzung verschiedener Buchungssysteme „individuelle Vereinbarungen“ mit den Mediaagenturen geben. Diese seien kaum an
den tatsächlichen Mehraufwand,
sondern vielmehr an die „individuellen Bedürfnisse“ der Mediaagentur geknüpft.
Individuelle Bedürfnisse
Dem Vernehmen nach gehen die­
se Geldflüsse ebenso am Kunden
vorbei wie Vergütungen für Commitments zwischen Medien und
Mediaagentur. Diese zusätzlichen
Rahmenverträge sollen Rückzah-
lungen für das gesamte Mediavolumen pro Jahr und Agentur regeln.
Ob dies Cash- oder Naturalrabatte
sind, die die Mediaagentur anderen
Kunden anbieten oder über externe­
Firmen kapitalisieren kann, sei
ebenso „individuell“.
Das Unbehagen einiger Werbeauftraggeber über die Folgen
der von ihnen selbst provozierten
Media-Praxis ist im Zuge der Veröffentlichungen in der Causa Ruzicka so stark geworden, dass sie
ihre eigenen Verträge hinterfragen.Auch weil manche Kundenvertreter selbst die Hand aufhalten – wie angeblich der ehemalige
Ferrero-Mediadirektor Herbert
Korrell – was Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens ist. Schweigegeld, Geldwäsche, oder alles
ganz normal?
Offenbar beginnen einige Werbekunden die fast perfekte Illusion
zu hinterfragen: exzellente Mediaarbeit erwarten, dabei Manpower
und Know-how mit einem Prozent
Honorar abspeisen – und bei besonders guten Golf- und Skikenntnissen am Ende des Tages sogar
noch etwas zurückbekommen. Das
„Perpetuum Mobile Media“ scheint
zu funktionieren.
Arbeitsgruppe eingerichtet
Der Geschäftsführer des Verbandes der führenden Schweizer
Werbe- und Kommunikations­
agenturen BSW, Walter Merz, verweist auf die Branchengrundsätze
für Mediaagenturen. Dieses Papier
würde Arbeitsgrundlagen für Agenturevaluation, Leistungsprofil und
Honorierung festhalten. Jedoch
sind nicht einmal die Hälfte aller
Schweizer Mediaagenturen im BSW
organisiert. Der Schweizer Werbewoche sagte Merz: „Das System ist
ganz anders bei uns. Bei uns kaufen die Agenturen nicht als Broker
Medien ein, sondern buchen nach
Auftrag. Das ist ein Unterschied.
Veruntreuungen wie im Fall Ruzicka kann es deshalb bei uns gar
nicht geben.“
Es gibt viel Gesprächsbedarf für
die Arbeitsgruppe gegen MediaMissstände. Ausgang ungewiss.
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