Hamburger Tweig der Weißen Rose ,,Hamburger Zweig der Weißen Rose" ist ein Begriff der Nachkriegszeit. Direkte personelle Verbindungen zwischen den Hamburger Widerstandsgruppen, in denen Flugblätter der Weißen Rose zirkulierten, und der Münchner Studentengruppe bestanden nur in Einzelfällen. Traute Lafrenz, die ihr Studium in Hamburg aufgenommen hatte, bevor sie 1941 an die Universität München wechselte, und Hans Leipelt, für den dies ebenso zutraf , spielten dabei die entscheidende Rolle. (Bis heute fehlt zu dieser Thematik eine genauere wissenschaftliche Darstellung. Die Ouellenlage wird als dürftig bezeichnet: Entweder wurde belastendes Material während den Verhaftungen von Angehörigen vernichtet, oder die Gestapo-Akten sind bei Luftangriffen verbrannt.) Der Begriff ,,Hamburger Zweig der Weißen Rose" subsummiert mehrere, unabhängig voneinander existierende informelle Freundes- und Interessenkreise unter Studenten und Intellektuellen in Hamburg, die den Nationalsozialismus ablehnten. Über einzelne Angehörige gab es unter ihnen Ouerverbindungen. Die Informationen über die Münchner Geschehnisse, die sie im Herbst 1942 erhielten, gaben ihnen erneute lmpulse, aus ihrer individuellen Haltung der Verweigerung in aktive Opposition überzugehen. Sie diskutierten die Flugblätter der Weißen Rose, gaben sie weiter und planten eigene Aktionen. Die Hamburger Buchhandlung ,,Agentur des Rauhen Hauses", die Buchhandlung Kloss und der Laden von Felix Jud in den Colonnaden waren zentrale Treff punkte und Bezugsquellen für verbotene Literatur. Hervorzuheben sind im wesentlichen die beiden Freundeskreise um Heinz Kucharski und Hans Leipelt, das ,,Musenkabinett" sowie die ,,Candidates of Humanity". Ab Sommer/ Herbst 1943 wurde gegen ihre Anhänger in langwierigen Verfahren ermittelt. Die jüngere Forschung geht von insgesamt mindestens 30 betroffenen Personen aus. Sieben starben während der Haft. Der Kreis um Hans Leipelt und Karl Ludwig Schneider Leipelt und Schneider, beide aus oppositionellen Elternhäusern, waren eng befreundet. Die politische Gegnerschaft verstärkte sich bei Leipelt durch die existentielle Bedrohung seiner Familie: Leipelt galt als ,,Halbjude", die Familie seiner Mutter befand sich in akuter Lebensgefahr. 1940 wurde Leipelt aus der Wehrmacht ,,als wehrunwürdig" entlassen, im Winter begann er sein Chemiestudium in Hamburg. In dieser Zeit entwickelte sich ein Freundeskreis, zu dem die Musikstudentin Dorle Zill, Howard Beinhoff, llse Ledien und Maria Leipelt, Schwester von Hans Leipelt, dazukamen. 1941 musste Leipelt die Hamburger Universität wegen seiner jüdischen Abstammung verlassen. Er setzte sein Studium in München bei Prof. Heinrich Wieland fort und lernte dort Marie-Luise Jahn kennen. Neben neuen Kontakten zu oppositionellen Studenten hielt Leipelt weiter die Verbindung zu seinen Freunden in Hamburg. Besonders für Schneider wurde der Hambuger Freundeskreis zur ,,Lebensinsel". lhr Ausdrucksmittel war selbst verfasste politische Satire. 1942 verstärkte sich Leipelts Verzweif lung durch die Deportation seiner Großmutter nach Theresienstadt. Maria Leipelt musste die Schule verlassen, der Vater starb im Seotember. Der Kreis um Heinz Kucharski und Margarethe Rothe Der Kreis um Kucharsl<i entwickelte sich bereits ab 1936. Heinz Kucharski, Margarethe Rothe und Traute Lafrenz waren Schüler der Klasse von Erna Stahl auf der Lichtwark- Schule in Hamburg. Stahl vermittelte ein freiheitliches Denken, das bei ihren Schülern nicht ohne Wirkung blieb. Nachdem sie 1935 an eine andere Schule versetzt worden war, behielt sie den Kontakt zu einzelnen Schülern durch sog. Leseabende bei, an denen Literatur und Kunstwerke besprochen wurden. Kucharski gilt als intellektueller Kopf. Er lud zusätzlich auch zu sich ein, um zu lesen und einen ausländischen Sender abzuhören. Bereits 1940 wurde Kucharski mit Rothe aktiv: Sie verteilten Streuzettel mit der Angabe der Sendezeiten und Wellenlänge des ,,Deutschen Freiheitssenders" aus Paris und dem Aufdruck ,,Gegen Hitler und den Krieg". Kucharskis politische Einstellung war kommunistisch. 1941 lernte er Hans Leipelt kennen und traf seinen ehemaligen Schulfreund Karl Ludwig Schneider wieder. Über Kucharski erhielt wohl auch Leipelt marxistische und kommunistische Literatur. ,,Musenkabinett" Das Musenkabinett war ein ab 1940 bestehender Zusammenschluss von an Musik, Literatur und Kunst lnteressierten. Dieser eher schöngeistig orientierte Kreis aus unterschiedlichen Generationen traf sich privat, um verbotene Kunst, Musik und Literatur zu diskutieren. Zu den Teilnehmern gehörten u,a, der Schriftsteller Wolfgang Borchert, der Medizin Professor Prof . Rudolf Degkwitz und der Medizinstudent Albert Suhr. Über die Buchhändlerin Hannelore Willbrandt ergab sich in der Buchhandlung Kloss im Herbst 1942 der Kontakt zwischen Kucharski, Rothe und Suhr. Besonders Suhr und Kucharski verband der Wunsch nach aktivem Handeln. Über Suhr lernte Kucharski Angehörige des Musenkabinetts kennen. Willbrandt kannte weiterhin Martin Meier, Reinhold Meyer (Schulfreund von Albert Suhr) sowie Howard Beinhoff, der in brieflichem, rein persönlichem Kontakt mit Sophie Scholl stand. Die von Reinhold Meyer, Germanistikstudent, geführte Buchhandlung ,,Agentur des Rauhen Hauses" am Jungfernsteg 50 entwickelte sich 1942 zum zentralen Treff punkt von Hamburger Gegnern des NS-Regimes. Nach den Luftangriffen auf Hamburg im Juli und August 1943 traf man sich weiterhin im unzerstörten Kellerraum. Doch auch der französische Schriftsteller Maurice Sachs verkehrte dort als Spitzel der Gestapo. (Kucharski hatte gehofft, durch ihn Verbindungen zur R6sistance aufnehmen zu können.) Reinhold Meyer starb im November 1944 im Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel. ,,Candidates of Humanity" Die Candidates of Humanity nannte sich eine Gruppe von jungen Arzten am Universitätsklinikum Eppendorf, meist Schüler des Kinderarztes und Hochschullehrers Prof . Rudolf Degkwitz. Eine Verbindung zum ,,Musenkabinett" bestand über die Freundschaft zwischen Albert Suhr und dem Medizinstudenten Friedrich Geussenhainer. Auch auf diese Gruppe wurde ein Spitzel der Gestapo angesetzt. Verbreitung der Flugblätter in Hamburg Erste Verbindung von München nach Hamburg stellte Traute Lafrenz her. Sie hatte 1939 Alexander Schmorell kennen gelernt und traf ihn 1941 in München wieder. Über Schmorell befreundete sie sich mit Hans Scholl. Eigenhändig und ohne Absprache mit Scholl brachte sie Ende 1942 das dritte Flugblatt der Weißen Rose nach Hamburg. Sie zeigte es Schneider, Rothe und Kucharski. Schneider legte es an der Universität in Hamburg aus und Kucharski gab es an Albert Suhr weiter, der es von Willbrandt mit einigen Durchschlägen abschreiben ließ. Eine Kopie ging auch an Howard Beinhoff, das Original an Jürgen Bierich, der zum Musenkabinett gehörte. Suhr und Willbrand verbreiteten mit dem dritten Flugblatt auch das Gedicht von Erich Kästner ,,lhr und die Dummheit zieht in Viererreihen". Das Flugblatt der Weißen Rose wurde in Hamburg nicht, wie durch die Münchner Studenten, großflächig mit der Post verbreitet. Vermutlich war Leipelt in dieser Zeit noch nicht riber die Flugblattaktion informiert. Den Kreis der Weißen Rose in München hatte er nicht persönlich gekannt. Doch zu Beginn des Jahres 1943 wurde er aktiv. Nach den Verhaftungen und Hinrichtungen der Münchner Studenten berichtete Leipelt im April 1943 Kucharski in Hamburg vom Schicksal der Münchner Gruppe und den Vorfällen im Deutschen Museum. Er hatte die Rede des Gauleiters Giesler vollständig mitstenographiert. Marie-Luise Jahn las den Anwesenden das sechste Flugblatt vor. Über Kucharski gelang es mit Hilfe einer Schweizer Botschaftsangestellten angeblich auch ins Ausland. Ein eigens verfassten Bericht über die Münchner Ereignisse sollte an ausgewählte Personen und an den englischen Rundfunk weitergegeben werden. Der Wunsch nach aktivem Widerstand führte zu weiteren Plänen, die jedoch alle nicht ausgeführt wurden. Leipelt, der Geld für die Witwe von Kurt Huber sammelte, erhielt auch in Hamburg von Rothe und Schneider finanzielle Unterstützung. Verhaftungen und Verurteilungen Die Zerschlagung des Hamburger Zweigs der Weißen Rose begann mit Verhaftung am Eppendorfer Krankenhaus. lm Juli 1943 wurde u.a. Friedrich Geussenhainer von den ,,Candidates of Humanity" festgenommen, am 13. September 1943 der Medizinstudent Albert Suhr, nach der Verhaftung von Leipelt in Mr-inchen im Oktober 1943 sein Freundeskreis in Hamburg. Gegen 24 Personen wird im November 1944 ein Strafverfahren eingeleitet. Nach langer Haft wurden schließlich vier Personen am 17. April 1945 vor dem VGH verurteilt: Der Buchhändler Felix Jud erhielt vier Jahre Zuchthaus, Prof . Rudolf Degwitz eine siebenjährige Haftstrafe, Thorsten Müller erhielt 1O Jahre. Kuchraski, zum Tode verurteilt, gelang auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte in Mecklenburg während eine Tieffliegerangriffs die Flucht. Sieben Personen überlebten die Haftzeit nicht: Margarethe Rothe, Dr. Katharina Leipelt, Elisabeth Lange, Friedrich Geussenhainer {starb im KZ Mauthausen), Margarethe Mrosek, Dr. Curt Ledien und Reinhold Meyer (vermutlich an den Folgen eines Verhörs). Wenige Tage vor dem für den 17. - 20.4.45 vorgesehenen Prozess wurden Albert Suhr, Bruno Himpkamp, Karl Ludwig Schneider, DorotheaZill, Gerd Spitzbart und Wilhelm Stoldt in den letzten Kriegstagen von den Amerikanern befreit. Copyright: Ursula Kaufmann, Weiße Rose Stiftung e.V.