Stimmen zur Weißen Rose* Klaus von Dohnanyi Für eine gerechte Sache aufzustehen und stehen zu bleiben ist der Quell allen humanen Fortschritts. Da gibt es zwischen Zeiten der Tyrannei und Zeiten demokratischer Freiheit nur den einen Unterschied: In Zeiten der Freiheit geht es dann nicht um Leben oder Tod. “Zivilcourage” nennen wir deswegen heute was “Widerstand” in den Jahren totalitärer Repression genannt wurde. Zivilcourage bedeutet die Bereitschaft, jenes Risiko aufzunehmen, das mit dem Widerspruch gegen den Druck der öffentlichen Meinung oder auch einer betrieblichen oder parteipolitischen Hierarchie verbunden sein kann. Der Widerstand gegen den Naziterror ist hier nur insofern Vorbild, als wir Heutigen erinnern müssen, wie viel größer, ja wie ganz anders das Risiko damals war. Arno Gruen Sophie und Hans Scholl waren Menschen, die aus ihrem Herzen heraus das Menschsein zum Kern ihres Seins machten. Sie kämpften gegen jene, die das Ungeheure erdachten und damit das Vertrauen von Mensch zu Mensch zerstörten. Heute, in einer Welt, in der die Jagd nach Ruhm und der globalisierte Hass zum Ersatz für wahre menschliche Beziehung geworden ist, sind wir mehr denn je gefragt, das Vertrauen der Geschwister Scholl in das Menschsein aufrecht zu erhalten. Es geht darum, für wirkliche Bedürfnisse der Menschen zu kämpfen, Elend, Armut und die Ausgrenzung und Entwürdigung ganzer Bevölkerungsgruppen zu unterbinden. Hildegard Hamm-Brücher Als wir im Mai 1985 – anlässlich der 40. Wiederkehr des Kriegsendes und der Nazi-Tyrannei – eine Stiftung gründen wollten, die dem Andenken des studentischen Widerstands gewidmet werden sollte, war zu befürchten, dass es für ein lebendiges Andenken bereits zu spät sei. Dass man nicht viel mehr tun könne, als Gedenktage zu veranstalten und uns an Treffen von Vereinigungen mit ähnlichen Zielsetzungen zu beteiligen. Seither hat die Stiftung zwar auch diese Tätigkeiten wahrgenommen, aber es ist ihr viel mehr gelungen als repräsentatives Gedenken. Sie hat mit ihren Aktivitäten und Persönlichkeiten, mit ihren Initiativen und Interventionen, mit ihren Begegnungen mit jungen Menschen und last not least mit ihrer Ausstellung einen festen, dauerhaften und vor allem lebendigen Platz in unserer deutschen „Erinnerungskultur“ errungen. Charlotte Knobloch Mit dem Widerstand ist das so eine Sache. Widerstand ist erst im Nachhinein möglich, wird erst zu spät geduldet. Die Weiße Rose geht mir unter die Haut, weil sie dieses Gesetz bestätigt. Wer Widerstand leistet, ist nicht beliebt. Im Gegenteil. Wer Widerstand leistet, bringt Sand ins Getriebe, stört, ist verdächtig, ein Querulant. Besonders schlimm ist es den tapferen Widerstandskämpfern der Weißen Rose ergangen. Sie haben für ihren Widerstand mit dem Leben bezahlt. Das erschüttert mich bis auf den heutigen Tag. Doch zugleich erfüllt mich die Weiße Rose mit Bewunderung. Sie gibt mir Kraft. Meine Weiße Rose ist ein Vorbild. Jutta Limbach Unser Begriff vom Widerstand wird weiterhin von dem Staatsstreich des 20. Juli 1944 geprägt. Die Rechtmäßigkeit der Gegenwehr wird häufig davon abhängig gemacht, ob diese 2 geeignet war, das Unrechtsregime zu erschüttern. Antigone, unser literarisches Sinnbild des Widerstands, setzte nur ein moralisches Zeichen, als sie entgegen dem Verbot des Despoten ihren Bruder begrub. Widerstand ist nicht nur eine Sache derjenigen, die den Hebel der Macht zu bedienen und Gegengewalt zu üben vermögen. Gerade unter einer menschenverachtenden Herrschaft kommt es auf das Aufbegehren jedes einzelnen Menschen an. Edmund Stoiber In den 50er Jahren, in Gesprächen mit meinem Vater über die Frage, wie konnte denn Hitler an die Macht kommen, bin ich erstmals mit dem Begriff und den Umständen des Widerstands gegen Hitler und die Nationalsozialisten in Berührung gekommen. Der Mut dieser Menschen, ihre Zivilcourage und ihre Weitsicht haben mich nachhaltig beeindruckt. Eine Weitsicht, wie sie auch im letzten Flugblatt der Weißen Rose vom 18. Februar 1943 zum Ausdruck kommt, in dem von einem neuen geistigen Europa die Rede ist, das nach der NS-Diktatur aufgerichtet werden muss. Aus dem Vorbild der Frauen und Männer des 20. Juli, besonders der Weißen Rose, des Kreisauer Kreises, der Christen, der Sozialdemokraten, der Konservativen, die unter Gefahr des eigenen Lebens Widerstand geleistet haben, leite ich für mich heute ab: Einsatz für eine wertgebundene und abwehrbereite Demokratie, Einsatz für ein wertorientiertes Europa, das sich seiner geistigen Grundlagen bewusst ist und bewusst bleibt. Erwin Teufel Die erste bewusste Begegnung mit der Weißen Rose verdanke ich meiner Mutter: Anfang der fünfziger Jahre schenkte sie mir das Buch ”Die weiße Rose” von Inge Scholl. Ich habe das Bändchen verschlungen und kannte viele Passagen der Flugblätter bald auswendig. Später erhielt ich ein Buch mit Abschiedsbriefen und Aufzeichnungen von Widerstandskämpfern, die mich tief beeindruckt und bewegt haben. Die Lektüre dieser Bücher hat mich für mein weiteres Leben sehr stark geprägt. Ich habe aus ihnen gelernt, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern täglich neu erarbeitet werden müssen. Auf diese Weise hat die Beschäftigung mit der Geschichte der Weißen Rose maßgeblich dazu beigetragen, dass ich den Weg in die Politik eingeschlagen habe. Wolfgang Thierse Widerstand – das heißt für mich ”Gesicht zeigen” – Handeln aus Überzeugung – Werte, in meiner Vorstellung demokratische Werte, verteidigen, sich nicht anpassen, auch wenn der Preis, den man zu zahlen hat, existenziell sein kann, so wie bei den Mitgliedern der Weißen Rose oder den Männern des 20. Juli. Widerstand bedeutet dabei, auch eigene Ängste zu überwinden. Das ist auch heute noch so, selbst wenn wir in einer gefestigten Demokratie und damit in einer ungleich besseren Situation leben. Aber auch heute gilt: Nicht zuschauen, Kopf schütteln und klagen. Ob Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit, Gewalt an Schulen, latente Bedrohung durch Terroristen, immer wieder braucht es unseren Widerspruch und Widerstand. Nur so können wir erfolgreich den Feinden der Demokratie, die es ja nach wie vor gibt, wirksam entgegentreten. Das ist anstrengend, gewiss. Aber das Erbe derer, die ihren aufrechten Gang, die ihren Widerstand mit dem Leben bezahlt haben, verpflichtet uns hierzu. Michael Verhoeven 3 Die Begegnung mit den Familien, den Freunden, denen, die mit ihnen gelebt haben, sie geliebt haben, hat für mich unschätzbaren Wert. Die Weiße Rose nimmt in meinem Film Gestalt an, die nicht so kontrovers ist, wie sie vielleicht sein sollte, da es um Menschen geht, die wirklich gelebt haben. Auch die Mitteilung der engsten Vertrauten ist subjektiv. Meine eigene Wahrnehmung kann ohnehin nicht objektiv sein. Denen, die mir geholfen haben, mich der Weißen Rose anzunähern, bin ich dankbar, einigen in bleibender Freundschaft verbunden. Ich danke Franz Josef Müller, Anneliese Knoop-Graf. Ich danke Manuel Aicher. Ich danke Clara Huber, Birgit Weiß-Huber, Wolfgang Huber. Ich danke Michael Probst, Hertha Siebler-Probst. Ich danke Erich und Herta Schmorell. Ich danke Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher, Elisabeth Hartnagel-Scholl und Fritz Hartnagel. Ich danke Hans und Susanne Hirzel, Heiner Guter, Britta Müller-Baltschun, Hildegard Hamm-Brücher, Karin Friedrich, Hubert Furtwängler und Marguerite Furtwängler-Knittel, George Jürgen Wittenstein, Heinz Bollinger, Falk Harnack, Traute Lafrenz, Gisela Schertling, Mathilde Baez-Graf, Thorsten Müller, Katharina Schüddekopf, Nikolaj Hamazaspian, Lilo Fürst-Ramdohr und Wulfried Muth. Hans-Jochen Vogel Meine erste Berührung mit der Weißen Rose liegt weit zurück. Ich habe nämlich im Frühjahr 1943 ein paar Wochen an der Münchner Universität studiert. Als ich im April dort hinkam, waren seit der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl knapp acht Wochen vergangen. Unter uns Studenten wurde über das, was da geschehen war, immer wieder gesprochen. Aber mit der Vorsicht und Zurückhaltung, die damals geboten erschien. Und der Gedanke, man könne, ja man müsse dem eigenen Staat sogar im Krieg Widerstand leisten, war den meisten von uns und auch mir fremd. Dafür hatte uns die Agitation des damaligen Regimes noch zu fest im Griff. Christian Ude Als Schüler fand ich heraus, dass die Geschwister Scholl in der Schwabinger Nachbarschaft gewohnt hatten. An der Universität, in der sie die Flugblätter im Lichthof verteilten, kam ich genauso oft mit der Trambahn vorbei wie am Justizpalast, in dem sie zum Tode verurteilt worden waren. Das machte mir klar: Nationalsozialismus und Widerstand spielten sich nicht in einer fernen Welt ab, sondern hier, mitten in unserer Umgebung. Den Mut der Weißen Rose, im Angesicht drohender Gestapo-Folter und Todesurteile Widerstand zu leisten, hätte ich nie. Umso wichtiger wurde es mir, sich rechtzeitig für Demokratie und Rechtsstaat, gegen Intoleranz, Rassenwahn, rechte Gewalt und demokratiefeindliche Bestrebungen zu engagieren, in einer Zeit, in der dies kein unzumutbares Risiko darstellt. Das ist in meinen Augen das wichtigste Vermächtnis der Weißen Rose. Richard von Weizsäcker Jede Generation steht zu ihrer eigenen Zeit vor neuen Herausforderungen der Freiheit. Unvergleichbar untereinander sind dabei die Ansprüche an den Mut, das Geheimnis der Freiheit. Aber auf Anteilnahme drängen sie alle. Als Unterdrückung im Lande herrschte, verteilten die todesmutigen Mitglieder der Weißen Rose ihren Aufruf: “Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt habt. Entscheidet Euch, ehe es zu spät ist.” In ihren Flugblättern war nicht von bestimmten Staatsformen die Rede, sondern von der Notwendigkeit eines ethischen Verhaltens der Beteiligung an jedem Gemeinwesen. Heute ist es nicht anders. In der Freiheit zu bestehen, ist für uns im neuen Jahrhundert keine Frage auf Leben und Tod, aber die entscheidende Herausforderung an unsere zukünftige Zivilisation und an die Courage der jungen Generation. 4 *Auszüge aus „Erinnern und Erkennen“, Festschrift für Franz J. Müller, 2004