Übungen zur Einführung in die Astronomie und Astrophysik II Aufgabenblatt 9, 17. Jan. 2008 Aufgabe 20 Gezeitenradien lassen sich oft relativ einfach in einem gebundenen System zweier auf Kreisbahnen umeinander rotierender Galaxien beschreiben. Dazu wählt man ein mit der Umlauffrequenz Ω mitrotierendes System (Roche-Potential) und untersucht Jacobis Integral 1 EJ = v 2 + Φeff (x) , 2 wobei Φeff (x) = Φ(x) − |Ω × x|2 /2 das effektive, mitrotierende Potential ist. In diesem System mit dem Massenabstand D wird der Gezeitenradius durch den inneren Lagrangepunkt L1 definiert, bis zu dem alle Äquipotentialkurven um M1 oder M2 geschlossen sind. Die Abstände von L1 zu den beiden Galaxienzentren werden mit r1 und r2 bezeichnet und entsprechen den Gezeitenradien. (a) Benutzen Sie das Roche-Potential Φeff , indem Sie die beiden Punktmassen (M1 M2 ) so auf die x-Achse legen, daß der Schwerpunkt gerade den Wert x = 0 annimmt. Stellen Sie die Umlauffrequenz Ω als Funktion der Bewegung um den Schwerpunkt dar und leiten Sie das effektive Potential in L1 ab. [1 Punkt] Potential am Lagrangepunkt L1 Die Winkelgeschwindigkeit läßt sich aus der Gleichung für die Geschwindigkeit der Relativbewegung ableiten. Aus G(M1 + M2 ) v2 = D folgt mit v = ΩD sofort G(M1 + M2 ) . Ω= D3 Das gesamte Potential an einem Punkt x, der auf der x-Achse liegen soll, ist dann Φeff (x) = − GM1 GM2 1 G(M1 + M2 ) 2 |x| − − |x − r1 | |x − r2 | 2 D3 (b) Gehen Sie davon aus, daß für dieses Potential die auf einen Stern am inneren Lagrangepunkt wirkende Kraft verschwindet. Lösen Sie die daraus entstehende Bestimmungsgleichung für r2 näherungsweise, indem Sie die Ungleichheit der beiden Massen auf das Verhältnis r2 /D übertragen (Reihenentwicklung). [3 Punkte] Bestimmung des Rocheradius von M2 Der innere Lagrangepunkt liegt auf der Koordinate x = x2 − r2 . Die Summe aller Kräfte muß dort verschwinden, also 1 0= G dΦeff dx = x2 −r2 M1 M2 M1 + M 2 − + x . 2 2 (x − x1 ) (x − x2 ) D3 Das negative Vorzeichen im zweiten Term zeigt die entgegengesetzte Richtung der Kraft an. Setzt man nun D = x2 − x1 , so gilt x − x1 = D − r2 und x − x2 = r2 , und damit M1 M2 M1 + M 2 − 2 − (x2 − r2 ) = 0 . 2 (D − r2 ) r2 D3 x2 ist die Koordinate des Schwerpunkts, x2 = DM1 /(M1 + M2 ). Eingesetzt ergibt dies eine kubische Gleichung in r2 , M2 M1 M1 + M2 M1 − 2 − 2 + r2 = 0 . 2 (D − r2 ) r2 D D3 Hier kann eine Reihenentwicklung zur Näherung eingesetzt werden, sofern M2 M1 gilt. Dann ist auch r2 D. Für den ersten Term ist damit M1 M1 r2 2 1 + 2 + ... 2 2 D (1 − r2 /D) D D und aus der ursprünglichen Gleichung ergibt sich die einfache Näherung M2 r2 3M1 + M2 13 M2 D 3M1 13 D . Der äußere Lagrangepunkt L2 erhält den entsprechend negativen Wert und liegt dann bei x = x 2 + r2 . Aufgabe 21 Die Gesamtmasse der Milchstraße (einschließlich nicht-leuchtender Materie) beträgt nach kinematischen Untersuchungen ∼ 7 1011 M , die der Großen Magellanschen Wolke (LMC) ∼ 2 1010 M . Die Entfernung zwischen beiden Zentren beträgt ∼ 50 kpc. (a) Berechnen Sie die Gezeitenradien der beiden Galaxien, nach dem Ergebnis von Aufgabe 20 und vergleichen Sie diese Werte mit den Gezeitenradien, die ohne Berücksichtigung des Trägheitsterms bestimmt werden. [3 Punkte] Gezeitenradien von Milchstraße und LMC Nach Aufgabe 20(b) erhält man den Gezeitenradius der LMC (entsprechend r2 ) zu M2 r2 3M1 13 D = 10.6 kpc . Der Gezeitenradius der Milchstraße ist dann r1 = D − r2 = 39.4 kpc. Ignoriert man stattdessen den Trägheitsterm, so verbleibt die Gleichung für die angreifenden Kräfte, M1 M2 − =0 . (D − r2 )2 r22 Daraus folgt ohne weitere Näherungen eine quadratische Gleichung mit der Lösung √ M 1 M2 − M2 r2 = D . M1 − M 2 Setzt man die angegebenen Werte ein, dann ist r2 = 7.2 kpc. Der Rotationsterm ist also nicht vernachlässigbar. Aufgabe 22 Van Maanen hat in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts behauptet, für die Spiralgalaxie M101 (siehe nebenstehende Abbildung) die Eigenbewegung der äußersten Sterne gemessen zu haben1 . Als Wert erhielt er µ 0.02 /yr. (a) Warum kann dieser Wert nicht stimmen, wenn man davon ausgeht daß M101 einen mindestens so großen metrischen Durchmesser hat wie die Milchstraße? [2 Punkte] Eigenbewegung von M101 Die Abbildung zeigt ungefähr den ganzen Durchmesser von M101. Nach Voraussetzung soll der Durchmesser mindestens so groß sein wie jener der Abbildung 1: M101, Kantenlänge ∼ 20 Milchstraße (das wären dann 2 × ∼ 10 kpc; tatsächlich ist er sogar noch größer). Also hat M101 einen Maßstab von mindestens 16.7 pc/arcsec und 0.02 arcsec/yr entsprechen damit 0.33 pc/yr = 326000 km/s. Entweder rotiert M101 mit Lichtgeschwindigkeit oder Van Maanen hat zwischen den beiden Beobachtungsepochen 1000 Jahre vergehen lassen. (b) Warum hat Van Maanen nicht einfach die Rotationsgeschwindigkeit gemessen? [1 Punkt] Rotationsgeschwindigkeit von M101 Wie die Abbildung zeigt, wird M101 praktisch face on beobachtet. Die Galaxie rotiert damit in der Ebene senkrecht zur Beobachtungsrichtung und eine Messung des (longitudinalen) Dopplereffekts ist unmöglich. 1 zu dieser Zeit war noch nicht klar, ob die beobachteten Nebel zur Milchstraße gehörten oder weiter entfernt waren