Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Die soziokulturelle Evolution und der kulturelle Wandel – Zentrale Fragestellung1: Welche sind die: „Konstitutionsmechanismen und Regelhaftigkeiten soziokultureller Evolution“ Abgrenzung zwischen biologischer und kultureller Evolutionstheorie In den Theorien über die biologische und die kulturelle Evolution finden wir Terminologien, die dazu verleiten, die beiden Evolutionsprozesse per Analogien miteinander zu vergleichen. Auch wenn wir angebliche Gemeinsamkeiten beobachten, sind die Differenzen zwischen den zwei Prozessen doch erheblich, so dass kulturelle Evolution als eine unabhängige und eigenständige Theorie betrachtet werden muss. Definitionen und Modelle Bayer, Klaus: „Unter dem Begriff „Kultur“ fassen wir all jene Verhaltenweisen einer Population zusammen, die von Generation zu Generation durch Lernen weitergegeben werden.“ Unter „Evolution der Kultur“ verstehen wir: „(…) die evolutionäre Entstehung von Lernen, insbesondere auch von Imitationslernen, als Grundlage für die Überlieferung erlernter Verhaltensweisen.“ (S. 48) Scott, John Paul: Scott definiert Evolution (S. 232) - „ (...) as the changes in the organization of living systems that persists for more than generation (...) “ - Evolution includes changes processes on 3 levels of organization: • Genetic systems Theories of: biological evolution • Social Systems* cultural evolution • Ecosystems ecosystem change * Social Systems are affected by all three of these processes (!!!) „ (...) cultural change, defined as change in behavior resulting from changes in behavioral information passed along from one generation to another. “ (ebda) 1 Die Thesen zu diesem Referat sind fortlaufend im Text integriert 1 Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Der Einfluss der biologischen auf die kulturelle Evolution Aus den Definitionen geht hervor, dass Kultur auch dank der Lernfähigkeit der Individuen von Generation zu Generation weitergegeben wird. In der Geschichte der biologischen Evolution kam dieser Prozess in Gange. Lebewesen entwickelten die Fähigkeit, durch Beobachtung und Nachahmung die Verhaltensmuster ihrer Populationsmitglieder aufzunehmen. Neben weiteren Evolutionsprozessen, wie der aufrechte Gang, legte die biologische Evolution die „Weichen“ für den Beginn eines der zentralsten Faktoren des kulturellen Evolutionsprozesses: die Entwicklung der menschspezifischen Anatomie zur Sprachfähigkeit und somit zur Kommunikation. Zur Strategie der Sprache und der Kommunikation Wie sind Sie dort mit der Sprache zurechtgekommen? Wobei dem die Frage zugrunde liegt: Wie sind Sie dem vitalen Bedürfnis nach Kommunikation nachgekommen? Oder genauer noch die ideologische Behauptung, die durch die praktische Frage bemäntelt wird: Kommunikation gibt es nur in der Sprache Roland Barthes, aus: Das Reich der Zeichen Eins der wichtigsten Ergebnisse der biologischen Evolution - für die Menschheitsgeschichte - ist die Entwicklung der Anatomie und Neurologie zur Sprachfähigkeit. Auf der Basis der biologischen Evolution verlief der Prozess wie folgt: Verkürzung Kiefer Verkürzung Zahnlänge Vergrösserung Schädels infolge Bildung Sprachapparat und Gehirnvergrösserung Die anatomische Evolution zur Sprachfähigkeit ermöglichte die kulturelle Evolution. Die Fähigkeit der Individuen einer Gruppe untereinander durch Sprache zu kommunizieren erhöhte bspw. die Wahrscheinlichkeit die Lösung eines Problems zu finden. Das Problem wurde z.B. der Gruppe kommuniziert und jemand unter ihnen gelang zu einer Lösung bzw. mehrere gelangen durch Kommunikation kollektiv zu einer Lösung. Durch den evolutionären Prozess zur Sprache und zur Kommunikation, entwickelten unsere Urahnen Werkzeuge, Bekleidung, Jagdmethoden, essentielle Faktoren fürs Überleben, die ihnen auch die Möglichkeit gaben, neue Ökosysteme zu entdecken. Die Entwicklung zur Sprachfähigkeit ist nur innerhalb eines sozialen Systems sinnvoll – es erweisen sich für ein einzelnes Individuum keine konkreten Vorteile! Sobald die Sprachfähigkeit in einer Gruppe auftauchte, stellte sie sich von Vorteil gegenüber anderen Gruppen, die nicht über eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit verfügten. Die Fähigkeit zur Sprache und somit zur Kommunikation hat die Überlebenswahrscheinlichkeiten von sozialen Gruppen erhöht. Innerhalb jeder sozialen Gruppe, welche Kommunikation durch Sprache praktizierte, waren jene Individuen mit unausreichenden sprachlichen Fähigkeiten gegenüber jenen mit einer starken sprachlichen Fähigkeit benachteiligt. Die letzteren hatten die besseren Möglichkeiten, Informationen zu kumulieren und die anderen Gruppenmitglieder zu beeinflussen. Wir gehen davon aus, dass eine starke Selektion zugunsten der Sprachfähigkeit stattgefunden hat. Durch die Anwendung von Sprache unter den Gruppenmitgliedern erhöhten sich die Überlebenschancen. Die Anwendung und Entwicklung von Werkzeugen und weiteren Artefakten verlief durch die Kommunikation schneller und effizienter. Zusammenfassung: Die Theorie führt zu folgendem Modell: • mit dem Auftreten einer minimalen Sprachfähigkeit, verfolgte die Evolution das Ziel, diese Fähigkeit zu maximieren. Sprache hat zusätzliche Funktionen: • • soziale Kontrolle und Koordination, Informationstransfer von einem Individuum zum anderen. Dies geschieht zwar auch in nichtmenschlichen Spezies, aber der Prozess ist durch die Sprache extrem beschleunigt, und vereinfacht somit auch den Informationstransfer von einer Generation zur anderen. 2 Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Kultureller Wandel Scott vertritt die Meinung, es würden interessante Analogien zwischen der biologischen und der kulturellen Vererbung bestehen. Es gibt Analogien zwischen den Genen und den Wörtern, welche die Einheit der kulturellen Vererbung sind. Beide dienen der Übertragung von Information. Ein neues Wort kann als Pendant zu einer genetischen Mutation betrachtet werden usw. Aber dies sind bloss Analogien. Wörter und Gene sind verschieden strukturiert und organisiert. Die sprachlichen Evolutionsprozesse werden von kulturbedingten Faktoren gehemmt - die Schriftsprache, weil sie die Wörter in ihrer alten Form behält - die Zunahme von modernen Kommunikationsmitteln und Medien, welche die Isolation zwischen Gruppen unmöglich machen und diese somit keine sprachlichen Evolutionen mehr erfahren - Kulturelle Dominanz These: Die menschliche Kultur ist kumulativ und unterliegt einem ständigen Wandel. Jede neue Generation nimmt neue Informationen auf. Da Kultur nicht biologisch vererbbar ist, muss jedes Kind sein eigenes Kapital an Information kumulieren. Informationen werden aber für immer verloren gehen, weil niemand alle aufnehmen kann. Im Prozess der Organisation der eigenen kulturellen Vererbung wird jedes Kind neue Wege eingehen und Kultur Reorganisieren. These: Gibt es einen Tod in der Kultur, der dem biologischen Tod entspricht? Es kann einen Tod in der Kultur geben, aber dieser ist nicht unausweichlich. Kleine Gruppen von Indianern in Kalifornien starben aus, weil die Conquistadores sie mit ihren „importierten“ Krankheiten angesteckt hatten. Kleine Gruppen können durch Krankheiten ausgerottet werden, durch Kriege, aber ihre Kultur kann sie vielleicht überleben. Kultureller Wandel in Sozialen Organisationen Ein zweiter zentraler Aspekt der kulturellen Evolution betrifft die sozialen Organisationen und die sozialen Systeme, welche ihren Ausdruck in einem einzigartigen menschlichen Phänomen findet: die Institution: „(...) defined as social organization maintained without face-to-face contact (...)“( Scott:254) Die älteste dieser Institutionen ist die Familie und als zweite folgt die Religion, deren Hauptaktivität darin besteht, Rituale zu führen, das Übernatürliche zu ehren und zu respektieren. Nebst den religiösen Institutionen – oder vielleicht gar daraus entstanden – sind die politischen Institutionen, die eine Klasse von Individuen schaffte, deren Funktion darin bestand, das Verhalten von anderen oftmals durch Macht und Gewaltausübung zu regeln. Die aktuellste Institution ist die Wirtschaft. Gruppen von Menschen, die zuerst Werkzeuge und Artefakte mit anderen Individuen verhandelten, rissen später den Produktionsprozess an sich. Jede Institution hat nicht nur bestimmte Funktionen, sondern auch eigene Verhaltenscodes. Keine Institution kann ohne Verhaltenscode funktionieren. Aber beide, der Code sowie die Institution, unterliegen dem zeitbedingten Wandlungsprozess. Innerhalb von Institutionen finden wir die Entpersonalisierung der Interaktion zwischen Mitgliedern und die Spezialisierung sozialer Rollen. Jedes Individuum kann durch ein anderes ersetzt werden. Für das System besteht dabei keine Gefahr. Eine Institution ist dadurch unsterblich, solange die Auswechselbarkeit der Einheiten gewährleistet ist. Wie alle lebenden Systeme, neigen auch Institutionen dazu, zunehmend komplex organisiert zu sein. Dadurch erweist sich ihre Stabilität. Aber auch sie unterliegen der Selektion. These: Campbell (zit. nach Scott:257) vertritt die These, die kulturelle Evolution der Institutionen unterliege dem Selektionsprozess, welcher der natürlichen Selektion entspricht. Wenn zwei oder mehrere Institutionen in Konkurrenz untereinander geraten, überlebt jene Institution, welche am besten die Bedürfnisse der Individuen befriedigt. „(...) human institutions have evolved in ways that are increasingly satisfactory to their members.“ (Scott:257) 3 Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Die Evolution der Ideen Soziokultureller Wandel innerhalb menschlicher Gesellschaften wird vom Denken und der Phantasie der Menschen beeinflusst. Phantasie ermöglicht uns, an die Vergangenheit und an die Zukunft zu denken, wir können ohne ständiges Ausprobieren Probleme lösen, was eine zentrale Rolle in der kulturellen Evolution des Menschen spielte. Diese Fähigkeit ist so zentral, dass eine soziale Selektion zugunsten jener Individuen mit einer starken Fähigkeit zur Phantasie stattfand(findet). Aus dieser Denkform ist die wissenschaftliche Methode entstanden. Wie jedes organisierte System, neigt auch das Wissenschaftssystem zur Stabilität, es behält aber auch unorganisierte Bereiche, welche Wandel und Kreativität zulassen. Die kulturelle Evolution in den theoretischen Modellen 1 - Analogien mit der biologischen Evolution Agner, Fog – www.agner.org/sultsel/chapt3.htm 1) Theorie der kulturellen Selektion: wie verbreitet sich ein Phänomen in einer Gesellschaft aus z.B. religiöse Rituale, eine Kunstrichtung etc. Bevor sich das Phänomen ausbreitet, muss es entstehen. Dies wird als Innovation bezeichnet 2) Danach muss sich das Phänomen von einem Menschen zu einem anderen oder von einer Gruppe zu einer anderen verbreiten: das ist die Imitation oder die Diffusion oder die Reproduktion 3) Der dritte zentrale Schritt ist die Selektion. Als Selektion verstehen wir Mechanismen oder Faktoren, welche einen Einfluss darauf haben, in welchem Ausmass sich das Phänomen verbreiten wird. Das Modell erinnert an Charles Darwins Theorie der Natürlichen Selektion: Variation – Innovation Reproduktion Selektion Trotz der verlockenden Ähnlichkeit zwischen den zwei Theorien gibt es Unterschiede. Einen wichtigen Unterschied liegt darin, dass kulturelle Reproduktion nicht unbedingt mit der menschlichen Reproduktion einhergehen muss. Selektionseinheit – das Mem Welche ist die Selektionseinheit der kulturellen Selektion? Nach Agner Fog gibt es keine universelle Definition, welche die Selektionseinheit in der kulturellen Selektion sei. Die Definition entsteht im Zusammenhang mit dem beobachtbaren Phänomen. Biologische Theorien unterscheiden zwischen dem Genotyp und dem Phänotyp2. Soziobiologen bezeichnen eine kulturelle Disposition oder eine kulturelle Informationseinheit als bspw. artifact type, mnemotype, idea, idene, sociogene, instruction, culture type, culturgen, meme, menteme concept, rule, mental representation definiert. Wir befassen uns kurz mit dem Konzept des Mem. Die externe Manifestation eines Mems entspricht dem Phänotyp der Gentheorie. Allgemeiner kann man sagen: Ein Mem ist eine Einheit, die sich reproduzieren lässt. Aber das Mem ist auch gleichzeitig der 2 Reminiszenzen aus dem Biologieunterricht: „Der Phänotyp oder das Erscheinungsbild ist die Summe aller äußerlich feststellbaren Merkmale eines Individuums. Er bezieht sich nicht nur auf morphologische Eigenschaften, sondern auch auf physiologische Eigenschaften. Im Phänotyp spiegeln sich auch erworbene Eigenschaften wieder, etwa vergrößerte oder verkümmerte Muskelgruppen, je nach häufigerem oder weniger häufigem Gebrauch, Zwergwuchs durch widrige Umweltbedingungen etc. Solche erworbenen Eigenschaften werden nicht weitervererbt, der Genotyp wird dadurch nicht beeinflusst.“ Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Phenotyp 4 Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Vervielfältiger, der „replicator“. Ein „interactor“ ist der funktionale Ausdruck eines „replicator“, welches die Selektion ermöglicht.3 Die Unterscheidung zwischen der kulturellen Informationseinheit und deren Manifestation ist notwendig. Nehmen wir eine Axt als Beispiel. Sie reproduziert sich nicht selbst. Was sich reproduziert ist das „Rezept“ wie man die Axt herstellt. Das Rezept ist die „reproduzierbare Informationseinheit“ und die Axt ist die „externe Manifestation“. Der Mensch, der die Axt fabriziert, ist der „Wirt“ des Mems. Ein Mem muss sich als sinnvoll erweisen, damit dieser es den Selektionsprozess aufgenommen wird. Ist ein Mem mit den existierenden Memen nicht kompatibel, wird es nur unter schweren Bedingungen aufgenommen. Aber: Wenn sich ein Mem als „sinnlos“ erweist, besteht seine Chance gerade darin, durch die angebliche „Sinnlosigkeit“, die Aufmerksamkeit zu seinen Nutzen zu lenken. Ein Paradox oder etwas, das Bekanntem widerspricht, schafft „kognitive Dissonanz“. Unser „Geist“ versucht stets, Dinge einzuordnen und schenkt der „kognitiven Dissonanz“ Aufmerksamkeit. Das in der Dissonanz involvierte Mem wird aufgenommen, weil es sich bemerkbar macht. Innovation Das Pendant zu Mutation ist die Innovation. Eine kulturelle Innovation kann eine Idee sein, ein Ritual, ein Lied, der Wandel in der sozialen Struktur. In der biologischen Theorie der Evolution wurde postuliert, alle Mutationen geschehen blind und zufällig. Aber in der kulturellen Innovation haben wir es selten mit dem Faktor „Zufall“ zu tun. Innovationen sind meist geplant, und sie erweisen sich für den Erfinder von Vorteil. Einige Erfindungen geschehen zufällig, sie haben sich mit den besten Intentionen durchgesetzt, haben aber auch unvorhersehbare Konsequenzen. Eine Innovation kann vergebens sein, wenn die Voraussetzungen für die Selektion nicht vorteilhaft sind. Es gibt somit zahlreiche Möglichkeiten für rationale und irrationale Innovationen, vorteilhafte und weniger vorteilhafte. Reproduktion Die Reproduktion von kulturellen Merkmalen: Vertikale Vermittlung - von den Eltern zum Kind Horizontale Vermittlung - zwischen Menschen ohne Bezug untereinander Gruppensozialisation - Beeinflussung von vielen (älteren) Gruppenmitgliedern zu einem Kind/ zu einem neuen Gruppenmitglied „many-to-one“ „one-to-many“ - Vermittlung z.B. Lehrer, Leader zur Gruppe Selektion Drei zentrale Anforderungen müssen erfüllt sein, damit ein kulturelles Phänomen von einer Person zur nächsten übertragen wird: 1. die zwei Personen müssen untereinander Kontakt haben 2. der Sender muss bereit sein, das erworbene Wissen zu teilen oder er muss keine Möglichkeit haben, es zu verbergen 3. der Empfänger muss bereit sein, dieses Wissen zu akzeptieren und aufzunehmen 2 - Sozioökonomische Theorien Während Archäologen menschliche Reste untersuchen, seien es Knochen oder menschliche Werkzeuge und Artefakte, befassen sich die Kulturanthropologen mit den „lebenden“ Menschen, mit ihrem Eigentum und Zubehör. Wenn man nun beides verbindet, besteht die Möglichkeit, zurück zu schliessen, was Menschen vor der Geschichtsschreibung taten und, was sie taten, aber nicht niederschrieben. Durch diesen Ansatz leitet sich das folgende kulturelle Evolutionsmodell ab. Es waren vor allem die stetigen Entwicklungen und Entdeckungen, dank denen Menschen auswandern und neue Ökosysteme erforschten und sich neu anpassten (evolutionsbiologisch bezeichnen wir diesen Prozess als „adaptive Radiation“4). 3 Einige Soziologen unterscheiden zwischen den kulturellen Dispositionen und deren externen Manifestationen. Bspw. Bourdieus Unterscheidung zwischen der inneren kulturellen Disposition – „Habitus“ und der externen Manifestation „soziale Struktur“. 4 „die Aufspaltung einer Art innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne in mehrere Arten, die jeweils an verschiedene ökologische Nischen angepasst sind, nennt man adaptive Radiation. Voraussetzungen für adaptive Radiation sind: viele leere ökologische Nischen;geographische Separation;wenig spezialisierte Ausgangsart“ Quelle: http://www.webmic.de/adaptive_radiation.htm 5 Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Sozioökonom isc he Theorien Entdec kung Feuer und Kleidung Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Arc häolgie Migration in versc h. Ric htungen Kulturanthropologie Revolution Landwirtsc haft um 7500 v. Ch Grösste Migrationsström e Stä dtebau Lagerung von Getreide Tier-Mensc h-Beziehung Bevölkerungswac hstum Konstruktionen von Häusern, Entstehung der Städte Entstehung von religiösen Tempeln Jed e dieser Kulturen entwic kelte eine Form der Sc hriftsprac he Theokratie, Militär, Staatenbildung 3 - Deskriptive Theorien Viele Wissenschaftler des 19. Jh. vertraten die These, die Entwicklung des Menschen werde von bestimmten Entwicklungsstadien bestimmt. Diese „Etappen“, welche alle Gesellschaften durchlaufen sind: Jagd; Nomadisches Leben; Landwirtschaft; Städtebau. Vertreter dieses theoretischen Ansatzes waren der Ansicht, dass diese Stadien ein Folgesatz der menschlichen kulturellen Evolution seien. Jene Gesellschaften und demzufolge ihre Individuen, die sich den ersten Stadien befanden, galten als biologisch minderwertig. Nährboden für rassistische Theorien. 4 - Ökonomische Theorien Adam Smiths „Welth of Nations“ (1776) war die erste grosse Theorie der Wirtschaft, aber es war Karl Marx, der Wirtschaft im Kontext der soziokulturellen Evolution untersuchte. Seine allgemeine These lautet, dass Menschen zuerst den Sinn ihrer Existenz schaffen müssen, bevor sie Politik, Wissenschaft, Kunst etc verfolgen können und nicht umgekehrt. Das stimmte mit der historischen Tatsache, dass sich viele soziokulturelle und auch politische Stadien erst nach der Revolution in der Landwirtschaft entwickelten. Aber Marx lebte bevor das Konzept des „Systems“ seinen Einzug fand und mit ihm das Konzept der gegenseitigen Beeinflussung. Heute können wir beobachten, dass sich Ideen und die Produktivität gegenseitig beeinflussen, Ökonomen haben sich vor allem auf den Prozess der Produktion und des Austausches von Gütern konzentriert. Aber der neue Schlüsselbegriff für die Beobachtung soziokultureller Prozesse ist die Energie. Cottrell (1955 zit. nach Scott: 269) stellte die These auf, dass die Verfügbarkeit von Energien und ihre Anwendung die soziokulturelle Evolution ermöglicht. 5 - „General Theories“ Leslie Alvin White (1900-1975): Whites These (1959): Seiner Definition nach, ist Kultur kumulativ und progressiv. Ihre generellen Aufgaben bestehen darin, die Gefahren des Lebens zu minimieren, die Bedürfnisse der Menschen – die körperlichen und die spirituellen – zu befriedigen. Kultur ist extra-somatisch, d.h. sie steht ausserhalb des Körpers und verhält sich als wäre sie nicht-biologisch. White war einer der ersten, der umfassend mit dem Konzept des Systems operierte. Er ging davon aus, die Kultur aller Menschheit sei ein geschlossenes System, aber Subkulturen dagegen seien ein offenes System und sie sich gegenseitig beeinflussen. 6 Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Kultur-Systeme haben u.a. folgende zentrale Komponenten: - technologische - soziologische - ideologische Die technologische Komponente ist die Basis aller anderen, und ist die grösste Determinante der Kultur, aber nicht die einzige. Technologie braucht Energie. Die grosse kulturelle Revolution besteht darin, wie Energie umgewandelt wir. In diesem Zusammenhang schlägt White ein Grundgesetz der Kulturellen Evolution vor. „Culture advances as the amount of energy harnessed per year increases or as the efficiency or economy of the means of controlling energy is increased or both.” (White, zit. nach Scott:270) oder These: Kultur entwickelt sich, wenn der jährliche Energieverbrauch pro Kopf steigt oder die Effizienz der Instrumente, mit denen die Energie verarbeitet wird, sich verbessert. Corning (1983): Seine Soziokulturelle Theorie war ein Versuch, eine „General Theory“ zu entwickeln, welche all die wichtigsten Aspekte der anderen Theorien beinhaltet. Er prägte das Konzept der funktionalen Synergien, als Ursache der soziokulturellen Evolution bei höheren Säugetieren. Die kulturelle Evolution verläuft die folgenden vier Prozesse (die aber nicht mit der Gentheorie in Verbindung stehen) - Innovation: Entdeckung und Innovation; das erste grosse Beispiel: die Entdeckung des Feuers - Selektive Diffusion: eine Entdeckung wird nicht direkt von allen Menschen aufgenommen, die davon gehört haben. Eine Innovation wird aufgenommen, weil sie die sozialen und psychischen Bedürfnisse zu befriedigen scheint. - Selektive Reproduktion: Übertragung einer Innovation auf die nächste Generation: dies wird durch Lernen, Nachahmung bewerkstelligt. Das Ziel: die Nutzung der Innovation zu stabilisieren. - Selektiver Ersatz: z.B. Ersatz von Gaslaternen durch elektrisches Licht. Nicht alle Artefakte sind aber ersetzbar bspw. Segelboote haben noch immer ihre Funktion. Grundsatzdebatte: Sozialwissenschaftler haben in der Vergangenheit den radikalen Ansatz vertreten, kulturelle Evolution verliefe losgelöst von der biologischen. Die gegenteilige Meinung vertraten Biologen und Soziobiologen mit mechanisch-reduktionistichen Ansätzen, die biologische Evolution sei nicht auf die kulturelle angewiesen. Der dialektische Moment von Scott und seine zentrale These: Unter Berücksichtigung der Systemtheorie müssen sich die zwei Prozesse gegenseitig beeinflusst haben! jede Theorie der kulturellen Evolution muss eine Theorie von „Multiprozessen“ sein soll es gibt keinen Wandel ohne Rückwirkung Fazit und Zusammenfassung Die biologische Evolution hat die kulturelle Evolution möglich gemacht, insbesondere durch die biologische Evolution zur Sprachfähigkeit. Die Sprachfähigkeit in Kombination mit der angenommenen sozialen Organisation der frühen prähistorischen Menschen zu kleinen aber nicht vollkommen voneinander getrennten Gruppen, hat zur biologischen Evolution beigetragen. „Cultural Evolution, through the production of conditions favourable to large populations with increasing possibilities of genetic interchange has since produced conditions that inhibit rapid change (…)” (Scott: 277) 7 Seminar: Theorien gesellschaftlicher Evolution Prof. Dr. Hans Geser SoSe: 2006 Angela Martucci Theorien soziokultureller Evolution Die biologische Evolution des Menschen ist nicht zu einem Stillstand gekommen. Wie die kulturelle Evolution, operiert die biologische Evolution durch Prozesse, die den fortwährenden Wandel unvermeidlich machen. Einer dieser Prozesse ist die genetische Mutation, und ihre Funktion besteht darin, die Variation zu erhöhen. Je grösser die biologische Vielfalt der Menschen umso grösser die Vielfalt der kulturellen Möglichkeiten. „ (...) the principal current effect of biological evolution is to facilitate cultural variation (...) “(Scott: 279) Allerdings beeinflusst auch die kulturelle Evolution die biologische, vor allem in modernen Gesellschaften durch Steuerungsmechanismen der Reproduktion und der genetischen Verteilung (Heiratssysteme, Geburtenkontrolle, Behandlung von Krankheiten und somit der Einfluss auf biologische Todesursachen…) Allgemeine Prinzipien der soziokulturellen Evolution Aus den Theorien der kulturellen Evolution ist es möglich auf allg. Prinzipien zu schliessen: - - - „Social Change is inevitable“ - soziokultureller Wandel ist unausweichlich, „the rate of change varies according to the product changed“ - Werkzeuge und Artefakte ändern sich sehr schnell während die sozialen Organisationen sich sehr langsam verändern – z.B. die mexikanische Regierung wollte die sozioökonomische Situation der Mayas des Yukatans verbessern. Die Regierung versorgte die Mayas mit Strom. Das Ergebnis war, innerhalb kurzer Zeit, verfügte beinahe jeder Haushalt über einen Fernsehapparat (sic!). „the rate of change depends on the nature of the underlying system involved“ - jedes lebende System zielt darauf hin, sich stabil zu organisieren und die Stabilität beizubehalten. Jeder Wechsel in einem solchen System ist ein Störfaktor. Der unmittelbare Effekt jedes Faktors, der zu einem Wandel führt (führen kann) ist – so gut er sein mag – eine soziale Desorganisierung. Sprachsysteme sind sehr resistent gegenüber dem Wandel. Insbesondere schriftliche Verhaltenscodes. Basis aber des soziokulturellen Wandels ist: Vorstellungskraft/Phantasie und die Organisation von Verhalten durch Lernen und Erfahrung Anwendbarkeit der Theorie(n) Durch diese Prinzipien des soziokulturellen Wandels stellt sich die Frage: Kann dieser Prozess vom Menschen gesteuert werden. Wie kann sich eine Gesellschaft darauf eignen, welcher soziokultureller Wandel erwünschenswert ist und welcher nicht? Die Modifikation von komplexen Systemen wird stets unvorhersehbare Effekte produzieren. Genau darin liegt nach Scott die grosse Herausforderung der kulturellen Evolution: wie kann sich der soziale Wandel auf „friedliche“ Art vollziehen? Nach Fog besteht das grösste Potential der Theorie, Erklärungen von „irrationalem Verhalten“ zu liefern. Alle Gesellschaften haben anscheinend irrationale und unproduktive Tätigkeiten, wie religiöse Rituale, Mythen, Tänze, Kunst, Mode, Spiele, Sport. All diese Aktivitäten haben sich im Laufe der Geschichte drastisch geändert. Selten können wir erklären weshalb dies so ist. Es ist eine grosse Herausforderung für die Theorie der kulturellen Evolution. Auch irrationale Entscheidungen haben interessante selektive Effekte. Egoistische Entscheidungen durch einflussreichreiche Menschen oder Gruppen haben Konsequenzen für andere Gruppen. Dies bringt uns zur Konfliktforschung, wo sich die Theorie der soziokulturellen Evolution und der kulturellen Selektion nützlich erweisen könnten. „If we can uncover the factors that determine the outcome of a conflict, then we may in principle be able to predict the macro level combined effect of a thousand micro level conflicts.“ Basistexte: Scott, John Paul: The evolution of social systems. New York, London 1989. S. 233-281 Agner, Fog: Fundamental model for cultural selection. www.agner.org/sultsel/chapt3.htm Klaus Bayer: Evolution - Kultur - Sprache. Eine Einführung. Bochum 1996. Auch als PDF unter: http://klaus.bayer.phil.uni-hannover.de/downloads/ 8