ETHIK AUS SICHT DER THEOLOGIE

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2. Lienzer Pflegenacht
Lienz – 09.11.2007 – 19 00 Uhr
ETHIK AUS SICHT DER THEOLOGIE
Margarethe Steier, Klinikseelsorgerin am Klinikum Kassel
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr verehrte Ehrengäste (…)
Ich bedanke mich für die Einladung hier zu sein und anlässlich
der 2. Pflegenacht zum Thema „Ethik“ aus Sicht einer Theologin
und Klinikseelsorgerin zu referieren.
Doch möchte ich mich Ihnen zunächst kurz vorstellen, damit Sie
wissen, wer Ihnen jetzt begegnet:
Mein Name ist Margarethe Steier, ich gehöre zum Berufsbild der
Pastoral- bzw. GemeindereferentInnen und bin seit fast 30 Jahren im pastoralen Dienst. Ungefähr 10 Jahre arbeite ich als
Klinikseelsorgerin im Klinikum Kassel, einem Haus mit 1.200
Betten und etwa 3.500 MitarbeiterInnen. Wir haben 5 Intensivstationen (Neuro-INT, Operative-INT, Herzchir-INT, Medizinisch/Innere-INT, Frühchen/Neugeborene-INT). So können Sie
sich sicher vorstellen, dass ethische Fragen und Probleme immer wieder große Relevanz für alle Mitarbeitenden haben.
Wie man so schön sagt, sind wir ein Haus der Maximalversorgung
für den gesamten nordhessischen Raum.
Wir KlinikseelsorgerInnen sind ein Team von acht kath. und
evangelischen KollegInnen (je vier rk. und ev.) und arbeiten
nicht konfessionsbezogen, sondern fachbereichsbezogen. Mein
Fachbereich ist die Neurologie und die Neurochirurgie. Für
konfessionelle Anfragen ist uns immer ein Kollege/Kollegin der
anderen Konfession zugeordnet.
Unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen in Ausnahmesituationen
(und Krankheit/Krankenhaus ist immer eine Ausnahmesituation)
nicht in vorrangig fragen: „Bist du katholisch oder evangelisch?“ sondern vielmehr: Haben Sie Zeit? Können Sie mich in
dieser Situation verstehen? (In vielen Gesprächen kommt die
Aussage: Ach, ich stehle Ihnen doch die Zeit, Sie haben doch
bestimmt viel anderes zu tun, ich störe bestimmt…)
Unsere Arbeitsfelder sind neben der Begleitung von Patienten
- auch die Begleitung der Angehörigen (besonders auf INTStationen, bzw. wenn Patienten nicht mehr kommunikabel
sind),
- Begleitung von Mitarbeitern (Schwerpunkt Pflege, aber
auch Ärzte, Therapeuten), Fort – und Weiterbildung von
MitarbeiterInnen über das Bildungszentrum des Klinikums(Sterbebegleitung, Gesprächsführung, Ethik u.a.m.)
- Ethikunterricht in der Krankenpflegeschule
- und selbstverständlich Gottesdienste, Segnungen, Sakramente.
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Hauptziel unserer Arbeit ist nicht die „Missionierung“ – so
nach dem Motto: „Jetzt bist du krank, nun denk mal über dein
Leben nach und finde zum Glauben/Kirche zurück!“); auch nicht
eine sakramentale Versorgung (Stichwort Krankensalbung) sondern vielmehr gilt es, den Menschen in seiner Lebenslage abzuholen.
Biblisch gesprochen heißt das, dass wir uns an Jesu Handeln
orientieren, der den Kranken fragt: „Was willst du, dass ich
dir tue!“ oder anders gesagt: „Was brauchst du – Patient –
jetzt?“(neben den medizinisch/pflegerischen Maßnahmen, neben
organisatorisch/ökonomischen Lösungen) und nicht: „Ich weiß
schon, was du brauchst!“
Inhalt der Begegnung ist zu sehen, welches die Werte dieses
Patienten sind, welche sind zerbrochen, was verändert sich
durch die Krankheit (z.B. seine Selbstbestimmung), wie kann es
weitergehen (Transzendenz).
Und da sind wir mitten drin in dem mir vorgegebenen Thema:
ETHIK AUS SICHT DER THEOLOGIE!
Ich möchte mein Referat in vier Schritte gliedern.
(Bitte sehen Sie mir nach, dass vieles nur angerissen werden
kann und auch unberücksichtig bleiben muss aus zeitlichen
Gründen.)
Theologische Sichtweise von Ethik
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•
•
Was ist Ethik?
Aufgaben der Ethik
Gesundheit und Krankheit aus christlicher Sicht
Widerstand und Ergebung
(Tun und Lassen)
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1. Was ist Ethik?
Heute ist Ethik in aller Munde: Bio.., Wirtschaft…, Medizin…,
Human…, Natur…, usw.
Oft wird diffus, unpräzise herumdiskutiert, manches ist widersprüchlich und führt letzen Endes zu keinem Weiterkommen.
So möchte ich einen kleinen Grundansatz wagen mit der daraus
resultierenden Frage, die zum 2. Punkt führt:
2. Welche Aufgaben hat Ethik?
3. Im dritten Punkt komme ich auf Gesundheit und Krankheit aus
christlicher Sicht.
Die Fragen heißen:
- Welchen Wert hat Gesundheit?
- Welchen Wert hat Krankheit in einer Gesellschaft die sehr
vom Machbaren, rational Fassbaren geprägt ist? Was sagen dazu
Theologie und Glaube?
4. Und den letzten Punkt habe ich Widerstand und Ergebung genannt, in Anlehnung an den ev. Theologen Dietrich Bonhöffer,
der von den Nationalsozialisten kurz vor Kriegende ermordet
wurde. Sein Kampf gegen das Böse und sein sich hinein begeben
in sein Schicksal lassen uns fragen:
Wo müssen wir kämpfen (z.B. gegen Krankheit), und wo müssen
wir die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen und annehmen.
Dieser Punkt ist meiner Meinung nach nicht nur für Pflege und
Medizin von Bedeutung, sondern auch immer mehr für Politik und
Gesellschaft. Wir kommen an die Grenzen unserer Ressourcen und
müssen uns fragen:
Was ist leistbar bzw. wo müssen wir uns neu orientieren
oder u. U. andere Prioritäten setzen?
Dass dies nicht einfach ist, versteht sich von selbst!
Kommen wir nun zum 1. Punkt
Wie ich schon sagte, hat die Beschäftigung mit ethischen Fragen Hochkonjunktur. Gerade in Berufen, die in existentiellen,
oft bedrohlich erlebten Situationen in das Leben von Menschen
eingreifen, ist eine Auseinandersetzung mit ethischen Grundfragen gefordert.
Trotz Professionalisierung und Spezialisierung der verschiedensten medizinischen Fachbereiche in den letzten Jahren ist
der Zugang zu Ethik doch eher zögerlich.
Im deutschsprachigen Raum wird die Einrichtung von Ethikkomitees vor allem von konfessionellen Krankenhäusern getragen. In
Deutschland gibt es ca. 2.400 Krankenhäuser, davon etwa 1/3 in
kirchl. Trägerschaft (kath. u. ev.). Derzeit haben nur etwa
100 Spitäler Ethikkomitees.
Ende Januar 2006 wurde an der Medizinischen Universität Graz
bzw. am Grazer Landeskrankenhaus östereichweit das erste Klinische Ethikkomitee eingerichtet, so
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Prof. Ulrich Körtner vom Vorstand des Instituts für Ethik und
Recht in der Medizin an der Universität Wien
Es sind drei Gründe, die zur Errichtung von Ethikkomitees führen:
A. medizinisch-technischer Fortschritt und gesellschaftliche
Veränderungen bedingen einen Bedarf an ethischer Orientierung
B. Zertifizierungsmaßnahmen (in Deutschland proCumCert und
KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität))
C. Die Rolle der Ethik in den Leitbildprozessen von Kliniken
und caritativ/diakonischen Einrichtungen.
WAS ABER IST ETHIK?
Sozial
Gesellschaft
zur Regel gewordener Wille,
innere Gesinnung, Sitte Brauch,
auch: Vorschrift, Gesetz, Denkart
Individuell
Ich
Ethik
als Reflexion moralische
und sittlicher Fragen
Ethik als praktische Disziplin versteht sich heute als Wissenschaft vom moralischen Handeln.
Zentraler Gegenstand der Ethik ist die Beziehung von Moral,
Werten und Normen im Kontext zur menschlichen Lebenspraxis
Welchen Wert haben Vorschriften, Gesetze, Sitten, Bräuche und
Normen usw. für das konkrete Leben der Menschen:
- sind sie lebensfördernd
- oder eher das Leben behindernd
Ethik ist also die Reflexion der Moral auf sachlicher Ebene (roter Pfeil im Schaubild).
Emotionale Entscheidungen sehen meist anders aus.
Beispiel:
Eine onkologische Patientin, bei der keine Therapie mehr möglich
ist sagt: Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, sagen Sie dem
Doktor: Ich will eine Spritze, ich will sterben!
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Moral ist der zur Regel gewordene Wille einer Gesellschaft und
stellt Werte und Normen zur Verfügung, an denen sich unser alltägliches Leben orientiert. Häufig geschieht dies unreflektiert.
Beispiel:
In christlich geprägten Ländern ist es im Unterschied zur muslimisch geprägten Kultur üblich, bei der Begrüßung auch Frauen die
Hand zu reichen. Für orthodox-muslimische Frauen ist dies nicht
möglich, da sie sich von einem fremden Mann nicht berühren lassen
dürfen.
Moral hat zwei Seiten:
- eine individuelle, die geprägt ist durch Kultur, Erziehung,
Bildung, Religion etc.
- eine soziale, in der Normen vorgegeben werden, die für eine
Gesellschaft von Bedeutung sind
Beispiel:
Ehe – Afrika/Polygamie – Europa/Monogamie
Moralische Kompetenz ist nichts statisches, sondern unterliegt
dynamischen Entwicklungen. Was einem Menschen wert und teuer
ist, kann sich in verschiedenen Lebensphasen ändern.
Im Laufe des Lebens verändern sich unsere Erfahrungen und Vorstellungen und damit auch unser Werte- und Normensystem sowie
unsere Einschätzungen der Realität (Lebenswirklichkeit).
- Ein Mensch, der schwere Schicksalsschläge erleben musste,
kann verbittern.
- Er kann aber auch bei Bewältigung dieser Schläge empathischer sein für Menschen in ähnlicher Lebenslage.
Eigenständiges, ethisch verantwortliches Handeln ist aus diesem Grund – wie auch die Persönlichkeits – und Glaubensentwicklung - ein Prozess, der immer wieder der Reflexion bedarf.
2. Was ist nun die Aufgabe der Ethik?
Nach der Auffassung von Annemarie Pieper, Professorin für Philosophie an der Uni Basel („Angewandte Ethik“/Beck-Verlag) hat
wissenschaftliche Ethik folgende Ziele:
- menschliche Praxis hinsichtlich ihrer moralischen Qualität
aufklären (z.B.: Ist Krieg zu rechtfertigen?)
- moralische Urteilskraft erwerben (Standpunkt finden/Urteil
– kein Vorurteil!!!)
- kritische Beurteilung von Geltungsansprüchen hinsichtlich
ihrer moralischen Berechtigung (unterschiedliche Sichtweisen, z.B. Arzt – Pflege)
- ethische Argumentationsweisen und Begründungsgänge üben
(nur wer seine Argumente begründen kann, findet Gehör, wird
ernst genommen)
- auf die fundamentale Bedeutung von moralischer Kompetenz
und sozialer Verantwortung aufmerksam machen (soziales Handeln hat immer etwas mit moralischer Kompetenz zu tun!)
- zur Einsicht führen, dass moralisches Handeln nicht der Beliebigkeit und Willkür unterliegt, sondern Ausdruck einer
unverzichtbaren Qualität und Humanität für das Mensch-Sein.
Was bedeutet dies konkret?
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-Aufklären und Transparenz herstellen
-Moral legitimieren
-Prinzipien und Normen zur Verfügung stellen
-Bestehende Normen überprüfen
-Handlungen auf Sittlichkeit überprüfen
-Korrektiv für die Praxis
(Den folgenden, blau markierten Teil des Referates habe ich aus zeitlichen
Gründen übersprungen.)
Aufklären und Transparenz herstellen
Normen und Werte sind historisch gewachsen und an jeweilige Kulturen und Gesellschaften gebunden. Obwohl wir Menschen meist unbewusst handeln, da wir durch Erziehung und Sozialisation bestimmte Werte und Normen verinnerlicht haben, sind wir doch
meist in der Lage uns bewusst zu machen, aus welchen Quellen
sich diese Werte speisen. (…)
Ethik hat die Aufgabe transparent zu machen, aus welchen Wertequellen sich konkretes menschliches Handeln speist.
Das Abendland/Westeuropa ist weitestgehend vom Christentum geprägt. Das christliche Menschenbild, der Mensch als von Gott geschaffenes Wesen, unverwechselbar und in seiner Würde unantastbar,
so wie die Normen des Dekalogs (10 Gebote: Umgang mit alten Menschen=4. Gebot, Lebensschutz=5.Gebot, Schutz der Partnerschaft/Treue=6. und 10.Gebot, Schutz des Eigentums= 7. und 9. Gebot, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Vertrauen=8. Gebot) sind in die
Gesetzgebungen vieler Länder eingeflossen
Moral legitimieren
Eine zweite Aufgabe ist die Begründung und die Rechtfertigung
aller Moral aus einem UNBEDINGTEM. Das Unbedingte braucht keine
weitere Rechtfertigung bzw. Begründung, da es in einem Absolutem
gründet
Für die Theologie ist ein oberstes Prinzip die Menschenwürde, weil
der Mensch als Ebenbild Gottes gedacht ist.
Für die Philosophie ist ein oberstes Prinzip z.B. die Vernunft
(Kant), oder nach A. Pieper die Freiheit.
Bestehende Normen überprüfen
Die Aufgabe der philosophisch-wissenschafltichen Ethik ist
nicht, Menschen über moralisches Handeln zu belehren, sondern
besteht darin, Normen und Werte kritisch zu reflektieren. Sie
soll prüfen und feststellen, ob sie der Entfaltung menschlicher
Existenz dienen, oder ihr abträglich sind.
Prinzipien und Normen zur Verfügung stellen
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Sie soll für den Einzelnen sowie der Gesellschaft (Verweis auf
Schaubild 1) Grundprinzipien menschlichen Lebens und Zusammenlebens bereitstellen und begründen (keine Beliebigkeit). Ethik ist
auf die Sicherung menschlicher Würde und das Gelingen menschlichen Lebens und Umgangs gerichtet.
Ethik als Wissenschaft fragt danach, was gut oder schlecht,
richtig oder falsch ist, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt,
wie menschliches Leben und Zusammenleben möglichst optimal gelingen kann.
Immer dringender wird heute die Frage nach dem Zusammenleben von Jung und
Alt.
Eine immer älter werdende Gesellschaft muss von einer immer geringeren Zahl Erwerbstätiger getragen/finanziert werden. Wie werden
Menschen im Alter menschenwürdig leben können, ohne dass die jüngere Generation zu stark belastet wird?
Von der Ethik wird erwartet, dass sie formale Normen (wie „Wahrheit sagen“) begründet, wobei die kritische Beurteilung selber
nicht von der Ethik vorweg genommen wird, sondern immer wieder
konkrete Aufgabe für den Einzelnen bleibt.
Handlungen auf Sittlichkeit überprüfen
Mit Hilfe der Ethik lassen sich nicht nur einzelne Normen überprüfen, sondern auch einzelne Handlungen.
Ethik als Wissenschaft versteht sich nicht als Handlungsanweisung sondern eher als eine Art Instrument, mit dessen Hilfe sich
Handlungen und/oder Unterlassungen daraufhin überprüfen lassen,
ob sie den Menschen in ihren individuellen und sozialen Bezügen
gerecht werden.
Beispiel:
Fall der O.M.: Hirntote Patientin in der 26. Schwangerschaftswoche: Ist es zu verantworten die organischen Funktionen der P. aufrecht zu erhalten, um dem Fötus eine bessere Überlebenschance zu
geben, oder ist es ethisch zu rechtfertigen dem individuellen
Wunsch der traumatisieren Angehörigen zu entsprechen und die Therapien einzustellen?
Welche Würde kommt der hirntoten Patientin zu, welche dem ungeborenen Kind, welche den traumatisierten Angehörigen?
Welche Sicht hat die Disziplin Gynäkologie, Neurologie, Pädiatrie,
Pflege, Klinikseelsorge?
Was sagt das deutsche Recht?
Aus meiner Sicht ist ein Ethikkomitee als ständige Einrichtung
einer Klinik ein wertvolles Instrument konkrete Fälle aus unterschiedlichen Perspektiven zu besprechen und dann dem entscheidenden Arzt ein Votum zu geben, das die Entscheidung auf eine
breitere Basis stellt.
Nebeneffekt: Die kollegiale Würdigung aller Standpunkte kann zu
einem guten kollegialen Arbeitsklima beitragen. (Auch können adhoc Ethikkonsilien ein erster Schritt in diese Richtung sein.)
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Korrektiv für die Praxis
A. Pieper sagt, dass Ethik die Moral nicht überflüssig macht.
Ethik sei kein Ersatz für moralisches Handeln, erschließe aber
kognitive Strukturen und gebe Handlungsstrategien, die es ermöglichen
- moralische Probleme und Konflikte zu erfassen
- mögliche Lösungen zu entwickeln und auf Konsequenzen hin
zu bedenken
- sich (nach guter Überlegung) für eine Lösung zu entscheiden
Zu 3. Krankheit und Gesundheit aus christlicher Sicht
Medizinethische Probleme bewegen sich auf drei Ebenen
Arzt
Pflege
ICH
Gesellschaft
Institution
Krankenhaus
Religion
Werte
Weltanschauung
1. Zum Einen auf der personalen bzw. der Interaktionsebene.
Die Beziehung zwischen Arzt, Krankenschwester/Pfleger sind
ein wesentliches Merkmal für das Wohlbefinden eines Patienten in schwieriger Situation.
2. Das Krankenhaus mit seinen Strukturen, die Organisation
(z.B. lange Wartezeiten) prägen den Alltag des Patienten,
aber auch die Strukturen von Staat und Gesellschaft, die
das Gesundheitssystem vorgeben (vgl. Systeme USA, Großbritannien, Deutschland, Österreich usw.)
3. Seine Grundhaltungen und Wertvorstellungen bestimmen auch
seine Haltung gegenüber einer Erkrankung, Sterben und Tod.
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Von jeher sind Krankheit und Gesundheit religiöse Themen. Dazu
gehören nicht nur Fragen nach Krankheit und Schuld/Sünde (Was
habe ich bloß gemacht?) sondern auch die nach Heil und Heilung
(Wenn, dann werde ich…).
Die Kulturgeschichte von Krankheit und Gesundheit ist bis in die
Moderne hinein weitgehend auch Religionsgeschichte. Kranke, Sieche, Alte fanden Aufnahme in den oft Klöstern angegliederten
Hospizen; Klöster waren „medizinische Zentren“, die über Heilkunde und Heilkunst verfügten (Hildegard von Bingen, Klostergärten).
Erst die naturwissenschaftlich begründete moderne Medizin führte
zu einer Trennung von Medizin und Religion, sofern nicht die
Aufwertung der Gesundheit als höchstes Gut eine neue Religion
geworden ist.
Gerade für das Christentum liegt der enge Zusammenhang von Heilung und Glaube auf der Hand. Nach christlichem Verständnis sind
Heil und Gesundheit einerseits voneinander zu unterscheiden,
dennoch sind sie aufeinander bezogen.
Damit gerät das christliche Heilsverständnis in ein kritisches
Verhältnis gegenüber nicht nur einem materialistischen, sondern
auch zu einem spiritualistischen Verständnis von Krankheit und
Gesundheit
Der Mensch ist nicht nur Leib, er ist auch Seele – und umgekehrt.
Prof. Dr. med. Dale A .Matthews, Georgetown Universitiy School of
Medicine in Washington D.C. hat in zahlreichen wissenschaftlichen
Publikationen das Verhältnis von Glaube und Gesundheit dargestellt, z.B. Glaube macht gesund (Herder Verlag)
Wenn Gott sich in seiner Schöpfung konkretisiert (fassbar wird),
wenn Heil-sein und Gesund-sein wohl zu unterscheiden sind aber
auch zugeordnet sind, dann ist eine rein spirituelle Sicht von
Krankheit und Gesundheit genauso verkürzend wie eine rein physiologische.
Zwar werden im NT Krankheiten auch auf das Böse zurückgeführt
(Dämonenheilung), doch zeigen die Heilungsgeschichten, dass dieser Zusammenhang durchbrochen wird.
Krankheit darf nicht als Strafe und Gesundheit nicht als Belohnung gewertet werden.
Das Christusgeschehen ist nicht das Ende von Krankheit und Behinderung, sondern das Ende von Krankheit und Behinderung als
UNWERT.
Damit verändert sich auch das Verständnis von Gesundheit.
Ulrich Eibach, Professor für Systematische Theologie und Ethik
an der Universität Bonn, evangelischer Pfarrer und Klinikseelsorger sagt in seinem Buch „Heilung für den ganzen Menschen“:
„Gesundheit ist … nicht die Abwesenheit von Störungen biologischer, psychischer und sozialer Art, sondern die Fähigkeit und
Kraft der Person, solche Störungen anzugehen, abzuwehren oder
mit ihnen zu leben, dass der Mensch nicht gehindert wird, Sinn
im Leben zu erfahren und sein Menschsein zu verwirklichen!
(Behinderte Menschen)
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Krank wäre demnach der Mensch, der unfähig oder unwillig ist,
das Leben als spannungsvolles Geschehen … durchzustehen, und
damit unfähig ist, Leiden anzugehen, zu tragen und zu bewältigen!“
Mit dieser Umschreibung kommen wir zum 4. Punkt:
4. Widerstand und Ergebung
Diese Wertebestimmung kann unseren Blick erweitern über alle
medizinischen Möglichkeiten und Machbarkeiten hinaus.
Leben ist uns geschenkt (als Christen sagen wir: Gott-gegeben)
und entzieht sich letztlich jeder Verfügbarkeit und Machbarkeit.
Gott ist ein Freund des Lebens und er will, dass es gelingt.
Er befähigt uns dazu es zu gestalten. Bis in die letzte Phase
hinein soll es lebenswert und sinnvoll erfahren werden.
(Stichwort: Autonomie, auch bei dementen Patienten, die Fürsorge brauchen!)
Was das Leben sinnvoll und lebenswert macht, bestimmt zunächst
der Patient selbst mit seinen Wertvorstellungen.
Dann aber auch Arzt und Pflege. Dabei ist zu bedenken, dass
nicht jedes ethisch verantwortete Lassen gleichbedeutend ist
mit unterlassen!
Meines Erachtens ist es ethisch höchst bedenklich, wenn finanzielle/ökonomische Aspekte über Fortführung oder Unterlassen
einer Therapie entscheiden.
Andererseits bleibt aber auch zu fragen ob mit Weiterführung
einer Therapie ein Gewinn an Lebensqualität verbunden ist oder
die Sterbephase mit all ihren Begleiterscheinungen nur verlängert wird!?
Wer aber den praktischen Sinn des Glaubens darin sieht, der
Natur einfach ihren Lauf zu lassen, verwechselt Gott mit der
Natur
Beispiel:
Die Eltern eines leukämiekranken Kindes verweigertem ihrem Kind
aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion bzw. eine Knochenmarktransplantation.
Die Grenzen des Handelns müssen in jeder Situation neu bestimmt werden. Das gilt insbesondere, wenn es um die Grenzen
des Lebens geht.
Die Lehre von Gott, dem Urgrund des Lebens, und seinem Gebot
wird häufig missverstanden, als seien aus ihr allgemeine moralische oder ethische Handlungsgebote oder Verbote abzuleiten.
Faktisch ist der Mensch heute in die Lage versetzt, vor Gott
erkennen zu müssen (und ich sage bewusst vor Gott, denn vor
ihm als letzter Instanz muss ich mich rechtfertigen), dass er
in die Lage versetzt ist, in Bereiche bis weit vor der Geburt
und klinischem Tod eingreifen zu können. Der medizinische
Fortschritt kann und soll nicht aus der Welt geschafft werden,
doch ist dem Menschen an diesen Grenzen des Lebens eine Verantwortung zugewachsen, aus der er sich nicht einfach verabschieden kann. Doch auch dieser Zuwachs an Freiheit und Verantwortung gehört zur Würde des Menschen.
Ethikkomitees, Foren und Konsilien können diese Verantwortung
auf mehreren Schultern verteilen und uns selbst immer wieder
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zu kritischer Prüfung unserer persönlichen Standpunkte bringen.
Es wäre wünschenswert, dass das Bewusstsein für diesen interdisziplinären Dialog wächst.
Und doch gibt es Situationen, wo – gleich welche Entscheidung
getroffen wird – ein bitterer Nachgeschmack bleibt.
Siehe das Beispiel der schwangeren hirntoten Patientin. Das
Kind wurde geboren und ist heute ein gesundes Mädchen. Aber was
wird diese Geburt für ihr Leben bedeuten?
Für mich sind diese Erfahrungen, dass der Mensch trotz hoher
medizinisch/pflegerischen Standards an Grenzen der Machbarkeit
stößt, Hinweis dafür, dass es ein Größeres, über das Diesseits
Hinausgehendes gibt.
Ich nenne es Gott. Es bleibt täglich neue Aufgabe sich den
ethischen Fragen und Herausforderungen zu stellen und in dieser Reflexion menschenwürdig und menschengerecht zu handeln.
Gott der Schöpfer hat uns dazu die Be-„gabung“ gegeben.
Und – hier schließt sich der Kreis.
Für mich als Krankenhausseelsorgerin bleibt es eine der vornehmsten und wichtigen Aufgaben für Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte Ansprechpartnerin und Begleiterin zu sein.
Schließen möchte ich mit einem Wort aus dem Matthäusevangelium:
„Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Ich war
krank, und ihr habt mich besucht.
Dann werden ihm die Gerechten antworten: Und wann haben wir dich
krank gesehen und sind zu dir gekommen?
Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was
ihr für einen meiner geringsten Brüder und Schwestern getan
habt, das habt ihr mir getan.“
Literatur:
Ulrich Eibach, Heilung für den ganzen Menschen, Neukirchner-Verlag 1991
Ulrich Körtner, Unverfügbarkeit des Lebens, Neukirchen-Vluyn, 2001
Reinhard Lay, Ethik in der Pflege, Schlütersche Verlagsgesellschaft 2004
Die Sorge der Kirche um die Kranken, Deutsche Bischofskonferenz 1998
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