NEWSLETTER 79 • FEBRUAR 2017 UPDate Herbst-Symposium 2016 Das Herbst-Symposium im Dezember 2016 auf dem Gurten fand unter dem Titel «Praxisrelevante Befunde aus der Schweizer Psychiatrieforschung» statt. Das Thema stiess auf grosses Interesse, waren doch erneut alle Plätze ausgebucht. Ungefähr 180 Teilnehmende bestehend aus Niedergelassenen, Ärztinnen und Ärzten, Psychologinnen und Psychologen der UPD und von anderen Institutionen sowie aus weiteren Berufsgruppen folgten den vielfältigen Vorträgen der vier externen und zwei internen Referenten. PD Dr. med. Stefan Kaiser aus Zürich referierte über Negativ­ symptome der Schizophrenie – Diagnostik und Therapie. Dabei stützte er sich vorwiegend auf internationale Studien. Als Definition von Negativsymptomen nannte er die Affekt­ verflachung, die Sprachverarmung, eine verminderte Motiva­ tion, den sozialen Rückzug und die mangelnde Freude an Aktivitäten. Er machte Empfehlungen zur Therapie und sagte gleichzeitig, dass es dringend weitere Studien dazu brauche. Dr. phil. Fabian Ramseyer der Universität Bern stellte Be­ funde aus der eigenen Forschung zu Nonverbaler Synchroni­ NEWSLETTER 79 • FEBRUAR 2017 sation in der Psychotherapie vor. Der Psychologe war bis vor wenigen Jahren in der Forschung der UPD tätig. Ramseyer und Tschacher konnten 2011 zeigen, dass synchrones non­ verbales Verhalten mit einer guten Beziehungsqualität zwi­ schen Patient und Therapeut und einem guten Therapie-Er­ gebnis einhergeht. Bei schizophrenen Patienten fanden sie, dass mehr Symptome mit weniger nonverbaler Synchronisa­ tion verbunden waren. Untersuchungen zu bewusstem Ein­ satz von synchronem Verhalten konnten positive Auswirkun­ gen auf die Beziehung zeigen. Prof. Dr. Dominique de Quervain aus Basel befasste sich mit Ansätzen für die Therapie von Angsterkrankungen. Aus­ gangspunkte seiner Ansätze sind die Erkenntnisse, dass emo­ tionale Ereignisse besser im Gedächtnis haften bleiben als neutrale und dass man unter Stress weniger gut erinnern kann. Wenn der Gedächtnisabruf unter Stress vermindert ist, dann könnte man diesen Effekt nach traumatischen Ereignis­ sen einsetzen. Die Forschungsgruppe um Prof. de Quervain tut genau das seit Jahren erfolgreich und kombiniert die Gabe von Cortison mit Verhaltenstherapie. Prof. Dr. med. Luzius Steiner aus Basel sprach aus der Pers­ pektive des Anästhesisten über die Behandlung und Patho­ physiologie des Delirs. Bei Herzoperationen entwickeln 70 Prozent, bei Schenkelhalsfrakturen 60 Prozent der Patien­ ten über 65 Jahre ein postoperatives Delir. Auch nach andern Operationen kann dies auftreten. Präventive Ansätze wurden vorgestellt. Leider wisse man noch wenig über die Langzeit­ prognosen von Prophylaxe und Therapie. 2 Dass Aggressionen bei diversen psychiatrischen Erkrankun­ gen häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung, ist dabei nur die eine Seite der Medaille. Denn obwohl schizo­ phrene Patienten ein höheres Risiko für Straftaten haben, haben sie auch ein höheres Risiko, Opfer zu werden. Eine eigene Studie lieferte Daten darüber, mit welchen Medi­ kamenten schwer erregte schizophrene Patienten am besten zu behandeln sind. Wie sich zeigte, waren alle drei untersuch­ ten Medikamente rasch wirksam. Frauen sprachen jedoch schlechter darauf an. Bei der Behandlung von Aggressionen geht es nicht nur um Medikamente, sondern auch um den richtigen Umgang mit dem Patienten. Den Abschluss machte PD Dr. med. Sebastian Walther mit der Frage: Wie halte ich den richtigen Abstand? Bei gesunden Menschen ist die als angenehm empfundene Grösse des Abstands zu einer andern Person von verschiedenen Fakto­ ren abhängig. Dazu gehören die Kultur, der Bekanntheits­ grad, die Gruppenzugehörigkeit, der Bindungsstil, die gesell­ schaftliche Hierarchie, die Körpergrösse und das Geschlecht. Zudem haben auch äussere Gegebenheiten einen Einfluss. PD Walther untersuchte mit seiner Gruppe das Abstandsver­ halten von schizophrenen Patienten in verschiedenen Set­ tings. Dabei konnten sie zeigen, dass paranoide Personen deutlich mehr Raum brauchen als Gesunde sowie als Patien­ ten ohne Affektstörung (neutrale) und als solche mit Grösse­ nideen. Die letzteren kamen dem Gegenüber am nächsten. Hausinterne Ansätze Die beiden internen Referenten zeigten anhand eigener Studien, wie die Befunde im klinischen Alltag eingesetzt wer­ den können. Prof. Dr. med. Thomas Müller widmete sich der Pharmakolo­ gischen Behandlung von Aggression. Er zeigte anhand einer zehnstufigen Treppe, die beginnend mit einer Entdifferenzie­ rung der Ausdrucksmittel (wie lautes Reden) bis hin zu Tötung reicht, welche Formen von Aggression vorkommen. In der Praxis kann der zwischenmenschliche Abstand als Mass für das Bedrohungserleben von Patienten mit Psycho­ sen verwendet werden. Menschen mit hohem Abstands-­ Bedürfnis solle der Raum gelassen werden und angstlösende Medikamente seien zu erwägen. Die Folien der Vorträge sind auf der Website der UPD aufge­ schaltet unter «Publikationen». Daniela Krneta Stabschefin Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie NEWSLETTER 79 • FEBRUAR 2017 3 Distzanzlos – distanziert Die interdisziplinäre Zusam­ menarbeit wird in der Psy­ chiatrie immer wichtiger. Es erstaunt deshalb, dass es kaum inter­disziplinäre Wei­ ter- und Fortbildungen gibt, welche Ärzte, Psychologen, Pflegende und Therapeuten gemeinsam durchführen. Um diesen Mangel zu behe­ ben, hat Prof. Dr. med. ­Gregor Hasler von der UPD vor einem Jahr Prof. Dr. Sabine Hahn, Leiterin Disziplin Pflege der Fachhochschule Bern kontaktiert, um gemeinsam eine Weiter- und Fortbildung zu organisieren. Daraus ist die erste interdisziplinäre Fach­t agung für psychiatrische, psychothera­ peutische und psychosomatische Therapie und Pflege mit dem Thema «Distanzlos – Distanziert» entstanden, die Ende Januar in der UPD stattfand. Der Anlass hatte das übergeordnete Ziel, mehr Nähe zwi­ schen den Disziplinen zu erzeugen, aber auch unterschied­ liche Rollen und Aufgaben aufzuzeigen. Beziehungsge­ staltung ist eine Herausforderung, der sich alle klinischen Disziplinen stellen müssen. Im ersten Referat zeigte Dr. Werner Tschan die rechtlichen und therapeutischen Grenzen der Distanzlosigkeit auf und illusrierte eindrücklich, was passiert, wenn diese Grenzen überschritten werden. Frau Stefanie Ventling als Expertin aus Erfahrung beleuchtete das Thema aus ihrer Sicht. Die Peer-Arbeit hat unter ande­ rem den Zweck, Distanz zu überwinden. Peers müssen deshalb besonders auf die professionelle Distanz achten. Frau Dr. Bernadette Ruhwinkel, Pflegefachfrau, Psychiaterin und renommierte Familientherapeutin referierte aus syste­ mischen Sicht über die Beziehungsgestaltung. Wie betrete ich zum Beispiel das Haus meiner Patientin? Die Antwort der Referentin war überraschend und inspirierend. Mariette Botta, stv. Pflegedirektorin der UPD, reflektierte in ihrem interessanten Workshop über die Unterschiede in der Bezie­ hungsgestaltung zwischen Medizin und Pflege. Abgeschlos­ sen wurde die Tagung, die auf erfreulich grosses Interesse stiess, durch den Psychoanalytiker und Kolumnist PD Dr. Peter Schneider. Er erklärte mit Witz und intellektueller Bril­ lanz, wie der therapeutische Prozess dank Abstinenz und wohldosierter Distanzlosigkeit entsteht und in Gang gehalten wird. Die Organisatoren planen, die zweite interdisziplinäre Fach­ tagung in zwei Jahren in der UPD durchzuführen. Prof. Dr. med. Gregor Hasler Chefarzt NEWSLETTER 79 • FEBRUAR 2017 4 Neue Studie zu postpartalen Depressionen Forschende der UPD unter Leitung von Prof. Thomas Müller beginnen derzeit ein neues Forschungsprojekt zu postpar­ talen Depressionen. Bei postpartalen Depressionen handelt es sich um Depressionen, die im Rahmen der Geburt eines Kindes auftreten. Sie stellen mit etwa 15 Prozent eine der häufigsten Erkrankungen bei Müttern dar. Bislang gibt es jedoch kaum Studien, die die Ursachen einer postpartalen Depression umfänglich untersucht haben. Forschende der UPD möchten zusammen mit Kollaborationspartnern der Universität Bern und des Inselspitals dieses wichtige Thema angehen und neue Erkenntnisse zu den Entstehungsmecha­ nismen von postpartalen Depressionen gewinnen. Aus anderen Studien ist bereits bekannt, dass Stress, ein­ schneidende Lebenserfahrungen wie der Tod eines nahen Angehörigen oder finanzielle Sorgen das Risiko erhöhen, an einer postpartalen Depression zu erkranken. Zudem gibt es erste Hinweise darauf, dass die typischen Symptome einer postpartalen Depression mit bestimmten Hirnveränderun­ gen in Zusammenhang stehen. Dieses Thema ist jedoch noch nicht gut erforscht. Mit Hilfe der neuen Studie erhoffen sich die Forschenden weitreichende neue Erkenntnisse zu den Entstehungsmecha­ nismen von postpartalen Depressionen. So sollen zum einen psycho-soziale Risikofaktoren für die Entstehung von post­ partalen Depressionen besser verstanden werden und typi­ sche Denk- und Verhaltensmuster aufgedeckt werden, die die Erkrankung aufrechterhalten. Zum anderen soll untersucht werden, ob und in welchen Hirnbereichen es zu einer verän­ derten Funktion des Gehirns kommt und ob die Erkrankung mit bestimmten biologischen Prozessen einhergeht. Mit den Erkenntnissen aus der Studie erhoffen sich die For­ schenden Ansatzpunkte für neue Behandlungsstrategien. Dies sind zum einen spezifische psychotherapeutische Thera­ pieverfahren oder aber neue biologische Therapieansätze. Die Entwicklung neuer Therapieformen ist von grosser Be­ deutung, da bislang ein signifikanter Anteil der Mütter nicht auf eine adäquate Behandlung anspricht. Dr. phil. Martina Papmeyer Studienkoordinatorin Hans-Heimann-Preis für UPD-Ärztin Mit der Arbeit «Funktionelle Neuroanatomie des ver­ balen Arbeitsgedächtnisses bei Patientinnen und Patien­ ten mit bipolar affektiver Störung» hat Frau Dr. med. Katharina Stegmayer von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychothe­ rapie der UPD den HansHeimann-Preis 2016 der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psycho­ therapie , Psychosomatik und Nervenheilkunde DGPPN erhalten. Mit diesem Preis wer­ den junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die besten Dissertationen in dem Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie ausgezeichnet. Patientinnen und Patienten mit bipolar affektiver Störung leiden häufig an Schwierigkeiten im Arbeitsgedächtnis. Dies führt zu Leistungseinbussen und kann das Funktionieren der Patientinnen und Patienten im Alltag stark beeinflussen. In der prämierten Arbeit wurden genaue neuronale Grund­ lagen dieser Störungen im Gehirn untersucht. Dabei konnten erstmals Veränderungen der Aktivität und Vernetzung in Regionen der Emotionsver­arbeitung gezeigt werden. Diese Veränderungen stören offenbar das Arbeitsgedächtnis. Im Alltag könnten daher betroffene Patientinnen und Patienten beispielsweise durch Ärger oder Wut leichter ablenkbar sein. Die Arbeit ist ein wichtiger Beitrag für das pathophysiologi­ sche Verständnis eines klinisch relevanten und möglicher­ weise im klinischen Alltag unterschätzten Problems: persis­ tierende kognitive Defizite bei Patientinnen und Patienten mit bipolar affektiver Störung. Ausgehend von diesem neuen Verständnis der Pathophysiologie können nun neue Thera­ piemöglichkeiten, zum Beispiel spezifische Arbeitsgedächt­ nistrainings oder nichtinvasive Neurostimulationsverfahren, getestet werden. Der Preis dient der Nachwuchsförderung und soll die Dokto­ randen für weitere Forschungsprojekte motivieren sowie das Engagement der Betreuer würdigen. Antragsberechtigt sind junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Dissertationen innerhalb der letzten zwei Jahre abgeschlos­ sen wurden und die an einer medizinischen Fakultät mit dem Prädikat «sehr gut» («magna cum laude» oder «summa cum laude») beurteilt wurden. lic. phil. Daniela Krneta Stabschefin Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie NEWSLETTER 79 • FEBRUAR 2017 Veranstaltungen Mittwoch, 1. März 2017 17:00–18:00 Uhr Radio loco-motivo Der Kritiker im Kopf Das kann ja nur dir passieren! Was denken die anderen Leute wohl? Sei nicht so schüchtern! Und los, mach vorwärts, du solltest doch längst fertig sein mit dieser Arbeit! – Kennen Sie ihn auch, den inneren Kritiker? Er, der immer weiss, was man schneller, besser, schöner hätte machen können? Gerade gesund ist diese moralisierende innere Stimme bekanntlich ja nicht. Aber wie stellt man sie ab? Wie kommt man ihr bei? In der Kolumne bei Radio loco-motivo gibts dazu ein paar gute Tipps. Ausserdem fragen wir, wann man Neuroleptika reduzieren oder gar ganz abstellen sollte. Radio loco-motivo sendet auf Radio Bern RaBe 95.6 MHz. Jeweils mittwochs, alle vier Wochen, von 17:00–18:00 Uhr. Sendung verpasst? Kein Problem. Jederzeit nachzuhören auf www.radiolocomotivo.ch 5 Mittwoch, 5. April 2017 13:30–17:00 Uhr Heitere Fahne, Wabern SOKOBE-Tagung 2017: Risiko – positiv? Das Ziel der Sozialpsychiatrischen Konferenz Bern SOKOBE ist der interdisziplinäre Informations- und Erfahrungsaus­ tausch zwischen allen Beteiligten. Der Ausschuss setzt sich aus den UPD und weiteren sozial-psychiatrischen Institutio­ nen aus dem Raum Bern zusammen. Dienstjubiläen Februar 2017 10 Jahre Ouahes Nadia Avdagic Suvad Samstag, 4. März 2017 4:00–12:00 Uhr BZ Pflege, Freiburgstrasse 133, 3008 Bern Einblick in Ausbildung Pflege Fokus psychisch erkrankte Menschen Samstagsveranstaltung im BZ Pflege in Bern mit vertieftem Einblick in die Ausbildung Pflege HF mit Fokus psychisch er­ krankte Menschen. 20 Jahre Jost Heinz Dienstag, 7. März und Dienstag, 24. Oktober 2017 UPD, Murtenstrasse 21, 3010 Bern Informationsveranstaltung Psychose/ Schizophrenie Die Angehörigenberatung der UPD bietet im Frühling und im Herbst 2017 Informationsveranstaltungen für Angehörige von Menschen an, die an einer Psychose bzw. an Schizophre­ nie erkrankt sind. Weitere Informationen finden Sie hier. Dienstag, 28. März 2017 14:00–17:30 Uhr UPD, Bolligenstrasse 111, 3000 Bern 60 Sozialkonferenz UPD: Psychiatrie – Quo vadis? Schwerpunkt der ersten Sozialkonferenz 2017: Konzept und Forschung in der Psychiatrie. 35 Jahre Hämmig Robert 35 IMPRESSUM Herausgeberin: Geschäftsleitung UPD Verantwortung: Mike Sutter, Leiter Kommunikation & Information Autorinnen, Autoren, Fotografinnen und Fotografen dieser Ausgabe: Gregor Hasler, Daniela Krneta, Andrea Papmeyer, Mike Sutter Die nächste Ausgabe des UPDate erscheint im März 2017. Texte und Bilder schicken Sie bitte bis am 15. März 2017 an: [email protected]