Wie gesund ist Ihre Schilddrüse? Eine kleine Drüse steuert unseren Stoffwechsel. Wehe, wenn sie vom Kurs abkommt VON MARION MEINER S Sie ist nicht größer als Ihr Daumenende, und wenn sie gesund ist, spüren und sehen Sie sie äußerlich nicht. Wehe aber, Ihrer Schilddrüse fehlt etwas. Dann geht es im Stoffwechsel, auf der Waage, sogar in der Seele drunter und drüber – denn die kleine Drüse spielt bei der Steuerung fast aller wichtigen Organe eine große Rolle. F O T O : © M A S T E R F I L E R O Y A LT Y F R E E [[2R]] „Mein Blutdruck fuhr plötzlich Ach- den sich Veränderungen in der Schildterbahn: Er schoss nach oben, sackte drüse. Vergleichbar oft gerät das Orwieder ab. Mein Herz raste, kam stän- gan bei den Österreichern und dig aus dem Takt. Ich dachte, ich Schweizern aus der Form: Die Drüse werde verrückt“, beschreibt Alten- beginnt zu wuchern – oder sie verkleipflegerin Linda Bauknecht die Symp- nert sich. Sie produziert plötzlich zu tome, die sie im Herbst 2006 nach viele – oder zu wenige Hormone. einem fiebrigen Infekt heimsuchten. Lesen Sie, auf welche Symptome Letzteres glaubte offenbar auch ihre Sie achten sollten, was dahinterstedamalige Ärztin: „Sie wollte mich so- cken könnte und wie Sie Ihre Schildgar in die Psychiatrie schicken, weil drüse gesund erhalten. selbst Herzspezialisten bei mir nichts feststellten“, erzählt die 49-jährige Schwäbin. Bauknecht wechselte den Der Kropf - die Arzt. Zum Glück: Denn der neue Arzt vergrößerte Schilddrüse entdeckte die Ursache der rätselhaf- Symptome: Das Problem kennen ten Beschwerden – eine chronische mehr als ein Drittel der Menschen in Schilddrüsenentzündung. Deutschland und jeder fünfte Österreicher aus eigener Anschauung: Die Schilddrüse ist im Kehlkopfbereich sicht- und spürbar vergrößert. Viele Betroffene haben das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben, oder leiden an Schluckbeschwerden. Ursachen und Risikofaktoren: Aus­ Ein Leiden mit Geschichte gelöst wird diese Vergrößerung der Schilddrüsen-Störungen sind so alt Schilddrüse vor allem durch Jodmanwie die Menschheit: Schon 1500 vor gel. Auch eine Unterversorgung mit Christus rieten die Pharaonen zu „un- dem Spurenelement Selen, Rauchen terägyptischem Salz“ als Kropfthera- sowie der Verzehr von Nitraten – entpie. Seit dem 19. Jahrhundert ist das halten beispielsweise in Pökelfleisch –, Kropfband in Bayern und Österreich Konservierungsstoffen wie E251, E252 Bestandteil der Trachten – gerade in in Käse, Wurst und Fischkonserven den Alpenländern hatte der Jodman- gelten als Risikofaktoren. gel zur fast flächendeckenden Vergrö„Jodmangel regt Schilddrüsengeßerung der Schilddrüse geführt. webe zum Wachstum an – so entsteBis heute beschäftigt das kleine Or- hen die Kröpfe und Knoten, die heute gan Forscher, Ärzte und Patienten. Bei noch vielen Menschen zu schaffen mehr als jedem dritten Deutschen fin- machen“, bestätigt Professor Martin [[1L]] Reader’s Digest 04 /12 Grußendorf, Internist und Endokrinologe aus Stuttgart. Therapie: Ein Kropf verschwindet nicht von allein, der Gang zum Arzt ist also unabdingbar. Zuerst wird er mit einer Blutuntersuchung Ihre Schilddrüsenhormonproduktion kontrollieren, dann mithilfe einer Ultraschall-Untersuchung feststellen, wie stark die Schilddrüse vergrößert ist und ob sich Gewebeknoten gebildet haben. Bei normalen Schilddrüsenwerten wird er Ihnen in der Regel eine Kombination aus Jod und künstlichen Hormonen verordnen. „Operiert werden muss nur, wenn die vergrößerte Schilddrüse auf Luft- oder Speiseröhre drückt, oder bei klarem Krebsverdacht“, beruhigt Professor Grußendorf. Der sprichwörtliche Kloß im Hals deutet auf eine vergrößerte Schilddrüse hin mit Schilddrüsenhormonen helfen ihr jetzt, den Mangel auszugleichen. Zusätzlich riet der Arzt Kleinert zu mehr Fisch-Mahlzeiten. Ganz ähnliche Beschwerden führten die Psychologiestudentin Jana Bergmann* zum Arzt: Sie litt nach chronischen Infekten an extremer Müdigkeit. Auch bei der 32-Jährigen entdeckte die Hausärztin eine starke Unterfunktion der Schilddrüse. Allerdings war in Bergmanns Fall nicht Jodmangel der Auslöser, sondern eine spezielle Form der Schilddrüsenentzündung, die sogenannte HashimotoThyreoiditis. Unbehandelt führt diese Erkrankung zur Zerstörung des Organs. „Meine Schilddrüse hatte nur noch ein Volumen von drei Milliliter“, erzählt die 32-jährige Leipzigerin. Die SchilddrüsenUnterfunktion FOTO: © CORBIS Symptome: Antrieb und Leistungs­ fähigkeit lassen nach, Stoffwechsel und Herz arbeiten auf Sparflamme, man fühlt sich chronisch müde, deprimiert und legt an Gewicht zu. So erlebte es die Theaterangestellte Annette Kleinert*. „Ich war ständig müde, verlor büschelweise Haare und nahm in weniger als einem Jahr mehr als zehn Kilo zu“, erinnert sich die 40-jährige Pfälzerin. Schließlich ging sie zum Arzt. Der stellte fest: Annette Kleinert litt wegen Jodmangel an einer Schilddrüsenunterfunktion – das Organ produzierte zu wenig Hormone. Tabletten * Namen von der Redaktion geändert Ständig müde? Das spricht womöglich für eine Unterfunktion der Schilddrüse Fitmacher für die Schilddrüse Normal ist das Sechsfache. Weil ihre Schilddrüse fast keine Hormone mehr produziert, muss Bergmann als Ersatz künstliche Schilddrüsenhormone in Tablettenform einnehmen – und zwar für immer. Ursachen und Risikofaktoren: In den meisten Fällen ist – wie beim Kropf – Jodmangel der Auslöser einer Schilddrüsenunterfunktion. Aber eben nicht immer: Vor der Hashimoto-Krankheit, an der im Laufe ihres Lebens bis zu 10 Prozent der Bevölkerung erkranken, schützt eine gute Jodversorgung nicht. Ein zu hoher Konsum kann die Er­ krankung offenbar sogar auslösen (zur richtigen Dosierung von Jod siehe Kasten oben). Vermutlich spielen genetische Veranlagung, Umweltfaktoren, hormonelle Schwankungen in Pubertät und Wechseljahren und Vireninfektionen wie beispielsweise Gürtelrose eine Rolle. Häufig geht die Krankheit auch mit Typ 1-Diabetes, Zöliakie und mit Allergien einher. [[1L]] Jod – und damit die Baustoffe der Schilddrüsenhormone – sowie Vitamin A, welches das Kropfrisiko senken hilft. Zudem liefern sie Selen, das die Schilddrüsenhormone im Stoffwechsel aktiviert. • Sorgen Sie für Entspannung! Dauerstress erhöht beispielsweise Ihr Risiko, an Morbus Basedow zu erkranken. • Rauchen Sie nicht! Auch der blaue Dunst erhöht Ihr Risiko für Autoimmun-Schilddrüsenkrankheiten wie die Basedow-Krankheit. Das gilt insbesondere für Frauen. MM Therapie: Sicher erkennt der Arzt die Unterfunktion durch eine Blutuntersuchung. Leiden Sie unter den beschriebenen Symptomen, sprechen Sie Ihren Hausarzt darauf an. Bei beiden Formen der Erkrankung kommen Medikamente mit Schilddrüsenhormonen zum Einsatz. Hashimoto-Patienten brauchen sie oft lebenslang, da die Schilddrüse meist irreparabel geschädigt ist. Ist die Schilddrüse nicht entzündet, verordnet der Arzt in der Regel eine Kombination aus niedrig dosierten Hormonen und Jod. Die SchilddrüsenÜberfunktion Symptome: Herzrasen, teigige Haut, Haarausfall, Schlafstörungen, Gewichtsverlust. Dazu womöglich ein vergrößerter Knoten am Hals, lichtempfindliche, vorquellende Augen – all das sind typische Anzeichen einer überaktiven Schilddrüse. Bei der häuReader’s Digest 04 /12 FOTO: © GETTY IMAGES/STOCKBYTE • Achten Sie auf die richtige Joddosis! 180-200 µg pro Tag sollten es sein, eine Tagesdosis von 500 µg sollten Sie aber nicht überschreiten. Sonst drohen eine Jodvergiftung oder schwere Schilddrüsenstörungen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnt deshalb vor dem Verzehr getrockneter Meeresalgen: Sie enthalten oft mehr als 5000 µg pro Portion! • Bringen Sie Fisch auf den Tisch! In Schellfisch, Scholle, Lachs und Co. steckt eine geballte Ladung Schilddrüsenschutz. Sie enthalten Eiweiß und figsten Form der Schilddrüsenüberfunktion, der Basedow-Krankheit, regen fehlgeleitete Immunzellen die Schilddrüse zur Hormon-Überproduktion an. Sie trifft etwa drei von 100 Menschen, meist Frauen. Eine davon ist Regina Kuhn. „Ich stand förmlich unter Strom. Ich zitterte, war reizbar, bekam Angstattacken und Herzrasen. Und dann war plötzlich mein rechtes Auge vergrößert“, schildert die 45-jährige Bürokauffrau aus Giengen die Symptome, die vor etwa einem Jahr wie aus dem Nichts auftauchten. Ursachen und Risikofaktoren: Stress, Rauchen, eine übermäßige Jodzufuhr nach längerem Jodmangel und Infekte begünstigen den Ausbruch der Basedow-Krankheit. In einigen Fällen können aber auch gutartige Tumore, sogenannte „heiße Knoten“, die Überfunktion erzeugen. Jodmangel begünstigt die Bildung dieser Knoten. Therapie: Zur Diagnose dienen Bluttests und eine Szintigrafie. Dabei spritzt der Arzt ein radioaktives Kontrastmittel, mit dessen Hilfe er auf dem Bildschirm sieht, ob die Schilddrüsenzellen es übermäßig speichern – klares Indiz für eine Überfunktion. Behandelt wird meist mit Medikamenten, welche die Produktion der Schilddrüsenhormone hemmen. Schlägt die Behandlung nicht an, werden die hyperaktiven Zellen durch eine Radiojodtherapie zerstört. Alternativ wird die Schilddrüse chirurgisch verkleinert oder entfernt. In diesem Fall sind lebenslang Hormone ein­ zunehmen. Seefisch enthält viel Jod – das tut der Schilddrüse gut Der Schilddrüsenkrebs Symptome: Rund 5300 Menschen er- kranken jedes Jahr allein in Deutschland an Schilddrüsenkrebs – mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer. Warnzeichen sind ein Druckgefühl im Hals, Atem- oder Schluckbeschwerden, Heiserkeit und vergrößerte Halslymphknoten. Panik ist keinesfalls angebracht: Gutartige Knoten in der Schilddrüse, wie sie bei etwa 20 bis 30 Prozent der Menschen vorkommen, lösen ähnliche Beschwerden aus. Ursachen und Risikofaktoren: Wer radioaktiver und Röntgen-Strahlung [[2R]] Schilddrüsenkarzinoms überleben im Schnitt über 90 Prozent der Patienten die nächsten fünf Jahre. Auch Altenpflegerin Linda Bauknecht aus Schwaben – die fast schon mit einem Fuß in der Psychiatrie stand – hat Glück im Unglück gehabt: Nachdem ihr neuer Arzt die Schilddrüsenentzündung erkannt hatte, stellte man während der Operation zudem winzige Krebsgeschwüre fest. Bauknechts Schilddrüse wurde daraufhin vollständig entfernt. Ihre Lebenserwartung ist statistisch gesehen so hoch wie die eines jeden anderen. Heute nimmt die 49-Jährige regelmäßig Tabletten mit Schilddrüsenhormonen, geht arbeiten und sagt: „Es geht mir gut. Selbst mein Herz hat sich wieder beruhigt.“ Rauchen, Stress und Infekte begünstigen eine Überfunktion der Schilddrüse ausgesetzt war – etwa durch medizinische Untersuchungen –, vor allem im Kindesalter, einen Kropf sowie Schilddrüsenknoten hat, trägt ein erhöhtes Risiko für diese Krebsform. Therapie: Besteht der Verdacht auf Krebs, entnimmt der Arzt eine winzige Gewebeprobe aus dem verdächtigen Knoten. Ist der Tumor bösartig, wird er durch eine Operation und anschließende Radiojodtherapie zerstört. Rechtzeitig erkannt, stehen die Chancen auf Heilung gut: Bei der am häufigsten auftretenden Form des ENTFÜHRT! Eine Geschichte, die Angst macht: Eine Mutter und ihre fünfjährige Toch- ter waren einkaufen in einem Einrichtungshaus. Auf der Suche nach einem bestimmten Angebot ließ die Mutter das Kind kurz aus den Augen. Als sie sich zu ihm umdrehte, war das Mädchen verschwunden! Die Mutter schlug sofort Alarm. Das Gebäude wurde durchsucht und das Mädchen schließlich in einem Waschraum gefunden – in Gesellschaft einer Ausländerin, die der Kleinen die Haare abgeschnitten und sie als Junge verkleidet hatte, um sie unbemerkt aus dem Laden bringen zu können. Klingt diese Geschichte vertraut? Das wäre keine Überraschung. Denn diese Art Entführung hat schon fast überall stattgefunden: in Deutschland, Finnland und Großbritannien – um nur ein paar betroffene Länder zu nennen. Seit Jahren macht diese moderne Legende die Runde. Die Methode des Kidnappings ist dabei unterschiedlich. Manchmal ist das entführte Kind ein Junge, dessen Haare gefärbt wurden. Manchmal bleibt das Kind verschwunden. Um besorgte Kunden zu beruhigen, gab die Leitung des Einrichtungshauses eine Presseerklärung ab. Titel: Schenken Sie den Gerüchten über Kindesentführungen keinen Glauben! Annemarie Schäfer [[1L]] Reader’s Digest 04 /12