Einwurf

Werbung
Eignet sich Tierschutz als Label für die EU?
Von Dr. Heinz Brandstetter, Beiratsmitglied des VBIO
Tierschutz hat einen hohen Stellenwert in der Europäischen Union (EU) und das ist gut so! Die EU hat deshalb mehrere Richtlinien für die verschiedenen Formen der Tiernutzung erlassen. Eine davon ist die so genannte „Versuchstierrichtlinie“ (Richtline 86/609/EWG des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung der Rechts‐ und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere). Diese aus dem Jahr 1986 stammende Regelung befindet sich zurzeit in der Endphase der Überarbeitung. Es ist sicherlich sinnvoll und zu begrüßen, dass diese in die Jahre gekommenen Regelungen an den aktuellen Stand von Forschung und Technik angepasst werden und dabei auch eine bessere Harmonisierung zwischen den EUMitgliedsstaaten erreicht wird. Die EU‐Kommission scheint diese Überarbeitung aber auch dafür nutzen zu wollen, den Tierschutz zu einem Label für die EU zu machen. Von einer weltweiten Vorreiterrolle der EU in Sachen Tierschutz und von einem „Exportartikel Tierschutz“ war bereits die Rede. Durch diesen hohen Anspruch scheint sich die EU‐Kommission, unterstützt von einzelnen, wenigen EU‐Mitgliedsstaaten, zu so genannten Generalverboten und teilweise massiven Einschränkungen für die Forschungsmöglichkeiten mit Tieren verleiten zu lassen. Damit wäre Forschung für Erkrankungen, die mit einer schweren Belastung verbunden sein können, wie zum Beispiel für Krebs und Arthritis nicht mehr beziehungsweise nicht mehr in dem erforderlichen Maße in Europa möglich. Für die betroffenen Patientengruppen ein klarer Nachteil. Das übersteigt nach Einschätzung von zwei juristischen Beurteilungen die Grenze zulässiger Eingriffe in die Grundrechte des Gesundheitsschutzes und der Forschungsfreiheit in der BRD. Darüber hinaus dürften diese Einschränkungen nur schwer mit der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in Einklang zu bringen sein. Hier heißt es unter anderem: „Medizinische Forschung am Menschen muss den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen entsprechen, auf einer umfassenden Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur, auf anderen relevanten Informationsquellen sowie auf ausreichenden Laborversuchen und gegebenenfalls Tierversuchen basieren.“ Nur ein Teil der ursprünglich von der EU‐Kommission vorgeschlagenen Regelungen ist im Rahmen der Diskussionen im Ministerrat und mit dem EU‐Parlament wieder auf einem angemessenen Niveau angekommen. Für mich stellt sich die Frage: Warum ging die EU‐Kommission mit ihren Vorschlägen gerade bei der Novellierung der „Versuchstierrichtlinie“ soweit? Weil mich diese Frage schon seit längerem beschäftigt, möchte ich einen Erklärungsversuch wagen. Meine Hypothese ist, dass nicht alle Formen der Tiernutzung in unserer Gesellschaft gleich betrachtet werden. Das kommt vermutlich daher, dass Tierschutz immer auch emotional ist. Diese Emotionalität führt jedoch zu einer Einteilung der Tiernutzung in „gut“ und „schlecht“. Als „gute Tiernutzung“ wird, zumindest mehrheitlich, die Nutzung von Tieren in Sport und Freizeit betrachtet. Unter „schlechter Tiernutzung“ werden die Nutzungsarten eingeordnet, die vielfach auch das Töten der Tiere erforderlich macht, also für die Ernährung, für Kleidung und für die Gesundheit von Mensch und Tier. Betrachten wir diese Unterscheidung von „guter“ und „schlechter“ Tiernutzung noch einmal näher. Wir wissen, dass es auch bei der so genannten „guten Tiernutzung“ zu tierschutzrelevanten Problemen aufgrund nicht tiergerechter Haltung und falschem Umgang mit den Tieren kommen kann. Diesen Punkt möchte ich hier aber nicht vertiefen, sondern die so genannte „schlechte Tiernutzung“ eingehender betrachten. Hier wird oft noch weiter differenziert. So wird die Nutzung von Tieren für die Ernährung vielfach akzeptiert oder zumindest als notwendig erachtet. Auch wenn Tiere für die Herstellung von Kleidung gehalten werden, so findet das, von einigen Ausnahmen (z.B. Pelze, Leder von bedrohten Tierarten) abgesehen, eine breite Akzeptanz. Die Akzeptanz dieser „schlechten Nutzungsarten“ hängt vermutlich damit zusammen, dass sie eng mit unserem täglichen Leben verknüpft sind und damit nur schwer verdrängt werden können (Essen, Ankleiden). Das „schlechte Gefühl“ bei der Nutzung von Tieren scheint sich deshalb auf die in meiner Auflistung letzte Nutzungsart zu konzentrieren: für die Gesundheit von Mensch und Tier. Es fällt uns Menschen aus den folgenden Gründen leicht, unser schlechtes Gewissen stellvertretend für alle Nutzungsarten auf die Nutzung von Tieren für die Gesundheit von Mensch und Tieren zu fokussieren. 1. Der direkte Bezug zwischen den im Vorfeld nötigen Tierversuchen und dem Medikament oder der Behandlungsmethode ist in dem Moment, in dem wir sie in Anspruch nehmen, nicht offensichtlich. 2. Es ist für jeden leicht vorstellbar, dass es bei den Tieren, die für Untersuchungen zum Schutz von Mensch und Tier vor unerwünschten Nebenwirkungen und zur Entwicklung von Therapien gegen Krankheiten eingesetzt werden, zu Belastungen und Leiden kommen kann, so wie das beim Patienten auch der Fall ist. Auch wenn der Anteil an Tieren, die tatsächlich schwere Belastungen erfahren, nicht sehr hoch ist (deutlich unter 10 % der Tiere, die in der Forschung eingesetzt werden), so beschäftigt uns dieser Sachverhalt. Aber seien wir doch einmal ehrlich, auch zu uns selbst. Ist die Suche nach neuen und besseren Medikamenten und Therapiemethoden, um Menschen und Tiere zu heilen, Leiden zu lindern und einen zu frühen Tod zu verhindern, nicht mindestens so hoch einzustufen, wie die Nutzung von Tieren für die Ernährung, Kleidung, Sport und Freizeit? Mir geht es nicht darum, den Einsatz von Tieren in der Forschung zu verniedlichen oder gar als belanglos abzutun. Nein, es geht darum, einen vernünftigen, angemessenen, gesunden und menschlichen Bezug zu den anderen Nutzungsarten und zu unserem Selbstverständnis als Mensch, der wir durch unser Leben stets Einflüsse auf Tiere, Pflanzen und die Erde insgesamt hervorrufen, herzustellen. Wenn wir uns dabei noch vor Augen halten, dass wir im Vergleich zu den anderen Nutzungsarten das Ziel, Menschen und Tiere durch Grundlagenforschung und der darauf aufbauenden Entwicklung von Medikamenten und Therapiemethoden zu helfen und Leiden zu lindern, mit wenigen Tieren erreichen, dann gibt es keinen Grund diese Nutzung schlechter zu bewerten als die Nutzung von Tieren für die Ernährung und Kleidung . Dabei gilt allerdings: Wann immer wir Menschen Tiere nutzen und das gilt für alle Nutzungsarten, dann übernehmen wir eine Verantwortung für die Tiere und es ist unsere Aufgabe, die Nutzung unter den bestmöglichen Bedingungen durchzuführen! D.h. auch, dass die Belastungen für die Tiere natürlich so gering wie möglich gehalten werden muss und dass Ersatzmethoden verwendet werden, wenn diese möglich und zugelassen sind. Ich komme nochmals auf die Frage im Titel dieses Editorials zurück: Eignet sich Tierschutz als Label für die EU? Aus meiner Sicht „taugt“ Tierschutz nicht als Label, sondern er muss praktiziert werden, damit er vor Ort bei den Tieren ankommt und nicht auf Schreibtischen liegen oder gar ganz auf der Strecke bleibt. Tierschutz ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Er darf aber auch nicht dazu führen, dass wir unserer ethischen Verantwortung gegenüber dem Menschen nicht mehr in ausreichendem Umfang gerecht werden. Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Gedanken Anregungen für weitere Überlegungen und Diskussionen geben. Ihr Heinz Brandstetter
Herunterladen