Das Abkominen von 1890 zwischen England und dem Deutschen

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Das Abkominen von 1890 zwischen England und dem Deutschen Reich rief
in den Kreisen der deutschen Kolonialinteressenten Entrüstung hervor. Im
Jahre 1891 gründeten führende Persönlichkeiten auf kolonialem Gebiet
sowie Vertreter der Schwerindustrie und der Finanz den Alldeutschen Verband. Er bezweckte die Ausarbeitung von Plänen für den Kampf gegen
England, um die Weltherrschaft Deutschlands zu errichten. Ein fester Bestandteil dieser Pläne war auch der Kampf gegen die slawischen Völker.
Der Alldeutsche Verband spielte eine große Rolle bei der Herausbildung
der Ideologie des deutschen Imperialismus. Die englisch-deutschen \Vider-'
sprüche verschärften sich durch den Konkurrenzkampf der beiden Mächte,
der durch den industriellen Fortschritt Deutschlands bedingt war. Dieses hatte
Anfang der 90er Jahre des 19.Jh. Frankreich überholt und kam jetzt
in bezug auf die Höhe seiner Industrieproduktion
England immer näher.
Die Krise von 1890 benutzten die Unternehmer, um gegen die Arbeiterklasse vorzugehen. Aber je mehr sich die Klassenwidersprüche verschärften,
um so stärkere politische Aktivität entfaltete das Proletariat. Im Jahre 1891
nahm der Parteitag der deutschen Sozialdemokraten in Erfurt ein Programm an, das gegenüber dem Gothaer Programm einen Fortschritt bedeutete. Jedoch enthielt auch das Erfurter Programm noch beträchtliche
Zugeständnisse an den Opportunismus. Engels unterzog den Entwurf zu
diesem Programm einer scharfen Kritik. Der Sozialdemokratischen Partei
waren damals zahlreiche neue Mitglieder beigetreten, darunter, wie sich
dann herausstellte, eine große Anzahl zeitweiliger »Mitläufer«. Dieser Umstand trug dazu bei, daß der Opportunismus in der Sozialdemokratie neu
belebt wurde. Lenin wies darauf hin, daß »die Opportunisten objektiv den
Teil der Kleinbourgeoisie und gewisser Schichten der Arbeiterklasse darstellen, der vermittels der imperialistischen Extraprofite bestochen und so
in Kettenhunde des Kapitalismus und Verderber der Arbeiterklasse verwandelt worden ist«1.
Unter diesen Umständen nahm der Kampf zwischen den beiden Richtungen innerhalb der Arbeiterbewegung,
der revolutionären
und der
opportunistischen, an Schärfe zu. Es war nun von großer Bedeutung für das
Erstarkender
revolutionären Richtung, daß Engels 1891 trotz des Widerstandes der reformistischen sozialdemokratischen Führer (Kautsky u. a.)
Marx' »Kritik des Gothaer Programms« veröffentlichte, die von den Opportunisten 15 Jahre lang totgeschwiegen worden war. Nach der Aufhebung
des Ausnahmegesetzes gegen die Sozialisten konnte die Sozialdemokratische Partei wieder legal arbeiten. Bei den Wahlen von 189"3erhielt sie
1787000 Stimmen und entsandte 44 Abgeordnete in den Reichstag.
Die Arbeiterklasse gewann an organisatorischer Geschlossenheit. Gleichzeitig wurde die Haltung der herrschenden Klassen immer reaktionärer.
Nachdem der Reichstag aufgelöst worden war, da er sich einer Erhöhung
der Ausgaben für das Heer widersetzt hatte, gelangte ~893 im neuen
Reichstag, der anders zusammengesetzt war, ein Gesetz zur Annahme, das
der Regierung die Möglichkeit gab, das Heeresbudget für einen kürzeren
Zeitraum (5 statt, wie bisher, 7 Jahre) zu erhöhen. Im Jahre 1894 wurde auf
Initiative des Alldeutschen Verbandes in Posen der nationalistische polenfeindliche »Hakatisten«- Verein gegründet. An Caprivis Stelle trat 1894 als
Reichskanzler Fürst Hohenlohe, der in seiner Außenpolitik einen noch aggressiveren Kurs verfolgte. Angesichts des Erstarkens der Reaktion war für
die Arbeiterklasse die Frage nach Bundesgenossen besonders aktuell. Für
ihre Beantwortung
war die 1894 veröffentlichte Schrift von Engels über
»Die Bauernfrage in Fra~kreich u~d Deutschland« außerordentlich wichtig.
1
B.H.JIeHJlH,
Cox. (W.I.Lenin,
Werke), Bd. 23, 4. Aufl., 8.99.
Darin wurde die Haltung der deutschen Sozialdemokratischen Partei in der
Agrarfrage einer scharfen Kritik unterzogen, denn in dieser Haltung kam
zum Ausdruck, daß ihre opportunistischen Führer nicht gewillt waren, die'
Proletarier zur Eroberung der Macht zu führen, daß sie Angst vor der
Revolution hatten.
Mitte der 90er Jahre setzte ein industrieller Aufschwung ein. Er führte
zu einer noch stärkeren Konzentration der Produktion. Die Zahl der Kartelle hatte sich gegen 1896 auf 250 erhöht. Ein solches Kartell hatte manchmal 7 bis 8 Zehntel der gesamten Produktion eines bestimmten Industriezweiges in seiner Hand, Junkertum und Großbourgeoisie, die die soziale
Basis des deutschen Imperialismus bildeten, waren durch gemeinsame wirtschaftliche und politische Interessen sowie durch ihren Kampf gegen die
Arbeiterbewegung miteinander verbunden. Agrarier wurden zu führenden
Großindustriellen und umgekehrt die bedeutendsten Iridustriemagnaten zu
Großgrundbesitzern.
Lenin schreibt. über den deutschen Imperialismus:
»Hier haben wir das ,letzte Wort' der modernen großkapitalistischen Technik und planmäßigen Organisation, die sich dem junkerlich-bourgeoisen
Imperialismus untergeordnet hat,,1.
Der junkerlieh-bourgeoise deutsche Imperialismus betrat den Schauplatz
der Weltgeschichte zu einer Zeit, da die Erde im wesentlichen bereits aufgeteilt war. Darin liegt seine außergewöhnliche Aggressivität, sein räuberischer Charakter begründet. Anfang 1896 unternahm Wilhelm II. im Interesse der Monopolisten den Versuch, Transvaal unter deutsches Protektorat zu stellen. Die Transvaalkrise drohte zum Kriege zu führen. Doch'
weder England . noch Deutschland konnte den Krieg beginnen, weil die
deutsche Regierung über keine ausreichende Kriegsflotte verfügte und England auf 'dem europäischen Festland keinen Verbündeten hatte.rdessen es
sich zur Verwirklichung seiner Pläne hätte bedienen können.
Nachdem das Deutsche Reich Dsterreich-Ungarn und Italien brutal unter
politischen Druck gesetzt hatte, erreichte es 1897 eine Verlängerung des
aggressiven Dreibundvertrages. Um die Expansion des deutschen Imperialismus in Richtung .auf die Türkei zu sichern,. das französisch-russische
Bündnis zu sprengen und eine Annäherung zwischen Rußland und England zu vereiteln, förderte die deutsche Regierung die Entfesselung des
1
Ebenda, Bd.27, S.306.
griechisch-türkischen Krieges im Jahre 1897. Ende des gleichen Jahr-es ging
Deutschland an die Realisierung seiner Expansionspläne 'im Fernen Osten.
Nachdem Deutschland im November 1897 an der chinesischen Küste Truppen hatte landen lassen, annektierte es im März 1898 Kiautschou und zwang
dadurch die chinesische Regierung, ihm mehrere Bergbaukonzessionen in
Schantung und eine weitere Konzession zum Bau zweier Eisenbahnlinien
daselbst zu erteilen. Im Frühjahr 1898 wurde vom Reichstag der erste Gesetzentwurf über den Flottenbau angenommen, der sich als eine schwere
Last für die Arbeiter auswirken sollte. Die Annahme des Flottenbauprogramms, dessen Initiator der Admiral Tirpitz war, bedeutete den Beginn
der englisch-deutschen Rivalität zur See. Der deutsche Imperialismus begann jetzt mit großer Aktivität zum Kriege um die Aufteilung der Erde
zu rüsten. »Deutschland begann England zu überholen und forderte für sich
auf Kosten anderer Staaten, vor allem auf Kosten Englands, eirien Platz
.an der Sonne' ... der imperialistische Krieg (1914-1918) brach gerade im
Zusammenhang mit diesem Umstand aus.«! Die aggressive Außenpolitik •
des deutschen Imperialismus stärkte wiederum die Reaktion in Deutschland.
Während er zum Kriege rüstete, ging die Regierung besonders aktiv gegen
die Arbeiterklasse vor und betrieb die nationale Unterdrückung mit noch
größerer Energie.
Deutschland trat in den Kampf um die Neuaufteilung der Erde in dem
Augenblick ein, als auf dem Schauplatz des Weltgeschehens ein weiterer
Räuber, der junge amerikanische Imperialismus, erschien. Der spanischamerikanische Krieg 1898 war der erste Krieg, der um die Neuaufteilung
der Erde geführt wurde. Der deutsche Imperialismus beteiligte sich an ihm,
indem er ein Geschwader nach Manila entsandte, in der Absicht, die
Philippinen in Besitz zu nehmen oder doch wenigstens ihre Teilung zu erreichen. Das Ergebnis war der Erwerb der Karolinen, der Marianen und
des Palau-Archipels. Die deutsche Expansion richtete sich auch auf Lateinamerika. Im Jahre 1898 suchte sich das Deutsche Reich mit England über
die Auf teilung der portugiesischen Kolonien zu verständigen. Damals
wurden auf Initiative Englands auch Versuche unternommen, ein englisch1
:H. B.
CTaJJIlH,
Berlin 1952, S.226f.
COq.
(J. W. Stalin, Werke), Bd.8, S.253; deutsch: ebenda,
deutsches Abkommen gegen Rußland zu .treffen. Ein solcher Vertrag kam
jedoch nicht zustande, Deutschland und England konnten, wie Lenin be-:
merkt hat, wegen der englisch-deutschen Widersprüche nicht handelseinig werden'. Die Gegensätze zwischen England und dem Deutschen Reich
waren schwerwiegender Natur und sollten, worauf Stalin hingewiesen hat,
für die Entstehung und Entwicklung. des ersten Weltkrieges nahezu ausschlaggebend sein". Diese Widersprüche verschärften sich im Zusammenhang mit dem Kampf des deutschen Imperialismus um die Konzession für
die Bagdadbahn noch mehr. Die Verschlechterung der Beziehungen zu
Rußland und England wurde von' den imperialistischen Kreisen Deutschlands, die die. Weltherrschaft erstrebten, als Vorwand benutzt, um das
Land weiter zt1'Wilitarisieren. Am 16. März 1899 nahm der Reichstag einen
neuen Gesetze~fwurf über eine Heeresverstärkung
an. Vorgesehen war
ferner die Einbringung eines neuen Flottenprogramms im gleichen Jahr.
Ende der 90er Jahre des 19.Jh. gewann die Arbeiterbewegung
immer
mehr an Boden. Hauptforderungen
der Arbeiter waren die Erhöhung der
Arbeitslöhne und die Verkürzung des Arbeitstages. Während des Junistreiks der Bergleute (1899), der von den Arbeitermassen ganz Deutschlands unterstützt wurde, kam es zu Zusammenstößen zwischen Arbeitern
und Militär. Durch den Junistreik wurde die Einbringungdes
Flottenprogramms verhindert. Der Versuch der Regierung, Ende 1899 ein Gesetz
zum Schutz der Streikbrecher durchzubringen, mißlang.
Im Kampfe gegen die Arbeiterbewegung stützte sich die Bourgeoisie auf
ihre Agentur, die Opportunisten. Bernstein, der schon vorher in einer
Reihe von Fragen eine opportunistische Haltung eingenommen hatte, forderte jetzt die Revision des Marxismus (Revisionismus). Unter dem
Druck der Arbeiterbewegung
stimmten die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten
gegen das Flottenprogramm, .das vom Reichstag im
Juni 1900 angenommen wurd~ und eine Verdopplung der Stärke der
. deutschen Kriegsflotte vorsah. Sie sollte dadurch zur stärksten Kriegsflotte
1 VgJ. B.H. JIeHHH,
Terpana lIO HMlIepHaJIH3MY (W. I. Lenin, Hefte über den
Imperialismus), 1939, S.474.
2 VgJ. H. CTaJIHII,
0 crarse 9HreJThCa «Buemnaa lIOJIIITlllta pyccxoro
rrapH3Ma.
(J. Stalin, Über den Artikel von Engels "Die auswärtige Politik des russischen Zarenthums"). "Bolschewik", 1941, Heft 9.
'
der Welt nächst der englischen werden. Indessen, nicht' einmal die revolutionäre Sozialdemokratie hatte das imperialistische Wesen der deutsdien
Außenpolitik und ihre enge Verbindung mit den Interessen der kapitalistischen Monopole begriffen. Die opportunistischen Führer der Sozialdemokratie (Bernstein u. a.), die für den Klassenfrieden eintraten, waren
vielmehr bereit, die Regierung in ihrer Kolonialpolitik zu unterstützen.
Deutschland
von 1900 bis 1914
Die im Jahre 1900 einsetzende Wirtschaftskrise beschleunigte den Konzentrationsprozeß in Industrie und Bankwesen ganz außerordentlich. Die
kapitalistischen Monopole standen an erster Stelle in der Volkswirtschaft
wie in der Politik, »der Imperialismus hat sich aus Ansätzen zum herrschenden System entwickelt«l. Die deutsche Wirtschaft machte so stürmische
Fortschritte, daß es ihr gelang, binnen 15 bis 20 Jahren die englische zu
überholen. Der Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands
bestätigte die Leitsätze des 1915 von Lenin entdeckten Gesetzes der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus unter den Verhältnissen des
Imperialismus in besonders drastischer Weise. Im Jahre 1892 wurden in
Deutschland 4,9 Mill. t Roheisen hergestellt, in: England 6,8 Mill.; 1912 bestand bereits ein Verhältnis von 17,6 Mill. t zu 9,0 Mill t. »Es fragt sich«,
schreibt Lenin, »welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Ka{ntalismus geben außer dem Krieg, um das Mißverhältnis zwischen der
Entwicklung der Produktivkräfte
und der Akkumulation des Kapitals
einerseits, der Verteilung der Kolonien und der Einflußsphären des Finanzkapitals andererseits zu beseitigene", Die Politik der deutschen Regierung
wurde so immer reaktionärer und aggressiver. Die erste Amtshandlung des
Reichskanzlers v. Bülow, der 1900 Hohenlohes Nachfolger wurde, war die
Intervention in China zur Unterdrückung der nationalen Befreiungsbewegung (des Ngi-ho-t'uan-Aufstandes).
Bestrebt, das Bündnis des Monopolkapitals mit den Junkern zu festigen, setzte Bülow 1902 im Reichstag
die Annahme eines Zolltarifs durch, der eine beträchtliche Erhöhung der
1 B. M. JIeHI1H,
W. I. Lenin,
2 Ebenda,
COq. (W. 1. Lenin, Werke), Bd.22, 4. Aufl., S.271;
Ausgew. Wel(ke in 2 Bdn., Bd. I, Berlin 1952, S. 857.
S. 262; deutsch: a. a. 0., S.848.
deutsch:
Getreidezölle mit" sich brachte und sich auf die Lage der Werktätigen
nachteilig auswirkte. Im Jahre 1903 kam es zu einem sechs Monate dauernden Streik derTextilarbeiter in Crimmitschau (Königreich Sachsen). Aber
da sich die opportunistischen Gewerkschaftsführer mit den Unternehmern
verständigten, endete er mit einer Niederlage der Arbeiter.
.
Infolge der Annäherung zwischen Italien und Frankreich sowie eines
Abkommens zwischen England und Frankreich, durch das der Grundstein
zur Entente gelegt wurde, mußte die deutsche Regierung befürchten,
politisch isoliert zu werden, und setzte deshalb Ende 1904 ihr Ränkespiel
noch eifriger fort, um das russisch-französische Bündnis zu unterwühlen
und die Entente zu sprengen. Dem ersteren Zweck dienten die Verhandlungen, die zwischen. der deutschen und russischen Regierung im Herbst 1904
wegen eines russisch-deutschen Bündnisses geführt wurden, sowie eine Politik, die darauf ausging, den Russisch-japanischen Krieg 1904/05 nach Möglichkeit zu verlängern, an dessen Entfesselung das Deutsche Reich einen beträchtlichen Anteil gehabt hatte; Auch der Vertrag von Björkö vom Jahre
1905 zwischen Wilhe1m 11. und Nikolaus 11. verfolgte dieses Ziel. Einen
Versuch, der englisch-französischen Entente ein Ende zu bereiten, stellte das
Auftreten Wilhe1ms 11. in Tanger im März 1905 sowie sein Wirken gegen
die französische Marokkopolitik dar (Marokkokrisen). Jedoch im Hinblick
auf die internationale Lage sah sich der deutsche Imperialismus, der damals seine Kriegsrüstungen noch nicht beendet hatte, zu Konzessionen
gegenüber Frankreich veranlaßt. Das Deutsche Reich erkannte die »besonderen Interessen« Frankreichs in Marokko an. Der Beginn der russischen
Revolution von 1905-1907 bewog die deutsche Regierung, die Politik der
Verlängerung
des Russisch-japanischen
Krieges aufzugeben und zum
Schutze der Zarenmonarchie Vorbereitungen zu einer konterrevolutionären
Intervention in Rußland zu lreffen.
Die russische Revolution von 1905-1907 beeinflußte die" Arbeiterbewegung Deutschlands in starkem Maße. Sie löste machtvolle Demonstra- .
tionen der deutschen Arbeiter zum Zeichen ihrer Solidarität mit der russischen Arbeiterklasse aus, desgleichen ein Anwachsen der Streikbewegung.
. Im Januar und Februar 1905 streikten im Ruhrgebiet 360000 Bergleute.
Gegen diesen Zeitpunkt traten innerhalb der Sozialdemokratie deutlich
drei Strömungen hervor: die linken Sozialdemokraten, die Reditsopportu-
nisten und die Zentristen. Die Politik der Zentristen »bestand«, nach einem
Worte Stalins, »darin, den Opportunismus der Rechten mit linken Phrasen
zu schmücken und die Linken den. Rechten zu unterwerfen-- .. Unter dem
Druck der revolutionären Massen faßte der Jenaer Parteitag der deutschen
Sozialdemokratie, der im Herbst 1905 stattfand, einen Beschluß, in dem
der politische Massenstreik als Methode des revolutionären Kampfes gutgeheißen wurde. Der Parteitag vermied jedoch die Frage des bewaffneten
Aufstandes. Außerdem wurde der Beschluß über den Generalstreik durch
einen Beschluß des Mannheimer Parteitages von 1906 faktisch wieder zunichte gemacht. Dies erklärt sich aus der Schwäche und theoretischen Unreife des linken, revolutionären Flügels der deutschen Sozialdemokratie
mit Rosa Luxemburg u. a. an der Spitze, der die führende Rolle der Partei
unterschätzte und manche anderen Fehler beging. Lenin und Stalin haben
auf die Fehler der deutschen linken Sozialdemokraten mehrfach aufmerksam gemacht. Die opportunistischen Partei- und Gewerkschaftsführer aller
Schattierungen, darunter die Revisionisten, lehnten die revolutionären
Methoden des Kampfes auch weiterhin entschieden ab. Lenin entlarvte die
Opportunisten in »Was tun?« und in anderen Arbeiten, Stalin tat das
gleiche in seiner »Kurzen Darlegung der Meinungsverschiedenheiten
in der
Partei« sowie in anderen Schriften.
.
Im Gegensatz zur opportunistischen Führung veranstalteten die Dresdener Arbeiter im Dezember 1905 Massendemonstrationen
unter der
Losung der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen und
Sachsen. In Hamburg fand ein politischer Massenstreik statt. Durch den
'machtvollen Aufschwung der Arbeiterbewegung sah sich die Regierung zu
Teilzugeständnissen
gezwungen. Im Jahre 1906 wurde das allgemeine
Wahlrecht in Bayern und Württemberg eingeführt. Gleichzeitig ließ Wilhelm 11. Vorbereitungen treffen, um an den deutschen Arbeitern ein blutiges Strafgericht zu vollziehen.
Die außenpolitische Situation gestaltete sich ungünstig für das Deutsche
Reich. Auf der Konferenz von Algeciras 1906 gelang es der deutschen
.Diplomatie weder Rußland und, Frankreich zu trennen noch eine Annullierung des englisch-französischen Abkommens von 1904 herbeizuführen. Die
außenpolitische Situation des Deutschen Reiches wurde noch schwieriger,
1
Ir. B.
CUJI
H H,
C01J.
(J. W. Stalin, Werke), Bd. 11, S. 282.
als England und Rußland 1907 ein Abkommen trafen, durch das sich die
Entente endgültig konstituierte. Diese stand dem Dreibund gegenüber, .
dessen Zerfall mit dem Abschluß der italienisch-französischen Verträge
von 1900 und 1902 begonnen hatte.
Die Wirtschaftskrise von 190i beschleunigte das Anwachsen der Monopole. Sämtliche materiellen Hilfsquellen des Landes waren in der Hand
von dreihundert Kapitalmagnaten
konzentriert. Die Krise beschleunigte
auch die Gründung von monopolistischen Verbänden, die den Binnen- und
Exportmarkt unter sich aufteilten. Gab es 1897 noch rund 40 internationale
Kartelle mit deutscher Beteiligung, so waren es 1910 bereits ungefähr 100.
1907 wurde zwischen dem deutschen Trust der »Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft« und dem amerikanischen Trust der »General Electric Company«
ein Vertrag über die Aufteilung der Welt geschlossen. Angesichts der Wirtschaftskrise wuchs die revolutionäre Arbeiterbewegung.; in Südwestafrika
erhoben sich die Herero und Hottentotten gegen die deutsche Herrschaft.
Bei den Reichstagswahlen von 1907 gelang es Bülow, unter der Parole
einer aktiven Kolonialpolitik
einen junkerlich-bürgerlichen
Block zustande zu bringen. Dieser ist, da er die Mittel für die Unterdrückung des
Aufstandes in Südwestafrika bewilligte, unter dem Namen »Hottentottenblock- bekannt geworden. Die sozialdemokratischen Führer leisteten der
im Vordringen begriffenen Reaktion keinen Widerstand. Im Gegenteil,
auf dem Essener Parteitag der Sozialdemokratischen Partei im Jahre 1907
faßten sie den Beschluß, in dem kommenden imperialistischen Kriege das
»Vaterland- zu verteidigen. 1908 nahm der Reichstag ein Gesetz über die
weitere Erhöhung des Marinebudgets an, die durch den Bau von neuartigen
Kriegsschiffen, den Dreadnoughts, veranlaßt war. Dieses Gesetz und andere
Gesetze ähnlichen Inhalts ruhten mit ihrer ganzen Last auf den Schultern
der werktätigen Massen. Während der Bosnischen Krise von 1908/09
wollte die deutsche Regierung einen kriegerischen Zusammenstoß zwischen
Rußland und Osterreich-Ungarn
provozieren und unterstützte deshalb
letzteres aktiv bei der Annexion Bosniens und der Herzegowina. Im
Sommer 1909 mußte Bülow zurücktreten.
Der neue Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg
begann seine Amtsfiihrung mit der blutigen Unterdrückung der Arbeiterbewegung, die sich
mit Beginn des Jahres 1910 breit entfaltete. Am 6. März 19JO wurden de-
monstrierende Berliner Arbeiter von berittener Polizei auseinandergejagt.
,Dieser Tag ist unter der Bezeichnung »deutseher Blutsonntag« in die Geschichte eingegangen. Dieses Strafgericht wurde von den Bauarbeitern in fast
sämtlichen deutschen Großstädten mit dem Streik beantwortet. Im Herbst
1910 kam es in Berliner Stadtteilen (Moabit und Wedding) zu Kämpfen
der streikenden Arbeiter mit der Polizei, die mehrere Tage andauerten.
Auf außenpolitischem Gebiet unternahm Bethmann-Hollweg, wie zu erwarten war, den Versuch, Rußland der Entente abspenstig zu machen. 'Es
gelang dem Kanzler jedoch nicht, durch das Potsdamer Abkommen zwischen
dem Deutschen Reich und Rußland vom Jahre 1911 die Entente zu sprengen. Im Sommer 1911 war Deutschland einer Bemerkung Lenins zufolge
nur um Haaresbreite vom Kriege mit Frankreich und England entfernt. Die
französischen und die deutschen Interessen prallten in Afrika aufeinander,
als Frankreich Marokko besetzte (Zwischenfall von Agadir). Nach langen
Verhandlungen wurde im November 1911 ein Abkommen zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich unterzeichnet, in dem dieses das französische Protektorat über Marokko anerkannte und hierfür durch einen Teil
von Französisch-Kongo
entschädigt wurde. Die sozialdemokratischen
Führer gaben die Parole aus: »Gleiches Recht für alle Staaten in den
Kolonien!« Sie wollten dadurch faktisch die räuberische Politik des
deutschen Imperialismus rechtfertigen. Im Wettstreit mit der englischen
Regierung ließ sich die deutsche Regierung von 1911 an jedes Jahr höhere
Beträge für den Heeres- und Marinehaushalt vom Reichstag bewilligen.
Die Ausgaben des Deutschen Reiches für Heer und Flotte waren von 1879
bis 1914, in 35 Jahren, auf das Fünffache gestiegen.
In der Lage der' Arbeitermassen setzte eine katastrophale Verschlechterung ein. Im März 1912 traten 250000 Ruhrbergleute in den Ausstand, da
sie sich mit den streikenden Bergarbeitern Englands und Belgiens solidarisch erklärten; der Ruhrstreik wurde aber von den opportunistischen Gewerkschaftsführern abgebrochen. Im Jahre 1913 fanden im Elsaß preußenfeindliche Demonstrationen statt, hervorgerufen durch den sogenannten
Fall Zabern 1913.
In Deutschland reifte eine politische Krise heran. Indessen, es gab dort
keine wahrhaft revolutionäre Partei, die imstande gewesen wäre, die Führung der Arbeiterbewegung und die Leitung des Kampfes gegen den Krieg
zu übernehmen, dessen Beginn die Imperialisten beschleunigen wollten,
um einen revolutionären Ausbruch innerhalb Deutschlands zu vermeiden.
Die zahlenmäßig starke Sozialdemokratische Partei (1912 etwa 1'Mill.
Mitglieder) und die Gewerkschaften (1912 ungefähr 2,5 Mill. Mitglieder)
standen im wesentlichen unter der Leitung der Opportunisten, d. h. der
rechten Sozialdemokraten und sog. Zentristen, die eine bürgerliche Politik
betrieben. Die Zentristen (Kautsky u. a.) operierten zwar in demagogischer
Weise mit marxistischen Ausdrücken, trieben aber eine, Politik der V~rständigung mit den rechten Sozialdemokraten. Wie Lenin einmal bemerkt
hat, lehnten die offenen Opportunisten in Deutschland (Bernstein u. a.)' die
Diktatur des Proletariats direkt ab, taten das offizielle Programm der Sozialdemokratischen Partei und Kautsky das gleiche indirekt, schwiegen diese
Sozialdemokraten die Diktatur des Proletariats in ihrer Agitation tot und
duldeten das Renegatenturn der Anhänger Bernsteins. Die sozialdemokratischen Führer, die im Reichstag 111 Sitze innehatten, benutzten nicht einmal
die Rednertribüne, um die räuberische Politik der Regierung zu entlarven.
Im Jahre 1913 stimmten die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten,
die im Grunde sozialchauvinistische Positionen einnahmen, für neue direkte
Steuern zur Deckung der Ausgaben für Heer und Marine. Wie Stalin in
seiner Schrift »Über einige Fragen der Geschichte des Bolschewismus«
bemerkt, hatten die linken Sozialdemokraten große und wertvolle revolutionäre Leistungen vollbracht, waren aber noch zu schwach, begingen
schwere politische und theoretische Fehler, hatten sich noch nicht von dem
menschewistischen Ballast befreit und fürchteten sich vor einem Bruch mit
den Opportunisten. Lenin und Stalin führten einen konsequenten Kampf
gegen den Opportunismus. Mit Entschiedenheit forderten sie die linken
deutschen Sozialdemokraten auf, sich von den Opportunisten organisatorisch zu trennen: durch ihren Kampf um die Reinerhaltung der bolschewistischen Partei gaben sie ein Beispiel unversöhnlicher Haltung gegenüber
dem Opportunismus.
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Deutschland
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im ersten Weltkrieg
1914·bis 1918
In der Nacht zum 1. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Rußland den Krieg, wobei es die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand
von Osterreich durch serbische Nationalisten am 28. Juni dieses Jahres und
den anschließend begonnenen Angriff Osterreich-Ungarns gegen Serbien
zum Vorwand nahm. Am 3. August 1914 wurde Frankreich vom Deutschen
Reich der Krieg erklärt. Am 4. August 1914 folgte die Kriegserklärung Englands 'an Deutschland. Dem Dreibundstand
somit die englisch-französischrussische Entente gegenüber. Deutschland verfügte vor Ausbruch des Krieges
'über ,5,1Infanteriedivisionen,
11 Kavalleriedivisionen
(bis zum I. September 1914 waren 120 Infanteriedivisionen
aufgestellt), etwa 240'Flugzeuge
und eine 'starke Flotte. Die Entfesselung des Krieges durch das Deutsche
Reich war durch die provokatorische
Politik Englands während des
österreichisch-serbischen Konfliktes begünstigt worden, da sie Deutschland zu der Erwartung berechtigte, England werde in dem bevorstehenden
Kriege neutral bleiben. So begann der erste Weltkrieg 1914-1918. Am
4. August 1914 stimmte die sozialdemokratische Reichstagsfraktionfür
die
Kriegskredite und damit für die Unterstützung des imperialistischen Krieges,
Ihren Verrat am Proletariat suchte sie mit dem verlogenen Hinweis auf den
fortschrittlichen Charakter eines Krieges gegen die russische Selbstherrschaft als den Gendarm Europas zu rechtfertigen, während gleichzeitig die
wirklichen Gendarmen Europas, die über genügend Kräfte und Mittel verfügten, um tatsächlich Gendarmen sein zu können, nicht in Petrograd,
sondern in Berlin, Paris und London saßen", Die rechten Sozialdemokraten
nahmen eine offen sozialchauvinistische Stellung ein, während die Zentristen ihren Sozialchauvinismus mit allen Mitteln zu tarnen suchten. Die
deutschen linken Sozialdemokraten bekämpften zwar die Sozialchauvinisten entschlossen und rückhaltlos, aber sie brachen nicht sofort mit ihnen
und begingen Fehler in Fragen, die sich auf den damals geführten imperialistischen Krieg und die nationale Befreiungsbewegung
bezogen. Lenin
und Stalin entlarvten die Sozialchauvinisten als die Handlanger des Imperialismus und übten scharfe K~itik an den Fehlern der linken Sozi~l1 Vgl. H. B. C1'aJIHH,
Berlin 1952, S. 63.
CO'l.
(J. W. Stalin, Werke), Bd. 5, S. 73; deutsch: ebenda,
demokraten. Sie brachten diese Gruppe auf den richtigen Weg, der zur
, Festigung des revolutionären Flügels der Sozialdemokratie und später zur
Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands führte. Die deutsche
Arbeiterklasse beantwortete die Kriegserklärung
der Regierung durch
Protestversammlungen
und -dernonstrationen. Am 31. Oktober 1914 veröffentlichten Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Klara Zetkin und andere
linke Sozialdemokraten in der »Berner Tagewacht« eine Erklärung gegen
die Unterstützung des Krieges durch die Führung der deutschen Sozialdemokratie.
.
Bei der Kriegserklärung hatte die deutsche Regierung damit gerechnet,
daß der Krieg gemäß dem Plan des Generals Grafen v. Schlieffen in acht
Wochen beendet sein werde. Aber bereits nach der Niederlage der deutschen
Truppen in der Marne-Schlacht (3.-10. September 1914), die durch den Angriff der russischen Armee auf Ostpreußen hervorgerufen worden war, ergab es sich, daß der Plan eines Blitzkrieges mißlungen war. Die Lage
Deutschlands verschlechterte sich, als die besten Streitkräfte des mit Deutschland verbündeten iJsterreich-Ungarn im September 1914 von den Russen
in Galizien vernichtend geschlagen wurden und der andere Bundesgenosse,
Italien, im Mai 1915 auf die Seite der Entente trat. Die deutsche Regierung
mobilisierte jetzt immer größere Massen (insgesamt wurden während des
Krieges 13 Mill. Mann zum Heer einberufen). Im Laufe des Krieges verdoppelte sich die Gesamtstärke der bewaffneten Macht Deutschlands - von
4,5 Mill. Mann im Jahre 1914 stieg sie auf 8 Mill. im Jahre 1918 an.
Im Jahre 1915 warfen Deutschland und iJsterreich-Ungarn ihre Hauptkräfte,'gegen' Rußland, um es aus dem Kriege auszuschalten. Die Russen
waren, obwohl sie etwas zurückgehen mußten, 'nodI genügend stark, um
dem Gegner hartriäckigen Widerstand zu leisten und dadurch die Pläne
der deutschen Obersten Heeresleitung zu vereiteln. Deutschland vermochte
mit seiner strategischen Hauptaufgabe, Rußland aus dem Kriege auszuschalten, nicht fertig zu werden. Das russische Heer hatte die Hauptmacht
des Gegners auf sich gezogen und dadurch England und Frankreich eine
Atempause verschafft, die beide Mächte zur Vorbereitung militärischer
Operationen gegen Deutschland benutzten. Der Krieg führte einerseits zur
Profitsteigerung für die Imperialisten und andererseits zur Verelendung
der werktätigen Massen. Während die Profite Krupps von 33,9 Mill. Mark
im Jahre 1913 auf 86,4 Mill. Mark im Jahre 1914 anstiegen, war der Reallohn der Arbeiter bereits gegen Mitte 1915 um die Hälfte gesunken. In der
Produktion wurden die Dienstpflicht und der Zwölfstundentag eingeführt,
. die Ausbeutung der Frauen, Halbwüchsigen und Kinder wurde in verstärktem Maße betrieben, Streiks wurden verboten. Für die wichtigsten
Nahrungsmittel gab es jetzt ein Kartensystem. Im März 1915 setzten wieder
Straßen demonstrationen der Arbeiter sowie Streiks ein. Die Bewegung
unter. den Arbeitern veranlaßte auch einen Teil der Zentristen, zusammen
mit den -linken Sozialdemokraten an den Weltkonferenzen
der Internationalisten teilzunehmen; die im September 1915 in Zimmerwald und
im Frühjahr 1916 in Kienthai stattfanden. Diese Konferenzen waren, da
auch Lenj,9: an ihnen teilnahm, von großer Bedeutung für den Zusammenschluß der linken Sozialdemokraten und ihre Abgrenzung gegenüber dem
Sozialchauvinismus .
. Das deutsche Heer vermochte, da es in den Kämpfen an der russischen
Front geschwächt worden war, keinen entscheidenden Angriff zu unternehmen, der die gesamte Westfront aufgerollt hätte, sondern sah sich genötigt, sich auf die Lösung einer Teilaufgabe zu beschränken, die Einnahme
des Festungsrayons von Verdun. Am 2L Februar 1916 trat die deutsche
Armee zum Sturm auf Verdun an, der (mit geringen Unterbrechungen) zehn
Monate währte. Der Versuch der Obersten deutschen Heeresleitung, den Sieg
durch Zermürbung des Gegners bei Ver dun zu erringen, schlug fehl. Die
Deutschen erlitten dabei weit höhere V crluste als die Franzosen. Sie verloren
im Verlauf der Kämpfe bei Verdun ungefähr 600000 Mann. Von großer
Bedeutung für den Gesamtverlauf des Krieges waren die Operationen der
Russen. Im Juni 1916 durchbrachen sie die Südwestfront, wodurch die Lage
der Franzosen und Engländer an der Westfront bedeutend erleichtert
wurde. Infolge des Durchbruchs der russischen Armeen an der Südwestfront mußte die deutsche Oberste Heeresleitung ungefähr 24 Divisionen
von der französischen Front an die Ostfront werfen und die Angriffe bei
Verdun einstellen. Der deutsche Imperialismus konnte die Blockade weder
im Osten noch im Westen, weder im Südosten noch zur See durchbrechen.
Je länger sich der Krieg hinzog, um so mehr verschlechterte sich die Lage
der werktätigen Massen. Deutschland litt, wie Lenin feststellte, »glänzend
organisierten Hunger«. Die Ernährung der Bevölkerung war 1916 gegen-
über der Vorkriegszeit um das Dreifache zurückgegangen. Am 1. Mai 1916'
veranstaltete eine Gruppe der deutschen linken Sozialdemokraten,
die
»Internationale« (1918 in »Spartakusbund- umbenannt), eine Demonstration auf dem Potsdamer Platz zu Berlin, obwohl diese von den opportunistischen sozialdemokratischen Führern sabotiert wurde. Während dieser
Demonstration wurde Karl Liebknecht verhaftet und anschließend zu
Zuchthaus verurteilt. Als Antwort auf die Verurteilung Kar! Liebknechts
traten 60000 Berliner Arbeiter und Zehntausende von Arbeitern einiger anderer Städte Deutschlands in den politischen Streik. Die Streikbewegung wuchs. Unvollständigen Angaben des Statistischen Reichsamts
zufolge beteiligten sich im zweiten Halbjahr 1914 21000 Personen an
Streiks, 1915 wurden 137 Streiks mit 47000 Beteiligten registriert. 1916
fanden 240 Streiks mit 422000 Teilnehmern statt. Die militärischen Mißerfolge, die äußerste Erschöpfung der wirtschaftlichen Hilfsquellen Deutschlands und das Wachstum der Arbeiterbewegung gaben den deutschen Regierungskreisen Veranlassung, im Herbst 1916 Versuche zum Abschluß eines
imperialistischen Separatfriedens zu unternehmen, die aber fehlschlugen.
Lenin durchschaute die Taktik des deutschen Imperialismus. Im November 1916 schrieb er: »In Deutschland macht sich in letzter Zeit bei der
Bourgeoisie (und nach ihr auch bei den Sozialchauvinisten) auf der ganzen
Linie ein Umschwung bemerkbar, und zwar zur Russenfreundlichkeit, zum
Separatfrieden mit Rußland, ein Bestreben, Rußland zu begütigen, um
dann mit ganzer Kraft gegen England loszuschlagene".
Im Feldzug des Jahres 1917 lag die Initiative auf seiten der Entente.
Die deutsche Koalition befand sich in einer schwierigen Lage. Im Hinblick
darauf gingen die deutsche Oberste Heeresleitung und ihre Bundesgenossen auf dem Festland zur Defensive über, um durch den uneingeschränkten U'-Boot-Krieg der Wirtschaft des Hauptfeindes England einen
schweren Schlag zu versetzen. Der deutsche Plan eines uneingeschränkten
V-Boot-Krieges scheiterte jedoch. Auf dem Festland gelang es der deutschen
Koalition, unter großen Verlusten die Angriffe der Entente abzuweisen
und den Zerfall Osterreich-Ungarns durch erfolgreiche Operationen an der
italienischen Front (Caporetto) hinauszuzögern.
1 B.IL JIeIIIIH,
CO'I. (W. 1. Le n in , Werke), Bd. 23,4. Aufl., S.1l8.
In Deutschland wuchs die. revolutionäre Bewegung. Unter dem Einfluß
der russischen bürgerlich-demokratischen Revolution vom Februar 1917 zog
sie noch weitere Kreise. In diesem Jahr stieg die Anzahl der Streiks in
Deutschland auf 561 an, die Zahl der Streikenden auf 1467000. Am
16. April 1917 traten 300000 Arbeiter der Rüstungsbetriebe Berlins in den
Streik. Der Streik dehnte sich auf zahlreiche andere Städte Deutschlands
aus. So streikten in Leipzig 18000 Arbeiter. Außer Brot und Kohle forderten sie einen Frieden ohne Annexionen und ohne Kontributionen sowie
die Wa41 eines Rates der Arbeiterdeputierten.
An der Front begannen sich
die Soldaten zu verbrüdern, und in der Flotte bahnte sich eine revolutionä~e Bewegung an. Von den Matrosen wurden auf den Schiffen nach
dem Vorbild der während der Revolution in Rußland gebildeten Sowjets
Kommissionen eingesetzt. Die Bewegung erfaßte 12 Kriegsschiffe, wurde
aber brutal unterdrückt. Die Regierung verurteilte die Führer und aktiven
Teilnehmer der revolutionären Aktionen zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen.
Im Mai 1917 unternahmen die Sozialchauvinisten in der Rolle von offiziellen Diplomaten der imperialistischen Regierung Versuche, mit den
Sozialchauvinisten der anderen kriegführenden Länder über einen Friedensschluß zu verhandeln. Durch Vermittlung des dänischen Sozialdemokraten Borgbjerg machten sie den Vorschlag, eine sog. Sozialistenkonferenz
nach Stockholm einzuberufen. Lenin entlarvte damals die deutschen Sozialchauvinisten als imperialistische Agenten. Während die deutsche Arbeiterbewegung immer mehr an Boden gewann - ein Beweis für die Krise in den
»unteren« Schichten des Volkes --, begann die Krise auch in den »oberen«
Schichten. Ain 14. Juli 1917 erhielt Bethmann-Hollweg
seine Entlassung
als Reichskanzler. Sein Nachfolger Michaelis war politisch ohne Bedeutung.
Die Macht war faktisch in der Hand der Militärdiktatoren
v. Hindenburg
und Ludendorff konzentriert. Deutschland erstickte in wirtschaftlicher Zerrüttung, Hunger, Arbeitslosigkeit, Teuerung und Elend. Die Verluste an
Menschen waren hoch. Der Krieg raubte Millionen Menschenleben: allein
die Zahl der Gefallenen und der während des Krieges Verschollenen betrug
ungefähr 2 Millionen, zusammen mit den Gefangenen und Verwundeten
waren es 7,5 Millionen. Die rechten Sozialdemokraten und Zentristen suchten mit allen Mitteln zu verhindern, daß die revolutionäre Situation in eine
Revolution überging. Da die Arbeitermassen den rechten Sozialdemokraten
den Rücken kehrten, machten die Zentristen ein Manöver: um die Arbeiter-,
klasse ihrem Einfluß nicht entgleiten zu lassen, inszenierten sie einen Bruch
mit den rechten Sozialdemokraten und gründeten die reformistische sog.
»Unabhängige Sozialdemokratische Partei« (9. April 1917). Dadurch erschwerten sie die Schaffung einer wahrhaft revolutionären deutschen Arbeiterpartei.
Deutschland in der Periode des revolutionären Aufschwungs
unter dem
Einfluß der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution
in Rußland
Die Große Sozialistische Oktoberrevolution, die die Ära des Zusammenbruches des Kapitalismus eröffnete, übte einen entscheidenden Einfluß auf
die Entwicklung der revolutionären Bewegung in Deutschland aus. Am
25. November 1917 kam es in Berlin zu einer Massendemonstration der Arbeiter. Das Volk begrüßte die Errichtung der Sowjetmacht in Rußland und
forderte die unverzügliche Einstellung des Krieges.
Als Antwort auf die räuberischen Friedensbedingungen,
die von der
kaiserlichen deutschen Regierung bei den Friedensverhandlungen
in BrestLitowsk Sowjetrußland gestellt wurden, brach am 28. Januar 1918 in Berlin ein politischer Streik aus. "Das Verbrechen«, schrieb Wilhelm Pieck, "das
in Brest-Litowsk gegen die junge Sowjetregierung begangen wurde, war
auch gleichzeitig ein Verbrechen gegen das deutsche Volk selbst«. Binnen
kurzem erfaßte der Streik die wichtigsten Zentren des Landes. Es streikten
mehr als eine Million Arbeiter, die den unverzüglichen Abschluß eines Friedensvertrages mit Sowjetrußland ohne Annexionen und Kontributionen
sowie die Demokratisierung des politischen Lebens in Deutschland forderten. In Berlin und in einer Reihe anderer deutscher Städte wurden Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. Während der Streikperiode entstand die
Einrichtung der »revolutionären Obleute«, Zwischen den streikenden Arbeitern und der Polizei kam es zu Zusammenstößen. Die sozialdemokratischen Führer, die sich an die Spitze des Streiks gestellt hatten, nur um ihn
,abzuwürgen, gaben am 3. Februar 1918 seinen allgemeinen Abbruch bekannt. Nach den Worten Ernst Thälmanns war der Januarstreik ein Zeichen dafür, daß »die Welle der russischen Revolution; der siegreiche Oktober, nicht an der Grenze Rußlands halt machte, sondern auch andere Länder erfaßte«.
Nachdem die Friedensverhandlungen
in Brest durch den Verrat der
Trotzkisten unterbrochen worden waren, ging Deutschland an der gesamten
Ostfront zum Angriff über, besetzte einen bedeutenden Teil sowjetrussisehen Tetritoriums und bedrohte Petrograd. Die deutschen Imperialisten
verfolgten dabei das Ziel, die Sowjetmacht zu stürzen und Rußland in eine
deutsche Kolonie zu verwandeln. Als aber die Rote Armee am 23. Februar
1918 den-deutschen Okkupanten bei Narwa und Pskow eine entscheidende
Abfuhr erteilte, ging Deutschland im März 1918 auf die Unterzeichnung
des Friedensvertrages mit Sowjetrußland ein. Trotz des bestehenden Friedensvertrages setzten die deutschen Imperialisten jedoch alles daran, das
Sowjetland zu isolieren, zu schwächen und zugrunde zu richten. Unter Berufung auf einen »Vertrag« mit der ukrainischen Rada trennten sie die
Ukraine von Sowjetrußland ab, ließen auf Grund von Abmachungen mit
grusinischen und aserbaidshanischen Nationalisten deutsche und türkische
Truppen in Transkaukasien einmarschieren und begannen, sich in Tiflis und
Baku als Herren aufzuspielen. In den von den deutschen und österreichischen Truppen besetzten Gebieten entbrannte der vaterländische
Krieg des Sowjetvolkes gegen die Eindringlinge, der mit der Vertreibung
der deutschen Okkupanten endete.
Die deutsche Oberste Heeresleitung beabsichtigte, durch die Intervention
gegen den Sowjetstaat ihre Hilfsquellenfür
den Kampf im Westen zu
vermehren. Diese Pläne schlugen jedoch fehl. Anstatt neue Ressourcen zu
gewinnen, waren die deutschen Imperialisten gezwungen, starke Kräfte
nach Osten abzuziehen; so konnten sie sich nicht einmal von dem Zweifrontenkrieg frei~achen. Die deutsche Truppenführung, die erkannt hatte,
daß dem kaiserlichen Deutschland durch Verlängerung des Krieges der Zusammenbruch drohte, unternahm im Verlauf des Frühjahrs und des Sommers 1918 eine Offensive an der Westfront. Diese abenteuerlichen Angriffsoperationen konnten die hoffnungslose militärische Gesamtlage Deutschlands nicht verbessern. Am 8. August H1l8 gingen die Truppen der Entente
an der gesamten Westfront zur Offensive über. Die Armeen Deutschlands
und seiner Verbündeten waren durch die langen, erfolglosen Kämpfe erschöpft und erlitten eine Niederlage. Am 29. September 1918 kapitulierte
das mit Deutschland verbündete Bulgarien und am 3. November das auseinanderfallende Osterreich- Ungarn. Die militärische Niederlage beschleunigte die' Entwicklung der politischen Krise in Deutschland. Die herrschende Clique Deutschlands nahm zu' einem Manöver Zuflucht. Um sich
vor der Revolution zu retten, bildeten die deutschen Imperialisten am
3. Oktober 1918 unter Prinz Max von Baden eine Koalitionsregierung. In
dieser sog. »demokratischen« Regierung war die Sozialdemokratie mit
ihren Führern Scheidemann und Bauer vertreten. Die Bildung dieser
neuen Regierung war von dem Präsidenten der USA, W oodrow Wilson,
diktiert worden. Die amerikanischen Monopolherren traten bereits damals
offen als Retter des deutschen Imperialismus auf. In der Nacht zum
5. Oktober wandte sich die neue Regierung an den Präsidenten der USA
mit der Bitte, Waffenstillstand zu schließen und Friedensverhandlungen
einzuleiten. Die militärische Katastrophe Deutschlands verschärfte die zu
jener Zeit herangereifte politische Krise und beschleunigte den Ausbruch
der Revolution.
Am 3. November erhoben sich im Kieler Hafen die Matrosen der Kriegsflotte. Im Laufe der ersten Novemberwoche erfaßte der Aufstand nahezu
das ganze Land. Auf Geheiß der anglo-amerikanischen
Imperialisten,
die die bewaffnete' Intervention gegen den Sowjetstaat durchfiihrtenv ,
brach die deutsche Regierung am 5. November 1918 die diplomatischen
Beziehungen zu Sowjetrußland ab und forderte die Abreise der sowjetischen Botschaft aus Berlin.
Unterdessen griff der Aufstand immer weiter um sich. In einigen deutschen Staaten wurden die Dynastien gestürzt. überall bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte. Der »Spartakusbund« förderte durch seine revolutionäre Propaganda die Schaffung von Räten in ganz Deutschland; er
war jedoch organisatorisch schwach und vermochte nicht, sich an die Spitze
der revolutionären Massenbewegung zu stellen.
Die rechten Sozialdemokraten
und die Mitglieder der sog. Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (die »Unabhängigen«), die sich das
Fehlen einer einigen revolutionären Partei zunutze machten, rissen in den
Räten die Führung an sich, um mit Hilfe der Räte die Konterrevolution
. vor der Revolution zu schützen".
Am 9. November traten die Arbeiter Berlins nach einem Aufruf des
Spartakusbundes in den Generalstreik. Die Arbeiter und mit ihnen die
Soldaten besetzten die wichtigsten Regierungsgebäude, die Post, das Telegrafenamt, die Bahnhöfe u. a. Unter dem Druck der revolutionären Massen
brach die Monarchie der Hohenzollern zusammen.
Kaiser Wilhe1m II. floh nach Holland. Während die sozialdemokratischen Fiihrer ihre Pläne zur Rettung des zusammengebrochenen deutschen
Imperialismus entwarfen, rief Karl Liebknecht am 9. November auf einer
gewaltigen Massendemonstration
die Räterepublik aus. Zwei Stunden
später proklamierte Scheidemann die bürgerliche Republik. Die erschütterte
Bourgeoisie legte die Rettung des deutschen Imperialismus in die Hände
des rechten Sozialdemokraten Ebert, dem Prinz Max von Baden die Regierung übergab. An die Macht gelangt, rief Ebert das Volk auf, nach Hause
zu gehen, die kaiserlichen Beamten aber ersuchte er, auf ihren Plätzen zu
bleiben. Am 10. November trat die Vollversammlung der Berliner Räte
zusammen und bestätigte die tags zuvor in Geheimverhandlungen gebildete
Regierung, den sog. "Rat der Volksbeauftragten«,
bestehend aus drei
rechten Sozialdemokraten (Ebert, Scheidemann und Landsberg) und drei
»Unabhängigen« (Haase, Dittmann und Barth). Einige kaiserliche Staatssekretäre wurden als »unentbehrliche Fachleute« in der Regierung belassen.
Karl Liebknecht lehnte es ab, dem Rat der Volksbeauftragten anzugehören,
da seine Bedingung, Deutschland zur sozialistischen Republik zu erklären,
alle Macht den Räten zu übertragen und die bürgerlichen Politiker aus der
Regierung auszuschalten, nicht angenommen worden war.
Der Rat der Volksbeauftragten, der zur Irreführung der Massen radikale
Erklärungen abgab, verfolgte in Wirklichkeit eine bürgerliche Politik, die
sich gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung
richtete. Der gesamte
bürgerliche Staatsapparat blieb unangetastet. Das Eigentum der Monopole,
der Großgrundbesitz und die Privilegien des Junkerturns wurden durch
die neue Macht geschützt. Die Regierung untersagte den Räten, sich in
1
Vgl. M. B. CraJID H, CO'!. (J. W. Stalin, Werke). Bd.13,
Fragen des Leninismus. Berlin 1951, S.489.
J. Stalin,
S.226;
deutsch:
Angelegenheiten des Eisenbahnverkehrs. der Kohlenindustrie und der Versorgung einzumischen. Am 15. November schlossen die Führer der reformistischen Gewerkschaften mit dem Unternehmerverband
ein Abkomrrien
über »Zusammenarbeite '. Aus Furcht, die Revolution könne weiter um
sich greifen, kam den deutschen Imperialisten die französische, englische
und amerikanische Bourgeoisie zu Hilfe .. Am 11. November 1918 wurde
das Waffenstillstandsabkommen
von Compiegne unterzeichnet. Für den
Kampf gegen die revolutionäre Bewegung in Deutschland und den Krieg
gegen Sowjetrußland erklärte sich die Entente (gemäß den Waffenstillstandsbedingungen) mit der Beibehaltung einer deutschen Armee einverstanden; die deutsche sozialdemokratische Regierung verpflichtete sich freiwillig, an .der antisowjetischen Intervention 'teilzunehmen. Der Stab der
Obersten Heeresleitung wurde zum Stab der deutschen Konterrevolution.
Die Spartakusleute entlarvten die reaktionäre Politik der Regierung
Ebert-Scheidemann. Die Werktätigen begannen allmählich zu begreifen,
daß die Politik des Rates der Volksbeauftragten gegen das Volk gerichtet
war. Ende November 1918 brach ein großer Streik aus, der Berlin, Oberschlesien, das Ruhrgebiet und andere Industriegebiete des Landes erfaßte.
Die Arbeiter forderten Lohnerhöhungen und die Sozialisierung der Großindustrie. Ebert und Scheidemann. die bereits am 9. November 1918 mit
der Obersten Heeresleitung ein Geheimabkommen über den gemeinsamen
Kampf gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung abgeschlossen hatten,
nahmen die Aufstellung konterrevolutionärer
Streitkräfte in Angriff. Am
6. Dezember organisierten die Reaktionäre einen Putsch, um mit der
Arbeiterklasse abzurechnen. Die Arbeiter kämpften jedoch die konterrevolutionäre Verschwörung nieder.
Als die bürgerlichen Parteien und die opportunistischen Führer der
Sozialdemokratie erkannten, daß es nicht gelingen würde, die Monarchie
wiederherzustellen, orientierten sie sich auf eine bürgerliche Republik. Sie
forderten die Beseitigung der Räte und die sofortige Einberufung einer
verfassunggebenden
Nationalversammlung.
Vom 16. bis 21. Dezember
fand der erste Reichsrätekongreß statt. Den Sozialverrätern, die den gesamten Staats- und Parteiapparat mobilisiert hatten, gelang es, auf dem
1
Die sog. Zentralarbeitsgemeinschaft. (Die Red. d. dtsch, Ausg.)
Kongreß die überwältigende Mehrheit zu erzielen (373 von 485 Sitzen).
Trotz der am 16. Dezember vom Spartakusbund organisierten Dernonstration von 250000 Werktätigen, die unter der Losung »Proklamierung'
Deutschlands zu einer sozialistischen Republik und Bündnis mit Sowjetrußland« stand, nahm der Kongreß mit Stimmenmehrheit den Beschluß
über die Durchführung von Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung an. Der Beschluß des Kongresses bedeutete die Selbstauflösung der Räte. Am 23. und 2-1.Dezember 1918 wurde mit Hilfe Eberts
der zweite Versuch eines konterrevolutionären
Putsches unternommen, der
ebenfalls' scheiterte. In dem Bestreben, den rechten Sozialdemokraten bei
der Beseitigung der Räte nicht im Wege zu stehen und gleichzeitig ihren
Einfluß unter den Massen zu erhalten, schieden die Vertreter der »U nabhängigen« aus der Regierung der Volksbeauftragten
aus. Ihre .Plätze
nahmen Rechtssozialdemokraten ein.
Am 29. Dezember 1918 faßte die Reichskonferenz des »Spartakusbundes« den Beschluß zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die Kommunistische Partei wurde auf dem Gründungsparteitag vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 ins Leben gerufen.
Der Parteitag verkündete den Kampf um die Macht der Räte und die Diktatur des Proletariats als die unmittelbare Aufgabe des deutschen Proletariats. Die Delegierten des Parteitages brachten ihre uneingeschränkte
Solidarität mit Sowjetrußland zum Ausdruck. Das vom Parteitag gleichzeitig angenommene Programm enthielt jedoch schwerwiegende halbzentristische Irrtümer Rosa Luxemburgs, wie sie dem Spartakusbund eigen waren,
z. B. die mangelnde Erkenntnis der Rolle der Partei als Vorhut der
Arbeiterklasse, die Unterschätzung der Bauernschaft als Verbündeter des
Proletariats u. a. In dem Programm wurde nichts über die Zerschlagung
des bürgerlichen Staatsapparates, die Säuberung der Räte von Sozialreformisten und Versöhnlern und die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes
des Ptolet~riats gesagt; anstelle des Prinzips des demokratischen Zentralismus verkündete der Parteitag die politische urid organisatorische Selbständigkeit der örtlichen Parteigruppen; er lehnte ferner die Teilnahme an
den Wahlen zur Nationalversammlung
und die Arbeit in den reformistischen Gewerkschaften ab. Die Gründung der KPD festigte die Positionen des Proletariats jedoch bedeutend.
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