Interdisziplinäres Zentrum für Islamische Religionslehre Inhalt H. H. Behr: Schon aufgeklärt?............................Seite 1 H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs....................Seite 2 Rüdiger Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Teil 1: Eine Antwort aus christlicher Perspektive ............... Seite 10 Emel und Amin Rochdi: „Bin ich hier richtig?“ – Eine Erhebung der Schülerinteressen im islamischen Religionsunterricht....... Seite 22 Fuad Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des Islamischen Religionsunterrichts – Teil 1: Grundsätzliche Überlegungen................................ Seite 29 Zu den Autoren · Vorschau · Impressum...................................... Seite 32 Heft 2 • Dez. 2007 • 1. Jg. Zeitschrift für die Religionslehre des Islam ZRLI Harry Harun Behr Schon aufgeklärt? Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser, man kann darüber diskutieren: Bedarf es für das, was doch allein in der Vernunft begründbar sein sollte, unbedingt einer schrifthermeneutischen Herleitung? Manchen befremdet es, wenn der Diskurs auf die Aussagen dieser oder jener Heiligen Schrift zurückgeführt wird. Dies vor allem dann, wenn die Idee der europäischen Aufklärung selbst zur Religion geworden ist. Levitikus, Lukman und Lukas aufzurufen mutet an wie der doppelte Rückfall vor die Zeit eines Thomas von Aquin und eines Immanuel Kant zugleich. Wenn es um den Islam geht, wird hier schärfer formuliert: Sollte es, statt um die Textlinguistik scheinbar willkürlich ausgewählter Koranverse, nicht doch mehr um die generelle Anfrage gehen? Etwa so: Warum halten Muslime den Koran heute noch so uneingeschränkt hoch? Rückfrage: Wie wichtig ist es, die Köpfe und Herzen der Schwestern und Brüder zu gewinnen? Das fragen sich Musliminnen und Muslime auch. Ihre weltweit geführten Diskussionen entzünden sich gegenwärtig entlang einer Frage, hinter der das Ringen um eine neue Kultur islamisch-theologischen Denkens die Regie führt: Was wird sich in Zukunft durchsetzen, das kritische Potenzial vernünftiger Koranauslegung oder die kritische Masse des Irrationalismus? Das Problem dabei: Was bevorzugt von West nach Ost angefragt wird, entstammt meist dem Arsenal ideologisch aufgeladener Kampfbegriffe. Das lässt sich gelegentlich mehr am Stil als an den Inhalten festmachen. Was sollen wir also tun? Mehr aneinander denken, mehr miteinander reden, mehr voneinander lernen, mehr miteinander auf den Weg bringen, mehr füreinander dasein – Juden, Christen, Muslime, alle anderen, mit oder ohne Religion, der Westen und der Osten, der Norden und der Süden. In diesem Sinne wünschen wir, die Herausgeberin und die Herausgeber, Ihnen und Ihren Familien schöne Festtage und den Segen Gottes – auf all Euren Wegen soll Er Euch begegnen! Seite Harry Harun Behr Die Menschenwürde im islamischen Diskurs Der Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht nicht im Koran. Stünde er dort, dann vermutlich als arabischer Nominalsatz, eingeleitet durch den Verneinungspartikel lā, also etwa „Kein Antasten der Menschenwürde“. Diese Art Satzbau ist aus der koranarabischen Grammatik bekannt, wie z.B. in 3:18 (ÿF ÙH ÐÂH Ù; „keine Gottheit außer Gott“), 30:30 ( ÿF ¼Ãh ÁÖkRW Ù; „kein Abändern in der Schöpfung Gottes“) oder 2:256 (ÌÖkÂB ض ÍBo¾H Ù; „kein Zwang in der Religion“). Am Rande vermerkt: In die Interpretation des Begriffs Ío¾ müssten seine Konnotationen wie „Hass“ und „Unfreiheit“ deutlicher mit einbezogen werden als das bislang der Fall war. Mit dem Koran und dem tradiertem Prophetenwort (]Ökc) lässt sich begründen, was in der veröffentlichten Wahrnehmung wohl nicht die erste Assoziation mit dem Wort „Islam“ ist. Dazu eine erste These: Die Schriftquellen des Islams legen nahe, sich für die nicht verhandelbare und unantastbare Würde des Individuums als Leitmotiv zu entscheiden. Würde ist dabei als Argument theologischer Anthropologie zu verstehen. Es soll um ein universales Kennzeichen jedes Menschen gehen, das allen anderen denkbaren Kennzeichen vorangeht. Derlei kann natürlich im Deutschen als modaler Verbalsatz wiedergegeben werden. Mit der einfachen Feststellung aber geht das stärkere imperativische Motiv einher. Es geht um die Dimension des Kategorialen: Die Würde des Menschen bleibt unantastbar, auch wenn die menschlichen Standards in dem, was sein kann, soll und darf, immer wieder der Abwägung unterworfen werden. H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs Ein flüchtiger Begriff – ein erster Zugriff Bedeutung also, die über das Dafürhalten und die Situation hinausweist. Das schillernde Begriffsfeld „Würde“ entfaltet sich entlang der Person und ihres Verhaltens. Es geht um den sozialen und sittlichen Wert als ihre innere Werthaltung, was ihre Subjektfähgkeit voraussetzt. Das berührt die Frage ihrer Autonomie. Mithin lässt sich der Begriff der Würde nach Kant zunächst in der Ethik und der Rechtsphilosophie und nicht in der Theologie verankern: Würde hat, was über jeden Preis im Sinne von „Wert“ erhaben ist. Allerdings belegen schon frühe islamisch-theologische Traktate für diese Thematik eine Annäherung an die Schriftquellen des Islams, nämlich dort, wo sie einem anthropologischen oder ethischen Motiv folgen: Zaid ibn cĀlī Zain al-cĀbidīn, der um 750 n. Chr. bei Kūfa im Kampf gegen die Umayyaden fiel, kritischer Rationalist im Kontext dessen, was später zur so genannten Fünferschia wurde; Ibn Hazm, 994 n. Chr. in Cordoba geboren, der mit zahlreichen Lehrverboten geadelte Universalgelehrte; Muhiyyuddīn Muhammad ibn cArabī, ein anderer Europäer, 1165 n. Chr. in Murcia geboren, der magister magnus, Advokat der Toleranz, Sufi und Freund eines weiteren Illuminierten, Ibn Ruschd alias Averroes. Ibn cArabī übrigens dürfte ein Gutteil seines rationalen Potenzials seinen beiden Lehrerinnen, Schams Umm al-Fuqarā’ und Mūnah Fātima bint ibn al-Muthanna, zu verdanken haben. Die Unterscheidung zwischen überliefertem und vernunftbegründetem Wissen, zwischen Offenbarung und Empirie, Die Entstehung des Korans im 7. Jahrhundert nach christlicher Zeitrechnung liegt allerdings weit vor der Entwicklung dieser philosophischen Konzeption. Ob der Islam per se die Menschenwürde achtet, ist also – und ungeachtet des schon mit der Frage produzierten Irrtums – erst einmal schon aus logischen Gründen zu verneinen. Es bedarf eines sekundären Begründungszusammenhangs, soll einer islamischtheologischen Konzeption von der Würde des Einzelnen kategoriale Gültigkeit zugeschrieben werden –