SEITE 8 N ZAHL Eiweißarme Diät ein Leben lang DER WOCHE 1400 Foto: Stefan Straube Seit 1952 arbeitet die Muttermilchbank am UKL ohne Unterbrechung und ist inzwischen die größte Milchbank der Republik. Mit bis zu 1400 Litern im Jahr wird ein Drittel des gesamten Muttermilch-Aufkommens der insgesamt 13 deutschen Milchbanken am Universitätsklinikum Leipzig bewegt. In der Milchbank wird gespendete Muttermilch gesammelt, geprüft und für die Ernährung von Frühchen genutzt. Für die Spenderinnen gibt es strenge Kriterien: Sie müssen gesund sein, was unter anderem auch mit einer Blutuntersuchung nachgewiesen wird, und noch genug Milch für ihr eigenes Kind haben. Die Milch kommt ausschließlich Frühgeborenen und auch ihnen nur nach ärztlicher Verordnung zu Gute. ukl Auf der Intensivstation der Universitäts-Kinderklinik: Neunjähriger Julien leidet gleich an zwei seltenen Krankheiten Dr. Skadi Beblo bei der Untersuchung des neunjährigen Julien. Wieder fit – mit 100 Jahren UKL-Patientin Emma Anding sagt Danke Unsere thüringische Patientin Emma Anding schickte nach ihrer Genesung ein schönes Fax ans UKL und bedankte sich für die Fürsorge durch das Klinikpersonal. Foto: ukl LIEBIGSTRASSE AKTUELL | L „Wir wollen möglichst oft bei ihm sein, damit er sich freut.“ Mutter, Oma und Schwester sitzen am Bett des kleinen Julien, und der Neunjährige strahlt. Sein Lächeln macht die Intensivstation mit ihren vielen Geräten und Schläuchen vergessen, auf der er nicht ohne Grund liegt: Julien gehört zu den kleinen Patienten, die an seltenen Krankheiten leiden. Bei ihm hat das Schicksal gleich zweimal hart zugeschlagen, denn er hat zwei dieser Erkrankungen, die nicht bei vielen Patienten auftreten, aber schwerste Konsequenzen nach sich ziehen. Er leidet an der Argininbernsteinsäurekrankheit und am nephrotischen Syndrom. „Julien ist schon beim NeugeborenenScreening aufgefallen“, erzählt Dr. Skadi Beblo, Leiterin der Stoffwechselambulanz an der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Leipzig. „Dabei wurde festgestellt, dass er an einer angeborenen Harnstoffzyklus-Erkrankung leidet. Er kann den beim Stoffwechsel anfallenden Stickstoff nicht in Harnstoff umwandeln. So entsteht im Körper Ammoniak – und das ist hochgradig toxisch. Bei Ammoniakvergiftung trübt der Patient langsam ein, dann verliert er das Bewusstsein, der Tod droht.“ Um diese Spirale zu vermeiden, muss der kleine Julien neben der steten Einnahme von Medikamenten eine strikte Diät einhalten, um nicht zu viel Eiweiß zu sich zu nehmen. „Das geht über eine vegane Diät weit hinaus“, so Dr. Beblo. „Fleisch, Wurst, Käse, Ei, Milch – das alles ist verboten. Und das ein Leben lang.“ Zum Frühstück drei Filinchen mit roter Marmelade – das ist das erste Essen für den kleinen Patienten. Mittags wird zu Hause speziell für ihn gekocht. Da kommen fast jeden Tag Kartoffeln auf den Tisch: Kartoffelpuffer mit Apfelmus, Bratkartoffeln ohne alles, Klöße mit Soße, Kartoffelsuppe. Nudeln aus eiweißarmem Mehl wären eine Alternative, sind aber sehr teuer. Zum Glück gibt es zu jeder Jahreszeit eine breite Auswahl an Obst und Gemüse. Julien besucht die zweite Klasse einer Grundschule in Altenburg, braucht aber ständig Hilfe im Alltag. Das Anziehen und das Verschnüren der Schuhe kann er nicht allein, den Weg zur Schule würde er auch nicht finden, und in der Schule selbst muss er wortwörtlich an die Hand genommen werden. Also bringt ihn seine Mutter Juliane jeden Tag zur Schule, dort übernimmt ihn eine Ergotherapeutin, die nicht nur in der Pause auf ihn aufpasst, sondern neben ihm in der Schulklasse sitzt und die Worte der Lehrerin „übersetzt“. „Mein Kleiner versteht komplizierte Sätze nicht, braucht es ganz simpel gestrickt“, erläutert Juliane Gerhardt. Die 30-Jährige holt ihren Sohn nach drei Unterrichtsstunden wieder ab. Nachmittags warten Ergotherapie und Sprachtherapie auf ihn. Julien ist ein Sonnenschein, hängt anderen Kindern aber ziemlich hinterher. So hat er im Wohn- und Schulumfeld keine Freunde; vielleicht hilft da der Wechsel in eine Behindertenschule, der im Sommer ansteht. Die Argininbernsteinsäurekrankheit ist nicht die einzige Ursache für den Zustand des Jungen; Julien leidet zudem am nephrotischen Syndrom, einer seltenen Nierenerkrankung. „Die Kombination beider Krankheiten ist eine Katastrophe“, so Dr. Beblo. „Denn sie nehmen fatal Einfluss aufeinander. Wenn wir bei gesundheitlichen Verschlechterungen wie jetzt die eine Krankheit behandeln wollen, müssen wir sehr aufpassen, die andere Krankheit nicht zu verstärken. Es ist schon sehr heikel.“ Die Ärztin, die auf Stoffwechsel-Krankheiten bei Kindern spezialisiert ist, sieht bei allen Problemen, die Julien und die anderen Betroffenen haben, aber vor allem die großen Fortschritte – sowohl medizinisch als auch nahrungsmitteltechnisch. „Es gibt heute gute Ersatzstoffe, mit denen man die Kinder groß bekommt. Früher sind die kleinen Patienten gestorben oder waren schwer behindert. Heute haben wir sogar eine Stoffwechsel-Spezialambulanz für Erwachsene am Universitätsklinikum aufbauen müssen und können, weil die kranken Kinder inzwischen erwachsen geworden sind. Bei allen Problemen im Einzelnen: Die Behandlung von Kindern mit seltenen Stoffwechsel-Krankheiten ist eine Erfolgsgeschichte. Denn wir können ihnen eine Zukunft bieten.“ Uwe Niemann