Versuch B41 Untersuchung von Kristallen mittels

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Versuch B41
Untersuchung von Kristallen mittels Reflexionsgoniometer und
Röntgenbeugungstechniken
Einleitung
Für die Beschreibung des Ordnungszustandes kristalliner Materie spielt die Symmetrie der periodischen
Anordnung eine entscheidende Rolle. Es besteht eine direkte Kopplung zwischen der Symmetrie eines
Kristalls und der Anisotropie seiner physikalischen Eigenschaften.
Der regelmäßige innere Aufbau eines Kristalls als gitterhafte (= dreifach periodische) Struktur und dessen
Symmetrie findet seinen Ausdruck schon in der äußeren morphologischen Form. Trotz der unterschiedlichen
Ausbildung der Größe der Flächen bei Kristallindividuen bleibt die Orientierung einer Fläche erhalten.
Orientierung bedeutet hier die Richtung der Flächennormalen relativ zu den Basisvektoren des Kristalls.
Wenn die Flächen über die Richtungen ihrer Flächennormalen beschrieben werden, so folgt daraus, dass die
Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen für eine Kristallart invariant sind. Der dänische
Naturwissenschaftler Niels Stensen (Nicolaus Steno) hat dies bereits 1669 erkannt und daraus das
fundamentale Gesetz der Winkelkonstanz abgeleitet. Die stereographische Projektion aller Flächennormalen
eines Kristalls liefert demnach schon Informationen über mögliche Symmetrie des Inneren Feinbaues.
Der Praktikumsversuch besteht aus zwei Teilen:
Im ersten Teil wird die kristallographische Beschreibung der Symmetrie eines Kristallpolyeders durchgeführt
(Punktgruppenbeschreibung). Dazu werden die Winkelbeziehungen zwischen den morphologischen Flächen
eines Kristallpolyeders mittels eines Reflexionsgoniometers durch Lichtspiegelung an den Kristallflächen
bestimmt. Eine quantitative Darstellung als Stereogramm im Wulff’schen Netz dient der Bestimmung der
Punktgruppensymmetrie des Polyeders. Da die äußeren Flächen mit inneren Ebenen des kristallinen Feinbaus in enger Beziehung stehen, lassen sich zusätzlich über die Achsenabschnittsgleichung wesentliche
Erkenntnisse zur Gittermetrik ableiten.
Im zweiten Teil wird nun der innere Feinbau des Kristalls betrachtet (Raumgruppenbeschreibung). Wegen
der geringen Dimension der aufzulösenden Objekte benötigt man dazu Licht mit Wellenlängen im Röntgenbereich (1 Angström). Röntgenographische Analyseverfahren nutzen die Beugung des einfallenden Röntgenlichtes an den Netzebenenscharen des Kristalls. Auf Grund der Bragg'schen Reflexionsbedingung für die
Beugung an Netzebenen kann man auch von einer Spiegelung an diesen inneren Ebenen sprechen und die
Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen der inneren Ebenen spielen nun eine fundamentale
Rolle für den inneren Aufbau des Kristalls. Aus den resultierenden Beugungsbildern lassen sich sowohl die
Symmetrie der Raumgruppe als auch die Gitterkonstanten der kleinsten Einheit eines Kristalls, der sogenannten Elementarzelle, bestimmen.
1
Versuchsvorbereitung zu Versuch B41
Von einem Physiker in Ihrem Ausbildungsstadium wird erwartet, dass Sie über die Erzeugung von RÖNTGEN
Strahlung, die Deutung des Spektrums einer RÖNTGEN-Röhre und das Absorptionsverhalten von RÖNTGEN
Strahlen Bescheid wissen. Sollten Sie selbstkritisch Defekte feststellen, ist die Lektüre eines einschlägigen
Physik-Lehrbuchs angesagt. Falls dann noch Fragen offen sind, bringen Sie diese ins Praktikum mit.
Ziel des Praktikumsversuchs ist, am Ende die Kopplung zwischen der Symmetrie der makroskopischen Betrachtungsweise und der Symmetrie des dreidimensional periodischen, inneren Aufbaues zu erkennen, aus
dem die Anisotropie der physikalischen Eigenschaften resultiert.
Als Vorbereitung des Versuchs sollten sie sich mit ein paar Grundlagen vertraut machen:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Was ist ein Gitter und wie kann man ein Gitter beschreiben?
Was bedeutet Symmetrie und was für Symmetrieelemente treten bei 3-dim. periodischen Strukturen auf?
Was versteht man unter einer kristallographischen Punktgruppe?
Welche Kristallklassen werden zur Beschreibung von Kristallen verwendet?
Wie beschreibt man Ebenen in der Kristallographie (Miller Indices)?
Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem reziproken- und dem direkten Kristallgitter?
Welches physikalische Phänomen wird durch die "Bragg-Gleichung" beschrieben?
Was beschreibt die Ewaldkonstruktion?
Was ist ein Strukturfaktor und was beschreibt er.
Was sind systematische Auslöschungen, und warum gibt es diese bei unterschiedlichen Typen von
Symmetrieoperationen?
Wenn Sie über diese Fragen erfolgreich nachgedacht haben und eine schriftliche Notiz darüber zum Versuch
mitbringen, sind Sie hinreichend gut vorbereitet.
Alles, was Sie im Zuge dieser Vorbereitung nicht befriedigend klären können, bringen Sie bitte als Fragen
zum Versuch mit.
2
Teil 1 Kristalluntersuchung mit dem Reflexionsgoniometer
Die Winkelbeziehungen zwischen den morphologischen Flächen eines Kristallpolyeders werden im ersten Teil
des Versuchs mittels eines Reflexionsgoniometers (mit sichtbarem Licht) bestimmt. Eine quantitative
Darstellung als Stereogramm im Wulff’schen Netz dient der Bestimmung der Punktgruppensymmetrie des
Polyeders. Die Symmetrieelemente des Stereogramms erlauben es, das geeignete Koordinatensystem zu
wählen. Mit Hilfe der Achsenabschnittsgleichung lassen sich dann Erkenntnisse zur Gittermetrik des Kristalls
ableiten.
1.0 Das Zweikreisgoniometer
Abb. 1 zeigt eine Prinzipskizze eines Zweikreis-Reflexionsgoniometers, auf dem Photo ist das Praktikumsgerät
zu sehen. Der auf einem Goniometerkopf (G; siehe auch Abb. 2) aufgesetzte Kristall K kann zunächst mit
einem Mikroskop beobachtet werden, und eine Kristallfläche wird in etwa in Reflexions-stellung gebracht.
Zur Feinjustierung nützt man ein von Q ausgehendes paralleles Lichtbündel. Halbiert die Normale einer
Kristallfläche den Winkel zwischen dem auftreffenden Lichtbündel und der Richtung des Beobachtungsfernrohrs (O), so befindet sich der Kristall in Reflexionsstellung. Abhängig von der optischen Qualität der
Kristallfläche kann dies als ein sehr heller Lichtreflex beobachtet werden.
Abb. 1:
Prinzipskizze (links) und Photo (rechts) eines Zweikreisgoniometers. F: Feintrieb, G: Goniometerkopf, K: Kristall, O: Okular/Fernrohr,
Q: Lichtquelle, R: Einraster für Feintrieb, Dφ, ρ : Drehkreise, Z: Einraster für Zusatzoptik.
Um die Winkel der Reflexionsstellungen für alle Flächen bestimmen zu können, befindet sich der Kristall im
Schnittpunkt zweier aufeinander senkrecht stehenden Drehachsen. Im Tisch des
Geräts ist der Drehkreis Dρ eingesenkt, mit dem der Kristall in der horizontalen Ebene
drehbar ist. Auf der Skala der Kreisscheibe ist der Winkel ρ (Poldistanz) ablesbar. Der
Drehkreis Dρ ist über einen Arm H mit einem weiteren Drehkreis Dφ, dem Vertikalkreis,
verbunden, auf dem der Azimuthal-winkel einstellbar ist. Durch kombinierte Drehung
um Dρ und Dφ kann jede Kristall-fläche in Reflexionsstellung gebracht werden, der
jeweils ein Winkelpaar aus (φ, ρ) Werten zugeordnet ist.
Abb. 2: Goniometerkopf
mit Glasfaden und
aufgeklebtem Kristall
Für das leichtere Auffinden aller Flächennormalen und um sich ein nachfolgendes
Wälzen der stereographischen Projektion zu ersparen, ist der Kristall mit Hilfe der
beiden Wiegen des Goniometerkopfes (Abbildung 2) so justiert, dass eine makroskopisch erkennbare wichtige Zonenachse (ausgeprägte Kantenrichtungen) zur
Richtung der Drehachse D parallel ist. Dies bedeutet, dass alle zu dieser Zone gehörenden Flächennormalen einen ρ-Wert von 90° aufweisen. Befestigen Sie den
Goniometerkopf mit seinem Kristall auf dem Reflexionsgoniometer (Vorsicht, den
3
Kristall nicht verlieren!). Die (φ, ρ) -Winkelpaare aller Flächennormalen können nun nacheinander bestimmt
werden.
Die Wertepaare aller Flächen können unter Verwendung eines Wulffschen Netzes (stereographische
Projektion des Winkelnetzes einer Kugeloberfläche in die Ebene) direkt in eine stereographische Projektion
des Kristallpolyeders überführt werden.
Abb. 3 und 4: Veranschaulichung der stereographischen Projektion, Wulff'sches Netz mit 2° Winkeleinteilung der Groß- und Kleinkreise
1.1 Stereographische Projektion und Wulff’sches Netz
Eine übersichtliche Darstellung der Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen erhält man durch die
stereographische Projektion. Das Konstruktionsprinzip wurde schon in Abb. 3 gezeigt. Man stellt den Kristall
in den Mittelpunkt einer Einheitskugel. Der Durchstoßpunkt einer Flächennormale P wird mit dem Pol der
gegenüberliegenden Hemisphäre als Projektionspol verbunden. Der Schnittpunkt dieser Geraden mit der
Äquatorebene P’ ist die Projektion von P.
Die stereographische Projektion ist eine winkeltreue (konforme) und kreisverwandte Abbildung der Kugeloberfläche in
eine Ebene. Für eine quantitative Darstellung der Winkelbeziehungen aller Flächennormalen des Kristalls in einem
Stereogramm dient das Wulff’sche Netz (Abbildung 4). Es
entsteht durch eine stereographische Projektion des Systems
der Längen- und Breitenkreise der Einheitskugel. Hierbei gibt es
zwei Möglichkeiten: wenn der N-Pol und S-Pol des Koordinatensystems der Kugeloberfläche mit den Polen der stereographischen Projektion zusammenfallen, so erhält man das
Polarnetz (Kartographie). Wenn dagegen wie in Abbildung 5 die
Abb.5: Prinzipskizze des Wullf'schen Netzes
Pole N’ und S’ bezüglich des Projektionspunktes in der
Äquatorebene liegen, so erhält man das Wulff'sche Netz (Kristallographie). Für die gemessenen (φ, ρ)-Werte
kann mittels des Wulffschen Netzes ein Stereogramm des Kristallpolyeders erstellt werden. Hierzu legt man
ein Transparentpapier auf ein Wulff'sches Netz und markiert für den Nullpunkt des Azimutwinkels φ den
Schnittpunkt des Äquatorkreises mit der Linie E’W’. Zum Eintragen der Flächenpole wird das
4
Transparentpapier um den Mittelpunkt des Wulffschen Netzes um den Azimutwinkel φ gedreht und anschließend von der Mitte der Linie E’W’ die Poldistanz ρ abgetragen.
1.3 Bestimmung eines geeigneten Koordinatensystems
Nach dem Einzeichnen aller Flächenpole kann ausgehend von wesentlichen Zonen und symmetriebegabten
Richtungen ein Koordinatensystem mit einer geeigneten Basis gewählt werden. Dazu betrachtet man im
Stereogramm die Punktsymmetrie des Kristallpolyeders. Als Symmetrieelemente werden Drehachsen (1zählig, 2- zählig, 3-zählig, 4-zählig und 6-zählig) und die entsprechenden Drehinversionsachsen (einschließlich des Inversionszentrums 1 und der Spiegelebene m) betrachtet. Man beachte, dass im Stereogramm nur
die Symmetrieelemente, die durch den Kugelmittelpunkt und den Projektionspunkt verlaufen korrekt
wiedergegeben werden. Anderenfalls müsste man die Projektion wälzen.
Gekennzeichnet durch Symmetrieelemente in Achsenrichtungen gibt es sechs Gittersymmetriegruppen. Eine
weitere Symmetriegruppe (triklin) zeigt - mit Ausnahme des Inversionszentrums - keine Symmetrie-achse.
Damit gibt es insgesamt sieben Gitter-Symmetriegruppen. In Tabelle 1 (nächste Seite) sind alle Kristallysteme
zusammengefasst. Man beachte, dass die metrischen Bedingungen der Achsenkreuze eine Folge der Gittersymmetrie sind und nicht umgekehrt! Tritt die höchstmögliche Symmetrie auf, die auch in Tabelle 1 dargestellt
ist, so nennt man sie die Vollform des Kristallsystems (Holoedrie). Andernfalls spricht man von Untergruppen
(Meroedrien) eines Kristallsystems.
Die symmetriebegabten Richtungen jeder Holoedrie werden zu Klassen symmetrieäquivalenter symmetriebegabter Richtungen zusammengefasst, den so genannten Blickrichtungen. Jede Holoedrie besitzt maximal
drei Blickrichtungen. Die Drehachsen in den Blickrichtungen werden durch eine Zahl entsprechend ihrer
Zähligkeit (2, 3, 4, 6) angegeben. Eine gestrichene Zahl bedeutet eine Drehinversionsachse entsprechender
Zähligkeit (-3,-4,-6). Die Drehinversionsachse 2 entspricht einer Spiegelebene und wird durch m gekennzeichnet. Treten in einer Blickrichtung eine Drehachse und die Normale einer Spiegelebene gleichzeitig
parallel zu einander auf, so wird dies durch einen Bruchstrich, z. B. bei einer zweizähligen Drehachse durch
das Symbol 2/m, dargestellt. Die Symmetrieelemente entlang bestimmter Richtungen legen also die Kristallfamilie fest (kristalleigene Koordinatenachsen). Für Kristalle einer Kristallfamilie muss nicht die volle Gittersymmetrie ausgebildet sein. Eine vollständige Liste der damit möglichen 32 Punktgruppen (Punktsymmetrien,
Kristallklassen) ist in Tabelle 2 (übernächste Seite) dargestellt. Da in dem Symbol der Holoedrie mehr
Symmetrieelemente symbolisiert sind, als zur Erzeugung der Punktgruppe nötig sind, kann an Stelle des
Vollsymbols auch ein gekürztes Symbol (in Klammern) verwendet werden.
Beispiele:
1) Das trikline Achsenkreuz ist mit den Symmetrieelementen 1 und 1 kompatibel. Zusätzliche Symmetrieelemente führen sofort zu einem Achsenkreuz höherer Symmetrie. Die trikline Holoedrie ist also mit -1
gegeben. Dies bedeutet, dass der Kristall von Paaren paralleler Flächen begrenzt ist. Damit gibt es im triklinen
System zwei Gruppen oder Klassen von Kristallpolyedern, die sich durch parallele Flächen (Pina-koid) und
nichtparallele Flächen (Pedion) unterscheiden, je nach Vorhandensein oder Fehlen eines Inversionszentrums.
2) Die monokline Kristallfamilie hat in ihrer Vollform in einer Richtung das Symmetrieelement 2/m. Diese
Richtung wird durch Konvention als die b-Achse des Koordinatensystems bezeichnet. Treten die Symmetrieelemente 2 oder m in nur einer Richtung auf, so ist ebenfalls das monokline Achsenkreuz zu verwenden. Die
monokline Familie enthält also drei Gruppen mit den Symmetrieelementen 2/m, 2 oder m in der [010]-Richtung.
3) Besitzt ein Polyeder eine zweizählige und eine dreizählige Drehachse, die nicht senkrecht auf der
zweizähligen Achse steht, so ist das kubische Koordinatensystem zu verwenden (kleinste Punktgruppe im
kubischen System). Die zweizählige Achse wird als a-Achse bezeichnet, die dreizählige Achse zeigt in Richtung
der Raumdiagonalen. Der Grund liegt darin, dass durch die Kombination beider Symmetrie-operationen
weitere 3-zählige Drehachsen entstehen, welche dann insgesamt alle parallel der vier Raum-diagonalen des
Würfels stehen.
5
Tabelle 1: Die sechs Kristallfamilien / sieben Kristallsysteme
Kristall
-system
Symmetrieelemente
für Achsenkreuz
Holoedrie
Kurzbeschreib
ung
1. Richtg 2. Richtg 3. Richtg
triklin
anorthisch
(a)
Keine
ausgezeichnete
[1]
Richtung
a≠b≠c
α≠β≠γ
Nur
1
zweizählige
DrA u/o
SpE
Nur
zweizählige DrA
u/o
SpE,
mindestens
jeweils 2
a≠b≠c
α=γ=90°,
β>90°
monoklin
(m)
rhombisch
oder
orthorhombisch
(o)
tetragonal
(t)
trigonal *)
rhomboedr.
( hR )
hexagonal
( hP )
kubisch
(c)
b
2/m
a
2/m
b
2/m
c
2/m
Nur 1 vier- c
zählige DrA
4/m
Nur
1 c
dreizählige
3
DrA
<a>
2/m
<a>
2/m
<110>1
2/m
1 sechszählige c
DrA
6/m
<a>
2/m
<210>2
2/m
Mindestens 2 <a>
dreizählige
4/m
DrA
<111>3
<110>1
2/m
3
Gleichwert Normiertes
igkeit der AchsenAchsen
vehältnis
durch
a/b : 1: c/b
a/b : 1: c/b
a≠b≠c
α=β=γ=90°
a/b : 1: c/b
a=b≠c
α=β=γ=90°
a=b≠c
α=β=90°
γ=120°
a=b≠c
α=β=90°
γ=120°
a=b=c
α=β=γ=90°
4 // c
c/a
3 // c
c/a
6 // c
c/a
3//<111>
1
DrA = Drehachse, SpE = Spiegelebene, u/o = und / oder
a b -Flächendiagonalen
2
Richtung der 2ab -Flächendiagonalen
1
Richtung der
3
Richtung der Raumdiagonalen
*) Nota: Kristalle mit „trigonaler“ Symmetrie besitzen rhomboedrische Punktsymmetrie. Diese Punktsymmetrie, bei der nur zwei der drei möglichen
hexagonalen Blickrichtungen mit Symmetrieelementen besetzt sind, ist sowohl mit einem hexagonalen Gitter hP verträglich als auch mit einem
rhomboedrischen rP. In beiden Fällen verwendet man von Ausnahmefällen abgesehen eine hexagonale Elementarzelle. Im ersten Fall ist zu beachten,
dass man zur genauen Orientierung der Punktsymmetrie relativ zur Gitterbasis jeweils eine „1“ in das Symbol einfügt, z.B. 3m1 oder 31m. Im Fall rP
wird gelegentlich ein rhomboedrisches Achsensystem mit a=b=c, α=β=γ (primitives Gitter) benutzt, z.B. beim Vergleich mit kubischen Strukturen. Da
in diesem Fall die Basisvektoren aber nicht in Symmetrieachsen des Gitters liegen und deshalb am Anfang der Kristalluntersuchung nur schwer zu
identifizieren sind, verwendet man gewöhnlich eine hexagonale Elementarzelle, die auf den Drittelpunkten der langen Hauptdiagonale zusätzliche
Zentrierungen enthält und kennzeichnet diese Situation durch das Symbol hR. Wegen der engen Verwandtschaft zwischen hexagonaler, trigonaler und
rhomboedrischer Symmetrie ist es zweckmäßig, die drei Systeme zu einer hexagonal-rhomboedrischen Kristallfamilie zusammenzufassen.
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Tabelle 2: 32 Punktgruppen
Kristallsystem
Punktgruppen
Holoedrie (abgekürztes Symbol)
Untergruppen
triklin
1
1
monoklin
2/m
m, 2
orthorhombisch
2/m 2/m 2/m
(mmm)
mm2, 222
tetragonal
4/m 2/m 2/m
(4/m m m)
42m, 4mm, 422, 4/m, 4, 4
trigonal
3 2/m
(3m)
3m, 32, 3, 3
hexagonal
6/m 2/m 2/m
(6/mmm)
6m2, 6mm, 622, 6/m, 6, 6
Kubisch
4/m 3 2/m
(m3m)
43m, 432, 2/m3 (m3), 23
1.4 Achsenverhältnis und Miller'sche Indizes
Nach der Wahl der Basis steht noch die analytische Beschreibung der Kristallflächen an, d.h. die Bestimmung
der Linearform:
L(xyz) =h·x + k·y +l·z.
Jeder spezielle Wert der Linearform L(xyz) = const. bestimmt eine Ebene. Da aber nach dem Gesetz der
Winkelkonstanz die genaue Lage der Ebene für uns unwesentlich ist, sind für die Charakterisierung des
Kristallpolyeders nur die Koeffizienten (hkl) von Bedeutung und wegen der willkürlichen Wahl der Konstanten
auch nur das Verhältnis h:k:l. Das von Ch. S. Weiss formulierte Rationalitätsgesetz besagt, dass die Koeffizienten der Linearform beim Bezug der analytischen Beschreibung auf die symmetriebezogene Basis (wie
oben diskutiert. Das Rationalitätsgesetz gilt i.A. nicht bei der Beschreibung bzgl. einer Orthonormalbasis!)
ganzzahlige Verhältnisse h:k:l besitzen. Diese ganzzahligen, teilerfremden Koeffizienten-Tripel werden als
Miller'sche Indizes bezeichnet und ihre Bestimmung nennt man „Indizierung“ des Kristalls.
Als ersten Schritt bei der Indizierung stellt man den Typ einer Fläche fest. Hat eine Fläche keinen Schnittpunkt mit einer Koordinatenachse, so ist der zugehörige Miller'sche Index Null (wird beispielsweise die bAchse nicht geschnitten, so ist die Fläche vom Typ (h0l)). Für Flächen, die parallel zu zwei Basisvektoren
verlaufen, ergibt sich bereits die vollständige Indizierung. Alle hierdurch nicht bestimmbaren Miller'schen
Indizes können durch Aufstellen der Achsenabschnittsgleichung
h : k : l = a cos(ϕa) : b cos(ϕb) : c cos(ϕc) (1)
ermittelt werden. Sie verknüpft die Millerschen Indizes (hkl) einer Fläche mit deren Achsenabschnitten, d. h.
mit den Schnittpunkten der Ebene mit den Basisvektoren eines an die Symmetrie angepassten Koordinatensystems. φa, φb und φc bezeichnen die Winkel, die die jeweilige Flächennormale mit den Achsen der Basis
einschließt. Sie sind noch in geeigneter Weise mit den Winkeln φ und ρ zu verknüpfen. Ebenso sind noch die
metrischen Parameter a, b und c als Längen der Einheitsachsen festzulegen. Da durch Gleichung (1) nur
Verhältnisse bestimmbar sind, setzt man willkürlich b = 1 (internationale Konvention). Zur Bestimmung von
a und c sucht man nach Möglichkeit nach dem Vorhandensein einer Fläche mit Millerschen Indizes h=k=l=1.
Kommt eine derartige Fläche nicht vor, so müssen zwei Flächen speziellerer Lage (z. B. eine (hk0) und eine
(0kl) Fläche) herangezogen werden, bei denen die beiden verbleibenden Indizes zu 1 gewählt werden. Aus
der Achsenabschnittsgleichung (1) ergibt sich damit:
ℎ
𝑘
=
𝑎 cosϕ𝑎
1∙cosϕ𝑏
𝑎=
ℎ cosϕ𝑏
k∙cosϕ𝑎
=
cosϕ𝑏
cosϕ𝑎
bzw.
𝑙
𝑘
=
𝑐 cosϕ𝑐
1∙cosϕ𝑏
𝑐=
𝑙 cosϕ𝑏
k∙cosϕ𝑐
=
cosϕ𝑏
cosϕ𝑐
7
Die Relationen zwischen den Winkeln φa, φb und φc der Flächennormalen und den gemessenen Winkeln φ, ρ
lässt sich über den sphärischen Pythagoras (der Kosinus der Hypotenuse ist gleich dem Produkt der Kosinuswerte der Katheten) für rechtwinklige sphärische Dreiecke herstellen. Abb. 5 veranschaulicht die Zusammenhänge am Beispiel des monoklinen Sonderfalls
Aus der Betrachtung des Dreiecks ①lässt sich der Ausdruck
cos α = cos (90° − ρ) · cos ϕ′ = sin 𝜌 · cos ϕ′ (4)
und aus Dreieck ②er Ausdruck
cosβ = cos(90° − ρ) · cos(ω − ϕ′) = sin ρ · cos(ω − ϕ′)
(5)
erhalten. Der Winkel γ stimmt mit dem Winkel ρ überein. Es ist zu
beachten, dass sich φ' von φ um den Winkel der a- Achse aus Sicht
von φ unterscheidet, d.h. von den φ- Werten der Flächen ist stets
der konstante φ-Betrag der a- Achse abzuziehen. Der Winkel ω
zwischen den Koordinatenachsen ist von der Basiswahl abhängig
und leicht bestimmbar. Insgesamt erhält man somit für die
Basislängen des Kristallsystems:
Abb. 5. Zur Berechnung der Achsenabschnitte
𝑎=
cos(ω−ϕ′ )
cos ϕ′
𝑐=
sin 𝜌 ∙ cos(ω−ϕ′ )
cos (ρ))
Mit den Werten für a und c, sowie den Gleichungen (4), (5) und γ = ρ lassen sich für jede Fläche das Verhältnis
von h:k und von k:l berechnen und daraus die Miller'schen Indizes erschließen.
Im Versuch lässt sich folgendes praktisches Verfahren anwenden, um direkt die Winkel φa, φb und φc der
Fläche zu bestimmen. Für jede Achse, die mit einer Symmetrierichtung zusammenfällt, muss gelten, dass
symmetrisch äquivalente Flächenpole gleich weit von der Achse entfernt liegen. Damit lässt sich eine derartige Richtung mittelhalbierend zwischen den entsprechenden Flächenpolen festlegen. Bei anderen Richtungen hilft der Zusammenhang zwischen den Richtungen der Achsen und den Flächennormalen der (100),
(010), und (001). Die Fläche (100) wird von der b- und c-Achse aufgespannt. Damit liegt der Flächenpol
senkrecht zur b und zur c-Richtung. Analog ist der Zusammenhang für die anderen drei Basisflächen. Hat man
somit die drei Basisflächen festgelegt, kann man die Richtungen der drei Basisvektoren a, b und c er-mitteln,
indem man um jede der drei Flächenpole einen 90° entfernten Großkreis einzeichnet. Die Schnitt-punkte der
drei Großkreise sind dann die Richtungen der Basisvektoren.
Die Zeichnungen mittels des Wullf'schen Netzes ergeben anschaulich die Symmetrie des Kristalls wider. Die
Genauigkeit beim Einzeichnen führt allerdings schnell zu recht großen Fehlern bei der Bestimmung der
Achsenverhältnisse. Es ist daher sinnvoller, die Auswertung der Achensverhältnisse und die Bestimmung der
Miller'schen Indizes rechnerisch durchzuführen. Dazu müssen als erstes die Flächenpole aus den Polarkoordinaten (ρ,φ) in Vektoren eines kartesischen Koordinatensystem überführt werden.
xc
yc
zc
=
=
=
cos(φ)sin(ρ)
sin(φ)sin(ρ)
cos(ρ)
Falls der Kristall eine Drehachse aufweist, so muss jeder symmetrisch äquivalente Flächenpol unter gleichem
Winkel zur Drehachse vorliegen. Damit kann die Richtung der Drehachse aus der Richtung der Winkelhalbierenden zwischen entsprechenden Flächenpaaren berechnet werden. Liegen mehrere Paare symmetrisch äquivalenter Pole vor, so sind die entsprechenden Winkelhalbierenden zu mitteln.
8
Falls keine Drehachsen vorliegen, so können die Richtungen der Basisvektoren au folgender Überlegung
berechnet werden. Die Fläche (100) wird von den Vektoren b und c aufgespannt. Damit liegt der Flächenpol
unter 90° zu jedem der beiden Basisvektoren. Analog gilt: (010) wird von a und c aufgespannt, (001) von a
und b. Die Flächen (100), (010) und (001) kann man zunächst beliebig festlegen. Eine sinnvolle Auswahl erfolgt nach der Größe bzw. nach dem Vorliegen als Schnittpunkt mindestens zweier mit vielen Flächenpolen
besetzter Großkreise, sogenannten Zonen. Hat man nun die Flächen (100), (010) und (001) festgelegt, so muss
gelten:
a
⊥
(010)
and
(001)
b
⊥
(001)
and
(100)
c
⊥
(100)
and
(010)
Damit können die Richtungen der Basisvektoren a,b,c aus dem Vektorprodukt der jeweils senkrecht zu dem
Basisvektor orientierten Flächenpolen berechnet werden.
a
=
(010)
×
(001)
b
=
(001)
×
(100)
c
=
(100)
×
(010)
Denken Sie daran, dass das Vektorprodukt nicht kommutativ ist! Die so erhaltenen Vektoren sind Vektoren
der Länge eins, welche parallel zu den Basisvektoren sind. Nun können die Winkel φa, φb und φc aus dem
Skalarprodukt zwischen den Vektoren der Flächenpole und den Basisvektoren berechnet werden.
Da alle Vektoren die Länge eins haben, entfallen die Nenner.
Aufgaben zum 1. Teil (Zusammenfassung):








Machen sie sich mit den verschiedenen mechanischen Vorrichtungen des Reflexionsgoniometers vertraut.
Vermessen Sie die (φ, ρ)-Winkelpaare für möglichst alle erkennbaren Flächen des Kristalls.
Fertigen Sie eine stereographische Projektion der Flächennormalen des Kristalls unter Verwendung
eines Wulffschen Netzes an.
Ermitteln Sie aus der stereographischen Projektion die Symmetrieelemente des Kristalls und legen
sie ein geeignetes Koordinatensystem fest.
Treffen Sie ausgehend von wesentlichen Zonen eine Basiswahl und bestimmen Sie das Achsenverhältnis a:1:c und die Millerschen Indizes aller Flächen.
Bestimmen Sie die Ausstichpunkte der Achsen a,b und c.
Messen Sie für alle Flächenpole die Winkel φa, φb und φc
Führen sie die Auswertung rechnerisch durch.
9
Teil 2 Röntgenographische Untersuchungen
In diesem Teil untersuchen wir den Kristall mit Hilfe der Beugung von Röntgenstrahlen. „Unter Beugung (Diffraktion)
versteht man jede Abweichung des Lichtes vom geradlinigen Strahlengange, soweit sie nicht als Spiegelung (Reflexion)
oder Brechung (Refraktion) aufgefasst werden kann.“ (A. Sommerfeld, Optik, S.156). Da der Brechungsindex für Röntgenstrahlen nur um Promille von 1 abweicht, können wir bei der Beleuchtung von Kristallen mit Röntgenlicht die Spiegelungs- und Brechungseffekte als Promille-Effekte vernachlässigen und uns voll den Beugungs- und Interferenzeffekten widmen.
Durch die Wechselwirkung zwischen Photonen und Materie können Änderungen der ursprünglichen
Ausbreitungsrichtungen der einfallenden elektromagnetischen Welle des Primärstrahls auftreten. Elektronen werden
durch das elektrische Feld einer elektromagnetischen Welle zu erzwungenen Schwingungen angeregt. Nach der
klassischen Elektrodynamik strahlen diese beschleunigten Elektronen ihrerseits elektromagnetische Wellen aus
(Dipolstrahlung). Diese Sekundärwellen haben die gleiche Frequenz wie die erregende Welle. Sie können miteinander
interferieren. Jedes Atom wirkt so als Streuzentrum für die einfallende Röntgenstrahlung. Die Überlagerung der
kohärenten Sekundärwellen ergibt das Beugungsbild eines Kristalls. Bei Annahme der "Fraunhoferschen Näherung"
entspricht das Beugungsbild der "Fourier-Transformierten" des beugenden Objekts. Da das beugende Objekt im Fall
eines Kristalls eine dreidimensional periodische Struktur besitzt, werden die Interferenzmaxima der gebeugten
Strahlen einem dreidimensionalen „reziproken Gitter” entsprechen. Aus den vektoriellen Laue Gleichungen folgen die
Lagen der reziproken Gitterpunkte. Sie können im gleichen Kristallsystem wie das reelle Gitter mit reziproken
Basisvektoren a*, b*, c* beschrieben werden:
Intensitätsmaxima treten im Beugungsraum genau dann auf, wenn die Gangunterschiede der Streuwellen ganzzahlige
Vielfache j der Wellenlänge ergeben (siehe Abb.6).
Den geometrischen Zusammenhang zwischen den
beugenden Netzebenen und möglicher Maxima
im Interferenzbild beschreibt die BraggGleichung:
2 dhkl sin Θ = j λ
dhkl
λ
Θ
Netzebenabstand
Wellenlänge
Einfallswinkel
der
Röntgenstrahlung
Netzebene (nicht auf die Kristalloberfläche!)
auf
die
Um die Bragg-Bedingung erfüllen zu können, muss die Wellenlänge λ kleiner als der doppelte Gitterebenenabstand 2d
sein. Dies schränkt die im Experiment sichtbaren Reflexe bei gegebener Wellenlänge λ ein. Daher treten auch keine
Braggreflexe mit sichtbarem Licht auf.
Abb. 6: Beugung des Röntgenstrahls an einer Gitterebenenschar. Eine
Gitterebenenschar kann durch einen reziproken Gittervektor G0 charakterisiert
werden. Die Richtung von G0 legt dabei die Normale der Netzebenenschar fest,
während der Abstand der Netzebenen durch d = 2π/G0 bestimmt ist
Bezeichnet man wie in Abb. 6 den Wellenvektor
der an einem Gitterpunkt einfallenden Strahlung
mit k und den betragsgleichen Wellenvektor der
auslaufenden Welle mit k', so lässt sich ein Streuvektor ∆k = k' – k definieren. Beugungsmaxima
treten auf, wenn gleichzeitig die 3 Laue-Gleichungen erfüllt sind für ganzzahlige Werte von h, k, l.
Dies trifft zu, wenn ∆k einem Translationsvektor im reziproken Gitter entspricht, wenn also gilt
∆k = G.
a⋅∆k = 2π h
b ⋅∆k = 2π k
c ⋅∆k = 2π l
(Laue- Gleichungen)
10
Eine sehr anschauliche, geometrische Darstellung dieses Sachverhalts im
Beugungs- bzw. Fourierraum erhält man aus der Ewald-Konstruktion
(Abb.7). Der Radius der Ewaldkugel entspricht dem Betrag des
einfallenden Wellenvektors k und hat die Länge 2/. Die Lage der Kugel
wird durch die Richtung des Primärstrahls bestimmt. Dreht man nun den
Kristall und damit das geometrisch verknüpfte reziproke Gitter so, dass
zwei reziproke Gitterpunkte bzw. Anfang und Ende eines reziproken
Gittervektors G gleichzeitig auf der Kugeloberfläche zu liegen kommen,
so ist die Beugungsbedingung erfüllt und k' kann unter dem geeigneten
Winkel 2 relativ zum Primärstrahl gemessen werden.
Die Lage aller Bragg-Reflexe im reziproken Raum sind allein durch die
Translationsvektoren des reellen Gitters bestimmt (Laue-Gleichungen,
Bragg-Gleichung).
Abb. 7: Ewald – Konstruktion in 2D für (-230)-Reflex in
Beugungsbedingung
G hkl 
2
d hkl
Ihre Kenntnis erlaubt die Bestimmung der Metrik (Gitterkonstanten) der kleinsten Baueinheit des Kristalls, seiner
Elementarzelle.
Die Intensität der Beugungsmaxima ist proportional zum Betragsquadrat der gestreuten Wellen aller Elementarzellen
im Kristall. Ob ein reziproker Gitterpunkt Intensität trägt, hängt von den Phasenbeziehungen der einzelnen
Sekundärwellen ab. Existiert symmetriebedingt z. B. durch Zentrierungen, Gleitspiegelebenen oder Schraubenachsen
eine zusätzliche Netzebene, welche zur ursprünglichen Netzebene einen Phasenversatz von 180° aufweist, so interferieren sie destruktiv und es kommt zu Auslöschungen. Bei einer 21 Schraubenachse parallel der b-Achse wird z.B.
jedes Atom von den Koordinaten (x,y,z) auf die Position mit den Koordinaten x, y+½, z abgebildet oder formell:
0
𝑥
−1 0 0
1
𝑦
(R, T) ∙ 𝑋 = ( 0 1 0 ) ∙ ( ) + ( ⁄2).
𝑧
0 0 −1
0
Damit existiert zu jedem Atom ein weiteres Atom, welches um die halbe Höhe der 010 Netzebene verschoben ist, also
einen Phasenversatz von 180° aufweist. Alle an diesen Netzebenen gestreuten Wellen löschen sich paarweise aus, so
dass der Bragg-Reflex 010 systematisch die Intensität Null hat.
Derartige Auslöschungsregeln sind für alle Symmetrieoperationen tabelliert und werden herangezogen, um die
Raumgruppensymmetrie eines Kristalls zu bestimmen.
11
2.1 Schwenk- und Drehkristallverfahren
Abb. 8: Prinzipskizze einer Schwenk- bzw. Drehkristallaufnahme mit den
resultierenden Schichtlinien im Beugungsbild
Ein Teil der Gitterkonstanten bestimmen wir mit dem
Schwenk- bzw. Drehkristallverfahren.
Bei einer Drehbewegung des Kristalls um eine vorjustierte Symmetrieachse hoher Zähligkeit, deren
Orientierung wir mit Hilfe der stereographische Projektion in Teil 1 bestimmt haben, bildet man die, zu
dieser Achse senkrecht stehenden, reziproken Netzebenen auf einem koaxial zylindrischem feststehenden
Film ab (Abb. 8). Alle reziproken Gitterpunkte liegen in
diesem Fall auf Geraden, welche immer paarweise mit
gleichem Abstand zur Mittelinie auftreten. Diese Gerade nennt man "Schichtlinie", weil in ihr alle Reflexe einer Schicht des reziproken Gitters liegen. Die Erklärung
für die Schichtlinien folgt aus der Orthogonalitätsbedingung des reziproken Gitters.
Wenn wir z. B. als Drehachse des Kristalls die Richtung des Basisvektors b
gewählt haben, so stehen per Definition die Basisvektoren a* und c* und
die von ihnen aufgespannte Netzebene senkrecht auf b (siehe Abb. 9).
Dreht man nun den Kristall um die b Achse, so gibt es für diese Ebene
einen Schnittkreis auf der Ewaldkugel, d.h. die reziproken Gitterpunkte
dieser Ebene werden Einer nach dem Anderen die Oberfläche der
Ewaldkugel durchstoßen und so die Beugungsbedingung erfüllen. Durch
Parallelverschiebung um ganzzahlige Vielfache des Basisvektors
(Periodizität) existieren weitere Ebenen (hnl) bzw. (h-nl) mit n = -3,-2,1,1,2,3 … oberhalb und unterhalb, deren Schnittkreise parallel zur
Ausgangsebene (h0l) sind. Ist n · D* der Abstand der n-ten Netzebene des
reziproken Gitters von der nullten (gemessen in Å-1), so ist die
Translationsperiode auf der zugeordneten Gittergeraden des Kristallgitters b = 2/D*. Außerdem gelten folgende geometrischen Zusammenhänge:
Abb. 9: Schematische Prinzipskizze einer Drehkristallaufnahme
Dreht man den Kristall während der Aufnahme um 360°, so trifft jeder Reflex einer Schicht seinen Ewald-Kreis zweimal,
einmal in der rechten Hälfte des Films beim Drehwinkel φ und einmal in der linken Hälfte bei dem Drehwinkel φ '. Jeder
reziproke Gitterpunkt (hkl) erzeugt also zwei Reflexe, die wegen der Symmetrie der Anordnung spiegelsymmetrisch
zur Ebene aus Drehachse und Primärstrahl liegen. Außerdem gibt es zu jedem Reflex ( hkl ) den zentrosymmetrischen
Reflex (-h-k-l), der den gleichen Beugungswinkel ϑ besitzt. Er liegt in der (-l)-ten Schicht und ist inversionssymmetrisch
zum (hkl)-Reflex, wenn der Kristall um 180° weiter gedreht wird. Es entstehen so vier Schwärzungspunkte bei den
Drehwinkeln φ, φ ', φ +180° und φ '+180°, die im abgerollten Film die Symmetrie mm2 aufweisen. Eine solche
Aufnahme nennt man Drehkristallaufnahme. Bei Drehung des Kristalls um einen kleineren Winkel (ca. 10° -20°), können
nicht alle vier der genannten Reflexe beobachtet werden; im Vergleich zur Drehkristallaufnahme wird daher die
Symmetrie der Reflexanordnung, die von der Aufnahmetechnik bewirkt wurde, gebrochen Besitzt aber der Kristall eine
Spiegelebene senkrecht zur Drehachse oder eine zweizählige Drehachse in dieser Richtung, erscheint die nullte
Schichtlinie der Aufnahme als Spiegelgerade (Beispiel: monokline Punktgruppe: 2 oder m; zentrosymmetrische
Obergruppe: 2/m). Ist dies der Fall, liegt eine symmetriebegabte Richtung längs der Drehachse vor.
12
2.1.1 Versuchsbeschreibung zur Schwenkaufnahme
Die Schwenkaufnahme wird in einer Weissenberg-Kamera bei feststehendem Filmzylinder und nicht eingesetzter
Weissenberg-Blende angefertigt. Der Schwenkwinkel beträgt ±20°. Schwenkachse ist die Aufsetzrichtung. Die
Wellenlänge der CuKα-Strahlung ist 1,5418 Å (gewichteter Mittelwert). Der Durchmesser R des Filmzylinders beträgt
114,6 mm. Es werden jeweils 2 Kristalle mit unterschiedlichen Hauptachsenorientierungen untersucht.
2.1.2 Auswertung:
Die Translationsperiode längs einer Schwenkachse erhält man unter Verwendung der Beziehungen:
t = Translationsperiode des Kristallgitters (direkter Raum)
λ = Wellenlänge der verwendeten monochromatisierten Strahlung
n = Schichtliniennummer
n = äußerer Winkel des n-ten Beugungskegels mit der Primärstrahlrichtung
R = Durchmesser des Filmzylinders (hier 114,6 mm)
ln = Abstand von der -n-ten zur n-ten Schichtlinie
Jede Messgröße kann nur innerhalb gewisser Fehlergrenzen bestimmt werden. Der Fehler von t wird bestimmt durch
die Unsicherheit der Wellenlänge λ und des Kameradurchmessers R und die Ungenauigkeit beim Messen von ln. Da
wir einen geringen Einfluss auf die beiden ersten Messgrößen haben, versuchen wir die Ungenauigkeit des letzten
Parameters zu minimieren. Dafür messen wir für alle n Schichtabstände an jeweils 6 Reflexpaaren den Abstand
zwischen ln und - ln. und mitteln über diese Werte:
mit
Für ΔR haben wir außer experimenteller Sorgfalt kaum eine Möglichkeit, an die Information heranzukommen, wie
genau der eingelegte Film den Abstand von 114,6/2 mm von der Drehachse eingehalten hat. Daher müssen wir mit
einer Abschätzung von ΔR/R ≈ 2·10-3 zufrieden sein. Die Unsicherheit der Wellenlänge ist gegenüber ΔR/R und Δl/l so
gering, dass wir sie in unserer Fehlerberechnung getrost vernachlässigen können.
Für jede Schichtlinie n erhalten wir nun einen Wert t(n) ± Δt(n), wobei
Den endgültigen Messwert erhalten wir durch gewichtete Mittelwertbildung:
Der mittleren gewichtete Fehlerbeträgt:
Anmerkung:
dargestellt.
Die Herleitung zur Fehlerrechnung der Schwenkaufnahme ist für Interessenten im Anhang ausführlich
Man merke:
Aus einer Schwenkaufnahme lässt sich die Translationsperiode längs der Schwenkachse ermitteln; ferner gibt sie
Auskunft darüber, ob im Kristall in der Schwenkachse eine zweizählige Achse und/oder senkrecht zur Schwenkachse
eine Spiegelebene vorliegt oder nicht.
13
2.2 Weissenberg-Verfahren
Der Nachteil des Dreh- und Schwenkverfahrens besteht darin, dass eine
ganze Ebene des reziproken Gitters auf eine Linie, die Schichtlinie,
abgebildet wird, d.h. es können verschiedene Reflexe übereinander fallen
und es besteht keine umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen
Drehwinkel und Reflex. Eine vollständige Auflösung lässt sich erreichen,
wenn jeder Drehwinkelstellung auch ein bestimmter Reflex zugeordnet
werden kann. Ein Verfahren, das dies gestattet, ist z.B. das WeissenbergVerfahren. Man blendet zunächst eine einzelne Schichtlinie heraus,
indem man zwischen Kristall und Film in die Drehkristallkamera einen
Metallzylinder schiebt, der alle gebeugten Strahlen bis auf die in der
gewünschten einer Schichtlinie absorbiert. Dann verschiebt man den Film
synchron mit der Drehbewegung parallel zur Drehachse des Kristalls, so
Abb. 10:
Weissenberg Aufnahme. Anordnung
zur Messung der nullten Schicht.
dass jeder Drehwinkelstellung genau eine
Position des Filmes entspricht (Abb. 10).
Jeder Reflex der Schichtlinie ist also durch
das Winkelpaar φ und 2θ eindeutig bestimmt. Die Verteilung der Reflexe auf dem
Film ist ein Bild der Netzebene des
reziproken Gitters, doch entstehen durch
die Art der Abbildung Verzerrungen. Abb.
11 gibt eine Weissenberg-Aufnahme der
nullten Schicht eines reziproken Gitters
wieder. Jeder einzelne Reflex entspricht der Beugung an einer Netzebene. Allerdings ist aus der Aufnahme selber nicht
unmittelbar ein Gitter zu erkennen. Dies liegt daran, dass die Weissenberg Technik – wie fast alle Beugungstechniken –
eine verzerrte Abbildung des reziproken Raumes liefert.
2.2.1 Umzeichnung und Indizierung
Abb. 12 zeigt eine erweiterte Ewaldkonstruktion zur Weissenberg
Aufnahme. Gezeichnet ist die reziproke Ebene, welche auf dem Film
abgebildet wird. Damit ist die Achse senkrecht zur Zeichenebene die
Drehachse der Weissenbergkamera. Die Abbildung zeigt schematisch
eine Gittergerade G, welche durch den Ursprung des reziproken Gitters
verläuft. Beim Drehwinkel der Weissenbergkamera sei (willkürlich)
beim Winkel Φ = 0° die Gittergerade G in Richtung nach rechts oben. Ein
reziproker Gitterpunkt im Abstand 1/d vom Ursprung kommt dann zur
Abbildung, wenn dieser Punkt auf der Ewaldkugel liegt. Damit muss dieser
Abb.12: erweiterte Ewaldkonstruktion zur
Weissenberg-Geometrie
Punkt um den Winkel ω + Φ gedreht werden, damit die Strecke 1/d im
Punkt h auf der Ewaldkugel liegt. In der Zeichnung ist dieser Drehwinkel in die Anteile ω und Φ zerlegt worden. Der
Winkel ω ist der Drehwinkel, der nötig ist, um die reziproke Gittergerade aus ihrer willkürlichen Stellung in eine Position
14
senkrecht zum Primärstrahl zu drehen. Danach wird noch der Winkel Φ benötigt, um den reziproken Gitterpunkt auf
die Ewaldkugel zu drehen.
Abb. 13 zeigt das gleiche nochmals für mehrere reziproke
Gitterpunkte Pi entlang einer Geraden durch den Ursprung.
Rechts ist die gedankliche Umkehrung dargestellt. Statt den
reziproken Raum relativ zur Primärstrahlrichtung zu drehen,
kann man zur Entzerrung der Abbildung die Ewaldkugel in
entgegengesetzter Richtung drehen und erhält dann im
Abstand
jeweils die reziproken Gitterpunkte.
Im Dreieck MOh (Abb. 13) ist der Winkel im Punkt O gleich
90 - Θ, und damit der Winkel Φ = Θ. Man beachte, dass dieAbb. 13: Schematische Darstellung der Abbildung mehrerer
ser Winkel Φ für jeden reziproken Gitterpunkt gleich seinem
reziproker Gitterpunkte.
individuellen Θ ist!
Daraus lässt sich nun umgekehrt die Abbildungsvorschrift entwickeln, mit der Sie aus den Messdaten auf der Weissenbergaufnahme ein unverzerrtes reziprokes Gitter zeichnen können. Messen Sie zu den Reflexen die zugehörigen Winkelpaare φi und 2Θi. Zur bequemen Auswertung ist die Weissenbergkamera mit einem Filmzylinder von 114.6 mm
Durchmesser und einem solchen Filmvorschub versehen, dass der Winkel 2Θ mit 1°/mm und der Winkel φ in der
Filmebene mit 2°/mm gemessen werden können.
Messen Sie nach Möglichkeit die Entfernung t zwischen zwei Reflexen bei + und 2Θ, da dies die Genauigkeit deutlich verbessert, siehe Abb. 14. Die Steigung der
Gerade zwischen diesen beiden Reflexen beträgt - festgelegt durch den Vorschub arctan 4 ≡ 75.96. Damit ist 2Θ:
2Θi = t /2sin (arctan(4)) = t/2sin(75.96)
Abb. 14: Bestimmung der Winkelpaare
aus der Weissenberg Aufnahme
Vom Wert φi muss nun der Wert Θ abgezogen werden, um den Drehwinkel ω der
reziproken Geraden zu erhalten. Tragen Sie nun alle Punkte unter ihrem jeweiligen
Winkel ω zur X-Achse eines kartesischen Koordinatensystems in einem Abstand
proportional zu 1/d vom Ursprung auf. Sie sollten damit ein unverzerrtes reziprokes
Gitter erhalten.
Messwerte:
pi
Abstand
von
der
linken
Kante
der
Weissenbergaufnahme
ti
Abstand zwischen Reflexpaaren in mm
Abgeleitete Messgrößen:
φi
Drehwinkel um den der reziproke Gitterpunkt geschwenkt wurde
Θi.
in
mm
Braggwinkel des reziproken Gitterpunktes
Zeichenpunkte:
Hierbei ist skala ein beliebiger
Skalenfaktor (~ 8 cm)
Nach der Umzeichnung aller Reflexe lässt sich in das Punktsystem eine geeignete Basis legen, so dass alle Punkte des
Netzes mit ganzzahligen Koordinaten erfasst werden. Zusammen mit der Schichtliniennummer ergeben diese
Koordinaten dann die Indizes der Reflexe.
Verfolgt man den Übergang vom Film zur Zeichnung, so findet man folgenden Zusammenhang:
15
(i)
(ii)
Reflexe, die auf dem Film auf einer Geraden liegen, ergeben in der Zeichnung Netzpunkte, die sich auf einer
Geraden durch den Drehpunkt befinden.
Reflexe auf einer der deutlich sichtbaren Girlanden liegen nach der Umzeichnung auf Geraden, die am Dreh
punkt vorbei laufen.
2.2.2 Bestimmung der Gitterkonstanten
Wegen der Zeichenungenauigkeit bei der Umzeichnung ist es sinnvoll, die Gitterparameter des Netzes direkt aus den
Filmdaten zu ermitteln. Das umgezeichnete reziproke Gitter hilft Ihnen dabei, die korrekten Geraden für die Richtung
der Basisvektoren auszuwählen. Man markiert dazu auf dem Film die beiden Geraden, die den gewählten Koordinatenachsen entsprechen. Dann lässt sich der Winkel zwischen den Achsen unmittelbar auf dem Film aus der Verschiebung zwischen den Geraden messen.
Die Bestimmung der Basisvektorlängen erfolgt aus den 2θ Werten, welche nach Abb. 14 aus dem Abstand t für die
ersten beiden Hauptachsenreflexe bestimmt wurden. Betrachtet man z.B. die Vektoren n · (100), so gilt nach der
Braggschen Gleichung:
und es können aus den berechneten 2 Werten direkt die reziproken Gitterabstände für jeweils 2 Hauptachsen
bestimmt werden
2.2.3 Versuchsdurchführung:
Mit beiden Kristallen der Schwenkaufnahme ist jeweils eine Weissenberg-Aufnahme der nullten Schichtlinie anzufertigen. Mit der Weissenberg-Blende wird die nullte Schichtlinie der Schwenkaufnahme ausgeblendet. Zur Translationsbewegung des Filmzylinders längs seiner Achse ist das Getriebe des Filmzylinderwagens mit der Antriebsspindel
zu koppeln. Der Schwenkwinkel ist mit +/-60° so einzustellen, dass die maximale Translationsstrecke ausgenützt wird.
2.2.4 Auswertung:
Für eine der Aufnahmen ist mit Hilfe der Ewald-Konstruktion ein unverzerrtes Abbild der zugehörigen Netzebene des
reziproken Gitters anzufertigen. In der Umzeichnung sind die günstigsten Basisvektoren der reziproken Netzebene zu
wählen. Der Winkel, z.B. β*, zwischen diesen muss mit dem am Reflexionsgoniometer ermittelten Winkel β eindeutig
zusammenhängen.
Die Gitterparameter sind für beide Aufnahmen direkt aus den Filmdaten zu bestimmen (siehe Abschnitt Bestimmung
der Gitterkonstanten). Für den Hausgebrauch ist es völlig ausreichend, die h00- und 00l-Reflexe (bzw. 0k0), die auf
ausgezeichneten Gittergeraden des Films zu finden sind, auszuwerten. Um den Fehler, der durch die Fixierung der
Mittellinie in die Auswertung gebracht wird, zu vermeiden, misst man längs der Gittergeraden die Abstände t zwischen
den Reflexen -h00 und h00 bzw. 0-k0 und 0k0, bestimmt die resultierenden Winkel und berechnet aus diesen die
jeweiligen reziproken Gittervektoren a*, b* oder c*. Aus diesen können dann die direkten Gitterkonstanten berechnet
werden.
Nach Wahl der Basisvektoren in der umgezeichneten reziproken Netzebene kann man versuchen, systematische
Auslöschungen, also Auswirkungen von Schraubungen, Gleitspiegelungen und zentrierenden Translationen im
Datensatz zu finden. Aus einer Aufnahme allein kann man in der Regel nur seriale Auslöschungen, also das systematische Fehlen von Reflexen längs einer Gittergeraden des reziproken Netzes, erkennen. Ein flächenzentriertes Netz
lässt entweder auf eine diagonale Gleitspiegelebene oder die Spur einer integralen Auslöschung schließen. Um weitere
Auslöschungen eindeutig identifizieren zu können, würde man wenigstens noch eine Aufnahme der ersten Schichten
benötigen.
Man merke:
Aus einer Weissenberg-Aufnahme der nullten Schicht kann man die drei Gitterparameter (ein Winkel, 2
Basisvektorlängen) der reziproken Netzebene senkrecht zur Gittergeraden der Aufsetzrichtung bestimmen. Außerdem
16
erkennt man die Folgen der Punktsymmetrie des Kristalls in dieser Ebene. Schließlich kann man aus systematischen
Auslöschungen in dieser Ebene auf Gleitspiegelungen und in der Ebene liegende Schraubenachsen schließen. Auch
Zentrierungen hinterlassen in der nullten Schicht als Teile von integralen Auslöschungen ihre Spur. Zur eindeutigen
Identifikation benötigt man aber Weissenberg-Aufnahmen höherer Schichten oder nullte Schichten anderer
Orientierung.
2.2.5 Fehlerrechnung:
Während bei der Fehlerrechnung zu Versuch Nr. 2 aufgrund des mit der Höhe der Schichtlinie wachsenden
Divergenzfehlers ein Gewichtungsschema mit der Schichtlinienordnung n angemessen war, besitzen bei der Weissenberg- Aufnahme alle Reflexe den gleichen Divergenzfehler. Daher ist die aus der Braggschen Gleichung folgende Gewichtung mit tan[Θ] angemessen:
Die gewichtete Mittelung muss entsprechend auf die Fehlerbetrachtung übertragen werden. Wegen der fehlerhaften
Messung von β bzw. β* muss für die Unsicherheit von a die Fehlerfortpflanzungsbeziehung angewendet werden:
Also gilt:
Literatur:
Giacovazzo et al. Fundamentals of Crystallography, S 245-254.
Ladd & Palmer: Structure Determination by X-ray Crystallography, S. 147-166.
Stout & Jensen: X-Ray Structure Determination, S. 98-109, 115-122.
Wölfel: Theorie und Praxis der Röntgen-Strukturanalyse S. 105 ff.
International Tables for X-Ray Crystallography Vol B, S. 185.
Kaelble: Handbook of X-Rays 24-2.
Woolfson: X-Ray Crystallography S. 141 ff.
17
Anhang:
Detaillierte Fehlerrechnung zur Schwenkaufnahme
Die Formeln zur Auswertung einer Schwenkaufnahme sind:
tan[a n ] 
n
ln
und t 
R
sin[a n ]
zusammengesetzt:
 R
t  n 1   
 ln 
2
t = Translationsperiode des Kristallgitters (direkter Raum)
λ = Wellenlänge der verwendeten monochromatisierten Strahlung,
n = Schichtliniennummer,
n = äußerer Winkel des n-ten Beugungskegels mit der Primärstrahlrichtung,
R = Durchmesser des Filmzylinders (hier 114,6 mm),
ln = Abstand von der -n-ten zur n-ten Schichtlinie.
Zur Diskussion der Fehlerfortpflanzung werden die partiellen Ableitungen nach den fehlerbehafteten Größen gebildet:
2
 R
t
t
 n 1    


 ln 
R
l n2
t
t
1
 n
 
2
2
R
R
 ln 
 R
1  
1   
 R
l
 n
R2
l n3
t
t
1
 n  
 
2
2
l n
ln
 ln 
 R
1



1   
 R
 ln 
Unter Verwendung der Gauß‘schen Fehlerfortpflanzung erhält man die folgende Abschätzung:




2
t
1
   

 
 
t
 ln  
  
1   
 R

2
  R  2  l  2 

  n  
  R   l n  


Die Maßzahlen für die charakteristischen Wellenlängen stammen aus Präzisionsmessungen und können etwa bei
gewichtetem Mittelwert der CuKα1- und CuKα2- Wellenlängen mit Δλ/λ ≈ 10-5 angesetzt werden. Die Tatsache, dass wir
für die niedrigen Beugungsordnungen α1 und α2 nicht trennen können, wird im Fehler Δdn berücksichtigt.
Die Fehler ΔD/D und Δdn/dn können bei D = 114,6 mm mit ΔD ≈ Δdn und in der Größenordnung von 0,1 mm ungefähr
durch 3·10-3 abgeschätzt werden. Dagegen verschwindet der Wellenlängenanteil des Fehlers. Wir können daher die
Fehlerformel getrost reduzieren:
t  t 
1
l 
1  n 
 R
2
  R  2   l  2 

  n  
  R   l n  


Ersetzen wir in der Wurzel ln = R·tan[n] und ΔR ≈ Δln ≈ Δ, so folgt:
18
t

R
t 

l 
1  n 
 R
2
1
1
tan [ n ]
2
Die n-abhängigen Terme können wir auf folgende Weise von den n-unabhängigen Termen trennen:
t 1

t

1
t
 

 

2
2
t
R 1  tan [ n ] n R n(1  tan [ n ]) 
Nur der mittlere Term ist von n abhängig. Wollen wir nun ein Gewichtsschema für die n-Abhängigkeit des Fehlers Δt
entwickeln, so müssten wir aufgrund der bisherigen Ableitung w(n) = n·(1+tan2[αn])/c verwenden. Die Betrachtung der
Schwenkaufnahme zeigt uns aber, dass dabei die höheren Ordnungen doch überbewertet werden, denn die
Beugungskegel schneiden mit wachsender Ordnung den Kamerazylinder unter immer flacherem Winkel, wodurch die
Reflexe verschwommener werden. Das ist ein systematischer Fehler, der in unserer Formel nicht enthalten ist, da die
Divergenz des Primärstrahls nicht berücksichtigt wurde. Dies soll nun nachgeholt werden.
Betrachten wir nun einen Strahl, der um einen Winkel ±δ von der Strahlmitte abweicht, so können wir die nAbhängigkeit des Divergenzfehlers Δdiv abschätzen durch die Differenz
div  tan[ n   ]  tan[ n   ] 
tan[ n ]  tan[ ]
tan[ n ]  tan[ ]

1  tan[ n ] tan[ ] 1  tan[ n ] tan[ ]
tan[ ]  tan 2 [ n ] tan[ ]
2
1  tan 2 [ n ]  tan 2 [ ]
.
Da αn ≤ 45° und δ « αn, ist tan2[αn]·tan2[δ] « 1, folgt Δdiv = 2·tan[δ]·(1+tan2[αn]) .
Das zeigt, dass der Fehler Δdiv gerade mit dem Faktor (1+tan2[αn]) wächst, der in der Fehlerformel für Δt im Nenner
auftritt. Wenn wir statt mit n·(1+tan2[αn]) nur mit n wichten, kompensieren wir gerade den Einfluss dieses Fehlers. Aus
dieser Diskussion erhalten wir nach der Normierung der Gewichte auf die Summe gleich eins das Gewichtsschema:
w ( n) 
n
N




2n
N  ( N  1)
1
wenn N die Anzahl der beobachteten Schichtlinien angibt.
Für die Fixierung des Fehlers Δdn gibt es einmal die grobe Abschätzung ≈ 0,1 mm, die wir aber auch durch eine Anzahl
von K Wiederholungsmessungen längs der Schichtlinien präzisieren können. Durch solche Messungen kann auch evtl.
ein systematischer Gang (Dejustierung der Kristallachse gegen die Kameraachse) festgestellt werden. Man erhält:
1 K
l n   l n
k  1
 ln 
1 K
( l n  l n )2

K  1  1
Hierfür sollten wenigstens sechs Messwerte vorliegen, weil sonst die Anwendung der statistischen Formeln nur
mühsam gerechtfertigt werden kann. Für ΔD haben wir außer experimenteller Sorgfalt kaum eine Möglichkeit, an die
Information heranzukommen, wie genau der eingelegte Film den Abstand von 114,6/2 mm von der Drehachse
eingehalten hat. Daher müssen wir mit einer Abschätzung von ΔD/D ≈ 2·10-3 zufrieden sein.
Für jede Schichtlinie n erhalten wir nun aus den obigen Formeln einen Wert t(n) ± Δt(n), wobei
2
t ( n )
2
 R    l n 
 t( n)  
.
 
 R   l n 
Der Gewichtsfaktor 1/(1+tan2[μn]) entfällt wegen des Divergenzfehlers.
Den endgültigen Messwert erhalten wir durch gewichtete Mittelwertbildung:
N
t   w( )  t ( ) 
 1
N
2
  t( )
N ( N  1)  1
Ebenso finden wir den mittleren gewichteten Fehler:
t 
N
2
  t( )
N ( N  1)  1
19
Zum Vergleich mit diesem Fehler können wir die Standardabweichung für die Reihe der t(n) bestimmen. Da das Ergebnis
durch gewichtete Mittelwertbildung bestimmt wurde, muss auch die Standardabweichung durch die gewichtete
Formel bestimmt werden.
S (t ) 
N
1
6

  ( t( )  t )2
N  1 3 N  2  1
Bei einer ordentlichen Auswertung sollten Δ t und S( t ) in der gleichen Größenordnung liegen, wobei die
Standardabweichung einen etwas kleineren Wert anzeigt, der aber mit Vorsicht zu genießen ist, da bei kleinen
Stichproben der Zahlenwert S noch sehr unzuverlässig ist.
20
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