Zwei Länder – eine Strategie

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48 GASTKOMMENTAR
DONNERSTAG, 27. NOVEMBER 2014, NR. 229
Zwei Länder – eine Strategie
Guntram B. Wolff und Agnès Bénassy-Quéré suchen den Ausgleich zwischen Paris und Berlin.
F
rungsausgaben und -beiträge sowie für
weitreichende Strukturreformen. Der
jüngste Vorstoß der französischen Regierung, geschützte Sektoren zu reformieren,
geht zwar in die richtige Richtung, wird jedoch nicht ausreichen.
Gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist
nicht nur eine Frage der Finanzpolitik.
Frankreich sollte die Unsicherheit über seinen politischen Weg reduzieren, weil sonst
die Investitionsbereitschaft erheblich gedämpft wird. Hierzu gehört Klarheit über
die Entwicklung von Steuersätzen, Energie- und Kohlenstoffpreisen, aber auch die
Einigung auf mittelfristige Ziele auf Gebieten wie Berufs- und Hochschulausbildung,
Lebensarbeitszeit, Gesundheitssystem und
Wohngeld.
Der Erfolg einer so abgestimmten Strategie beider Länder wird natürlich stark davon abhängen, was in der Euro-Zone geschieht: Wird es gelingen, das 300 Milliarden starke Investitionsprojekt des Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude
Juncker, mit frischem Geld zu finanzieren?
Wird die Europäische Zentralbank tun
können, was sie für notwendig hält, um ihrem Ziel einer Inflationsrate „unter, aber
nahe zwei Prozent“ nahezukommen? Und
werden die EU-Kommission und der Rat
die härteren Haushaltsregeln durchsetzen,
ohne die Wirtschaft abzuwürgen?
Frankreich und Deutschland tragen als
Anteilseigner der Europäischen Investitionsbank und als Mitglieder des Europäischen Rates eine große Verantwortung.
Ebenso wichtig ist, dass sie daran arbeiten,
die strukturellen Unterschiede, die zwischen ihnen bestehen, durch koordinierte
und tiefgreifende Reformen auf nationaler
Ebene zu reduzieren.
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rankreich und Deutschland
sind der Schlüssel für den
Weg aus der Sackgasse, in
der sich Europa wirtschaftlich befindet. Zusammen
stehen sie für die Hälfte des
BIP im Euro-Raum. Genug
Grund, über eine koordinierte Strategie
nachzudenken.
Die Lohnstückkosten zwischen beiden
Ländern divergieren seit der Euro-Einführung um rund 20 Prozent zulasten Frankreichs. Das wäre allein nicht besorgniserregend. Aber zusätzlich ist der Weltmarktanteil der französischen Exporte mehr als
doppelt so stark zurückgegangen wie der
deutsche, und bei den Leistungsbilanzen
hat sich eine Differenz von mehr als acht
Prozent des BIP aufgetan. Frankreich hat
seine steigenden Kosten nicht mit steigender Wettbewerbsfähigkeit jenseits der Preise ausgeglichen, und Deutschland hängt
mit seiner Low-Cost-Strategie immer mehr
von ausländischen Märkten ab.
Um die aktuelle wirtschaftliche Stagnation zu durchbrechen, ist eine mutige, koordinierte deutsch-französische Strategie
notwendig. Dazu gehört die gleichzeitige
Umsetzung von Maßnahmen in beiden
Ländern.
Derzeit gibt es in Frankreich jedoch keinen politischen Konsens für weitreichende
Reformen, sei es für strukturelle Ausgabenkürzungen, andere Regulierungen für
Dienstleister oder die bessere Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts. Das Modell des
französischen Arbeitsvertrags etwa liefert
wenig Anreize für langfristige Anstellungen, und eine durchschnittliche jährliche
Arbeitszeit statt der derzeit praktizierten
wöchentlichen wäre ein elegantes Mittel
zur Reduzierung der Lohnstückkosten.
Bevor sich der Zugewinn an Produktivität jedoch bemerkbar macht, müssen Löhne und andere Kosten, wie zum Beispiel
Mieten, in Frankreich langsamer wachsen
als in Deutschland, so dass Frankreich sei-
ne Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen
und Deutschland seine starke Abhängigkeit von der Auslandsnachfrage verringern
kann.
Deutschland aber sollte seine Wirtschaft
ankurbeln. Die Stärkung der Binnennachfrage ist Teil der Lösung und könnte durch
niedrigere Steuern für einkommensschwache Haushalte sowie durch ein glaubwürdiges Konzept für öffentliche Investitionen
schnell erreicht werden. Dafür ist es uner-
lässlich, die Idee der „schwarzen Null“ für
die öffentlichen Haushalte aufzugeben.
Diese neue wirtschaftliche Dynamik sollte schließlich zu einer Inflationsrate von
über zwei Prozent führen, welche letztlich
nötig ist, um das wirtschaftliche Gleichgewicht im Euro-Raum wiederherzustellen.
Mit Aussicht auf eine steigende Nachfrage und Inflation in Deutschland hätte die
französische Regierung wiederum mehr
Spielraum zur Kürzung der Sozialversiche-
Agnès Bénassy-Quéré lehrt Wirtschaftspolitik an der Université Paris 1 PanthéonSorbonne; Guntram B. Wolff ist Direktor
des Brüsseler Thinktanks Bruegel.
[email protected]
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