308 Übersichtsarbeit Chronisch rezidivierende Infektionen und Immunopathien A. Miller Fachärztin für Dermatologie und Venerologie Allergologie – Phlebologie / Lymphologie, die hautexperten, Berlin Schlüsselwörter Keywords Lymphgefäßsystem, Infektion, Immunopathie, Lymphödem Lymphatic system, infection, immunopathology, lymphoedema Zusammenfassung Summary Das Lymphgefäßsystem hat eine zentrale Funktion im Immunsystem des Menschen. Nach Antigenaufnahme und Transport zu den Lymphknoten wird die Antikörperproduktion initiiert. Viele Substanzen, wie Fette, Proteine und Zellbestanteile werden ausschließlich über das Lymphgefäßsystem aufgenommen und transportiert. Ein Defekt dieses Systems für zu einer Reduktion der Abwehr und erhöht das Risiko für Infektionen. Mit jeder Entzündung wird auch ein Lymphödem induziert oder verstärkt. Eine frühzeitige und ausreichende Therapie ist deshalb wichtig. In the immune system the lymphatic system has a central function. Starting with absorption and transport of the antigen to the lymphatic nodes it initiates the production of antibodies. Many substances like fat, proteins and cell detritus can only be absorbed and transported by the lymphatic system. A defect of this systems reduces defence and increase the risk of infection. Any inflammation includes and intensifies lymphoedema. Therefore early and sufficient therapy is important. Korrespondenzadresse Dr. Anya Miller die hautexperten Wilmersdorfer Straße 62, 10627 Berlin Tel. 030/31997836 E-Mail: [email protected] Zitierweise des Beitrages/Cite as: Chronic recurrent infections and immunopathy Phlebologie 2016; 45: 308–309 http://dx.doi.org/10.12687/phleb2334-5-2016 Eingereicht: 10. August 2016 Angenommen: 16. August 2016 English version available at: www.phlebologieonline.de Das Lymphgefäßsystem und die 600–700 Lymphknoten des Menschen spielen eine wichtige Rolle in der Abwehrfähigkeit des Körpers und der immunologischen Auseinandersetzung mit Fremdkörpern. Das Mikrofiltrat im Kapillarbereich wird fast komplett über das lymphatische System resorbiert (1) und teilweise über die Lymphknoten den Venen zugeleitet. Proteine, Fette, Zellen, chemische, organische und nichtorganische Zellprodukte, Zellresiduen und vor allem Bakterien und Viren werden ausschließlich lymphogen entsorgt. © Schattauer 2016 Dringen Keime durch die Hautbarriere ein, erfolgt zum einen eine unspezifische Abwehr durch Phagozytose von neutrophilen Granulozyten und Aktivierung der Komplementkaskade und zum anderen eine Phagozytose durch Langerhans-Zellen. Diese werden durch die Lymphkollektoren zu den Lymphknoten geleitet. Die Langerhans-Zellen reifen auf dem Weg aus zu hocheffizienten antigenpräsentierenden Zellen (APC). Dabei verlieren sie ihre Fähigkeit zur Phagozytose zugunsten der Synthetisierung von MHC-Molekülen. In den Lymphknoten treffen sie auf T-Zellen und wenn nun eine naive oder MemoryT-Zelle mit ihrem T-Zellrezeptor zum präsentierten antigenen Peptid passt, kommt es zur immunologischen Synapse und zur Initiierung einer spezifischen (erworbenen) Immunantwort, die letztendlich in der Produktion weiterer T-Effektorzellen mündet. Diese können infizierte Zellen gezielt destruieren (2). Bei Erkrankungen des Lymphgefäßsystems ist diese Abwehrfähigkeit deutlich reduziert. Sind initiale Lymphgefäße und Lymphkollektoren aplastisch, funktionieren weder die Aufnahme noch der Transport und die Ausreifung der Langerhans-Zellen. Auch bei einer Fibrose als Folge chronischer Ödeme ist die Aufnahme gestört. Infektionen sind deshalb die häufigsten Komplikationen von lymphatischen Malformationen. (3). Während die Erysipelhäufigkeit in der gesunden Bevölkerung mit 0,001 % angegeben wird, liegt sie im Stadium III des Lymphödems bei 50–70 % (4). Bei einer Infektion durch bakterielle Pathogene führt die Freisetzung von TNF-α, Interleukin-1β aus Makrophagen zu einer Weitstellung der Gefäße und Extravasation von Plasma in das Gewebe und damit zu einem Ödem. A-Streptokokken bei Erysipelen induzieren eine Spaltung von Bradykininvorstufen, was zu einer Aktivierung des epithelialen Komplementsystems und ebenfalls zu einer gesteigerten vaskulären Durchlässigkeit führt (5). Dieses Ödem ist meist von Fieber und Schmerz begleitet. Zudem wird die propulsive Muskulatur der Lymphkollektoren durch Prostaglandine, Stickoxid und Histamin gelähmt. Die Folge ist ein intrinsisches Pumpversagen der Lymphgefäße und wiederum ein Ödem. Durch die resultierende Fibrose des Gewebes ist mit jedem Erysipel eine Zunahme der lymphatischen Abflussstörung gegeben. Für eine adäquate Immunantwort ist aber ein Kontakt des Immunsystems im Phlebologie 5/2016 A. Miller: Chronisch rezidivierende Infektionen und Immunopathien Lymphknoten mit dem Antigen erforderlich. Lymphknoten, oberhalb länger bestehender Stauungen atrophieren und reduzieren dadurch die Abwehrfähigkeit des Körpers. Ein Erysipel kann die erste klinische Manifestation einer vorbestehenden Lymphabflussstörung sein. Ein Erysipel sollte frühzeitig behandelt werden. Basistherapie ist eine systemische Antibiose (6). Dabei ist Penicillin immer noch das Mittel der ersten Wahl (z.B. Penicillin G 3Mio IE/d über 14d). Alternativ können Erythromycin, sonstige Makrolidantibiotika, Clindamycin oder Amoxicillin gegeben werden. Die Komplexe physikalische Therapie (KPE), insbesondere MLD und Kompression sollte nach Ansprechen auf die Antibiose, in aller Regel nach zwei Tagen wieder angewendet werden. Hautveränderungen sind entsprechend zu behandeln. Die Extremität sollte überwiegend hoch gelagert und gekühlt werden. Bei rezidivierenden Erysipelen ist eine Prophylaxe mit Azithromycin (3d/Monat) angezeigt, alternativ Penicillin i.v. für 10 Tage alle 3 Monate oder i.m. 2,4 mega alle 2 Wochen (Cave Spritzenabszess). Zur Vermeidung von Infektionen ist auf eine gute Hautpflege, z.B. mit harnstoffhaltigen Externa (Urea 10 %), Vermeidung der Bildung von feuchten Kammern in Hautumschlagfalten und ggf. eine lokale antimykotische Dauerbehandlung zu achten. Bei Verletzungen der Haut sollte sofort und ausreichend desinfiziert werden. Neben der Prophylaxe lokaler Infektionen ist eine konsequente KPE eine wichtige Unterstützung des Immunsystems bei Patienten mit chronischen Lymphödemen. Interessenkonflikt Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Ethische Richtlinien Für dieses Manuskript wurden keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Literatur 1. Levick JR, Michel CC. Microvascular fluid exchange and the revised Starling principle. Cardiovascular Research 2010; 87(2); 198–210. doi:10.1093/cvr/cvq062 2. Schmolke K. Immunabwehr im Lymphsystem der Haut. Phlebologie 2015; 44 (3): 118–120. 3. Wojcicki P, Woicicka K. Epidemiology, Diagnostics and Treatment of Vascular Tumors and Malformations. Adv Clin Exp Med 2014, 23: 475–484. 4. Chakraborty S, Gurusamy M, Zawieja DC, Muthuchamy M, Lymphatic filariasis: perspectives on lymphatic remodeling and contractile dysfunktion in filarial disease pathogenesis. Microcirculation 2013; 20: 349–364. 5. Schmolke K. Erysipel und Immunsystem. LymphForsch 2010; 14 (2): 65–68. 6. Heine-Varias U, Miller A. In: Leitfaden Lymphologie. Hrsg. von Gültig O, Miller A, Zötzer T. München: Elsevier/Urban & Fischer 2015; 169–176. Anzeige 309