Borderline-PST

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KATHOLISCHE HOCHSCHULE FÜR SOZIALWESEN BERLIN
PROF. DR. MED. RALF-BRUNO ZIMMERMANN
WEITERBILDUNGSSTUDIENGANG
TIEFENPSYCHOLOGISCH FUNDIERTE GESTALTUNGSTHERAPIE/
KLINISCHE KUNSTTHERAPIE
KOMPENDIUM
ZUR LEHRVERANSTALTUNG
AUSGEWÄHLTE ASPEKTE
DER
SOZIALPSYCHIATRIE
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
EINSTIMMUNG
DIAGNOSESTELLUNG IN DER PSYCHIATRIE
PSYCHOPATHOLOGISCHE SYMPTOME
PSYCHOPATHOLOGISCHE SYNDROME
EINTEILUNG PSYCHISCHER STÖRUNGEN (NACH ICD-10)
BEISPIEL FÜR EIN DIAGNOSESCHEMA NACH ICD-10 (SCHIZOPHRENIE)
KLINISCHE SYSTEMATIK PSYCHISCHER STÖRUNGEN
DIE SOGENANNTEN ENDOGENEN PSYCHOSEN
- DIE SCHIZOPHRENIEN
DAS DREIPHASENMODELL VON LUC CIOMPI
BEHANDLUNGSPRINZIPIEN NACH LUC CIOMPI
ZU VERLAUF UND PROGNOSE DER SCHIZOPHRENIEN
-ENDOGENE DEPRESSION UND MANIE (ZYKLOTHYMIEN)
FORMEN DER DEPRESSION
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN: EINFÜHRUNG
BORDERLINE-PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
ORGANISCH BEDINGTE PSYCHISCHE STÖRUNGEN
- AKUTE EXOGENE PSYCHOSE
- CHRONISCHES HIRNORGANISCHES PSYCHOSYNDROM (HOPS)
PRIMÄR DEGENERATIVE HIRNERKRANKUNGEN
SUIZIDALITÄT
ABHÄNGIGKEITSERKRANKUNGEN
-ALKOHOLABHÄNGIGKEIT
-MEDIKAMENTENABHÄNGIGKEIT
„ILLEGALE“ DROGEN
PSYCHIATRISCHE HILFSANGEBOTE
-1. STATIONÄRE HILFEN
-2. NICHT-STATIONÄRE HILFEN
THERAPIE PSYCHISCHER STÖRUNGEN
-1. SOMATOTHERAPEUTISCHE VERFAHREN
-2. PSYCHOTHERAPEUTISCHE VERFAHREN
UNTERBRINGUNGSGESETZE
-1. BETREUUNGSGESETZ (BTG)
-2. GESETZ FÜR PSYCHISCH KRANKE (PSYCHKG)
DIE EPILEPSIEN
LITERATURLISTE
SEITE
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Wer alles erklären kann,
hat nichts verstanden.
C. Haring
Liebe Studentin, lieber Student,
im Folgenden finden Sie Kopien der Folien, die ich in der Vorlesung „Sozialmedizinische Aspekte der Sozialpsychiatrie“ verwende.
Sie stellen einen Ausschnitt des Vorlesungsinhaltes dar und können diese nicht ersetzen,
vielmehr handelt es sich um ein grobes Raster der Begriffe und des aktuellen Kenntnisstandes der Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und der Psychotherapie. Im Anhang sind darüber hinaus einige häufige neurologische Krankheitsbilder abgehandelt.
Vieles hier Dargestellte ist für eher als Kompendium zum Nachschlagen gedacht, allerdings
finden Sie wesentliche Inhalte, Kommentare, praktische Erfahrungen und Tips allein in der
Vorlesung.
So verstanden, kann Ihnen diese Sammlung zur besseren Verarbeitung des Vorlesungsstoffes dienen und vielleicht später das mühsame Nachschlagen in vielen Büchern ersparen,
wenn Sie sich kurz über einen Begriff, eine Erkrankung, eine gemeindepsychiatrische Einrichtung o.ä. orientieren wollen.
Selbstverständlich kann und will diese Sammlung nicht die Lektüre eines Fach- oder Lehrbuches ersetzen, wenn Sie sich tiefer mit der Materie (resp. den Klienten) beschäftigen
wollen. Zur Orientierung habe ich eine Literaturübersicht beigefügt.
Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches Studium und hoffe, die Tür zur (gar nicht so) geheimnisvollen Psychiatrie ein wenig aufgestoßen zu haben.
Ralf-Bruno Zimmermann
Berlin, im Januar 2007
2
„Fürchten Sie sich nicht vor der Psychiatrie!
Die Psychiatrie ist in ihrem Wesen einfach und menschlich. Mit gesundem Verstand, etwas Lebenserfahrung und mit warmem Herzen sind ihre Grundlagen leicht zu erfassen. Alles, was Ihnen in der Psychiatrie
kompliziert vorkommt, ist nicht gar so wichtig, und oft ist es bloß übertrieben kompliziert dargestellt.
...
Vor allem fürchten Sie sich nicht vor Ihren zukünftigen psychiatrischen Aufgaben als Sozialarbeiter/in!
Sie werden auch in Ihrer psychiatrischen Arbeit, wie in den meisten sozialarbeiterischen Disziplinen,
unendlichem Leid, Elend und dem Tod begegnen. Aber wo Sie dem allen begegnen, so können Sie abwehren, mildern und helfen. In der psychiatrischen Arbeit werden Sie gerade das einsetzen können, was
Sie im Sozialarbeiterberuf suchen: Ihre ganze Menschlichkeit, Ihr Mitfühlen, Ihren Hingabewillen, neben
dem technischen Können, dem sachlichen Wissen.
Vielen werden Sie zur Heilung verhelfen und Sie werden spüren, daß selbst dem Kranken, den Sie nicht
heilen können, Ihr Nahesein guttut. Sie werden tief ins Leben hineinsehen. Und neben allen Schwächen
und allem Elend werden Sie bei Ihrem psychiatrischen Wirken auch immer wieder etwas anderes staunend erleben: was es Großes im Menschen gibt, selbst im Kranken und Schwachen, Großes an Willen
durchzuhalten, Leiden zu überwinden, an der Fähigkeit, anderen beizustehen und für andere da zu sein.
Sie werden es bei ihren Kranken entdecken, aber auch bei deren Angehörigen und Helfern.“
(Aus dem Vorwort von Manfred BLEULER zur 15. Auflage des „Lehrbuch für Psychiatrie“ von Eugen
BLEULER, 1983)
* „Arzt“ und „ärztlich“ sind von mir durch „Sozialarbeiter/in“ und „sozialarbeiterisch“ ersetzt worden...
3
Statt einer Einleitung1
Schon die Bezeichnung des Handlungsfeldes bringt Schwierigkeiten mit sich: während
die Fokussierung auf den Ort der Begegnung bzw. Begleitung auf Reformbemühungen
verweist, nach denen Klienten in gemeindenahen, möglichst ambulanten Einrichtungen
versorgt werden (also Gemeindepsychiatrie oder gemeindenahe Psychiatrie), wird hier
der Begriff Sozialpsychiatrie gewählt. Dies geschieht in der Absicht, die programmatische Anforderung an eine zeitgemäße Psychiatrie deutlich zu machen, die – neben vielen
anderen – immer eine soziale Perspektive auf die Phänomene der Entstehung, des Verlaufs und der Folgen psychischer Erkrankung für die Betroffenen2 und ihr soziales Umfeld
werfen und einnehmen soll. Wenn sie dies tut, wird sie psychisch kranke Menschen
nicht aus ihren sozialen Bindungen, ihren Lebensorten und -bezügen entwurzeln und
deshalb immer auch gemeindenah sein. Umgekehrt muss eine gemeindenahe Psychiatrie
nicht zwingend auch den genannten sozialen Schwerpunkt haben. In diesem Sinne muss
auch eine professionelle Beratung, Begleitung und Behandlung immer einen ausgewiesenen sozial(psychiatrisch) ausgerichteten Charakter haben und allein aus dieser Fokussierung eröffnet sich naturgemäß ein Handlungsbereich, der im Kern der Kompetenzen der
Sozialen Arbeit liegt.
Wenn das Arbeitsfeld, die hiesigen Adressaten Sozialer Arbeit und die verwendeten
Methoden beschrieben werden sollen, so ist mindestens ein kurzer historischer Blick auf
die Entwicklungen der Psychiatrie nicht nur sinnvoll, sondern nachgerade notwendig.
Erst recht dann, wenn es um eine ethische Reflexion des Feldes und der Arbeit gehen
soll. In kaum einem anderen Bereich der Begleitung, Betreuung, Beratung und Behandlung finden sich im Laufe der Menschheitsgeschichte derartig gravierende Fehleinschätzungen, Fehlversuche und Irrwege. Diese resultierten sowohl aus Versuchen, angemessene Erklärungsansätze und Behandlungsmethoden zu finden, wie auch aus der skrupellosen Ausnutzung der eingeschränkten Widerstandsmöglichkeiten der Betroffenen.
Grauenhafte Behandlungsmethoden bzw. Patientenversuche, massenhafte Zwangssterilisation und Tötungen psychisch kranker und geistig behinderter Menschen – eben auch
durch Therapeutenhände – sind bis hinein in das letzte Jahrhundert zu beklagen. Da in
diesem Beitrag nicht der Raum für eine angemessene Darstellung des historischen Kontextes zur Verfügung steht, soll stattdessen eine prägnante Erfahrung des Autors aus
1
2
Aus: Zimmermann, Ralf-Bruno & Andreas Lob-Hüdepohl (2007): Ethik Sozialpsychiatrischer Arbeit. (erscheint demnächst in
einem Lehrbuch Ethik Sozialer Arbeit)
In den aktuellen sozialpsychiatrischen Debatten wird eine Vielzahl an Begriffen für Menschen mit psychischen Störungen
verwendet. Neben diesem auch: Betroffene, Psychiatrie- oder Psychoseerfahrene, Klienten, Patienten, Adressaten usw. Mit
jedem Begriff werden bestimmte und unbestimmte Zuschreibungen transportiert. Aus: Zimmermann, Ralf-Bruno & Andreas
Lob-Hüdepohl (2007): Ethik Sozialpsychiatrischer Arbeit. (erscheint demnächst in einem Lehrbuch Ethik Sozialer Arbeit)
4
dem Tätigkeitsbereich der psychiatrischen Begutachtung für das Sozialgericht skizziert
werden:
Um ein Sachverständigengutachten zur Frage der Pflegebedürftigkeit zu erstellen und dazu den Kläger im häuslichen Umfeld zu untersuchen, lernte ich vor einigen Jahren einen 1935 geborenen
Mann und seine ihn im gemeinsamen Haushalt pflegende Schwester kennen. Er wies die genetische
Besonderheit einer Trisomie 213 auf, die unter anderem zu einer deutlichen Einschränkung der intellektuellen Entwicklung sowie Schwächen bzw. Erkrankungen einiger Organe geführt hatte. Die pflegende Schwester berichtete dann im biographischen Gespräch, dass ihr Bruder nur durch das engagierte Eingreifen seines damaligen Kinderarztes davor bewahrt worden sei, Opfer der so genannten
T4-Aktion zu werden: dieser hatte die Eltern vor jeglichem staatlichen Angebot einer vermeintlich
besseren Behandlung und Pflege ihres Sohnes in einer Anstalt gewarnt, da nach seiner Befürchtung
in diesen Einrichtungen Menschenversuche und Patientenmorde durchgeführt würden. Die Eltern
hatten daraufhin ihren Sohn über Jahre versteckt und ihn dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit vor
schweren Misshandlungen oder gar dem gewaltsamem Tod beschützt.
Bemerkenswert an dieser Episode sind sicher mehrere Aspekte: noch begegnen uns inzwischen betagte oder hochbetagte psychisch erkrankte oder (geistig) behinderte Opfer
nationalsozialistischer Verbrechen. Sie erinnern uns in besonderer Weise daran, dass
diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch gar nicht so lange zurückliegen, wie es
gelegentlich erscheint und dass sie unsere Arbeit, unsere Arbeitsbedingungen weiterhin
mit beeinflussen. Sie ermahnen uns, in diesem Feld in besonderer Weise achtsam zu
bleiben und unser Tun und Lassen zu reflektieren. Dazu gehört auch der kritische Blick
auf die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen die sozialpsychiatrische Arbeit stattfindet.4 In drastischer Weise werden wir daran erinnert, dass die
Arbeit mit psychisch kranken Menschen immer auch eine (sozial)politische und ethische
Dimension hat. Der Umstand, dass in dieser Geschichte neben den mutigen Angehörigen
auch der Widerstand eines Arztes zur Darstellung kommt, darf allerdings nicht darüber
hinwegtäuschen, dass ausgerechnet Ärzte an den Verbrechen – zum Teil maßgeblich –
beteiligt waren.5 Für die Kennzeichnung des historischen Kontextes fällt uns noch ein
Dokument aus einer früheren Epoche in die Hände: Im Jahre 1817 schreibt ein Mitglied
des irischen Abgeordnetenhauses über die Lebens- bzw. Leidenssituation eines psychisch kranken Menschen:
„Es gibt nichts Schockierenderes, als Idiotie in der Hütte eines irischen Landarbeiters (...). Werden ein kräftiger
Mann oder eine Frau von den Beschwerden befallen, bleibt nichts anderes übrig, als ein Loch in den Boden der
Hütte zu graben, nicht so tief, als dass ein Mensch aufrecht darin stehen könnte, mit einem Lattengerüst dar-
3
4
5
Synonym für Morbus Langdon-Down
An dieser Stelle sei an den partiellen politisch motivierten Missbrauch psychiatrischer und psychotherapeutischer Methoden
bzw. psychiatrischen Wissens durch die Staatssicherheit bzw. das MfS in der DDR erinnert: Sonja Süß: Politisch missbraucht? Psychiatrie und MFS. Berlin ,1999
Aus der Vielzahl der Publikationen zu diesem Thema seien drei hervorgehoben: Alexander Mitscherlich und Fred Mielke
(Hrsg.): Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Frankfurt am Main 1978; Dorothea Roer
und Dieter Henkel (Hrsg.): Psychiatrie im Faschismus. Die Anstalt Hadamar `33-`45. Frankfurt am Main 1996 und Amus
Finzen: Massenmord ohne Schuldgefühl. Bonn, 1996.
5
über, damit er nicht herausklettern kann ... dort hinein reichen sie dem bedauernswerten Wesen die Mahlzeit
und dort stirbt es im Allgemeinen.“6
Hier wird ein anderes Elend außerhalb institutionalisierter Hilfesysteme deutlich: die Herabwürdigung eines psychisch kranken Menschen zu einem „bedauernswerten Wesen“
im familiären Kontext.
Schließlich soll ein letzter bedeutungsvoller historischer Aspekt für das Arbeitsfeld
genannt werden: in den vergangenen Jahrzehnten wurde es einem Prozess der Veränderung unterzogen worden, der zu Recht mit dem Begriff Psychiatriereform belegt wird
und durch den sich die Lebensverhältnisse der und die Unterstützungsmöglichkeiten für
die Klienten, mithin auch die Arbeitsbedingungen der Professionellen grundlegend geändert haben.7 Erst durch diesen Prozess ist auch die Bedeutung und Bedeutsamkeit der
Sozialen Arbeit in dem Maße gewachsen, in dem nun psychische Krankheit und deren
Begleitung und Behandlung nicht mehr ausschließlich bzw. vor allen Dingen in den Händen der primär behandelnden Professionen (wie der Medizin und der Psychologie) liegt,
sondern die betroffenen Menschen in und mit ihren sozialen Bezügen und Bedingtheiten
in den Mittelpunkt der Betrachtung und auch der Beratung und Behandlung gestellt wurden.8
Aus: Zimmermann, Ralf-Bruno & Andreas Lob-Hüdepohl (2007): Ethik Sozialpsychiatrischer Arbeit. (erscheint in dem Lehrbuch Ethik Sozialer Arbeit)
6
7
8
Edward Shorter: Geschichte der Psychiatrie. Reinbek, 2003, S. 13 f.
Klaus Dörner (Hrsg.): Ende der Veranstaltung. Anfänge der Chronisch-Kranken-Psychiatrie. Gütersloh, 1998; Enquetekommission der Bundesregierung (1975): Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/4200, Bonn 1975; Uwe Blanke (Hrsg.): Der Weg entsteht beim Gehen. Sozialarbeit in der
Psychiatrie. Bonn 1995.
An anderer Stelle habe ich die Auswirkungen der Psychiatriereform ausführlicher dargestellt: Ralf-Bruno Zimmermann:
Sozialarbeit in der Sozialpsychiatrie., in: Karlheinz Ortmann und Heiko Waller (Hrsg.): Gesundheitsbezogene Sozialarbeit.
Eine Erkundung der Praxisfelder. Hohengehren 2005, S. 63-65.
6
„Andächtige Christen ... Seit einigen Monaten hören wir Berichte, daß aus Heil- und Pflegeanstatlten für
Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar
erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit
die Mitteilung, die Leiche sei verbrannt, die Asche könne abgeliefert werden. Allgemein herrscht der an
Sicherheit grenzende Verdacht, daß die zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht
von selbst eingetreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden ... Ich hatte bereits am 26.7. bei der Provinzialverwaltung der Provinz Westfalen, der die Anstalten unterstehen, der die Kranken zur Pflege und
Heilung anvertraut sind, schriftlich ernsten Einspruch erhoben. Es hat nichts genützt. Und aus der Heilund Pflegeanstalt Warstein sind, wie ich höre, bereits 800 Personen abtransportiert ...
Hier handelt es sich um unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern. Arme Menschen, kranke
Menschen, unproduktive Menschen meinetwegen! Aber haben sie das Recht auf das Leben verwirkt?
Hast Du, habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange wir von anderen Menschen als produktiv angesehen werden? ... Dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also an den unheilbar Kranken, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann ist der Mord an uns allen, wenn wir altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben!“
(Bischof Clemens August Graf VON GALEN, 28.7.41)
Mit dieser Predigt, die hektographiert verteilt und mit Flugzeugen über Deutschland abgeworfen wurde,
hat Bischof von Galen mit bewirkt, daß die sog „T4-Aktion“ abgebrochen wurde.
Schier unglaubliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren die Folge der „T4-Aktion“. In einer aus
heutiger Sicht nur wahnhaft zu nennenden Vorstellung von „Rassegesundheit“ und „Eliminierung Erbkranker zum Schutz des deutschen Volkskörpers“ wurden psychisch Kranke, geistig Behinderte, körperlich Kranke und gesunde Menschen zwangsweise sterilisiert, durch brutale Menschenversuche gequält
und letztlich hemmungslos mit zum Teil industriell zu nennender Methode getötet. Die Zahl der Opfer
läßt sich auch nach so langer Zeit nicht mehr rekonstruieren, weil viele Unterlagen vernichtet wurden. Es
muß davon ausgegangen werden, daß 8.000 Kinder und mindestens 100.000 Erwachsene durch die sogenannte „Euthanasie“ ermordet und etwa 400.000 Menschen gegen ihren Willen sterilisiert wurden.
Der Irrsinn ist bei einzelnen etwas Seltenes aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.
(F. Nietzsche)
7
DIAGNOSESTELLUNG IN DER PSYCHIATRIE
Befunde (körperlich, psychisch, anamnestisch)
+ apparative Untersuchungsergebnisse
= vorläufige (syndromatische) Diagnose
+ Verlaufsbeobachtung + weitere Untersuchungen
= Diagnose
PSYCHIATRISCHE ANAMNESE
Anamnese = Erinnerung; Krankheits-/Lebensgeschichte des Patienten nach seiner Erinnerung
Krankheitsanamnese:
frühere Erkrankungen
- psychisch
- körperlich
aktuelle Erkrankung/Störung/Befindlichkeit
- Symptome
- Krankheitsbeginn
- bisherige Behandlung
Biographische Anamnese:
Biographie des/r Patienten/in
- Schwangerschaft/Geburt
- frühkindliche Entwicklung
- Beziehung zu Eltern und Geschwistern
- schulischer Werdegang
- berufliche Entwicklung
- sexuelle Reifung/Entwicklung
- Ehe und Familie
- Lebensgewohnheiten, Persönlichkeitszüge, (Ab-) Neigungen, Fähigkeiten
- aktuelle Lebensumstände
Familienanamnese
- psychosoziale Situation der Eltern
- Wertvorstellungen/Erziehungsstil der Eltern
- psychische Erkrankungen/Störungen in der Familie
Fremdanamnese:
- Bericht von Familienangehörigen/FreundInnen
8
PSYCHOPATHOLOGISCHE SYMPTOME
Bewusstseinsstörungen
quantitativ
- Benommenheit (schläfrig, verlangsamt, weckbar)
- Somnolenz (apathisch, stark verlangsamt, Einschlafneigung, noch weckbar)
- Sopor (nur durch starke Reize weckbar, keine verbalen Äußerungen mehr)
- Koma (nicht weckbar, keine Abwehrbewegung auf Reiz)
qualitativ (-produktiv)
- Delir (ängstlich-gefärbte psychomotorische Unruhe, Desorientierung)
- Dämmerzustand (scheinbar geordnetes Verhalten ÎEpilepsien,
pathologischer Rausch)
Orientierungsstörungen
- zur Zeit
- zur Situation
- zum Ort
- zur Person
Störungen der Konzentration, Aufmerksamkeit, Auffassung
Gedächtnisstörungen (mnestische Störungen)
- Neu (Frisch-) Gedächtnis
- Alt (Langzeit-) Gedächtnis
Störungen der Intelligenz
- grobe Prüfung in der Exploration
- feinere Prüfung mittels Intelligenztests
Formale Denkstörungen
- gehemmt: mühsam, schleppend, wie gegen Widerstand
- perseverierend: ständig wiederkehrende Denkinhalte, Grübeln, Sinnieren
- Gedankenabreißen: plötzliche Unterbrechung, Gedanken werden weggenommen, gestoppt
- verlangsamt
- beschleunigt/ideenflüchtig: ständig neue, assoziativ verbundene Denkinhalte
- eingeengt: beschränkt auf wenige Inhalte, kaum Wechsel möglich
- umständlich: weitschweifig, ausladend
- paralogisch: Entgleisung auf Nebensächliches, Verschmelzen verschiedener Inhalte
- inkohärent: schwer nachvollziehbarer Zusammenhang der Denkinhalte, gestörter Satzbau, Wortneuschöpfungen (Neologismen)
Wahn
- Wahnstimmung: Stimmung von Unheimlichkeit, Dinge und Situationen bekommen eine unbestimmte Bedeutung
- Wahnwahrnehmung: reale Wahrnehmungen werden umgedeutet
- Wahneinfall: plötzlich auftretende wahnhafte Überzeugung
- Wahnarbeit: Wahn wird ausgestaltet, verfestigt durch innere oder äußere Wahrnehmungen
- Wahnsystem: Ausbau einer inhaltlich geschlossenen Wahnstruktur
- Wahndynamik: von stürmisch-produktiv bis affektleer-residual
9
- Wahninhalte: Größen-, Verarmungs-, Beziehungs-, Liebes-, Beeinträchtigungs-, Verfolgung-,
Eifersuchts-, Schuld-, hypochondrischer, religiöser Wahn...
Wahrnehmungsstörungen
- Illusionäre Verkennungen: Umwelteindrücke werden fehlgedeutet
- Halluzinationen:
- akustische
- optische
- olfaktorische/gustatorische (Geruchs-, Geschmackshalluzinationen)
- taktile/haptische (Berührungshalluzinationen)
- zoenästhetische (Leibhalluzinationen)
- Intensitätsminderung/-steigerung der Wahrnehmung
- veränderte Gestaltwahrnehmung (größer, kleiner, verändert, entfernter)
- déjà vu, jamais vu
Ich-Störungen
- Depersonalisation: die ganze Person oder Teile werden als fremd oder verändert erlebt, meist
unkonkret
- Derealisation: Umgebung wird fremd oder verändert erlebt
- Gedankenausbreitung: andere können die eigenen Gedanken „lesen“
- Gedankeneingebung: Gedanken werden von außen beeinflußt/gemacht erlebt
- Gedankenentzug: Gedanken werden weggenommen
- Appersonierung: Vorstellung, ein anderer zu sein
- alternierende Persönlichkeit: „doppeltes Bewußtsein“
Zwänge und Zwangsbefürchtungen (Phobien)
sind unausweichlich (imperativ), obwohl sie als unsinnig oder unangemessen erkannt werden
- Zwänge: Wasch-, Zähl-, Denk-, Handlungs-, Vermeidungs- ...
- Phobien: Agoraphobie (weite Plätze), Akrophobie (Höhe), Klaustro-(geschlossene Plätze), Zoo(best. Tiere), Sozialphobie (bekannte u. unbekannte Personen)
Störungen der Stimmung und des Affektes
- Ambivalenz: gleichzeitig bestehen widersprüchliche Gefühle
- Parathymie: Affekt/Stimmung paßt qualitativ oder quantitativ nicht zur aktuellen Situation
- Affektarmut
- Gefühl der Gefühllosigkeit
- Affektstarre
- Affektlabilität: schneller Wechsel der Affekte
- Affektinkontinenz: mangelnde Steuerbarkeit, Affekt schwillt rasch an und wieder ab
- Affektsyndrome
- depressives Syndrom
- manisches Syndrom
- schizophrenes Affektsyndrom
- Angstsyndrom
- dysphorisches (mißmütig-gereiztes) Syndrom
- hypochondrisches Syndrom
Störungen des Antriebs (und der Psychomotorik)
- Antriebsminderung
10
- Hypokinese, Akinese, Stupor
- Mutismus („Sprachlosigkeit“)
- Katalepsie (Haltungsverharren/-stereotypie)
- Antriebssteigerung
- Hyperkinese, katatone Erregung, Raptus
- Ambitendenz, Automatismen (Negativismus), Tics, Manierismen
Aggressionen
- Fremdaggression
- Autoaggression
Impulshandlungen
- Pyromanie (dranghaftes Feuerlegen)
- Sammeltrieb
- Kleptomanie (Stehl“sucht“)
- Dipsomanie (periodisch dranghaftes Trinken)
Suizidalität
- latent
- akut
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PSYCHOPATHOLOGISCHE SYNDROME
Durch Zusammenfassung einzelner psychischer, somatischer und anamnestischer Befunde erfolgt
die (vorläufige) Einordnung in ein psychopathologisches Syndrom.
Verschiedene Ursachen können zum gleichen Syndrom führen,
gleiche Ursachen können verschiedene Syndrome bedingen.
BEISPIELE SPEZIELLER SYNDROME:
Verwirrtheitszustand
Delirantes Syndrom
Dämmerzustand
Hirnorganisches Psychosyndrom
Hirnlokales Psychosyndrom
Oligophrenes Syndrom
Depressives Syndrom
Vitalisiertes („leibnahes“) depressives Syndrom
Manisches Syndrom
Paranoid-halluzinatorisches Syndrom
Katatones Syndrom
Hebephrenes Syndrom
Neurasthenisches Syndrom
Apathisches Syndrom
Hypochondrisches Syndrom
Angstsyndrom
Anankastisches Syndrom
Konversionssyndrom
12
EINTEILUNG PSYCHISCHER STÖRUNGEN (nach ICD 10*)
F0
organisch bedingte St.
F1
Abhängigkeit/Sucht
F2
Schizophrenien
F3
Affektive Störungen
Org. bed. Syndrome
Delire
Demenzen
Alkohol
Opiate
Cannabinoide
Hypnotika
Halluzinogene
Andere Substanzen
Polyvalente Abh./Sucht
verschiedene Subtypen
und Verlaufsformen
Manie
Depression
Bipolare Störung
Dysthymia
Andere
F5
F6
F7
F8
Verhaltensauff., physiol. o. St. der Persönlichkeit
Intelligenzminderungen
St. der Entwicklung
hormonell
Eßstörungen
paranoide
leicht
SprachSchlafstörungen
schizoide
mittel
LeseSt. der Sexualität
dissoziale
schwer
RechtschreibSt. im Wochenbett
emotional instabile
schwerst
Rechenhistrionische
kombinierte
zwanghafte
Autismus
Abhängige
gemischte
Pyromanie usw.
St. der Sexualpäferenz
Fetischismus
Voyeurismus usw.
* Derzeit in Deutschland verwendete „Internationale Klassifikation psychischer Störungen“ der WHO
13
F4
Neurosen/Belastungen
somatoforme St.
Phobien
Angststörungen
Zwangserkrankungen
„Reaktionen“
Konversionsstörung
Psychosomatosen
Neurasthenie
F9
St. des Kindesund Jugendalters
Hyperkinese
Verhaltensstörungen
depressive
phobische
Mutismus
andere
Beispiel für ein Diagnoseschema nach ICD-10
Diagnostische Leitlinien der Schizophrenie
Erforderlich für die Diagnose „Schizophrenie“ ist mindestens ein eindeutiges Symptom (oder gewöhnlich
zwei mehr oder weniger eindeutige) der Gruppen 1, 2 oder 3 oder mindestens zwei Symptome den Gruppen 4, 5 oder 6.
Diese Symptome müssen fast ständig während eines Monats oder länger eindeutig vorhanden gewesen
sein.
1. Gedankenlautwerden, -eingebung oder -entzug, -ausbreitung, Wahnwahrnehmung.
2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Wahninhalte anderer Art, Gefühl des Gemachten bzgl. Körperbewegungen, Tätigkeiten, Empfindungen.
3. Kommentierende Stimmen oder dialogische Stimmen, die über den Patienten sprechen, haben eine
ähnliche Bedeutung wie fast alle halluzinierten Stimmen, die Wochen oder Monate ständig vorhanden
sind.
4. Neben den charakteristischen Wahninhalten, die oben erwähnt sind, können flüchtige, parathyme und
nur teilweise ausgearbeitete Wahngedanken jeglichen Inhalts oder überwertige Ideen auf die Diagnose
hinweisen, wenn sie von Halluzinationen, gleichgültig welcher Sinnesmodalität, begleitet sind.
5. Verflachte oder inadäquate emotionale Reaktionen, zunehmende Apathie, Sprachverarmung
6. Gedankenabreißen Einschiebungen in den Gedankenfluß, was zu Danebenreden und Zerfahrenheit
führt
Die Prodromalphase (vor Beginn produktiver psychotischer Symptomatik) mit unspezifischen Symptomen wie Interessenverlust an der Arbeit, an sozialen Aktivitäten, allgemeiner Angst, Depressivität u.a.
wird in das Zeitkriterium von einem Monat nicht einbezogen. Klar definierter Wahn und Halluzinationen
sind nicht immer vorhanden, besonders bei chronischen Krankheitsbildern. Die Diagnose geht dann oft
vom Vorhandensein sog. „negativer“ Symptome (5 und 6) aus.
aus: MÖLLER: Psychiatrie, Stuttgart 1996
14
KLINISCHE SYSTEMATIK PSYCHISCHER STÖRUNGEN
I
Überwiegend körperlich
begründbare Störungen
II
Ursachen
einzelne Störungsbilder
Primäre Hirnerkrankungen
(Trauma, Entzündung, Degeneration, Intoxikation, Tumor,
Durchblutungsstörungen...)
oder
Systemerkrankungen (Infektionen,
Organschädigungen,
Hormonstörungen, Vitaminmangel...)
akute exogene Psychose oder
chronisches hirnorganisches Psychosyndrom
z.B.
- Demenzen
- Delire
- Oligophrenien
- Morbus Pick
- Progressive Paralyse
- Multiple Sklerose
- Epilepsien
Schizophrenien
Affektive Psychosen
(=Zyklothymien)
-Manie
-Depression
schizoaffektive Psychosen
Neurosen
Persönlichkeitsstörungen
Reaktionen (depressive , Trauerusw.)
Abhängigkeitserkrankungen
Sexuelle Deviationen
genetische Disposition +
psycho(gen)soziale Faktoren
= multifaktoriell
Endogene Psychosen
III
psychogen / psychosozial
(+ evtl. genetisch)
Überwiegend psychogene
Störungen
15
DIE SOGENANNTEN „ENDOGENEN“ PSYCHOSEN
1. DIE SCHIZOPHRENIEN
Begriffsentwicklung:
KRAEPELIN (1893) sieht im Vordergrund der damals häufigen Defektzustände und der Schizophrenia
simplex den frühzeitigen dementiellen Abbau: Dementia Praecox. Erst E. BLEULER differenziert die
verschiedenen Verlauf- und Erscheinungsformen und prägt den Begriff Schizophrenien. Er löst schnell
die diskriminierenden Begriffe wie Verblödungsirresein, Jugendirresein und Verblödungspsychose ab. In
diesem Jahrhundert durchlief die Vorstellung der Ursachen und der daraus abgeleiteten Behandlungsansätze verschiedene Stadien: standen Vererbungskausalitäten in den 30er Jahren (mit ihren rassenwahnhaften und menschenverachtenden Konsequenzen) im Vordergrund, so waren es soziogenetische Vorstellungen in den 60er und 70er Jahren (COOPER). Die Labeling-Hypothese der Psychoanalyse (Schizophrenie
als Neurosevariante) setzte sich ebenfalls nicht durch.
Aktuell stehen sich sozialpsychiatrische, biologische und psychodynamische Modelle gegenüber oder
führen zu einer synergistischen Synthese des Wissens und der Behandlungsmöglichkeiten.
Häufigkeit:
Risiko, zu erkranken (in allen Kulturen) ca. 1% der Bevölkerung
Prävalenz (Stichtag): 0,5-1%
Symptome:
- Denken und Sprache: zerfahren/inkohärent, Konkretismus, Neologismen, Paragrammatismus
usw.
- Ich-Störungen: Depersonalisation, Derealisation, Erlebnisse des Gemachten, Störungen der
Meinhaftigkeit (Gedankenentzug, -eingebung, -abreißen)
- Affektveränderungen: Parathymie, „läppisch“ (-hebephren), Ambivalenz, Affektstarre, Depression (!), Angst(!)
- Katatonie („Anspannung“): von katatonem Stupor bis Raptus, Flexibilitas cerea (wächserne
Biegsamkeit), Katalepsie, Echopraxie...
- Halluzinationen: akustisch (meist Stimmen=Phoneme), optisch (unbestimmt bis szenisch), taktil,
zoenästhetische...
- Wahn: Verfolgungs-, Vergiftungs-, hypochondrischer, Eifersuchts-Wahn
- sog. Negativsymptome: Antriebsarmut, Teilnahmslosigkeit, sozialer Rückzug, „Gefühlsverarmung“, Interesselosigkeit...
- kognitive Störungen: ... der Informationsaufnahme und -verarbeitung
Untergruppen:
paranoid-halluzinatorische Schizophrenie
hebephrene Schizophrenie
katatone Schizophrenie
Schizophrenia Simplex
Ätiologie:
genetisch (gestörte Bildung von Neurotransmittern...)
traumatisch-morphologisch
psychosozial/psychodynamisch
Æ multifaktoriell
Hypothese: konstitutionell vulnerabel + traumatische Lebensereignisse
Beginn:
Prämorbide Persönlichkeit?
Beginn der Symptome: meist zwischen 15.-30. Lj. (selten sind Kinder betroffen), keine Geschlechterbindung, schleichend oder akut, Prodromi (Vorboten)
Verlaufsformen:
16
einfach-progredient - akut-rezidivierend - alle Kombinationen
Prognose:
Faustregel: 1/3 Remission
1/3 mäßige Residualbildung (Reststörung)
1/3 schwere Residualbildung
ca. 50% der Betroffenen leben ohne größere Einschränkungen
Residuum:
Kombination aus früherer akuter Symptomatik mit Vorherrschen so genannter Negativsymptome (s.o.), aber: Nebenwirkung der medikamentösen Behandlung sind (u.a.) „Negativsymptome“
17
3-Phasen-Modell
3-Phasen-Modell
der
der
Schizophrenie
Schizophrenie
von Luc CIOMPI
von Luc CIOMPI
(CIOMPI, 1988)
(CIOMPI, 1988)
18
10 Therapeutische
Therapeutische Prinzipien
Prinzipien bei
bei der
der
10
Behandlung der
der Schizophrenie
Schizophrenie von
von Luc
Luc CIOMPI
CIOMPI
Behandlung
1.
2.
3.
4.
5.
Systematische Einbeziehung des relevanten
sozialen Umfeldes.
Dies betrifft sowohl Angehörige als auch andere
wichtige Bezugspersonen wie Betreuer etc.
Vereinheitlichung der verfügbaren Informationen
Betroffene, Angehörige und professionelle Helfer
sollten über klare und einheitliche Informationen
über die Art der Erkrankung, Verlauf, Ausgang
und Prognose, Risikofak-toren sowie Behandlung
und Prophylaxe verfügen.
Weckung gemeinsamer, positiv-realistischer
Zukunftserwartungen
Aufseiten von Betroffenen, Angehörigen und
professionellen Helfern
Stufenweises Erarbeiten konkreter, gemeinsamer
Behandlungsziele
Zwischen allen Betroffenen sollen konkrete Nahund Fernziele vereinbart werden, auf die
gemeinsam hingearbeitet wird.
Koordination und Kontinuität
Anzustreben ist die fortlaufende Abstimmung
aller Behandlungs-- und Betreuungsmaß-nahmen
sowie die Realisierung eines Höchstmaßes an
konzeptioneller und personeller Kontinuität; ein
professioneller Betreuer sollte für die gesamte
Dauer der Behandlung, also u. U. über Jahre, als
zentrale Bezugsperson fungieren und für den
,roten Faden' sorgen.
19
6. Vereinfachung des therapeutischen Feldes
Dies
gilt
sowohl
für
die
Schaffung
übersichtlicher
und
spannungsarmer
stationärer Mi-lieus als auch für übersichtliche
und
bezüglich
Aufgaben
und
Verantwortlichkeiten
klar
strukturierte
ambulant-komplementäre Kontexte.
7. Einfachheit und Klarheit im Umgang
Insbesondere
affektiv-kognitiv
übereinstimmende Kommunikation.
(Eure Rede sei: ja, ja, nein, nein!)
8. Fortlaufende Optimierung von Anforderungen
Über- und Unterforderungen sind gleichermaßen zu vermeiden. Immer nur ein wichti-ger
Wechsel auf einmal (z.B. in der Wohn-, Arbeits-oder Beziehungssituation).
9. Flexible Kombination von unterschiedlichen
Therapieansätzen
Erst die Kombination von pharmako-, psycho-und soziotherapeutischen Verfahren je nach
individuellem Bedarf und Bedürfnis verspricht
optimale, ,synergetische' Wirkungen.
10. Beachtung spezifischer Zeitfaktoren
Zum Beispiel Zeiten für Veränderungen und
Zeiten
für
Stabilität,
,Eigenzeiten'
und
persönliche Tempi von Betroffenen, zeitliche
Dynamiken
von
Dekompensation
und
Remission etc.
20
Behandlungsphasen in
in der
der Soteria
Soteria Bern
Bern
Behandlungsphasen
(CIOMPI, L.
L. e.a.
e.a. (2001)
(2001)
(CIOMPI,
Die Akutbehandlung
Akutbehandlung
Die
Sie findet im so genannten "Weichen Zimmer"
statt, einem hellen Raum im Erdgeschoss, der
fast nur mit Kissen und zwei Betten ausgestattet
ist. Der hochpsychotische Patient wird rund um
die Uhr 1:1 therapeutisch begleitet. Die
Begleitung erfolgt durch eine ruhig-einfühlsame
Anwesenheit des Betreuers. Das Hauptziel ist die
emotionale Entspannung des Patienten. Erreicht
werden kann das z.B. durch gemeinsames
Schweigen oder zufällig entstehende Gespräche,
gemeinsame Spa-ziergänge, kreative Aktivitäten
oder Fußmassagen. Der Aufenthalt im Weichen
Zimmer dauert mehrere Tage bis Wochen. Aus
Platzgründen können höchstens zwei hochpsychotische Patienten gleichzeitig in der
Wohngemeinschaft aufgenommen werden.
21
Behandlungsphasen in
in der
der Soteria
Soteria Bern
Bern
Behandlungsphasen
(CIOMPI, L.
L. e.a.
e.a. (2001)
(2001)
(CIOMPI,
Die Aktivierungsphase
Aktivierungsphase
Die
Der Übergang von der Akutphase zur Aktivierungsphase erfolgt Schritt für Schritt. Allmählich
wird der Aktionsradius wieder geweitet und die
Alltagsbelastungen werden gesteigert. Das Ziel ist
die
allmähliche
Realitätsanpas-sung.
Der
Bewohner wird in die alltäglichen Gemeinschaftsaktivitäten wie Kochen, Putzen und
Einkaufen eingebunden. Gleichzeitig versuchen
zwei Bezugspersonen aus dem Betreuerteam
gemeinsam mit dem Bewohner die psychotische
Entwicklungskrise in die persönliche Lebensgeschichte
einzuordnen.
Auch
Familienangehörige werden, wenn möglich, einbezogen.
Diese Einordnung ist keine Psychotherapie. Eine
Psychotherapie wird erst in der 4. Phase, von
externen Therapeuten, durchgeführt.
22
Behandlungsphasen in
in der
der Soteria
Soteria Bern
Bern
Behandlungsphasen
(CIOMPI, L.
L. e.a.
e.a. (2001)
(2001)
(CIOMPI,
Die Wiedereingliederungsphase
Wiedereingliederungsphase
Die
Das ist die Phase der Orientierung nach außen
und in die Zukunft. Kontakte zur gewohnten
Umgebung werden hergestellt und die Bereiche
Arbeit und Wohnen in den Blick genommen. Ein
schrittweiser Übergang z.B. in eine geschützte
Werkstatt oder eine andere sozialpsychiatrische
Einrichtung wird vorbereitet. In dieser Phase
beginnt auch eine gezielte Rückfallprophylaxe, in
der
psychosenahe
Vorbotensymptome
und
mögliche Selbstmedikation analysiert werden.
Nachbetreuungsphase
Diese Phase soll den Stand des bisher Erreichten
sichern.
Sie
dient
der
Fortführung
der
Rückfallprophylaxe und der Verarbeitung des
psy-chotischen Erlebens.
Um eine Kontinuität in der Betreuung zu
erreichen, sind die jeweils zwei anwesenden
Betreuer in einem sich überlappenden 48Stundendienst
ununterbrochen
in
der
Wohngemeinschaft anwesend. Zu der Familie und
anderen Bezugspersonen werden möglichst gute
Kontakte hergestellt. Neuroleptische Medikamente,
manchmal
auch
Beruhigungsmittel,
werden nur in kleinen und gezielten Dosen und
nur mit Absprache und Einverständnis der
Patienten gegeben.
23
Behandlungsphasen in
in der
der Soteria
Soteria Bern
Bern
Behandlungsphasen
(CIOMPI, L.
L. e.a.
e.a. (2001)
(2001)
(CIOMPI,
Medikamentengabe
Medikamentengabe
In der Soteria Bern wurde die Erfahrung gemacht,
dass akut psychotische Symptome mit wesentlich
geringeren Dosen neuroleptischer Medikamente
zum Abklingen oder zur wesentlichen Besserung
gebracht werden können. Die berufliche und
soziale Wiedereingliederung und die Rückfallraten
entsprachen denen der gängigen Krankenhausbehandlung. Anfänglich hohen Kosten ließen sich
auf ein den Krankenhäusern vergleichbares Maß
senken.
CIOMPI
sieht
die
psychosentherapeutische
Wirkung des Soteria-Ansatzes nicht in einzelnen
Therapieelementen oder Milieufaktoren, sondern
in „...ihrer Kombination zu einem nachhaltig
spannungslösenden
Ganzen.“.
Zu
diesem
Gesamteffekt
tragen
das
allen
Betreuern
zugrunde liegende Psychoseverständnis, der
Aufbau von kontinuierlichen und von Respekt
geprägten zwischenmenschlichen Beziehungen
und der atmosphärische Gesamteindruck von
Haus und Garten bei.
24
Vorphasen der Schizophrenie vom ersten Zeichen der
Erkrankung bis zur Erstaufnahme (HÄFNER 1998)
25
26
27
28
29
30
2. DEPRESSION UND MANIE (ZYKLOTHYMIE)
(affektive Psychosen)
Häufigkeit:
Risiko, zu erkranken: 0,6-1% (depressive Phasen häufiger als manische)
Prävalenz (Stichtag): ca. 1%
Symptome Depression:
- Stimmung: niedergedrückt, traurig, hoffnungslos, schwermütig, ängstlich(!), mürrisch, Gefühl
der inneren Leere, Gefühl der Gefühllosigkeit, mutlos, hilflos, unschlüssig, wankelmütig
- Affekt: flach, wenig schwingungsfähig
- Antrieb: vermindert bis stuporös oder agitiert-getrieben
- Psychomotorik: verlangsamt, erschwert, Mangel an Frische und Spannung, Verminderung der
Mimik und Gestik
- Denken: verlangsamt, gehemmt, eingeengt, ideenarm, scheinbare Intelligenzminderung, Schuldgefühle
- Wahn: hypochondrisch, Verarmungs-, Schuld-, nihilistischer, Versündigungs-, evtl. mit paranoider Färbung
- (Pseudo-)Halluzinationen: „innere Stimme“, anklagende Stimmen, olfaktorische
- Zwänge: Zwangsbefürchtungen, -gedanken, -handlungen, Grübelzwang
- Aufmerksamkeit u. Auffassung: reduziert
- Tagesrhythmus: Morgentief, abends Stimmungsaufhellung
- Suizidalität: latent oder akut (nie unterschätzen!)
- somatische Komponente: Schlafstörungen, Appetitmangel, gastrointestinal (Übelkeit, Erbrechen,
Verstopfung/Diarrhoe), Herz/Kreislauf, urogenital, Libido u. Potenz, Engegefühle usw.
Symptome Manie:
- Stimmung: gehoben, gut (bis best-) gelaunt, sorglos heiter, mitreißend-fröhlich bis gereiztunkontrollierbar erregt, euphorisch, Glückseligkeit, strahlender Optimismus
- Affekt: dauerhaft glücklich, dabei leicht aggressiv werdend
- Antrieb: gesteigert, überaktiv, Rededrang, reduziertes Schlafbedürfnis
- Psychomotorik: gesteigert bis ausufernd-unbremsbar, z.T. heftiges Gestikulieren, rastlose Vielgeschäftigkeit
- Denken: beschleunigt bis assoziativ-aufgelockert (ideenflüchtig), Größenideen, Kritikschwäche
(„Kaufrausch“), Selbstüberschätzung, Wortspiele
- Wahn: Größen-, Liebes-, selten: Verfolgungs- Halluzinationen: selten, eher flüchtig (optisch, akustisch)
- Aufmerksamkeit und Konzentration: scheinbar gesteigert
- Suizidalität: keine, aber: Fehlhandlungen im Rahmen des Krankheitsgeschehens
- somatische Komponente: Appetitmangel bis -verlust („ich brauche nichts!“), Schlafstörungen,
Hypersexualität
Ätiologie:
- genetisch
- traumatisch (körp. Erkrankungen, seelisch)
- psychosozial/psychodynamisch
→ multifaktoriell
Beginn:
30.-40. Lj., Frauen häufiger von depressiver Phase betroffen (7:3)
schleichend oder akut
Verlauf:
31
phasenhafter Verlauf (zyklothym):
mehr oder weniger gut abgrenzbare manische oder depressive Phasen
Verlaufsformen:
- mono(phasisch)polar depressiv - einmalig oder rezidivierend
- mono(phasisch)polar manisch "
- bipolar "
- „rapid cycler“
schneller Wechsel der Phasen
Dauer der Phasen:
3-4 Monate (Tage bis Jahre)
Intervall:
in der Regel vollständige Remission (s.u.)
Häufigkeit der Rezidive:
ca. 20% einmalige Phase (25% mehr als 8 Phasen)
Nähe zu Schizophrenien:
- Fragliche Diagnose: schizoaffektive Psychose mit Symptomen der Schizophrenien und
der Manie/Depression (Häufigkeit unsicher)
Prognose:
7% der Betroffenen entwickeln ein Residuum
Aber: bis 20% Suizidhäufigkeit!
Abgrenzung zu anderen Depressionsformen:
-phasenhafter Verlauf, Tagesrhythmus, psychotische Komponente, Kausalität mit Auslösesituation schwerer herstellbar
Anmerkung:
Psychose: „Vorübergehende oder sich stetig verschlechternde psychiatrische Erkrankung (Störung) mit
erheblicher Einschränkung /Beeinträchtigung psychischer Funktionen mit vor allem gestörtem Realitätsbezug, mangelnder Einsicht und Fähigkeit, üblicher sozialer Norm bzw. Lebensanforderung zu genügen.“
Problem: unklare Definition, die auch nicht einheitlich verwendet wird. Zudem schwierige Abgrenzung
gegenüber nicht-psychotischen Störungen.
Neurose: „Psychisch bedingte Gesundheitsstörung, deren Symptome unmittelbare Folge und symbolischer Ausdruck eines krankmachenden
seelischen Konfliktes sind, der unbewußt bleibt. Der Konflikt
liegt in der (frühen) Kindheit und die Symptomatik spiegelt einen Kompromiß zwischen Triebwünschen
und einer ihre Verwirklichung verhindernden Abwehr wider.“ (nach S. FREUD)
Problem: Definition ist hypothetisch und die Diagnose kann nur im Rahmen einer psychoanalytischen
Anamnese oder Therapie verifiziert werden.
32
FORMEN DER DEPRESSION
1. sog. endogene Depression (affektive Psychose s. S 15-16)
2. reaktive Depression („depressive Antwort“ auf Lebensereignisse)
3. neurotische Depression (s. S.14ff)
4. sog. Involutionsdepression (Spätdepression im Senium)
5. körperlich begründbare Depression
a. symptomatische Depression (Medikamente (!), Erkrankungen s.u.)
b. (hirn-)organische Depression (posttraumatisch, Demenzen, Epilepsien...)
6. Saisonale Depression („Winterdepression“)
7. Wochenbettdepression
8. larvierte Depression (stellt sich in Form körperlicher Symptome dar)
9. klimakterische Depression (?)
zu 5a.: Medikamente: Analgetika, Antiphlogistika, Antirheumatika, Antibiotika, Antiepileptika, Antihypertonika, Anti-Parkinsonmittel, Appetithemmer, Hypnotika, Tranquilizer, Immunsuppressiva, Migränemittel, Neuroleptika, Nootropika, Kortisonpräparate...
Erkrankungen: Über- und Unterfunktion von Schilddrüse, Nebenschilddrüse oder Nebenniere; Herzinsuffizienz, Herzfehler, arterielle Hyper- und Hypotonie, Herzschrittmacher, Z.n. Bypass-OP; Colitis, Hepatitis, Leberzirrhose, chronische Pankreatitis; Niereninsuffizienz, chr. Pyelonephritis, Prostataadenom, Hämodialyse, Z.n. Nierentransplantation; Rheumatismus; Anämie, Porphyrie, Hyper- und Hypoglykämie,
Vitaminmangel (z.B. Folsäure); Infektionen; Intoxikationen; Z.n. Radiatio (Bestrahlung); tumoröse Erkrankungen...
33
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
(„Psychopathien“, „abnorme Persönlichkeiten“
„akzentuierte Persönlichkeiten“)
Definition von Persönlichkeit:
Die Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare Individualität verleihen.
Definition PST:
Störungen des Verhaltens und Fühlens, die nicht als Reaktion auf äußere Ereignisse zu verstehen sind und
nicht durch neurotische Symptome bestimmt sind.
Verhalten und Einstellung ist nicht Ich-fremd.
Problem der PST:
Abgrenzung zum „Normalen“, Individuellen, Neurotischen
Einteilung:
-paranoide
-schizoide
-„antisoziale“ (dissoziale)
-Borderline-Syndrom (Übergang zwischen neurotisch und psychotisch)
-histrionische
-narzisstische
-zwanghafte (anankastische)
-selbstunsichere (vermeidende)
-dependente („abhängige“)
-asthenische
„Die Tatsache, daß keine ich-fremden Symptome im Vordergrund stehen, sondern die Einstellung gegenüber der Umwelt, macht es problematisch, diese Menschen ohne weiteres als abnorm oder krankhaft zu
etikettieren. Es ist aber ebenso problematisch, es nicht zu tun, etwa einfach an ihren Willen zu appellieren, ihnen oder ihrer Erziehung Schuld und Verantwortung zuzuschreiben. Diese Verhaltensweisen bringen für die Gesellschaft und für die Menschen häufig erhebliche Belastungen mit sich und, wenn Ärzte
und Psychotherapeuten nicht ihre Stimme erheben, nimmt die Gesellschaft häufig selbst gewöhnlich unterdrückend oder strafend Stellung“ (Walter BRÄUTIGAM)
34
Spezielle Psychiatrie
Psychiatrie
Spezielle
Borderline-Störung 11
Borderline-Störung
Historisches:
Historisches:
HUGHES prägt
prägt den
den Begriff
Begriff Borderland
Borderland
HUGHES
1884, also
also vor
vor KRAEPELINS
KRAEPELINS dementia
dementia
1884,
praecox (1893)
(1893) und
und BLEULERS
BLEULERS SchizoSchizopraecox
phrenie (1908).
(1908).
phrenie
BLEULER
rechnet
sie
zu
den
BLEULER
rechnet
sie
zu
den
Persönlichkeitsstörungen (damals
(damals PsychoPsychoPersönlichkeitsstörungen
pathien), während
während FREUD
FREUD u.a.
u.a. sie
sie zu
zu den
den
pathien),
Hysterien zählte.
zählte. FREUD
FREUD selbst
selbst spricht
spricht
Hysterien
von sehr
sehr schweren
schweren Hysterien,
Hysterien, die
die nicht
nicht
von
zum Kern
Kern der
der neurasthenischen
neurasthenischen Neurosen
Neurosen
zum
gehörten, die
die Grenzsteine
Grenzsteine zwischen
zwischen
gehörten,
Neurosen und
und gemischten
gemischten Neurosen
Neurosen seien
seien
Neurosen
noch nicht
nicht gesetzt.
gesetzt. REICH
REICH (1925)
(1925) und
und
noch
STERN
(1938)
beschreiben
diese
STERN
(1938)
beschreiben
diese
Störungsgruppe genauer
genauer und
und geben
geben auch
auch
Störungsgruppe
Hinweise zur
zur (psychoanalytischen)
(psychoanalytischen) BeBeHinweise
handlung. HOCH
HOCH und
und POLATIN
POLATIN (1949)
(1949)
handlung.
sprechen von
von „Pan“-Neurose
„Pan“-Neurose und
und der
der im
im
sprechen
Vordergrund stehenden
stehenden „Pan“-Angst
„Pan“-Angst und
und
Vordergrund
„Pan“-Sexualität. KERNBERG
KERNBERG schließlich
schließlich
„Pan“-Sexualität.
(1971, 1978,
1978, 1990)
1990) beschreibt
beschreibt das
das
(1971,
Syndrom genauer,
genauer, wobei
wobei er
er einführt,
einführt, dass
dass
Syndrom
spezifische Abwehrmechanismen
Abwehrmechanismen für
für die
die
spezifische
Diagnose wegweisend
wegweisend seien.
seien.
Diagnose
35
Spezielle Psychiatrie
Psychiatrie
Spezielle
Borderline-Störung 22
Borderline-Störung
Historisches (Forts.):
(Forts.):
Historisches
Bereits im
im DSM-III
DSM-III wird
wird die
die BorderlineBorderlineBereits
PST mit
mit operationalisierten
operationalisierten DiagnoseDiagnosePST
kriterien aufgenommen.
aufgenommen. Im
Im DSM-IV
DSM-IV
kriterien
werden neun
neun Kriterien
Kriterien zur
zur DiagnoseDiagnosewerden
stellung genannt.
genannt. Im
Im ICD-10
ICD-10 kommt
kommt die
die
stellung
Diagnose als
als Untergruppe
Untergruppe der
der „emotional„emotionalDiagnose
instabilen PST“
PST“ vor,
vor, die
die Beschreibung
Beschreibung ist
ist
instabilen
eher diffus.
diffus.
eher
Symptome:
Symptome:
Deskriptive Ebene
Ebene
Deskriptive
•chronische, frei
frei flottierende
flottierende Angst
Angst
•chronische,
•Multiple Phobien
Phobien
•Multiple
•Zwangssymptome
(Denken
oder
•Zwangssymptome
(Denken
oder
Handlungen)
Handlungen)
•Konversionssymptome
•Konversionssymptome
•Dissoziative Reaktionen
Reaktionen
•Dissoziative
•Aggressionen
•Aggressionen
•Multiple Persönlichkeit
Persönlichkeit
•Multiple
•Depression
•Depression
•gestörte Sexualität
Sexualität
•gestörte
•Psychosomatische Symptome
Symptome
•Psychosomatische
•Psychotische Symptome
Symptome
•Psychotische
•Verlust der
der Impulskontrolle
Impulskontrolle
•Verlust
•Sozialverhalten (Delinquenz,
(Delinquenz, Sucht)
Sucht)
•Sozialverhalten
36
Spezielle Psychiatrie
Psychiatrie
Spezielle
Borderline-Störung 33
Borderline-Störung
Symptome:
Symptome:
Strukturelle Ebene
Ebene
Strukturelle
•Spaltung
•Spaltung
•Primitive Idealisierung
Idealisierung
•Primitive
•Projektive
Identifizierung,
Identifi•Projektive
Identifizierung,
Identifizierung mit
mit dem
dem Angreifer
Angreifer
zierung
•Omnipotenzgefühl und
und Entwertung
Entwertung
•Omnipotenzgefühl
•Verleugnung
•Verleugnung
In 90%
90% der
der Fälle
Fälle zusätzliche
zusätzliche psychiapsychiaIn
trische Diagnose
Diagnose möglich:
möglich: affektive
affektive Strg.,
Strg.,
trische
Essstörungen, somatoforme
somatoforme Strg...
Strg... (Ko(KoEssstörungen,
morbidität)
morbidität)
Gegenübertragung
Gegenübertragung
•heftige Gefühle
Gefühle
•heftige
•Wut (!)
(!)
•Wut
•Hilflosigkeit
•Hilflosigkeit
•Streit im
im Team,
Team, zwischen
zwischen Profis
Profis
•Streit
•Gefühl der
der Kränkung
Kränkung
•Gefühl
•Mitleid
•Mitleid
•Trauer
•Trauer
Epidemiologie:
Epidemiologie:
viele methodische
methodische Unschärfen
Unschärfen
viele
Prävalenz ca.
ca. 1-2%
1-2%
Prävalenz
37
Spezielle Psychiatrie
Psychiatrie
Spezielle
Borderline-Störung 44
Borderline-Störung
Ätiologie:
Ätiologie:
•schwere Störung
Störung der
der frühen
frühen Entwicklung
Entwicklung
•schwere
(1.-3. Lebensjahr)
Lebensjahr) mit
mit Enttäuschung,
Enttäuschung,
(1.-3.
Frustration, Angst
Angst
Frustration,
•hoher Prozentsatz
Prozentsatz schwerer
schwerer physischer
physischer
•hoher
und psychischer
psychischer Traumatisierung
Traumatisierung durch
durch
und
massive Gewalt
Gewalt und/oder
und/oder sexuellen
sexuellen
massive
Missbrauch (bis
(bis 90%!)
90%!) s.
s. Grafiken
Grafiken
Missbrauch
Therapie:
Therapie:
•variabel
je
nach
Schwere
der
•variabel
je
nach
Schwere
der
Symptomatik
und
Fähigkeit,
sich
Symptomatik
und
Fähigkeit,
sich
einzulassen
einzulassen
•eher langfristig
langfristig und
und intensiv
intensiv (es
(es gibt
gibt
•eher
i.d.R. schon
schon viele
viele Therapieabbrüche)
Therapieabbrüche)
i.d.R.
•möglichst Psychotherapie
Psychotherapie mit
mit sehr
sehr
•möglichst
erfahrenen Therapeuten/innen
Therapeuten/innen
erfahrenen
•ggf. längerfristig
längerfristig stationär
stationär in
in einer
einer
•ggf.
spezialisierten Einrichtung
Einrichtung (Monate)
(Monate)
spezialisierten
•„eine/r sollte
sollte den
den Überblick
Überblick haben“
haben“
•„eine/r
38
Spezielle Psychiatrie
Psychiatrie
Spezielle
Borderline-Störung 55
Borderline-Störung
Therapie:
Therapie:
•variables Setting
Setting
•variables
•Technische Neutralität
Neutralität der
der Therapeuten
Therapeuten
•Technische
•„Haltende Funktion“
Funktion“ (WINNICOTT)
(WINNICOTT)
•„Haltende
•Kontrolle des
des Agierens
Agierens (Grenzen
(Grenzen setzen)
setzen)
•Kontrolle
•Informierung der
der Patienten
Patienten
•Informierung
•Verbesserung des
des Realitätsbezuges
Realitätsbezuges
•Verbesserung
•zunächst Konzentration
Konzentration auf
auf wenig
wenig
•zunächst
konflikthafte Persönlichkeitsbereiche
Persönlichkeitsbereiche
konflikthafte
•Vermeidung genetischer
genetischer Deutungen
Deutungen
•Vermeidung
•Konfrontation der
der Patienten
Patienten
•Konfrontation
•Schnelles Unterbrechen
Unterbrechen des
des Schweigens
Schweigens
•Schnelles
•Forcierung der
der positiven
positiven Übertragung
Übertragung
•Forcierung
(ohne Interpretation)
Interpretation)
(ohne
•Aufspüren der
der negativen
negativen Übertragungen
Übertragungen
•Aufspüren
•Entteufelung und
und Entidealisierung
Entidealisierung
•Entteufelung
•Bestätigung der
der Liebesfähigkeit
Liebesfähigkeit
•Bestätigung
•immer
wieder:
Erläuterung,
dass
•immer
wieder:
Erläuterung,
dass
technische Neutralität
Neutralität keine
keine Ablehnung
Ablehnung
technische
ist
ist
•Deutung der
der Gegenübertragung
Gegenübertragung
•Deutung
•Psychopharmaka besonders
besonders sorgfältig
sorgfältig
•Psychopharmaka
und rational
rational einsetzen
einsetzen (Abhängigkeit,
(Abhängigkeit, SV,
SV,
und
paradoxe Wirkung...)
Wirkung...)
paradoxe
•s. Grafiken
Grafikenborderline_grafiken.ppt
borderline_grafiken.ppt
•s.
39
Die DSM-IV-Kriterien zur Diagnose
„Borderline-PST“
40
Zur Ätiologie von Borderline-PST
41
Zur Ätiologie von Borderline-PST
42
Borderline-PST, sexueller Mißbrauch als ätiologischer Faktor
43
Borderline-PST, frei flottierende Angst
44
DBT: 2 Jahre ambulante Einzel-Pth + 645Monate Gruppen-Pth
STATT: bis zu 2 Jahre stationäre Pth, danach ambulante Pth
46
47
48
49
ORGANISCH BEDINGTE PSYCHISCHE STÖRUNGEN
Ätiopathogenese:
ursächlich sind akute oder chronische körperliche Hirn- oder Allgemeinerkrankungen:
akute oder chronische Intoxikationen (Alkohol, Drogen, Medikamente, Blei, Mangan, Quecksilber,
Schwefelkohlenstoff, Arsen, Thallium, Kohlenmonoxid, Pestizide, Pilzgifte...);
Hirntraumata, Entzündungen des Gehirns, Hirntumoren, Arteriosklerose, Herzerkrankungen, Nieren- u.
Leberversagen, Dialyse, Hypoglykämie, Hyper- u. Hypothyreose, Vitaminmangel...
Je nach Dosierung bzw. Ausprägung der Grundstörung entwickelt sich eine akute oder chronische Störung.
Die psychopathologische Symptomatik ist wenig spezifisch für die einwirkende Noxe.
1. AKUTE EXOGENE PSYCHOSE
(AKUTER EXOGENER REAKTIONSTYPUS)
Symptomatik:
BEWUSSTSEINSSTÖRUNG
Leitsymptom
ORIENTIERUNGSSTÖRUNG
„
KONZENTRATIONSSCHWÄCHE
„
AUFFASSUNGSSCHWÄCHE
„
MERKFÄHIGKEITSSTÖRUNG
„
St. der Psychomotorik
St. der Stimmung und des Affektes
St. des Denkens
Wahrnehmungsstörungen
Ich-Störungen
Wahnvorstellungen/illusionäre Verkennungen
⇒ neurologische und internistische Symptomatik
Die Symptome treten in verschieden starker Ausprägung und Kombination auf.
Subtypen:
- Delirium
- Verwirrtheitszustand
- Bewusstseinsminderung (Somnolenz bis Koma)
- Dämmerzustand
Verlauf:
Meist Wochen bis wenige Monate; Symptomatik ist grundsätzlich reversibel in Abhängigkeit der Entwicklung der Grunderkrankung.
50
2. CHRONISCHES HIRNORGANISCHES PSYCHOSYNDROM
(HOPS)
Symptomatik:
Störungen der Mnestik (Gedächtnis) mit Konfabulationen
LEITSYMPTOM
Orientierungsstörungen
„
Auffassungsstörungen
Konzentrationsschwäche
Urteilsschwäche
Gedankenarmut
Perseverationen (Haften an eingeschlagener Vorstellung)
Affektlabilität bis -inkontinenz
Störungen der Stimmung
evtl. Wahnsymptomatik, Ich-Störungen
Wesensveränderung oder -akzentuierung
⇒ KEINE Bewusstseinsstörung
⇒ neurologische und internistische Symptomatik der Grunderkrankung
Subtypen:
- dementielle Prozesse (s.u.)
- organisch amnestisches Syndrom (KORSAKOW-Syndrom)
- hirnlokales Psychosyndrom (mit relativ spezifischer Symptomatik je nach Lokali-sation der
Schädigung)
Verlauf:
chronisch-progredient (fortschreitend) oder subakut (mäßig akut)
PRIMÄR DEGENERATIVE HIRNERKRANKUNGEN
Demenzen
Häufigkeit: ca. 3% der über 65-jährigen / 20-30% der über 85-jährigen
Subtypen
-senile Demenz vom Alzheimer-Typ und Morbus Alzheimer
Beginn schleichend nach dem 65. Lj.; zu den oben aufgelisteten Symptomen kommen häufig noch
hinzu: „leere Beschäftigungsunruhe“ („Scheintätigkeit“), Logoklonien (Wiederholung von Wortanfängen), Aphasie, Agraphie, Alexie, Apraxie, depressive Verstimmungen, Mißtrauen, Verfolgungswahn, Unruhe, Erregbarkeit, Verlauf über viele Jahre
⇒ „Morbus Alzheimer“ beginnt vor dem 65. Lj. (präsenile Demenz) und führt innerhalb weniger Jahre
zum Tode
-vaskulär bed. Demenzen (Strg. d. Blutzirkulation im Gehirn; Multiinfarktdemenz)
Verlauf eher schubweise, Verwirrtheitszustände (nachts!), wechselhafte Ausprägung der Symptomatik mit „luziden Intervallen“ und akuten Verschlechterungen, neurologische Herdsymptome
(nicht die Regel)
- + ca. 40 andere bekannte Ursachen
51
Andere primär hirndegenerative Erkrankungen
-Pick’sche Krankheit (Morbus Pick)
Beginn im 5. Lebensjahrzehnt mit Antriebsminderung oder -steigerung mit Ent-hemmung und
evtl. Sprachstörungen, später dementieller Abbau
-Chorea Huntington
autosomal-dominanter Vererbungsmodus, Beginn im 3. bis 5. Lebensjahrzehnt, zunächst Wesensveränderung, Reizbarkeit, später Hyperkinesen und schwerer dementieller Abbau, Störungen der
Kau- und Sprechmuskulatur; nach 10-15 Jahren Tod durch Kachexie (Auszehrung) und interkurrente (zwischenzeitlich auftretend) Infekte
-Morbus Parkinson
Akinese: Verlangsamung und Verminderung der Spontan- und Willkürmotorik, Mikrographie
(Frühsymptom), Hypomimie, verminderte Mitbewegung der Arme beim Gehen, kleinschrittiger
schlurfender Gang, Start- und Stopstörungen (Bewegungsabläufe können nicht oder erschwert gestartet oder abgebremst werden)
Rigor: wächserne Tonuserhöhung der Muskulatur, gebundene Körperhaltung, vornübergeneigter
Oberkörper, „Zahnradphänomen“
Tremor: meist der Hände und/oder des Kopfes in Ruhe und bei affektiver Erregung, „Pillendrehen“ oder „Geldzählen“, Sistiert bei Willkürbewegungen
Bewegungsstörungen der rumpfnahen Muskulatur: Umdrehen im Bett, Aufstehen aus dem Sitzen,
Drehung des Körpers; „freezing“: plötzliche Unbeweglichkeit; Schaukelbewegungen des Kopfes;
leises Sprechen bei Verarmung der Sprache; „psychisches Kopfkissen“
Vegetativum: erhöhter Speichelfluß, Überfunktion der Talgdrüsen („Salbengesicht“), vermehrtes
Schwitzen
Psyche: depressive Verstimmung, Bradyphrenie (Verlangsamung des Denkens), Dysphorie (besonders nachts), Suizidalität durch Gefühl der Aussichtslosigkeit; dementieller Abbau wird meist
durch die neurologische Symptomatik vorgetäuscht!, selten echte Demenz im Verlauf
-Creutzfeldt-Jakobsche Erkrankung (CJD)
durch übertragbares Agens (Protein, slow-virus?), aber auch familiär gehäuft; meist progrediente
Demenz mit zusätzlichen neurolgischen Symptomen wie spastische Lähmungen, Ataxie usw.;
führt nach 1-2 Jahren zum Tod
52
SUIZIDALITÄT
Begriffe
Suizidale Verhaltensweisen
Suizididee
Suizidversuch (SV)
Suizid
parasuizidale Pause
Wunsch nach Ruhe, Schlafenwollen, Abschalten ohne den klaren Wunsch, sterben zu wollen
parasuizidale Geste
Appell an Mitmenschen, Arrangement des SV eröffnet Möglichkeit, gefunden zu werden
parasuizidale Handlung mit ausgeprägter Autoaggression
Intention, zu sterben; Arrangement „sicher“; Methode „hart“
Gibt es ernsthafte und nicht-ernsthafte SV?
Jeder SV ist Ausdruck einer ernsthaften (lebensbedrohlichen) Krise, wenn man auch anhand der o.g. Kriterien SVe unterteilen kann, so darf dies nicht dazu führen, scheinbar nicht-ernsthafte SV zu bagatellisieren.
Epidemiologische Daten
- Unsicherheit der Daten durch methodische Probleme (Dunkelziffer...)
- große Häufigkeitsunterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Regionen
- Rate (Fälle/100.000 Einwohner) zwischen 45 (Ungarn) und 0,3 (Malta) 1986
- in Deutschland ca. 14.000 Suizide/Jahr (Rate 18-20/100.000)
- Männer : Frauen = 2-3 : 1
- SV-Rate ca. 10-30x höher, Frauen überwiegen
- Alter: SV häufiger bei 15-34jährigen, Suizide häufiger ab 50.Lj.
- Personenstand: Geschiedene>Verwitwete>Ledige>Verheiratete
- soziale Situation: keine Schichtzugehörigkeit als Prädiktor, aber: Arbeitslosigkeit
- Wohnort: Stadt>Land
Entstehungstheorien
- genetisch-biologische Theorien: familiäre Häufung von Suiziden, Zwillingsforschung
- soziale Theorien: Unterschiede der Suizidraten durch sozialen, religiösen, gesellschaftlichen Einfluß
- psychologische Theorien: Psychoanalyse (Narzissmustheorie, Aggressionstheorie), Lerntheorie (Immitation)
Klinik
- präsuizidales Syndrom: Einengung, Depression, (gehemmte) Aggression, Flucht in Irrealität, Impulsdurchbruch, Ambivalenz, „Ruhe vor dem Sturm“
- Depression: retrospektiv litten ca. 50% an depressiven Störungen
- Aggression: hoher Skalenwert für Aggression nach innen und außen
- andere psychiatrische Störungen: bei 80-100% der Suizidenten kann retrospektiv eine psychiatrische
Störung diagnostiziert werden, Reihenfolge: affektive Strg. > Suchterkrankungen > Schizophrenien >
Persönlichkeitsstrg. > Neurosen
53
Verläufe
- 10-35% erneuter SV in den ersten 2 Jahren
- 20-50% der durch Suizid Verstorbenen unternahmen vorher SV
- 80% der nach SV stationär Aufgenommenen sind nach 2-7 Tagen nicht mehr suizidal
Risikofaktoren
- psychische Störungen/Suchterkrankungen (s.o.)
- Verfolgte/Minderheiten
- Flüchtlinge
- Straftäter
- Menschen mit chronischen (unheilbaren) Erkrankungen
- alte Menschen
- Menschen in sozialer Not
- Menschen während Partnerschaftskrisen
- Menschen, in deren Umgebung ein Suizid stattfand
- nach dem Tod eines nahen Angehörigen
Prävention
primär:
strukturelle Maßnahmen:
- Verbesserung der psychosozialen Bedingungen...
- closing the exits: Hausgasentgiftung, Waffengesetze
- Verbesserung der psychosozialen Versorgung
- Aufklärung der Bevölkerung
- Schulung therapeutischen Personals/der Ausbilder
sekundär:
Aufbau flächendeckender Präventionseinrichtungen (Krisendienste, „-telefone“)
Therapie
siehe unter „Psychiatrische Hilfsangebote“ und „Therapie psychischer Störungen“, auf die spezifischen
therapeutischen Hilfen wie Kriseninterventionsmodelle und psychotherapeutische Verfahren kann hier
nicht eingegangen werden.
Immer wieder reagieren Menschen in suizidalen Krisen erleichtert, wenn überhaupt jemand auf die Idee
kommt bzw. den Mut und die Offenheit zeigt, das Gespräch auf dieses „heikle“ Thema zu bringen. Erst
dann können das Ausmaß der Krise erkannt und geeignete Hilfsangebote gesucht werden...
54
ABHÄNGIGKEITSERKRANKUNGEN
1. ALLGEMEINE BEGRIFFE
Abhängigkeit ist immer das Ergebnis eines (mehr oder weniger scheiternden) Versuchs der Anpassung, Angstabwehr und Selbsthilfe.
Droge
im engeren Sinne: alle Substanzen, die das Gehirn bzw. das Handeln beeinflussen (enzephalo- und psychotrope Substanzen)
Missbrauch
„schädlicher Gebrauch“ einer Substanz, der zu Folgeschäden auf körperlichem oder psychosozialem Gebiet führt (u.a. auch delinquente Handlungen)
Abhängigkeit (früher: Sucht)
- Auftreten von körperlichen Entzugserscheinungen
- Toleranzveränderungen (es wird mehr oder weniger Substanz „vertragen“)
- Substanz wird eingesetzt, um Entzugssymptome zu mildern
- Wunsch bis Zwang, die Substanz zu konsumieren
- Kontrollverlust
- Konsum bei „unüblichen“ Gelegenheiten (Arbeit, Straßenverkehr)
- Interesseneinengung (auf Substanzkonsum)
- Anhaltender Konsum wider besseres Wissen
- Frage: was/wer ist „unabhängig“?
Seelische Abhängigkeit
Verlangen, eine Droge erneut zu konsumieren, ist schwer bezwingbar; Verlust der Konsumkontrolle;
Versuche, sich das Mittel um jeden Preis zu beschaffen
körperliche Abhängigkeit
Anpassungszustand mit Toleranzentwicklung (zur gleichen Wirkung muß eine höhere Dosis zugeführt
werden) und Entzugserscheinungen nach Reduktion oder Absetzen der Substanz
Politoxikomanie
Die (zunehmende) Praxis, mehrere Substanzen gleichzeitig oder nacheinander zu konsumieren
Craving
starkes Verlangen nach der entsprechenden Substanz
Gesellschaftliche Bedingungen
- Umgang mit psychotropen Substanzen bzw. davon Abhängigen ist kulturell verschieden (Bsp. Alkoholverbot in islamischen Regionen; soziale Ausgrenzung von Menschen im Vollrausch in Italien; Permission von Cannabis in NL...)
- Staaten beziehen über den Verkauf von psychotropen Substanzen Steuereinnahmen
- ganze Industriezweige „leben“ von der Abhängigkeit (Alkohol-, Tabak-, Pharmaindustrie)
- Gesetzgebung: Abhängigkeit als Krankheit oder „Willensschwäche“; Bestrafung oder Behandlung
55
2. ALKOHOLKRANKHEIT
Einige epidemiologische Daten
- Deutschland liegt mit einem jährlichen pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol in der „Spitzengruppe“
der Länder (>10 l)
- Der pro-Kopf-Verbrauch hat sich in D in den letzten 40 Jahren vervierfacht
- Ca. 50% der Deutschen trinken fast 100% der Gesamtmenge, ca. 10-20% der Erwachsenen trinken nie
Alkohol (Schweiz, 1981)
- Es gibt erhebliche regionale Unterschiede in den Trinkgewohnheiten
- 2,5 - 5 Millionen Erwachsene in D sind als alkoholkrank zu bezeichnen
- 30-50% der Patienten stationärer psychiatrischer Krankenhäuser haben Alkohol- oder Drogenprobleme
- Männer sind doppelt (bis dreimal) so häufig alkoholkrank
- alkoholkranke Frauen sind doppelt so häufig zusätzlich medikamentenabhängig
- Kinder und Jugendliche haben zunehmend häufig Alkoholprobleme
- Alkoholkranke haben eine achtmal höhere Sterblichkeit (Todesursachen: Leberzirrhose, gewaltsamer
Tod)
- Ca. 50% aller Verkehrsunfälle mit Personenschaden ereignen sich unter Alkoholeinwirkung der Fahrer
- Ca. 40% aller Häftlinge sitzen wegen Straftaten im Zusammenhang mit Alkohol oder Drogen
Ätiologie
- genetische Disposition (chromosomal)
- soziale Vererbung (Lernen am Modell der Eltern)
- Störung der (frühen) Entwicklung (Psychoanalyse)
- soziale Bedingungen im Erwachsenenalter
- soziale Wertung (soziokulturell)
⇒⇒ multikonditionell, -faktoriell
Wirkungen des Alkohols (Ethanol C2-H5-OH) beim Menschen
- Wachheit (zunächst Aktivitätssteigerung, dann Sedierung, Einschlafen)
- Sinnesorgane (Farbwahrnehmung, räumliches Sehen, Hörvermögen, Schmerzempfindlichkeit, Geruchssinn werden reduziert)
- Stimmung (anxiolytisch (angstlösend), euphorisierend, extraversiv; Dysphorie, Depression, Aggressivität, Enthemmung)
- Intellekt (grundsätzlich: Leistungsabnahme bei falscher Selbsteinschätzung)
- Gedächtnis (neg. Beeinträchtigung vor allem des Kurzzeitgedächtnis -“black out“)
- zahlreiche Wirkungen auf andere Organsysteme (Herz, Atmung, Drüsen, Harnausscheidung, Stoffwechsel, Verdauungssystem, Embryo)
Abhängigkeitstypen und -verlauf nach JELLINEK
Alpha-Typ
„Konflikttrinker“; kein Kontrollverlust, aber undiszipliniertes Trinken; psychische Abhängigkeit (Anfälligkeit)
Beta-Typ
„Gelegenheitstrinker“; kein Kontrollverlust; soziokulturelle Abhängigkeit
Gamma-Typ
„Süchtiger Trinker, Rauschtrinker“; Kontrollverlust mit (meist) Fähigkeit zur Abstinenz; psychische (und
später) physische Abhängigkeit
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Delta-Typ
„Spiegeltrinker“; kein Kontrollverlust, aber Unfähigkeit zur Abstinenz; physische Abhängigkeit
Epsilon-Typ
„Quartalssäufer“; phasenweise massiver Konsum (Kontrollverlust), dann wieder Abstinenz
Voralkoholische Phase (Monate bis 2 Jahre)
Alkohol hat erleichternde Wirkung, er wird immer häufiger zur Angst- und Frustrationsabwehr eingesetzt
Prodromale Phase (6 Monate bis 5 Jahre)
Black-outs („Filmrisse“); heimliches Trinken; steigende „logistische Fähigkeit“, Alkohol zu besorgen;
noch kein Kontrollverlust; keine soziale Ausgrenzung
Kritische Phase
Kontrollverlust schon nach geringen getrunkenen Mengen; Trinkexzesse mit sozialen Problemen; körperliche Entzugssymptome
Chronische Phase
morgendliches Trinken; tagelange Räusche; Entzugssyndrome (evtl. mit Delir); körperlicher Verfall mit
Alkoholintoleranz;
Alkoholbedingte Folgeschäden
Akute Intoxikation
„Alkoholrausch“; Einteilung nach den Symptomen von leicht über mittelschwer bis schwer möglich
Alkoholhalluzinose
selten; meist akuter Ausbruch (unabhängig von der TM) bei chronisch Alkoholkranken mit akustischen
Halluzinationen (kommentierende Phoneme), Angst, Verfolgungsideen; Ausheilung (unter Abstinenz)
nach Stunden bis Monaten, selten Übergang in Demenz oder paranoide Schizophrenie
Alkoholischer Eifersuchtswahn
hirnorganisches Paranoid, das sich meist gegen den Partner richtet mit zum Teil grotesken Eifersuchtsideen; Ausheilung meist erst nach langer Abstinenz
Delirium tremens
häufigste Alkoholpsychose (15% aller Alkoholkranker); als Entzugs- oder Kontinuitätsdelir nach mehrjährigem Krankheitsverlauf; Auslösung oft durch körperliche Erkrankungen, OP usw.; Symptome: Angst
bis Euphorie, optische Halluzinationen (Fäden, Tiere, Szenen), Desorientierung, illusionäre Verkennung,
Suggestibilität, paranoide Wahnvorstellungen, grobschlägiger Tremor (Zittern), Tachykardie, Schwitzen,
zerebrale Krampfanfälle...; lebensbedrohlich durch Herz-Kreislauf-Komplikationen, Pneumonie (unbehandelt bis 20% letale Ausgänge); Behandlung intensivmedizinisch, medikamentös mit Distraneurin®;
Prognose dann: meist vollständige Ausheilung
Alkoholentzugssyndrom
Appetitstörungen (Brechreiz), Durchfälle, Schwitzen, Schlafstörungen, Tachykardie, Blutdrucksteigerung, Zittern, Gleichgewichtsstörungen, epileptische Anfälle, Angst, Depression, Gedächtnisstörungen,
Halluzinationen
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Korsakow-Syndrom (organisch amnestisches Syndrom)
hochgradige Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses mit Konfabulationen, (zeitliche) Desorientierung; Restitution möglich
Wernicke-Enzephalopathie
schwerste, häufig tödlich ausgehende Alkoholpsychose; neben Desorientierung und Bewußtseinsstörungen kommt es zu Augenmuskellähmungen, Nystagmus, Gang- und Standunsicherheit; ursächlich wird ein
Vitamin B1- (und B6-) Mangel angenommen und entsprechend hohe Dosen zugeführt.
Weitere körperliche Folgewirkungen
- Gastritis
- Malnutrition (Mangelernährung)
- Leberschaden (Hepatitis, Leberzirrhose)
- Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung, chronisch oder akut)
- Polyneuropathie
- Ösophagusvarizen („Krampfadern“ der Speiseröhre mit Blutungsgefahr)
- Herzerkrankung (Kardiomyopathie mit Verminderung der Leistung)
- arterieller Bluthochdruck
- Myopathie (Muskelerkrankung mit Schwäche und Krämpfen)
- Osteoporose („Knochenschwund“)
- Karzinome des oberen Verdauungstraktes
- Blutbildungsstörungen
- Sehverschlechterungen (Nachtblindheit durch Vitamin-A-Mangel)
- Hormonstörungen (Verminderung von Libido/Potenz)
- Kleinhirnatrophie (Koordinationsstörungen, z.B. Ataxie)
...und psychosozial
- soziale Isolierung/Ausgrenzung
- Interessenverlust
- Arbeits-/Erwerbslosigkeit
- Wohnungslosigkeit
- Suizidalität
- Kriminalität
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Therapeutische Angebote
schematisch:
Kontaktphase→Entgiftungsphase→Entwöhnungsphase→Nachsorgephase
Kontaktphase
- Niedergelassener Arzt u/o Beratungsstelle u/o Poliklinik u/o Selbsthilfegruppe u/o Gesundheitsamt
- Diagnosestellung/ Klärung der psychosozialen Situation
- Erarbeitung der Krankheitseinsicht und Therapiemotivation
- Behandlungsversuche (vorläufige Abstinenz)
Entgiftungsphase
- Niedergelassener Arzt, Poliklinik, Allgemeinkrankenhaus, psychiatrische Klinik, Suchtfachklinik, JVA
- nur bei schweren Entzugserscheinungen stationär
- 2-4 Wochen
- meist ohne medikamentöse Unterstützung möglich
Entwöhnungsphase
- ambulant oder stationär oder teilstationär
- 6 Wochen bis 6 Monate
- Vorteil/Nachteil ambulant: kein Abbruch der psychosozialen Bezüge
- Vorteil/Nachteil stationär: „totale therapeutische Atmosphäre“
- vielfältiges therapeutisches Angebot, insbesondere Gruppenpsychotherapie und körperbezogene Therapie
Nachsorgephase
- ambulant, bei schweren Verläufen Übergangsheim o.ä.
- Jahre bis Jahrzehnte
- Selbsthilfegruppen
- evtl. Psychotherapie
- psychosoziale Stabilisierung
Behandlungsergebnisse
30-40% der in Suchtfachkliniken behandelten Patienten bleiben über 4 Jahre abstinent (abgesehen von
kurzen Rückfällen).
Eine kleine Gruppe von Patienten (3-6%) beherrscht das „kontrollierte Trinken“, in aller Regel ist absolute Abstinenz das therapeutische Ziel.
Prävention ...
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3. MEDIKAMENTENABHÄNGIGKEIT
(„die rezeptierte stille weiße vornehme Sucht“)
Allgemeine Bemerkungen
- hohe Dunkelziffer
- mindestens 2% der Bevölkerung betroffen, Trend: Zunahme
- Frauen doppelt bis dreimal so häufig betroffen
- zunehmende Abhängigkeit mit dem Alter
- meist rezeptierte Medikamente (!)
- „stabile Abhängigkeit“ fällt nicht auf (diagnostische Probleme)
Abhängigkeitsformen
- Schmerzmittelabhängigkeit (mit/ohne Opiatanteil)
- Benzodiazepin- (Tranquilizer)
- Laxantien- Appetithemmer-, Psychostimulantien- Opiat-, Opioid-
4. „illegale“ Drogen
(Stichworte)
- ob eine Droge illegal ist, wird nach kulturellen und gesellschaftspolitischen Kriterien entschieden und
festgelegt
- Regelung über das BtmG
- die Haltung gegenüber den Abhängigen wird nicht allein durch (sozial-) medizinische Erkenntnisse bestimmt („Therapie vor Strafe“)...
- mit illegalen Drogen (-abhängigen) wird Politik gemacht...
- die Drogenhilfe muß sich in erheblichem Maße mit der Kriminalisierung ihrer Klienten beschäftigen
...
Substanzklassen
- Cannabinoide (Haschisch u. Marihuana aus der Hanfpflanze)
- psychische Abhängigkeit
- Halluzinogene (LSD, Meskalin, Psilocybin, Designerdrogen: DMT, DOM)
- psychische Abhängigkeit, diverse psychische und physische Komplikationen
- Koka/Kokain
- (starke) psychische Abhängigkeit, Suizidneigung, Psychoseauslösung, gefährliche Intoxikationen
- Opiate (Heroin, Crack...)
- physische und psychische Abhängigkeit, psychosoziale Isolierung
-Extacy und andere synthetische Stoffe
- psychische Abhängigkeit, akute und chronische körperliche Folgen
60
PSYCHIATRISCHE HILFSANGEBOTE
1. Stationäre Hilfen:
Differenzierung in vollstationär und teilstationär (s.u.)
1.1 Allgemeinpsychiatrie
Organisationsstruktur:
• entweder gemeindenah in einer kleinen Abteilung an einem Allgemeinkrankenhaus oder in einer Fachklinik (z.B. Landeskrankenhaus) „gemeindefern“ (hier evtl. mit innerer Sektorisierung nach Wohnbezirken)
• entweder mit interner Spezialisierung (Aufnahme-, Psychotherapie-, Rehabilitations-, Gerontopsychiatrie-, Sucht- usw. -station) oder als „Stationsgemeinschaft“
Akutpsychiatrie:
• Aufnahme von akut psychisch erkrankten Patienten (akute Psychose, akute Suizidalität, akute Intoxikation, Erregungszustand ...)
• Modus: freiwillig oder nach PsychKG/Betreuungsrecht
Eine Patientin: „Wenn man`s nicht schon ist, muss man hier ja verrückt werden!“
Ein Pfleger: „Wenn man hier länger arbeitet, wird man selbst verrückt oder stumpft total ab!“
Ein Angehöriger: „Hier kann niemand gesund werden!“
Die Forderungen von Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen und Profis für optimale Aufnahmebedingungen
sind einfach und nachvollziehbar
• überschaubare Größe
• Ein- u. Zweibettzimmer
• angenehme, warme Ausstattung
• Raum zum Zurückziehen
• ausreichende Sanitäranlagen
• Beschäftigungsangebote auf der Station
• Möglichkeit, private Telefonate zu führen
• Ausgang (wenn nötig in Begleitung)
• Behandlung so kurz wie möglich
• Gefahrenabwehr am Patienten orientiert
• ...
• ...
Modelle:
• Spezialisierung nach den Erkrankungen/Symptomen (Depressionen, Schizophrenien, Suchterkrankungen, Suizidalität, geistige Behinderung...) in verschiedenen Einheiten
• Soteria („to be with“, weiches Zimmer...)
• kleine Stationsgemeinschaft ohne Spezialisierung und ohne geschlossene Tür („Herner Modell“)
Stationäre Psychotherapie:
• nach der Diagnose
• nach der angewendeten Psychotherapierichtung
Stationäre Rehabilitation:
• mittel- und langfristige Behandlung (kann man jahrelang stationär rehabilitieren ?!)
61
•
•
•
•
Ergotherapie
Arbeitstherapie
berufliche Rehabilitation
„Enthospitalisierung“, „Deinstitutionalisierung“ langfristig stationär behandelter Patienten
Stationäre Suchtbehandlung:
• Entgiftung
• Entwöhnung
• „warme Mahlzeit und ein Bett“
• Rehabilitation chronisch-mehrfachgeschädigter Suchtpatienten
1.2 Gerontopsychiatrie
•
•
•
•
•
•
Spezialisierung oder Integration in Allgemeinpsychiatrie (s.o.)
Fehlplazierung (Seniorenheime, Allgemeinkrankenhäuser)
Problem der Multimorbidität (gleichzeitiges bestehen mehrerer Erkrankungen bei einer Person
Behandlungsfall vs. Pflegefall
Rehabilitation
Ökonomie (!), volkswirtschaftlich „unökonomisch“
Modell:
Gerontopsychiatrisches Verbundsystem verbindet stationäre, teilstationäre und ambulant-komplementäre
Hilfen (Altenberatung, ambulanter [auch aufsuchender] Dienst, häusliche Krankenpflege, Tagesstätte,
Tagesklinik, Station, Angehörigenhilfe)
1.3 Forensische Psychiatrie
• psychisch kranke Straftäter, die für ihre Straftat vom Gericht als schuldunfähig oder vermindert
schuldfähig angesehen werden (§§ 20 u. 21 StGB)
• „Maßregeln der Besserung und Sicherung“ (§§ 62-65 StGB) - Maßregelvollzug, d.h. Unterbringung in
einer geschlossenen allgemeinpsychiatrischen oder forensischen Klinik (es erfolgt eine jährliche gerichtliche Überprüfung)
• gesellschaftlicher Kontext
• Konflikte in der Umgebung forensischer Kliniken („Freigänger“)
• Zeitgeist (Strafe geht vor Behandlung?)
• Problem suchtkranker Straftäter (Gewaltdelikte, Beschaffungskriminalität)
• Problem der Nachsorge
1.3 Kinder- und Jugendpsychiatrie
• Stationäre und teilstationäre Behandlung psychischer Erkrankungen des Kindes und des Jugendlichen
• Verhaltensauffälligkeiten (dissoziales, delinquentes...)
• vielfach führt das Scheitern im sozialen Umfeld (Familie, Schule, Jugendhilfe) zu der „Notwendigkeit“ einer Einweisung
• zunehmend: Gewaltdelikte, Drogenmissbrauch
• KiJuPsy steht besonders im Spannungsfeld gesellschaftlicher Bedingungen (...)
62
1.4 Teilstationäre Behandlung (in allen genannten Bereichen)
• Tagesklinik (Behandlung, Rehabilitation): tags in der Klinik, nachts zu hause
• Nachtklinik: tags zu hause (Arbeit?), nachts in der Klinik
2. nicht-stationäre gemeindepsychiatrische Hilfen
2.1 Sozialpsychiatrische Dienste
• Angeordnet am Gesundheitsamt (in Berlin) oder durch freie Träger organisiert (in anderen Bundesländern)
• Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige, Nachbarn, andere Institutionen
• Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen, Verwaltungsangestellte, Pflegekräfte arbeiten im Team
• Beratung, Vermittlung, Behandlung, Koordination, Konzeption, Begutachtung, Hoheitsfunktion (Einweisung/Unterbringung) ... „Case management“
• Sprechstunde, Hausbesuche, Gruppenangebote, Behandlung; Beratung von Mitarbeitern in psychiatrischen Einrichtungen; Konzeption neuer Angebote in der Region; Qualitätskontrolle; Begutachtungen
für Gerichte und Kostenträger
2.2 Wohnen
• Übergangswohnheim als Einrichtung zwischen vollstationärer Behandlung und ambulanter Weiterbegleitung
• Wohnheime/Pflegeheime: psychiatrisch ausgerichtet und den Bedürfnissen schwer erkrankter Menschen angepaßt oder profitorientiert („Fehlplazierung“)
• Betreutes Einzelwohnen oder therapeutische WG: Betreuung/Begleitung durch SozialarbeiterInnen,
Krankenpflegekräfte, Psychologen, Pädagogen, „Naturtalente“ mit dem Ziel der Wiedereingliederung
und Stärkung der Selbständigkeit oder der dauerhaften Unterstützung; Betreuungsschlüssel 1:1 bis
1:20
• Obdachloseneinrichtungen (meist ohne spezielles Angebot für psychisch Kranke)
2.3 Tagesstätten
• tagessatzfinanziert (↔ Kontakt- u. Beratungsstelle)
• Verbindlichkeit des Besuchs (für den einzelnen Besucher wird die Finanzierung für eine bestimmte
Zeit beantragt und genehmigt)
• Tagesstrukturierung: Beschäftigung, Erlernen von Alltagskompetenz (Kochen usw.), Ausflüge, Gruppenarbeit (Kontakt/Kommunikaton), Einzelgespräche
• gerontopsychiatrisch: auch Pflege, Hol- und Bringdienst...
2.5 Arbeit/Zuverdienst
•
•
•
•
Werkstatt für Behinderte
Zuverdienstprojekte (handwerklich, Dienstleistung...)
Selbsthilfefirmen
Ausbildungsangebote
63
• beschützte Arbeitsplätze
2.5 Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstellen
•
•
•
•
•
•
•
•
zuwendungsfinanziert (jährlich pauschale Summe)
anonym und unverbindlich (niederschwellig)
verbindliche (therapeutische) Beziehungen werden angeboten
Aktivitäten (einzeln, in Gruppen)
individuelle Hilfsangebote in allen Lebens- und Krankheitsfragen
Vermittlung weiterer Angebote/Hilfen
Freizeitgestaltung
„Herzstück der komplementären Versorgung“
2.6 Krisendienste/Psychiatrische Notdienste
•
•
•
•
•
•
•
multiprofessionell
vernetzt mit anderen gemeindepsychiatrischen Einrichtungen
Beratung (auch anonym)
Vermittlung spezifischer Hilfen
Psycho- und soziotherapeutische Intervention, ggf. einige Folgegespräche
ärztlich-psychiatrischer Hintergrunddienst
evtl. Kurzzeittherapie
2.7 Ambulante (ärztliche) Therapie
• niedergelassene NervenärztInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen
• sozialpsychiatrische Schwerpunktpraxis (multiprofessionell)
• Institutsambulanz der psychiatrischen Klinik/Abteilung
2.8 Sozialstationen/ambulante Krankenpflege
• spezielle psychiatrische Krankenpflege
• somatische Krankenpflege
2.9 Selbst- und Laienhilfe
•
•
•
•
Selbsthilfegruppen
Angehörigengruppen
Laienhilfe/Bürgerhilfe
Psychoseseminare
64
THERAPIE PSYCHISCHER STÖRUNGEN
Vorbemerkung:
Im Folgenden werden die verschiedenen Therapieansätze getrennt dargestellt, eine erfolgreiche Therapie
muß aber immer mehrdimensional sein.
Psychiatrische Behandlung sollte also immer vor dem Hintergrund des multifaktoriellen Entstehungsgefüges psychischer Störungen mehrdimensional und multiprofessionell sein.
Zu einer (multi-) professionellen psychiatrischen Behandlung gehört immer ein Therapieplan, der individuell der Erkrankung, den Fähigkeiten und Einbußen des jeweiligen Patienten angepaßt ist und der mutig
und selbstkritisch mit dem Betroffenen überprüft und ggf. verändert werden muß.
Jede Behandlung darf nur mit Einwilligung des Patienten nach vorheriger Aufklärung erfolgen!
1. Somatotherapeutische Verfahren
1.1 medikamentöse Behandlung:
-psychopharmakologische Behandlung erfolgt nach dem/den „Ziel“symptomen, also nach jenen Symptomen, die man glaubt, mit dem Medikament positiv beeinflussen zu können, nicht nach der Diagnose
Neuroleptika
- blockieren Transmittersubstanzen (Botenstoffe der Nervenzellen) u.a. Dopamin im Gehirn
- haben kein Suchtpotential
- erwünschte Wirkungen
- „antipsychotisch“ (bei z.B. Wahn, Halluzinationen, Denkstörungen...)
- sedierend, Schlaf anstoßend (bei z.B. Erregungszustand, Schlafstörungen...)
- unerwünschte Wirkungen (Auswahl)
- Bewegungsstörungen: Parkinsonoid, Früh- (Zungen-Schlund-Krampf, Blickkrampf) und Spätdyskinesien (unwillkürliche Bewegungen z.B. der mimischen Muskulatur), Akathatisie (Sitz- und
Bewegungsunruhe)
- Blutdrucksenkung, Herzrhythmusstörungen
- Blutbildstörungen
- Blasen- und Darmstörungen (Harnverhalt, Obstipation)
- Gewichtszunahme
- epileptische Anfälle
- Sedierung, „Leere im Kopf“, „Gefühlsleere“
- Depression
- Abnahme von Libido und Potenz
- Photosensibilisierung der Haut
- Einteilung möglich in
- hochpotent (stark antipsychotisch, schwach sedierend z.B. Haldol®)
- mittelpotent (beides mittelstark, z.B. Taxilan®)
- niedrigpotent (kaum antipsychotisch, hauptsächlich sedierend, z.B. Neurocil®)
- „atypische“ Risperdal®, Zyprexa®, Leponex® usw.
- Indikationen (entsprechend der Zielsymptome):
Schizophrenien,
Manien,
Verwirrtheitszustände,
Erregungszustände,
65
(eingeschränkt: Schlafstörungen),
Rezidivprophylaxe (Rückfallprophyaxe)
- Darreichungsformen: Tablette, Saft/Tropfen, Ampullen; Depotform (intramuskuläre Injektion wirkt
bis zu 4 Wochen)
Antidepressiva
- blockieren Transmittersubstanzen (u.a. Noradrenalin, Histamin, Serotonin)
- haben kein Suchtpotential (!)
- erwünschte Wirkungen
- stimmungsaufhellend, depressionslösend
- antriebssteigernd oder sedierend (s.u.)
- schmerzlindernd (analgetisch)
- unerwünschte Wirkungen (Auswahl)
- Sedierung oder Antriebssteigerung (s.u.)
- Blutdrucksenkung, Herzrhythmusstörungen
- Blutbildstörungen
- Blasen- und Darmträgheit
- Gewichtszunahme
- epileptische Anfälle
- Überdosierung mit tödlichem Ausgang
- Umschlagen in manische oder schizophrene Symptomatik
- Suizidalität (!!), wenn vor der stimungsaufhellenden Wirkung die antriebssteigernde einsetzt
- Einteilung möglich in
- sedierend (z.B. Saroten®)
- stabilisierend (z.B. Anafranil®)
- aktivierend (z.B. Nortrilen®)
- Indikationen: depressive Syndrome, Panikstörung, Angststörung, Zwangserkrankung, Phobien,
Schmerzsyndrome
Neuere Substanzen, wie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), haben ein besseres Verhältnis von erwünschten und unerwünschten Wirkungen (Paroxetin®, Cipramil®, Seroxat®, Tagonis®)
Phasenprophylaktika
- Wirkungsweise komplex
- haben kein Suchtpotential
- erwünschte Wirkungen
- Verhinderung erneuter manischer/depressiver Phasen
- unerwünschte Wirkungen
- vielgestaltig, je nach Wirkstoff
- Lithium: Tremor, Gewichtszunahme, gefährliche Überdosierung
- Substanzen: Lithiumsalze, Carbamazepin (Tegretal®)
- diese Medikamente sollten über einen längeren Zeitraum genommen werden, auch wenn keine Symptome mehr spürbar sind
- Indikationen: Phasenprophylaxe der Zyklothymien
66
Tranquilizer
- Stoffgruppe: vor allem Benzodiazepine
- Wirkungsansatz im limbischen System
- hohes Suchtpotential (Gewöhnung, Abhängigkeit)
- erwünschte Wirkungen
- Spannungslösung
- Angstreduzierung
- Schlafförderung
- psychovegetative Beruhigung
- „Reizabschirmung“
- unerwünschte Wirkungen
- Abhängigkeit
- Vernachlässigung der Krankheitsursache
- Müdigkeit, Mattigkeit, Gleichgültigkeit
- Muskelschwäche
- Einschränkung der Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit
- Schlafstörungen (!) –Störungen der Schladarchitektur
- Indikationen: zur kurz- und mittelfristigen Behandlung von Spannungs- und Angststörungen (Schlafstörungen); Mitbehandlung bei Psychosen; Entzugssyndrome; Akutbehandlung (Erregungszustand, Aggression); als Antiepileptika und Muskelrelaxantien in der Neurologie
- Handelsnamen (u.a.): Valium®, Faustan®, Adumbran®, Rohypnol®, Lexotanil®
1.2 Therapien der Körpererfahrung und -entspannung
- Tanztherapie
- autogenes Training (Autosuggestion)
- Konzentrative Bewegungstherapie
- Sport/Bewegungstherapie
- progressive Muskelrelaxation
- funktionelle Entspannung...
1.3 Elektrokrampftherapie (EKT)
- künstliche Auslösung eines generalisierten Krampfanfalls unter kontrollierten Bedingungen mittels elektrischer Durchflutung des Gehirns
- unter Narkose und medikamentöser Muskelrelaxation (-lähmung)
- Wirkungsweise unbekannt (Hypothesen)
- unerwünschte Wirkungen: hirnorganisches Psychosyndrom (Durchgangssyndrom) mit Amnesie, Desorientierung, Bewußtseinstrübung. In der Regel reversibel, mitunter bleiben Gedächtnisstörungen.
- Indikationen: schwere endogene Depression; akute (febrile) katatone Schizophrenie
- Bemerkungen: Die EKT wird in den letzten Jahren wieder zunehmend angewandt, wobei die Indikationen ausgeweitet werden. In Deutschland wird sie nach wie vor zurückhaltend angewandt, zumal
die als verblüffend geschilderten „Erfolge“ meist nur kurz anhalten. Es ist immer noch eine Haltungsfrage, ob Patienten mit dieser Art der „therapeutischen Gewalt“ die schützenden Symptome genommen werden sollen oder ob es nicht ähnliche Gewalt (nämlich Vernachlässigung) sei, ihnen diese Methode vorzuenthalten.
- Besondere Problematik der Patientenaufklärung
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2. Psychotherapeutische Verfahren
- Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
- Gestalttherapie
- Verhaltenstherapie (lerntheoretisch-kognitiv)
- klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
- systemische Psychotherapie (Familien-, Paartherapie)
- Mischformen ...
3. „non-verbale“ Therapieformen
- Kunst- / Gestaltungstherapie
- Musiktherapie
- Erlebnistherapie
...
4. tagesstrukturierende Therapie
- Ergotherapie
- Arbeitstherapie
...
5. Soziotherapie
- keine allgemeingültige Definition
- Die Betrachtung des einzelnen Menschen in seiner sozialen Situation muß Gesichtspunkt aller in der
Psychiatrie Tätigen sein
- dennoch: hier liegt ein besonderer Fokus und eine besondere Kompetenz der Sozialarbeiter/innen
- Erarbeitung der aktuellen und vergangenen sozialen Situation (Sozialanamnese)
- Erkennung der erhaltenen und verlorengegangenen sozialen Kompetenzen (Ressourcen)
- Stärkung des individuellen Könnens und Wollens und der Krankheitsbewältigung
- Wiedererlernen verlorener Kompetenzen
- rechtliche Hintergründe (Betreuungsrecht, Schulden, Arbeitsrecht, BSHG, SGB...) und Beratung
- Hilfe über den persönlichen Kontakt zu den Betroffenen
- Hilfe durch Koordination von Hilfsleistungen (Case-management)
- Mitarbeit in Gremien
...
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UNTERBRINGUNGSGESETZTE
1. BETREUUNGSGESETZ (BtG)
- Bundesgesetz (BtG ist Teil des BGB)
- regelt alle wesentlichen Voraussetzungen und Bedingungen zur Einrichtung einer vormundschaftsgerichtlichen Betreuung (früher: Pflegschaft)
- nach der letzten Fassung (1.1.92) entfällt die Entmündigung als automatische Konsequenz der Einrichtung einer Betreuung, da die Geschäftsfähigkeit eigens beurteilt werden muß
- statt einer Vormundschaft für alle (Lebens-) Bereiche wird nun ein Betreuer für genau festzulegende
Aufgabenkreise bestellt (z.B. Wohnungsangelegenheiten, Zustimmung zur Heilbehandlung, Finanzangelegenheiten, Erbschaftsangelegenheiten, Unterbringung zwecks Heilbehandlung ...)
- die Einrichtung eines „Einwilligungsvorbehaltes“ (des Betreuers!) muß eigens erfolgen, wenn dadurch
„erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten abgewendet“ werden kann
- es sollen vor Einrichtung einer Betreuung alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die eine
Betreuung unnötig machen können (Vollmacht usw.)
- der/die Betreuer/in soll dem Wunsch des Betroffenen entsprechen, vorzugsweise werden Familienangehörige bestellt
Verfahren
- zuständig sind die Amtsgerichte
- auf Antrag des Betroffenen oder einer andern Person oder von Amtswegen leitet das AG ein Betreuungsverfahren ein
- ein ärztliches Gutachten wird eingeholt
- der/die Betroffene wird angehört
- wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, wird vom Gericht eine Betreuung für die entsprechenden Bereiche angeordnet, wobei die Dauer angegeben werden muß
- spätestens nach 5 Jahren müssen die Voraussetzungen der Betreuung überprüft werden
- in besonderen Fällen („Gefahr im Verzug“) kann eine Betreuung im Wege einer einstweiligen Anordnung eingerichtet werden, es genügt ein „ärztliches Zeugnis“ und der Betroffene muß zunächst vom Gericht nicht angehört werden (max. Dauer: 6 Monate)
Voraussetzungen
§ 1896 BGB: „Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen,
geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amtswegen für ihn einen Betreuer.“
Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik nach BtR
Besteht für einen psychisch kranken (oder behinderten) Menschen eine vormundschaftsgerichtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung“, kann auf Antrag des Betreuers vom zuständigen Amtsgericht unter Hinzuziehung eines ärztlichen Gutachtens eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet werden, wenn
„1. aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die
Gefahr besteht, daß er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt oder
2. eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf-
69
grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der
Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.“ (§ 1906 BGB)
Die Genehmigung des zuständigen AG kann unverzüglich nachgeholt werden, wenn „mit dem Aufschub
[der Unterbringung] Gefahr verbunden ist“.
O.g. Vorschriften gelten auch, wenn einem Betreuten in einer Einrichtung „über einen längeren Zeitraum“ durch mechanische Vorrichtungen (Bettgitter), Medikamente oder auf andere Weise die Freiheit
entzogen wird. (!)
2. GESETZ FÜR PSYCHISCH KRANKE MENSCHEN (PsychKG)
- Landesgesetz
- in Berlin gilt das PsychKG vom 8.3.85, zuletzt geändert 17.3.94
- das Gesetz regelt Hilfen, „soweit sie geeignet sind, eine Unterbringung zu verhindern sowie die Unterbringung von psychisch kranken Erwachsenen und Jugendlichen
- § 2: „Bei allen Maßnahmen auf Grund dieses Gesetzes ist auf das Befinden des psychisch Kranken besonders Rücksicht zu nehmen und seine Persönlichkeit zu wahren.“
- im Gegensatz zum BtR schützt das PsychKG auch bedeutende Rechtsgüter „anderer“, die durch krankheitsbedingte Fehlhandlungen bedroht sind (s.u.)
Verfahren
Nach § 8 PsychKG können Menschen gegen oder ohne ihren Willen in einer psychiatrischen Einrichtung
untergebracht werden, „wenn und solange sie durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten ihr Leben, ernsthaft ihre Gesundheit oder besonders bedeutende Rechtsgüter anderer in erheblichem Maße gefährden und
diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich behandeln zu lassen,
rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung.“
Nach § 26 darf eine Unterbringung anordnen:
- die zuständigen Bezirksämter (Gesundheitsämter / Sozialpsychiatrischen Dienste)
- bei deren Verhinderung der Polizeipräsident von Berlin (Polizeiabschnitte) oder die von der Gesundheitssenatorin mit dieser hoheitlichen Gewalt beliehenen psychiatrischen Einrichtungen (Kliniken).
Diese vorläufige behördliche Unterbringung endet mit dem folgenden Tag, wenn nicht das zuständige
Amtsgericht innerhalb dieses Zeitraums auf Antrag des Bezirksamts (Amtsarzt) eine weitere richterliche
Unterbringung verfügt. Hierbei muß der Betroffene vom Gericht angehört werden und es muß ihm im
Bedarfsfall ein Rechtsbeistand gewährt werden.
Situationsbedingt finden diese Unterbringungsverhandlungen meist in den Räumen psychiatrischer Kliniken statt.
70
DIE EPILEPSIEN
Häufigkeit:
Prävalenz für Epilepsien (Stichtag): ca. 1%;
Risiko, jemals einen epileptischen Anfall zu haben: ca.: 1:20, ... an Epilepsie zu erkranken: ca. 1:200.
Damit sind die Epilepsien die häufigsten schweren neurologischen Erkrankungen.
Definition:
Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine ungebremste, mehr oder weniger plötzliche („exzessive“)
Entladung von Hirnzellengruppen, die je nach Funktion der betreffenden Hirnregion(en) zu entsprechender klinischer (Anfalls-) Symptomatik führt. Die protektiven Faktoren, die eine ungebremste Erregungsausbreitung verhindern, sind dann durch verschiedene Faktoren gestört oder ausgeschaltet (Krampfbereitschaft steigt, Krampfschwelle sinkt).
Beginn:
Häufigkeitsgipfel in der (frühen) Kindheit und im späten Erwachsenenalter.
Ätiologie:
- konstitutionelle (genetische) Disposition
- Hirnschädigung unterschiedlichster Genese
- akute Erkrankungen des Gehirns oder anderer Organe (Tumoren, Infektionen,
Erkrankungen, Drogen...)
- Intoxikationen (endogen oder exogen)
- Chromosomenschäden (z.B. Klinefelter-Syndrom XXY, XXXY)
- unbekannte Ursachen (idiopathisch)
⇒ meist multifaktorielles Geschehen
zerebrovaskuläre
Auslösesituationen:
- Schlafmangel
- Alkoholgenuß (Drogen-)
- Wetter (?!)
- affektiv belegte Situationen (heftige Erregungen) oder das Gegenteil („Lange-weile“, Überdruss)
- Mahlzeiten (psychomotorische Anfälle)
- Sinnesreize (z.B. Geruchs-, Geschmacksreize)
- Übergangsphasen zwischen Schlaf und Wachsein
- sehr spezifische Reize (Bsp.: Farbe „rot“, Stecknadel...)
- Medikamente (Neuroleptika!, Antidepressiva, ...)
- Fieber
Symptomatik:
Vom „Gelegenheitsanfall“ (einzelner Anfall, meist Folge akuter Erkrankung) über die „Oligoepilepsie“
(weniger als 3 Anfälle in 6 Monaten) bis zur chronischen Epilepsie mit bis zu täglichen Anfällen.
Vom fokalen Anfall des kleinen Fingers bis zum tonisch-klonischen Anfall (Grand Mal) mit Bewußtseinsverlust.
Von Bruchteilen einer Sekunde bis zum Status epilepticus, der bis zu Wochen dauern kann.
Es gibt keine „epileptische Wesensveränderung“, vielmehr können verschiedenste psychische Symptome
auftreten, die eher mittelbar als unmittelbar Folge der Epilepsie sind.
71
Einteilung der epileptischen Anfälle und Epilepsien:
- nach der Anfallsklinik (kleiner/großer Anfall; mit/ohne Bewußtseinsverlust)
- nach dem Erkrankungsbeginn (altersgebundene Epilepsiesyndrome)
- nach der Ursache (symptomatisch/idiopathisch/kryptogen, Fieberkrampf)
- nach dem auslösenden Moment (Entzugskrampf/Lese-/Eß-/Schreckepilepsie, Photosensibilität)
Diagnose:
- klinischer Befund (genaue Anfallsanamnese)
- biographische Anamnese (Familien-)
- eingehende neurologische und internistische (und psychiatrische) Untersuchung
- EEG (Elektroenzephalogramm)
- bildgebende Verfahren: Röntgen, Cerebrale Computertomographie (CCT), Kernspintomographie
(MRT)
- Labor usw.
Die wichtigsten Epilepsien und epileptischen Syndrome
Wichtige altersgebundene Epilepsien
-West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe):
Neugeborenenalter
-Lennox-Gastaut-Syndrom:
2.-6. Lj.
-Juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom):
12.-16. Lj.
-Absencen:
Erkrankungsbeginn meist in der Kindheit oder Jugend (2 verschiedene Verläufe: 6.-7. sowie 7.-12. Lj.).
Für wenige Sekunden bis Minuten tritt plötzlich eine Bewußtseinsveränderung mit Unterbrechung der
Ansprechbarkeit und Amnesie auf. Zusätzlich treten häufig tonische Symptome an Kopf, Hals und Rumpf
auf, dabei neigt sich der Kopf nach hinten und die Bulbi (Augäpfel) bewegen sich nach oben, evtl. auch
klonische Komponenten z.B. der Augenlider.
In 2/3 der Absencen treten Automatismen auf (orale u.a.), auch werden Handlungen (meist fehlerhaft)
fortgeführt.
Frequenz der Anfälle: häufig mehrfach täglich (5-30/Tag)
Ätiologie: meist idiopathisch
Prognose: gut, 50-80% werden anfallsfrei; mäßig, wenn große Anfälle hinzutreten.
Andere, nicht-altersgebundene Epilepsien:
- einfache fokale Anfälle (Bewußtsein erhalten):
- motorisch: „Jackson-Anfälle“: einseitig, von einer Körperstelle ausgehend und sich ausbreitend („march
of convulsions“), tonisch oder tonisch-klonisch
- Adversivkrämpfe: tonische Streckung des Kopfes, der Augen, des Körpers
- somatosensibel: einseitig (Kribbeln, Lichtblitze, Klingeln)
- autonom: Schwitzen, Blässe, Erröten
Ätiologie: bei>50% ursächliche Hirnerkrankungen auffindbar
72
- komplexe fokale Anfälle (psychomotorische A.):
Amnesie und allmähliches Ende des Anfalls; Symptomatik vielgestaltig: Bewußtseinstrübung/veränderung bis -verlust und Automatismen mit oralen Bewegungen, komplizierte Stereotypien (Nesteln,
Wischen, Kramen), szenische Handlungen, aphasische Störungen („speech arrest“, Dysarthrien, Sprachautomatismen), in ca. 50% zu Beginn des Anfalls Aura (vages aufsteigendes Gefühl [Geruch, Geschmack, Übelkeit...], „deamy state“, dêjà-vu, jamais vu..., „anders als sonst“); Dämmerzustand mit
scheinbar mehr oder weniger geordnetem Verhalten; zum Ende des Anfalls meist Ratlosigkeit mit langsamer Reorientierung.
Ätiologie: Schädigung temporaler Hirnareale (ca. 1/3 der Fälle) oder multifaktoriell bedingt.
Prognose: relativ ungünstig im Sinne persistierender Anfälle
- Epilepsie mit tonisch-klonischen Anfällen (Grand Mal-Epilepsien):
40% aller neu diagnostizierten E. beginnen mit Grand Mal; bei 10-20% aller Epilepsien kommen Grand
Mal im Verlauf hinzu.
Entweder (50%) plötzlicher Beginn ohne Vorboten (Prodromi, Aura) mit Bewußtseinsverlust, Initialschrei, Sturz (Verletzung!), tonische Kopfdrehung und Körperhaltung, Atemstillstand, Blässe, Zittern,
klonisch-rhythmische Zuckungen, evtl. Inkontinenz, Zungenbiß, gegen Ende erneut tonische Versteifung;
nach dem Anfall tiefe Röchelatmung, Desorientierung-Reorientierung, Erschöpfung, Muskelkater, Erleichterung.
Prodromi (50%): stunden- oder tagelange Vorläufer (Stimmungslabilität, Spannungssteigerung, Angst,
Konzentrationsstörungen...)
Ätiologie: symptomatisch (...) oder idiopathisch
Prognose: entsprechend der Ätiologie sehr verschieden
Behandlung der Epilepsien
Beseitigung von Auslösern:
- regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
- wenig Alkohol (kein Schnaps) und keine Drogen
- keine Über- und Unterforderung in geistiger, seelischer und körperlicher Hinsicht
- körperliche Betätigung (Sportarten, während derer ein Anfall gefährliche Folgen haben kann, sind zu
vermeiden)
- bei zusätzlichen Erkrankungen Arztkonsultation (Fieber)
- bekannte Auslösesituationen meiden (!)
- anfallsverhindernde Reize auffinden und benutzen lernen
medikamentöse Behandlung mit Antiepileptika:
Nach sorgfältiger Untersuchung durch epileptologisch versierten Arzt zunächst meist Monotherapie (evtl.
bis zur Nebenwirkungs“grenze“), bei Anfallspersistenz Kombinationstherapie. Ziel ist es, durch regelmäßige Einnahme einen individuell ausreichenden Medikamentenspiegel zu erreichen und beizubehalten.
(Die meisten Status epilepticus beruhen auf einer Auslassung der Medikamente).
Substanzen: Valproinsäure, Carbamazepin, Phenytoin, Ethosuximid, Pheno-barbital, Benzodiazepine,
Primidon...
Nebenwirkungen (Auswahl): vielfältig, je nach Substanz, interindividuell verschieden ausgeprägt; z.B.:
neurologische Symptome (Doppelbilder, Schwindel...), Exanthem, Blutdruckabfall, Kopfschmerz, Zahnfleischwucherungen, Müdigkeit, Übelkeit, Störungen der kardialen Reizleitung, Verdauungsstörungen,
Potenzstörungen, Haarausfall, Gewichtszunahme, allgemeine Schwäche, Psychosen, Blutbildveränderungen...
Aus der Fülle der möglichen Nebenwirkungen ergibt sich zwangsläufig eine verständliche Skepsis der
Patienten, diese über einen längeren Zeitraum einzunehmen.
operative Therapie:
73
nach sorgfältiger Diagnostik und Abwägung der möglichen Risiken bei schweren Epilepsieverläufen indiziert.
Weitere Behandlungsinhalte:
Soziotherapie
- Familie
- Empowerment
- Ausbildung
- Beruf (Gefahren, Führerschein...)
- Rechtsprobleme
- Rehabilitation (ca. 3% aller Rehabilitanten sind an Epilepsie erkrankt)
- Selbsthilfegruppen
Psychotherapie
- stützend
- kognitiv
- biofeedback
Verlauf und Prognose:
Im Gegensatz zur Situation der Betroffenen noch vor 60 Jahren und entgegen der landläufigen Meinung
ist die Prognose für viele Patienten gut: 70-80% aller Patienten werden anfallsfrei, davon mehr als die
Hälfte irgendwann ohne Medikation.
Eine schlechtere Prognose besteht bei Patienten mit sehr frühem Erkrankungsbeginn, mit diffusen zerebralen Erkrankungen, kombinierten Anfallssymptomen und langem Verlauf ohne Anfallsfreiheit.
74
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