S3-Leitlinie exokrines Pankreaskarzinom – Wo

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AUS JOURNAL ONKOLOGIE 3/2014
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S3-Leitlinie exokrines Pankreaskarzinom –
Wo steht jetzt nab-Paclitaxel/Gemcitabin?
Interview mit Prof. Hanno Riess, Medizinische Klinik für Hämatologie und Onkologie Charité – Berlin.
Die S3-Leitlinie exokrines Pankreaskarzinom wurde im Oktober 2013 veröffentlicht. Zu nabPaclitaxel + Gemcitabin als Therapieoption gab es folgende Aussage: ...interessante neue Therapie-
Prof. Hanno Riess,
Berlin.
option... Die Verwendung dieser Kombination in Deutschland erfolgt bis zur Zulassung durch die
EMA nach den Kriterien des „off label use“. Nun wurde die Kombination im Januar 2014 zugelassen.
JOURNAL ONKOLOGIE: Herr Prof.
Riess, wie geht man jetzt mit der
Empfehlung in der S3-Leitlinie um?
RIESS: Es ist immer ein grundsätzliches
Problem, dass Leitlinien Deadlines haben. Zudem sind Leitlinien nicht nur
evidenzbasiert, sondern die deutschen
Leitlinien sind darüber hinaus konsensusorientiert. Das heißt, dass die Kolleginnen und Kollegen in diesen Leitlinienkommissionen Evidenzen mitunter
unterschiedlich einordnen und – zumindest für den klinischen Alltag – zu unterschiedlichen Empfehlungen kommen.
So weist die Leitlinie an einer Stelle
zurecht den Anwender darauf hin, dass
zu diesem Zeitpunkt noch keine Zulassung für nab-Paclitaxel/Gemcitabin
beim metastasierten Pankreaskarzinom bestanden hat, dass es aber eine
FDA-Zulassung gibt und eine PhaseIII-Studie publiziert wurde. Der Zusatz
„Verwendung im off label use“ ist also
sachgerecht.
In der Leitlinie wird aber z.B. bei
FOLFIRINOX nicht vermerkt, dass
wesentliche Substanzen in diesem
Schema – insbesondere Irinotecan und
Oxaliplatin – zur Therapie des metastasierten Pankreaskarzinoms ebenfalls
nicht zugelassen sind. Damit wird eine
Verwendung im off-label use indirekt
befördert.
Dies ist auch ein Beispiel für die nach
wie vor unbefriedigende Situation, wenn
es darum geht, in Phase-III-Studien als
wirksam nachgewiesene Substanzen in
der Versorgung schwerstkranker Tumorpatienten einzusetzen.
Ich denke schon, dass sich eine
deutsche Leitlinie tatsächlich dazu
äußern muss, wenn etwas nicht zugelassen ist, weil wir eben nicht nur Evidenzen bewerten, sondern auch die
Versorgungssituation und ihre ökonomischen Limitationen berücksichtigen
sollen.
Jetzt jedoch haben wir in Umkehrung des Leitlinien-Wordings eine zugelassene Kombination in einer relevanten
Indikation, die in Konkurrenz zu einer
Therapie steht, die nicht zugelassen ist.
Kritisch anzumerken ist auch, dass
FOLFIRINOX häufig nicht so dosiert wie
in der Studie eingesetzt wird. Viele Onkologinnen und Onkologen lassen den
Bolus 5-FU weg oder geben Irinotecan
in geringerer Dosierung, obwohl es dafür keine konklusive Datenlage für ein
„modified FOLFIRINOX“ gibt.
JOURNAL ONKOLOGIE: Wo steht
die Kombination aus Gemcitabin
und nab-Paclitaxel im Vergleich zu
FOLFIRINOX in Hinblick auf Studiendaten und Patientenkollektive?
RIESS: Zum einen betreffen beide
Studien ein sehr ähnliches Patientenkollektiv: Patienten mit einem vergleichsweise guten Allgemeinzustand,
Patienten mit guter Galleausschei-
dungsfunktion, d.h. Bilirubinwerten,
die nicht relevant erhöht sind. Eine relevante Hyperbilirubinämie war in beiden Studien ein Ausschlusskriterium.
Beide Studien hatten als Vergleich
eine Gemcitabin-Monotherapie. Die
FOLFIRINOX-Studie ist eine vergleichsweise kleine Studie, durchgeführt in
bewährten und geschulten Studienzentren. Sie wurde nur in Frankreich
durchgeführt und ist nicht extern evaluiert – es gibt also kein „blinded review“. Dagegen ist die MPACT-Studie
multinational und multizentrisch, was
das Patientenkollektiv vermutlich heterogener macht. Wahrscheinlich ist die
Versorgungssituation in der MPACTStudie realistischer abgebildet als in
der FOLFIRINOX-Studie.
Die Ergebnisse sind nicht identisch.
Zahlenmäßig ist das mediane Überleben bei FOLFIRINOX etwas besser.
Doch sollte man vorsichtig sein beim
Vergleich einer randomisierten Studie
mit einer anderen randomisierten Studie. Einen Kopf-zu-Kopf-Vergleich gibt
es nicht. nab-Paclitaxel/Gemcitabin ist
in Bezug auf die Toxizität als günstiger
einzuordnen, es ist einfacher zu handhaben, und de facto kommen mehr
sich vorstellende Patienten für nab-Paclitaxel/Gemcitabin in Frage als für FOLFIRINOX. Durch die wöchentliche Gabe
des nab-Paclitaxel/Gemcitabin-Regimes
kann man sehr schnell auch auf sich anbahnende Toxizitäten reagieren, während dies bei einem Regime wie FOLFIRINOX, das alle 14 Tage gegeben wird,
schwieriger ist.
JOURNAL ONKOLOGIE: Wie etabliert sind nab-Paclitaxel/Gemcitabin und FOLFIRINOX inzwischen in
der Klinik und welche Erfahrungen
haben Sie gesammelt?
RIESS: Wir setzen beide Regime ein.
Zuerst schildere ich allen Patienten
alle Therapiemöglichkeiten, also mit
Gemcitabin mono, Gemcitabin-Erlotinib, nab-Paclitaxel/Gemcitabin und
FOLFIRINOX, lege ihnen kurz die Vorund Nachteile dar und mache ihnen
deutlich, dass keine dieser Therapien
heilend ist. Denn für diese Patientengruppe spielt Patient-Preference eine
große Rolle, und nur aufgeklärte Patienten können mitentscheiden.
Ein Entscheidungskriterium kann
auch sein, dass in Zukunft eine Zweitlinientherapie notwendig werden
könnte. Wenn ich überzeugt bin, dass
der Patient das toleriert, beginne ich
mit FOLFIRINOX und gehe dann, wenn
er progredient wird und in gutem Allgemeinzustand bleibt, zu nab-Paclitaxel/
Gemcitabin über.
Wenn ein Patient z.B. einen Diabetes
hat und eine beginnende Polyneuropathie – was in diesem Kollektiv gar nicht
so selten ist – dann versuche ich das
Oxaliplatin in der Erstlinie zu vermeiden
und setze lieber primär nab-Paclitaxel/
Gemcitabin ein.
Ein wesentliches Problem bei beiden
Regimen ist, dass im Alltag viele Patienten Bilirubinwerte haben, die ≥ 2 mg/dl
sind und dass dieses Patientenkollektiv
weder in der FOLFIRINOX noch in der
MPACT-Studie abgebildet ist.
JOURNAL ONKOLOGIE: Welche
Möglichkeiten sehen Sie für Patienten mit lokal fortgeschrittenem,
nicht metastasiertem Pankreaskarzinom?
AUS JOURNAL ONKOLOGIE 3/2014
RIESS: Wie in der FOLFIRINOX-Studie
waren auch in der MPACT-Studie nur
Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom eingeschlossen. Die Studie
mit Gemcitabin/Erlotinib erfasste zwar
beide Kollektive, jedoch hat dieses
Regime nur die Zulassung für das metastasierte Pankreaskarzinom bekommen. Es gibt aber wohl kaum einen
Onkologen, der anzweifeln würde,
dass ein Regime, das beim metastasierten Pankreaskarzinom wirksamer ist
als Gemcitabin mono, nicht auch beim
lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinom wirksamer ist.
JOURNAL ONKOLOGIE: Wie sehen
Sie die Entwicklung in der Therapie
des Pankreaskarzinoms in den letzten Jahren?
adjuvante Therapie mit Gemcitabin
die Rate an Langzeitüberlebenden von
10% auf 25% erhöht werden. Diese
absolute Differenz von 15% ist ein sehr
gutes Ergebnis, aber in Anbetracht
dessen, dass man bei 10% „anfängt“,
ist das Ergebnis natürlich unbefriedigend. Beim Mammakarzinom ist die
Ausgangssituation 70%, beim Kolonkarzinom etwa 50% an postoperativen Langzeitüberlebenden. In der
adjuvanten Situation wurde jetzt eine
Studie initiiert, die Gemcitabin versus
Gemcitabin/nab-Paclitaxel prüft und
hoffentlich eine weitere Verbesserung
der Kurationsrate ergeben wird.
Früher haben Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom unbehandelt im Median deutlich weniger als 6
Monate gelebt, jetzt leben sie behandelt mehr als doppelt so lange. Damit
sind die Ergebnisse so gut wie beim
Kolonkarzinom. Aber die „Startgröße“
ist eben viel schlechter als beim Kolonkarzinom.
Gemcitabin hatten wir schon vor 20
Jahren, dann verliefen fast alle Phase-IIIStudien negativ oder zeigten nur eine
geringe Verbesserung des Überlebens.
Jetzt haben wir für die Patienten mit
metastasiertem Pankreaskarzinom und
gutem Allgemeinzustand zwei Alternativen – FOLFIRINOX und nab-Paclitaxel/
Gemcitabin, die eine ganz klare Überlegenheit gegenüber dem alten Standard
gezeigt haben. Auch die molekulare
und histopathologische Subcharakterisierung von Tumor und Stroma wird
hoffentlich eine prädiktive und differentialtherapeutische Hilfestellung in
der Behandlung zur Folge haben. Es
ging also nicht nur vorwärts, es geht
weiter.
RIESS: Es geht vorwärts! In unserer
CONKO 001-Studie konnte durch eine
Vielen Dank für das Gespräch!
JOURNAL ONKOLOGIE: In letzter Zeit
wurden Testsysteme vorgestellt, mit
denen man ein Pankreaskarzinom im
Frühstadium diagnostizieren kann.
Wie sehen Sie diese Entwicklung?
RIESS: Es gibt eine Reihe von Postern
und Testsystemen zur Früherkennung
von Pankreaskarzinomen. Die Mehrzahl
basiert darauf, zirkulierende Tumorzellen (CTCs) zu detektieren und molekular zu charakterisieren. Es würde mich
außerordentlich freuen, wenn es in dieser Richtung einen Durchbruch geben
würde. Aber die Evidenzlage dafür, dass
ein Screening tatsächlich eine Ergebnisverbesserung bringt, gibt es leider noch
nicht. Es gibt aber Evidenz, das man bei
Patienten in lokal limitierten Stadien
diese CTCs nachweisen kann, ob das
früh genug ist, um Kuration zu erreichen bleibt m.E. offen.
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