Universität zu Köln Erziehungswissenschaftliche Fakultät Ethik und Wirtschaft ?! -Ein Beitrag aus wirtschaftsdidaktischer SichtUniv.- Prof. Dr. habil. Bernd O. Weitz Hochschuldidaktische Schriften der Abteilung Wirtschaftwissenschaft und ihre Didaktik Beitrag Nr. 1/2005 Gronewaldstraße 2, 50931 Köln Gliederung: Vorbemerkung 1. Einführung, Problemstellung und Thesen ................................... 2. Zum Verhältnis von Wirtschaft und Ethik .................................. 3. Zur ethischen Flankierung des Wirtschaftsunterrichts ............... 4. Konzeptionelle Hinweise zur Gestaltung von Unterricht .............. 5. Rückbesinnung und Ausblick................................................ 6. Literatur ................................................................................... Vorbemerkung Bei dem hier vorliegenden Beitrag handelt es sich um die leicht überarbeitetet Fassung der Anrittsvorlesung des Verfassers an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln vom 19.04.2005 . 1 1. Einführung, Problemstellung und Thesen Ethik und Wirtschaft scheinen in einem nicht unerheblichen Spannungsverhältnis zueinander zu stehen. Dies bestätigen besonders die Pädagogen, die in Schulen und Hochschulen mit der ökonomischen bzw. sozialwissenschaftlicher Bildung betraut sind. In meinem Vortrag will ich das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik aus Sicht der Lehrerbildung in den Blick nehmen. Ich werde also in erster Linie eine didaktische Perspektive einnehmen und nach dem Sinn, dem Nutzen und den Möglichkeiten schulischer Arbeit zum Thema Ethik und Wirtschaft fragen. Bewusst habe ich die Überschrift meines Beitrages "Ethik und Wirtschaft ?!" zunächst mit einem Fragezeichen versehen, und dann dieses mit einem Ausrufezeichen ergänzt, weil bei vielen Nichtökonomen, aber auch bei Unternehmen und nicht zuletzt bei vielen Pädagogen diese beiden Begriffe geradezu in einem diametralen Gegensatz zueinander zu stehen scheinen. Viele Anzeichen belegen. dass in einer Situation in der Ausbildungs- und Arbeitsplätze knapp sind und der Kampf um Marktanteile zunehmend härter wird, positive ethische Grundhaltungen, wie etwa Mitmenschlichkeit und Rücksicht ins Wanken geraten. In der wirtschaftsdidaktischen und wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion wird dem gemäß zunehmend über das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik nachgedacht (vgl. hierzu insb. Albers, (Hg.), 1996; Homann/Bloome-Drees 1992). Der Kieler Wirtschaftsdidaktiker Klaus-Peter Kruber fasst einen konstatierten ethischen Orientierungsverlust in der Wirtschaft (hier den Unternehmen) wie folgt zusammen: Diese ethische Erosion der Marktwirtschaft führt ,,(...) zur Machtwirtschaft, zu blanker Kommerzialisierung von Kultur und materiellen Werten. zur Reduzierung des Menschen auf den Produktionsfaktor Arbeit, zum Raubbau an der natürlichen Umwelt" (Kruber 1996, S. 39). Tendenziell in die gleiche Richtung ging im August 1999 die Aussage des Wirtschaftswissenschaftlers, Philosophen und Theologen Stephan Feldhaus. Er stellte anlässlich einer Festveranstaltung des Bildungswerkes der westfälischen Wirtschaft fest >Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Ethik in den Unternehmen eine Rolle spielt. Dabei biete die Ethik wichtige Hilfestellung, in verantwortungsvoller Weise in den Unternehmen zu handeln< (NW, Nr. 194, 1999, S. 7). 2 Auf breite Zustimmung stieß vor wenigen Jahren die Forderung von Kardinal Josef Ratzinger (dem heutigen Papst Benedikt XVI Erg. des Verf.) anlässlich des Symposions "Kirche und Wirtschaft in der Verantwortung für die Zukunft der Weltwirtschaft" in Rom: "Wir brauchen heute ein Höchstmaß an wirtschaftlichem Sachverstand, aber auch ein Höchstmaß an Ethos, damit der wirtschaftliche Sachverstand in den Dienst der richtigen Ziele tritt und seine Erkenntnis politisch vollziehbar und sozial tragbar wird" (Ratzinger 1987, S. 36). Was hat man sich nun unter dem Begriff Ethik vorzustellen? Peter Ulrich und Thomas Maak vom Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen stellen fest: "Gegenstand aller Ethik ist das Phänomen der Moral, der gelebten Sittlichkeit. Sie beruht auf den Wertvorstellungen und Verhaltensnormen, die der kulturspezifischen Tradition entstammen und eine Lebenspraxis faktisch bestimmen (vgl. Ulrich/Maak 1996, S. 12). Ethik ist allerdings nicht wie dies bei Ulrich und Maak anzuklingen scheint gesetzhaft gefügt und durch das Individuum nicht zu beeinflussen. Sondern Ethik ist gerade zu die Voraussetzung um sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden. Um dies zu erläutern erlauben Sie mir einige definitorische Rückgriffe unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Grundlagen von Klopfer 1994, S. 6ff.:. Das Begriff Ethik stammt aus dem Griechischen. Es leitet sich ab von „Ethos“ Das zweierlei Bedeutung hat: · Erstens bezeichnet es das äußerlich sichtbare Verhalten von Menschen · Zweitens den inneren Zustand eines Menschen, seinen Charakter. Der Begriff Ethik ist von Aristoteles (4. Jh. V. Chr.) als Bezeichnung für Analysen des menschlichen Handelns eingeführt worden. Ethik ist also kein Moralisieren mit erhobenem Zeigefinger, sondern ein Untersuchen, warum Menschen in bestimmten Situationen so handeln oder gehandelt haben. Zu den Aufgaben der Ethik gehört seit dieser Zeit, dass auch wirtschaftliche und politische Fragen beantwortet werden. Die beiden Hauptfragen der 3 Wirtschaftsethik bis in die Neuzeit betreffen das Problem des gerechten Preises und die Frage, ob das Erheben von Zinsen erlaubt ist oder nicht. Wie kommt es nun in unserer Zeit zu einem verstärkten Interesse an Wirtschaftethik? Dazu müssen wir uns zunächst klar machen, was man unter Ethik versteht. Menschen leben mit anderen Menschen nach bestimmten Vorstellungen zusammen, nach denen sich die meisten richten. Solche tatsächlich eingehaltenen Regeln nennt man Moral Man kann solche Regeln, die meistens von den Eltern oder der Schule an die Kinder weitergegeben werden, unbewusst oder auch bewusst anwenden. Orientiert man sich bewusst an ihnen und kann sogar eine Begründung für ihre Richtigkeit und Notwendigkeit geben, dann ha man eine ethische Position bezogen. Ethik Ethik ist also Ausdruck dafür, dass man sein Leben bewusst führt und zwischen „guten“ und „schlechten“ Handlungen begründet entscheiden kann. Überträgt man diese allgemeine ethische Orientierung auf den Sachbereich Wirtschaft, dann spricht man von wirtschaftsethischem Handeln oder von Wirtschaftsethik Wirtschaftsethische Fragen sind beispielsweise: · Wie müssen wir mit den Gütern Lust und Wasser verantwortungsbewusst umgehen? · Muss man den Geschäftspartnern immer die (volle) Wahrheit sagen? · Darf ein Unternehmen seinen Technologievorsprung für hohe Preise einsetzen? 4 · Darf man wirtschaftliche Macht einsetzen, um af anderen Gebieten seine Interessen durchzusetzen? · Darf ein Unternehmen trotz technischer Möglichkeiten die Produktdauerhaftigkeit vernachlässigen, um die Umsatzhäufigkeit zu steigern? · Handelt man moralisch gerechtfertigt, wenn man unter Inkaufnahme von Benachteiligungen weniger Menschen viele anderen Menschen damit nützt? Vielen Menschen scheinen Ethik und Marktwirtschaft zunächst widersprüchliche Lebensbereiche zu sein. Beispielsweise halten manche Menschen die Marktwirtschaft für den Ort, an dem Egoismus, Gewinnstreben, Wettbewerb, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung u. a. den Gedanken an Ethik verdrängt zu haben. Deshalb muss eine Hauptfrage der Wirtschaftsethik sicherlich lauten: Wie können moralische Normen und Werte unter den Bedingungen der Marktwirtschaft zur Geltung gebracht werden? In historischer Perspektive kann die Wirtschaftsethik in zwei Phasen eingeteilt werden: Von der Antike bis etwa zum 18. Jahrhundert sah man es als Aufgabe jedes einzelnen Menschen an, durch sein tugendhaftes Handeln (im Sinne von Wohlwollen für andere) das Wohl anderer Menschen mit herbeizuführen. Der Kaufmann sollte beim Anpreisen von Vorzügen seiner Ware beispielsweise ehrlich sein, keine überhöhten Preise verlangen usw. Die Ethik der Wirtschaft hing dann davon ab, ob es viele einzelne Menschen gab, die sich individuell moralisch einwandfrei verhielten. Im 18. Jahrhundert erfolgte ein Umschwung im wirtschaftlichen Denken. Eingeleitet wurde diese neue Phase durch den schottischen Moralphilosophen Adam Smith. In seinem ökonomischen Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“ von 1776 markiert diese Zäsur sein berühmter Satz: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“ Damit ist folgender Gedanke verbunden: Das Zusammenleben der Menschen in einem Staat soll im Bereich der Wirtschaft so geordnet sein, dass die einzelnen Menschen ihre eigenen Interessen verfolgen dürfen, insgesamt dabei aber für alle ein Vorteil erwächst. 5 Klug ausgedachte Gesetzte sollen sicherstellen, dass auch ohne eine hochsehende moralische Gesinnung des einzelnen Menschen in der Wirtschaft es doch moralisch und gerecht zugeht. Unerwünschte Resultate in der Wirtschaft können damit nicht mehr auf Charakterschwächen einzelner Menschen zurückgeführt werden, sondern auf Strukturfehler der Wirtschaft. Die beiden Möglichkeiten, Ethik in der Wirtschaft zur Geltung zu bringen, lassen sich also folgendermaßen auseinanderhalten: Ethisches Denken in der Wirtschaft fängt beim einzelnen an Ethisches Verhalten wird durch staatliche Normen erzwungen Tugendethisches Verhalten des einzelnen Ethik der Rahmenordnung Aber auch in unserer Zeit, in der durch eine staatlich festgesetzte Rahmenordnung ethisches Verhalten gefordert wird, ist das individuelle ethische Verhalten nicht überflüssig geworden. Das freiwillige Akzeptieren einer ethisch konzipierten Wirtschaftordnung setzt einen an ethischen Verhaltensweisen interessierten Bürger voraus. (Vgl. Klopfer 1994, S. 6ff) Zusammenfassend darf an dieser Stelle festgehalten werden der Begriff Ethik bedeutet "Lehre vom sittlichen Verhalten" und ich meine es kann der Lehrerbildung wie den Lehrern vor Ort keineswegs gleichgültig sein, welchen sittlichen Werten sich Schüler bewusst oder unbewusst verpflichtet fühlen bzw. welche sittlichen Werte ökonomische Bildung vermittelt. Das diese Überlegungen auch und gerade für die Wirtschaftsdidaktik hohe aktuelle Bedeutung haben zeigen folgende Beispiele: - Eine Wirtschaftspädagogin aus Halle (Saale), die hauptsächlich Bankkaufleute 6 unterrichtet, klagte mir gegenüber, dass ihre Schüler völlig unreflektiert vermeintliche Unternehmerpositionen übernähmen und ihren beruflichen Aufstieg als alleinigen Maßstab ihres Handeins ansähen. Sie fasste dies mit folgender Aussage zusammen: "Das ethische Modell dieser Jugendlichen heißt, erlaubt ist, was meinem Unternehmen und mir nutzt. Nur der Erfolg zählt, wie er erreicht wird ist unwesentlich". - Ein Lehrer aus Paderborn stellte im Zusammenhang der Frage nach der Notwendigkeit einer ethischen Flankierung des sozialwissenschaftlichen Unterrichts fest: "Schon wieder eine neue Aufgabe für uns Lehrer! Unsere Aufgabe ist es doch lediglich Fachkenntnisse zu vermitteln." - Der Arbeitslehre-Didaktiker Lothar Beinke zeigt an der Haltung von Studierenden in Einführungsveranstaltungen in den Erziehungswissenschaften der Universität Gießen auf, dass diese den Unternehmen nicht selten mit einer deutlich ablehnenden Grundhaltung begegnen. Diese Haltung wird mit der Notwendigkeit begründet, ,,(...) menschliches Zusammenleben fordere die Beachtung und Berücksichtigung ethischer Werte. Diese aber stießen im System des der Gewinnmaximierung verpflichteten, vom Kapitaleinsatz gesteuerten Wirtschaftens auf geradezu eine dysfunktional zu sehende Konfrontation. Mit anderen Worten: Die im Marktsystem produzierende Wirtschaft lässt keinen Raum für ethisch fundiertes Handeln" (Beinke 1997, S. 35). - Überliefert wird auch die Aussage von Karl Kraus auf die Frage eines Studenten, wie man Wirtschaftsethik studieren könne: Gar nicht, man müsse sich schon für eins entscheiden, Wirtschaft oder Ethik (vgl. Steinmann 1996, S. 22). Das Thema Ethik und Wirtschaft scheint also nicht nur in der ökonomischen Bildung ein Thema mit erheblichem Konfliktpotential zu sein. Im Rahmen der nachfolgenden Betrachtungen will ich es näher untersuchen, wobei die folgenden bewusst provokativ formulierten Thesen untersuchungsleitend fungieren. These 1: Ethik und Wirtschaft sind miteinander unvereinbare Bereiche. These 2: Überlegungen zur ethischen Flankierung der ökonomischen Bildung gehören nicht zu den Aufgaben der Wirtschaftsdidaktik. These 3: Ethik und Wirtschaft sind unvereinbar in einem gemeinsamen Unterrichtskonzept. 7 2. Zum Verhältnis von Wirtschaft und Ethik Beim Blick in die Vergangenheit stellt man fest, dass zwischen Ethik (als Lehre von den Normen menschlichen Verhaltens) und Wirtschaft (als Lehre vom bestmöglichen Umgang mit knappen Ressourcen) lange Zeit kein reger Gedankenaustausch bestanden hat (Lackmann 1988, S. 15), obwohl sich beide Wissenschaften auf dieselben handelnden Menschen beziehen. Der Wirtschaftsdidaktiker Bodo Steinmann (Universität Siegen) versucht beide Richtungen in Stichworten zu fixieren: Danach kennzeichnet Wirtschaft (Unternehmen) sich dabei eher durch Begriffe wie: · Rationalität · Wertfreiheit · Objektivität · Sachgerechtigkeit und Effizienz. Ethik hingegen kann eher durch jeweils konträre Stichworte beschrieben werden: · nicht Rationalität, sondern außerökonomische Moralität · nicht Wertfreiheit, sondern Werthaftigkeit · nicht Objektivität. sondern Subjektivität und · nicht Sachgerechtigkeit und Effizienz. sondern Menschengerechtigkeit und Humanität. (vgl. Steinmann 1996, S. 22) Gleichwohl lässt sich sehr deutlich feststellen, dass die Wirtschaftswissenschaften und die Praktiker(innen) in den Unternehmen zunehmend versuchen, sich und ihre Arbeit ethischen Aspekten zu verpflichten. Dies verdeutlichen die folgenden Ausführungen. Wenden wir uns zunächst der gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsebene zu. Hier darf nicht selten ein hoher ethischer Anspruch konstatiert werden, den der Sozialethiker Arthur Rich wie folgt formuliert: "Alle Wirtschaft, die ihren Grundzweck nicht verfehlen will, hat dem Leben zu dienen (...). Dazu gehört primär die Bereitstellung der daseinsnotwendigen, wünschenswerten und alles in allem die Qualität des Lebens mehrenden Güter und Dienste des Menschen (...). Aus alle dem erhellt, dass die Wirtschaft nicht ihr eigener Zweck sein darf. Anders gesagt: Sie hat nicht sich selbst, nicht der Entfaltung ihrer eigenen Möglichkeiten zu 8 dienen, sondern sich in den Dienst der Wohlfahrtsförderung aller zu stellen. Und das bedeutet, dass die Güte einer Volkswirtschaft weder allein am Wirkungsgrad ihrer produktiven und distributiven Leistungserbringung zu messen ist, noch an der Höhe der Wachstumsrate oder am Ausmaß des Bruttosozialprodukts, sondern vielmehr daran, ob und in welcher Weise sie die lebensqualität heben, d. h. vorrangig diejenigen Produkte erzeugen, die unter höchstmöglicher Schonung der natürlichen Ressourcen und der Umwelt der allgemeinen Wohlfahrt dienlich sind. Jedes Selbstzweckdenken in der Wirtschaft -hier dem Unternehmen- , dem es letztlich, ungeachtet dessen, ob ihre Produktion wohlfahrtsfördernd oder wohlfahrtsmindernd ist, um die eigene Auswertung bis hin ins Ungemessene geht und dabei die Naturgüter, ja selbst den Menschen als bloße Mittel zur Erreichung dieses Pseudozweckes wertet, bedeutet eine fundamentale Verkehrung der Sache und steht im strikten Widerspruch zum Prinzip der Lebensdienlichkeit" (Rich 1992, S. 139 f.). Der St. Gallener Wirtschaftswissenschaftler K. H. Freitag weist auf das Problem der möglicherweise lediglich appelativen Wirkung solcher ethischen Ansprüche hin. "Es bleibt wohl generell unbefriedigend, den Vollzug vornehmlich subjektiven Gewissensentscheidungen überantwortet zu sehen, es sei denn, es gäbe Normen oder Konventionen, "Verkehrsregeln", die das Ethos wie eine sachliche Notwendigkeit für jedermann (d. h. in erster Linie für die Unternehmen) zwingend einsichtig machen" (Freitag 1987, S. 8). Die Voraussetzungen für ein ethisch geprägtes Miteinander sehen Hohmann/Bloome-Drees realisiert in der Existenz des marktwirtschaftlichen Modells, eines aus ihrer Sicht in sich ethischen Systems, welches" (...) das beste bisher bekannte Mittel zur Verwirklichung der Solidarität aller Menschen darstellt" (Hohmann/Bloome-Drees 1992, S. 49). Die Frage nach den "Normen, Konventionen und Verkehrsregeln" und ihrer Einhaltung wird dabei an den Staat verwiesen, der die Rahmenordnung zu setzen hat, die in einem demokratisch verfassten Staatswesen ethischen Ansprüchen genügen muss (vgl. Hohmann/Bloome-Drees, 1992, S. 20 ff.). In der Marktwirtschaft drückt sich dem gemäß,,(...) moralisches und legitimes unternehmerisches Verhalten dadurch aus, dass die Unternehmen den bestehenden gesetzlichen Rahmen beachten und ansonsten bestrebt sind, ihre Gewinne in einer mittel- bis langfristigen Perspektive zu maximieren (Hohmann/Bloome-Drees 1992, S. 125). Damit wird bereits deutlich, dass eine erhebliche Differenz bestehen kann zwischen den Leitbildern gegenwärtiger Wirtschaftsethik, nach dem ehemaligen "Ruhrbischof' F. Hengsbach "Leben - Personenwürde - Beteiligung", 9 "Weltliche Gerechtigkeit", "Gleichstellung der Frauen" sowie "Respekt vor der natürlichen Umwelt" (vgl. Hengsbach 1991, S. 81 ff.) und den ethischen Möglichkeiten der von Hohmann/Bloome-Drees skizzierten auf Unternehmensebene. Wirtschaftliches Handeln bedeutet seinem elementaren lebenspraktischen Sinn nach "Werte schaffen" (Wertschöpfung) , nämlich Gebrauchs- oder Genusswerte für die menschliche Bedürfnisbefriedigung. Da jede einigermaßen effiziente Wirtschaft arbeitsteilig organisiert ist, ist sie notwendigerweise in Spielregeln der gesellschaftlichen Zusammenarbeit und Ergebnisverteilung eingebettet. Wirtschaftliche Wertschöpfung ist demnach als immer schon weltorientierte Praxis zu begreifen, der unausweichlich bestimmte Leitideen vom guten Leben und gerechten Zusammenleben der Menschen zugrunde liegen. In der Wirtschaftsethik muss so auch aus pädagogischer Sicht gehen um das grundsätzliche Nachdenken über den humanen Sinn und Zweck sowie über ethische Grundlagen und soziale und ökonomische Rahmenbedingungen einer lebensdienlichen Wirtschaft. Wirtschaftsethik sucht in dieser Situation nach zeitgemäßen, begründeten Wertund Sinnorientierungen wirtschaftlichen Handeins, sei es für den einzelnen in seinem persönlichen Leben oder für die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im allgemeinen (vgl. UIrich/Maak 1996, S. 10). Wendet man sich dem realem Wirtschaftsgeschehen zu, so wird deutlich, dass Ethik dort nicht selten unter einem sehr begrenzten begrenzten Blickwinkel betrachtet wird. "Die Moral, die vom Subsystem "Unternehmung" gefordert wird, ist im Kern durch die Markt- und Wettbewerbssteuerung definiert, die sich ihrerseits an den Konsumenteninteressen orientiert und die Unterschiede im unternehmerischen Effizienzgrad durch periodische Differenzialgewinne honoriert. (...) Alles, was "Unternehmensethik" als Lehre von der Moral der Unternehmen reflektiert, hat von dem Zweck auszugehen und zu ihm zurückzuführen, um dessentwillen die Gesellschaft sich die Institution "Unternehmung" mit ihren Gewinnchancen "hält", nämlich die prompte und effiziente Bedienung der Konsumentenpräferenzen (...)" (Molitor 1989, S. 99). Dieser Grundgedanke findet sich auch bei der Marktwirtschaftsanalyse des Hauptgeschäftsführers der saarländischen Unternehmensverbände und Mitglied des Vorstandes des Bundes Katholischer Unternehmer, Norbert Reis, wieder. Er stellt fest: Die Marktwirtschaft beruht auf der ethischen Entscheidung für eine Organisation, die Entscheidungsrecht und Verantwortung für die Entscheidungsfolgen derselben Instanz (Person, Unternehmen) überträgt. Dezentralisation und Subsidarität, die keineswegs 10 Solidarität ausschließen, sind ethische Prinzipien, die der Marktwirtschaft innewohnen. Die Soziale Marktwirtschaft kann durchaus als ein Kompromiss verstanden werden, als eine tiefe Einsicht, dass Ethik und Ökonomie notwendig sind, jede an ihrem Platz. Unternehmer und Geschäftsleitungen, die nach der Devise handeln "Immer heiter, Gott hilft weiter", dürfte es in der Praxis viel weniger geben, als uns Ideologen glauben machen wollen. Wer auf Eigengesetzlichkeiten des Marktes als Grenzen moralischer Beurteilung verweist, leistet zwar selbst bewusst keinen Beitrag zur Diskussion um das moralisch angebrachte Verhalten von Wirtschaftssubjekten, jedoch nimmt er im ethischen Sinne eminent Stellung. Die Diskussion um die Grenzen, ja um die Möglichkeit moralischer Reflexion überhaupt, gehört seit jeder und notwendig zum Kern der Ethik. Der auf die Eigengesetzlichkeit des Marktes und seiner Steuerungsmechanismen hinweisende Ökonom konfrontiert den Philosophen mit Zwängen, die im System des Marktes selbst begründet sind und darum besonders für Wirtschaftsethik gar nicht zur Disposition stehen können. Der Unternehmer, der sich diesen Zwängen entziehen wollte, würde als Unternehmer scheitern und als Ansprechpartner für Wirtschaftsethik ausfallen." (Reis 1991, S. 22 f.). Bernhard Molitor warnt ausdrücklich davor, Unternehmensethik als zusätzliches autonomes Steuerungsinstrument zu konzipieren. Sie kann nicht "autonom" sein; denn ein Unternehmen ist kein Zweck in sich selbst oder eine Einrichtung, die sich um sich selbst drehte. So müsste es gesellschaftswirtschaftlich verheerende Folgen haben, würde im Unternehmen der Faktor Beschäftigung alleine um der Beschäftigung willen gesehen (Vgl. Molitor 1989, S. 99). Im Vordergrund unternehmerischen Handelns im Rahmen marktwirtschaftlicher Systeme steht so auch unzweifelhaft zunächst stets der Erfolg im Marktgeschehen. Für F. A. von Hayek ist es so auch ein Kategorienfehler, von Markt und Wettbewerb, Preisen und Gewinnen die Erfüllung moralischer Forderungen zu erwarten, weil die Marktwirtschaft ein autonomes Subsystem mit dem Zweck der Steuerung nach ausschließlich ökonomischen Gesichtspunkten darstellt (vgl. Hayek in: Hohmann/Bloome-Drees 1992, S. 64). Diese Erkenntnis ist sicher nicht neu, denn bereits Bertolt Brecht lässt in seinem Werk >Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar< den Afranius Carbo ausführen: "Und darüber hinaus hat der Handel auch seinen eigenen Krieg. (...). Dieser unblutige Krieg tobt in jeder Ladenstraße während der Geschäftszeit. Jede handvoll Wolle, die unten an der Straße verkauft wird, löst einen Schmerzensschrei oben an der Straße aus (...). Trotzdem ist es richtig, zu sagen (...), dass der Handel einen gewissen humanen Zug in die menschlichen 11 Beziehungen brachte. Es muss im Gehirn des Händlers gewesen sein, dass der erste friedliche Gedanke auftauchte, die Idee von der Nützlichkeit eines milden Vorgehens. Sie verstehen, die Idee, dass man sich auf unblutigem Wege größere Vorteile verschaffen könnte als auf blutigem" (Brecht 2/1970, S. 42). Der Wettbewerbsgedanke scheint also einer umfassenderen Verwirklichung der eher pädagogisch orientierten Leitbilder der Wirtschaftsethik entgegenzustehen. Der schwäbisch-gmünder Wirtschaftsdidaktiker H. J. AIbers fasst dies folgendermaßen zusammen: "Funktionierender Wettbewerb ist Voraussetzung für eine bestmögliche Versorgung der Menschen mit Gütern. Auf der anderen Seite bedeutet Wettbewerb auch Konkurrenzkampf', das Bemühen, besser zu sein als andere, anderen gegenüber Vorteile zu erlangen. Im Marktwettbewerb setzt sich der Bessere, der Stärkere durch - was aber auch bedeutet, dass die Schlechteren, die Schwächeren unnachsichtig ausgesiebt werden und auf der Strecke bleiben" (Albers 1996, S. 10). Dass eine spezifische an den oben genannten Leitbildern (vgl. Hengsbach 1991, S. 81 ff.) orientierte Unternehmensethik unter marktwirtschaftlichen Bedingungen jedoch keineswegs ausgeschlossen ist und sogar z. B. über das Konsumentenurteil zu einem Wettbewerbsvorteil werden kann, wird in Selbstverpflichtungen deutlich, an die sich Unternehmen binden wie z. B. die, keine Produkte zu handeln (Teppiche, Kleidung etc.), welche unter Ausbeutung von Kinderarbeit produziert wurden. Einschränkend und zurückführend auf die Anforderungen des Marktes stellt B. Molitor fest: "Hier, wo es förmlich um die Selbstverpflichtung oder Selbstbindung geht, können sich die Einzelwirtschaften und ihr "Image" unterscheiden, und ähnliches gilt auch für die Verfahren, auf denen man unter den Beteiligten zu einer solchen Selbstverpflichtung gelangt, die sachlich den Input, den Produktionsvollzug und den Output des Unternehmens betreffen kann (...). Freilich die Bewährung liegt nach wie vor beim Marktanteil. Positivenfalls kann so eine bestimmte Ethosform und damit ihm verbundene Ansehen Schule machen. Aber niemanden wäre damit gedient, wenn ein Unternehmen durch noch so gut gemeinte Selbstverpflichtungen schließlich in Konkurs geriete" (Molitor 1989, S. 100). Das Grundthema von Wirtschaftsethik als Wissenschaft kann demgemäss nach Norbert Reis auch kein anderes sein als die ökonomische Vernunft selbst: Es gibt keine vernünftige Wirtschaftsethik jenseits der ökonomische Rationalität - und keine wohlverstandene ökonomische Rationalität diesseits praktischer ethischer Vernunft" (Reis 1991, S. 23). 12 Dass die Forderungen nach einer positiv ethisch geprägten unternehmerischen Arbeit gleichwohl nicht folgenlos sind, zeigt die zunehmende Diskussion um die Notwendigkeit der Formulierung von Unternehmensgrundsätzen auf ethischer Basis. Hüchtermann und Lenske (Institut der deutschen Wirtschaft) unterstreichen m. E. zu Recht, dass Zeitgeist und Wertewandel nicht vor den Unternehmen halt machen, sondern sich auswirken auf deren Organisations-, Kommunikations-, Tätigkeits- und Führungsstrukturen (vgl. 1991, S. 11), denn Unternehmen' sind keine "Inseln, auf denen ausschließlich ökonomische Spielregeln herrschen" (Plesser 1988, S. 8) Als Beispiele werden hierzu die folgenden unternehmerischen Leitlinien vorgestellt. Führungsstil bei Hewlett Packard · Respekt vor der Persönlichkeit · Möglichkeit der Selbstverwirklichung durch Freiräume · Gegenseitiges Vertrauen und Helfen · Fehler darf man machen · Leistungsbereitschaft durch Freude an der Arbeit · Anerkennung der Leistung und Teilhabe am Erfolg · Mitverantwortung durch gemeinsame Rechte und Pflichten · Übersichtliche Bereiche durch Dezentralisierung · Führen durch Zielvereinbarungen · Informeller Umgang, offene Kommunikation · Förderung durch Weiterentwicklung · Beschäftigungssicherheit · Soziale Absicherung 13 Unternehmensgrundsätze der IBM · Achtung vor dem einzelnen · Dienst am Kunden · Spitzenleistungen: unser Leitmotiv · Effektive Führung · Verpflichtung gegenüber den Aktionären · Faires Verhalten gegenüber Lieferanten · Verantwortung des Unternehmens gegenüber der Öffentlichkeit Ein weiteres Beispiel für eine ethisch ausgerichtete Unternehmensarbeit findet sich in den sozial- und umweltpolitischen Grundlagen der weltweit agierenden PUMA AG. Das Konzept SAFE steht für „Social Accountability and Fundemental Enviromental Standards“. Darin verpflichtet sich PUMA u. a. auf ökologisch nachhaltiges Wirtschaften und auf Dialogbereitschaft mit Partnern wie Aktionären, Behörden und Verbänden. Dies ist zweifelslos auch aus ethischer Sicht noch nicht bemerkenswert. Interessant ist jedoch m. E. der in SAFE verankerte und weltweit in den Produktionsstätten von PUMA sowie den Zulieferern verpflichtend an die Hand gegebenen „Code of Conduct“. Darin werden Mindesstandards festgelegt die weltweit in den Produktionsstandorten gelten müssen. Dazu zählt beispielsweise das Verbot von Arbeitnehmern die jünger sind als 15 Jahre, die Beachtung entsprechender internationaler Bestimmungen hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit sowie die Vereinigungsfreiheit bzw. das Recht auf Mitgliedschaft in Gewerkschaften (http://www.puma.com, 25.11.04) Wenn dies aus europäischer Sicht sicherlich Selbstverständlichkeiten sind, so stellen diese Standards doch in weiten Teilen Asiens, des indischen Subkontinents und Südamerikas doch erhebliche positive Orientierungspunkte dar. 14 Diese konkreten Handlungsmaximen der Unternehmen stehen keineswegs im Gegensatz zur tatsächlichen Einbettung der Unternehmen in das konkurrenzorientierte Marktsystem. H. Simon stellt vielmehr fest "Es geht keineswegs um eine nur altruistisch motivierte Humanisierung des Arbeitslebens oder ein 'Schönwetter-Management', sondern um höhere Produktivität und Wettbewerbsvorteile" (Simon 1990, S. 5). Anders ausgedrückt, wenn unternehmensethischer sich aus der Handlungsmaximen kein Berücksichtigung besonderer marktwettbewerbsbezogener Vorteil für das jeweilige Unternehmen ergibt, so finden diese Maxime auch keine Aufnahme in Führungsstilvorgaben oder Unternehmensgrundsätze. Ein solcher Vorteil Handlungsmaximen deutet von sich z. B. Hewlett-Packard in an, den unternehmensethischen dessen durchschnittlicher Krankenstand bei zwei Prozent liegt, gegenüber sechs bis neun Prozent im industriellen Durchschnitt (vgl. Hüchtermann/Lenske 1991, S. 9). Es gilt auch darauf hinzuweisen, dass völlig freier 'Wildwuchs' von Märkten als einziger Regulator des Wirtschaftsprozesses offenkundig versagt, d. h. Folgen zeitigt, die sich sowohl ökonomisch wie sozial als nicht akzeptabel erwiesen haben. Ein Beispiel hierfür ist der Versuch der damals formal legalen Entsorgung der Erdölbohrinsel 'Brent Spar' durch Shell in der Nordsee (vgl. Abendschein/Seeber 1997). Dort zeigte sich, dass legale Handlungen doch der geseIlschaftlichen Moral widersprechen und vor allem negative ökonomische Auswirkungen für das betreffende Unternehmen zur Folge haben können. Zu Recht darf in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass Vorteile, die Unternehmen aus unethischem Verhalten ziehen, sich zumindest langfristig u. U. nicht auszahlen. Wer versucht, zum Beispiel den Tauschpartner übers Ohr zu hauen, muss mit Gegenreaktionen, etwa in Form der 'Abwanderung rechnen' (vgl. Molitor 1992, S. 23, vgl. weiterhin K. P. Kruber 1996, S. 48). Und es muss darauf hingewiesen werden, dass das marktwirtschaftliche Geschehen in vielschichtiger Weise durch i. w. S. (markt-)ethische Vorgaben gestaltet wird: "Zahlreiche, zum Teil auch rechtsbedeutsame Handlungsgrundsätze verweisen auf eine „Marktethik“, die für ein reibungsloses Funktionieren unerlässlich erscheint: Der Grundsatz von "Treu und Glauben", und das dem Handelsrecht zugrundeliegende Konzept des "Ehrbaren Kaufmanns", das Konstrukt von den "gerecht und billig denkenden Menschen", das "Sittengesetz", die Berufung auf "Anstand und Sitte" 15 usw. Nicht zuletzt gelten die Grundgesetz-Artikel 1 ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") und 2 ("Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt") auch für Marktverhalten und für wirtschaftlichen Umgang miteinander" (Albers 1996, S. 11). Und schließlich gilt es, auf den gesetzlichen Ordnungsrahmen innerhalb der Gesellschaft zu verweisen, der u. a. über das Handelsrecht das marktwirtschaftliche Miteinander sehr wohl in nachvollziehbare „gesetzliche“ Vorschriften kanalisiert und u. U. die Einhaltung dieser Vorgaben durch entsprechende gerichtliche Maßnahmen sicherstellt. Wenn so auch die (soziale) Marktwirtschaft nicht a priori der Ort ist, worin die Realisation ethischer Werte das Kernziel darstellt, so schließt sie doch Möglichkeiten für ethisch fundiertes Handeln auch keineswegs von vornherein aus (vgl. Beinke 1997, S. 35). Vielmehr lassen sich vielfältige ethische und zugleich auf ökonomischen Erfolg gerichtete Unternehmensstrategien verzeichnen. Einer der "Väter" der sozialen Marktwirtschaft, der Wirtschaftswissenschaftler Alfred Müller-Armack, fasste die gesellschaftliche Verpflichtung hinsichtlich einer ethischen Weiterentwicklung der Marktwirtschaft wie folgt: "Keine Wirtschaftsordnung ist als solche schon sittlich (...). Auch die Marktwirtschaft ist keine Ordnung, die alle menschlichen Probleme löst; sie ist nüchtern betrachtet lediglich ein Instrument, ein Verfahren, ein Weg, um die menschliche Freiheit zu nutzen, um etwas weiterzubringen, uns etwas wohlhabender und sicherer leben zu lassen, uns das Gefühl der Gerechtigkeit und der Freiheit von Zwang und Ausbeutung zu geben (...). Es ist nunmehr unsere Aufgabe, sie sozial und ethisch auszugestalten" (MüllerArmack 1948, S. 147 ff.). Diese Forderung Müller-Armacks an >alle<, also insbesondere den Gesetzgeber, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ihre jeweiligen Interessensvertreter richtet sich aus meiner Sicht in besonderer Weise auch an die Schulen, die durch Erziehung und Bildung an der Gestaltung einer >sozialeren<. das heißt nicht zuletzt einer >ethisch geprägten< Marktwirtschaft mitzuwirken haben. Dies richtet den Blick auch auf die gesamtgesellschaftliche. ja globale Dimension und Erfordernis einer ethisch geprägten Wirtschaft und Wirtschaftsdidaktik, denn heute wird uns mehr und mehr bewusst, dass "unser >industrial war of life< mit 16 fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Umwelt verbunden ist und möglicherweise von Grund auf nicht zuletzt aus ethischer Perspektive überdacht werden muss. Auch die überwunden geglaubte soziale Frage stellt sich angesichts chronischer Massenarbeitslosigkeit und sich weiter ausbreitender Armut unserer Gesellschaft erneut. Soziale Auflöseerscheinungen, mangelnder Gemeinsinn und fehlende Solidarität als Schattenseiten eines nahezu grenzenlosen Individualismus oder Gruppenegoismus wecken vielfach das Bedürfnis nach neuen, normativ begründeten sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Politikversagen, Korruptionsaffären und «Amigowirtschaft» stellen weiter oft beklagte Probleme «organisierter Unverantwortlichkeit» dar, die - zusammen mit den ökologischen, sozialen, volks- und weltwirtschaftlichen Krisensymptomen vor allem jungen Menschen leicht ein Bild der Hoffnungs- und Perspektivenlosigkeit vermitteln." (Ulrich/Maak 1996. S. 9). Vor diesem Hintergrund kommt - um ein geflügeltes Wort des Philosophen Manfred Riedel zu zitieren - <der Ethik als Krisenreflexion> grundlegende Bedeutung zu (vgl. 1979, S. 8), und zwar im Hinblick auf nahezu alle wesentlichen Dimensionen unserer Lebenswelt, nämlich: - die Bewahrung einer auch für die Nachwelt lebenswerten natürlichen Umwelt, - die Gestaltung einer hinsichtlich der Lebenschancen für alle Menschen gerechten sozialen Mitwelt, - die Entfaltung einer sinnerfüllten geistigen Innenwelt und - die Schaffung einer gerechten und friedlichen internationalen Welt angesichts der Globalisierung der Märkte einerseits und der sie begleitenden Erschütterungen in den «Transformationswirtschaften» sowie der «Dritten Welt» andererseits. Es geht also um ein ethisch fundiertes Gegenmodell und "Es geht um epochale Herausforderungen der ethischen und politischen Einbindung der Wirtschaftsdynamik in >vitale< lebensweltliche Sinnorientierungen" (Ulrich/Maak 1996, S. 9). Damit komme ich zurück auf das Ausrufungszeichen im Titel meines Vortrags „Ethik und Wirtschaft ?!“ Aus meiner didaktischen Perspektive ist dieses Ausrufezeichen zwangsläufig notwendig und ich stelle fest, dass eine Trennung von Ökonomie und Ethik weder durchgängig gegeben noch sinnhaft ist. "Jede Wissenschaft - auch die Ökonomie - orientiert sich an Werten. ,Obgleich es keine rationale wissenschaftliche Basis für die Ethik gibt', sagt Karl Popper (1973, 17 S.293), ,gibt es doch eine ethische Basis (Hervorhebung v. Verfasser) der Wissenschaft und des Rationalismus.' Und auch Ökonomen sehen - sich berechtigt, 'effiziente' Lösungen im Hinblick auf Bedürfnisbefriedigung zu empfehlen und 'ineffiziente' abzulehnen. (...) Wenn das aber so ist, dann kann die potenzielle "Forderung" nach Beibehaltung der Trennung von Ökonomie und Ethik nicht aufrechterhalten werden - und in der Tat sind seit den 70er Jahren in der USA und den 80er Jahren in Europa im Zuge des Wertewandels (bzw. der Wertedifferenzierung) die Beziehungen zwischen Ökonomie und Ethik verstärkt wieder zum Thema geworden." (Steinmann1996,S.24). Versucht man abschließend in den bisherigen Ausführungen so etwas wie Grundmodelle der Wirtschaftsethik zu finden, so lassen sich folgende Modelle identifizieren: Ethik Ethik als „Gegengift“ gegen zuviel ökonomische Realität Korrektive Wirtschaftsebene Eingrenzung der ökonomischen Sachlogik durch Ethik „Hüterin der Moral“ in der Wirtschaft (auf „Kosten“ des ökonomischen Erfolgs!) Ethik als „Schmiermittel“ für mehr ökonomische Rationalität funktionalistische Wirtschaftethik Nutzung von Moral für ökonomische Interessen Führungsinstrument (z. B. zur Mitarbei-termotivation oder öffentlichen „Akzeptanzsicherung“) Ethik als „Werteboden“ für eine andere, „wertvolle“ ökonomische Rationalität Integrative Wirtschaftsethik Fundierung der ökonomischen – Sachlogik auf ethisch legitimen Grundlagen Grundlagenreflexion ethisch legitimen Wirtschaftens (ethische Voraussetzungen möglichen ökonomischen Erfolgs!) Quelle: Ulrich/Maak 1996, S. 1 18 3. Zur ethischen Flankierung des Wirtschaftsunterrichts Wenn Wirtschaftsdidaktik sich nicht auf eine Ebene zurückziehen will, von der aus sie Pädagogen anleitet eine vorgeblich wertneutrale bzw. eine Werteerziehung ausklammernde fachliche Bildung zu betreiben, dann ist dem Thema Wirtschaft und Ethik ein vorderer Platz in der Arbeit der Hochschulen und der Schulen einzuräumen. Schulische Arbeit muss -zumindest aus der Sicht des überwiegenden Teils der Wirtschaftsdidaktiker- stets auch erzieherische Arbeit sein. Sie umfasst also notwendigerweise zum einen das Bestreben sach- und fachbezogenen Kenntnissen und Handlungskompetenzen zu realisieren, zum anderen aber auch die Zielsetzung ethisch-moralische Grundlagen für menschliches Handeln in der Gesellschaft zu vermitteln. Dies muss gerade für den sozialwissenschaftlichen Lernbereich gelten. Wie begründet sich diese Forderung? Wenn akzeptiert wird, dass in der sozialen Marktwirtschaft sowohl die rechtlichen Gegebenheiten als auch die ethischen Grundwerte der Gesellschaft die Rahmenbedingungen für marktwirtschaftliches Handeln darstellen (vgl. Hohmann/Bloome-Drees 1992, S. 20 ff.), dann sind genau dies auch die Rahmenbedingungen, denen schulische Arbeit verpflichtet ist. Die zentralen ethischen Postulate sind in einem freiheitlichen Rechtsstaat, die Personenhaftigkeit des Menschen (Anerkennung des anderen als Subjekt), seine Freiheit, die Gleichheit aller Menschen und die Toleranz anderen gegenüber (vgl. insb. Robbers 1994, S. 9). Aufgabe des Staates ist es so auch ,,(...) durch die öffentlichen Schulen primär für jene WerteinsteIlungen zu sorgen, die allen Bürgern gemeinsam sein sollen, weil von ihnen das geordnete Zusammenleben und der Fortbestand der Nation abhängt (...). Staatliche Werte-Erziehung durch Lehrer an öffentlichen Schulen muss in erster Linie 'Grundwerte-Erziehung' sein" und somit zwangsläufig auch ethische Erziehung (Ergänzung des Verf.) (Brezinka 1993, S. 64). Daraus kann gefolgert werden, dass sozialwissenschaftlicher Unterricht danach streben muss, ein Höchstmaß an ehtisch-moralischem Bewusstsein zu vermitteln, ohne jedoch dabei die Vermittlung von ökonomischer Sachkompetenz zu vernachlässigen, um die Schüler in den konkreten Wettbewerbssituationen des realen Marktes nicht handlungsunfähig zu machen. Ethik kann somit in erster Linie im Wirtschaftsunterricht als humanes Korrektiv zu ökonomischer Rationalität gesehen werden. Damit fällt der Wirtschaftsethik, in der 19 Wirtschaftsdidaktik bildhaft formuliert, die Aufgabe zu, die ,,(...) sach-zwangsartig aufgefasste Rationalität gleichsam von außen mit 'moralischen Gartenzäunen' in ihrem Geltungs- und Wirkungsbereich einzugrenzen" (Ulrich 1987, S. 125). Es scheint die Gefahr gegeben, dass eine ethische Flankierung des Wirtschaftsunterrichts lediglich in der Funktion steht, >moralisierend den Zeigefinger zu heben< letztendlich jedoch als weitgehend folgenloser Anspruch an den Unterricht zu verkümmern. Wenn jedoch in der ökonomischen Bildung konsequenter als bislang bei der Bewältigung von ökonomischen Anforderungen stets auch die ethischen Aspekte dieser Bereiche erörtert würden, so würde hiermit zumindest ein stärkeres Problembewusstsein gefördert. Dass sich ethische Aspekte durch eine stärkere Bewusstwerdung von Problemen deutlich auf das Verhalten von Verbrauchern und damit unmittelbar auf den Erfolg von Unternehmen am Markt auswirken können zeigt sich u. a. daran, dass amerikanische Konsumenten beim Betreten vieler Supermärkte einen 'Shopping-Guide' zu Hand nehmen können, um zu prüfen, welche Waren besonders umweltfreundlich und sozialverträglich hergestellt worden sind, welche Firmen sich aus dem Rüstungsgeschäft heraushalten und in welchen Firmen der Anteil von Frauen überdurchschnittlich hoch ist. Geldanleger in den USA wie auch in Großbritannien können Anteilscheine sogenannter 'Ethik-Fonds' erwerben, nämlich Aktien solcher Firmen, die beispielsweise umweltfreundliche Produkte herstellen, nicht im Rüstungsgeschäft engagiert sind, aggressive Werbung meiden und keine Tierversuche durchführen (vgl. Hengsbach 1991, S. 16). Erlauben Sie mir den Wunsch zu äußern, dass solche Guids auch in Deutschland Verbreitung fänden. Was sich auf einem Guide für den Shareholder Value z. B. für Daimler-Chrysler so positiv für den Aktionär liest „Gewinne verdoppelt, 1,5 Milliarden Dividende 2004 an Aktionäre ausgeschüttet und 35 000 Jobs abgebaut“ liest sich für den potenziellen Verbraucher –insbesondere dann wenn er zu den 35 000 Menschen die „freigesetzt“ wurden gehört, u. U. ganz anders und lenkt möglicherweise den Konsum breiterer Schichten in eine andere Richtung. Und ein letztes Beispiel: Die VanguardGroup, Ende 1999 die Nummer zwei unter den US-Fondsgesellschaften, bot ihren Kunden zum Jahrhundertwechsel erstmalig an, in preisgünstige Index-Fonds zu investieren, in denen nur solche Unternehmen nach strenger Prüfung vertreten sind, die weder die Umwelt verschmutzen noch gegen moralische Grundsätze verstoßen (vgl. NW Nr. 229, 1999, S. 7). 20 Die Beispiele zeigen auch, dass der oben angesprochene >moralisierende Zeigefinger< durchaus ökonomische Wirkung haben kann, sie zeigen aber auch, dass ein ethisch mitbestimmter Ökonomie-Unterricht leicht in die Gefahr gerät, einseitig Stellung zu beziehen. Dies ist um so problematischer, als der Bezug auf ethische Postulate wie >Durchsetzung des Menschengerechten< einen weiten Interpretationsspielraum zulassen. Zu Recht weist in diesem Zusammenhang A. Rich darauf hin, dass Grundwerte und wirtschaftsethische Prinzipien Sachen sind ,,(...) personenbestimmter und sinngebender Erfahrungsgewissheiten, die jenseits aller wissenschaftlichen Beurteilung und Verurteilung liegen. Wissenschaftliche und pädagogische Redlichkeit kann hier nur besagen, dass man seine Karten offen auf den Tisch legt und freimütig Rechenschaft darüber gibt, welche Erfahrungsgewissheiten hinter den sozialethischen Grundkriterien stehen, zu denen man sich bekennt. In der bildungstheoretischen Diskussion ist die beschriebene ethische Flankierung des Wirtschaftsunterrichts dem appelativen Ansatz zuzurechnen, dessen Aufgabe für Pädagogen zusammengefasst wird als "Vermittlung von Maßstäben und Anbahnung von Handlungskompetenz für ethisches Konsumenten- und Arbeitsverhalten (Unterricht über "richtiges" Wirtschaften)." (Kruber 1996, S. 40). Was die "ethischmündige" und zugleich fachliche Handlungskompetenz des Lernenden ausmachen könnte, versucht Roman Dörig herauszuarbeiten, indem er drei Problembereiche einer wirtschaftsethischen Bildung skizziert (1996, S. 29ff): Das erste Problem die Forderung nach fachbezogener Handlungskompetenz und ethischer Mündigkeit besteht im Fehlen eines minimalen konsensfähigen Kerns dieser Begriffe, da sie stark normativ geprägt sind. Mit mündigem Handeln ist stets ein Potential vor allem folgender Fähigkeiten gemeint: "Fähigkeit (und Bereitschaft) zu kritischem Denken und Handeln, zu reflektiertem Handeln, zu verantwortlichem Handeln, zu selbständigem Handeln, zur Kooperation, zur Kommunikation, zur Mobilität und Flexibilität sowie zu dauerndem Lernen."(Münch 1984, S,1215) Jede formale Definition muss aber in einem individuell und gesellschaftlich bedeutsamen Umfeld konkretisiert werden. Auf der Individualebene zeichnet sich der wirtschaftsethisch mündige Mensch nach Maak dadurch aus, dass er z. B. die des reflektierenden Konsumenten in verantwortungsvoller Weise wahrnehmen kann. Er ist in der Lage, mit praktischer Vernunft die Grundfragen moderner Ethik - die Frage 21 nach dem guten Leben, nach dem gerechten Zusammenleben und nach dem verantwortlichen Handeln - zur Richtschnur der eigenen Reflexion und des Handels zu machen. Das zweite Problem bezieht sich auf die Frage des sozial-ethischen Transfers. Wieweit vermag der ethisch-flankierende Wirtschaftsunterricht dazu beizutragen, dass das werteinsichtige Verhalten auch in anderen Lebensbereichen, doch auch außerhalb der Schule zum Tragen kommt? In der Tat kann man sich fragen, warum denn die allseits anerkannten und intensiven Bemühungen (z. B. Drogenerziehung) relativ wenig Wirkung gezeigt haben. Nach Widmar sind dafür in erster Linie zwei Gründe verantwortlich (vgl. Widmar 1985, S. 11 ff): Zum einen dürfen sich pädagogische Konzepte des sozialen und ethischen Lernens nicht nur auf die kognitive Seite (z.B. Wissen über soziale Regelungen und Konfliktlösestrategien) beziehen, sondern sie müssen auch das Zusammenwirken verschiedener Persönlichkeitsfaktoren (Einsicht bzw. Überzeugung, mit Wissen und Willen diesen Normen gemäß zu handeln) garantieren. Zum anderen sind die Bedingungen des Transfers sozialethischen Verhaltens in andere Lebensgebiete (z.B. von der Schule ins Berufsfeld) wissenschaftlich noch weitgehend ungeklärt. Das dritte Problem betrifft die Umsetzung der Forderung nach Fachkompetenz und moralischer Mündigkeit. Roman Dörig schlägt vor, dass das sozial-ethisch wie fachliche Lernen im schulischen Bereich über folgende organisatorische Ansatzpunkte realisiert wird (vgl. 1996, S. 30f): .. (1) Gestaltung von Arbeits- und Interaktionsformen im Fachunterricht, wie z.B. im Projekt und Werkstattunterricht sowie .in der Bearbeitung von Fallstudien, da «Lernen durch Eigenerfahrung» den «Wertaufbau» z. B. nach Oser und J. L. Patry (1990) zu fördern vermag. (2) Thematisierung von «sozialen Fragen», Werten und Tugenden in spezifischen Unterrichtsinhalten, z.B. durch die Öffnung traditioneller Fächer für Themen und Fragen der Geistes- und Sozialwissenschaften (politische Philosophien wie z.B. Liberalismus, Ethik, zwischenmenschliche Beziehungen, Sinn der Arbeit u.a.m.). (3) Veränderung oder Anpassung der Unterrichtsziele zugunsten von Emanzipation, Identität, Solidarität oder sozialer Sensibilität, z.B. durch Entwicklung von Lehrplänen, die emanzipatorischen und sozialen Unterrichtszielen stärker Rechnung 22 tragen. Zusammenfassend gilt es, an dieser Stelle festzuhalten: Ökonomische Bildung muss stets auch ethische Erziehung involvieren, denn derjenige, der sich auf die Ebene eines bloßen institutionellen Ansatzes zurückzieht und dort vermeintlich wertfreien Unterricht über das Funktionieren und die wirtschaftspolitische Gestaltung von Wirtschaft betreibt, versäumt einen wichtigen Erziehungsauftrag (vgl. Kruber 1996, S. 41). Zugleich dürfte deutlich geworden sein, dass die Einbindung ethischer Aspekte in die Wirtschaftslehre keine neue und zusätzliche Aufgabe für die Schulen darstellt, sondern ihr notwendigerweise stets zugehörig war, wenn Schule ihren Erziehungsauftrag erfüllen soll. 4. Konzeptionelle Hinweise zur Gestaltung von Unterricht Es kann an dieser Stelle nur darum gehen einige Gedanken zu skizzieren, welche die Richtung andeuten in die ethisch flankierter Ökonomieunterricht laufen könnte. Zunächst gilt es darauf hinzuweisen, wohin die ethische Flankierung nicht abgeschoben werden darf, nämlich auf den Religionsunterricht bzw. das ethische Aquivalent. Ohne Zweifel können bzw. müssen dort ethisch-moralische ThemensteIlungen aufgegriffen werden, es wäre jedoch fatal, wenn diese Fächer in allgemeinbildenden Schulen, insbesondere aber im Unterricht an kaufmännischen Berufsschulen als Begründung dafür genutzt würden diese Elemente außen vor zu lassen. Die Vermittlung von Werten ist eine genuine Aufgabe des sozialwissenschaftlichen Unterrichts. Mit anderen Worten, bei der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit einem wirtschaftsbezogenen Lerninhalt ist nicht nur zu betrachten wie dieser z. B. zu einer Optimierung eines betriebswirtschaftlichen Vorgangs unter Marktbedingungen beiträgt. Vielmehr ist stets auch danach zu fragen, wie sich der jeweilige Vorgang aus ethisch-moralischer Sicht darstellt. Bisher ist wenig darüber bekannt, ob und wie stark Unterricht, Einstellungen und Werthaltungen von Schülern verändern kann und es wird m. E. zu Recht darauf hingewiesen, dass das bloße >Lehren von Werten< nur begrenzt erfolgreich ist (vgl. 23 hierzu insb. Kruber 1996, S. 53). Vereinfachend ausgedrückt: Von der bloßen Bewusstmachung von Werten im Unterricht und dem Appell sie doch künftighin zu beachten, ist sicher nur ein begrenzter Erfolg zu erwarten. Dass sich nicht selten gleichwohl sehr wirksame und im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Grundwerten verpflichteten Ethik durchaus negativ zu beurteilende Einstellungen Werthaltungen in der Sozialisation von Jugendlichen herausgebildet haben, dürfte das einleitend genannte Beispiel gezeigt haben: "... erlaubt ist, was meinem Unternehmen und mir nutzt. Nur der Erfolg zählt, wie er erreicht wird, ist unwesentlich". Als eine besonders effiziente Form der Werteübernahme darf aus schulischer Sicht, wie Klaus-Peter Kruber formuliert, die >freiwillige Selbstbindung aus Einsicht< angesehen werden (vgl. Kruber 1996, S. 53 f.). Dies erfordert, unterrichtliche Gegebenheiten zu schaffen, in denen es Schülern möglich wird, ökonomische Situationen mit Anforderungsund Problemgehalt wahrzunehmen, darauf bezogen ökonomisch zu handeln und die im Handeln wirksamen ethischen bzw. nichtethischen Beweggründe sowie Konsequenzen des Handelns zu erkennen und zu beurteilen. Dies verweist einmal mehr auf die besonderen Chancen, die handlungsorientierte Lehr- und Lernverfahren bieten, denen i. d. R. komplexe und ganzheitliche Lernsituationen zugrunde liegen (vgl. SteinlWeitz 1992). K. P. Kruber stellt hierzu fest: "Werte-Lernen erfolgt in konkreten Handlungsbezügen, in denen Konsequenzen von Handlungen erfahren oder Vorbilder erlebt handlungsorientierte, wurden. 'aktive' (...) Als Unterrichtsmethoden Unterrichtsverfahren wie Fallstudie, bieten sich Rollenspiel, Planspiel usw. an (...). Die Übernahme von Rollen in aktiven Unterrichtsverfahren erfordert nämlich das Sich-Hineindenken in Personen, Interessen und Situationen (Kruber 1996, S. 54). Eine Fallstudie für den politischen Unterricht zum Thema Wirtschaftsethik für die Sekundarstufe I in Baden-Württemberg gibt hierzu ein gutes Beispiel und zeigt zugleich, wie schwierig die Akzeptanz „ethischer-wirtschaftsethischer„Verantwortung für Schüler ,und zweifellos nicht nur für diese, sein kann. 24 Ein Fall für die Versicherung !? Endlich war mal wieder was los in der Schule. Sie prügelten sich, dass die Fetzen flogen, und auch das Klirren der Scheibe war irgendwie Musik. Max hatte Glück im Unglück, er kam mit einigen kleineren Schnitten davon. Trotzdem war Oliver, der ihn durch die Glastür gestoßen hatte, plötzlich ziemlich ruhig. Das würde nicht mit ein paar Hundertern abgehen, dieser Sachschaden ging schon in die Vierstelligen. Wo sollte er das Geld hernehmen? So dick hatten´s seine Eltern auch nicht. Doch da zeigte sich Roland, der bis dahin sogar Max angefeuert hatte, als fairer Kumpel. „Lass den Kopf nicht hängen. Ich hab ´ne gute Versicherung. Ich nehm´s einfach auf meine Kappe, dann zahlst du keinen Pfennig.“ (Quelle: Müller u. a. 1993, S. 10) Das die aktive und partizipative Auseinandersetzung in lebensnahen Situationen mit Problemen der ökonomischen Bildung die zugleich ethische Fragen aufwerfen ein wichtiger Ansatz sein könnte wird z. B. der Auseinandersetzung mit dem Thema Personaleinstellung deutlich. (vgl. Weitz 1996, S. 25 ff.). Die Arbeit mit Fallstudien aus der Unternehmenspraxis kann es den Schülern dabei ermöglichen, ein Personalauswahlverfahren in einem Unternehmen nachzuvollziehen. Sie sind gefordert, nach Kenntnisnahme der Interessenlage des Unternehmens und der sachlichen Anforderungen an den künftigen Mitarbeiter Kriterien zu entwickeln, nach denen sie aus vorliegenden Bewerbungen den passenden Kandidaten bzw. die passende Kandidatin auswählen. Dabei gilt es auch u. a. soziale und familiäre Aspekte der Kandidaten zu berücksichtigen. Für die Schüler kann dabei deutlich werden, dass ihre Personalentscheidung und die von ihnen aufgestellten Auswahlkriterien u. U. ausschließlich an betriebswirtschaftlichen Rationalitätskriterien orientiert sind und ethische Aspekte möglicherweise kaum eine Rolle spielen. Die eingehende Auseinandersetzung mit der Rolle eines Personalverantwortlichen ermöglicht es so nachzuvollziehen, an welchen individuellen aber auch durch das Unternehmen vorgegebenen Interessen und Werthaltungen diese Person orientiert ist. Daraus wird die Diskussion und Beurteilung dieser ethischen Aspekte möglich. Es liegt nahe, dass bei der Einbindung von Fallstudien auch im Sinne des WerteLernens größtmöglicher Wert darauf zu legen ist, das Praxisgeschehen möglichst 25 ganzheitlich zu erfassen und in der Falldarstellung zu dokumentieren, denn nur so können tatsächlich Konsequenzen von Handlungen erfahren und nachvollzogen sowie Vorbilder (auch im negativen Sinne) erlebt werden. Ein wichtiger Beitrag zur ethischen Flankierung der ökonomischen Bildung - durchaus auch in unmittelbarer Ergänzung von Fallstudien - kann auch vom Einsatz von Rollenspielen ausgehen. In der Ausgestaltung der Rollen durch die Spieler, sowohl im spontanen Stegreifspiel als auch im didaktisch angeleitetem Spiel (vgl. Weitz 1996 (2) ) können positive wie negative ethische Dimensionen menschlichen Handelns 'erlebt' und in der gemeinsamen Auswertung analysiert werden. Damit wird eine wesentliche Voraussetzung für eine freiwillige Selbstbindung an akzeptierte Verhaltensregeln geschaffen. Die oben dargestellte Fallskizze „Ein Fall für die Versicherung!?“ ist sicher ein gutes Beispiel für eine Ausgangssituation für ein situatives Rollenspiel. Erfahrungen aus der Arbeit mit Planspielen, z. B. „Ein Unternehmen in der Krise“ (Weitz 1998, S. 46ff) zeigen, dass auch die aktive und partizipative Möglichkeit der Unterrichtsarbeit Raum schaffen kann für die Auseinandersetzung und Reflektion mit u. U. ethisch äußerst kontroversen Positionen, z. B. der einen Unternehmensstandort allein aus dem unternehmerischen Beweggrund schließen, um an anderem Standort mit „billigeren“ Mitarbeitern und steuerlichen Vorteilen günstiger zu produzieren. Sichtbar wird, dass Unterricht, in dem Schüler ökonomiebezogenes Handeln und Verhalten von Menschen in realitätsnahen Situationen erkennen und nachvollziehen sowie darauf bezogen, selbst aktiv werden können, z. B. im Rahmen von Fallstudien, Rollenspielen, Planspielen und Szenarien (vgl. hierzu Weitz 1996 (3), S. 249 ff.), sich dazu in besonderer Weise dazu eignet, ethische Aspekte menschlichen Handeins deutlich zu machen, Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen und ggf. Verhaltensänderungen zu bewirken. Bislang liegen hinsichtlich der konkreten Umsetzung von didaktisch-methodischen Überlegungen zu einem wirtschaftethisch flankierten Unterricht nur sehr wenige konkrete Konzepte vor (Vgl. u. a. Klopfer 1994, Retzmann 1995, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 4/1993). Deshalb müssen an dieser Stelle besonders auf die von Peter Ulrich entwickelten "Lerneinheiten zu Grundfragen des Wirtschaftens, Lebens und Arbeitens" hingewiesen werden, die in besonderer Weise 26 den handlungsorientierten Lehr- und Lernansatz berücksichtigen (vgl. Ulrich (Hg.), 1996), jedoch nur zu einem Bruchteil zu den Themen der wirtschaftsberuflichen Grundbildung und nicht bezogen sind auf die kaufmännische Bildung in den Ausbildungsberufen. Es gilt jedoch auch anzumerken, dass der Einsatz handlungsorientierter Lehr- und Lernverfahren nicht eine quasi automatisch effizientere Werteerziehung nach sich ziehen muss. K. P. Kruber weist vielmehr zu Recht auf folgendes hin: "Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit von Unterricht im allgemeinen und aktiven Unterrichtsverfahren im besonderen für den Erwerb von Werthaltungen sind wir allerdings weitgehend auf Spekulationen angewiesen. (...) Letztlich bleibt auch die Auseinandersetzung mit ethisch relevanten Problemstellungen in Fallstudien, Rollenund Planspielen eine intellektuelle Befassung mit Ordnungskategorien, Werten und Normen in der Hoffnung auf Internalisierung durch 'freiwillige Selbstbindung' (...)" (Kruber 1996, S. 55). Hier ist mithin noch ein nicht unerheblicher Forschungsbedarf zu verzeichnen aber auch mehr Mut zur Erprobung in der Unterrichtspraxis zu erforderlich. 5. Rückbesinnung und Ausblick Die vorangegangenen Ausführungen haben, so hoffe ich, verdeutlicht, dass >Ethik und Wirtschaft< in einer sozialen Marktwirtschaft notwendigerweise zusammengehörige Elemente darstellen. Ethik und Wirtschaft sind dem gemäß auch keineswegs unvereinbar, sondern es zeigt sich, insbesondere im Zusammenhang mit einem zunehmenden Bewusstsein der Verbraucher aber auch der Verantwortlichen in den Unternehmen, dass sich aus positiven ethischen wirtschaftlichen Handlungen für die Unternehmen auch positive wirtschaftliche Effekte ergeben können. Eine ethische Flankierung des Wirtschaftsunterrichts ist auch künftig eine unverzichtbare Aufgabe der Wirtschaftsdidaktik, soll wirtschaftliches Handeln künftiger Generationen nicht in dem rein ökonomisch bestimmten Rationalismus einer "Ellenbogengesellschaft" enden. Insofern hat gerade die Wirtschaftsdidaktik den erzieherischen Auftrag des Grundgesetzes für die Schulen sehr ernst zu nehmen. Hier bestehen zugleich erhebliche Defizite in Forschung und Unterrichtspraxis. In der 27 Wirtschaftsethik und Wirtschaftsdidaktik geht es um das grundsätzliche Nachdenken über den humanen Sinn und Zweck sowie über ethische Grundlagen und soziale und ökonomische Rahmenbedingungen einer lebensdienlichen Wirtschaft. Eine solche ethisch kritische Besinnung wird um so bedeutsamer, je mehr die früher fraglos übernommenen Wertvorstellungen und Sinngebungen der Tradition beispielsweise das herkömmliche Arbeitsethos oder das Fortschrittsverständnis in der modernen Welt ihre Überzeugungskraft, ihre moralische Verbindlichkeit und damit ihre Orientierungsfunktion verlieren. Wirtschaftsethik und Wirtschaftsdidaktik haben zu suchen nach zeitgemäßen, begründeten Wert- und Sinnorientierungen wirtschaftlichen Handelns, sei es für den einzelnen in seinem persönlichen Leben oder für die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im allgemeinen. Ethik und Wirtschaft sind wie aufgezeigt keineswegs unvereinbar in einem gemeinsamen unterrichtlichen Konzept, wie die Hinweise auf die Arbeit im Rahmen eines sozial verantwortlich gestalteten handlungsorientierten Lehr- und Lernkonzeptes gezeigt haben dürften. Ein bloßes Handlungskonzept ohne eine Flankierung in einer innovativen Wert- und Sinnordnung muss jedoch folgenlos bleiben. So gilt dann auch an dieser Stelle weiterhin, die folgende von Bodo Steinmann an Forschung und Praxis der ökonomischen Bildung gerichtete Forderung hinsichtlich eines ethisch flankierten Wirtschaftsunterrichts, die gleichzeitig die noch bestehenden Defizite deutlich macht: "Wenn es richtig ist, dass ökonomische Bildung Hilfen bieten soll auf dem Wege zur Mündigkeit des Menschen, indem sie grundlegende Befähigungen zur selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Gestaltung des Lebens in der Gesellschaft vermittelt, und wenn es weiterhin richtig ist, dass unter Mündigkeit individuelle Entfaltung (Entwicklung eines eigenen Standpunktes, emotionale Stabilität und Verantwortungsbewusstsein für eigene Entscheidungen), Mitwirkung an toleranzbestimmten sozialen Beziehungen (Zusammenarbeit auf der Basis von Verständnis, Solidarität, Kompromissfähigkeit und -bereitschaft, Entwicklung von Verantwortung für gemeinsame Entscheidungen) sowie Teilhabe an der Schaffung einer lebenswerten Gesellschaft (Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein für menschenwürdige gesellschaftliche Strukturen) verstanden werden soll, dann ist eine intensive Auseinandersetzung mit einer gleichzeitig sach- und menschengerechten Gestaltung der Ökonomie unerlässlich (vgl. Steinmann 1996, S. 35f). 28 6. Literatur - Abendschein, J., Seeber, G.: Die geplante Versenkung der Brent Spar als typische Dilemmasituation. Ein unternehmensethisches Leerstück. In: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, H. 3, 1997 - Albers, H.-J.: Ethik und ökonomische Bildung. In: Albers, H.-J. (Hg.): Ethik und ökonomische Bildung. Bergisch-Gladbach 1996, S. 1-19 - Albers, H.-J.(Hg.): Ethik und ökonomische Bildung. Bergisch-Gladbach 1996 - Beinke, L: Schulleben - im Spannungsfeld zwischen Ethos und Regeln, H. 1-2 1997, S. 33-37 - Brezinka, W.: "Werte-Erziehung" in einer wertunsicheren GesellscJ1iift. In: Huber, H. (Hg.): Sittliche Bildung. Ethik in Erziehung und Unterricht. Aseridorf 1993 - Hayek, F. A. von: Recht, Gesetzgebung und Freiheit. Eine neue Darstellung der liberalen Prinzipien der Gerechtigkeit und der politischen Ökonomie. Bd. 2. Landsberg a. L (1973-1979/1980-1981) - Hengsbach, F.: Wirtschaftsethik. 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