MENGEN UND ABBILDUNGEN In der ersten Vorlesung haben wir den naiven Mengenbegriff und die daraus resultierenden Probleme (z.B. die Russellsche Antinomie) ausführlich besprochen und Auswege kennengelernt. Für unsere Zwecke ist die naive Herangehensweise allerdings völlig ausreichend und so folgen wir in dieser Vorlesung dem intuitiven Mengenbegriff. Definition: (Georg Cantor, 1872) Eine Menge ist eine Zusammenfassung von bestimmten, wohlunterscheidbaren Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens, welche die Elemente der Menge genannt werden, zu einem Ganzen. Ist x ein Element der Menge M , so schreiben wir x ∈ M , andernfalls x ∈ / M. Mengen können durch Auflistung ihrer Elemente (z.B. bei endlichen Mengen) oder durch charakterisierende Eigenschaften beschrieben werden. Ein Objekt ist damit genau dann ein Element einer gegebenen Menge, wenn es entweder in der Auflistung auftaucht oder die charakterisierenden Eigenschaften der Menge erfüllt. Als Beispiele hat man die wahrscheinlich aus dem Schulunterricht bekannten Mengen N = {0, 1, 2, 3, . . .} der natürlichen Zahlen, Z = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .} der ganzen Zahlen, Q = { pq | p, q ∈ Z und q 6= 0} der rationalen Zahlen und der reellen Zahlen R (eventuell auch der komplexen Zahlen C). Die Menge, die dadurch charakterisiert ist, dass sie kein Element enthält, heißt die leere Menge und wird mit ∅ bezeichnet. Definition: Es seien M und N Mengen. Dann ist: (i) M eine Teilmenge von N , in Zeichen M ⊂ N , falls gilt x ∈ M ⇒ x ∈ N . (ii) Der Durchschnitt von M und N , M ∩ N , die Menge aller Elemente, die sowohl in M als auch in N liegen, d.h. M ∩ N = {x|x ∈ M ∧ x ∈ N }. Insbesondere ist M ∩ N ⊂ M und M ∩ N ⊂ N . (iii) Die Vereinigung von M und N , M ∪ N , die Menge aller Elemente, die entweder in M oder in N liegen, d.h. M ∪ N = {x|x ∈ M ∨ x ∈ N }. (iv) Das Komplement von M in N , N \ M , die Menge aller Elemente in N , die nicht in M liegen, d.h. N \ M = {x ∈ N |x ∈ / M }. (v) Die Potenzmenge von M , P(M ), die Menge aller Teilmengen von M , d.h. P(M ) = {A|A ⊂ M }. (vi) Das kartesische Produkt von M und N die Menge aller geordneten Paare von Elementen in M und N , d.h. M × N = {(x, y)|x ∈ M ∧ y ∈ N }. Insbesondere ist (x, y) = (x0 , y 0 ) genau dann, wenn x = x0 und y = y 0 ist. Bemerkung: (i) Ist M endlich mit |M | = n Elementen, so hat die Potenzmenge |P(M )| = 2n Elemente. (ii) N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C. (iii) Ist I eine beliebige Indexmenge und Mi für jedes i ∈ I eine Menge, so ist entsprechend [ Mi = {x|x ∈ Mi für (mindestens) ein i ∈ I} i∈I und \ Mi = {x|x ∈ Mi für alle i ∈ I}. i∈I Mithilfe der obigen Begriffe wie Durchschnitt und Komplement, kann man Teilmengen von Mengen beschreiben. Zur Beschreibung von Beziehungen zwischen verschiedenen Mengen verwendet man Abbildungen. Auch hier genügt uns die intuitive Definition. Definition: Für Mengen M und N versteht man unter einer Abbildung von M nach N eine Vorschrift f , die jedem Element x ∈ M eindeutig einen Wert f (x) ∈ N zuordnet. Man schreibt dafür dann f : M → N, x 7→ f (x). Zwei Abbildungen f, g : M → N sind gleich, falls f (x) = g(x) für alle x ∈ M gilt. In diesem Fall schreibt man auch f ≡ g. Bemerkung: Der Graph von f : M → N ist die Teilmenge Γf = {(x, y) ∈ M × N | y = f (x)} ⊂ M × N. Zwei Abbildungen f, g : M → N sind demnach genau dann gleich, wenn Γf = Γg gilt. Definition: Es sei f : M → N gegeben. Für A ⊂ M nennt man die Menge f (A) = {y ∈ N |y = f (x) für (mindestens) ein x ∈ M } ⊂ N das Bild von A unter f , d.h. die Menge aller Werte von Elementen aus A, und für B ⊂ N ist f −1 (B) = {x ∈ M |f (x) ∈ B} ⊂ M das Urbild von B unter f , d.h. die Menge aller Elemente in M , die unter f nach B abgebildet werden. Statt f −1 ({y}) schreibt man kurz f −1 (y). M ist dann der Definitionsbereich, N der Zielbereich und f (M ) ⊂ N der Wertebereich oder das Bild von f . Für Abbildungen mit besonderen Eigenschaften hat man spezielle Bezeichnungen. Definition: (i) Eine Abbildung f : M → N nennt man: • injektiv, falls zwei verschieden Elemente aus M niemals auf dasselbe Element in N abgebildet werden, d.h. falls (x 6= x̄) ⇒ (f (x) 6= f (x̄)) gilt, • surjektiv, falls jedes Element in N das Bild (mindestens) eines Elementes aus M ist, d.h. falls f (M ) = N gilt, • bijektiv, falls jedes Element in N das Bild genau eines Elementes aus M ist, d.h. falls f injektiv und surjektiv ist. (ii) Ist f : M → N bijektiv, so gibt es zu jedem y ∈ N genau ein (also ein eindeutiges) x ∈ M mit f (x) = y, d.h. das Urbild f −1 (y) besteht aus genau einem Element. Die Abbildung f −1 : N → M, y 7→ f −1 (y), die also jedem Element y ∈ N sein eindeutiges Urbild zuordnet, nennt man Umkehrabbildung von f . Bemerkung: (i) Im Fall einer bijektive Abbildung unterscheiden wir in der Notation nicht zwischen der einelementigen Teilmenge f −1 (y) = f −1 ({y}) ∈ P(M ) und dem Element f −1 (y) ∈ M als Bild von y unter der Umkehrfunktion, sofern der Kontext klar ist. (ii) Es ist wichtig zu betonen, dass zu einer Abbildung neben der Funktionsvorschrift auch immer der Definitionsbereich und der Zielbereich gehören. Man mache sich hierfür, wie in der Vorlesung diskutiert, anhand der Abbildungen • f1 : R → R, f1 (x) = x2 , • f2 : R → R≥0 , f2 (x) = x2 , • f3 : R≥0 → R≥0 , f3 (x) = x2 , noch einmal die Rolle der Definitions- und Zielbereiche im Hinblick auf Injektivität, Surjektivität und Umkehrbarkeit (Bijektivität) deutlich. Definition: Sind L, M, N Mengen und f : L → M, g : M → N Abbildungen, so heißt die Abbildung g ◦ f : L → N, x 7→ (g ◦ f )(x) := g(f (x)), die Komposition von f und g. Bemerkung: Wie in der Vorlesung gesehen, gilt: f g h (i) Die Komposition ist assoziativ, d.h. für K − →L− →M − → N gilt (h◦g)◦f = h ◦ (g ◦ f ). Man lässt daher bei der Kompositionen mehrerer Abbildungen die Klammern üblicherweise weg. (ii) Die Komposition ist nicht kommutativ, d.h. im Allgemeinen gilt f ◦g 6= g◦f , wie das Beispiel f (x) = x2 und g(x) = x + 1 mit (f ◦ g)(x) = f (g(x)) = f (x + 1) = (x + 1)2 = x2 + 2x + 1 6= (g ◦ f )(x) = g(f (x)) = g(x2 ) = x2 + 1 für x 6= 0 zeigt. (iii) Die Existenz einer Umkehrabbildung ist äquivalent zur Bijektivität, d.h. eine Abbildung f : M → N ist genau dann bijektiv, wenn es eine Abbildung g : N → M mit f ◦ g = idN und g ◦ f = idM gibt. In diesem Fall ist dann g = f −1 . Eine Möglichkeit endliche Mengen miteinander zu vergleichen ist die Anzahl ihrer Elemente. Aufgrund der Definitionen von Injektivität und Surjektivität von Abbildungen, würde man intuitiv ganz allgemein davon ausgehen, dass für eine Abbildung f : M → N Injektivität von f impliziert, dass M höchstens so viele Elemente wie N haben kann und dass Surjetivität von f impliziert, dass M mindestens so viele Elemente haben muss wie N . Insbesondere sollten Injektivität und Surjektivität für Abbildungen zwischen endlichen Mengen mit gleich vielen Elementen äquivalent sein. Dies ist der Inhalt des nächsten Satzes. Satz: Es seien M und N endliche Mengen mit gleich vielen Elementen, d.h. |M | = |N |. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent: (i) f ist injektiv, (ii) f ist surjektiv, (iii) f ist bijektiv. Beweis: Es sei |M | = |N | = n. Wir beweisen den Satz durch Nachweis der Implikationen (iii) ⇒ (i)⇒ (ii) ⇒ (iii), was man als Ringschluss bezeichnet. Die Implikation (iii) ⇒ (i) gilt per Definition. Zum Nachweis von (i) ⇒ (ii) verwendet wir das sogenannte Schubladenprinzip von Dirichlet, das besagt, dass wenn man n Objekte in m < n Schubladen verteilt, es mindestens eine Schublade gibt, in der mehr als ein Objekt liegt und zeigen damit ¬(ii) ⇒ ¬(i) (Kontraposition). Ist aber f nicht surjektiv, d.h. f (M ) 6= N , so besteht f (M ) aus m < n Elementen und wir folgern mithilfe des besagten Schubladenprinzips, dass f nicht injektiv sein kann. Um (ii) ⇒ (iii) zu zeigen, nehmen wir an, dass f nicht bijektiv, d.h. also nicht injektiv, ist. Dann gibt es x 6= x̄ in M mit f (x) = f (x̄) und somit ist |f (M )| ≤ n − 1. Insbesondere kann f dann nicht injektiv sein, was jedoch unserer Annahme widerspricht. Bemerkung: Für unendliche Mengen ist die Aussage falsch, wie das Beispiel N → N, n 7→ 2n, zeigt. Um auch für nicht endliche Mengen den Umfang an Elementen miteinander vergleichen zu können, gibt es den Begriff der Mächtigkeit von Mengen, den wir hier nur für die folgenden Spezialfall definieren. Definition: (i) Zwei Mengen M und N heißen gleichmächtig, falls es eine bijektive Abbildung (Bijektion) f : M → N gibt. (ii) Gibt es eine Bijektion f : N → M , so nennt man M abzählbar unendlich und schreibt dann auch M = {x0 , x1 , x2 , . . .} mit xi = f (i). (iii) Wir nennen M abzählbar, falls es eine surjektive Abbildung N → M gibt. Ist M nicht abzählbar, so nennt man M überabzählbar. Bemerkung: (i) Die Verwendung des Begriffs “abzählbar“ist in der Literatur nicht einheitlich. Er kann sowohl abzählbar in unserem Sinne als auch abzählbar unendlich bedeuten. Eine Menge ist jedenfalls immer genau dann überabzählbar, wenn sie weder endlich noch abzählbar unendlich ist. (ii) Die Identität idN : N → N, n 7→ n, zeigt dass N natürlich selbst abzählbar unendlich ist und die Abbildung f : N → Z, definiert durch ( n/2, wenn n gerade, f (n) = −(n + 1)/2, wenn n ungerade, liefert eine injektive Abzählung von Z, d.h. N und Z sind gleichmächtig. (iii) Mithilfe des ersten Diagonalarguments von Cantor haben wir gezeigt, dass N und Q ebenfalls gleichmächtig sind und mithilfe des zweiten Diagonalarguments von Cantor haben wir gesehen, dass N und R nicht gleichmächtig sind. (iv) Die in der ersten Vorlesung angesprochene Kontinuumshypothese besagt gerade, dass es keinen Unendlichkeitsbegriff zwischen N und R gibt, d.h. dass jede unendliche Teilmenge von R entweder gleichmächtig zu N oder gleichmächtig zu R ist. Wie in der Vorlesung erwähnt, kann die Kontinuumshypothese im Rahmen des ZF(C)-Axiomensystems (d.h. auf Grundlage der Zermelo-Fraenkel-Axiome (mit Auswahlaxiom)) nachweislich weder bewiesen noch widerlegt werden und liefert ein Beispiel für die von Kurt Gödel 1931 bewiesene Unvollständigkeit solcher Systeme (unter der Annahme, dass diese widerspruchsfrei sind, vgl. Gödels Unvollständigkeitssätze). Zum Abschluss dieses Paragraphen haben wir beliebige Abbildungen N≥k → M betrachten und noch den Begriff der Folge eingeführt. Definition: (i) Es sei M eine Menge. Eine Folge in M ist eine Abbildung f : N≥k → M . Man schreibt kurz xn := f (n) und spricht von den Folgegliedern von f . Statt von der Folge f : N≥k → M spricht man dann auch einfach kurz von der Folge (xn )n≥k in M . (ii) Eine Folge reeller Zahlen, d.h. f : N≥k → R, konvergiert gegen eine Zahl x ∈ R, falls außerhalb jeder -Umgebung von x, also außerhalb jedes Intervalls der Form (x − , x + ), nur endlich viele Folgeglieder liegen, d.h. falls gilt: für jedes > 0 gibt es eine Zahl n() ≥ k in N, so dass |x − xn | < für alle Folgeglieder xn mit n ≥ n(). n→∞ (iii) Konvergiert (xn )n≥k gegen x, so schreibt man auch xn −−−−→ x, bzw. xn → x (n → ∞), oder limn→∞ xn = x und nennt x den Limes oder den Grenzwert der Folge. Ist hier x = 0, so spricht man von einer Nullfolge und konvergiert die Folge nicht, so nennt man sie divergent. Bemerkung: Eine Folge (xn )n≥k reller Zahlen konvergiert genau dann gegen eine Zahl x ∈ R, wenn die Folge der Abstände (|x − xn |)n≥k eine Nullfolge ist.