Bergwacht Grundausbildung Notfallmedizin Alko upfe r er upf Alkoholtholt Ri Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 In enger Zusammenarbeit mit den Landesverbänden und Gliederungen der Bergwacht des Deutschen und Bayerischen Roten Kreuzes Bergwacht Grundausbildung Notfallmedizin Disclaimer Auch dieser Leitfaden kann nicht ohne Fehler sein. Im Sinne eines kontinuierlichen Prozesses soll er weiter verbessert und erweitert werden. Korrekturvorschläge bitte an folgende e-mail Adresse: [email protected] / Betreff: Leitfaden NFM. Die Rückmeldungen werden einmal jährlich vom Arbeitskreis gesichtet, geprüft und ggf. in eine neue Auflage des Leitfadens aufgenommen. In enger Zusammenarbeit mit den Landesverbänden und Gliederungen der Bergwacht des Deutschen und Bayerischen Roten Kreuzes Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 „Grundausbildung Notfallmedizin“ der Bergwachten in Deutschland Vorwort Die präklinische Notfallmedizin ist als Teilbereich der Medizin ständig im Fluss und in einer Weiterentwicklung begriffen. Deshalb war es an der Zeit, dass die Mitte der 90er Jahre entwickelte „Sanitätsausbildung Stufe C Bergwacht“ in Deutschland grundlegend überarbeitet wurde. Hierbei wurde die zuvor bestehende strikte Trennung der Lehrgangsstufen A, B und C im Sanitätsdienst aufgehoben und alle darin enthaltenen wichtigen Lehrinhalte in einen neuen gemeinsamen Leitfaden „Grundausbildung Notfallmedizin“ der Bergwacht auf Bundesebene integriert. Auch wenn die notfallmedizinisch relevanten Erkrankungen und Verletzungen bezüglich der Schwere und Ausprägung gegenüber dem Notfallspektrum im städtischen oder ländlichen Bereichen keine grundsätzlichen Unterschiede aufweisen, sind doch die äußeren Bedingungen und Begleitumstände dieser Verletzungen und Krankheitsbilder im Mittel- und Hochgebirge grundlegend verschieden und erschweren häufig die notfallmedizinische Versorgung und Behandlung an der Einsatzstelle in unwegsamen Gelände. In insgesamt 10 Kapiteln der „Grundausbildung Notfallmedizin“ werden sowohl alle relevanten anatomischen und physiologischen Grundlagen des menschlichen Körpers als auch die pathophysiologischen Besonderheiten der unterschiedlichen Erkrankungen und Verletzungen unter spezieller Berücksichtigung der alpinen Besonderheiten grundlegend dargestellt. Einheitlich hervorgehoben werden hierbei jeweils der „Überblick über das Erscheinungsbild“ sowie der „Überblick über die Maßnahmen“, um dem Leser das Erkennen wichtiger Lehrinhalte zu erleichtern. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Durch den einheitlichen Textaufbau soll ein hoher Merk- und Lerneffekt erreicht werden. Geeignete Fallbeispiele und Fragen aus der Praxis vertiefen die vermittelten Lehrinhalte. Die „Grundausbildung Notfallmedizin“ soll insbesondere jugendlichen Bergwachtanwärter/ innen während der Ausbildung zum aktiven Bergretter als Grundlage für die weitergehende notfallmedizinische Ausbildung dienen. Deshalb wurden die aufgenommenen Graphiken insbesondere auf die jüngeren Bergwachtanwärter/innen bezüglich Gestaltung und Wissensvermittlung ausgerichtet. Erstellt wurden diese Grafiken durch den renommierten Alpinillustrator Georg Sojer, Staatl. gepr. Berg- und Skiführer und Bergwachtmann aus dem Chiemgau. Eine einheitliche Farbgebung und Gestaltung der Darstellungen erhöht den Wiedererkennungswert und soll so die Wissensvermittlung während der Ausbildung erleichtern. Die vorliegende „Grundausbildung Notfallmedizin“ vermittelt allen Bergwachtanwärtern/innen wichtige Grundlagen der präklinischen Notfallmedizin und entspricht im wesentlichen der „alten Sanitätsausbildung“ im DRK. Diese Grundlagen müssen selbstverständlich durch weiterführende Lehrgänge/Seminare/Module wiederholt und erweitert werden, um die aktiven Bergretter auf alle möglichen Notfallsituationen im Gebirge vorzubereiten und zur weiterführenden Assistenz des Notarztes zu befähigen. Der besondere Dank gilt dem engsten Erarbeitungsteam und der begleitenden Fachgruppe, dem Landesarzt des Bayerischen Roten Kreuzes, Professor. Dr. med. Peter Sefrin, für seine Korrektur und Freigabe sowie den Mitarbeitern des Bergwacht-Zentrums für Sicherheit und Ausbildung. Deutschland im Herbst 2007 Prof. Dr. med. Volker Lischke Landesarzt der Bergwacht Hessen und Sprecher der Bergwacht Landesärzte Dr. med. Herbert Forster Landesarzt der Bergwacht Bayern Dr. med. Armin Berner Landesarzt der Bergwacht Württemberg Mitglieder des Arbeitskreises Notfallmedizin der Bergwacht im DRK: Dzaack, Günther BW Bayern Filleböck, Roger BW Bayern Flemisch, Johnny BW Bayern Haas, Jörg DRK Generalsekretariat Moser, Ignac BW Württemberg Opperer, Gerhard BW Bayern Schmitt, Stephan DRK Generalsekretariat Stadler, Roland BW Bayern Dr. Strosing, Karl BW Schwarzwald Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 „Grundausbildung Notfallmedizin“ der Bergwachten in Deutschland Inhalt 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 Notfallmedizin im alpinen Gelände . . . . . . . . . . . 09 Besonderheiten in der alpinen Notfallmedizin . . . . . . 10 Verhalten im Einsatzgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einsatztaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Rechtliche Grundlagen, Dokumentation . . . . . . . . . . 14 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 Körper des Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Blut, Herz und Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Gehirn und Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Organe im Bauchraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Stütz- und Bewegungsapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 Störungen der lebenswichtigen Funktionen . . . . 33 Einschätzung der Störung (Ganzkörpercheck) . . . . . . 34 Störungen der Vitalen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . 37 Atemwegsverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Herz-Lungen-Wiederbelebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 Internistische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Akute Atembeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Akute Herz-Kreislauf-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . 66 Akute Baucherkrankung (akutes Abdomen) . . . . . . . 71 Schlaganfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Unterzuckerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Krampfanfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Gefäßverschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 5. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10 Chirurgische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Knochen, Gelenks- und Bänderverletzungen . . . . . . 84 Gelenksluxationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Kopfverletzungen (Schädel-Hirn-Trauma) . . . . . . . . . 90 Brust- und Lungenverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Bauchverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Wirbelsäulen- und Beckenverletzungen. . . . . . . . . . . 97 Starke Blutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Amputationsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Fremdkörperverletzung, Pfählungsverletzung . . . . . 105 Mehrfachverletzung (Polytrauma) . . . . . . . . . . . . . . 107 6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 Thermische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkühlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfrierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonnenstich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hitzeerschöpfung, Hitzschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbrennung, Verbrühung, Sonnenbrand . . . . . . . . 109 110 114 117 119 122 7. 7.1 7.2 7.3 Sonstige Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gynäkologische Notfälle und Geburt. . . . . . . . . . . . Stromunfall und Blitzschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 126 133 136 8. 8.1 8.2 8.3 8.4 Spezielle Notfälle in der Bergrettung . . . . . . . . Ermüdung, Erschöpfung, Bergungstod . . . . . . . . . . Lawinenverschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hänge- und Rotationstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 140 142 145 149 9. 9.1 9.2 9.3 Psychische Notfälle und Belastung . . . . . . . . . . Einsatz Todesfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychische Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychische Störungen und Erkrankungen . . . . . . . . 153 154 155 158 10. 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 Praktisches Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilen, messen und überwachen . . . . . . . . . . . Atemwegssicherung, Inhalation und Beatmung . . . Assistenz des Notarztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruhigstellungsmaßnahmen und Wundversorgung . . Desinfektion und Hygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 162 166 168 172 178 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 9 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände 1.1 Besonderheiten in der alpinen Notfallmedizin Die Voraussetzungen für eine optimale medizinische Versorgung eines Notfallpatienten sind im klinischen Bereich oder im Straßenrettungsdienst in den meisten Fällen gegeben. Dagegen können bereits im einfachen alpinen und unwegsamen Einsatzgelände verschiedene Schwierigkeiten bei der Einsatzabwicklung auftreten. Die Umlagerung eines Patienten in einer steilen und rutschigen Wiese, die Lagerung eines Abgestürzten im Schrofengelände oder die Versorgung eines verunfallten Skifahrers im tiefen Schnee stellt umfangreiche Anforderungen an die jeweiligen Einsatzkräfte. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Eine weitere Herausforderung stellt der Transport von technischen und medizinischen Einsatzgeräten dar. Nicht alles was denkbar ist, kann zum Patienten verbracht werden – hier sind Spezialgeräte und Kompromisse gefordert. Verschiedentlich muss abgewogen werden, ob eine Maximaltherapie an der Einsatzstelle notwendig und möglich ist oder ein schneller, möglichst schonender Transport in eine geeignetere Umgebung vorzuziehen ist. Der Einsatz im alpinen und unwegsamen Gelände darf jedoch nicht als Ausrede für eine generelle Minderversorgung der Betroffenen verwendet werden. 10 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände 1.2 Verhalten im Einsatzgeschehen Wir wollen Menschen helfen Grundvoraussetzung für den eingesetzten Helfer ist es, sich in den in Not geratenen Menschen hinein zu versetzen. Durch ein unvorhergesehenes Ereignis wurde er verletzt oder er ist plötzlich erkrankt – zu allem Überfluss auch noch in alpinem Gelände, das für die meisten ungewohnt und bedrohlich ist. Eine Verletzung oder plötzliche Erkrankung schränkt die Bewegungsfähigkeit und somit die Möglichkeit stark ein, sich selbst aus eigener Kraft zu helfen. Vertrauen zu schaffen ist eine wichtige Maßnahme, die nicht unterschätzt werden darf. Der erste Eindruck entscheidet oft, ob der Patient Vertrauen zu uns fasst. Dies erreicht man durch: sicheres Auftreten über weitere Maßnahmen aufklären auf schmerzhafte Maßnahmen vorbereiten unnötige Schmerzen vermeiden ausdauernde Betreuung, möglichst durch die gleiche Person Wünsche wenn möglich erfüllen Regeln der Höflichkeit beachten möglichst auf Augenhöhe miteinander sprechen ■ ■ ■ ■ Je nach Situation empfindet er: Angst um das eigene Leben Angst um die eigene Gesundheit Angst vor Schmerzen Angst, nicht richtig versorgt zu werden Sorge um die Folgen des Unfalls ■ ■ ■ ■ ■ Dies erreicht man durch: Anwesenheit einer Bezugsperson Mitnehmen von Lieblingsspielzeug Ablenken von Verletzungen Bedecken von Verletzungen Erklären der Maßnahmen in einfachen Worten Trösten, Beruhigen, Streicheln keine Verharmlosung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Es besteht natürlich eine Erwartungshaltung gegenüber der Einsatzkraft. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – deshalb muss die Betreuung kindgerecht sein. Naja...mit ein paar Schrauben und Klammern läßt sich das wieder ganz ordentlich reparieren... Nicht umsonst erscheint in den folgenden Kapiteln immer wieder „Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen“. Durch unser Verhalten können wir dem Patienten das Gefühl geben, gut aufgehoben zu sein. Der „Wunschretter“ hat folgende Eigenschaften: medizinisch kompetent fachlich kompetent ruhiges, freundliches Auftreten ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 11 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände 1.3 Einsatztaktik Sicherheit Die Sicherheit der Rettungsmannschaft steht an erster Stelle. Gerade in der alpinen Umgebung lauern Gefahren z.B. Lawinengefahr und Steinschlag. Es gilt, zuerst abzuschätzen ob und wie eine Rettung mit vertretbarem Risiko durchgeführt werden kann. Birgt die Einsatzstelle Gefahren für den Patienten oder die Einsatzmannschaft? Muss der Patient erst aus dem Gefahrenbereich gebracht werden, bevor man ihn an einer sicheren Stelle versorgen kann? Vorausschauendes Handeln und Risikomanagement sind hier gefragt. Letztendlich muss jedem klar sein, dass wir niemanden retten können, wenn das Risiko zu groß ist (s. § 323 c StGB). Allgemeines Bergwachtarbeit ist Teamarbeit. Ein Einsatz beginnt nicht mit der Versorgung Verletzter vor Ort, sondern schon bei der Alarmierung. Bereits beim ersten Rückruf können Rückschlüsse auf die Verletzungs-/Erkrankungsschwere gezogen und abgeklärt werden. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ■ ■ ■ Braucht man einen Notarzt? Braucht man einen medizinischen Voraustrupp? Was für medizinische Ausrüstung wird benötigt? Besteht Transportdringlichkeit? Lagemeldung an die Leitstelle er eit tzl sa Notarztindikationen Verschiedene Erkrankungen oder Verletzungen machen es erforderlich, dass ein Notarzt hinzugezogen wird, um vor Ort sofort eine ärztliche Therapie einleiten zu können. Benötigt man einen Bergwachtarzt oder kann ein Notarzt der Landrettung ungefährdet an die Einsatzstelle gebracht werden? Rettungshubschrauber haben den Vorteil, dass sowohl ein Notarzt als auch ein schnelles Transportgerät zur Verfügung stehen. Wann ein Notarzt zu einem Notfall gerufen werden muss, wird durch die Rettungsdienstgesetze der Bundesländer geregelt. Speziell in der Bergrettung sollte man bedenken, dass der nachgeforderte Notarzt erst noch zur Einsatzstelle gelangen muss. Der Bergretter ist dadurch längere Zeit auf sich allein gestellt. Auch äußere Einflüsse wie Wetter, Kälte und ein langer Abtransport haben Einfluss auf die Entscheidung darüber, ob ein Notarzt erforderlich ist. 12 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände Ein Notarzt ist bei folgenden Erkrankungen bzw. Verletzungen einzusetzen: Bewusstseinsstörungen keine Reaktion auf Ansprechen und Rütteln (auch bei verlangsamter, schläfriger Reaktion) Atemstörungen ausgeprägte oder zunehmende Atemnot, Atemstillstand Kreislaufstörungen akuter Brustschmerz, ausgeprägte oder zunehmende Kreislaufschwäche, Schock, Kreislaufstillstand, Herzrhythmusstörungen, akuter Bluthochdruck, akutes Koronarsyndrom Transportdringlichkeit Es gibt Verletzungen und Erkrankungen bei denen das Überleben einzig davon abhängt, dass der Patient so schnell wie möglich in eine geeignete Klinik gebracht wird. Es muss überlegt werden, wie der Verletzte/Erkrankte am schnellsten der Klinik zugeführt werden kann. Zeit gewinnen steht hier an erster Stelle und erfordert Entscheidungen. So muss man z. B. abwägen ob ein Patiententransport mittels Ackja zu einem Hubschrauberlandeplatz gegenüber einer Windenbergung einen Zeitgewinn bringt. Bei hoher Transportdringlichkeit zählt jede Minute! Schonender Transport ■ ■ ■ ■ Wirbelsäulenverletzungen Frakturen (Schmerzen) Unterkühlung Zustand nach Herz-Lungen-Wiederbelebung Übungsfragen Hohe Transportdringlichkeit z.B. ■ Sonstige Schädigungen mit Wirkung auf die Vitalfunktionen schwere Verletzung, schwere Blutung, starke akute Schmerzen, plötzliche Lähmungen (halbseitig), Brust- / Bauchverletzungen, Schädel-Hirn-Trauma, größere Amputationen, Verbrennungen, Frakturen mit deutlicher Fehlstellung, Pfählungsverletzungen, Vergiftungen, bei mehreren Verletzten, suizidale Handlung und Sturz aus großer Höhe. Ferner sollte man immer einen Notarzt rufen, wenn man meint, hier wäre ärztliches Wissen und Therapie erforderlich! Auf der anderen Seite gibt es Patienten, die möglichst schonend transportiert werden müssen. ■ ■ ■ ■ ■ alle schweren Verletzungen von Brust, Bauch oder Becken alle Verletzten mit Anzeichen eines Volumenmangelschocks nicht beherrschbare, schwere Blutungen Schädel-Hirn-Traumata mit Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit Akutes Koronarsyndrom Schlaganfall 1. Nenne fünf Notarztindikationen! 2. Du bist dir nicht sicher, ob der Patient einen Schlaganfall hat. Darfst du einen Notarzt rufen? 3. Muss man bei einer Bewusstseinsstörung einen Notarzt rufen? 4. Nenne 4 Beispiele für Verletzungen, die eine hohe Transportdringlichkeit haben! 5. Nenne 2 Beispiele für Verletzungen, die schonend transportiert werden sollten! Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 13 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände 1.4 Rechtliche Grundlagen, Dokumentation Rechtfertigung einer „Körperverletzung“ Verpflichtung zur Hilfe Jeder Mensch ist laut Gesetz im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Hilfeleistung verpflichtet (s. § 323 c StGB). Diese Verpflichtung gilt im gleichen Umfang selbstverständlich auch für die Einsatzkräfte der Bergwacht. Die Verpflichtung zur Hilfe endet dort, wo eine Selbstgefährdung beginnt. Von einem Nichtschwimmer kann nicht erwartet werden, einen Schwimmer aus dem Wasser selbst zu retten. Zu versuchen, Hilfe herbei zu holen ist jedoch immer durchführbar. Wird eine Einsatzkraft im Rahmen einer planmäßig organisierten Rettungsaktion für einen Patient tätig, so besteht zwischen der Bergwacht und dem Patienten ein (ungeschriebener) Vertrag. Darin übernehmen die beteiligten Einsatzkräfte eine besondere Verantwortung für den Patienten (Garantenstellung). Die Rettungskräfte führen alle Handlungen zur notfallmedizinischen Versorgung gemäß den allgemeinen Standards durch. D.h. der Patient darf davon ausgehen, dass die Rettungskräfte alle Handlungen im Bereich der Technik und der notfallmedizinischen Versorgung zu seiner Rettung nach den aktuellen Standards durchführen. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Einwilligung Nach Auffassung der deutschen Rechtsprechung erfüllt der „ärztliche Heileingriff“ objektiv den Tatbestand der Körperverletzung. Dennoch wird der handelnde Arzt in der Regel nicht bestraft, wenn der Patient in die Behandlung eingewilligt hat. Die Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung ist ein Rechtfertigungsgrund wie Notwehr oder Notstandsregeln. Unter „ärztlichen Heileingriffen“ versteht man alle invasiven („in den Körper eindringenden“) Maßnahmen, wie das Legen einer Infusion, Intubation, Medikamentengabe, Reposition, Defibrillation usw. Ist ein Notarzt anwesend, so kann dieser ärztliche Aufgaben an den Bergwachtmann/die Bergwachtfrau übertragen (Delegation). Die Fähigkeit zur Durchführung muss bei der Einsatzkraft der Bergwacht gegeben sein. Die Maßnahme muss erlernt und beherrscht werden. Unaufschiebbarkeit Auch wenn der Notarzt noch nicht vor Ort ist, erfordern bestimmte Notfallsituationen das sofortige Handeln, um Gefahr für Leib und Leben abzuwenden. Auch in diesen Fällen muss die Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten vorliegen, damit die Körperverletzung durch eine invasive Maßnahme (z.B. Defibrillation) gerechtfertigt ist. Eine situationsgerechte Aufklärung ist Grundlage für eine Einwilligung. Man muss dem Patienten erklären, was man aus welchen Gründen vorhat. Je schwerer der Notfall ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Aufklärung. Falls der Patient nicht einwilligen kann (z.B. weil er bewusstlos ist), greift die mutmaßliche Einwilligung. Man überlegt, was der Wunsch des Patienten wäre. In der Regel will der Patient gerettet werden, somit würde er auch in invasive Maßnahmen einwilligen, die zu seiner Rettung dienen. Hierzu müssen weitere Voraussetzungen vorliegen. „Können“ des Durchführenden Die Fähigkeit zur Durchführung, „das Können“ des Bergretters“ ergibt sich aus der erfolgreich absolvierten Basis- und Grundausbildung, weiteren Ausbildungen und regelmäßiger Fortbildung in der jeweiligen Maßnahme (z.B. Frühdefibrillation). Die Maßnahme muss fachlich richtig durchgeführt werden und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Man muss sich im konkreten Fall die Maßnahme auch zutrauen. Notwendigkeit („Notstandsregelung“) Die invasive Handlung muss grundsätzlich „indiziert“ sein, d.h. notwendig, um eine Gefahr für Leben bzw. Gesundheit des Patienten abzuwenden. Invasive Maßnahmen können nicht nur eine Körperverletzung (s.o.) darstellen, sondern auch gegen andere Gesetze verstoßen. Das Heilpraktikergesetz erlaubt das „Ausüben der Heilkunde“ eigentlich nur Ärzten und Heilpraktikern. Ein „heilender Bergretter“ könnte unter Umständen unter dieses Gesetz fallen. Um diesen eventuellen „Verstoß“ 14 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände gegen das Heilpraktikergesetz zu rechtfertigen, zieht man den „Rechtfertigen Notstand“ (s. § 34 StGB) heran. Der Notstand erfordert eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leib oder Leben. Die betroffenen Rechtsgüter, in diesem Falle Leib oder Leben des Patienten und die Verletzung des Heilpraktikergesetzes, werden gegeneinander, in der Regel zu Gunsten der Gesundheit des Verunfallten (und damit der Rechtfertigung des invasiven Eingriffs), abgewogen. Notarztruf Erst dann – und nur, wenn der Notarzt bereits alarmiert wurde, aber mit seinem rechtzeitigen Eintreffen nicht gerechnet werden kann – kann durch nichtärztliches Personal eine ärztliche Maßnahme vorgezogen werden, wenn diese Maßnahme durch die Einsatzkraft auch beherrscht wird! Die Verantwortlichkeit für die Maßnahme geht damit auf den Helfer über. Merke: Auch wenn die „Aufgabe“ des Arztes vorgezogen wurde, muss dieser immer hinzugezogen werden (Notarztruf). Es sind alle Maßnahmen zu dokumentieren. Rechtfertigung invasiver Maßnahmen Notarztruf Einwilligung des Patienten nach Aufklärung oder mutmaßliche Einwilligung Notwendigkeit Unaufschiebbarkeit / angemessenes Mittel „Können“ des Durchführenden Dokumentation ■ ■ Medizinproduktegesetz / Medizinproduktebetreiberverordnung Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Geräte wie Sauerstoffdruckminderer, Blutdruckmessgeräte, Defibrillatoren und Beatmungsgeräte in regelmäßigen Abständen einer messtechnischen bzw. sicherheitstechnischen Kontrolle zugeführt werden müssen. Das Datum der nächsten Kontrolle findet sich meistens auf einer angebrachten Prüfplakette. Verbrauchsmaterialien, bei denen das Haltbarkeitsdatum überschritten ist oder Geräte, die nicht den Vorschriften entsprechen, müssen ausgesondert und ersetzt werden. Anwender (Bergwachtmann / frau) von Beatmungsgeräten und Defibrillatoren bedürfen einer Einweisung durch speziell vom Hersteller geschulte Personen (Medizinproduktbeauftragte). Diese Einweisung muss schriftlich dokumentiert werden. Treten Störungen oder Zwischenfälle mit Medizinprodukten auf, die zur Schädigung von Patienten oder Helfern führen können oder geführt haben, ist dies dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Berlin zu melden. Die Meldung erfolgt am besten über den Dienstweg der Bergwacht. Dokumentation Jeder Patient hat das Recht auf eine vollständige Patientenakte. Aus diesem Anspruch und aus Rechtsprechung, Gesetzen und Vorschriften ergibt sich die Pflicht zur Dokumentation. Die Dokumentation hat so zu erfolgen, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Untersuchungsergebnisse und Versorgung nachvollziehbar sind. Hierzu werden z.B. Notfallprotokolle und Protokolle zur Frühdefibrillation verwendet, die länderspezifisch unterschiedlich sein können. Die Dokumentation im qualifizierten Rettungsdienst, zu dem die Bergwacht gehört, dient mehreren Zielen: ■ ■ ■ ■ Informationsweitergabe an die Klinik Verlaufskontrolle verschiedener Vitalwerte während des Einsatzes, um weitere Maßnahmen darauf abzustimmen Nachweis der durchgeführten Maßnahmen gegenüber dem Patienten als Kunden und dem Kostenträger (Versicherung) zur Klassifizierung des Einsatzes rechtliche Absicherung der handelnden Einsatzkräfte Auf jede dokumentierte Feststellung müssen auch immer die entsprechenden Maßnahmen erfolgt sein, so muss z.B. bei einer festgestellten Bewusstlosigkeit immer der Notarzt nachgefordert werden. Die Maßnahmen sind gleichfalls zu dokumentieren. ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 15 1. Notfallmedizin im alpinen Gelände Art der Dokumentation Bundesweit sind für alle am Rettungsdienst beteiligten Interessensgruppen bestimmte Dokumentationsstandards verbindlich. Daraus leiten sich die in vielen Bergwacht-Landesverbänden vorhandenen Einsatzprotokolle ab. Wo ein solches standardisiertes Protokoll nicht verfügbar ist, kann eine Dokumentation auf eine andere Weise erfolgen. Maßnahmen im Rahmen der Notkompetenz, aber auch Maßnahmen des Arztes, sind so zu dokumentieren, dass auch nachvollziehbar ist, WER diese durchgeführt hat. Werden Maßnahmen bewusst nicht durchgeführt, ist dies ebenfalls zu dokumentieren. Beispiel: „Keine Sauerstoffgabe möglich, Patient toleriert weder eine Maske noch eine Sonde.“ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Informationsweitergabe in der Rettungskette Die Bergwachtler vor Ort sind die ersten und oft auch die einzigen, die den Unfallort sehen bzw. aus dem Unfallort auf den Unfallhergang schließen können. Die Bergwachteinsatzkräfte sind somit die Augen und Ohren für die behandelnden Klinikärzte. Aus diesem Grund kann es bei schwerwiegenderen Verletzungen von Bedeutung sein, dass die so gewonnenen Eindrücke dokumentiert und den Einsatzkräften in der Rettungskette weitergegeben werden. Dadurch liegen alle Informationen in der Klinik vor. 17:53:03! Puls 93,76 pro Minute, Blutdruck 147,32 zu... 16 2. Körper des Menschen Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 17 2. Körper des Menschen 2.1 Blut, Herz und Kreislauf Das Blut Das Herz Das Blut ist eine körpereigene Flüssigkeit, die im wesentlichen Transportfunktion hat. Das Blut erreicht durch das Kreislaufsystem alle Körperzellen. Es befördert Sauerstoff und Nährstoffe zu den Zellen. Auf umgekehrtem Weg übernimmt das Blut von den Zellen Stoffwechselprodukte wie Kohlendioxid und Stoffwechselschlacken und bringt sie zu den Ausscheidungsorganen Lunge oder Nieren. Mit Hilfe des Blutes reguliert der Körper seine Temperatur und seinen Wasser-Elektrolyt-Haushalt. Darüber hinaus spielt es eine wesentliche Rolle bei der Abwehr von Fremdstoffen und Krankheitserregern. Die Gesamtblutmenge beträgt beim Erwachsenen ca. 80 ml pro Kilogramm Körpergewicht, also ca. 5 bis 7 Liter. Das Herz ist ein Hohlmuskel. Es befindet sich etwa in der Mitte des Brustkorbes im Mittelfellraum (Mediastinum). Die Spitze des Herzes ist nach links gerichtet und liegt auf dem Zwerchfell auf. Die Größe entspricht etwa der Faust des betreffenden Menschen, ist aber alters- und leistungsabhängig variabel. Die Herzscheidewand trennt das Herz in eine rechte und eine linke Hälfte. Jede Hälfte besteht aus einem Vorhof und einer Kammer. Zwischen Vorhöfen und Kammern befinden sich die Segelklappen, durch sie strömt das Blut in der Füllungsphase aus den Vorhöfen in die Kammern. An den Austrittsöffnungen der vom Herzen ausgehenden Arterien befinden sich die Taschenklappen. Alle Klappen verhindern ventilartig den Rückstrom des Blutes und bestimmen die Fließrichtung. Blutbestandteile Das Blut besteht etwa zur einen Hälfte aus festen und zur anderen aus flüssigen Bestandteilen. Die festen Bestandteile sind die roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die den roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) als Träger des Sauerstoffs enthalten, die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) zur Abwehr von Krankheitserregern und Fremdstoffen, sowie die Blutplättchen (Thrombozyten), die zusammen mit anderen Faktoren für die Blutgerinnung notwendig sind. Die flüssigen Bestandteile des Blutes (Blutplasma) bestehen zu über 90 % aus Wasser sowie gelösten Substanzen: Elektrolyte, Nährstoffe, Hormone, Vitamine, Stoffwechselprodukte und gelöste Fette. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Hauptschlagader (Aorta) Taschenklappe Segelklappe Aufbau der Herzwand Die Herzwände bestehen aus drei Schichten, der Herzinnenhaut (Endokard), welche die Innenfläche des Herzens auskleidet, dem Herzmuskelgewebe (Myokard) und der Außenhaut (Epikard), die das Herz überzieht. Das Herz befindet sich im Herzbeutel (Perikard). Er besteht aus Bindegewebe und umschließt das Herz sowie die Austrittsstellen der großen Gefäße. Spezielle im Herzmuskelgewebe eingelagerte Fasern leiten die zur Herzkontraktion erforderlichen Reize weiter (Reizleitungssystem). Zur Versorgung des großen Körperkreislaufes ist höherer Druck und Volumen erforderlich. Daher ist die Muskulatur der linken Herzhälfte dicker als die der rechten. Lungenvene Linker Vorhof Rechter Vorhof Rechte Kammer Linke Kammer Lungenarterie Segelklappe Taschenklappe Scheidewand 18 2. Körper des Menschen Sinusknoten AV-Knoten Rechter Tawaraschenkel Systole HIS'sches Bündel Koronararterien Linker Tawaraschenkel: oberer Teil unterer Teil Koronarvenen Anspannungsphase Purkinje Fasern Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem des Herzens Das Herz bildet die für seine Muskelkontraktion notwendige Erregung selbst, denn es verfügt über ein eigenes Erregungsbildungs und -leitungssystem. Dieses besteht aus speziellen Muskelzellen und -fasern, die Impulse erzeugen und weiterleiten können. Diese Impulse wirken nur auf die Herzmuskelzellen und bewirken das Zusammenziehen des Herzens. Diastole Herzkranzgefäße Herzkranzgefäße (Koronargefäße) sind die Blutgefäße, die das Herz versorgen. Die Herzkranzgefäße zweigen direkt oberhalb der Aortenklappe aus der Aorta ab. Die Durchblutung findet überwiegend in der Entspannungs- und Füllungsphase (Diastole) des Herzens statt. Die Aortenklappe ist hierbei geschlossen. Funktion des Herzens Das Herz ist die Pumpe des Kreislaufsystems. Die Pumpfunktionen des rechten und linken Herzens erfolgen gleichzeitig. Beim Ablauf einer Herzaktion unterscheidet man zwei Phasen: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Austreibungsphase Entspannungsphase Füllungsphase Anspannungs- und Austreibungsphase (Systole) Beim Zusammenziehen des Herzmuskels steigt der Innendruck in den Kammern, bis sich die Segelklappen schließen und die Taschenklappen öffnen. Das Blut wird aus der rechten Kammer in die Lungenarterie und aus der linken Kammer in die Aorta gepumpt. Anspannungs- und Austreibungsphase der Kammern werden als Systole bezeichnet. Entspannungs- und Füllungsphase (Diastole) In dieser Phase erschlafft der Herzmuskel, und der Druck in den Kammern sinkt, die Taschenklappen schließen sich und die Segelklappen öffnen sich, das Blut strömt aus den Vorhöfen in die Kammern. Entspannungsund Füllungsphase der Kammern werden als Diastole bezeichnet. 19 2. Körper des Menschen Herzrhythmus / Herzfrequenz Die Regelmäßigkeit des Herzschlages entsteht durch die vom Sinusknoten (Erregungsbildungszentrum) in regelmäßigen Abständen ausgehenden Impulse. Sie bewirken eine geordnete, gleichmäßige Herzaktion. Die Herzfrequenz beziffert die Zahl der Herzschläge pro Minute. Die Herzfrequenz und die Kontraktion werden vom unwillkürlichen (vegetativen) Nervensystem beeinflusst. Sie kann den jeweiligen Erfordernissen angepasst, beschleunigt oder verlangsamt werden. Normalwerte ohne körperliche Belastung sind beim: Neugeborenen 2-jährigen Kind 10-jährigen Kind Erwachsenen ca. 140 Schläge / Min ca. 120 Schläge/ Min. ca. 90 Schläge / Min. ca. 60 bis 80 Schläge / Min. Mögliche Abweichungen von der normalen Herzfrequenz sind beim Erwachsenen weniger als 60 Schläge pro Minute (Bradykardie) und über 100 Schläge pro Minute (Tachykardie). Unregelmäßige Herzschlagfolgen werden als Herzrhythmusstörungen bezeichnet. Herzschlagvolumen / Herzminutenvolumen Neben der Anzahl der Herzaktionen spielt die Pumpleistung pro Herzschlag und pro Minute eine entscheidende Rolle. Das Herzschlagvolumen ist die Blutmenge, gemessen in Milliliter (ml), die vom Herz pro Herzaktion ausgepumpt wird. Beim Erwachsenen beträgt sie ca. 70 bis 80 ml. Das Herzminutenvolumen ist die Blutmenge in Milliliter oder Liter, die von einer Kammer in einer Minute in den Kreislauf gepumpt wird. Herzschlagvolumen x Herzfrequenz = Herzminutenvolumen Beispiel: 80 ml x 70 (Schläge / Minute) = 5600 ml / min. = 5.6 l / min. Unter Belastung ist eine Steigerung des Herzminutenvolumens um das fünf- bis sechsfache des Ruhewertes möglich. Blutgefäße Entsprechend dem Bau der Blutgefäße (Gefäßwände) und der Strömungsrichtung des Blutes werden unterschieden: Arterien sind alle vom Herzen wegführenden Gefäße. In den Arterien strömt das Blut vom Herzen zu den Organen. Wegen des hierzu notwendigen Pumpdruckes (Blutdruck) sind die Arterien dickwandig und trotzdem sehr elastisch, da sie den vom Herzen ausgehenden Blutdruck weiterleiten müssen. Die Arterien verengen sich, je weiter sie sich verzweigen und gehen schließlich in Haargefäße (Kapillaren) über. Die Kapillaren verbinden arterielles und venöses System miteinander. Sie verlaufen zwischen den Zellen und ermöglichen so den Sauerstoffaustausch zwischen dem Blut und den Zellen. Venen sind alle zum Herzen führenden Gefäße. Die Venen sind im Gegensatz zu den Arterien dünnwandig. Sie haben z.T. Klappen, die die Fließrichtung des Blutes (zum Herzen) bestimmen. Vene Arterie Muskeln Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 20 2. Körper des Menschen Blutkreislauf Das Blut fließt beim erwachsenen Menschen folgenden Weg: Vom venösen Anteil der Kapillaren im Körper fließt das Blut in immer größere Venen, durch die Untere bzw. Obere Hohlvene in den Rechten Vorhof und von dort in die Rechte Kammer. Durch die Pumpwirkung des Herzens (Systole) wird das Blut durch die Lungenarterie in die Lunge gepumpt. Über die Verzweigungen der Lungenarterien gelangt das Blut im Bereich der Lungenbläschen (Alveolen) in die Lungenkapillaren, wo der Gasaustausch stattfindet. Über vier Lungenvenen gelangt das mit Sauerstoff angereicherte Blut in den Linken Vorhof und von dort in die Linke Kammer. Durch die Pumpwirkung des Herzens (Systole) wird das Blut durch die Aorta in den Körper gepumpt. Hier verzweigen sich die Arterien, bis schließlich im Bereich der Kapillaren der Sauerstoffaustausch mit den Zellen erfolgt. ■ ■ ■ Obere Körperhälfte ■ Kapillaren Lunge Kapillaren ■ ■ ■ Körperkreislauf: Blut mit wenig Sauerstoff in den Venen Lungenkreislauf: Blut mit viel Sauerstoff in den Venen ■ ■ ■ Herzvorhöfe Untere Körperhälfte Herzkammern Kapillaren ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 21 2. Körper des Menschen 2.2 Atmung Obere Atemwege Die Atmung reguliert die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlendioxid. Hierzu gelangt die Umgebungsluft über die Atemwege in die Lunge. Die Atemwege vom Nasen / MundEingang bis zum Ende der Bronchiolen werden als luftleitendes System bezeichnet. Dieser Bereich wird auch Totraum genannt, weil in diesem Bereich (der Luftwege) kein Gasaustausch stattfindet. Auf dem Weg zu den Lungenbläschen (Alveolen) wird die eingeatmete Luft gereinigt, angewärmt und angefeuchtet. Im Naseneingang fängt die feine Behaarung groben Staub aus der Einatemluft ab. In der Nasenhöhle und in den unteren Atemwegen wird die Luft durch die Schleimhäute und feine Härchen weiter gereinigt, angefeuchtet und gleichzeitig durch die besonders intensive Durchblutung auf Körpertemperatur erwärmt. Die Einatmung kann auch durch den Mund erfolgen. Dabei sind Reinigung und Erwärmung der Luft nicht so intensiv wie bei der Nasenatmung. Rachenraum Der Bereich, wo Nasen- und Mundhöhle zusammentreffen, wird als Rachenraum (Pharynx) bezeichnet. Hier kreuzen sich Speiseweg und Atemweg. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Nasenhöhle Mundhöhle Kehldeckel Kehlkopfeingang Stimmband Luftröhre (Trachea) Speiseröhre Bronchien Bronchiolen Rechter Lungenflügel Linker Lungenflügel Kehlkopf Aufgabe des Kehlkopfes (Larynx) mit dem Kehldeckel (Epiglottis) ist, beim Schlucken die Luftröhre (Schluckreflex) zu verschließen. Damit wird das „Verschlucken“ verhindert. Gelangt dennoch einmal ein Fremdkörper in die Luftröhre, so wird dort ein Hustenreflex ausgelöst. Der Fremdkörper wird dadurch wieder herausbefördert. Diese Schutzreflexe funktionieren nur ausreichend solange das Bewusstsein erhalten ist. Stimmbänder Unterhalb des Kehldeckels befinden sich die Stimmbänder. Sie werden durch die vorbeiströmende Luft in Schwingungen versetzt. Die Gestaltung der Töne (Artikulation) wird durch Stellungen der Zunge, der Lippen und des Gaumensegels erreicht. Luftröhre Die Luftröhre (Trachea) wird durch hufeisenförmige Knorpelspangen stabilisiert. Im hinteren Bereich besteht sie aus elastischem Gewebe. Die Luftröhre ist innen mit einer Schleimhaut ausgekleidet. In der Mitte des Brustkorbes verzweigt sie sich in einen rechten und einen linken Hauptbronchus, die sich weiter verzweigen. Die kleinsten Bronchien am Ende des luftleitenden Systems werden als Bronchiolen bezeichnet. An ihren Enden befinden sich die Lungenbläschen (Alveolen). Die Gesamtheit der Lungenbläschen bildet das gasaustauschende System. Über die hauchdünnen, für Gase durchlässigen Wände der Lungenbläschen und der sie umgebenden Haargefäße (Kapillaren) findet der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid statt. 22 2. Körper des Menschen Kleiner Luftröhrenzweig (Bronchiolus) Luftröhrenast (Bronchus) Lungenbläschen (Alveolen) Lunge und Brustkorb Der Brustraum wird fast vollständig von Lunge und Herz ausgefüllt. Umschlossen ist er durch den knöchernen Brustkorb mit Wirbelsäule, Rippen und Brustbein. Das Zwerchfell begrenzt den Brustraum zum Bauchraum. Das Brustfell (Pleura) ist eine feuchte Haut, die den Brustraum innen auskleidet, es überzieht Rippen, Mittelfellraum und Zwerchfell (Rippenfell und Zwerchfell). Das Lungenfell überzieht die Lungenoberfläche. Pleuraspalt Zwischen Rippen- und Lungenfell befindet sich ein feiner, allseitig geschlossener, mit wenig Flüssigkeit ausgefüllter Spalt (Pleuraspalt). Hierdurch ergeben sich Haft- und Gleitflächen, so dass die Oberfläche der Lunge sich nicht von der Innenfläche des Brustraums lösen kann. Die Lunge folgt so jeder Bewegung des Brustkorbes. Das Mittelfell (Mediastinum) trennt den Brustraum in zwei Räume. In diesem, durch das Mittelfell von der Lunge eingegrenztem Raum, liegen die Speiseröhre, die Luftröhre, das Herz und große Gefäße (Aorta und Hohlvenen). Atemmechanik Durch Erweitern des Brustraumes, Heben der Rippen und Senken (Zusammenziehen) des Zwerchfelles (Muskelplatte, die den Brustkorb vom Bauchraum trennt) vergrößert sich der Brustraum. Die Lunge folgt diesen Bewegungen des Brustraumes, Luft wird durch die Atemwege angesaugt. Der Mensch atmet ein. Beim Ausatmen erschlafft das Zwerchfell (Wölbung nach oben) und die Rippen senken sich, der Brustraum verkleinert sich und die Atemluft strömt nach außen. Die Atemfrequenz (Atemzüge pro Minute) und das Atemvolumen (Atemzugvolumen) werden vom Atemzentrum im verlängerten Mark gesteuert. Das Atemzentrum reguliert die Atmung nach den Erfordernissen im Körper, angepasst an den Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt des Blutes. Atemfrequenz Die Atemfrequenz (Atemzüge pro Minute) ohne körperliche Belastung beträgt beim Säugling ca. 40 Atemzüge/min Kleinkind ca. 30 Atemzüge/min Schulkind ca. 25 Atemzüge/min Jugendlicher ca. 20 Atemzüge/min Erwachsener ca. 15 Atemzüge/min Atemzugvolumen Das Atemzugvolumen ist die Luftmenge, die pro Atemzug ein- und ausgeatmet wird. Das Atemzugvolumen ohne körperliche Belastung beträgt beim Säugling 20 – 40 ml Erwachsenen 500 – 800 ml Atemminutenvolumen Das Atemminutenvolumen errechnet sich aus Atemzugvolumen x Atemfrequenz Geht man z.B. bei einem Erwachsenen von einem Atemzugvolumen von 500 ml und einer Atemfrequenz von 15 Atemzügen in der Minute aus, so ergibt sich als Atemminutenvolumen: 500 ml x 15 / min = 7500 ml / min Totraum Der Totraum ist das gesamte luftleitende System (vom Nasen- / Mundeingang bis zum Ende der Bronchiolen). Hier wird zwar Luft bewegt, es findet jedoch kein Gasaustausch statt. Die Größe des Totraumes beträft ca. 2 ml / kg Körpergewicht, beim Erwachsenen also ca. 150 ml. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 23 2. Körper des Menschen 2.3 Gehirn und Nervensystem Längsschnitt durch die Mitte des Gehirnes Großhirn Kleinhirn Haut Subkutangewebe Großhirn Im Großhirn sind die Funktionen des Bewusstseins lokalisiert, es ist der Ort jeglicher geistiger Leistung. Hier werden die Sinneswahrnehmungen aufgenommen, verarbeitet und gespeichert (Denken und Handeln), sowie die willkürlichen Bewegungen des Körpers gesteuert. Schädelknochen Harte Hirnhaut Hirnanhangsdrüse Hirnstamm Verlängertes Mark Aufbau und Funktion Das Nervengewebe lenkt durch Reizaufnahme, -verarbeitung und -verteilung alle Lebensvorgänge des Organismus. Das Gehirn, das Rückenmark und das weit verzweigte periphere Nervensystem bestehen aus Nervenzellen und Nervenfasern. Gehirn und Rückenmark bilden das zentrale Nervensystem (ZNS). Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Spinnwebhaut Weiche Hirnhaut Gehirn Gehirn Das Gehirn befindet sich geschützt in der knöchernen Schädelhöhle. Es wird von den Hirnhäuten umgeben. Es besteht aus zwei Großhirnhälften, die unten an das Zwischenhirn angrenzen. Dieses geht in den Hirnstamm mit dem verlängerten Mark über und steht mit dem Kleinhirn in Verbindung. Zwischen den Hirnund Rückenmarkhäuten, wie auch in den Hirnkammern (Hohlräume in der Hirnmasse = Ventrikel) befindet sich eine klare, wässrige Flüssigkeit, die Gehirnflüssigkeit (Liquor). Durch diese Flüssigkeit werden das Gehirn und das Rückenmark geschützt. Kleinhirn Das Kleinhirn koordiniert die Bewegungsabläufe. Es ermöglicht und kontrolliert die Muskelspannung und Muskelkraft. Hirnstamm Der Hirnstamm und das verlängerte Mark sind übergeordnete Zentren des unwillkürlichen (vegetativen) Nervensystems. Zwischenhirn Das Zwischenhirn ist einerseits Schnittpunkt zwischen Großhirn und den tiefergelegenen Regionen des zentralen Nervensystems und andererseits zwischen Großhirn und dem vegetativen Nervensystem. 24 2. Körper des Menschen Großhirn Kleinhirn Rückenmark Nervengeflecht des Schultergürtels Rückenmarksnerven Nervengeflecht des Armes Der Sympathikus beschleunigt Herzschlag und Atmung: Herzkranzgefäße und Bronchien werden erweitert. Er verengt die peripheren Gefäße und steigert den Blutdruck. An den Augen bewirkt er eine Pupillenerweiterung. Der Parasympathikus wirkt als „Gegenspieler“ des Sympathikus. Er verlangsamt die Herztätigkeit: Herzkranzgefäße und Bronchien verengen sich, der Blutdruck wird gesenkt. Die Drüsentätigkeit und Darmbewegung werden gesteigert. Die Pupillen verengen sich. Im Normalfall bewirkt das Zusammenwirken von Sympathikus und Parasympathikus eine optimale Anpassung an die jeweilige Belastungssituation. Pie ee p!! ! Nervengeflecht für Beckengürtel und Bein Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ep!! Pie Piep ! p! Vegetatives Nervensystem Das vegetative Nervensystem steuert zusammen mit dem Zwischenhirn und dem Hirnstamm die Organfunktion des Körpers und passt sie der jeweiligen Situation an. Das bedeutet, dass die nicht dem Willen des Menschen unterworfenen Körperfunktionen wie z.B. Herztätigkeit, Kreislauf, Verdauung oder die Regulierung der Körpertemperatur automatisch gesteuert werden. Hierzu erstreckt sich ein Netzwerk von Nervenbahnen vom Gehirn aus über den ganzen Körper. Entsprechend ihrer Steuerungsfunktion unterscheidet man zwei Teile: das sympathische und parasympathische Nervensystem. Pie Rückenmark Das Rückenmark liegt als Nervenstrang im Wirbelkanal. Es ist wie das Gehirn von Häuten und Gehirnflüssigkeit umgeben. Die beidseitig aus dem Wirbelkanal zu den jeweiligen Körperbereichen und Organen austretenden Nerven gehören zum peripheren Nervensystem. 25 2. Körper des Menschen 2.4 Organe im Bauchraum Unter Verdauung werden alle Vorgänge der Zerkleinerung, Aufspaltung, Aufnahme (Resorption) und Weiterleitung der Nahrung bis zur Ausscheidung verstanden. Mund Im Mund wird die Nahrung zerkleinert und mit Speichel vermischt. Hier beginnt bereits die Verdauung (chemische Aufspaltung durch Enzyme) der Speisen. Speiseröhre Durch den Schluckvorgang gelangt der Speisebrei in die hinter der Luftröhre liegende Speiseröhre. Diese ist ein muskulöser Schlauch, der durch wellenförmige Bewegungen (Peristaltik) die Nahrung vom Rachen in den Magen befördert. Magen Der Magen liegt etwa in der Mitte des Oberbauches, unter dem Zwerchfell. In ihm werden die Speisen durch Beimengung von Magensaft, dessen wesentlicher Bestandteil Salzsäure ist, aufgespalten und durch ständige Bewegung der Magenmuskulatur vermischt. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Dünndarm Durch den Magenausgang (Magenpförtner) gelangt der Mageninhalt in einzelnen Schüben in den ersten Abschnitt des Dünndarms, den Zwölffingerdarm. Im Zwölffingerdarm werden Verdauungssäfte sowohl aus der Bauchspeicheldrüse als auch aus der Galle (die in der Leber produziert und in der Gallenblase gesammelt wird) zugesetzt. Die Verdauungssäfte bewirken eine weitere chemische Aufspaltung der Speisen. Die Galle macht Fette wasserlöslich und damit aufnahmefähig. Im weiteren Verlauf des Dünndarms werden die Nährstoffe in gelöster Form durch die in den Dünndarmzotten befindlichen Kapillaren der Pfortader und der Lymphwege resorbiert. Dickdarm Der Dünndarm mündet im rechten Unterbauch in den Dickdarm. Der unterhalb der Einmündung in den Dickdarm befindliche Darmabschnitt ist der Blinddarm mit dem Wurmfortsatz (Appendix). Der Dickdarm besteht aus einem aufsteigenden, einem quer verlaufenden und einem absteigenden Teil. Hier wird dem Speisebrei Wasser entzogen und dem Körper wieder zugeführt. Enddarm Der Dickdarm mündet in den Enddarm. Von dort werden die nicht verwerteten Substanzen durch den After als Stuhl ausgeschieden. Mundhöhle Speiseröhre Magen Zwerchfell Leber Gallenblase Zwölffingerdarm Querlaufender Dickdarm Aufsteigender Dickdarm Blinddarm Wurmfortsatz (Appendix) Milz Pförtner Bauchspeicheldrüse Absteigender Dickdarm Dünndarm S-förmige Schlinge Mastdarm 26 2. Körper des Menschen Leber Die Leber liegt im rechten Oberbauch und wird teilweise vom unteren Rippenbogen bedeckt. Sie ist die größte Drüse des Körpers und ein sehr blutreiches Organ. Sie produziert Galle, die in der Gallenblase gespeichert und bei Bedarf in den Zwölffingerdarm abgegeben wird. Weiter übernimmt sie wichtige Stoffwechselfunktionen. Die über die Pfortader der Leber zugeführten Stoffe werden hier chemisch umgewandelt und teilweise gespeichert. Darüber hinaus dient die Leber der Entgiftung des Körpers. Bauchspeicheldrüse Die Bauchspeicheldrüse liegt im Oberbauch hinter dem Magen. Sie hat zwei wesentliche Aufgaben. Zum einen bildet sie Verdauungssäfte, die in den Zwölffingerdarm abgegeben werden, zum anderen wird in speziellen Zellen Insulin produziert, welches in den Blutkreislauf abgeführt wird. Insulin ist das Hormon, das den Zuckerhaushalt des Körpers regelt. Milz Die Milz befindet sich im linken Oberbauch. Sie hat eine wichtige Funktion im Immunsystem des Körpers (Speicherung bestimmter weißer Blutkörperchen). Darüber hinaus baut die Milz überalterte rote Blutkörperchen ab. Bauchfell Die beschriebenen Organe befinden sich in der Bauchhöhle. Sie sind vom Bauchfell überzogen. Insbesondere das Bauchfell besitzt sensible Nerven, die auch den Bauchschmerz auslösen. Nieren Die Nieren liegen außerhalb des Bauchfells, eingebettet in je eine Fettkapsel, links und rechts neben der Wirbelsäule. Ihre Aufgabe besteht darin, Stoffe, die in zu hoher Konzentration im Blut vorhanden sind. Hierzu gehören vor allem Stoffwechselendprodukte wie Harnstoffe und Harnsäure, auszuscheiden. Sie regulieren zudem den Wasser- und Elektrolythaushalt des Körpers. Die von den Nieren ausgeschiedene Flüssigkeit (Harn) gelangt über die Harnleiter in die Harnblase. Nebenniere Niere Untere Hohlvene Harnleiter Harnblase Die Harnblase befindet sich in der Mitte des unteren Bauchraumes im Bereich des kleinen Beckens. Als Sammelgefäß ist die Harnblase in der Lage, sich bei Bedarf auszuweiten. Im Normalfall fasst sie ca. 350 ml. Sie kann sich aber bis auf ein Volumen von ca. 2.000 ml erweitern und reicht in diesem Extremfall bis zur Höhe des Nabels. Der Urin fließt durch die Harnröhre nach außen. Harnröhre Die Harnröhre wird beim Mann unmittelbar hinter dem Blasenausgang von der Vorsteherdrüse (Prostata) umschlossen und verläuft durch das Glied. Die Harnröhre der Frau ist kürzer als die des Mannes und mündet in den Scheidenvorhof. Nierenschlagader Nierenvene Hauptschlagader Harnblase Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 27 2. Körper des Menschen 2.5 Stütz- und Bewegungsapparat Knochenaufbau Prinzipiell sind alle Knochen des Menschen gleich aufgebaut. Die Knochenrinde ist die äußere, kompakte Knochenstruktur. Sie ist stark durchblutet. Die Knochenhaut umgibt die Knochen und enthält sensible Nerven, die bei Verletzungen starke Schmerzen auslösen. Die Markhöhle ist bei den Röhrenknochen mit gelbem, fetthaltigem Knochenmark gefüllt (in den platten Knochen befindet sich rotes Mark für die Blutbildung). In besonders beanspruchten Bereichen der Knochen befinden sich Knochenbälkchen. Sie ermöglichen durch ihre Struktur und Anordnung eine sehr große Stabilität und Elastizität der Knochen. In Bereichen, wo Knochen durch Gelenke miteinander verbunden sind, sind die Gelenkflächen mit einer Knorpelschicht, dem Gelenkknorpel, überzogen. Knochenformen Entsprechend ihrem Aufbau und ihrer Struktur unterscheidet man: Platte Knochen Schulterblatt, Brustbein, Schädelknochen, Beckenknochen Röhrenknochen Oberarm, Oberschenkel Kurze Knochen Wirbelkörper, Hand- und Fußwurzelknochen Knochenverbindungen Die einzelnen Knochen sind unterschiedlich miteinander verbunden. Es gibt feste und bewegliche Verbindungen: Knochen (Knochenhaften) verbinden z.B. die verschiedenen Schädelknochen fest und unbeweglich miteinander. Knorpel befinden sich dort, wo Knochen fest, aber beweglich miteinander verbunden sind, z.B. die Rippen mit dem Brustbein. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 28 2. Körper des Menschen Gelenke Gelenke sind bewegliche Knochenverbindungen. Sie bestehen aus: Gelenkkapsel Gelenkkopf Stirnbein Scheitelbein Keilbein Verstärkungsbänder ■ Gelenkpfanne Gelenkspalt mit Gelenkschmiere Knorpelschicht Kugelgelenk allseitig drehbar Kugelgelenk ■ ■ ■ ■ Gelenkkopf Gelenkpfanne Gelenkknorpel Gelenkkapsel Bänder Entsprechend ihrer Beweglichkeit werden Kugelgelenke, Scharniergelenke, Drehgelenke und Sattelgelenke unterschieden. Schläfenbein Nasenbein Hinterhauptsbein Jochbein Unterkiefer Oberkiefer Stirnbein Keilbein Drehgelenk drehbar um die Längsachse Kombiniertes Gelenk Dreh-/Scharniergelenk Sattelgelenk schwenkbar in zwei Ebenen Scharniergelenk schwenkbar in einer Ebene Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Drehgelenk Schläfenbein durchlöcherte Platte des Siebbeins Sehnervkanal Ovales Loch Eingang zum Gehörgang Scharniergelenk Sattelgelenk Hinterhauptsbein großes Hinterhauptsloch Schädel Der Gehirnschädel schützt das Gehirn. Bedingt durch seine Form hat er eine sehr große Festigkeit. Die einzelnen Knochenplatten sind durch Knochenhaften miteinander verbunden. Die Knochen des Gehirnschädels bilden zusammen mit dem Siebbein die Schädelbasis. Sie ist mit vielen Kanälen zum Durchlass von Nerven und Blutgefäßen durchzogen. Im hinteren Bereich der Schädelbasis befindet sich das Hinterhauptsloch, das den Zugang der Nerven zum Wirbelkanal darstellt. 29 2. Körper des Menschen seitlich Wirbelkörper Gelenkflächen für die Rippen obere Gelenkfortsätze Querfortsätze Dornfortsatz untere Gelenkfortsätze von oben Gelenkfläche des Querfortsatzes für die Rippe Beuger Strecker Wirbelloch Gelenkflächen für die Rippen Wirbelkörper Wirbelsäule Als Achse unseres Skelettes hat die Wirbelsäule die Aufgaben, den Schädel zu tragen, unseren Körper aufrecht zu halten und als Federung zu dienen (doppelte S-Form + Bandscheiben). Die Wirbelsäule besteht aus 7 Halswirbeln, 12 Brustwirbeln, 5 Lendenwirbeln sowie dem Kreuzbein und dem Steißbein. Vom 2. Halswirbel bis zum 5. Lendenwirbel befinden sich zwischen den Wirbelkörpern die Zwischenwirbelscheiben (Bandscheiben). An den Wirbeln befinden sich Gelenke und Gelenkflächen, die eine hohe Beweglichkeit ermöglichen. Durch das Wirbelloch führen das Rückenmark sowie bestimmte Nerven. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Brustkorb Zum Brustkorb gehören die Brustwirbelsäule, das Brustbein und die Rippen. Von den 12 Rippenpaaren sind 7 direkt mit dem Brustbein verbunden (echte Rippen). Die übrigen 5 Rippenpaare (unechte Rippen) sind nur indirekt oder gar nicht mit dem Brustbein verbunden. Die Rippen werden bei der Einatmung mit der Brustkorbmuskulatur nach oben gezogen, dadurch vergrößert sich das Volumen im Brustkorb. Becken Der Beckengürtel, aufgrund seiner Bauart auch Beckenring genannt, verbindet den Rumpf mit den unteren Extremitäten. Im Becken verlaufen große Gefäße, welche die unteren Extremitäten mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Bänder Bänder bilden u.a. die Gelenkkapseln. Sie führen und stabilisieren die Gelenke, sichern und festigen die Stellung bestimmter Knochen zueinander und schaffen dadurch bestimmte Funktionseinheiten, wie z.B. Elle und Speiche oder die Wirbelsäule. Sehne Gelenk Muskeln und Sehnen Die Bewegung der Knochen erfolgt durch Muskeln. Sie sind je Bewegungseinheit meist gegenläufig angeordnet, z.B. Armbeugeund Armstreckmuskel. Die Muskeln gehen in die Sehnen über. Diese verlaufen durch Sehnenscheiden geschützt über das Gelenk zum gegenüberliegenden Knochen. 30 2. Körper des Menschen Haut Die Haut als größtes Organ des Körpers besteht aus verschiedenen, schichtweise angeordneten Gewebetypen: Oberhaut, Lederhaut, Unterhautfettgewebe. Wir nehmen sie zuerst als Grenze des Körpers zur Umwelt wahr. Aber auch im Körperinneren gibt es viele Haut-Bestandteile (z.B. Schleimhäute). Die Haut als Hülle des Körpers hat verschiedene Aufgaben: ■ ■ ■ ■ Mechanischer Schutz z.B. bei Stößen oder dem Hinfallen, aber auch Schutz vor Krankheitserregern Temperaturregulation durch Verengung oder Erweiterung der Blutgefäße und durch Schwitzen Regulierung des Wasserhaushaltes Abgabe von Wasser und Salzen (Schweiß) Sinnesfunktion Wahrnehmen von Schmerzen, Berührungen Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 31 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 33 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen 3.1 Einschätzung der Störung (ABC-Sicherung / Ganzkörpercheck) Die ABC-Sicherung und der Ganzkörpercheck werden bei jedem Verletzten durchgeführt. Grund dafür ist, dass für das weitere Vorgehen ein rascher Überblick über möglicherweise vorliegende Verletzungen / Erkrankungen benötigt wird. Gerade dem wachen Patienten wird sich eine eher unbedeutende Schnittwunde, die ihm jedoch unter Umständen große Schmerzen bereitet, bedrohlicher darstellen, als beispielsweise eine bestehende stumpfe Bauchverletzung. Diese könnte deshalb ohne Ganzkörperuntersuchung übersehen werden und im weiteren Verlauf möglicherweise zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen. Bei bewusstlosen Patienten liefert ausschließlich der Ganzkörpercheck Hinweise auf mögliche Verletzungen. Die Erstuntersuchung eines Notfallpatienten ist eine der wichtigsten und verantwortungsvollsten Aufgaben im Rahmen der Versorgung eines Patienten im Gebirge. Mit dem Ergebnis der Untersuchung werden die Weichen gestellt für den gesamten weiteren Ablauf des Einsatzes. Die Frage, die dabei den Ausschlag für die weiteren Entscheidungen gibt ist: Kann ich die Situation selbst beherrschen oder brauche ich Hilfe? So kann es erforderlich sein, einen Hubschrauber, einen Notarzt oder einfach Verstärkung anzufordern. Maßnahmen Beim Eintreffen an der Einsatzstelle erfolgt eine Lagebeurteilung: ■ ■ ■ ■ Sind die Helfer oder der Patient gefährdet? Wie viel Verletzte sind vorhanden (Unfallhergang) Ist der Patient ansprechbar, bewusstseinsgetrübt oder bewusstlos? Ist ein Notarzt aufgrund der vorgefunden Situation erforderlich? ABC-Sicherung Zuerst werden die Vitalfunktionen überprüft und behebbare lebensbedrohliche Störungen sofort behandelt! Dies ist besonders bei bewusstseinsgetrübten / bewusstlosen Patienten wichtig. Die Erstuntersuchung der lebenswichtigen Funktionen lässt sich auch leicht mit dem Englischen abkürzen: A = Airway (Atemwege) B = Breathing (Atmung) und C = Circulation (Kreislauf) A Sind die Atemwege frei oder müssen sie frei gemacht werden? (z.B. Unterkiefer vorschieben, Kopf überstrecken, Fremdkörper entfernen, Absaugen...) B Atmet der Patient oder muss er beatmet werden? Liegt eine akute Atemnot vor? (z.B. Beatmung, Sauerstoffgabe bei akuter Atemnot und schweren Verletzungen) C Hat der Patient Lebenszeichen / Kreislaufzeichen oder muss mit der Herz-Lungen-Wiederbelegung begonnen werden? Liegen starke, erkennbare Blutungen vor? (z.B. Herz-Lungen-Wiederbelebung, Druckverband...) Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 34 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Behebbare lebensbedrohliche Störungen A B C Airway (Atemwege) Breathing (Atmung) Circulation (Kreislauf) Bei einem Patienten, der problemlos sprechen kann ist ABC abgehandelt. Jemand der ohne Anstrengung redet, hat freie Atemwege, atmet und weist einen Puls auf. Ganzkörpercheck Bevor man mit der Ganzkörperuntersuchung beginnt, klärt man den Betroffenen über den Grund dieser Maßnahme auf: Es ist für einen Patienten nicht unbedingt einsichtig, dass man sich nicht sofort um evtl. offensichtliche Verletzungen kümmert, sondern erst einen kompletten Ganzkörpercheck durchführt. Die Untersuchung selbst läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Sie verläuft von Kopf bis Fuß, so dass hier die lebenswichtigen Organe und Organsysteme zuerst untersucht werden. Ziel ist es, lebensbedrohliche Verletzungen / Erkrankungen möglichst früh zu erkennen (hohe Transportdringlichkeit). Bei der Untersuchung selbst befragt man den Patienten zuerst nach der Art und dem Ort der Beschwerden, sowie dem Unfallhergang (Gedächtnislücke). Anschließend tastet man den Patienten ab und befragt ihn, z.B. „haben Sie hier Schmerzen?“ Auch kann der Patient aufgefordert werden, seine Extremitäten zu bewegen „Können sie ihre Finger, Arme und Beine bewegen und ist das Gefühl normal ?“. Bei der Untersuchung beginnt man mit den Organsystemen von deren Fehlfunktion am ehesten eine Lebensgefährdung ausgehen könnte. Zunächst untersucht man den Kopf, befragt den Patienten nach dem Unfallhergang und eventueller Gedächtnislücke (Filmriss). Nach der Beurteilung der Bewusstseinslage sucht man nach Druckschmerzen, offenen Wunden, Blut oder Gehirnflüssigkeit aus Mund, Nase und Ohren. Zur Untersuchung des Kopfes gehört auch die Untersuchung der Halswirbelsäule auf Verletzungen. Nun geht man weiter zum Brustkorb. Hier tastet man die Rippen und das Brustbein ab, fragt nach Druckschmerzen, Schmerzen bei der Atmung und nach Atemnot. Auch Atemnot vor der Ankunft des Rettungspersonals ist wichtig (innere Erkrankung). Auch ist es wichtig, nach offenen Verletzungen und Prellmarken zu suchen. Als nächstes beurteilt man den Bauch. Hier geht es ebenfalls um Druckschmerz, der wenn vorhanden auch lokalisiert werden muss. Aber ebenso interessieren Abwehrspannung, Prellmarken und auch hier wieder offene Verletzungen und sichtbare Blutungen. Bei der Untersuchung des Bauches muss man wissen, dass tiefe Rippenfrakturen auch den Bauch betreffen können und sehr gefährlich sind. Anschließend untersucht man das Becken als mögliche Quelle für schwere innere Blutungen. Man untersucht das Becken auf Schmerz, Kompressionsschmerz, Bewegungsempfindlichkeit und Instabilität. Auch Blut, das möglicherweise über Harnröhre, Darm oder Vagina ausgetreten ist, kann als ein Hinweis auf eine schwere Beckenverletzung dienen. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 35 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Nachdem die Systeme untersucht worden sind, von denen in nächster Zeit eine Lebensbedrohung zu erwarten ist, untersucht man noch den Bewegungsapparat. Die Wirbelsäule muss in ihrer gesamten Länge untersucht werden. Liegt der Patient auf der Seite, ist das nicht besonders schwierig, liegt er auf dem Rücken, so kann man auch in dieser Lage mit etwas Anstrengung die gesamte Wirbelsäule abtasten, ohne den bis jetzt in seiner Lage nicht veränderten Patienten besonders zu bewegen. Gibt der Patient Schmerzen im Rücken an, dann ist es wichtig zu wissen ob sie tatsächlich in der Mittellinie lokalisiert sind, oder ob es sich nicht eher um Rippenfrakturen handelt. Zu einer Untersuchung der Wirbelsäule gehört immer eine Untersuchung der Sensibilität und der Motorik. Daher ist es auch sinnvoll, die Wirbelsäule erst jetzt zu untersuchen und nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt. Nachdem die körperliche Untersuchung abgeschlossen ist und Puls und Blutdruck bestimmt sind, erfolgt eine Neubewertung der Gesamtsituation. Mit diesem Untersuchungsgang ist eine systematische Beurteilung des gesamten Patienten in ca. 1 1 ⁄ 2 Minuten möglich. Anschließend wird der Patient über das Untersuchungsergebnis und das weitere Vorgehen informiert. Das Schema ist in erster Linie auf die Untersuchung eines Verletzten ausgerichtet. Doch auch für die Beurteilung eines erkrankten Patienten kann das Schema hilfreich sein. Nachdem der Helfer ausführlich auf die Hauptbeschwerden eingegangen ist, kann er zumindest verbal den Körper in der angegebenen Reihenfolge abfragen und so Informationen über ausstrahlende Schmerzen oder weitere Beschwerden gewinnen. Jetzt kann sich nahtlos die Untersuchung der Extremitäten anschließen. Diese werden untersucht auf abnormale Lage und Beweglichkeit, Schwellung, Schmerzen, offene Wunden, hervorstehende Bruchenden, Sensibilität, Motorik und Durchblutung. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 36 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen 3.2 Störungen der vitalen Funktionen Vitale Funktionen Bewusstsein, Atmung und Kreislauf, haben einen unmittelbaren Einfluss auf das Überleben. Ist eine dieser drei Vitalfunktionen im menschlichen Körper gestört, können auch die anderen beiden geschädigt werden. Wichtig ist das schnelle Handeln, das sich hier oft an den Symptomen orientiert. Definition und Aufgabe des Bewusstseins Arbeiten die verschiedenen Bereiche des Nervensystems ungestört zusammen, so ist der Mensch bei Bewusstsein. Er kann sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken. Sein Denk-, Merk- und Reaktionsvermögen funktioniert ebenso wie die Fähigkeit, geordnete Bewegungsabläufe auszuführen. Er ist örtlich, zeitlich und der Situation entsprechend orientiert. Auch die Schutzreflexe sind, obwohl sie nicht bewusst gesteuert werden, vom ungestörten Bewusstsein abhängig. Überblick über das Erscheinungsbild bei Störungen des Bewusstseins ■ ■ Überblick über die Maßnahmen bei Störungen des Bewusstseins ■ Störung und Gefahren Die größte Gefahr geht von den ausgeschalteten Schutzreflexen und der völligen Muskelerschlaffung aus. Während bei ungestörtem Bewusstsein prinzipiell keine Gefahr besteht, dass die Atemwege verlegt werden, ist dies bei Bewusstlosigkeit möglich. Die Zunge kann die Atemwege wegen der Muskelerschlaffung im Rachenraum verlegen. Aber auch Erbrochenes oder Flüssigkeiten, z.B. Blut, können durch Anatmen (Aspiration) und dem jetzt fehlenden Hustenreflex zum Ersticken führen. ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Stellt man beim Ansprechen eines Patienten fest, dass dieser schläfrig und teilnahmslos aber noch erweckbar ist und auf Fragen antwortet, spricht man von einer Bewusstseinstrübung. Sollte der Patient auf Ansprache und auf leichtes Rütteln an den Schultern nicht reagieren bzw. keinerlei Reaktion auf Schmerzreize zeigen spricht man von einer Bewusstlosigkeit. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 keine / verminderte Reaktion auf Ansprechen / Anfassen fehlende Schutzreflexe ■ ABC-Sicherung Notarzt rufen Bewusstlose mit ausreichender Eigenatmung in stabile Seitenlage bringen ggf. Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Absaugbereitschaft herstellen Sauerstoffgabe Ganzkörpercheck Wärmeerhalt Blutzuckerkontrolle (wenn möglich) lückenlose Überwachung und Dokumentation 37 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Maßnahmen Der Betroffene wird angesprochen und angefasst. Bei einer Bewusstseintrübung muss man den Patienten regelmäßig ansprechen oder ein Gespräch mit ihm führen, um frühzeitig zu erkennen wenn er das Bewusstsein verliert. Bei Bewusstlosigkeit folgt eine Atem und Kreislaufkontrolle (siehe Herz-Lungen Wiederbelebung). Ist eine ausreichende Atmung und Kreislauftätigkeit vorhanden, wird der Patient in die stabile Seitenlage gebracht, damit Flüssigkeiten (Blut, Erbrochenes) abfließen können. Wegen der Gefahr des Erbrechens sollte, um schnell reagieren zu können, eine Absaugpumpe vorbereitet werden. Sofern die Möglichkeit zur Blutzuckermessung besteht, sollte sie durchgeführt werden. Definition und Aufgabe der Atmung Die Atmung reguliert die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlendioxid. Durch die Atembewegung gelangt die Umgebungsluft über die Atemwege in die Lunge und der Sauerstoff über diese in das Blut. Ist diese Funktion beeinträchtig, kann es zu lebensbedrohlichen Störungen kommen. Bei jeder Bewusstseinstrübung ist ein Notarzt zu rufen! 1. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. 3. 38 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Störung und Gefahren Ursachen für Atemstörungen können z. B. Asthma oder ein Lungenödem (durch Ertrinken, extreme Höhe, Gifte, herzbedingt, allergisch) sein. Auch andere Erkrankungen oder Verletzungen können eine Atemstörung auslösen. Bei Atemstörungen wird entweder zu wenig Sauerstoff aufgenommen oder zu wenige Abfallprodukte der Verbrennung (Kohlendioxid) abgegeben. Es ist auch beides gleichzeitig möglich (Ausnahme ist die Hyperventilation). Ist die Abatmung von Kohlendioxid in der Lunge beeinträchtigt, steigt der Kohlendioxidspiegel im Blut an. Wird zu wenig Sauerstoff aufgenommen, kommt es zu Stoffwechselstörungen in den Zellen mit vermehrter Abgabe saurer Substanzen in das Blut. Resultat ist eine Übersäuerung des Blutes (Acidose), die für den Gesamtorganismus schädlich ist. Die für Sauerstoffmangel empfindlichsten Zellen sind die des Gehirns. Diese werden bereits nach kurzer Zeit (wenige Minuten) geschädigt. In jedem Fall führt akuter Sauerstoffmangel zur baldigen Bewusstlosigkeit. Ist eine Spontanatmung vorhanden, aber diese nicht ausreichend, spricht man von einer ungenügenden Atmung. Ist keine „normale“ Atmung vorhanden, spricht man von einem Atemstillstand. Die Schwere der Atemnot abzuschätzen ist oft schwierig. Alarmsignale für den Bergretter sind Angaben des Patienten z.B. wie „ich bekomme sehr schlecht Luft“ bzw. bläulich verfärbte Lippen, Ohrläppchen oder Finger (Zyanose). Hier ist der Patient akut gefährdet. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf bei ungenügender Atmung (Atemnot) Der Betroffene hat eine flache, schnelle Atmung, es kann aber auch eine tiefe Atmung mit langen Atempausen vorliegen. Der gesamte Atemrhythmus ist möglicherweise unregelmäßig. Die Haut zeigt die typische Blaufärbung (Zyanose). Weitere typische Zeichen für eine ungenügende Atmung oder Atemnot sind das Hochziehen des Schultergürtels zur Betätigung der Atemhilfsmuskulatur, das Ringen nach Luft und häufig der Widerstand gegen flaches Liegen, da im Liegen die Atemnot zunimmt. Der Betroffene leidet unter motorischer Unruhe und Angstgefühlen. Er kann Schmerzen beim Atmen haben. Ebenso können Atemnebengeräusche wie Pfeifen, Schlürfen oder Röcheln auftreten. Unter Umständen wird der Betroffene helles, schaumiges Blut aushusten und man beobachtet zudem eine deutliche Verstärkung vorhandener Schockanzeichen. Überblick über das Erscheinungsbild bei Störungen der Atmung ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Ringen nach Luft nicht normale Atemgeräusche Blaufärbung der Schleimhäute, (z.B. Lippen, Fingernagelbett , Ohrläppchen) Unruhe, Angst 39 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Maßnahmen Der Bergretter muss beruhigend auf den Betroffenen eingehen. Die Sauerstoffversorgung kann durch atemunterstützende Hochlagerung des Oberkörpers und durch eine unterstützende Sauerstoffgabe verbessert werden. In den meisten Fällen ist das Aufrichten des Oberkörpers, Anlehnen an einen geeigneten Gegenstand und das Aufstützen der nach hinten gerichteten Arme, die beste Lösung. Ausschlaggebend für die Lagerung ist letztendlich aber der Wunsch des Patienten. Offene Verletzungen des Brustkorbes müssen steril, aber keinesfalls luftdicht abgedeckt werden. Einer schlechten Versorgung des Gewebes wird mit Sauerstoffgabe entgegengewirkt. (Der Zustand Atemstillstand wird unter der Herz-Lungen Wiederbelebung behandelt, die Verlegen der Atemwege mit einem Fremdkörper unter dem Thema Atemwegsverlegung.) Zu den allgemeinen Maßnahmen gehören, je nach Schwere der Atemnot bzw. Situation, das Hinzuziehen eines Notarztes, wärmeerhaltende Maßnahmen und die Dokumentation des Einsatzes. Definition und Aufgabe des Kreislaufes Der menschliche Körper besteht aus vielen Zellen, die zu jeder Zeit mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und von Stoffwechselprodukten entsorgt werden müssen. Diese Transportfunktion übernimmt das Blut. Der Blutkreislauf ist ein in sich geschlossenes System von Röhren, die sich in ihrem Wandaufbau und ihrem Durchmesser unterscheiden. Störung und Gefahren Störungen des Kreislaufsystems können an verschieden Funktionsstellen ansetzen. So kann zum Beispiel die Herzkraft vermindert, die Herzfrequenz zu hoch oder zu niedrig, der Herzrhythmus unregelmäßig, das Blutvolumen zu wenig, der Blutdruck zu hoch oder zu tief und die Gefäßwand bzw. die Gefäßdurchgängigkeit gestört sein. Tritt an einer Stelle eine Störung auf, so kann dies Auswirkungen auf das gesamte Herz-Kreislauf-System und den restlichen Organismus haben. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Störungen im Herz-Kreislauf-System können – außer durch Sinneswahrnehmungen durch den Bergretter – oft nur durch Gerätekontrollen (Blutdruck, Pulsoximeter, EKG) am Betroffenen erkannt werden. Allgemeine Anzeichen für eine Störung des HerzKreislauf-Systems können z.B. Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kaltschweißigkeit, „Schwarzwerden vor den Augen“, Blässe, Teilnahmslosigkeit, Bewusstlosigkeit und Atemnot sein. Überblick über das Erscheinungsbild bei Störungen des Kreislaufes ■ ■ ■ ■ ■ ■ Schwindel Blässe Übelkeit Teilnahmslosigkeit Kaltschweißigkeit Atemnot Überblick über die Maßnahmen bei Störungen der Atmung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere/Situation ggf. Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung Lagerung mit erhöhtem Oberkörper oder nach Wunsch des Patienten Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 40 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Maßnahmen Nach dem Ganzkörpercheck wird, wenn möglich, die Ursache für die Kreislaufstörung bekämpft (z.B. Stillen von Blutungen). Die Messung des Blutdrucks kann Hinweise zur Schwere der Störung geben. Die Lagerung ergibt sich aus dem Verletzungs- bzw. Erkrankungsmuster. Zu den allgemeinen Maßnahmen gehören, je nach Schwere der Kreislaufstörung bzw. je nach Situation, das Hinzuziehen eines Notarztes, wärmeerhaltende Maßnahmen und die Dokumentation des Einsatzes. Besondere und spezielle Maßnahmen werden bei den einzelnen Krankheitsbildern genauer erläutert. Überblick über die Maßnahmen bei Störungen des Kreislaufes ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation ggf. Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Sauerstoffgabe situationsgerecht Lagern Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 41 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Fallbeispiele Bewusstseinsstörung Fallbeispiele Atmung / Kreislauf Fallbeispiele Atmung / Kreislauf 1. Du wirst während eines Dienstabends in ein Nachbarhaus gerufen. Du findest eine ca. 50-jährige Patientin regungslos auf dem Fußboden ihrer Wohnung. Vorerkrankungen sind laut Ehemann nicht bekannt. 2. Du wirst in den nahe gelegenen Klettergarten zu einem Kletterunfall gerufen. Ein etwa 15-jähriger Junge ist von ca. 2 Metern Höhe abgestürzt und mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Laut Angabe der Freunde war der Betroffene kurzzeitig bewusstlos und ist jetzt wieder bedingt ansprechbar. 3. Eine Person verlässt die Seilbahn an der Bergstation und bricht kurz darauf bewusstlos zusammen. Bei Eurem Eintreffen haben Ersthelfer die Person in die stabile Seitenlage gebracht. 1. Ein Bergwanderer stürzt durch Unachtsamkeit über eine Wurzel und verletzt sich am Brustkorb. Der Betroffene hat eine schnelle, oberflächliche Atmung und äußert sich über atemabhängige Schmerzen im linken Brustkorb. Es entwickelt sich eine leichte Blaufärbung der Lippen und ein deutlich sichtbarer Bluterguss ist am linken Rippenbogen zu erkennen. 2. Du wirst zu einer nahe gelegenen Berghütte gerufen. Dort findest du einen ca. 65-jährigen Wanderer vor, der sich während des Essens an den Hals fasste und zu würgen begann. Kurz darauf bricht er bewusstlos zusammen. Es ist keine Atmung mehr feststellbar. 3. Ihr werdet zu einem gestürzten Snowboarder gerufen, der mit dem Hinterkopf auf einer Eisplatte aufgeschlagen ist. Ihr findet den Boarder bewusstlos vor. Aus der Nase und aus dem linken Ohr sickert langsam Blut. Der Betroffene hat ein röchelndes Atemgeräusch. 1. An einem kühlen Tag kommt eine ca. 17-jährige Bergwanderin mit ihrer Mutter zu dir in die Hütte und klagt über folgende Beschwerden: Leichte Übelkeit, Schwindel, Schlaffheit und Durchfälle. Welche Maßnahmen ergreifst du? 2. Ihr findet auf der Terrasse einer Hütte einen ca. 50-jährigen Mann vor, der über beidseitige Krämpfe in den Waden klagt. Er gibt an, seit fünf Stunden unterwegs zu sein und eine so große Tour schon seit Jahren nicht mehr gemacht zu haben. Wie kann man ihm helfen? 3. Ihr werdet zu einer Bergstation gerufen, wo sich eine bewusstlose Person befinden soll. Beim Eintreffen findet ihr eine ca. 40-jährige Frau am Boden liegend vor, die aber bereits wieder ansprechbar ist. Sie gibt an, die Gondel verlassen zu haben, anschließend wurde ihr schwarz vor Augen und sie kann sich an nichts erinnern. Welche Maßnahmen ergreift ihr? Übungsfragen 1. Welche Erkrankungen können zu einer Bewusstlosigkeit führen? 2. Welche Arten von Bewusstseinstörungen kennst du? 3. Warum wird ein Bewusstloser in die stabile Seitenlage gebracht, auch wenn er verletzt ist? 4. Welche Maßnahmen ergreifst du wenn ein Bewusstloser in Seitenlage erbricht? 5. Weshalb ist es wichtig auch bei einem Bewusstlosen, der in der Seitenlage liegt, die Vitalfunktionen regelmäßig zu überprüfen? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Übungsfragen Übungsfragen 1. Welche Verletzungen könnten bei einem Bergwanderer vorliegen, der ein Geröllfeld hinab gestürzt ist und starke Schmerzen beim Atmen hat? 2. An was ist zu denken, wenn ein Mensch, der beim Essen ist, plötzlich bläulich anläuft und bewusstlos zusammenbricht? 3. Bei welchen Verletzungen können Atemstörungen auftreten? 4. Wie werden die Prioritäten in der Versorgung einer Atemstörung, einer Schädel-Hirn-Verletzung, einer Bewusstlosigkeit und einer Unterkühlung gesetzt? Vergleiche z.B. Fall 3. 1. Welche Krankheitsbilder können in den oben genannten Beispielen (1 – 3) vorliegen? 2. Welche Gefahren bestehen für die Betroffenen und mit welchen Komplikationen muss gerechnet werden? 3. Wodurch können Krämpfe der Skelettmuskulatur allgemein auftreten und wodurch kann im Vorfeld solchen vorgebeugt werden? 4. Wie sollten von Kreislaufstörung Betroffene gelagert werden? 5. Von welchen Kriterien hängt die Lagerung ab? 42 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen 3.3 Atemwegsverlegung (Fremdkörper) Störung und Gefahren Die Verlegung der Atemwege stellt eine ernste, wenn auch behebbare Störung der Atmung dar. Wird hier nicht konsequent und rasch gehandelt droht der Tod durch Ersticken. Zur Verlegung der Atemwege kommt es häufig wenn Speisen anstatt in die Speiseröhre in die Luftröhre gelangen. Kinder „verschlucken“ manchmal auch Spielzeug oder andere Fremdkörper. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Wenn ein Fremdkörper in die Luftröhre „in den falschen Hals gelangt“, wird der Hustenreflex ausgelöst. Der Betroffene versucht selbst, den Fremdkörper auszuhusten. Gelingt dies nicht, löst der Fremdkörper vereinzelt einen Würgereiz aus. Zum Teil hört man pfeifende Atemgeräusche, die durch die verlegten Atemwege entstehen. Als Zeichen des Sauerstoffmangels können die Haut, Gesicht, Lippen sowie Finger (Nagelbett) bläulich verfärbt sein (Zyanose). Ist man sich nicht sicher was die Atemnot ausgelöst hat, kann das „plötzliche“ Auftreten Indiz für eine Verlegung durch einen Fremdkörper sein. Der Sauerstoffmangel kann im weiteren Verlauf zur Bewusstlosigkeit bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand führen. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ Maßnahmen bei Erwachsenen und Kindern über einem Jahr Kann der Betroffene noch atmen und sprechen fordert man ihn zum Husten auf. Ist die Verlegung der Atemwege so schwerwiegend, dass er weder sprechen noch adäquat atmen kann, versucht man zuerst zwischen die Schulterblätter zu schlagen. Hierzu soll sich der Betroffene nach vorne beugen, anschließend schlägt man bis zu 5-mal mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter. Gleichzeitig muss der Notarzt alarmiert werden. Führt auch diese Maßnahme zu keinem Erfolg wendet man den „Heimlich-Handgriff“ an. Man stellt sich hinter den nach vorne gebeugten Betroffenen, umfasst ihn mit beiden Armen und ballt mit einer Hand eine Faust. Die Faust legt man auf den Oberbauch unterhalb des Brustbeines, mit der anderen Hand umfasst man die Faust und zieht sie bis zu 5-mal ruckartig nach hinten und oben. Führen beide Maßnahmen zu keinem Erfolg wird mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW) begonnen. Überblick über die Maßnahmen bei schwerer Atemwegsverlegung durch Fremdkörper ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Notarzt rufen Patienten nach vornüberbeugen bis zu 5 Schläge zwischen die Schulterblätter bis zu 5 Heimlichmanöver (Faust ruckartig in den Oberbauch pressen) falls kein Erfolg, Beginn HLW lückenlose Überwachung und Dokumentation Ist der Betroffene bewusstlos, wird gehandelt wie bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung. Patienten, bei denen das Heimlichmanöver ausgeführt wurde, müssen einem Arzt vorgestellt werden (Gefahr von inneren Verletzungen). starker Hustenreiz Würgereiz, bzw. Schluckbeschwerden pfeifende Atemgeräusche Blaufärbung der Haut (Zyanose) Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 43 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Maßnahmen bei Säuglingen unter einem Jahr Zuerst wird der Säugling in Bauchlage in den Schoß gelegt. Wichtig ist dass der Kopf tief liegt und von einer Hand fixiert wird. Nun wird bis zu 5-mal mit dem Handballen der Körpergröße angepasst in die Mitte des Rückens geschlagen. Gleichzeitig muss der Notarzt alarmiert werden. Führt diese Maßnahme zu keinem Erfolg, wird der Säugling in rückwärtige Kopf-tief-Lage gebracht. Nun erfolgen bis zu 5 Brustkorbkompressionen, ähnlich der Herzdruckmassage beim Säugling, nur stärker und mit langsamerer Frequenz. Fallbeispiel Du wirst zu einer nahe gelegenen Berghütte gerufen. Dort findest du einen ca. 65-jährigen Wanderer vor, der sich während des Essens an den Hals fasste und zu würgen begann. Kurz darauf bricht er bewusstlos zusammen. Es ist keine Atmung mehr feststellbar. Übungsfrage An was ist zu denken, wenn ein Mensch, der beim Essen ist, plötzlich blau anläuft und zusammenbricht? Führen beide Maßnahmen zu keinem Erfolg, bzw. ist der Patient bewusstlos, wird mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung begonnen. Überblick über die Maßnahmen bei schwerer Atemwegsverlegung durch Fremdkörper (Säuglinge unter 1 Jahr) ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Notarzt rufen Patienten in Bauchlage bringen bis zu 5 Schläge in die Mitte des Rückens Patienten in Rückenlage bringen bis zu 5 Brustkorbkompressionen (ähnlich Herzdruckmassage) falls kein Erfolg, Beginn HLW lückenlose Überwachung und Dokumentation Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 44 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen 3.4 Schock Störung und Gefahren Ein Missverhältnis zwischen benötigter und zirkulierender Blutmenge führt zur Zentralisation des Kreislaufes. Der Blutfluss in den Kapillaren ist gestört oder unterbrochen. Der daraus folgende Sauerstoffmangel schädigt die Körperzellen und lässt sie absterben. Bei schweren Verletzungen, Vergiftungen oder Erkrankungen droht der lebensgefährliche Schock, der unversorgt zum Tod führen kann. Es gibt verschiedene Arten des Schocks die nach der auslösenden Ursache benannt sind. Je nach Schockart sind auch verschiedene Maßnahmen angezeigt. Bei der Behandlung des Schocks wird vorrangig die auslösende Ursache bekämpft sowie der Sauerstoffbedarf ausgeglichen (Patient soll sich nicht anstrengen). Überblick über das Erscheinungsbild beim Volumenmangelschock ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf beim Volumenmangelschock Ein Volumenmangelschock entsteht durch die Verminderung der kreisenden Blutmenge in Folge einer Blutung nach außen oder innen, Verbrennungen, Durchfall oder Erbrechen und Flüssigkeitsverlust durch starkes Schwitzen. Anzeichen sind fahle Blässe, kalte, feuchte Haut mit Schweiß, frieren und zittern, schneller Puls, niedriger Blutdruck, Zyanose und im fortgeschrittenen Stadium Teilnahmslosigkeit bis hin zur Bewusstlosigkeit. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ starker Blutverlust Verbrennungen Flüssigkeitsverlust (starkes Schwitzen, Durchfall oder Erbrechen) Blässe kalte, feuchte Haut (Schweiß) frieren und zittern schneller Puls niedriger Blutdruck evtl. Blaufärbung der Haut und der Schleimhäute (Zyanose) Bewusstseinsstörungen Maßnahmen beim Volumenmangelschock Zuerst gilt es, die Ursachen zu beseitigen, z.B. Blutungen stillen. Dann wird der Betroffene unter Berücksichtigung des Verletzungsmusters flach gelagert und die Beine angehoben (Schocklage). Der Betroffene ist der Witterung entsprechend zuzudecken. Weiterhin kann Sauerstoff zur Inhalation gegeben werden. Der Betroffene muss beruhigt und ständig betreut werden. Ebenso müssen die Vitalfunktionen ständig überwacht werden. Ein Notarzt sollte umgehend hinzugezogen werden und ein zügiger Transport in eine geeignete Klinik vorbereitet werden. 45 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf beim kardiogenen Schock Aufgrund schwerer Störungen der Herztätigkeit kommt es zu einer Minderung des Herzminutenvolumens und dadurch zu einem kardiogenen Schock. Die betroffene Person hat meist starke Schmerzen, die häufig in den linken Arm, den Oberbauch oder in den Rücken ausstrahlen. Bedingt durch die Atemnot versuchen die Betroffenen den Oberkörper aufzurichten. Der Puls kann unregelmäßig werden. Der Blutdruck fällt häufig. In seltenen Fällen kann es zu gestauten Halsvenen aufgrund der verminderten Herzleistung kommen. Die Betroffenen sind meist unruhig und kaltschweißig. Überblick über das Erscheinungsbild beim kardiogenen Schock Brustschmerzen, Brustenge Atemnot unregelmäßiger Puls sinkender Blutdruck • Unruhe, Kaltschweißigkeit • evtl. gestaute Halsvenen • evtl. Blaufärbung der Haut und der Schleimhäute (Zyanose) Überblick über die Maßnahmen beim kardiogenen Schock ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Bewegung, Anstrengung und Aufregung vermeiden Lagerung mit erhöhtem Oberkörper Sauerstoffgabe ggf. beengende Kleidung öffnen Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation Maßnahmen beim kardiogenen Schock Der Betroffene muss beruhigt und betreut werden. Jede Bewegung, Anstrengung und Aufregung muss vermieden werden. Der Patient sollte flach mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Ein Notarzt ist unverzüglich nachzufordern. Ggf. Sauerstoff geben und beengende Kleidung öffnen. Die Vitalfunktionen müssen ständig überwacht werden und an den Wärmeerhalt muss gedacht werden. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 46 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf beim allergischen (anaphylaktischen) Schock Der allergische (anaphylaktische) Schock ist die Folge einer Überempfindlichkeitsreaktion des Körpers auf Medikamente, Infusionen, Insektengifte usw., bei der es zu einer Weitstellung der Kapillargefäße kommt. Plasma tritt aus dem Gefäßsystem aus und es entsteht dadurch ein Volumenmangel. Zusätzlich zu den allgemeinen Schockanzeichen treten Hautveränderungen wie Juckreiz, Hautrötung, Bläschen- / Quaddelbildung und Lidödeme auf. Übelkeit, Brechreiz und zunehmende Atemnot sind weitere Anzeichen. Die betroffene Person kann in kürzester Zeit Bewusstseinsstörungen zeigen. Überblick über das Erscheinungsbild beim allergischen (anaphylaktischen) Schock ■ ■ ■ ■ ■ allgemeine Schockanzeichen (wie Volumenmangelschock) Atemnot Hautveränderungen (Juckreiz, Rötung, Bläschen, Ödeme) Übelkeit, Erbrechen u.U. rasche Bewusstseinseintrübung Maßnahmen beim allergischen (anaphylaktischen) Schock Nach Möglichkeit sollten auslösende Ursachen (Infusionen, Medikamente usw.) sofort abgestellt oder beseitigt werden. Überprüfung der Vitalfunktionen, ggf. Wiederherstellung. Ein Notarzt muss so früh wie möglich hinzugezogen werden. Bei Atemnot und erhaltenem Bewusstsein Flachlagerung mit erhöhtem Oberkörper. Bei Bewusstlosigkeit wird der Betroffene in die stabile Seitenlage gebracht. Bei erhaltenem Bewusstsein und ohne Atemnot soll der Betroffene flach liegen. Wärmeerhalt und Sauerstoffgabe sind weitere Maßnahmen, ebenso die Betreuung und Überwachung der betroffenen Person. Ggf. muss Hilfe beim Erbrechen geleistet werden. Überblick über die Maßnahmen beim allergischen (anaphylaktischen) Schock ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen ggf. auslösende Ursache beseitigen Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation Sauerstoffgabe Lagerung je nach Zustand Schocklage oder flach mit Kopf tief Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 47 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf beim Kreislaufkollaps (vasovagale Synkope) Der Kreislaufkollaps (vasovagale Synkope) wird durch eine Weitstellung der peripher gelegenen Gefäße hervorgerufen. Dadurch entsteht ein kurzzeitiger relativer Volumenmangel. Ausgelöst wird die Weitstellung der Gefäße durch eine Reaktion des vegetativen Nervensystems. Als Ursache kommen verschiedene Schädigungen des Nervensystems, Vergiftungen aber auch psychische Einflüsse (Schreck, Freude, etc.) in Frage. Blässe und kurzzeitige Bewusstlosigkeit sind die Folgen. Der Betroffene bricht zusammen, kommt aber wieder schnell zu sich und ist dann häufig desorientiert. Überblick über das Erscheinungsbild beim Kreislaufkollaps ■ ■ ■ ■ ■ niedriger Blutdruck Blässe Bewusstseinstörung (Ohnmacht) nach kurzer Zeit Besserung des Zustandes häufig desorientiert Maßnahmen beim Kreislaufkollaps Nach der Überprüfung der Vitalfunktionen muss der Betroffene flach gelagert werden mit Beinen hoch, bei Bewusstlosigkeit in stabiler Seitenlage. Anschließend muss der Betroffene auf Verletzungen untersucht werden. Ist der Betroffene ansprechbar sollten die Beine erhöht gelagert werden (Schocklage). Wegen der Verwechslungsgefahr mit dem akuten Koronarsyndrom sollte bei dem geringsten Verdacht dieses schwerere Erkrankungsbild angenommen werden. Führen die allgemeinen Maßnahmen zu keiner Besserung, muss ein Notarzt hinzugezogen werden. Der Betroffene sollte auch nach dem Aufklaren noch einige Zeit liegen bleiben und es sollte auf Wärmeerhalt geachtet werden. Auch wenn nicht jeder Kreislaufkollaps das Hinzurufen eines Notarztes erfordert, sollte er dennoch ärztlich abgeklärt werden. Überblick über die Maßnahmen beim Kreislaufkollaps ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Betroffenen längere Zeit flach liegen lassen Wärmeerhalt situationsgerechte Lagerung lückenlose Überwachung und Dokumentation 48 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Fallbeispiele 1. Ihr werdet über die Rettungsleitstelle alarmiert. Ihr findet einen ca. 65-jährigen Bauern vor, der sich mit der Motorsäge in den Unterschenkel geschnitten hat. Er ist blass und nach der Erstuntersuchung habt ihr einen Puls von 120 Schlägen pro Minute und einen Blutdruck von 100 zu 60 mmHg festgestellt. Wie handelt ihr? 2. In einem Bergrestaurant sitzt ein Gast, der plötzlich zusammenbricht und über starke Schmerzen in der Brust klagt. Er ist blass und kaltschweißig und bekommt schlecht Luft. 3. Ihr werdet zu einem Patienten mit Insektenstich auf einem Wanderweg gerufen. Ihr findet eine 25-jährige Frau vor, die erbricht und eine deutliche Rötung am Arm aufweist. Übungsfragen 1. Bei welchen Erkrankungen darf keine Schocklage durchgeführt werden? 2. Erklärt den Begriff Schock! 3. Was sind Auslöser für einen allergischen (anapyhlaktischen) Schock? 4. Weshalb kann bei einem kardiogenen Schock der Puls langsam und bei einem Volumenmangelschock sehr hoch sein? 5. Was für Ursachen gibt es für einen Volumenmangelschock? 4. Bei einem Berggottesdienst bricht ein Anwärter eurer Bereitschaft bewusstlos zusammen. Wie versorgt ihr den betroffenen Kameraden? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 49 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen 3.5 Herz-Lungen-Wiederbelebung bei Erwachsenen Störung und Gefahren Die häufigste Ursache für einen Herz-Kreislauf-Stillstand ist das Akute Koronarsyndrom (Herzinfarkt, Angina Pectoris) mit Kammerflimmern. Auch ein Stromschlag, ein massiver Blutverlust, eine Lungenembolie oder eine Vergiftung können diesen auslösen. Eine erfolgreiche Herz-Lungen-Wiederbelebung ist nur durch konsequente Zusammenarbeit aller Beteiligten und durch vorausschauende Planung möglich. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Ohne äußere Hilfe findet das Herz nicht mehr in den normalen Rhythmus zurück. Mit jeder Minute, die verstreicht, reduziert sich die Überlebenschance des Betroffenen. Sie beträgt nach acht bis zehn Minuten ohne wirksame Hilfe lediglich zwei Prozent. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ Bewusstlosigkeit Atemstillstand, Kreislaufstillstand Maßnahmen An erster Stelle steht der Eigenschutz. Sollte der Patient sich in einem Gefahrenbereich befinden muss zuerst bedacht werden, ob der Patient aus diesem gerettet werden kann und Herz-LungenWiederbelebungs-Maßnahmen ggf. an einem sicheren Ort eingeleitet werden können. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Auffinden einer Person: Findet man einen leblosen Patienten auf, so schüttelt man ihn zuerst leicht an den Schultern und fragt dabei: „Ist alles in Ordnung?“ Ist der Patient bewusstlos, erfolgt ein Notruf, falls noch nicht geschehen. Notrufzeitpunkt: Bei Erkennen einer lebensbedrohlichen Störung, Bewusstlosigkeit, Atem- und Kreislaufstillstand müssen so schnell wie möglich weitere Rettungskräfte (AED, Notarzt) nachgefordert werden. 50 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Freimachen des Atemwegs und Kontrolle von Atmung / Kreislauf: Zum Freimachen der Atemwege wird der Kopf leicht nach hinten (nackenwärts) gebeugt. Dadurch hebt sich der Zungengrund. Zum Freimachen der Atemwege ist auch der „Esmarch-Handgriff“ geeignet. Beim Esmarch-Handgriff wird der Unterkiefer des liegenden Patienten angehoben und nach vorn gezogen. Dadurch hebt sich der Zungengrund und der Rachenraum wird geöffnet. Falls sich ein Fremdkörper (Gebiss, Essensreste etc.) im Mundraum befindet, muss dieser entfernt werden. Dabei kann eine Magillzange oder ein Absauggerät hilfreich sein. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Atem- und Kreislaufkontrolle: Die Atem- und Kreislaufkontrolle darf maximal 10 Sek. dauern. Bei der Atemkontrolle liegt das Hauptaugenmerk auf der Fragestellung „Atmet der Patient normal?“ (Hören, Sehen, Fühlen). Bei der Kreislaufkontrolle achtet der Helfer auf Eigenbewegung des Patienten. Im Zweifelsfall ist unverzüglich mit der Herz-LungenWiederbelebung zu beginnen! Technik der Herzdruckmassage: Bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung wird das Herz zwischen Brustbein und Wirbelsäule zusammengedrückt. Durch diese Kompression und die im Wechsel stattfindende Beatmung werden der Blutkreislauf und damit die Sauerstoffversorgung des Körpers, insbesondere des Gehirns, aufrechterhalten. Eine wirksame Herzkompression kann nur auf einer harten Unterlage (z.B. Boden) erfolgen. Der Brustkorb muss zumindest soweit wie nötig freigemacht werden (Unterkühlung beachten), damit der Druckbereich auf dem Brustkorb sicher aufgesucht werden kann und ein Abweichen davon während der Maßnahme vermieden wird. Bei der Herzdruckmassage kniet man seitlich neben dem Patienten. Der Druckbereich befindet sich in der Brustkorbmitte, was der unteren Brustbeinhälfte entspricht. Die Handballen werden übereinander gelegt und die Finger verschränkt. 51 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Die Kompression erfolgt senkrecht auf das Brustbein mit einer Frequenz von 100 Kompressionen pro Minute. und einer Drucktiefe von 4 - 5 cm. Die Arme des Helfers sind durchgestreckt, der Oberkörper ist senkrecht über dem Brustkorb. Auf eine komplette Entlastung nach der Herzdruckmassage ist zu achten. Druck und Entlastungsphase sollten gleichlang sein. Da die Herzdruckmassage eine anstrengende Maßnahme darstellt, sind die Helfer möglichst regelmäßig, alle 2 Minuten oder 5 Zyklen, auszutauschen. Beatmung ohne Hilfsmittel: Eine Hand wird auf die Stirn des Patienten gelegt und damit der Kopf nach hinten gezogen, wobei der Daumen und Zeigefinger frei bleiben müssen, um damit die Nase zu verschließen. Mit den Fingerspitzen der anderen Hand wird das Kinn angehoben, um die Atemwege freizumachen. Nach einer normalen Einatmung wird der Patient Mund-zu-Mund beatmet bis sich der Brustkorb hebt. Die Beatmungsdauer sollte 1 sek. betragen. Es werden verschiedene Beatmungshilfen z.B. in Form eines Schlüsselanhängers angeboten, die zum Infektionsschutz beitragen können. Die Mund-zu-Nase-Beatmung stellt eine effektive Alternative dar. Beatmung mit Hilfsmittel: Zu den Hilfsmitteln gehören Taschenmasken und Beatmungsbeutel. Diese Hilfsmittel erleichtern es dem Helfer, den Patienten zu beatmen und bieten einen erhöhten Infektionsschutz gegenüber der Mund-zu-Mund-Beatmung. Um die Beatmungsmaske aufzusetzen befindet sich der Helfer oberhalb des Kopfes. Mund und Nase werden mit der Maske bedeckt und mit Daumen und Zeigefinger im sogenannten „C-Griff“ auf das Gesicht gepresst! Mit den anderen drei Fingern wird der Unterkiefer leicht hochgezogen. Das Vorgehen mit der Taschenmaske ist identisch. Verwendung von Sauerstoff: Die Beatmung sollte bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung mit dem Beatmungsbeutel (inkl. Reservoir) unter Zugabe von Sauerstoff (wenn möglich 15 l / min entspricht 98% in der Einatemluft) durchgeführt werden. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 52 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Schwierige Beatmungs-Situationen: Ist es nicht möglich die Beatmungsmaske mittels „C-Griff“ dicht zu bekommen können zwei Helfer alternativ den doppelten „C-Griff“ zum Beatmen verwenden. Die Handposition ist wie beim Esmarch Handgriff, nur dass die Beatmungsmaske zusätzlich auf den Mund gedrückt wird. Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ABC-Sicherung Notarzt rufen Freimachen der Atemwege Atemkontrolle/Kreislaufkontrolle Herz-Lungen-Wiederbelebung 53 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Ablauf (Algorithmus) Herz-Lungen-Wiederbelebung Erwachsene Bewusstlos, Lebenszeichen? Notarzt rufen Freimachen der Atemwege Atem- und Kreislaufkontrolle (max. 10 Sek.) Herzdruck-Massage (30 mal) Beatmung (2 mal) 1 Helfer Herzdruck-Massage (30 mal) Beatmung (2 mal) 2 Helfer DE FI Herzdruckmassage und Beatmung abwechseln bis der Patient Lebenszeichen zeigt. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 54 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen 3.5 Herz-Lungen-Wiederbelebung Frühdefibrillation Rechtliche Grundlagen Bei der Defibrillation handelt es sich um eine ärztliche Maßnahme. Wird die Defibrillation mit einem AED (automatisierter externer Defibrillator) durchgeführt überwiegt der Nutzen der Rechtsgutverletzung. An den Bergwachtmann wird der Anspruch gestellt (Garantenstellung) einen AED sicher anwenden zu können, wenn dieser zu seiner vorgehaltenen Ausrüstung gehört. Deshalb ist hier eine spezielle Ausbildung und regelmäßige Überprüfung der Handhabung vorgeschrieben. Rechtfertigung invasiver Maßnahmen Notarztruf Einwilligung des Patienten nach Aufklärung oder mutmaßliche Einwilligung Notwendigkeit Unaufschiebbarkeit / angemessenes Mittel „Können“ des Durchführenden Dokumentation ■ ■ ■ ■ ■ ■ Ablauf (Algorithmus) Frühdefibrillation Der Einsatz eines AED ergänzt nur die Herz-Lungen-Wiederbelebungsbemühungen und kann sie nicht ersetzen. Das wichtigste für den Patienten sind adäquat durchgeführte Basismaßnahmen. Beim Eintreffen am Patienten wird unmittelbar mit der Basis Herz-Lungen-Wiederbelegung begonnen und der AED eingeschaltet. Nach Angabe des AED Gerätes erfolgt das weitere Vorgehen. Während der Herzdruckmassage werden die Elektroden vom Bergretter, welcher sich am Kopf befindet, am Oberkörper aufgeklebt. Bei ausgeprägter Brustbehaarung muss diese rasiert werden, damit die Elektroden ausreichend Hautkontakt bekommen. Wurde der Kollaps beobachtet oder wird bereits bei der Ankunft des Rettungsteams reanimiert, erfolgt die erste Analyse frühestmöglich. Ansonsten werden zuerst 2 Minuten (5 Zyklen) Basis-HerzLungen-Wiederbelebung vor der ersten Analyse durchgeführt. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 55 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen DE FI Bei der Analyse und einer eventuellen Schockabgabe ist darauf zu achten, dass niemand den Patienten bewegt oder berührt. Der Patient und die Helfer dürfen sich nicht in Nässe (z.B. Pfütze) befinden. Vor der Schockabgabe warnt der Bergwachtmann am Kopf „Alle weg vom Patienten, Vorsicht Schock“. Die Schockabgabe erfolgt dann kontrolliert. Unmittelbar nach der Schockabgabe wird wieder die Wiederbelebung mit der Herzdruckmassage aufgenommen. Vor der nächsten Analyse wird 2 Minuten reanimiert (5 Zyklen). Der Einsatz ist entsprechend zu dokumentieren. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 56 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Ablauf (Algorithmus) Frühdefibrillation Bewusstlos, Lebenszeichen? Notarzt rufen Freimachen der Atemwege Atem- und Kreislaufkontrolle Herz-Lungen-Wiederbelebung und Vorbereiten der Defibrillation DE Defibrillation FI Herzdruckmassage und Beatmung abwechseln bis der Patient Lebenszeichen zeigt. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 57 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen 3.5 Herz-Lungen-Wiederbelebung bei Kindern und Säuglingen Der Ablauf (Algorithmus) der Herz-Lungen-Wiederbelebung bei Erwachsenen und Kindern ist unterschiedlich. Der Ablauf der Kinder-Herz-Lungen-Wiederbelebung findet Anwendung bei Kindern bis zur Pubertät. Ist das Kind / der Säugling bewusstlos, erfolgt die Überprüfung der Atmung. Wird hier keine normale Atmung festgestellt, werden unmittelbar 5 Beatmungen durchgeführt. Anschließend erfolgt wieder eine Atem- und Kreislaufkontrolle. Notarztalarmierung: Die Alarmierung des Notarztes erfolgt bei Kindern und Säuglingen erst nach Beginn der Herz-Lungen-Wiederbelebung, wenn dies nicht parallel z.B. durch Anwesende geschehen kann. Freimachen des Atemwegs und Kontrolle der Atmung / Kreislauf bei Kindern und Säuglingen: Die Atem- und Kreislaufkontrolle (Suche nach Lebenszeichen) dauert wie beim Erwachsenen maximal 10 Sek. Bei der Atemkontrolle liegt das Hauptaugenmerk auf der Fragestellung „Atmet der Patient normal?“ (hören, sehen, fühlen). Bei Kindern wird eine Hand an die Stirn des Kindes gelegt. Die Finger der anderen Hand werden an das Kinn gelegt. Anschließend wird nur das Kinn angehoben. Bei Säuglingen wird der Kopf durch Anfassen an Stirn und Kinn in waagrechte (Neutral-) Position gebracht. Die Kinnspitze wird mit zwei Fingern leicht angehoben („Schnüffelstellung“). Unterstützend können Säuglinge auch mit dem Oberkörper auf eine ca. 3 cm hohe Unterlage gelegt werden, um den Kopf in Neutralposition zu bringen. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Beatmung von Kindern und Säuglingen Die Beatmung erfolgt bis sich der Brustkorb hebt. Die Beatmungsdauer sollte 1 Sek. betragen. Sollten Säuglinge mit einem Beatmungsbeutel beatmet werden, ist darauf zu achten, dass die Finger zum Niederhalten der Beatmungsmaske im Kieferwinkel platziert werden. Bei einer Handhaltung wie beim Erwachsenen kann der Zungengrund die Atemwege verschließen. 58 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Technik der Herzdruckmassage bei Kindern: Bei Kindern / Säuglingen erfolgt die Herzdruckmassage in der Mitte des Brustkorbes mit einer Frequenz von 100 / min. Die Drucktiefe beträgt ca. 1 / 3 des Brustkorbdurchmessers. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 59 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Ablauf (Algorithmus) der Herz-LungenWiederbelebung Kinder / Säuglinge Bewusstlos, Lebenszeichen? Freimachen der Atemwege Atemkontrolle Notarzt rufen Beatmung (5-mal) Atem- und Kreislaufkontrolle Führt nur ein Helfer die Wiederbelebung durch, so erfolgt dies im Wechsel 30:2, bei zwei Helfern wird im Rhythmus 15:2 reanimiert. Herzdruckmassage und Beatmung abwechseln und fortsetzen bis der Patient Lebenszeichen zeigt. Herzdruckmassage (30-mal) Beatmung (2-mal) 1 Helfer Herzdruckmassage (15-mal) Beatmung (2-mal) 2 Helfer Die Alarmierung des Notarztes erfolgt erst nach Beginn der Basis Herz-Lungen-Wiederbelebung, wenn dies nicht parallel z.B. durch Anwesende geschehen kann. Herzdruckmassage und Beatmung abwechseln bis der Patient Lebenszeichen zeigt. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 60 3. Störung der lebenswichtigen Funktionen Fallbeispiele Herz-Lungen-Wiederbelebung Übungsfragen Herz-Lungen-Wiederbelebung 1. Ihr werdet mit dem BW-Fahrzeug zu einem Gasthof gerufen, in dem ein älterer Herr zusammen gebrochen ist. Der örtliche Notarzt und Rettungswagen benötigen noch ca. 15 Minuten, da sie an einem anderen Einsatz tätig sind. Bei eurem Eintreffen stellt ihr fest, dass bereits Ersthelfer mit der HLW begonnen haben. 1. Beschreibe die einzelnen Schritte der ErwachsenenHerz-Lungen-Wiederbelebung in der richtigen Reihenfolge. 2. Bei Wartungsarbeiten an einer Seilbahn bekommt ein Mitarbeiter einen Stromschlag. Er liegt bewusstlos am Boden und zeigt keine Lebenszeichen. 3. Welche Maßnahmen ergreifst du, wenn du die Beatmungsmaske nicht dicht bekommst? 3. Ihr werdet in einer Berghütte zu einem bewusstlosen Säugling gerufen. Die Mutter ist sehr aufgeregt. Der Säugling liegt auf einem Tisch. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Beschreibe die einzelnen Schritte der Kinder-HerzLungen-Wiederbelebung in der richtigen Reihenfolge. 4. Wie ist die Aufgabenverteilung bei einer Herz-LungenWiederbelebung, wenn vier Bergretter anwesend sind? 5. Welche Fehler können bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung im Bergrettungsdienst gemacht werden? 61 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 4. Internistische Notfälle Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 63 4. Internistische Notfälle 4.1 Akute Atembeschwerden Störung und Gefahren Zu Atembeschwerden können unter anderem verschiedene Erkrankungen der Lunge oder des Herzens führen. Ob sich diese Störung im Bereich der Lungenbläschen (Alveolen) oder den Bronchien befindet, hat für die rettungsdienstliche Versorgung keine Relevanz. Entscheidend ist, dass es sich um eine Störung der Vitalfunktionen handelt, die große Aufmerksamkeit verlangt, da Atemnot für den Patienten immer seelisch und körperlich sehr belastend ist. Eine Sonderform bildet die Asthmaerkrankung. Asthmatiker haben Probleme, die eingeatmete Luft wieder auszuatmen. Asthmatiker haben meist ein Medikament in Form eines Sprays bei sich, das ihnen das Atmen etwas erleichtert. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ ■ Unruhe, Todesangst Blaufärbung von Lippen, Schleimhäuten, Fingernagelbett (Zyanose) schlechte Sauerstoffsättigung auffälliger Atemrhythmus besonders tiefe oder flache Atmung Patient versucht atemerleichternd zu sitzen Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Die schlechte Versorgung mit Sauerstoff kann beim Patienten zu Unruhe bis hin zur Todesangst führen, was wiederum zu erhöhtem Sauerstoffbedarf führt. Sauerstoffmangel im Gewebe zeigt sich durch Blaufärbung der Lippen und Schleimhäute oder des Fingernagelbettes (Zyanose). Die Atmung selbst kann in ihrer Tiefe oder Rhythmus verändert sein. Steht zur Messung der Sauerstoffsättigung ein Pulsoxymeter zur Verfügung, weist dies häufig Werte unter 90 % auf. Patienten mit Atemnot findet man häufig in atemerleichternder sitzender Haltung vor. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen (je nach Erkrankungsschwere / Situation) Lagerung mit erhöhtem Oberkörper oder nach Wunsch des Patienten Sauerstoffgabe Absaugbereitschaft- und Beatmungsbereitschaft herstellen Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation Maßnahmen Durch den Bergretter muss beruhigend auf den Patienten eingegangen werden. Jegliche zusätzliche Aufregung und Anstrengung sollte verhindert werden. Die Sauerstoffversorgung kann durch atemunterstützende Hochlagerung des Oberkörpers und durch Sauerstoffgabe verbessert werden. Eine intensive Überwachung des Patienten (Puls, Blutdruck, Pulsoxymeter) kann frühzeitig Veränderungen aufzeigen. Der Notarzt sollte in schweren Fällen hinzugezogen werden. 64 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Eine 40 jährige Bergsteigerin klagt in einer Hütte über starke Atemnot. Sie sagt bei deinem Eintreffen, dass sie Asthmatikerin ist aber ihr Asthmaspray nicht die gewünschte Wirkung zeigt. Die Lippen sind bei einem Eintreffen bläulich verfärbt. 1. Du kommst auf einer privaten Bergtour zu einem Patienten mit akuter Atemnot. Welche Maßnahmen kannst du mit deinen begrenzten Mitteln ergreifen? Welche Maßnahmen sind bei einem Patienten mit akuter Atemnot notwendig? 2. Du wirst zu einem 35 jährigen Bergwanderer gerufen mit dem Meldebild „Atemnot nach Bienenstich“. Am Einsatzort findest du einen jungen Mann mit hochrotem Kopf und sichtlicher Atemnot. Bei weiterer Befragung bestätigt sich, dass die Beschwerden nach einem Bienenstich eingesetzt haben. 2. Wie kann man eine allgemeine Atemstörung erkennen? 3. Ihr werdet im Frühling zu einer Almwiese gerufen, auf der eine junge Frau sitzt, die über Atembeschwerden, tränenden Augen und Niesattacken klagt. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 3. Welche Möglichkeiten gibt es, um einen Allergiker, der bei massivem Pollenflug unterwegs ist, am Berg zu versorgen? 4. Warum kommt es häufig zu Atembeschwerden, wenn Touristen an der Bergstation ankommen? 65 4. Internistische Notfälle 4.2 Akute Herz-Kreislauf-Erkrankungen Definition und Aufgabe Der menschliche Körper besteht aus vielen Zellen, die zu jeder Zeit mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und von Stoffwechselprodukten entsorgt werden müssen. Die Transportfunktion übernimmt das Blut. Der Blutkreislauf ist ein in sich geschlossenes System von Röhren, die sich in ihrem Wandaufbau und ihrem Durchmesser unterscheiden. Antrieb des Kreislaufes ist das Herz. Störung und Gefahren Störungen des Kreislaufsystems können an verschieden Funktionsstellen ansetzen. So kann zum Beispiel die Herzkraft vermindert, die Herzfrequenz zu hoch oder zu tief, der Herzrhythmus unregelmäßig, das Blutvolumen häufig zu wenig, der Blutdruck zu hoch oder zu niedrig sein. Auch kann eine Verengung der Gefäßwände vorliegen oder die Gefäßdurchgängigkeit vermindert sein. Tritt an einer Stelle dieses Systems eine Störung auf, so kann das gesamte Herz-Kreislauf-System in Kürze betroffen sein. Ebenso wird innerhalb kurzer Zeit auch das Atemsystem mit betroffen sein. Der Herzmuskel setzt sich aus verschiedenen hoch spezialisierten Zellen zusammen. Diese werden über die Herzkranzgefäße mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Sobald eine Verminderung oder Unterbrechung dieser Versorgung entsteht, werden die Herzmuskelzellen nach kurzer Zeit geschädigt. Dieses kann durch eine Verengung oder durch einen Verschluss der Herzkranzgefäße hervorgerufen werden. Durch Erkrankungen des Herzens, mit einem damit verbundenen Nachlassen der Herzkraft, kann es zu Wasseransammlungen in der Lunge (Lungenödem) kommen. Die Beeinträchtigung der Blutgefäße wird durch verschiedene Risikofaktoren, wie Rauchen, Bluthochdruck, ungesunde Ernährung und Zuckerkrankheit (Diabetes) verstärkt. Aufgrund plötzlicher Störungen kann es zu lebensbedrohlichen Zuständen oder sogar zum Herz-Kreislauf-Stillstand kommen. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Schwindel Blässe „Schwarz werden vor den Augen“ Übelkeit Bewusstseinstrübung bis hin zur Bewusstlosigkeit Kreislaufregulationsstörungen niedriger Blutdruck/Synkope Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Störungen im Herz-Kreislauf-System können durch eigene Sinneswahrnehmungen durch den Bergretter, gesichert nur durch Messwerte (Blutdruck, Pulsoximetrie), am Betroffenen erkannt werden. Allgemeine Anzeichen für eine Störung des Herz-Kreislauf-Systems können z. B. Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbrüche, Blässe und Bewusstseinstrübung bis zur Bewusstlosigkeit sein. Maßnahmen Der Bergretter muss die Vitalfunktionen des Betroffnen überprüfen und symptombezogene Versorgungen durchführen. Allgemeine Maßnahmen sind das Beruhigen des Betroffenen sowie die flache Lagerung bzw. Schocklage, Pulskontrolle, Blutdruckmessung, ggf. Temperaturkontrolle und Wärmeerhaltung. (temperaturbedingte Störungen, siehe thermische Notfälle) ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation flache Lagerung, bzw. Schocklage Sauerstoffgabe Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 66 4. Internistische Notfälle Akutes Koronarsyndrom früher Herzinfarkt / Angina Pectoris Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Oftmals klagen Betroffene über starke Schmerzen und / oder Engegefühl im Brustkorb ggf. mit Ausstrahlung in den linken Arm, Oberbauch, Hals, Rücken etc. sowie Atemnot und daraus entstehende Todesangst mit Unruhe. Im fortgeschrittenen Stadium können die Patienten kaltschweißig sein und Schockanzeichen mit niedrigem Blutdruck auftreten. Prinzipiell ist jederzeit mit lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen (unregelmäßigem Puls) und im ungünstigsten Fall mit Kammerflimmern / Herz-Kreislauf-Stillstand zu rechnen. In seltenen Fällen (z.B. Zuckerkrankheit) kann ein Ereignis am Herzen auch ohne Schmerzen auftreten. Maßnahmen beim Akuten Koronarsyndrom Durch den Bergretter muss beruhigend auf den Betroffenen eingegangen werden. Jegliche zusätzliche Aufregung und Anstrengung muss vermieden werden. Der Patient ist mit erhöhtem Oberkörper zu lagern (Wunsch des Patienten). Die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels soll durch eine unterstützende Sauerstoffgabe (situationsbedingte Dosierung) verbessert werden. Eine intensive Überwachung des Patienten (Puls, Blutdruck, Pulsoxymeter) kann frühzeitig Veränderungen aufzeigen. Ein Defibrillator sollte bereitgehalten werden. Der Notarzt muss sofort nachalarmiert werden. Überblick über die Maßnahmen ■ Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ Engegefühl in der Brust Todesangst, Unruhe, Kaltschweißigkeit Schmerzen im Brustkorb (ausstrahlend in den Oberbauch, linken Arm, Hals, etc.) eventuelle Atemnot (ggf. Brodeln, Rasseln, Abhusten von Schaum) Herzrhythmusstörungen, ggf. bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen jegliche Anstrengung vermeiden Patienten mit erhöhtem Oberkörper lagern (ggf. beengende Kleidung öffnen) Sauerstoffgabe Schockbekämpfung und Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 67 4. Internistische Notfälle Akuter Bluthochdruck hypertensiver Notfall Störung und Gefahren Eine Bluthochdruckkrise ist ein plötzlicher Anstieg des Blutdruckes auf Werte über 220 mmHg, welcher zu bedrohlichen Folgezuständen an Herz und Gehirn führen kann. Das Herz muss eine erhebliche Mehrarbeit leisten und kann versagen. Es kann sich im weiteren Verlauf ein kardiales Lungenödem ausbilden. Der massive Druckanstieg im Gehirn kann zu schwerwiegenden Störungen der Bewusstseinslage, zu Krämpfen und Gehirnblutungen (siehe Schlaganfall) führen. In Einzelfällen kann es zu starkem Nasenbluten kommen. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Kopfschmerzen Sehstörungen Schwindelgefühl Verwirrtheit Bewusstseinstrübungen Herzklopfen Nasenbluten Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Es können anfangs Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindelanfälle, Verwirrtheit bis hin zu Bewusstseinsstörungen auftreten. Erscheinungsbilder können einem Schlaganfall gleichen. Die betroffene Person kann auch Herzklopfen angeben. Länger anhaltendes Nasenbluten kann auch Folge eines geplatzten Blutgefäßes in der Nase sein. Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Maßnahmen bei akutem Bluthochdruck Die betroffene Person muss, sofern sie ansprechbar ist, mit erhöhtem Oberkörper gelagert und beruhigt werden. Bei Bewusstlosigkeit und vorhandener Atmung wird die stabile Seitenlage hergestellt. Der betroffenen Person sollte Sauerstoff gegeben werden. Ein Notarzt sollte hinzugezogen werden und der akute Zustand mit Medikamenten versorgt werden. Das Nasenbluten wird durch nach vorn gebeugten Kopf und Kühlung des Nasen- und Nackenbereiches versorgt. Es kann auch eine Komprimierung der Nasenflügel zu einer Blutstillung führen. ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen Lagerung abhängig der Bewusstseinslage wenn möglich Oberkörper hoch Sauerstoffgabe Kühlen von Nasen- und Nackenbereich, bzw. Komprimierung der Nasenflügel bei Nasenbluten Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 68 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele Kreislaufregulationsstörung Fallbeispiele Akutes Koronarsyndrom Übungsfragen 1. An einem kühlen Tag kommt eine ca. 17-jährige Bergwanderin mit ihrer Mutter in die Hütte und klagt über folgende Beschwerden: Übelkeit, Schwindel, Schlaffheit und Durchfall. Welche Maßnahmen ergreifst du? 1. Ein etwa 55-jähriger Bergsteiger klagt in einer Hütte über plötzliche Schmerzen im Oberbauch und über einen zunehmenden Druck im Brustkorb. Beim Verlassen der belebten Gaststube versagen ihm die Beine – er wird durch Begleiter gestützt und flach auf den Boden gelegt. Du findest beim Eintreffen einen unruhigen, über Atemnot und starke Schmerzen klagenden Betroffenen vor. 1. Welche ersten Maßnahmen ergreifst du beim Eintreffen am Notfallort bei einem Patienten, der sehr unruhig ist und über starke Schmerzen im Brustkorb klagt? 2. Ein etwa 70-jähriger Wanderer kommt zur Bergwachtstation und fragt dich nach einer Schmerztablette, da er seit mehreren Stunden einen drückenden Schmerz im Brustkorb verspürt, der in den linken Arm ausstrahlt. Er möchte seine Wanderung in jedem Fall fortsetzen und verspricht, sich am Abend ausreichend Ruhe zu gönnen. 3. Welche atemunterstützenden Maßnahmen ergreifst du? Wieviel Liter Sauerstoff erhält der Betroffene von dir? 2. Ihr findet auf der Terrasse einer Hütte einen ca. 50-jährigen Mann vor, der über Schwindel und Übelkeit klagt. Er gibt an, seit fünf Stunden unterwegs zu sein und eine so große Tour schon seit Jahren nicht mehr gemacht zu haben. Wie kann man ihm helfen? 3. Ihr werdet zu einer Bergstation gerufen, wo sich eine bewusstlose Person befinden soll. Beim Eintreffen findet ihr eine ca. 40-jährige Frau am Boden liegend vor, die aber bereits wieder ansprechbar ist. Sie gibt an, die Gondel verlassen zu haben, anschließend wurde ihr schwarz vor Augen und sie kann sich an nichts erinnern. Welche Maßnahmen ergreift ihr? Übungsfragen 1. Welche Krankheitsbilder können im oben genannten Beispiel vorliegen? 2. Welche Gefahren bestehen für die Betroffenen und mit welchen Komplikationen muss gerechnet werden? 3. Wodurch können Krämpfe der Skelettmuskulatur allgemein auftreten und wodurch kann im Vorfeld gegen solche vorgebeugt werden? 4. Wie sollten Betroffene mit einer Kreislaufstörung gelagert werden? 5. Von welchen Kriterien hängt die Lagerung ab? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Wie lautet deine Meldung an die Leitstelle bei einem 55-jährigen Skifahrer mit starken Schmerzen über Herz und Lunge? Welche weiteren Einsatzkräfte und -mittel forderst du nach? 4. Welche Gefahren drohen beim akuten Koronarsyndrom? 5. Welche Anzeichen kennst du, die auf ein akutes Koronarsyndrom hinweisen können? 3. Ihr werdet wegen winterlicher Verhältnissen zu einem Bergbauernhof gerufen, da der reguläre Rettungsdienst wegen Schneeverwehungen nicht mehr dorthin gelangen kann. Ihr findet eine ältere Dame, die im Hausflur zusammengebrochen war. Sie ist jetzt nur bedingt ansprechbar und röchelt stark beim Atmen. Eine Blaufärbung der Lippen (Zyanose) ist klar erkennbar. Umstehende Angehörige berichten darüber, dass die Frau plötzlich zusammengesackt sei und über starke Schmerzen im Brustkorb geklagt hat. Die Angehörigen geben an, dass die Betroffene seit längerem Wasser in den Beinen hat, wofür sie auch von ihrem Hausarzt Medikamente bekommen hat. 69 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele akuter Bluthochdruck Übungsfragen 1. Ihr werdet zur Mittelstation einer Seilbahn gerufen und findet dort eine korpulente 40-jährige Frau vor. Sie klagt über Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen. Sie gibt an, ihr Herz würde so pochen. Sie hat einen hochroten Kopf. Sie erzählt, seit einiger Zeit erhöhte Blutdruckwerte zu haben. 1. In welchem Bereich liegt der normale Blutdruck eines gesunden Erwachsenen? 2. Ihr werdet zu einer Berghütte gerufen, wo sich eine Gruppe junger Menschen befindet, die eine Party feiern. Bei eurem Eintreffen findet ihr einen ca. 50-jährigen Gast, der über Schwindel, starke Kopfschmerzen und Atemnot klagt. 3. Welche Erkennungszeichen gibt es bei einer Bluthochdruckkrise? 3. Ihr werdet zu einer brennenden Berghütte gerufen. Ihr müsst Euch um die Hüttenwirtin kümmern, die auf den ersten Blick keine ersichtlichen Verletzungen hat. Die ca. 60-jährige Frau ist sehr aufgeregt und hat einen hochroten Kopf. Nach einigen Minuten gibt sie Schwindelgefühl an. Wie versorgt ihr die betroffene Frau? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Weshalb kann eine Bluthochdruckkrise lebensbedrohlich werden? 4. Welche Maßnahmen können bei einer Bluthochdruckkrise durchgeführt werden? 5. Worauf ist bei der Lagerung einer Person mit einer Bluthochdruckkrise zu achten? 70 4. Internistische Notfälle 4.3 Akute Baucherkrankungen Überblick über die Maßnahmen ■ Störung und Gefahren Unter dem Begriff der akuten Baucherkrankungen versteht man alle plötzlich auftretenden Notfälle, die als Ursache eine Erkrankung des Bauchraumes bzw. der Bauchorgane haben. Der Sammelbegriff „Akuter Bauch“ wird angewendet, weil in den meisten Fällen eine genaue Diagnose außerhalb der Klinik, also im Rahmen der Erstversorgung, kaum möglich ist. Man orientiert sich daher an dem gemeinsamen Leitsymptom, dem plötzlich auftretenden, starken Schmerz im Bauchraum, der von seinem Ursprung her meist nicht genau lokalisiert werden kann. Bei akuten Erkrankungen im Bauchbereich ist der Betroffene stets einer großen Blutungs- und Infektionsgefahr ausgesetzt, die auch später auftreten kann. Unter Umständen versagen einzelne Organe, dies kann zu lebensbedrohlichen Zuständen führen. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Typisch für Koliken der Niere oder Galle sind wellenförmige, krampfartige Schmerzen, die auch in den Rücken ausstrahlen können. Achtung! Aufgrund dieser Symptomatik muss man auch ein akutes Koronarsyndrom in Betracht ziehen! Teilweise sind Nierenkoliken auch mit dem Ausscheiden von blutigem Urin verbunden. Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes äußern sich häufig durch Erbrechen und / oder Durchfälle, die oft mit großem Flüssigkeitsverlust einhergehen. Auslöser hierfür können verdorbene Lebensmittel, Gifte oder eine Infektion sein. Bestehen die Beschwerden schon über einen längeren Zeitraum, kann eine Abwehrspannung der Bauchdeckenmuskulatur mit einer Verhärtung der Bauchdecke entstehen. Um Entspannung und Schmerzlinderung zu erreichen, nehmen Betroffene oft eine Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ Schonhaltung ein (angezogene Beine oder Embryonallage). Bei schwerem Verlauf zeigen die Patienten Schockanzeichen, die sich rasch verstärken können. ■ ■ ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ Übelkeit, Erbrechen, Durchfall Kolikartige Schmerzen Abwehrspannung der Bauchdecke Schonhaltung des Betroffenen Schocksymptome ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere / Situation situationsgerechte Lagerung Sauerstoffgabe befragen nach Krankheitsverlauf und Vorerkrankungen (z.B. Herz / Kreislauf) Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation zügiger Transport in geeignete Klinik Maßnahmen Nach dem Ganzkörpercheck wird der Betroffene nach dem Erkrankungsverlauf und über eventuelle Vorerkrankungen befragt. Sofern es der Zustand des Betroffenen zulässt, sollte er flach mit einer Knierolle gelagert werden. Alternativ kann auch die Embryonallage (seitlich liegend mit angezogenen Beinen) angewendet werden. Bewusstseinsklare Patienten mit starken Durchfällen dürfen Getränke zur Verminderung des Flüssigkeitsverlustes zu sich nehmen. Bei allen anderen Baucherkrankungen darf der Betroffene weder essen noch trinken! Die weiteren Maßnahmen orientieren sich am Patientenzustand. Hierzu zählen Wärmeerhalt, Schockbekämpfung und psychische Betreuung. Bei starken Schmerzen oder instabilen Kreislaufverhältnissen muss unverzüglich ein Notarzt hinzugezogen werden! In Absprache mit der Leitstelle und dem Notarzt erfolgt ein zügiger Abtransport in eine geeignete Klinik! 71 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Eine ca. 50-jährige Frau sitzt in der Bergstation und hat stärkste Schmerzen im Oberbauch. Sie hat bereits mehrfach erbrochen. Vorerkrankungen sind bei ihr nicht bekannt. 1. Welche akuten Erkrankungen im Bauchraum kennst du? 2. Ein ca. 60-jähriger Mann befindet sich in einem Berggasthof auf der Toilette. Plötzlich stellt er fest, dass der Stuhl blutig verfärbt ist. Er hatte vor längerer Zeit schon einmal Darmblutungen. Er ist blass und kaltschweißig. 3. Eine Schulklasse befindet sich auf einer Hütte im Skilager. Ihr werdet in der Nacht alarmiert, da bei mehreren Schülern heftige Durchfälle mit starken Bauchschmerzen auftreten. Die Schüler haben auf der Anreise zum Schilager an einer Raststätte Kartoffelsalat gegessen. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Welche Erkrankungen kennst du, die gleiche Beschwerden wie akute Baucherkrankungen aufweisen? 3. Wann sollte man einen Patienten mit einer akuten Baucherkrankung nicht essen und trinken lassen? 4. Welche Lagerungsmöglichkeiten gibt es bei Baucherkrankungen? 5. Was sind allgemeine Erkennungszeichen bei Baucherkrankungen? 72 4. Internistische Notfälle 4.4 Schlaganfall Störung und Gefahren Die häufigste Erkrankung des Gehirns ist der Schlaganfall (Apoplex). Dabei kommt es aufgrund einer Minderdurchblutung durch eine Gefäßverengung oder eines Gefäßverschlusses zur Schädigung von Hirngewebe. Auch das Zerreißen eines Gefäßes im Gehirn mit nachfolgender Blutung kann eine Minderdurchblutung auslösen. Man spricht häufig vom unblutigen oder blutigen Schlaganfall, die Unterscheidung kann mit Sicherheit aber erst in der Klinik erfolgen. Ebenso gibt es leichtere Formen von Schlaganfällen, die sich spontan innerhalb von Stunden oder Tagen zurückbilden. Je schneller eine optimale Versorgung des Patienten vor Ort gelingt und er anschließend zeitnah einer Therapie in einer geeigneten Klinik zugeführt wird, desto besser sind die Prognosen für eine erfolgreiche Behandlung. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ bewusstseinsgetrübt / bewusstlos Lähmungen im Gesichtsbereich und / oder der Extremitäten Kraftlosigkeit in einer Körperhälfte Sprachschwierigkeiten / Sehstörungen ggf. unkontrollierter Stuhl / Urinabgang Maßnahmen Durch den Bergretter muss beruhigend auf den Betroffenen eingegangen werden. Die Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns sollte mittels Sauerstoffgabe (situationsabhängig) und leichter Oberkörperhochlage (blutdruckabhängig) verbessert werden. Der Notarzt muss möglichst früh hinzugezogen werden. Bewusstseinsgetrübte und bewusstlose Patienten müssen in die stabile Seitenlage gebracht werden. Blutdruckmessung wenn möglich, an der nicht betroffenen Seite durchführen. Der Transport muss zügig in ein geeignetes Krankenhaus erfolgen. Überblick über die Maßnahmen ■ ■ Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Vor Ort kann sich dem Bergretter ein sehr unterschiedliches Erscheinungsbild darstellen. Die Symptome erstrecken sich vom hängenden Mundwinkel über den motorischen und sensiblen Ausfall der ganzen Körperhälfte, Sprach- und / oder Sehstörungen, Bewusstseinsstörung bis zur Bewusstlosigkeit. Die Symptome können sich bessern oder verschlechtern. Die Schädigung der betroffenen Hirnregion und deren Folgen bleiben oft lange bestehen, und können aber teilweise durch mühsames Training verbessert werden. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen Sauerstoffgabe Lagerung abhängig der Bewusstseinslage, wenn möglich Oberkörper hoch betroffene Extremitäten abpolstern (Druckstellen) Blutzuckertest Wärmeerhalt zügiger Transport in eine geeignete Klinik lückenlose Überwachung und Dokumentation 73 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ein etwa 55-jähriger Almbauer sitzt am Tisch und macht einen verwirrten Eindruck auf dich. Bei genauerem Hinschauen meinst du, dass eine Gesichtshälfte etwas hängt. 1. Welche Symptome können Hinweise auf einen Schlaganfall geben? 2. Im Übernachtungslager einer Alpenvereinshütte triffst du am Morgen auf eine 65-jährige Frau. Sie macht auf dich einen aufgewühlten Eindruck. Sie kann nicht sprechen. 3. Ein Langläufer bricht in der Loipe zusammen und ist kurz bewusstlos. Noch vor eurem Eintreffen kommt der Betroffene wieder zu sich und hat Gefühlsstörungen im rechten Arm und Bein. 2. Welche Maßnahmen ergreifst du bei einem Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall? 3. Wie dringlich ist der Abtransport in eine Klinik und wo befindet sich die nächste geeignete Klinik für die Behandlung eines Schlaganfalles? 4. Mit welchen Gefahren bzw. welchen Spätfolgen muss bei einem Schlaganfall gerechnet werden? 5. Welche Erkennungszeichen deuten auf einen Schlaganfall hin? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 74 4. Internistische Notfälle 4.5 Unterzuckerung Störung und Gefahren Jeder Mensch benötigt Energie in Form von Zucker (Glukose), um seine Körperfunktionen aufrecht zu erhalten. Insulin beeinflusst die Verfügbarkeit von Glukose in der Zelle, bei Diabetikern ist die Produktion oder die Wirksamkeit des Hormons Insulin jedoch gestört. Diabetiker müssen regelmäßig Medikamente in Form von Tabletten einnehmen, um die Insulinproduktion zu stimulieren, oder spritzen das Insulin (z.B. mit einem „Pen“) direkt unter die Haut. Diese Medikamente sind auf jeden Patienten, seine Gewohnheiten und Nahrungsaufnahme, individuell abgestimmt. Gefährlich für den Betroffenen wird es, wenn der Blutzuckerspiegel aufgrund ungewöhnlicher körperlicher Belastung z.B. bei einer Bergtour, Alkoholgenuss oder Insulingabe ohne nachfolgende Mahlzeit rasch absinkt. Man spricht dann von der Unterzuckerung (Hypoglykämie). Dieser Zustand kann für den Patienten lebensgefährlich werden, da er ohne fremde Hilfe nicht aus diesem akuten Zustand befreit werden kann. Auch das Nervengewebe im Gehirn reagiert sehr empfindlich auf Zuckermangel, was zu Spätschäden führen kann. Es gibt auch das Krankheitsbild der Überzuckerung (Hyperglykämie), dieses hat aber für die Bergrettung weniger Relevanz, da vor Ort keine Therapie durchgeführt werden kann und Schäden erst bei lang anhaltendem hohem Blutzuckerspiegel zu erwarten sind. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Der normale Blutzuckerspiegel beträgt 70 – 110 Milligramm pro Deziliter (mg / dl). Zu geringe Blutzuckerkonzentrationen führen zu rascher Bewusstlosigkeit. Patienten mit Unterzuckerung sind oft schweißgebadet, blass, schwach, unruhig, bisweilen auch aggressiv und haben ein starkes Hungergefühl. Die Pulsfrequenz kann stark ansteigen. Die Bewusstlosigkeit tritt oft sehr schnell ein. Maßnahmen Solange der Patient noch ansprechbar ist und schlucken kann, sollten ihm stark gezuckerte Getränke oder / und Traubenzucker verabreicht werden. Bei bewusstlosen Patienten muss schnellstmöglich ein Notarzt hinzugezogen werden. Die vitalen Funktionen müssen überwacht und bis zum Eintreffen des Notarztes gesichert werden. Zur Diagnosesicherung sollte ein Blutzuckertest durchgeführt werden. Achtung bei hohen bzw. tiefen Temperaturen können Blutzuckermessgeräte falsche Messergebnisse liefern! Überblick über die Maßnahmen ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ starkes Schwitzen, Blässe Hungergefühl Unruhe, Aggressivität Desorientierung Schwächegefühl, Zittern am ganzen Körper Krampfanfall schneller Puls Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen Blutzuckertest Zucker über den Mund (oral) zuführen (wenn ansprechbar) Lagerung abhängig der Bewusstseinslage Schockbekämpfung und Wärmeerhalt Patient und Angehörige über Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme befragen lückenlose Überwachung und Dokumentation 75 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Im Lager einer Hütte liegt ein 40-jähriger Mann, er ist schweißgebadet und bewusstlos. 1. Welche Ursachen können einen Unterzucker auslösen? 2. Ein 60-jähriger Wanderer sitzt in einer Hütte und wirkt verwirrt. Bei Befragung gibt er eine bekannte Zuckerkrankheit (Diabetes) an. 3. Bei einem Schulwandertag klagt eine 16-jährige Schülerin über Schwächegefühl, Schweißausbrüche und über ein starkes Durstgefühl. Sie ist am ganzen Körper zittrig und gibt an, heute Morgen nichts gegessen zu haben. 2. Du wirst zu einem bewusstlosen Patienten gerufen. Welche Symptome können auf einen Unterzucker hinweisen? 3. Eine Schulfreundin im Fall drei möchte ihrer Freundin ein Stück Traubenzucker geben, darf sie das? 4. Sie hat ihr den Zucker gegeben und nach kurzer Zeit hat sich die Schülerin wieder erholt. Darf die Schulklasse mit ihr weiter gehen? 5. Welche Maßnahmen kann man ergreifen, um nicht in einen Unterzucker zu geraten? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 76 4. Internistische Notfälle 4.6 Krampfanfall Störung und Gefahren Krampfanfälle können durch unterschiedliche Erkrankungen oder in Folge von akuten oder zurückliegenden Verletzungen ausgelöst werden. Die häufigste Ursache eines Krampfanfalles ist die angeborene Epilepsie. Andere Auslöser können z. B. Schlaganfall, Unterzuckerung, verschiedene Medikamente, Alkoholentzug, Drogen oder starkes Fieber im Kindesalter sein (sog. Fieberkrampf). Verletzungen mit Beteiligung des Gehirns können ebenfalls einen Krampfanfall verursachen. Während des Krampfes selbst besteht die Gefahr für den Patienten sich zusätzliche Verletzungen zuzuziehen. In den meisten Fällen sind Personen nach einem Krampfanfall bewusstseinsgetrübt / bewusstlos. Es besteht die Gefahr des akuten Sauerstoffmangels. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Der Krampfanfall geht häufig mit Bewusstlosigkeit einher und kann sich auf einzelne Gliedmaßen oder über den ganzen Körper erstrecken. Der Krampf selbst beginnt meist mit dem Strecken der Gliedmaßen bzw. des ganzen Körpers, gefolgt von Zuckungen. Eine nicht selten auftretende Begleitverletzung ist der Zungenbiss. Häufig kommt es zur Bildung von schaumigem Speichel sowie Urin- und manchmal Stuhlabgang. Die Dauer ist meist auf einige Minuten begrenzt, kann aber in Einzelfällen erheblich länger sein. Nach Krampfanfällen kommt es oftmals zum so genannten Erschöpfungsschlaf. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ Krampfanfälle können auch die Ursache für Verletzungen sein. Ein epileptischer Anfall kann z.B. beim Radfahren zu einem Sturz führen und fatale Folgen haben. ■ ■ ■ Zuckungen am ganzen Körper oder einzelner Körperteile Bewusstlosigkeit Zusatzverletzungen (z.B. Zungenbiss) Erschöpfung, Verwirrtheit nach dem Krampfanfall Patient kann sich an Vorfall nicht erinnern Maßnahmen Beim plötzlich auftretenden Krampfanfall ist die Hauptaufgabe des Helfers, den Patienten vor zusätzlichen Verletzungen zu schützen. Der Patient sollte keinesfalls zwanghaft festgehalten werden, da auch dies zu Verletzungen führen kann. Vielmehr sollten umherstehende harte Gegenstände entfernt bzw. abgepolstert werden. Die Lagerung erfolgt nach Bewusstseinslage oder Patientenwunsch. Da der Patient nach dem Krampfanfall oftmals müde und verwirrt ist, muss der Bergretter beruhigend auf den Betroffenen eingehen. Achtung: Es kann jederzeit zu einem erneuten Krampfanfall kommen. Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 während des Krampfanfalls Patienten schützen (z.B. vor Verletzung durch Sturz) ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen Blutzuckertest Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Sauerstoffgabe nach dem Krampfanfall Lagerung abhängig der Bewusstseinslage Patient bzw. Angehörige über Vorerkrankungen befragen Wärmeerhalt vor Reizen schützen lückenlose Überwachung und Dokumentation 77 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Du wirst in eine nahegelegene Skihütte gerufen. Am Boden liegt ein etwa 40-jähriger Mann. Umstehende Passanten haben beobachtet, wie er plötzlich vom Stuhl gefallen ist und am ganzen Körper gezuckt hat. 1. Welche Ursachen können einen Krampfanfall auslösen? 2. Du wirst im Winter auf eine Hütte gerufen, wo junge Leute eine Apres-Skiparty feiern. Eine ca. 16-jährige Schülerin hat größere Mengen „Alcopops“ getrunken und hat kurze Zeit später die Augen verdreht und zu krampfen begonnen. Bei eurem Eintreffen ist die Patientin bewusstlos. 3. Welche Folgeschäden können nach Krampfanfällen auftreten? 3. Du wirst zu einem Familienstreit auf einer Hütte gerufen. Die 14-jährige Tochter hat sich so in den Streit hinein gesteigert, dass sie kurzatmig wurde und kurz darauf krampfte. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Neben dir fällt jemand hin und zuckt am ganzen Körper. Welche Maßnahmen ergreifst du? 4. Wie lange können Krampfanfälle dauern? 5. Warum bluten krampfende Personen häufig aus dem Mund? 78 4. Internistische Notfälle 4.7 Gefäßverschluss Störung und Gefahren des Arterienverschlusses Die Arterien kommen vom Herzen. In ihnen wird das Blut in die Gewebe geführt. Sie verzweigen sich im Körper in immer dünner werdende Äste und bilden schließlich die Haargefäße (Kapillaren). Ein akuter Arterienverschluss entsteht, ähnlich wie ein Herzinfarkt, durch Ablagerungen (z.B. Verkalkung in den Gefäßen). Auch können Blutgerinnsel, die sich an Gefäßwänden oder im Herz gebildet haben und plötzlich vom Blutstrom mitgerissen werden, in den sich verengenden Arterien stecken bleiben und diese verstopfen. Dadurch kommt es zu einer Minderdurchblutung des dahinter gelegenen Gewebes. Mangelnde Sauerstoffversorgung von Gliedmaßen oder der inneren Organe ist die Folge. Die Gefahr des Arterienverschlusses besteht im Absterben von Gewebe durch unterbrochene Blutversorgung (Sauerstoffmangel). Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf des Arterienverschlusses Bei einem Arterienverschluss entstehen durch den akuten Sauerstoffmangel meist sehr starke Schmerzen im betroffenen Arm oder Bein. Aufgrund der unterbrochenen Durchblutung ist die betroffene Körperregion blass und kalt. Es ist kein Puls mehr tastbar und das Empfinden ist gestört. Es droht das Absterben der betroffenen Gewebebereiche. Maßnahmen beim Arterienverschluss Der Bergretter muss beruhigend auf den Betroffenen eingehen. Keinesfalls darf äußere Wärme zugeführt werden. Den Erkrankten so lagern, dass der betroffene Arm bzw. das betroffene Bein gut abgepolstert tief gelagert werden kann. Es dürfen keine Druckstellen entstehen. Den Notarzt mit hinzuziehen. Überblick über das Erscheinungsbild beim Arterienverschluss ■ ■ ■ ■ ■ ■ Überblick über die Maßnahmen beim Arterienverschluss ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 meist starke Schmerzen an den betroffenen Gliedmaßen kein Puls tastbar blasse Haut an den betroffenen Gliedmaßen kalte Haut, Angabe von Kältegefühl, ggf. erfragen Angabe von Empfindungsstörungen spontanes Herabhängen von einem Arm oder Bein ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen betroffene Gliedmaße abgepolstert tief lagern Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 79 4. Internistische Notfälle Störung und Gefahren des Venenverschlusses Der akute Venenverschluss entsteht durch Thromben (Blutgerinnsel), welche in den Venen eine Blutstauung hervorrufen. Häufig bilden sich Blutgerinnsel bei Patienten, die längere Zeit in ihrer Bewegung eingeschränkt waren (z.B. Bettlägerigkeit, Gips). Wenn sich diese Blutgerinnsel (Thromben) lösen besteht Lebensgefahr durch eine Lungenembolie. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf des Venenverschlusses Durch den Verschluss einer Vene ist die betroffene Extremität rotbläulich verfärbt (Zyanose), geschwollen und sehr schmerzhaft. Es entsteht ein Hitze- und Spannungsgefühl. Bei Hochlagerung der betroffenen Extremität gibt der Betroffene Schmerzlinderung an. Ein Seitenvergleich erleichtert die Diagnose. Überblick über das Erscheinungsbild beim Venenverschluß ■ ■ ■ ■ ■ „Zerreiß-Schmerzen“ in der betroffenen Extremität Hitze- und Spannungsgefühl rot-bläuliche Verfärbung der betroffenen Extremität Schwellung der betroffenen Extremität spontanes Hochhalten Maßnahmen beim Venenverschluss Der Bergretter muss beruhigend auf den Betroffenen eingehen. Das betroffene Körperteil muss hoch gelagert und gut gepolstert werden. Dadurch wird der venöse Blutrückfluss zum Herzen erleichtert. Die Betroffenen dürfen keinesfalls umher laufen oder sich anstrengen, passiver Abtransport. Überblick über die Maßnahmen beim Venenverschluß ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen betroffene Gliedmaßen hoch lagern und abpolstern körperliche Ruhe Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 80 4. Internistische Notfälle Fallbeispiele Arterienverschluss Fallbeispiele Venenverschluss 1. Ein ca. 50-jähriger Mann kommt zur Einsatzwache und klagt über sehr starke und plötzlich aufgetretene Schmerzen im Arm. Der Arm fühlte sich plötzlich auch sehr kalt an. 1. Eine ca. 40-jährige Frau hat ein geschwollenes Bein und klagt über sehr starke Schmerzen. Im Bein hat sie ein Hitze- und Spannungsgefühl. 2. Abends auf der Einsatzwache klagt ein ca. 60-jähriger Mann über plötzlich und stichartig aufgetretenen sehr starken Schmerz in seinem rechten Bein. Wenn er sein Bein hochlegt, werden die Schmerzen stärker. Er gibt Empfindungsstörungen in seinem Bein an. 2. Nach einer längeren Busfahrt klagt ein älterer Mann über Schmerzen im rechten Bein. Die betroffene Extremität ist rotbläulich verfärbt, geschwollen und schmerzt sehr stark. Übungsfragen Übungsfragen 1. Wie lagerst du einen Patienten mit Arterienverschluss? 1. Wie lagerst du einen Patienten mit Venenverschluss? 2. Wie versorgst du die betroffene Extremität? 2. Wie versorgst du die betroffene Extremität? 3. Wie kann es zur Entstehung eines Arterienverschlusses kommen? 3. Wie kann es zur Entstehung eines Venenverschlusses kommen? 3. Ein ca. 45-jähriger Bergwanderer sitzt am Wegesrand und klagt über starke Schmerzen in seiner rechten Wade. Dieses Bein ist bläulich verfärbt und sehr heiß. Der Wanderer möchte unbedingt noch zur nächsten Hütte laufen. 4. Was ist an einem Venenverschluss so gefährlich? 5. Welche Erkennungszeichen deuten auf einen Venenverschluss hin? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 81 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 5. Chirurgische Notfälle Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 /2007 83 5. Chirurgische Notfälle 5.1 Knochen-, Gelenksund Bänderverletzungen Störung und Gefahren Das menschliche Skelett setzt sich aus ca. 250 Knochen zusammen, die durch Gelenke und Sehnen verbunden, zu einem stabilen Gerüst geformt sind. Die Knochen werden, wie auch die Muskulatur und die Organe, durch z.T. große Gefäße mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. In der Haut, die den Knochen umspannt, laufen zudem umfangreiche Nervenbahnen. Sollte ein Knochen geschädigt werden, kann dies deshalb zu starken Schmerzen und gefährlichem Blutverlust führen. Bei einer Verletzung der Muskulatur, Gefäße oder Haut durch die Bruchenden oder durch äußerliche Gewalteinwirkungen besteht zudem eine erhöhte Infektionsgefahr. Außerdem führen Verletzungen der Knochen, Bänder und Gelenke zu Instabilität und Bewegungseinschränkungen bis hin zu Lähmungserscheinungen (z. B. bei Schädigung der Wirbelsäule). Über die langfristige Prognose entscheidet unter anderem die, durch die Fehlstellung bedingte, begleitende Gewebsschädigung. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Verletzungen von großen Knochen können zu einem lebensbedrohlichen Blutverlust führen: ■ ■ ■ ■ ■ Oberarm bis ca. 800 ml Unterarm bis ca. 400 ml Becken bis ca. 5000 ml Oberschenkel bis ca. 2000 ml Unterschenkel bis ca. 1000 ml Beim Erwachsen ist ab einem Blutverlust von 1000 ml mit einem lebensbedrohlichen Schockzustand zu rechnen. Bei offenen Knochenbrüchen können noch erheblich größere Blutmengen verloren gehen. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Eine Schädigung der Knochen, Gelenke oder Bänder führt in vielen Fällen zu starken Schmerzen. Hinweis auf eine Verletzung kann auch eine Bewegungs-/Funktionseinschränkung sein. Ohne umfangreiche Röntgendiagnostik kann eine Knochenverletzung nicht immer zweifelsfrei festgestellt werden. Grundsätzlich sollte in unklaren Fällen von einer Schädigung ausgegangen werden. Verletzungen der Bänder können nur in seltenen Fällen durch Erkennungszeichen vor Ort sicher festgestellt werden. Daher sollte von umfangreichen Beweglichkeitstests abgesehen werden. In jedem Fall muss die Haut an der schmerzenden Stelle auf Verletzungen untersucht werden. Oberarm bis ca. 800 ml Unterarm bis ca. 400 ml Becken bis ca. 5000 ml Oberschenkel bis ca. 2000 ml Unterschenkel bis ca. 1000 ml 84 5. Chirurgische Notfälle Durchblutung – Motorik – Sensibilität (D-M-S) Überprüfung der betroffenen Extremität Durchblutung Ist die Extremität noch durchblutet? Sind periphere Pulse tastbar? Hat die Extremität normale Körpertemperatur? Motorik Ist die Beweglichkeit erhalten? Können z.B. die Zehen der betroffenen Extremität selbst bewegt werden? Sensibilität Bestehen Gefühlsstörungen (Kribbeln, Taubheit)? Die Ergebnisse aus dieser Überprüfung können eine Einordnung der Transportdringlichkeit ergeben (wird z.B. die Durchblutung der Extremität nicht gewährleistet, ist ein zügiger Hubschrauberabtransport einzuleiten). Maßnahmen Durch den Bergretter muss beruhigend auf den Betroffenen eingegangen werden. Die betroffene Verletzungsregion ist nur soweit als erforderlich zu bewegen. Sollte bei der Untersuchung eine Verletzung der Haut bzw. eine Durchspießung durch einen Knochen festgestellt werden, muss unmittelbar eine sterile Abdeckung der Wunde erfolgen. Frakturen von Knochen werden immer unter achsengerechtem Längszug geschient. Benachbarte Gelenke werden immer mit ruhiggestellt. Überblick über die Maßnahmen bei Knochen-, Gelenks- und Bänderverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild bei Knochen-, Gelenks- und Bänderverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ Fehlstellung Blutungen, Schockanzeichen Bewegungseinschränkung Schwellung Schmerzen Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck inkl. DMS Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere/Situation Wundversorgung Wärmeerhalt achsengerecht ruhig stellen (Vakuumschiene und -matratze, Sam-Splint, usw.) ■ erneute Überprüfung DMS Kühlung der betroffenen Stelle (Kältebeutel nicht direkt auf die Haut aufbringen) ■ lückenlose Überwachung und Dokumentation ■ 85 5. Chirurgische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ein etwa 40-jähriger Skifahrer ist bei langsamer Fahrt gestürzt und klagt über starke Schmerzen im Bereich oberhalb des Skischuhs. Es ist eine leichte Schwellung im Bereich des Schienbeins zu tasten. 1. Welche Knochenverletzungen können zu einer lebensbedrohlichen Situation führen? 5. Welche Blutmengen können bei verschiedenen Brüchen verloren gehen? 2. Welche Maßnahmen ergreist du bei einem offenen Knochenbruch? 6. Welche Gefahren bestehen bei offenen Knochenbrüchen? 2. Eine etwa 60-jährige Langläuferin ist an einer kurzen Abfahrtstelle gestürzt und klagt über starke Schmerzen und Bewegungsunfähigkeit im Bereich der rechten Schulter und des rechten Armes. 3. Eine etwa 20-jährige Snowboarderin ist bei der Abfahrt mit dem Becken an einen Seilbahnmast geprallt. Sie klagt über starke Schmerzen, Schwindel und zeigt deutlich zunehmende Schockanzeichen. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 3. Wie lautet deine Meldung an die Leitstelle bei einer etwa 20-jährigen Snowboarderin mit starken Schmerzen im Beckenbereich? Welche weiteren Einsatzkräfte und -mittel forderst du nach? 7. Welche Mittel zur Ruhigstellung von Knochenbrüchen sind dir bekannt? 4. Was musst du beachten, wenn du eine Kühlung mit Kälteoder Schneebeutel an einer verletzten Stelle durchführst? 86 5. Chirurgische Notfälle 5.2 Gelenksluxationen Schultereckgelenk Schultergelenk Störung und Gefahren 50% aller Luxationen (Verrenkungen) betreffen das Schultergelenk. Sie sind oft mit starken Schmerzen und zum Teil mit Störungen der Durchblutung, der Motorik und der Sensibilität (DMS) des betroffenen Armes verbunden. Stehen längere oder schwierige Abtransportwege bevor, ergibt sich deshalb die Notwendigkeit, diese Art von Verletzung bereits am Unfallort zu reponieren (einzurenken). Die Reposition einer Luxation ist grundsätzlich eine ärztliche Maßnahme, die für den Bergretter nur im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes (Notwendigkeit der Maßnahme, Beherrschen der Maßnahme, Notarztruf, Einwilligung des Patienten und Dokumentation) möglich ist. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Durch Gewalteinwirkung auf das Schultergelenk (z.B. Sturz mit ausgestrecktem Arm) können die Gelenkkapsel und Bänder verletzt werden, Gelenkteile werden so aus ihrer ursprünglichen Lage verschoben. Häufig findet man die Betroffenen mit einer fixierten Fehlstellung (Arm in gebeugter Stellung vom Körper weg haltend) vor. Der Verletzte kann seinen Arm nicht an den Körper anlegen. Beim Ertasten der verletzten Schulter zeigt sich im Vergleich zur unverletzten Schulter meist eine Delle zwischen Oberarm und Schulter. Zudem können Durchblutungsstörungen, Gefühlsstörungen und Schmerzen an dem betroffenen Arm auftreten (DMS). Begleitverletzungen dürfen nicht außer Acht gelassen werden (Ganzkörpercheck). Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Oberarmkopf Oberarmknochen Gelenkpfanne Schulterblatt Überblick über das Erscheinungsbild bei der Schulterluxation ■ ■ ■ ■ ■ Unfallhergang Position von Schulter und Oberarm (fixierte Fehlstellung) Delle zwischen Oberarm und Schulter (Vergleich mit unverletzter Schulter!) Störungen von Durchblutung, Motorik und Gefühl (DMS) Schmerzen 87 5. Chirurgische Notfälle Maßnahmen Zuerst muss ein kompletter Ganzkörpercheck des Verletzten erfolgen. Bei Verdacht einer Schulterluxation ist auf Störungen von Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS) im betroffenen Bereich zu achten und diese zu dokumentieren. Dabei sollte immer die unverletzte Schulter mit verglichen werden. Steht in angemessener Zeit kein Notarzt zur Verfügung, der eine Reposition durchführen kann, sollte dies nur durch den erfahrenen und geübten Bergretter erfolgen. Hierfür ist eine weiterführende Ausbildung erforderlich. Überblick über die Maßnahmen bei der Schulterluxation ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck inkl. D-M-S- Regel (Vergleich mit der unverletzten Schulter) ■ Notarzt rufen ■ Dokumentation DMS ■ Patient über Maßnahmen informieren und beruhigen ■ Ruhigstellung ■ erneute Überprüfung von DMS und Dokumentation ■ lückenlose Überwachung und Dokumentation ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Sprunggelenk Störungen und Gefahren Durch Fehlstellung im Bereich des Sprunggelenks werden Haut, Nerven, Sehnen und Blutgefäße stark in Mitleidenschaft gezogen. Je größer die Fehlstellung und die Zeitspanne nach der Verletzung ist, desto größer wird der Schaden. Eine Minderdurchblutung der „gespannten“ Haut kann sich im späteren Heilungsverlauf sehr nachteilig auswirken. Gelingt es nicht, das Sprunggelenk in angemessener Zeit zu reponieren, kann dies schwerwiegende Folgen für den Verletzten haben. Überblick über das Erscheinungsbild bei der Sprunggelenksluxation ■ ■ ■ ■ ■ Unfallhergang abnormale Position des Sprunggelenks Schwellungen und Blutergüsse Störungen von Durchblutung, Beweglichkeit und Gefühl (DMS) Schmerzen Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Sprunggelenkluxationen treten häufig bei Bergwanderern und Langläufern auf. Durch Gewalteinwirkung auf das Sprunggelenk werden Gelenkkapsel und Bänder verletzt, das Gelenk wird aus seiner normalen Lage geschoben und eine Schwellung tritt auf. Häufig treten dabei zusätzlich Frakturen im Sprunggelenksbereich auf. Bei einer Luxation im Sprunggelenk zeigt sich meist eine abnorme Lage, die oft sehr schmerzhaft ist. Zudem können Gefühlsstörungen und Durchblutungsstörungen auftreten. 88 5. Chirurgische Notfälle Maßnahmen Zuerst muss eine komplette Erstuntersuchung des Betroffenen erfolgen. Bei Verdacht einer Sprunggelenkluxation ist auf Störungen von Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS) im betroffenen Bereich zu achten und diese zu dokumentieren. Die achsengerechte Schienung/Reposition sollte möglichst frühzeitig erfolgen. Dazu muss der Verletzte über diese Maßnahme aufgeklärt werden und sein Einverständnis dazu geben. Achsengerechte Ruhigstellung einer Sprunggelenkluxation: Ein Helfer fixiert den betroffenen Unterschenkel im Kniebereich. Der Bergretter greift den Fuß an Ferse und Fußrücken, um anschließend mit einem kräftigen Zug in Verlängerung der Unterschenkelachse anzuziehen. Gelingt die Reposition nicht, muss das betroffene Gelenk in der Fehlstellung ruhiggestellt werden. Nach dem achsengerechten Zug bzw. Repositionsversuch ist das Sprunggelenk zu schienen (Schienungsmaterial vorher herrichten). Nach erfolgter Ruhigstellung wird eine erneute Überprüfung von Durchblutung Motorik, und Sensibilität vorgenommen und dokumentiert. Eine erfolgreiche Reposition, aber auch ein erfolgloser Repositionsversuch, ist immer zu dokumentieren! Überblick über die Maßnahmen bei der Sprunggelenksluxation ■ ABC-Sicherung ■ Ganzkörpercheck inkl. DMS ■ Notarzt rufen ■ Aufklärung über Maßnahmen, Einverständnis des Betroffenen ■ Vorbereitung der Schienung ■ achsengerechte Ruhigstellung ■ erneute Überprüfung DMS ■ Wärmeerhalt ■ lückenlose Überwachung und Dokumentation Fallbeispiele 1. Eine Langläuferin stürzt in einer schwer zugänglichen Loipe und bleibt mit einer Fußverletzung dort liegen. Ihr erreicht mit eurem Skidoo den Einsatzort und findet dort eine ca. 45-jährige Patientin vor, die über starke Schmerzen im rechten Sprunggelenk klagt. Ihr seht, dass sich der Fuß in einer abnormen Lage befindet. Ein Abtransport bis zur nächsten Klinik dauert mindestens eine Stunde. Ein Einsatz des Rettungshubschraubers ist auf Grund der Witterung nicht möglich. 2. Ein Bergwanderer rutscht vor eurer Diensthütte aus und bleibt dort liegen. Er klagt über stärkste Schmerzen im rechten Sprunggelenk. Bei der Erstuntersuchung stellt ihr fest, dass das Gelenk verformt ist und nicht belastet werden kann. Ein Arzt kommt zufällig vorbei. 3. Ihr werdet zu einer Bergwanderin gerufen, die sich in einem Geröllfeld verstiegen hat und gestürzt ist. Sie klagt über starke Schmerzen im Sprunggelenk, dies ist deutlich angeschwollen und verformt. Übungsfragen 1. Welche Gefahren bestehen bei einer Sprunggelenkluxation? 2. Was überprüfst du vor und nach der Ruhigstellung/Reposition? 3. Wie geht man bei der Reposition eines Sprunggelenks vor? 4. Warum soll ein verletztes Sprunggelenk gekühlt und hoch gelagert werden? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 89 5. Chirurgische Notfälle 5.3 Kopfverletzungen (Schädel-Hirn-Trauma) Definition Dieser Begriff fasst Weichteilverletzungen, Brüche der Knochen des Gesichtsschädels, des Gehirnschädels und Gehirnverletzungen zusammen, die zunächst oft nicht unterschieden oder ihrem Schweregrad nach beurteilt werden können. Kopfverletzungen entstehen in Folge einer Gewalteinwirkung auf den Schädel z.B. durch Sturz, Schlag oder Anprall. Für das Ausmaß der Schädigung ist es entscheidend, ob es sich um Verletzungen des Schädels oder des Gehirns oder eine Kombination beider Verletzungsarten, d.h. eine Schädel-Hirn-Verletzung (Trauma) handelt. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf von Weichteilverletzungen Bei geschlossenen Verletzungen können Blutergüsse mit starken Schmerzen auftreten, die deutlich sichtbar sind. Der Betroffene kann z.B. eingeschränktes Sehvermögen angeben. Bei offenen Weichteilverletzungen am Kopf treten mehr oder weniger starke Blutungen auf, die meistens aus Platzwunden, Schnittwunden oder Skalpierungsverletzungen entstehen. Auch können die Augen durch stumpfe oder spitze Gegenstände verletzt sein, was zum Ausfall der Sehkraft führen kann. Maßnahmen bei Weichteilverletzungen Nach einer sterilen Bedeckung steht die Blutstillung an erster Stelle. Hier kann in den meisten Fällen im Kopfbereich kein Druckverband angelegt werden. Deshalb muss durch Aufpressen der flachen Hand des Bergretters eine Komprimierung und somit eine Blutstillung bewirkt werden. Der Betroffene sollte mit leicht erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Überblick über die Maßnahmen bei Weichteilverletzungen ■ Störung und Gefahren von Weichteilverletzungen Bei Weichteilverletzungen handelt es sich oft um stark blutende Wunden, in extremen Fällen auch um Skalpierungsverletzungen. Ebenso können geschlossene Verletzungen auftreten, die massive Schwellungen oder Blutergüsse mit sich führen. Hierbei können die Atmung, das Sehvermögen oder auch der Gehörsinn beeinträchtigt oder auf Dauer geschädigt werden. Grundausbildung Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Grundausbildung || Notfallmedizin Überblick über das Erscheinungsbild von Weichteilverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ Schwellungen und Blutergüsse starke Blutungen mit Schockanzeichen Störungen der Atmung Fremdkörper in Wunden eingeschränkte Sinneswahrnehmungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere/Situation Wundversorgung situationsgerecht Lagern Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 90 5. Chirurgische Notfälle Störung und Gefahren beim Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Eine Form der Schädel-Hirn-Verletzung ist das leichte SHT (Commotio). Die Hirnzellen werden nicht verletzt, aber kurzzeitig in ihrer Funktion gestört, was sich als kurzzeitige Bewusstlosigkeit mit Erinnerungslücke darstellen kann. Bei schwereren Verletzungen kann es unter Umständen zu Blutungen in und um das Gehirn kommen. Zudem ist die Gefahr einer Bewusstlosigkeit, ansteigenden Hirndruckes und eines Atem- und Herz-KreislaufStillstandes gegeben. Bei offenen Schädel-Hirn-Verletzungen ist die Gefahr von starken Blutungen, dem Austritt von Gehirnflüssigkeit (Liquor) und in extremen Fällen der Austritt von Gehirnmasse gegeben. Bei Schädel-Hirn-Verletzungen können auch Krampfanfälle auftreten. Schädel-Hirn Verletzte können zudem von einer Unterkühlung betroffen sein, da das Wärmeregulationszentrum beeinträchtigt oder ausgefallen sein kann. Die Atmung von Schädel-Hirn-Verletzten kann beeinträchtigt sein (bis zum Atemstillstand). Bei Bewusstlosigkeit besteht zusätzlich Aspirationsgefahr (Anatmung) von Blut, Erbrochenem oder Flüssigkeiten. Auf Begleitverletzungen ist zu achten! Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf beim Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Bei einem leichten SHT ist der Betroffene häufig benommen, weist Gedächtnislücken auf, klagt über Kopfschmerzen und Schwindel, in Einzelfällen auch über Übelkeit mit nachfolgendem Erbrechen. Bei mittelschwerem und schwerem Schädel-Hirn-Trauma gibt es verschiedene Verlaufsformen, entweder es kommt nach einer kurzzeitigen Bewusstlosigkeit und einem symptomfreien Intervall zu einer erneuten Bewusstseinsstörung oder der Betroffene ist von Anfang an bewusstseinsgetrübt oder bewusstlos. Es kann zu mehr oder minder starken Blutungen aus Nase, Ohr, Mund, aber auch aus Wunden kommen. Bei Schädelbasisfrakturen können auch ein Brillen-/ oder Monokelhämatom (Veilchen) sichtbar werden. In seltenen Fällen ist der Schädel so stark verletzt, dass Hirnmasse austritt. Bei einer Schädel-Basis-Verletzung kann Gehirnflüssigkeit (Liquor) aus dem Ohr oder der Nase austreten (schwer zu erkennen, oft mit Blut vermischt). Des Weiteren können Sinneswahrnehmungen beeinträchtig oder geschädigt sein. Großhirn Kleinhirn normale Durchblutung Hirnblutung Minderdurchblutung Anschwellen der Nervenzellen (Hirnödem) Kompression am Atemzentrum 91 5. Chirurgische Notfälle Akute Lebensgefahr besteht, wenn nach vorübergehender Aufklarung erneut eine Bewusstseinstrübung auftritt (Blutung im Gehirnschädel). Diese Symptome können auch noch Stunden nach dem Ereignis auftreten. Manifestieren sich Zeichen eines Volumenmangelschockes sollte an weitere Begleitverletzungen gedacht werden. Überblick über das Erscheinungsbild bei Schädel-Hirn-Trauma ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Bewusstseintrübung, Bewusstlosigkeit Blutungen, ggf. offene Schädelverletzung Flüssigkeitsaustritt aus Ohr, Mund, Nase Brillen-/Monokelhämatom Atem- und Kreislaufstörungen beeinträchtigte Sinneswahrnehmungen Übelkeit, Erbrechen, Schwindel Maßnahmen beim Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Im Vordergrund steht die Sicherung der Vitalfunktionen. Dazu gehören die Stillung von Blutungen, das Freimachen und Freihalten der Atemwege, die Schockbekämpfung, der Wärmeerhalt und nicht zuletzt die richtige Lagerung des Betroffenen (optimal wäre eine Oberkörperhochlage im Winkel von ca. 30°). Bewusstseinsgetrübte Patienten müssen in der stabilen Seitenlage gelagert und offene Verletzungen steril bedeckt werden. Dem Betroffenen sollte möglichst über eine Maske Sauerstoff gegeben werden. Wegen der Gefahr des Erbrechens wird Absaugbereitschaft hergestellt. Bei Kopfverletzungen muss grundsätzlich an eine Begleitverletzung der Halswirbelsäule gedacht werden, die durch eine Halskrause (z.B. Stifneck) versorgt werden soll. Bei jedem mittelschweren und schweren Schädel-Hirn-Trauma oder offenem SHT muss ein Notarzt hinzugezogen werden. Die lückenlose Überwachung und Dokumentation muss sichergestellt werden. Überblick über die Maßnahmen beim Schädel-Hirn-Trauma ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen je nach Verletzungsschwere/Situation Notarzt rufen Stabilisieren der HWS Sauerstoffgabe Wundversorgung Lagerung abhängig der Bewusstseinslage Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation Fallbeispiele 1. Ihr werdet im Rahmen eines Hüttendienstes in einen Klettersteig gerufen, wo ein Kletterer abgestürzt sein soll. Ihr findet einen ca. 25-jährigen Mann vor, der bewusstlos am Boden liegt. Trotz des Kletterhelmes hat er sich eine größere Kopfplatzwunde durch einen Steinschlag zugezogen. 2. Ein Nordic- Walker ist gestürzt und mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Er kann sich an nichts mehr erinnern und weiß nicht, wie er in sein Hotel kommen soll bzw. wie das Hotel heißt. 3. Wein Skitourengeher stürzt in ein Schneeloch und schlägt dabei mit der Schläfe auf einen Eisblock auf. Seine Kameraden können ihn nach kurzer Zeit bergen und in die stabile Seitenlage bringen. Bei eurem Eintreffen ist der Betroffene wieder ansprechbar, klagt aber über zunehmende Kopfschmerzen und Schwindel. Übungsfragen 1. Welche Gefahren können bei Schädel-Hirn-Verletzungen auftreten? 2. Worauf deutet ein Brillenhämatom hin? 3. Welche Hinweiszeichen deuten auf ein Schädel-Hirn-Trauma? 4. Warum kann es bei Kopfverletzungen zu einer Unterkühlung kommen? 5. Welche Hinweise erhält man durch die Pupillenkontrolle? 92 5. Chirurgische Notfälle 5.4 Brust- und Lungenverletzungen Störung und Gefahren Man unterscheidet offene und geschlossene Brustkorbverletzungen, wobei offene Brustkorbverletzungen relativ selten sind. Bei Rippenbrüchen droht die Gefahr, dass eine oder mehrere gebrochene Rippen nachfolgend mechanische Lungenverletzungen mit einem massivem Blutverlust verursachen. Sind mehrere Rippen gebrochen spricht man von einer Rippenserienfraktur. Tritt aufgrund einer Verletzung (von innen oder außen) Luft in den Pleuraspalt (sog. Pneumothorax), fällt die Lunge in sich zusammen. Dieser Zustand kann innerhalb kürzester Zeit lebensbedrohlich werden. Achtung: Verletzungen des Brustkorbes können mit starkem Blutverlust einhergehen. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Schon der Unfallhergang kann auf eine Brustkorbverletzung hindeuten. Die Betroffenen klagen über Atemnot bzw. atemabhängige Schmerzen. Überblick über das Erscheinungsbild bei Brust und Lungenverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Unfallhergang Atemnot mit Schmerzen Prellmarken ggf. offene Verletzungen, verformter Brustkorb zunehmende Atemnot (Zyanose) gestaute Halsvenen Kreislaufverhältnisse verschlechtern sich Loch in der Brustwand Dabei besteht immer die Gefahr, dass die Atemnot innerhalb kurzer Zeit zunimmt! Anzeichen einer schweren Brustkorbverletzung sind die bläuliche Färbung der Schleimhäute (Zyanose) und/oder gestaute Halsvenen. Wegen massivem Blutverlust können sich die Kreislaufverhältnisse innerhalb kürzester Zeit verschlechtern (Schock). Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Pleuralspalt 93 5. Chirurgische Notfälle Maßnahmen Überprüfung, Sicherung und ggf. Wiederherstellung der Vitalfunktionen ist die wichtigste Maßnahme. Bei schweren Brustkorbverletzungen (Atemnot, Verdacht einer Blutung in den Brustkorb, starke Schmerzen) muss ein Notarzt so früh wie möglich hinzugezogen werden. Eine Atemerleichterung schafft die Lagerung mit erhöhtem Oberkörper und hoch dosierte Sauerstoffgabe. Offene Brustkorbverletzungen müssen keimfrei, aber niemals luftdicht abgedeckt werden. Bei Bewusstlosigkeit ist der Verletzte in die stabile Seitenlage zu bringen, wobei die verletzte Brustkorbhälfte unten liegen soll. Verschlechtert sich die Atmung trotz Sauerstoffinhalation muss der Betroffene vom Bergretter beatmet werden. Der Transport in ein geeignetes Krankenhaus sollte schnellstmöglich und mit Notarztbegleitung (Rettungshubschrauber) erfolgen. Überblick über die Maßnahmen bei Brust und Lungenverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere/Situation Lagerung abhängig der Bewusstseinslage, wenn möglich Oberkörper hoch offene Brustkorbverletzungen steril versorgen (nicht luftdicht) Sauerstoffgabe Beatmungs- und Reanimationsbereitschaft Wärmeerhalt zügiger Transport in eine geeignete Klinik lückenlose Überwachung und Dokumentation 3. Ein 65-jähriger Skifahrer wird beim Aussteigen aus dem Schlepplift von einem Bügel mitgezogen und prallt dann gegen einen Liftmasten. Ihr kommt mit eurem Skidoo zur Einsatzstelle und findet den Betroffenen halbsitzend mit vermutlich mehreren Rippenbrüchen vor. Er hat einen Bluterguss, der sich über die gesamte rechte Brustkorbhälfte ausdehnt. Übungsfragen 1. Welche Gefahren bestehen bei offenen und geschlossenen Brustkorbverletzungen? 2. Welche Erkennungszeichen deuten auf eine Rippenserienfraktur hin? 3. Was ist bei der Versorgung einer offenen Brustkorbverletzung zu beachten? Fallbeispiele 4. Wie wird ein Verletzter mit Brustkorbverletzung gelagert? 1. Ein Skifahrer kommt bei rasanter Fahrt von der Piste ab und prallt in eine Fichte. Dabei stößt er sich einen abgebrochenen Ast durch die Kleidung in den Brustkorb. Der Ast befindet sich nicht mehr in der Wunde. Er hat eine starke Atemnot und eine leichte Sickerblutung am linken Brustkorb. 5. Was ist der Unterschied zwischen einer Rippenfraktur und einer Rippenserien-Fraktur? 2. Ein Bergwanderer stürzt im Schrofengelände über ca. 20 Meter ab. Hierbei verletzt er sich den Brustkorb und klagt über starke Schmerzen und Atemnot. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 94 5. Chirurgische Notfälle 5.5 Bauchverletzungen Störung und Gefahren Häufigste Formen sind Leber-, Milz-, Darm-, Nieren- und Gefäßverletzungen. Diese Verletzungen führen meist zu starkem Blutverlust. Verschiedene Bauchorgane wie Milz und Leber sind teilweise vom knöchernen Brustkorb umgeben und können bei Verletzungen des Brustkorbes mitbetroffen sein. Manchmal tritt Magen-Blasen-, oder Darminhalt in die keimfreie Bauchhöhle aus. Für den Verletzten besteht Lebensgefahr durch Verbluten (Volumenmangel-Schock) und im späteren Verlauf durch schwere Infektionen (Sepsis) der Bauchhöhle, insbesondere durch eine Bauchfellentzündung, sowie durch das Absterben von Darmteilen. Bei Einblutung in Organe bei unverletzter Organhülle entwickelt sich eine Spannung, welche die Organhülle bis zu Stunden später zum Einreißen bringen kann (zweiseitige Ruptur). Dies hat eine massive Blutung zur Folge, die lebensbedrohlich ist. decke geschlossen, handelt es sich um ein „stumpfes Bauchtrauma“. Bei der zweiseitigen Ruptur beobachtet man häufig einen langsam zunehmenden Schmerz, der in einem plötzlichen Vernichtungsschmerz gipfelt. Ein anschließendes Nachlassen des Schmerzes bedeutet nicht Entspannung der Situation, sondern muss als absolutes Alarmzeichen gewertet werden. Überblick über das Erscheinungsbild bei Bauchverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Bereits der Unfallhergang kann auf mögliche Bauchverletzungen schließen lassen. Bauchverletzungen mit und ohne Eröffnung der Bauchhöhle können das gleiche Krankheitsbild wie akute Baucherkrankungen zeigen (Abwehrspannung und Schonhaltung). Ursachen sind stumpfe oder spitze (penetrierende) Gewalteinwirkungen auf den Bauchraum, wobei innere und/ oder offene Verletzungen entstehen. Durch die Gewalteinwirkung kann die Bauchdecke eröffnet sein. Man bezeichnet die Verletzung dann als „offenes Bauchtrauma“. Ist die Bauch- Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Unfallhergang Abwehrspannung und Schonhaltung Prellmarken mit Blutergüssen sichtbare Blutungen und Verletzungen Übelkeit, Erbrechen kann blutig sein Atemnot Schockzeichen Maßnahmen Da es sich um eine lebensbedrohliche Verletzung handelt, die oft nicht vor Ort stabilisiert werden kann, muss der zügige Transport in die nächste chirurgische Klinik organisiert werden (Rettungshubschrauber). Die Überprüfung, Sicherung ggf. Wiederherstellung der Vitalfunktionen steht an erster Stelle. Bei offenen Bauchverletzungen müssen diese feucht/keimfrei abgedeckt werden (Verbandtuch), wobei hervor getretene Darmschlingen nicht zurück gedrängt werden dürfen. Bei Atemnot sollte Sauerstoff gegeben werden. Der Betroffen sollte flach mit einer Knierolle gelagert werden, Körperwärme erhalten und Betroffenen betreuen. Dem Verletzten darf nichts zu Essen oder Trinken gegeben werden. Der Notarzt muss frühzeitig hinzugezogen werden und den schnellstmöglichen Transport in die nächstgelegene und geeignete Klinik begleiten. Überblick über die Maßnahmen bei Bauchverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen Sauerstoffgabe Wundversorgung situationsgerecht lagern Wärmeerhalt zügiger Transport in eine geeignete Klinik lückenlose Überwachung und Dokumentation 95 5. Chirurgische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ein ca. 5-jähriger Junge ist beim Schlittenfahren gegen einen Baum geprallt und hat sich dabei eine Schlittenkufe in den Bauchraum gestoßen. Es sind deutliche Prellmarken und eine Abwehrspannung feststellbar. Der Junge ist benommen und blass. 1. Welche Gefahren können bei offenen und geschlossenen Bauchverletzungen auftreten? 2. Ein 13-jähriger Junge stürzt bei langsamer Fahrt mit dem Mountain Bike und bekommt dabei den Lenker in den linken Bauch gerammt. Er fährt noch eine halbe Stunde weiter, bricht dann jedoch zusammen und klagt über stärkste Schmerzen im linken Bauchraum. 3. Auf einer Skipiste stoßen zwei befreundete Skifahrerinnen zusammen. Nach kurzer Zeit können beide die Fahrt fortsetzen und machen an eine Hütte Rast. Plötzlich stellt eine der beiden Frauen auf der Toilette fest, dass der Urin blutig verfärbt ist. Sie zittert am ganzen Körper und ist kaltschweißig. Sie bittet ihre Freundin, die Bergwacht zu alarmieren. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 2. Wie werden offene Bauchverletzungen versorgt? 3. Warum soll der Transport einer Bauchverletzung schnell und schonend in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus erfolgen? 4. Welche Anzeichen deuten auf ein geschlossenes Bauchtrauma hin? 5. Wie ist eine offene Bauchverletzung zu versorgen, wenn noch ein Fremdkörper im Bauchraum steckt? 96 5. Chirurgische Notfälle 5.6 Wirbelsäulen- und Beckenverletzungen Störung und Gefahren Die besondere Gefahr für einen Verletzten besteht darin, dass bei einer Verletzung der Wirbelsäule das im Wirbelkanal verlaufende Rückenmark geschädigt wird. Dies kann zu einer Querschnittslähmung führen. Darunter versteht man eine Schädigung der Nervenbahnen im Bereich der Fraktur, die zur Lähmung der Muskulatur bei gleichzeitigem Ausfall der Empfindungsnerven der unterhalb der Fraktur gelegenen Körperbereiche führen kann. Die Lähmung erfasst bei Querschnittslähmungen der Lendenwirbelsäule u. U. die Blase und den Mastdarm. Bei Brüchen auf Höhe der Halswirbelsäule kann es zur Lähmung der Atemhilfsmuskulatur und des Zwerchfells kommen. Frakturen im Bereich der ersten zwei Halswirbel können sofort tödlich sein („Genickbruch“). Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Wirbelbrüche entstehen durch direkte Gewalteinwirkung auf die Wirbelsäule oder durch Stauchung, die zum Kompressionsbruch eines Wirbelkörpers führen kann. Verletzungen der Wirbelsäule können auch durch Beschleunigungstraumen bzw. Peitscheneffekt entstehen. Kennzeichen eines Wirbelbruches können der typische Unfallhergang, Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, seltener Bewegungsunfähigkeit, Gefühllosigkeit im Bereich der Extremitäten und/oder des Rumpfes sowie Harnund/oder Stuhlabgang in Folge einer Blasen- oder Mastdarmlähmung sein. Durch den Ausfall der steuernden Nerven kann es zu einem Blutdruckabfall kommen. Überblick über das Erscheinungsbild bei Wirbelsäulenverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ Unfallhergang Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule seltener Gefühlsstörungen, Bewegungsunfähigkeit (Lähmungen) ggf. Stuhl- und/oder Harnabgang Schockgefahr 97 97 5. Chirurgische Notfälle Maßnahmen bei Wirbelsäulenverletzungen Bei der Versorgung von Wirbelsäulenverletzungen ist darauf zu achten, dass der Patient so wenig wie möglich bewegt wird. Muss der Patient bewegt werden, z.B. um ihn in die stabile Seitenlage zu bringen oder zum Überheben auf die Vakuummatratze, sollte dies schonend geschehen. Wichtig ist hier dass der Patient in der Achse nicht verdreht (Torsion) oder gestaucht wird! Schwere Verletzungen in diesem Bereich erfordern immer den Einsatz eines Notarztes. Nach Überprüfung der Vitalfunktionen muss zuerst die Halswirbelsäule stabilisiert werden (Halskrause). Anschließend wird der Verletze nach Möglichkeit mit einer Schaufeltrage (alternativ durch vier Helfer) auf eine Vakuummatratze übergehoben. Der Abtransport sollte so schonend wie möglich erfolgen (Rettungshubschrauber). Weitere Maßnahmen der Schockbekämpfung, sowie Überwachung der Vitalfunktionen müssen durchgeführt werden. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Überblick über die Maßnahmen bei Wirbelsäulenverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere/Situation schonend überheben auf Vakuummatratze stabilisieren der Halswirbelsäule situationsgerecht lagern Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 98 5. Chirurgische Notfälle Störungen und Gefahren bei Beckenverletzungen Sie stellen eine massive Verletzung dar, bei der durch die mögliche Schädigung großer Blutgefäße stets mit lebensbedrohlichen Komplikationen zu rechnen ist. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf bei Beckenverletzungen Kennzeichen für eine Beckenverletzung kann der Unfallhergang sein, besonders wenn es zu Kompressionen des Beckenbereiches gekommen ist und Kennzeichen einer Fraktur, Instabilität des Beckens, leichte Blutungen aus der Harnröhre oder Abgang von blutigem Urin oder akuter Harnverhalt auftreten. Innerhalb kurzer Zeit kann es zu einem schweren Volumenmangelschock kommen. Maßnahmen bei Beckenverletzungen Die Versorgung von Wirbelsäulen- und Beckenverletzungen sind nahezu gleich. Verletzungen in diesem Bereich erfordern immer den Einsatz eines Notarztes. Nach dem Ganzkörpercheck wird der Verletze nach Möglichkeit mit einer Schaufeltrage (alternativ durch vier Helfer) auf eine Vakuummatratze übergehoben. Patienten mit dem Verdacht auf eine Beckenfraktur müssen so schnell wie möglich in die nächste geeignete Klinik gebracht werden! Weitere Maßnahmen der Schockbekämpfung sowie Überwachung der Vitalfunktionen müssen durchgeführt werden. Überblick über die Maßnahmen bei Beckenverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen situationsgerecht lagern Wärmeerhalt zügiger Transport in eine geeignete Klinik lückenlose Überwachung und Dokumentation Überblick über das Erscheinungsbild bei Beckenverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ Unfallhergang Schmerzen im Bereich des Beckens Gefühlsstörungen, Bewegungsunfähigkeit (Lähmungen) in den Beinen evtl. blutiger Urin Volumenmangelschock Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 99 5. Chirurgische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ein Skifahrer ist bei der Abfahrt von der Piste abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Bei eurem Eintreffen gibt der ca. 25-jährige Skifahrer stärkste Schmerzen im Beckenbereich an. Bei näherer Untersuchung stellt ihr fest, dass der Verletzte blutig eingenässt hat. 1. Mit welchen Gefahren muss bei einer Beckenverletzung gerechnet werden? 2. Ein Eiskletterer ist aus ca. 12 Metern abgestürzt und mit dem Gesäß aufgekommen. Er hat stärkste Schmerzen im Bereich der Lendenwirbel und kann die Beine nicht bewegen. 3. An was erkennt ihr eine Beckenverletzung? 3. Ihr werdet von der RLST zu einem abgestürzten Gleitschirmflieger alarmiert. Dieser befindet sich sechs Meter über den Boden in den Ästen eines Baumes. Das Gelände ist steil, ein Hubschrauber steht nicht zur Verfügung. Auf Zuruf gibt der Verletze an, dass er mit dem Rücken gegen den Baum geprallt ist und seitdem verspürt er ein Kribbeln und Taubheitsgefühl in den Beinen. Grundausbildung Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Grundausbildung || Notfallmedizin 2. Mit welchen Spätschäden muss bei einer Wirbelsäulenverletzung bzw. Beckenverletzung gerechnet werden? 4. Warum unterkühlen Becken- und Wirbelsäulenverletzte sehr schnell? 5. Welche Gefahren bestehen bei einer Verletzung der Halswirbelsäule? 100 5. Chirurgische Notfälle 5.7 Starke Blutungen Störung und Gefahren Ab einem Blutverlust von ca. 20 % (ca. 1 Liter bei einem Erwachsenen) der Gesamtblutmenge kann sich ein Volumenmangelschock entwickeln. Bei Kindern und vor allem bei Kleinkindern besteht diese Gefahr wegen der im Verhältnis geringeren Blutmenge schon erheblich früher. Überblick über das Erscheinungsbild bei starken Blutungen ■ ■ ■ ■ Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Durch Verletzungen mit spitzen, scharfen oder stumpfen Gegenständen kann es zu starken Blutungen nach innen und/oder nach außen kommen. Hellrotes Blut deutet meist auf eine arterielle Blutung hin, dunkelrotes Blut lässt auf eine venöse Blutung schließen. Oft hat sich eine Blutlache gebildet oder auf der Kleidung des Betroffenen bildet sich ein schnell größer werdender Blutfleck, evtl. tropft das Blut aus der Kleidung heraus. Bei großen Schnitt- und Platzwunden sind oft tiefere Gewebeschichten freigelegt. Eine weitere Erscheinungsform von Blutungen sind Krampfaderblutungen. Diese treten überwiegend an den Beinen auf. Auch hier entstehen starke venöse Blutungen mit der Gefahr eines sich entwickelnden Volumenmangelschocks. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 ■ ■ sichtbare Blutungen, evtl. pulsierend Schockanzeichen klaffende Wunden, sichtbare Hautschäden Teilamputationen, Ablederungen Hämatome bei geschlossenen Blutungen Krampfaderblutungen, häufig im Bereich des Unterschenkels 101 5. Chirurgische Notfälle Maßnahmen Als erstes muss immer versucht werden, lebensbedrohliche Blutungen zu stoppen. Dazu sollte das betroffene Körperteil hochgelagert werden. Der Betroffene wird möglichst flach gelagert. Die meisten Blutungen lassen sich mittels eines Druckverbandes stillen. Hier sollte darauf geachtet werden, dass der Puls immer noch tastbar bleibt. Sollte dies nicht ausreichen, muss die Blutung zusätzlich durch Druck auf die Wundauflagen bekämpft werden. Reicht auch dies nicht aus, wird die zuführende Arterie abgedrückt (Innenseite Oberarm/Leiste). Sollte diese Maßnahme ebenfalls keine Stillung der Blutung zur Folge haben, muss abgebunden werden z.B. Blutdruckmanschette. Fallbeispiele Überblick über die Maßnahmen bei starken Blutungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Häufig kommt es zu einem Volumenmangelschock, der nach Stillung der Blutung durch Hochlagerung der Beine und Wärmeerhaltung bekämpft werden muss. Die Vitalfunktionen müssen ständig überwacht werden. ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen betroffenes Körperteil möglichst hochlagern zuführende Arterie abdrücken Wundversorgung ggf. Kompression mit Wundauflagen auf die Wunde oder Druckverband Wärmeerhalt zügiger Transport in eine geeignete Klinik lückenlose Überwachung und Dokumentation 1. Bei Forstarbeiten verletzt sich ein Arbeiter mit der Motorsäge im Unterschenkelbereich. Dabei kommt es zu einer pulsierenden Blutung im Bereich des Sprunggelenkes. 2. In einem Berggasthof stürzt eine Bedienung mit ihrem Tablett und fällt mit der Hand in die Scherben. Es kommt zu einer pulsierenden Blutung im Bereich des rechten Handgelenkes. 3. Ein Bergsteiger verletzt sich durch Steinschlag am Hals. Es kommt zu einer starken venösen Blutung im Bereich des linken Halsmuskels. Übungsfragen 1. An welchen Stellen kann man Arterien abdrücken? 2. Welche Möglichkeiten von Druckverbänden gibt es? 3. Welche Maßnahme wird durchgeführt, wenn ein Druckverband durchblutet? 4. Warum muss eine lebensbedrohliche Blutung sehr rasch versorgt werden bevor andere Maßnahmen am Verletzten durchgeführt werden? Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 102 5. Chirurgische Notfälle 5.8 Amputationsverletzungen Störung und Gefahren Durch massive Gewalteinwirkung von außen können unter anderem auch Extremitäten abgetrennt werden. In den meisten Fällen betrifft ein solcher Vorfall die Finger (z.B. durch Kreissäge, Kletterseile) oder die Zehen (z.B. durch Schneidewerkzeuge). In wenigen Fällen ist auch eine Abtrennung des gesamten Armes oder Beines möglich (z.B. durch Umlenkrolle des Liftes oder durch eine Holzerbahn). Auch eine teilweise Abtrennung führt bereits zu einer Minderversorgung des betroffenen Bereiches mit Blut und somit eventuell zu einer dauerhaften Schädigung. Bei der Abtrennung ganzer Gliedmaßen kann auch der Blutverlust lebensbedrohliche Folgen haben. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Bei Amputationsverletzungen kommt es häufig vor, dass die betroffene Person gar nicht realisiert, dass ein Körperteil (z.B. ein Fingerglied) abgetrennt ist. Es stellt sich dem Bergretter die Situation dar, nicht nur den Betroffenen versorgen zu müssen, sondern auch das abgetrennte Körperteil. Überblick über das Erscheinungsbild bei Amputationsverletzungen ■ ■ ■ Fehlen eines Körperteils Fehlstellung bei Teilamputation sichtbare Knochensplitter Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Maßnahmen Das Hauptaugenmerk muss auf den Betroffenen gerichtet werden, bis dieser erstversorgt ist. Anschließend wird das Amputat versorgt. Diese Aufgabe kann auch ein zweiter Bergretter übernehmen. Man sollte den Betroffenen hinlegen und die verletzte Körperregion möglichst hochhalten. Bei starken Blutungen am Arm kann die Oberarmarterie abgedrückt werden, bei starken Blutungen am Bein die Arterie in der Leiste. Die Wunde wird anschließend steril bedeckt und starke Blutungen mit einem Druckverband versorgt. Der Betroffene sollte flach gelagert bleiben. Bei Schockzeichen muss die Schocklage hergestellt werden. Zur weiteren Schockbekämpfung zählen Wärmeerhaltung, psychische Betreuung und die Gabe von Sauerstoff. Der Patient muss weiterhin engmaschig überwacht werden, da der Schreck oftmals Anzeichen eines Schockes und Schmerzen für eine kurze Zeit unterdrückt. Die Leitstelle muss zeitnah informiert werden, um eine geeignete Klinik zur weiteren Versorgung organisieren zu können. Versorgung des abgetrennten Körperteils (Amputat) Das abgetrennte Körperteil muss steril eingewickelt werden (z.B. mit einer großen Kompresse). Auf keinen Fall sollte es gereinigt oder abgewaschen werden. Das eingewickelte Amputat muss dann in eine wasserdichte Plastiktüte gegeben werden. Diese wird in einen zweiten Plastikbeutel eingeführt, der soweit mit einem Wasser-Eis-Gemisch gefüllt wird, bis das Amputat komplett von der Flüssigkeit umgeben ist. Idealerweise vewendet man spezielle Replantatbeutel, die eine optimale Lagerung garantieren. Die Kühlung verlängert die Zeitspanne in der das Amputat erfolgreich wieder replantiert werden kann (bei Fingern z.B. bis zu 24 Stunden). Auf keinen Fall darf das Amputat direkt mit Eis in Kontakt kommen und gefrieren. Das Amputat sollte immer mit dem Patienten das Krankenhaus erreichen (alle Amputate oder abgetrennte Gewebeteile können u. U. bei der Replantation als hilfreiche Ergänzung eingesetzt werden). Eine Besonderheit stellen ausgeschlagene Zähne und Knochensplitter dar. Diese müssen in ihrer sterilen Umhüllung befeuchtet werden, z.B. mit steriler Infusionslösung übergießen, oder in einer Spritze mit Infusionslösung, da sie sonst austrocknen und nicht mehr verwendbar sind. 103 5. Chirurgische Notfälle Überblick über die Maßnahmen bei Amputationsverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere / Situation Patienten flach lagern betroffenes Körperteil möglichst hochhalten, ggf. abdrücken Wunde steril bedecken und Verband anlegen, ggf. Druckverband Sauerstoffgabe Sicherstellung und Versorgung des Amputats Wärmeerhalt Lagemeldung an Leitstelle (geeignete Klinik!) gleichzeitiger Transport von Patient und Amputat lückenlose Überwachung und Dokumentation Fallbeispiele 1. Ihr werdet zur örtlichen Seilbahn gerufen. Es handelt sich um einen Arbeitsunfall während der laufenden Revisionsarbeiten an der Bergstation. Ihr findet einen ca. 30-jährigen Mann vor, der den rechten Unterarm in ein Tuch gewickelt hat. Ein Kollege zeigt Euch die abgetrennte Hand. 2. Ihr werdet in ein Klettergebiet gerufen, in dem sich ein Kletterunfall ereignet hat. Ihr findet eine junge Frau vor, die beim Abseilen mit dem Zeigefinger in den Abseilachter gekommen ist und sich diesen abgetrennt hat. Der Zeigefinger ist jedoch noch nicht gefunden worden. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Äußerer Plastikbeutel (1/2 Wasser, 1/2 Eis) Innerer Plastikbeutel � � � � � � � � ����� 3. Ihr werdet zu einem Skiunfall an der Talstation gerufen. Vor Ort findet ihr einen ca. 13-jährigen Schüler, dessen rechtes Ohr bzw. Schädelhälfte mit einem Schal komprimiert wird. Ein Teil des Ohres ist durch die scharfen Skikanten eines anderen Schülers abgetrennt worden. Das abgetrennte Stück Ohr hat ein weiterer Schüler in ein sauberes Stofftaschentuch gewickelt. Der verletzte Schüler zeigt deutliche Schockanzeichen. Amputat (in Kompresse eingeschlagen) Übungsfragen 1. Welche Unterschiede gibt es in der Versorgung zwischen einem abgetrennten Finger und einem ausgeschlagenen Zahn (komplett mit Wurzel)? 2. Worauf müsst ihr bei der Kühlung eines abgetrennten Körperteiles achten? 3. Was könnt ihr tun, wenn kein Eis oder Eiswürfel zur Verfügung stehen? 4. Wie lange kann ein abgetrenntes Körperteil ordnungsgemäß gelagert werden, ehe es wieder angenäht (replantiert) werden kann? 5. Was ist bei der Versorgung eines Amputats zu beachten, wenn dieses verschmutzt ist? 104 5. Chirurgische Notfälle 5.9 Fremdkörperverletzung, Pfählungsverletzung Störung und Gefahren Durch massive Gewalteinwirkung können spitze oder stumpfe Gegenständen in den Körperstamm oder in Extremitäten eindringen oder sie durchstoßen. Dabei können Gefäße, Nerven oder auch Organe lebensgefährlich verletzt werden. Würde man am Unfallort diese Fremdkörper entfernen, können weitere Verletzungen entstehen. Große Schwierigkeiten können sich in Einzelfällen bei der Stillung von starken Blutungen ergeben. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Zu Pfählungsverletzungen kann es kommen, wenn der beschleunigte menschliche Körper in spitze oder stumpfe Gegenstände stürzt oder geschleudert wird (z.B. Skifahrer stürzt in Skistock), oder indem beschleunigte Gegenstände in den Körper eindringen (z.B. Nagelschussapparat). In Einzelfällen müssen Anlagen oder Gegenstände abgebaut oder abgetrennt werden, damit der Betroffene gerettet werden kann. ...geiil ! ...geiil! Maßnahmen An erster Stelle muss die Stillung der ggf. lebensbedrohlichen Blutungen erreicht werden. Unter Umständen muss der Betroffene aus der bedrohlichen Lage (z. B. aufgespießt im Jägerzaun) befreit werden (u. U. technische Hilfe anfordern, z.B. Feuerwehr, THW). Offene Verletzungen müssen steril abgedeckt oder verbunden werden. Fremdkörper möglichst großzügig abpolstern. Fremdkörper dürfen auf keinen Fall entfernt werden! Schockbekämpfung und Wärmeerhaltung sollten so früh wie möglich durchgeführt werden (frühzeitige Sauerstoffgabe, Schocklage!). Überblick über die Maßnahmen bei Fremdkörperverletzung, Pfählungsverletzung ■ ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild bei Fremdkörperverletzung, Pfählungsverletzung ■ ■ ■ ■ starke Schmerzen Schock durch lebensbedrohliche Blutungen Bewegungseinschränkung, evtl. Ausfallerscheinungen der betroffenen Körperregion Atemnot, Atemstillstand (bei Brustkorbverletzungen) Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen Stillung lebensbedrohlicher Blutungen Wundversorgung Fremdkörper nicht entfernen Sauerstoffgabe Wärmeerhalt lückenlose Überwachung und Dokumentation 105 5. Chirurgische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ihr werdet am Abend auf eine Skipiste gerufen. Ein älterer Skifahrer ist bei seiner nächtlichen Talfahrt gestürzt und hat sich dabei den abgebrochenen Skistock durch den Oberschenkel gestoßen. Der Skistock schaut auf beiden Seiten ca. 20 cm heraus. Wie geht ihr medizinisch und einsatztaktisch vor? 1. Wie versorgt ihr eine Fremdkörperverletzung durch ein Eisgerät, welches im Oberschenkel eingedrungen ist? 2. Ein Radfahrer ist auf einer Forststraße vom Fahrrad gefallen und in einen abgebrochen Ast gestürzt. Der Fahrradfahrer wurde am Unterbauch aufgespießt. Der Ast befindet sich noch in der Wunde. Es liegt nur eine leichte Blutung vor. Der Radfahrer ist wach und ansprechbar. Wie geht ihr medizinisch und einsatztaktisch vor? 3. Welche Möglichkeiten der Blutstillung im Bereich der Extremitäten kennt ihr? 3. Ihr werdet zu einer Hüttenbaustelle gerufen. Dort hat sich ein Handwerker mit einem Nagelschussapparat einen Nagel durch die linke Hand geschossen. Die Wunde blutet nur sehr gering. Der Handwerker will den Nagel möglichst schnell entfernen. Wie versorgt ihr den Betroffenen? Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 2. Mit welchen Gefahren und Spätschäden muss bei Pfählungsverletzungen gerechnet werden? 4. Welche Maßnahmen zur Stabilisierung von eingedrungenen Fremdkörpern kennt ihr? 5. Warum darf ein eingedrungener Fremdkörper nicht entfernt werden? 106 5. Chirurgische Notfälle 5.10 Mehrfachverletzung (Polytrauma) Definition Bei Patienten mit Mehrfachverletzungen (Polytraumata) führen entstandene Verletzungen in verschiedenen Körperregionen zu akuten Störungen der Vitalfunktionen, wobei von mindestens einer Verletzung oder aus der Kombination der verschiedenen Verletzungen akute Lebensgefahr ausgeht (sog. Polytrauma). Überblick über das Erscheinungsbild bei Mehrfachverletzungen ■ ■ ■ ■ Störung und Gefahren Mehrfachverletzte sind erheblich stärker gefährdet als Patienten, die eine einzelne lebensbedrohliche Verletzung haben. Mehrere Einzelverletzungen können sich in ihrer störenden Wirkung auf den Gesamtorganismus gegenseitig verstärken. Bei einem Polytrauma sind die Vitalfunktionen durch die Verletzungen z.B. der Lungen (Thorax- Trauma) oder des Gehirns (Schädel-Hirn-Trauma) gestört. Zusätzlich kann sich aufgrund von Bauch- oder Extremitäten Verletzungen und den damit verbundenen Blutungen ein lebensbedrohlicher Schock entwickeln. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Der Unfallhergang lässt Rückschlüsse auf das Verletzungsmuster zu und ist damit für die weitere Versorgung des Patienten entscheidend. Durch die Schwere der Verletzungen können die Vitalfunktionen gestört oder ausgefallen sein. Häufig sind Verletzungen am Körperstamm oder an den Extremitäten erkennbar, weitere Verletzungen lassen sich oft erst nach einer gründlichen Erstuntersuchung erkennen. Aufgrund der Schwere und Vielzahl der Verletzungen kann innerhalb kurzer Zeit ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 ■ Unfallhergang sichtbare Verletzungen akute Störung der Vitalfunktionen (z.B. Schock, Atemstörung) innere Verletzungen (Ganzkörpercheck!) sich rasch verschlechternder Allgemeinzustand Überblick über die Maßnahmen bei Mehrfachverletzungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Maßnahmen Die Beachtung des Eigenschutzes steht an erster Stelle. Ggf. muss eine Rettung aus der Gefahrenzone (Steinschlag) erfolgen, um den Betroffenen an einem sicheren Ort weiter versorgen zu können. Als erstes werden die Vitalfunktionen überprüft. Die Stabilisierung der Vitalfunktionen, hat absoluten Vorrang vor der Behandlung einzelner Verletzungen! Ein Notarzt muss möglichst früh hinzugezogen werden. Informationen über den Unfallhergang müssen dem Notarzt mitgeteilt werden, damit er auf das Verletzungsmuster schließen kann. Sind die Vitalfunktionen gesichert, erfolgt ein Ganzkörpercheck, um die Reihenfolge des weiteren Vorgehens festzulegen. Eine grundlegende Versorgung von Mehrfachverletzten erfolgt immer mit HWS-Schiene und Vakuummatratze, um den Verletzten schonend und fachgerecht lagern zu können. Die weitere Versorgung richtet sich nach der Schwere der Verletzungen bzw. dem Verletzungsmuster. Es muss ein rascher Transport in ein geeignetes Krankenhaus erfolgen. ■ ■ ■ ABC-Sicherung ggf. starke Blutungen stillen Notarzt rufen Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Ganzkörpercheck Sauerstoffgabe Wundversorgung Lagerung mit HWS-Schiene und Vakuummatratze Wärmeerhalt zügiger Transport in eine geeignete Klinik lückenlose Überwachung und Dokumentation 107 5. Chirurgische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ihr beobachtet den Absturz eines Gleitschirms von eurer Vorauseinsatzwache aus. Nach ca. 30 Minuten Suche findet ihr den bewusstlosen Piloten mit einer offenen Unterschenkelfraktur und mit einer leichten Blutung aus dem linken Ohr vor. Wie geht ihr hierbei vor? 1. Was ist ein Polytrauma? 2. Ihr werdet mit mehreren Bereitschaften zu einer abgestürzten Gondel gerufen. Es ist nicht ganz klar, wie viele Verletzte es gegeben hat und ein Hubschrauber kann wegen Nebels nicht kommen. Ihr seid die Ersten, die die Einsatzstelle erreichen. Ihr findet drei ansprechbare Patienten und zwei Bewusstlose vor. Ihr habt nur Euer Sanitätsmaterial dabei und keinen Notfallrucksack. Was macht ihr? 2. Was sind bedrohliche Gefahren bei einem Polytrauma? 3. Was ist der Standard bei der Versorgung von Mehrfachverletzten? 4. Welche Verletzung muss zuerst bei einem Polytrauma versorgt werden? 5. Warum ist es erforderlich, Mehrfachverletzte zügig in ein geeignetes Krankenhaus zu transportieren? 3. An einem schönen Sommernachmittag werdet ihr zu einem gestürzten Mountainbike-Fahrer gerufen. Der Rettungshubschrauber ist ebenfalls unterwegs. Die Unfallstelle befindet sich auf einer Forststraße in einem dichten Waldstück. Der Verletzte ist ansprechbar und klagt über Atemnot und Schmerzen im linken Thoraxbereich sowie über starke Schmerzen im rechten Oberschenkel. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 108 6. Thermische Notfälle Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 109 6. Thermische Notfälle 6.1 Unterkühlung Störung und Gefahren Der menschliche Organismus besitzt die Fähigkeit, seine Körpertemperatur auch bei großen Unterschieden zur Umgebungstemperatur, konstant bei einem Normalwert von ca. 37 Grad Celsius zu halten. Bei einem Abfall der Körperkerntemperatur (KKT) unter 35°C spricht man von einer allgemeinen Unterkühlung (Hypothermie). Die Körperschale (Extremitäten) ist üblicherweise kühler als der Körperkern. Die Temperatur des Körperkerns wird möglichst lange konstant gehalten. Im Körperkern liegen die lebensnotwendigen Organe, die zusammen mit der Skelettmuskulatur für die Wärmeproduktion verantwortlich sind. In der Körperschale findet die Temperaturabgabe an die Umgebung statt. Die gewichtsbezogene Körperoberfläche ist bei Säuglingen/ Kleinkindern größer als bei Erwachsenen, daher ist hier das Unterkühlungsrisiko erhöht. Eine Unterkühlung entsteht, wenn die Wärmeabgabe des Körpers über einen längeren Zeitraum größer ist als die Wärmeproduktion. Mögliche Ursachen sind Bewegungseinschränkungen aufgrund von Verletzung oder Erkrankung, unzureichende Kleidung, Erschöpfung, mangelnde Energie- und Flüssigkeitszufuhr, Sturz in kaltes Wasser oder ein Lawinenunfall. Äußere Einflüsse wie Temperatur, Wind und Niederschlag haben ebenso Einfluss auf die Auskühlungsgeschwindigkeit (sog. Windchill-Effekt). Die Hilfeleistung orientiert sich am jeweiligen Unterkühlungsstadium, in dem der Betroffene sich befindet. Dabei ist besonderes Augenmerk auf Begleitverletzungen, wie z.B. Erfrierungen, zu legen! Beim aktiven und passiven Bewegen unterkühlter Patienten kann es zur Durchmischung von kaltem Schalenblut mit warmem Kernblut kommen. Dies führt zu einem weiteren Abfall der Körperkerntemperatur mit den entsprechenden Folgen (Bewusstlosigkeit, Herz-Kreislauf-Stillstand). Diesen Vorgang nennt man „after-drop“. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Die Unterkühlungsstadien kann man in 4 verschiedene Stadien unterteilen. Die hier verwendete Zuordnung von Stadien zur Körperkerntemperatur wurde von der IKAR (Internationale Kommission für Alpines Rettungswesen) definiert. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 35° 37° 34° 36° 30° 28° 34° 26° 28° 20° 28° Normale Verteilung Verteilung bei maximaler Zentralisation 1. Stadium: leichte Unterkühlung (Hypothermie Grad I) 35-32°C KKT Die Körpertemperatur ist noch nicht unter 32 Grad abgesunken. Der Körper versucht einer allgemeinen Unterkühlung dadurch zu begegnen, dass er vermehrt Wärme produziert (u.a. durch Kältezittern). Gleichzeitig wird durch verminderte Durchblutung der Körperoberfläche (Arme, Beine, Haut) die Wärmeabgabe verringert. Die Haut ist blass und kalt. Betroffene klagen über Schmerzen vornehmlich an Händen, Füßen und Knien. Atmung und Kreislauf sind zunächst gesteigert. 110 6. Thermische Notfälle 2. Stadium: mittelschwere Unterkühlung (Hypothermie Grad II) 32-28°C KKT Die Körperkerntemperatur ist unter 32 Grad abgesunken. Der Betroffene atmet langsamer, die Pulsfrequenz und der Blutdruck sinken. Das Kältezittern ist beendet. Der Betroffene wird zunehmend bewusstseinsgetrübt. Das Schmerzempfinden lässt nach. 3. Stadium: schwere Unterkühlung (Hypothermie Grad III) 28-24°C KKT Der Betroffene ist bewusstlos, die Atmung ist flach und langsam, Puls und Blutdruck langsam und niedrig. Das Schmerzempfinden ist nur noch schwach vorhanden. Im weiteren Verlauf können Atem- und Kreislaufstillstand eintreten. 4. Stadium: sehr schwere Unterkühlung (Hypothermie Grad IV) unter 24°C KKT Der Betroffene ist bewusstlos, Atmung ist nicht mehr feststellbar, ein Puls kann nicht mehr getastet werden. Die Muskelspannung kann erhöht oder schlaff sein. Die tiefste bisher überlebte Temperatur war 13,7°C KKT. Maßnahmen 1. Stadium: leichte Unterkühlung Herstellen windgeschützter Verhältnisse. Bei leicht unterkühlten, unverletzten Patienten sollten nasse Kleider entfernt und trockene Bekleidung angezogen werden. Zufuhr von heißen, gezuckerten Getränken und eine zusätzliche Isolation durch Rettungsdecke, Biwaksack und Wolldecken können sehr hilfreich sein. Unverletzte Personen, die sich problemlos aufwärmen lassen, müssen nicht in jedem Fall in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Bei verletzten, unterkühlten Personen sollen nasse Kleidungsstücke soweit möglich gewechselt werden. Ein weiteres Auskühlen verhindert man mit Wärmebeuteln und Isolation durch Rettungsdecke, Decken und Vakuummatratze. Unterkühlte Patienten mit Verletzungen werden immer in ein Krankenhaus eingewiesen. 1. Stadium: leichte Unterkühlung (Hpothermie Grad I) 35-32°C KKT Maßnahmen 2. Stadium: mittelschwere Unterkühlung Herstellen windgeschützter Verhältnisse, vorsichtiges Entfernen nasser Kleidung und die Anlage einer Wärmepackung sind die entscheidenden Maßnahmen bei diesen Patienten. Ist der Patient noch ausreichend ansprechbar können heiße gezuckerte Getränke zugeführt werden. Diese Patienten intensiv überwachen! Jede unnötige Bewegung soll vermieden werden. Alle Patienten müssen in ein Krankenhaus mit Intensivstation. 2. Stadium: mittelschwere Unterkühlung (Hypothermie Grad II) 32-28°C KKT Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ansprechbar Kältezittern kalte Extremitäten Überblick über die Maßnahmen ■ ■ 5. Stadium: Tod (Hypothermie Grad V) Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Wärmeerhalt heiße, gezuckerte Getränke zuführen lückenlose Überwachung und Dokumentation zunehmende Bewusstseinstrübung kalte Extremitäten ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen Wärmeerhalt nicht unnötig bewegen wenn möglich heiße, gezuckerte Getränke zuführen schonender Transport lückenlose Überwachung und Dokumentation 111 6. Thermische Notfälle Maßnahmen 3. Stadium: schwere Unterkühlung (Hypothermie Grad III) 28-24°C KKT Diese Patienten müssen intensiv überwacht werden, jede Bewegung sollte vermieden werden. Bei erhaltenem Kreislauf wird eine Wärmepackung angelegt. Alle Patienten bekommen Sauerstoff. Bewusstlose Patienten werden in stabile Seitenlage gebracht. Diese Patienten sollten in ein geeignetes Krankenhaus geflogen werden (Abklärung über RLST). Maßnahmen 4. Stadium: sehr schwere Unterkühlung (Hypothermie Grad IV) unter 24°C KKT Bei diesen Patienten sollte unverzüglich mit den Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen werden. Eine aktive Wärmezufuhr ist hier nicht mehr sinnvoll, die weitere Auskühlung sollte aber unter allen Umständen vermieden werden. Diese Patienten müssen in eine Klinik mit Herz-Lungen-Maschine geflogen werden. Die Reanimation wird solange fortgeführt, bis der Patient wieder auf normale KKT erwärmt ist. 3. Stadium: schwere Unterkühlung (Hypothermie Grad III) 28-24°C KKT 4. Stadium: sehr schwere Unterkühlung (Hypothermie Grad IV) unter 24°C KKT Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ Bewusstlosigkeit kalte Extremitäten Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen Wärmeerhalt nicht unnötig bewegen schonender Transport lückenlose Überwachung und Dokumentation Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Kreislaufstillstand kalte Extremitäten, kalter Körperstamm ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen Herz- Lungen-Wiederbelebung nicht unnötig bewegen Wärmeerhalt Transport in eine Klinik mit Herz-Lungen-Maschine lückenlose Überwachung und Dokumentation Als Grundregeln bei der Versorgung gelten: Niemand ist tot, es sei denn er ist warm und tot! Jeder bewusstseinsgetrübte Patient ist vital gefährdet. Der Wärmeerhaltung kommt bei den Maßnahmen eine entscheidende Bedeutung zu. Einfache Maßnahmen wie das Herstellen windstiller Verhältnisse und das Entfernen nasser Kleidung, verzögern die weitere Auskühlung erheblich. Eine isolierende Kopfbedeckung (Mütze) verhindert eine Wärmeabgabe über den Kopf. Mit chemischen Wärmebeuteln, die an den Körperstamm gelegt werden, kann die Auskühlung weiter verlangsamt werden. Den besten Effekt erzielt man, indem Wärmebeutel an den Körperstamm gelegt werden und der Patient in Decken oder Schlafsack und einen Wärmesack gehüllt wird. Die Decken sollen möglichst eng anliegen und dicht abschließen. 112 6. Thermische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ihr findet im Rahmen einer groß angelegten Vermisstensuche einen seit zwei Tagen vermissten ca. 75-jährigen Mann in einem Bergwald vor. Der Betroffene ist leicht bekleidet, blass und nur bedingt ansprechbar. 1. Was sind die wesentlichen Unterschiede der einzelnen Unterkühlungsstadien? 2. Ihr werdet zu einem Lawinenabgang gerufen. Ihr findet einen bewusstlosen Skitourengeher noch in der Lawine vor. Eine Atemhöhle ist vorhanden. Die Atmung des Sportlers ist sehr verlangsamt. 3. Ihr werdet mit eurer Bereitschaft zu einem Canyoning-Unfall gerufen. Der Betroffene macht einen leblosen Eindruck und befindet sich noch im Wasser. Angehörige berichten, dass er seit ca. 20 Minuten im Wasser ist und sie nicht in der Lage waren, ihn zu retten. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Wie ist die Wärmepackung zu verwenden und welchen Vorteil bringt sie? 3. Warum darf bei Unterkühlungen in der Erstversorgung kein Alkohol gegeben werden? 4. Warum und wann werden heiße gezuckerte Getränke bei einer Unterkühlung gegeben? 5. Wie lange würdet ihr einen Betroffenen mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand reanimieren? 113 6. Thermische Notfälle 6.2 Erfrierungen Störung und Gefahren Erfrierungen sind örtliche Schädigungen des Gewebes durch Kälteeinwirkung. Dabei werden die betroffenen Regionen unzureichend durchblutet. Eine örtliche Erfrierung kann bereits bei Temperaturen unter +6°C entstehen. Infolge der Kälteeinwirkung kommt es zu einer Engstellung der Gefäße an den körperfernen Stellen, wie Finger, Zehen, Nasenspitze, Ohren und Wangen. Sie werden begünstigt durch zu enge Kleidung und Schuhwerk, körperliche Erschöpfung, Rauchen, Verletzungen (Schonhaltung) und großen Flüssigkeitsverlust. Dabei verlangsamt sich durch Verengung der Blutgefäße die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes in den Endgefäßen. Es kommt zur Verklumpung von roten Blutkörperchen und Blutplättchen. Einen wesentlichen Einfluss auf das Auftreten von Erfrierungen haben die Umgebungstemperatur und die Windgeschwindigkeit. Man spricht hier von der hautwirksamen Temperatur in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit. Häufig haben Patienten mit einer lokalen Erfrierung eine Unterkühlung. Diese muss dann vorrangig behandelt werden. Wenn erfrorene Extremitäten wieder erwärmt werden, kommt es durch Flüssigkeitsansammlung zur Anschwellung von Zellen. Frieren diese Zellen nun ein zweites mal innerhalb kurzer Zeit ein, kommt es durch Kristallbildung zur Zerstörung der Zellen und damit unter Umständen zum Verlust einer ganzen Extremität. Deshalb muss unter allen Umständen ein erneutes Abkühlen verhindert werden. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Windegeschwindigkeit Entsprechender Abkühleffekt auf der ungeschützten Haut bei Windstille (Temperatur °C) in m/Sek. (km/h) Windstille 10 5 0 -5 -10 -15 -20 -25 -30 -35 Schwacher Wind 1,5 - 3,5 (6,4 - 12,6) 8 3 -4 -14 -20 -23 -26 -28 -33 -38 Mäßiger Wind 3,5 - 8 (12,6 - 28,8) 4 -2 -10 -21 -25 -32 -38 -45 -52 -55 Frischer Wind 8 - 14 (28,8 - 50,4) 0 -7 -15 -25 -28 -36 -48 -56 -63 -66 Starker Wind -3 14 - 21 (50,4 - 75,6) -11 -18 -27 -33 -39 -51 -57 -65 -73 Stürmischer Wind -4 21 - 25 (75,6 - 90,0) -12 -19 -28 -36 -43 -52 -60 -68 -76 Hohe Gefahr von Frostschäden Sehr hohe Gefahr von Frostschäden 114 6. Thermische Notfälle Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Bei der Erstversorgung einer Erfrierung sind nur die Frühschäden zu erkennen. Diese sind häufig an Fingern, Zehen, Nase, Ohren und im Gesichtsbereich erkennbar. Durch den fließenden zeitlichen Verlauf einer örtlichen Erfrierung ist es am Unfallort kaum möglich, zwischen den einzelnen Schweregraden eine Unterscheidung zu treffen. 1. Grad Es sind weiße, kalte, gefühllose Körperteile in den ersten 24 Stunden zu erkennen. Es können Schmerzen in den Randbereichen auftreten. 2. Grad Es kann nach Tagen eine Blasenbildung hinzukommen, die in der leichteren Form klar bleiben, in der schwereren Form aber mit Blut gefüllt sind. Maßnahmen im Gelände Als erstes muss man abklären, ob zusätzlich eine Unterkühlung vorliegt. Diese muss vorrangig behandelt werden, da sie für den Patienten lebensbedrohlich sein kann. Der Betroffene soll möglichst frühzeitig heiße, gezuckerte Getränke bekommen, um zentral aufgewärmt zu werden. Keinen Alkohol verabreichen! Die erfrorenen Körperteile sollen möglichst schnell durch die eigene Körperwärme wieder erwärmt werden. Ein erneutes Abkühlen der betroffenen Körperteile ist in jedem Fall zu verhindern. Maßnahmen im Gelände Überblick bei Erfrierungen ■ ■ ■ ■ ■ 3. Grad Es kann sich innerhalb von Tagen bis Wochen nach dem Erwärmen totes, schwarzes Gewebe (Nekrosen) abgrenzen. ■ ■ ■ ■ ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild bei Erfrierungen ■ ■ ■ weiße, kalte und gefühllose Körperteile (z.B. Finger, Zehen, Nase) Blasenbildung (evtl. erst nach Tagen) totes, schwarzes Gewebe (erst nach Tagen bis Wochen) Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ■ windgeschützte Umgebung schaffen ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere/Situation Unterkühlung vorrangig versorgen heiße, gezuckerte Getränke (kein Alkohol) Wärmeerhalt, ggf. Wärmepackung Erwärmen der erfrorenen Körperteile durch Körperwärme (z.B. unter den Achseln) keine Salben, kein Einreiben mit Schnee, nicht massieren! sterile, lockere Verbände, wobei das erneute Abkühlen der betr. Körperteile ausgeschlossen werden muss betroffene Körperteile druckfrei lagern liegt keine Unterkühlung vor, soll der Betroffene die Körperteile aktiv bewegen lückenlose Überwachung und Dokumentation Die betroffenen Körperteile müssen mit sterilen lockeren Verbänden versorgt werden (Ausnahme Gesicht). Ebenso sollten sie druckfrei gelagert und abgepolstert werden. Es dürfen keine Salben aufgetragen werden, auch nicht mit Schnee abreiben oder massieren! Liegt keine Unterkühlung vor, soll der Betroffene die Körperteile aktiv bewegen. Maßnahmen in warmer Umgebung Dem Betroffenen heiße, gezuckerte Getränke verabreichen. Für die geschädigten Körperteile ist schnelles Erwärmen im Wasserbad (außer im Gesicht) die beste Möglichkeit. Dies scheitert aber oft an unerträglichen Schmerzen. Als praktikabel hat sich erwiesen, mit niedriger Wassertemperatur zu beginnen und nur soviel warmes Wasser dazuzugeben, wie der Betroffene gerade noch aushält. Hat der Verletzte selbst Schmerzmittel dabei, kann er diese vorher einnehmen (z.B. ASS, Ibuprofen usw.). Sollte der Betroffene bereits Erfrierungsblasen haben, so werden diese nicht geöffnet. Spezielle Maßnahmen in warmer Umgebung ■ ■ ■ ■ ■ ■ warme Raumtemperatur heiße, gezuckerte Getränke (kein Alkohol) Erwärmung des Körperteils in einem körperwarmem Wasserbad Blasen nicht öffnen sterile, druckfreie Verbände ggf. Schmerzmittelgabe 115 6. Thermische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Im Rahmen einer Vermisstensuche wird eine verwirrte ca. 80-jährige Frau in einem verschneiten Waldgebiet aufgefunden. Sie muss dort mehrere Stunden in Sandalen statt festem Schuhwerk umhergeirrt sein. Bei einer näheren Untersuchung stellt ihr fest, dass die Zehen und Finger blass verfärbt und steif sind. 1. Warum dürfen Erfrierungen nicht massiert, mit Schnee abgerieben oder mit Salben behandelt werden? 2. An einem Wintertag bricht ein Schneesturm los und ihr werdet zu einer Suche nach einem vermissten Skitourengeher alarmiert. Nach einigen Stunden wird der Betroffene gefunden. Bei der näheren Erstuntersuchung stellt ihr fest, dass der Betroffene keine Handschuhe mehr trägt und die Finger kalt und gefühllos sind. 2. Darf ein Betroffener mit Erfrierungen sich aktiv bewegen, wenn gleichzeitig eine Unterkühlung vorliegt? 3. Von welchen Faktoren ist es abhängig, ob eine Erfrierung auftritt? 4. Warum dürfen Blasen einer Erfrierung nicht am Einsatzort geöffnet werden, um Druckschmerzen zu entlasten? 3. Ihr werdet von der Leitstelle zu einem verunfallten Skilangläufer gerufen. Da kein Flugwetter herrscht, braucht ihr ca. 1 Stunde bis zur Unfallstelle. Dort findet ihr einen ca. 45-jährigen Mann vor, der von der Loipe abgekommen und in ein Bachbett gestürzt ist. Der rechte Unterschenkel befindet sich in einer abnormen Lage. Der Betroffene klagt über stärkste Schmerzen in den Zehen und den Fingern, die bläulich blass sind. Weiterhin zeigt der Verletzte nur ein geringes Kältezittern und wird zunehmend schläfrig. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 116 6. Thermische Notfälle 6.3 Sonnenstich Störung und Gefahren Der Sonnenstich unterscheidet sich von den anderen Hitzeschäden dadurch, dass nicht der gesamte Körper, sondern zunächst nur der Kopf betroffen ist. Wenn die UV-Strahlen der Sonne lange Zeit auf den unbedeckten Kopf oder Nacken einwirken, kann eine Reizung der Hirnhäute hervorgerufen werden. Es kommt zum Anschwellen des Gehirns und der Gehirnhäute. Da eine Ausdehnung innerhalb des Schädels nicht möglich ist, kommt es zu den entsprechenden Auswirkungen und Anzeichen, wie z.B. bei Schädelverletzungen. Besonders Personen mit geringer Kopfbehaarung, Säuglinge und Kleinkinder sind davon betroffen und gefährdet. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Die betroffenen Personen haben sich längere Zeit unter direkter Sonneneinstrahlung aufgehalten. Infolge dessen kann es zu stechenden Kopf- und Nackenschmerzen mit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen kommen. Oft entwickelt sich eine Nackensteifigkeit aufgrund einer Reizung der Gehirnhäute . Die Körpertemperatur des Erkrankten liegt im normalen Bereich, jedoch zeigt er häufig einen hochroten und heißen Kopf. In manchen Fällen kommt es zu Sehstörungen, seltener zu Bewusstseinsstörungen und Krampfanfällen. Die Symptome können auch mit einer Verzögerung von mehreren Stunden auftreten. Maßnahmen Der Betroffene muss in den Schatten gebracht werden bzw. es wird Schatten vor Ort hergestellt. Die Lagerung richtet sich nach der Bewusstseinslage, idealerweise aber mit erhöhtem Oberkörper. Der Kopf sollte gekühlt werden. Dies kann durch Auflegen feuchter Tücher auf die Stirn und den Nacken (Verdunstungskälte) oder durch Luftzirkulation geschehen. Die Vitalfunktionen müssen ständig überwacht und der Betroffene psychisch betreut werden. Auch ist darauf zu achten, dass der Betroffene keiner Sonneneinstrahlung mehr ausgesetzt wird (Rückfallgefahr). Der Erkrankte ist auf jeden Fall in eine Klinik zu transportieren. Überblick über die Maßnahmen bei Sonnenstich ■ Überblick über das Erscheinungsbild bei Sonnenstich ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Kopfschmerzen mit Schwindel, Ohrensausen und evtl. Sehstörungen hochroter, heißer Kopf bei normaler Körpertemperatur Übelkeit und Erbrechen Nackensteifigkeit- und schmerzen Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit evtl. Krampfanfälle Auftreten der Symptome bis zu 8 Stunden später ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen in schattige, kühle Umgebung bringen bei Bewusstseinstörungen oder instabilem Kreislauf Notarzt rufen Oberkörperhochlagerung Kopf und Nacken kühlen auf Rückfallgefahr achten lückenlose Überwachung und Dokumentation 117 6. Thermische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Eine Familie kommt mit ihren beiden Kindern zu dir in die Diensthütte. Ein Kind hat starke Kopfschmerzen mit Schwindel und hat bereits erbrochen. Die Familie war seit einigen Stunden ohne Kopfbedeckung in der prallen Sonne unterwegs. 1. Welche Erkennungszeichen für einen Sonnenstich sind dir bekannt? 2. Ein Bergbauer hat mehrere Stunden Heu an einem Südhang gemäht. Der Himmel ist wolkenlos und die Temperatur liegt bei über 30 Grad. Der Betroffene klagt über Sehstörungen und Nackensteifigkeit. 3. Warum kann ein Sonnenstich lebensbedrohlich werden? 3. Bei einer Bergmesse bricht der Geistliche während der Predigt zusammen. Bei der Erstuntersuchung stellt ihr eine normale Körpertemperatur aber einen hochroten heißen Kopf fest. Der Pfarrer ist im weiteren Verlauf weiterhin bewusstlos und hat immer wieder kurze Krampfanfälle. 5. Welche anderen Erkrankungen können eine Nackensteifigkeit wie bei einem Sonnenstich auslösen? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Mit welchen anderen akuten Erkrankungen bzw. internistischen Notfällen kann ein Sonnenstich verwechselt werden? 4. Warum kann es häufig bei Kleinkindern unter Umständen erst später zu Erkennungszeichen kommen? 118 6. Thermische Notfälle 6.4 Hitzeerschöpfung, Hitzschlag Hitzeerschöpfung Störung und Gefahren Eine Hitzeerschöpfung entsteht in der Regel, wenn bei größerer Hitze und/oder hoher Luftfeuchtigkeit, meist in Kombination mit körperlicher Anstrengung, unzureichend Flüssigkeit aufgenommen wird. Der Körper verliert durch Schwitzen große Mengen Flüssigkeit und Mineralien (Verbrauch beim Bergsteigen ca. 4 bis 6 Liter Flüssigkeit / Tag). Die Austrocknung (Dehydrierung) zeigt sich z.B. durch stehende Hautfalten. Durch den entstandenen Volumenmangel kann es zum Kreislaufzusammenbruch kommen. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Der Betroffene klagt über Schwindel-, Schwäche- und Durstgefühl. Es zeigen sich Schockanzeichen (z.B. erst gerötete, später blasse und kaltschweißige Haut, Blutdruckabfall, beschleunigter Puls und Atmung, Muskelzittern). Auch Muskelkrämpfe können auftreten. Die Körpertemperatur liegt noch im normalen Bereich (Hitzeerschöpfung kann unter Umständen das Vorstadium eines Hitzschlages sein!). Maßnahmen Nach dem Ganzkörpercheck den Betroffenen flach lagern. Stellt man Schockzeichen oder instabile Kreislaufverhältnisse fest, sofort einen Notarzt nachalarmieren! Bei erhaltenem Bewusstsein gibt man dem Erkrankten Flüssigkeit, ideal sind isotonische Getränke. Zusätzlich ist für eine längere Ruhephase zu sorgen. Bewusstlose werden in die stabile Seitenlage gebracht. Überwachung der Vitalfunktionen bis zur Übergabe an den Rettungsdienst oder Klinik. Überblick über das Erscheinungsbild bei Hitzeerschöpfung ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Schwindel, Schwäche, Durst stehende Hautfalten blasse Haut und später kaltschweißig beschleunigter Puls, niedriger Blutdruck, erhöhte Atemfrequenz normale Körpertemperatur evtl. Muskelkrämpfe Überblick über die Maßnahmen bei Hitzeerschöpfung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen flache Lagerung Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation Flüssigkeit zu trinken geben für Ruhephase sorgen lückenlose Überwachung und Dokumentation 119 6. Thermische Notfälle Hitzschlag Störungen und Gefahren Ein Hitzschlag entsteht durch einen Wärmestau im Körper. Bei feucht-schwüler Witterung, körperlicher Anstrengung und unzweckmäßiger Kleidung kann der Körper nicht genügend Wärme durch Verdunstung nach außen abführen. Es kommt zum Versagen der körpereigenen Temperaturregulation und zu einem Anstieg der Körpertemperatur auf über 40° C. Hieraus kann sich sehr schnell ein lebensbedrohlicher Zustand entwickeln! Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Der Betroffene klagt über Kopfschmerzen mit Schwindel und Übelkeit. Die Haut ist trocken, hochrot und heiß. Im fortgeschrittenen Stadium wird sie fahl grau und schließlich blau verfärbt. Puls und Atmung des Betroffenen sind beschleunigt. In schweren Fällen können Schock, Bewusstseinstrübung (bis hin zu Bewusstlosigkeit) und Krampfanfälle auftreten. Die Symptome zeigen sich im Verlauf von ein bis zwei Stunden. Maßnahmen Der Betroffene muss sofort an einen kühlen, schattigen Ort gebracht werden. Die Lagerung richtet sich nach der Bewusstseinslage, idealerweise aber mit erhöhtem Oberkörper. Die Kleidung soll geöffnet ggf. entfernt werden, während der Betroffene psychisch betreut wird. Auf Waden und Körperstamm sollten feuchtkalte Tücher aufgelegt werden, um die Körpertemperatur zu senken. Stehen diese nicht zur Verfügung, kann auch Wasser oder Desinfektionsspray (Verdunstungskälte) verwendet werden. Zusätzlich sollte Sauerstoff gegeben werden. Da es sich um einen lebensbedrohlichen Zustand handelt, der sich innerhalb kürzester Zeit verschlechtern kann, wird ein Notarzt gerufen und die Vitalfunktionen laufend überprüft. Überblick über die Maßnahmen bei Hitzschlag ■ ■ ■ ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild bei Hitzschlag ■ ■ ■ ■ ■ Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit hochrote, trockene und heiße Haut, später fahl grau beschleunigter Puls und Atmung hohe Körpertemperatur (bis über 40°C) Schock, Bewusstseinstrübung bis Bewusstlosigkeit, Krampfanfälle Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen Sauerstoffgabe Verbringen an einen schattigen Ort Oberkörper hoch lagern Kleidung öffnen Haut kühlen (Waden- und Brustwickel, Wasser, Desinfektionsspray) für Ruhephase sorgen lückenlose Überwachung und Dokumentation 120 6. Thermische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ein Bergwanderer steigt bei feucht-schwüler Witterung zu einem Gipfel auf. Mit dem Wissen, dass er zu wenig Getränke dabei hat, setzt er die Tour fort. Nach zwei Stunden bricht er erschöpft zusammen. 1. Worin liegt der Unterschied zwischen einer Hitzeerschöpfung und einem Hitzschlag? 2. Eine Gruppe von Jägern ist mit voller Ausrüstung auf dem Weg zu einer Jagdhütte unterwegs. Nach zwei Stunden Aufstieg bei feucht-schwüler Witterung bricht ein Jäger zusammen. Die Rettungsleitstelle alarmiert euch zu diesem Einsatz. 3. Ein Mountainbiker ist an einem heißen sonnigen Tag zu einer großen Bergrunde aufgebrochen. Nachdem er drei Stunden bei großer Hitze bergauf geradelt ist, stürzt er vom Rad und liegt bewusstlos am Boden. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Worin unterscheiden sich die Maßnahmen bei einem Hitzschlag und einer Hitzeerschöpfung? 3. Welche Getränke können bei der Hitzeerschöpfung dem Betroffenen gegeben werden? 4. Wie versorgt ihr den Betroffenen im Fall 2, da dieser an einer Stelle liegt, wo kein Einsatzfahrzeug hinkommt. 5. Wie kann man auf freien Flächen für einen Verletzten oder Erkrankten Schatten herstellen? 121 6. Thermische Notfälle 6.5 Verbrennung, Verbrühung, Sonnenbrand Störung und Gefahren Der Sonnenbrand ist ein Verbrennungsschaden der Haut, der durch das UV-Licht der Sonnenstrahlen verursacht wird. Verbrennungen entstehen auch durch Berührung mit heißen Gegenständen, offenem Feuer, Reibungshitze sowie durch elektrischen Strom (Blitzschlag) oder Bestrahlung. Wurden die Schäden durch heiße Flüssigkeiten oder heiße Dämpfe verursacht, nennt man sie Verbrühungen. Werden heiße Dämpfe oder Gase eingeatmet, kann dies zu einem lebensbedrohlichen Inhalationstrauma führen. Die Schwere der Schädigung hängt von der Temperatur, ihrer Einwirkdauer und der Größe der betroffenen Körperoberfläche ab. Durch den zerstörten Schutzmantel der Haut ist der Verletzte einer hohen Infektionsgefahr ausgesetzt. Generell entsteht beim Erwachsen ab ca. 10 bis 15% verbrannter Körperoberfläche ein lebendbedrohlicher Schockzustand (bei Kleinkindern bereits ab 5 - 10%), wobei die Handflächengröße der jeweiligen Person ca. 1% der Körperoberfläche entspricht. Bei schweren Verbrennungen (über 20% verbrannter Körperoberfläche) kann es nach einigen Tagen zu Regulationsund Funktionsstörungen im gesamten Organismus kommen, die als Verbrennungskrankheit bezeichnet wird. 9% Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Die Beurteilung einer Verbrennung / Verbrühung richtet sich nach dem Grad und der Größe der geschädigten Körperoberfläche: Bei Verbrennungen/Verbrühungen 1. Grades ist eine Hautrötung und geringe Schwellung erkennbar. Der Betroffene verspürt einen brennenden, ziehenden Schmerz. 18% Ist die Hautrötung bereits mit einer Blasenbildung und einer oberflächlichen Zerstörung der Haut verbunden, handelt es sich um eine Verbrennung/Verbrühung 2. Grades. Mithilfe der Neuner-Regel kann beim Erwachsenen das Ausmaß der betroffenen Körperoberfläche abgeschätzt werden. 15% 1% 18% 9,5% 17% Eine Verbrennung/Verbrühung 3. Grades ist gekennzeichnet durch die völlige Zerstörung des Deckgewebes. Es ist grauweiß. Schmerzen bestehen nur in der Übergangszone zu Grad 2. Ist der Körperteil völlig verkohlt spricht man von einer Verbrennung / Verbrühung 4. Grades. 9% 1% Erwachsener 2x 16% 9,5% 17% bis 5. Lebensjahr Überblick über das Erscheinungsbild der Schweregrade bei Verbrennung, Verbrühung ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 2x 18% 9% Beurteilung richtet sich nach Grad und Größe der geschädigten Körperoberfläche 1. Grad Hautrötung, Schwellung und Schmerz 2. Grad Rötung, Schwellung, Blasen, starker Schmerz 3. Grad weiße Haut, nachlassen der Schmerzen, Schädigung bis in die Tiefe 4. Grad völlige Verkohlung, keine Schmerzen Faustregel: Handfläche des Verletzten entspricht ca. 1% der Körperoberfläche 122 6. Thermische Notfälle Maßnahmen Die Rettung aus dem direkten Gefahrenbereich muss unter Berücksichtigung der Eigensicherheit an erster Stelle stehen. Kleiderbrände müssen sofort gelöscht werden (am besten mit Wasser). Steht kein Wasser zur Verfügung, werden die Flammen mit einer Decke erstickt oder der Betroffene wird am Boden gewälzt. Feuerlöscher sollten zum Ablöschen brennender Personen nur in Ausnahmen verwendet werden. Dabei darf der Löschstrahl nicht ins Gesicht gehalten werden. Bei Verbrühungen sollte die Kleidung möglichst rasch aber vorsichtig mittels Schere entfernt werden. Bei lokalen Verbrennungen ist zur Schmerzbekämpfung eine Kühlung mit lauwarmen Wasser zeitnah zum Unfall sinnvoll. Zur Vermeidung einer Unterkühlung ist zu beachten, dass grundsätzlich nicht der Körperstamm mit Wasser behandelt wird, sondern jeweils nur die geschädigte Körperregion. Die Dauer der Wasserbehandlung sollte auf max. 10 min. begrenzt werden, um ebenfalls eine Unterkühlung zu vermeiden! Bei Verbrennungen des 3. Grades ist kein Schmerzempfinden mehr vorhanden. Eine Kühlung ist deshalb nicht sinnvoll. Großflächige Verbrennungen des 3. Grades dürfen auf keinen Fall gekühlt werden. Patienten in diesem Zustand sind ggf. bereits „unterkühlt“! Wärmeerhalt beachten (Rettungsdecke) und Sauerstoff verabreichen! Die Kontrolle der Atmung ist dauerhaft notwendig, da bei Gesichtsverbrennungen, aber auch bei Verbrennungen und Verbrühungen größeren Ausmaßes, davon ausgegangen werden muss, dass der Verletzte eine schwere Schädigung der Atemwege erlitten hat. Hierbei können die Schleimhäute der Atemwege anschwellen, so dass es zu einer Verlegung der Atemwege mit schwerster Atemnot kommen kann. Frühzeitige Rücksprache mit der Leitstelle wegen eines Transportes in eine geeignete Klinik (Verbrennungsbett) halten. Überblick über die Maßnahmen bei Verbrennung, Verbrühung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Nach der Kühlung werden die Brandwunden keimfrei und locker bedeckt, um ein zusätzliches Eindringen von Krankheitserregern zu verhindern. Brandblasen werden wegen der Infektionsgefahr auf keinen Fall geöffnet! Es erfolgt keine Behandlung der Verletzungen mit Salben, Puder oder ähnlichem! Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ■ ■ Rettung aus Gefahrenbereich (Eigenschutz) Kleiderbrände löschen, Kleidung vorsichtig entfernen ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Abschätzen des Verbrennungsausmaßes Notarzt rufen je nach Verletzungsschwere / Situation örtliche Kühlung mit lauwarmen Wasser zur Schmerzbekämpfung (bis zum 2. Grad) Wunden keimfrei und locker bedecken Wärmeerhalt Sauerstoffgabe Überwachung der Vitalfunktionen lückenlose Überwachung und Dokumentation 123 6. Thermische Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. An einem sonnigen Wintertag kommt eine junge Frau zu euch in die Diensthütte und klagt über Schmerzen im Gesichts-, Brust- und Halsbereich. Ihr seht, dass die betroffenen Körperstellen krebsrot sind und kleine Blasen entstanden sind. Die Frau gibt an, in der Sonne eingeschlafen zu sein. 1. Von welchen Faktoren ist die Schwere einer Verbrennung bzw. einer Verbrühung abhängig? 2. Der Koch eines Berggasthofes hat sich einen Topf voll kochendem Wasser über beide Oberschenkel geschüttet. Er sitzt in der Küche auf einem Hocker und hat noch nichts unternommen. Eine Küchenhilfe steht aufgeregt daneben. Er gibt unerträgliche Schmerzen an. 2. Erkläre die Neunerregel! 3. Welche Temperatur sollte das verwendete Wasser zur Kühlung haben? 4. Warum sollte bei Verbrühungen die Kleidung noch vor der Kühlung mit Wasser entfernt werden? 5. Warum sollte die Kaltwasseranwendung nur 10 Minuten durchgeführt werden, und welche Risiken hat sie? 3. Beim Biwak zweier Bergsteiger kommt es zur Explosion eines Gaskochers. Ihr werdet von der Leitstelle alarmiert und rückt aus. Ihr findet die zwei Bergsteiger mit Verbrennungen im Gesicht und Verbrennungen an beiden Händen vor. Einer der beiden klagt über Atemnot, da er die Stichflamme eingeatmet hat. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 124 Hilfeee!...Windel... ...aber schneeelll! 7. Sonstige Notfälle Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 125 7. Sonstige Notfälle 7.1 Vergiftungen Allgemeine Störungen und Gefahren Unter Giften versteht man Stoffe, die im menschlichen Körper schwere, oft lebensbedrohliche Störungen hervorrufen können. Entscheidend für die schädigende Wirkung sind die Art, Menge, Konzentration und die Einwirkungszeit des Giftes. Es gibt eine Vielzahl von Giften, mit denen wir alltäglich umgehen z. B. Arzneimittel, Rauch- und Gärungsgase, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, Haushaltsreinigungsmittel, giftige Pflanzen und Pilze, verdorbene Lebensmittel usw. Ursachen für Vergiftungen: Brände, Silounfälle (Gase) Selbsttötungsabsichten Missbrauch von Drogen oder Alkohol Leichtsinn im Umgang mit Giftstoffen Verwechslung wegen mangelnder Kennzeichnung Unwissenheit und Neugier bei Kindern ■ ■ ■ ■ ■ ■ Verlauf und Erscheinungsbild Gifte gelangen über die Atemwege, die Schleimhäute, den Verdauungsweg oder die Haut in den Körper. Aber auch die Kombination von mehreren Aufnahmewegen (z.B. Atemwege und Haut oder Verdauungsweg und Schleimhäute) sind möglich. Überblick über das Erscheinungsbild bei Vergiftungen ■ ■ ■ Oft sind gerade bei einer Vergiftung die Anzeichen nicht eindeutig. Schweißausbrüche mit Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Bauchschmerzen, Durchfall, Krämpfe, Atem- und Kreislaufbeschwerden mit Bewusstseinseintrübung bis hin zu Atem- und Kreislaufstillstand sind die deutlichsten Anzeichen. Insbesondere bei Kindern erfordert es oft viel geduldiges Befragen, bis die Ursache für einen klaren Befund herausgefunden ist. Entscheidend für jede Hilfeleistung ist, dass bei ersten Anzeichen eines unklaren Erkrankungszustandes an eine mögliche Vergiftung gedacht wird, damit eine weitergehende Diagnose und schließlich sachgemäße Hilfe erfolgen kann. ■ ■ ■ ■ ■ ■ Übelkeit Erbrechen Bauchschmerzen, Durchfall Krämpfe, evtl. am ganzen Körper Schweißausbrüche, Schwindel Schockanzeichen Ringen nach Luft (vor allem bei Rauchgasvergiftungen) Bewusstseinstrübung bis Bewusstlosigkeit Atem- und Kreislaufstillstand Betrachtet man diese Ursachen, wird deutlich, dass viele Vergiftungen durch vorsichtigen, bewussten Umgang mit Giftstoffen durchaus vermeidbar sind. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 126 7. Sonstige Notfälle Maßnahmen Der Bergretter muss zuerst das Umfeld prüfen und die Eigengefährdung abschätzen, speziell bei Gas- und Brandunfällen und bei Vergiftungen mit Chemikalien (z.B. Chlor oder Unkrautvernichtungsmittel wie E605). Unmittelbare Rettung aus dem Gefahrenbereich! Anschließend Überprüfen der Vitalfunktionen, Versorgung und entsprechende Lagerung des Betroffenen. Beim Verdacht einer Vergiftung über Schleimhäute und Atemwege darf die Beatmung nur mit Hilfsmitteln erfolgen. Sicherstellung von Giftresten und Erbrochenem. Frühzeitig einen Notarzt hinzuziehen und die nächstgelegene Giftnotrufzentrale kontaktieren (z.B. Giftnotrufzentrale München im Klinikum Rechts der Isar, Tel.: 089/19240). Überblick über die Maßnahmen bei Vergiftungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Folgende Angaben sind dabei wichtig Alter der betroffenen Person Art und Konzentration des Giftes ungefähr eingenommene Menge ungefährer Zeitpunkt der Giftaufnahme Anzeichen der Vergiftung bereits durchgeführte Maßnahmen ■ Umfeld prüfen, Eigenschutz andauernd beachten Rettung aus unmittelbarem Gefahrenbereich durch Fachpersonal mit Schutzausrüstung ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere/ Situation Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung (nur mit Hilfsmitteln) Lagerung abhängig von der Bewusstseinlage psychische Betreuung Sicherstellen von Giftresten und Erbrochenem (Eigenschutz!) Giftnotruf kontaktieren lückenlose Überwachung und Dokumentation Erscheinungsbild und Verlauf Die Giftwirkung entsteht durch die höhere Bindungskraft von Kohlenmonoxid im Vergleich zum Sauerstoff an den Blutfarbstoff Hämoglobin. Deshalb wird der Sauerstofftransport im Blut blockiert und es kommt zu den typischen Anzeichen eines Sauerstoffmangels. Zu beachten ist allerdings, dass der Patient u.U. keine Blaufärbung der Schleimhäute oder Blässe aufweist. Auch das Pulsoximeter zeigt evtl. Normalwerte an, obwohl eindeutig ein Sauerstoffmangel vorliegt. Überblick über das Erscheinungsbild bei Kohlenmonoxidvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Nachfolgend werden einige besonders häufige Vergiftungsformen dargestellt. ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ Kohlenmonoxid(CO)-Vergiftung Kohlenmonoxid entsteht vor allem bei laufenden Verbrennungsmotoren und Öfen in geschlossenen oder ungenügend belüfteten Räumen oder bei Bränden als Rauch- und Brandgas. Achtung! Dieses Gas ist geruchlos, leichter als Luft und in Verbindung mit Sauerstoff hochexplosiv! ■ ■ Übelkeit Kopfschmerzen Schwindel evtl. Krämpfe schneller, flacher Puls Achtung: keine Blaufärbung der Schleimhäute und der Haut (Zyanose) Achtung: normale Werte bei der Pulsoximetrie trotz Sauerstoffmangel Bewusstseinstörungen bis Bewusstlosigkeit Atemstörung bis Atemstillstand 127 7. Sonstige Notfälle Maßnahmen: Bei den zu ergreifenden Maßnahmen steht der Eigenschutz an erster Stelle. Aufgrund der extremen Explosionsgefahr ist das Bedienen von elektrischen Geräten (z.B. Funk, Handys und Telefon) im gefährdeten Bereich strikt zu unterlassen! Frühzeitige Alarmierung von Notarzt und evtl. Feuerwehr! Vor jedem Rettungsversuch den Raum von außen lüften. Ist dies nicht möglich, müssen Atemschutzgeräte verwendet werden (Feuerwehr!). Die Rettung aus dem gefährdeten Bereich ist ein riskantes Verfahren und darf nur unter größter Vorsicht erfolgen, wenn mehrere Personen die Sicherung übernehmen. Laufende Motoren abstellen! Nach erfolgter Rettung sofort Kontrolle der Vitalfunktionen und hochdosiert Gabe von Sauerstoff. Weiteres Vorgehen nach Zustand des Patienten. Muss dieser beatmet werden, darf dies nur mit Beatmungsbeutel erfolgen (CO-Ausatmung des Patienten!) Überblick über die Maßnahmen bei Kohlenmonoxidvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Umfeld prüfen, Eigenschutz andauernd beachten frühzeitiger Notarztruf, Feuerwehr alarmieren Rettung aus unmittelbaren Gefahrenbereich durch Fachpersonal mit Schutzausrüstung ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung (nur mit Hilfsmitteln) Lagerung abhängig von der Bewusstseinslage psychische Betreuung lückenlose Überwachung und Dokumentation Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Kohlendioxid(CO 2)-Vergiftung Kohlendioxid (CO2) entsteht bei Gärungs- und Zersetzungsvorgängen von organischem Material. Man findet es z.B. in Silos, Kellereien und Jauchegruben. Das Gas ist geruchlos, schwerer als Luft und bildet in Bodennähe sog. Kohlendioxidseen. Befindet sich in der Umgebungsluft zu viel CO 2, ist dort praktisch kein Sauerstoff mehr vorhanden. Erscheinungsbild und Verlauf Es kommt zunächst zu einem starken Anstieg der Atemfrequenz mit Blaufärbung der Schleimhäute, gefolgt von Unruhe- und Verwirrtheitszuständen. Bedingt durch den Sauerstoffmangel kommt es schnell zur Bewusstlosigkeit. Bereits nach wenigen Minuten erleidet der Patient einen Atemstillstand. Überblick über das Erscheinungsbild bei Kohlendioxidvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ Schweißausbrüche, Schwindel Schockanzeichen Ringen nach Luft Bewusstseinstrübung bis Bewusstlosigkeit Atem- und Kreislaufstillstand Maßnahmen Bei den zu ergreifenden Maßnahmen steht der Eigenschutz an erster Stelle! Frühzeitige Alarmierung von Notarzt und evtl. Feuerwehr! Vor jedem Rettungsversuch den Raum von außen lüften. Ist dies nicht möglich, müssen Atemschutzgeräte verwendet werden (Feuerwehr!). Die Rettung aus dem gefährdeten Bereich ist ein riskantes Verfahren und darf nur unter größter Vorsicht erfolgen, wenn mehrere Personen die Sicherung übernehmen. Nach erfolgter Rettung sofort Kontrolle der Vitalfunktionen und hochdosiert Gabe von Sauerstoff. Weiteres Vorgehen nach Zustand des Patienten. Überblick über die Maßnahmen bei Kohlendioxidvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Umfeld prüfen, Eigenschutz andauernd beachten frühzeitiger Notarztruf, Feuerwehr alarmieren Rettung aus unmittelbaren Gefahrenbereich durch Fachpersonal mit Schutzausrüstung ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung (nur mit Hilfsmitteln) Lagerung abhängig von der Bewusstseinlage psychische Betreuung lückenlose Überwachung und Dokumentation 128 7. Sonstige Notfälle Rauchgas-, Reizgasvergiftung Reizgase sind Stoffe, die auf die Atemwege und deren Schleimhäute, auf die Augen oder auf der Haut reizend bzw. ätzend einwirken wie z.B. Chlorgas, Lackdämpfe, Säuredämpfe, Tränengas, aber auch Mischgase, die bei Bränden entstehen. Beim Einatmen können diese Gase Entzündungen der Lungenbläschen mit einer Flüssigkeitsabsonderung bewirken, die bis zu einem Lungenödem (toxisches Lungenödem) führen können. Dieses kann sich innerhalb von 24 Stunden entwickeln. Auch wenn das Reizgas nur kurze Zeit eingewirkt hat, nur mit Beatmungsbeutel beatmen! Erscheinungsbild und Verlauf In der Anfangsphase klagt der Patient über einen sich verstärkenden Reizhusten mit zunehmender Atemnot, Schmerzen in den Augen mit Rötung und Tränenfluss, evtl. geröteter und schmerzhafter Haut. Im Laufe der Zeit verstärkt sich die Atemnot durch das Anschwellen der Mundund Rachenschleimhaut, der Allgemeinzustand des Patienten verschlechtert sich immer mehr. Überblick über die Maßnahmen bei Rauch-, Reizgasvergiftung Überblick über das Erscheinungsbild bei Rauch-, Reizgasvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Maßnahmen Bei den zu ergreifenden Maßnahmen steht der Eigenschutz an erster Stelle! Frühzeitige Alarmierung von Notarzt und evtl. Feuerwehr! Nach erfolgter Rettung sofort Kontrolle der Vitalfunktionen und hochdosiert Gabe von Sauerstoff. Weiteres Vorgehen nach Zustand des Patienten. Muss dieser beatmet werden, darf dies nur mit Beatmungsbeutel erfolgen. gerötete Augen und Tränenfluss gerötete Haut Schmerzen stärker werdender Husten Anschwellen der Mund- Rachenschleimhaut zunehmende Atemnot Schockzeichen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Umfeld prüfen, Eigenschutz andauernd beachten evtl. Rettung aus unmittelbarem Gefahrenbereich ABC-Sicherung Ganzkörpercheck frühzeitiger Notarztruf, evtl. Feuerwehr alarmieren Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung (nur mit Hilfsmitteln) Lagerung abhängig von der Bewusstseinlage psychische Betreuung lückenlose Überwachung und Dokumentation 129 7. Sonstige Notfälle Alkoholvergiftung Zustände, die nach Alkoholeinnahme über einen Rauschzustand hinausgehen und schwere Vergiftungserscheinungen zur Folge haben, bezeichnet man als Alkoholvergiftung. Dieser Missbrauch, beabsichtig oder unabsichtlich, stellt gerade bei Jugendlichen die häufigste Form von Vergiftungsnotfällen dar. Alkohol wird beginnend von der Mundschleimhaut, dann überwiegend im oberen Dünndarm aufgenommen und erreicht sehr schnell das Gehirn. Aufnahme, Wirkung und Abbau von Alkohol hängen vor allem von Alter, Geschlecht und Gewöhnung ab. Insbesondere Kinder und Jugendliche haben ein niedrigeres Aufnahmevermögen. Hier können bereits relativ geringe Mengen lebensbedrohlich sein. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Je nach aufgenommener Alkoholmenge kommt es zu ausgeprägten Rauschzuständen mit Sprachstörungen, Enthemmung, eingeschränkter geistiger Aufnahmefähigkeit und Gangunsicherheit, die ab einer Alkoholkonzentration von 2 bis 3 Promille in ein Betäubungsstadium übergehen. Dieses ist gekennzeichnet durch psychische Verwirrung, Bewusstseinsstörungen, Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen und starke Übelkeit mit oft mehrmaligem Erbrechen. Bei mehr als 3 Promille kommt es zu einer tiefen Bewusstlosigkeit mit Reflexlosigkeit und Atemstörungen bis zum Atemstillstand. Für Kinder kann diese Alkoholkonzentration, die bereits durch die Aufnahme geringer Mengen erreicht wird, tödlich sein! Achtung: Der Bergretter muss darauf gefasst sein, dass sich der Zustand des Patienten durch weitere Verteilung der aufgenommenen Alkoholmenge weiter verschlechtern kann. Außerdem könnten zusätzlich evtl. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Drogen oder Medikamente eingenommen worden sein. Auch Begleitverletzungen oder eine Unterkühlung (Störung des Wärmehaushalts) kommen häufig vor. Überblick über das Erscheinungsbild bei Alkoholvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Alkoholgeruch in der Ausatemluft verwaschene Aussprache, Lallen Übelkeit und Erbrechen Gangunsicherheit, evtl. Lähmungserscheinungen Bewusstseinstörungen bis Bewusstlosigkeit ohne Schutzreflexe Atemstörungen bis Atemstillstand Atemwegsverlegung durch Erbrochenes evtl. Unterkühlung und /oder Begleitverletzungen Maßnahmen Die Überprüfung und Sicherung der Vitalfunktionen steht im Vordergrund. Bei bewusstseinsgetrübten oder bewusstlosen Patienten Notarztruf und andauernd auf das Freimachen und Freihalten der Atemwege achten. Kein Erbrechen provozieren! Lagerung nach Zustand des Patienten. Sauerstoffgabe und Wärmeerhaltung! Bei aggressiven Patienten beruhigender Zuspruch und Augenmerk auf Fremd- und Eigenschutz. Achtung: Mischvergiftung mit Drogen und Medikamenten sind möglich, speziell bei jugendlichen Patienten und bei Betroffenen mit Selbsttötungsabsichten (Umfeld prüfen!). Auch schwere Verletzungen (z.B. Schädel-Hirnverletzungen) und / oder eine Unterkühlung werden durch eine Alkoholvergiftung oft verschleiert! Überblick über die Maßnahmen bei Alkoholvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung Lagerung abhängig von der Bewusstseinlage Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere/Situation psychische Betreuung Sicherstellen von Giftresten und Erbrochenem (Eigenschutz!) Giftnotruf kontaktieren lückenlose Überwachung und Dokumentation 130 7. Sonstige Notfälle Drogenvergiftungen Drogen werden über verschiedene Aufnahmewege zugeführt. Sie können geraucht, gespritzt, geschnupft und geschluckt werden. Sie beeinflussen den Körper auf unterschiedliche Weise. Opiate wie Heroin und Morphin wirken auf das Zentralnervensystem und bewirken eine Hochstimmung, verminderte Schmerzempfindlichkeit und eine Dämpfung der Wahrnehmung. Amphetamine als sog. „Partydrogen“ wie z.B. Ecstasy und Speed wirken auf den Sympathikus ein. Folgen sind ein deutlich vermindertes Schlafbedürfnis, intensive Kontaktfreudigkeit, übersteigertes Selbstvertrauen und körperliche Unruhe. Überblick über das Erscheinungsbild bei Drogenvergiftung ■ ■ ■ ■ Bei Amphetaminvergiftung ■ ■ Erscheinungsbild und Verlauf Die lebensbedrohliche Wirkung dieser Stoffe ist durch Störungen der Atmung und des Kreislaufs bedingt. Bei Überdosierung von Opiaten kommt es schnell zu Bewusstseinstrübung und Bewusstlosigkeit mit Ausfall der Schutzreflexe und zu einer zentralen Atemstörung bis hin zum Atemstillstand. Bei Vergiftungen mit Amphetaminen kommt es subjektiv zu extremer körperlicher Belastbarkeit. Diese bewirkt stunden- bis tagelange Belastung und führt zu Überhitzung, Austrocknung durch fehlendes Durstgefühl und schließlich zu akuten Erschöpfungszuständen und Kreislaufversagen. soziales Umfeld (gebrauchte Spritzen in der Umgebung, evtl. bek. Abhängigkeit, geäußerte Selbsttötungsabsichten) Schockzeichen Bewusstseinstörungen bis Bewusstlosigkeit Atemstörungen bis Atemstillstand ■ ■ ■ ■ Umfeld (Party, Konzerte, Hüttenfeste) Unruhe, Aggressivität trockene Schleimhäute, gerötete Haut Schweißausbrüche, evtl. hohes Fieber Krämpfe, evtl. am ganzen Körper Atemstörungen bis Atemstillstand Maßnahmen Die Versorgung einer Drogenvergiftung richtet sich nach den jeweiligen Krankheitszeichen. Während bei einer Opiatvergiftung die Sicherstellung der Sauerstoffversorgung im Vordergrund steht, konzentriert man sich bei der Vergiftung mit Amphetaminen auf psych. Betreuung, den Ausgleich des Flüssigkeitshaushaltes und die Senkung der Körpertemperatur. Lagerung des Patienten nach Bewusstseinslage. In jedem Fall schnellstmöglicher Notarztruf, Giftnotruf kontaktieren und lückenlose Überwachung sicherstellen. Auf jeden Fall Transport in eine geeignete Klinik. Überblick über die Maßnahmen bei Drogenvergiftung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Umfeld prüfen ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung Lagerung abhängig von der Bewusstseinslage psychische Betreuung Sicherstellen von Giftresten und Erbrochenem Giftnotruf kontaktieren lückenlose Überwachung und Dokumentation 131 7. Sonstige Notfälle Fallbeispiele 1. Ihr werdet in eine Skihütte gerufen, wo sich ein 17-jähriger, bewusstloser Jugendlicher befindet. Die Vitalfunktionen sind vorhanden und beim Betroffenen wird ein deutlicher Alkoholgeruch festgestellt. Er hat bereits mehrfach erbrochen und eingenässt. Freunde geben an, dass er eine Flasche Wodka getrunken haben soll. 3. Ihr werdet bei winterlichen Straßenverhältnissen zu einem entlegenen Gasthaus gerufen, da der reguläre Rettungsdienst nicht dorthin kommt. Ihr stellt erst beim Eintreffen an dem Gasthaus fest, dass es sich um einen Zimmerbrand handelt. Der Hausherr hat den Brand bereits gelöscht und sich dabei eine Rauchgasvergiftung zugezogen. Wie versorgt ihr den Betroffenen? 2. Bei einer Vermisstensuche im Gelände findet ihr eine 35-jährige Frau, die nur bedingt ansprechbar ist, auf. Ihr findet zwei leere Schachteln Paracetamol 500 mg Tabletten. Die Frau trübt zunehmend ein. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 132 7. Sonstige Notfälle 7.2 Gynäkologische Notfälle und Geburt Störung und Gefahren Gynäkologische Notfälle werden verursacht durch Zyklusstörungen, Verletzungen oder Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane und Komplikationen während einer Schwangerschaft. Als Zyklusstörungen werden unregelmäßige oder starke Monatsblutungen bezeichnet, die durch Abweichungen vom normalen Hormonhaushalt verursacht werden. Verletzungen manifestieren sich als stumpfe Traumen oder offene Verletzungen bei Gewalteinwirkung auf den Unterbauch, als Zerreißungen der äußeren Genitale bei Pfählungsverletzungen und als Begleitverletzungen, z.B. nach einer Vergewaltigung. Gynäkologische Erkrankungen sind für den Bergretter meistens nur dann von Bedeutung, wenn sich daraus ein akuter Notfall entwickelt, wenn sich beispielsweise bei Entzündungen der inneren Geschlechtsorgane das Krankheitsbild des akuten Bauches ausprägt. Verlauf und Erscheinungsbild bei gynäkologischen Notfällen Die Patientinnen klagen sehr häufig über ausgeprägte Schmerzen im Unterbauch, die in den Rücken ausstrahlen können. Es kann zu teils starken Blutungen aus der Scheide kommen, die in bestimmten Fällen lebensbedrohlich sind. Bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf kann sich hohes Fieber entwickeln. Überblick über das Erscheinungsbild bei gynäkologischen Notfällen ■ ■ ■ ■ ■ ■ evtl. bestehende Schwangerschaft akuter Bauchschmerz Blutungen aus der Scheide Schockanzeichen evtl. hohes Fieber, u.U. mit Krämpfen evtl. Bewusstseinsstörungen Maßnahmen Im Vordergrund steht die Prüfung und Überwachung der Vitalfunktionen. Eine umfangreiche Untersuchung durch den Bergretter sollte unterbleiben, es kann sinnvoll sein, eine Helferin hinzuzuziehen. Liegen Blutungen vor, eine sterile Vorlage vor die Scheide legen und die Patientin anschließend in die Fritsch’sche Lagerung bringen (Patientin wird flach auf dem Rücken gelagert, dabei werden die gestreckten Beine überkreuzt). Achtung: schwangere Frauen in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft können in Rückenlage durch Kompression der unteren Hohlvene (Vena Cava) einen deutlichen Blutdruckabfall erleiden (Cava-Kompressionssyndrom). Um diesen vorzubeugen, werden diese Patientinnen immer flach auf der linken Körperseite gelagert (Linksseitenlage). Sauerstoffgabe! Die betroffene Patientin muss fortlaufend psychisch betreut und über die jeweiligen Maßnahmen informiert werden. Überblick über die Maßnahmen bei gynäkologischen Notfällen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 ABC-Sicherung Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation Lagerung nach Situation (Fritsch’sche Lagerung / Linksseitenlagerung) psychische Betreuung Sauerstoffgabe lückenlose Überwachung und Dokumentation Transport in eine geeignete Klinik 133 7. Sonstige Notfälle Die Geburt Gegen Ende der Schwangerschaft bereitet sich der mütterliche Organismus auf die Geburt vor. In der Eröffnungsperiode weitet sich der Gebärmuttermund sowie der Geburtskanal, der Beckenboden und die Scheide dehnen sich und das Kind wird durch Kontraktionen (Wehen) der Muskulatur der Gebärmutter (Uterus) tiefer getrieben. Die Dauer der Geburt richtet sich oft danach, ob es das erste Kind ist oder ob die Mutter bereits mehrere Kinder zur Welt gebracht hat. Die Dauer der Geburt ist bei Erstgebärenden oft deutlich länger. Bei Beginn der Geburt treten alle 10 bis 15 Minuten regelmäßig Wehen auf und unter Umständen gehen nun bereits blutiger Schleim und Fruchtwasser ab. Im weiteren Verlauf wird das Kind durch die nun kürzeren Abständen auftretenden Eröffnungswehen in Richtung Geburtskanal gedrängt. In der Austreibungsperiode wird das Kind bei völliger Öffnung des Gebärmuttermundes durch die Austreibungs- bzw. Presswehen durch den Geburtskanal gebracht. Diese Wehen sind stärker als die Eröffnungswehen und treten in Abständen von 2 Minuten mit einer Dauer von 60 bis 90 Sekunden auf. Bei einer normalen Geburt kommt das Kind mit gebeugtem Kopf auf dem Beckenboden an. Danach streckt sich der Kopf und tritt zuerst mit der Hinterseite, dann mit Schädeldach, Stirn und Kinn aus dem Geburtskanal. Auch die Schultern müssen Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 sich nun, wie zuvor der Kopf, drehen, damit sie den Geburtskanal passieren können. Zunächst wird die vordere, anschließend die hintere Schulter geboren. Der übrige Körper folgt nun ohne Schwierigkeiten. Mit der Geburt des Kindes setzt die Nachgeburtsperiode ein. Durch Nachgeburtswehen wird die Gebärmutter zusammengezogen, wobei sich die Plazenta von der Gebärmutterwand löst. Durch die Ablösung entsteht die Nachgeburtsblutung, die jedoch durch natürliche Gerinnungsvorgänge und das Wiederaufrichten der erschlafften Gebärmutter gestillt wird. Verlauf und Erscheinungsbild bei einsetzender Geburt Die Geburt setzt durch die Kontraktion der Gebärmuttermuskulatur ein. Dadurch erweitert sich der Geburtskanal. Es setzen etwa alle 10 bis 15 Minuten regelmäßig auftretende schmerzhafte Wehen ein. Später geht Fruchtwasser und blutiger Schleim ab. Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ Wehen, anfangs alle 10 bis 15 Minuten, regelmäßig verlaufend evtl. Abgang von Fruchtwasser und blutigem Schleim Maßnahmen Die Gebärende sollte nach eigenem Wunsch gelagert werden und von der Umgebung und fremden Personen abgeschirmt werden. Ständige Betreuung! Zur Geburt sollte die Gebärende möglichst bodennah auf einer keimfreien Unterlage mit angewinkelten Knien in Rückenlage gebracht werden. Der Bergretter greift normalerweise nicht in den Geburtsvorgang ein. Nach der Geburt wird die Nabelschnur ca. 20 - 30 cm vom Neugeborenen entfernt mit sterilen Klemmen (erst kindseitig und anschließend mutterseitig!) komprimiert. Dann wird die Nabelschnur zwischen den Klemmen mit einer sterilen Schere oder einem Skalpell durchtrennt. Die Gebärende muss laufend über die jeweiligen Maßnahmen informiert und psychisch betreut werden. Nach diesem Vorgang wird das Neugeborene nach folgenden Kriterien beurteilt: Atmung ausreichend? (regelmäßig und kräftig schreiend) Herzfrequenz normal? (>100 / min) Hautfarbe rosig? (anfängliche Blaufärbung typisch, auch bei gesunden Neugeborenen!) Bei fehlenden Vitalfunktionen Wiederbelebungsmaßnahmen! Bei stabilen Vitalfunktionen Neugeborenes abtrocknen, in warme Tücher (evtl. Silberwindel) einwickeln und der Mutter übergeben. Ständige Überwachung! Erhöhtes Augenmerk auf den Wärmeerhalt bei Mutter und Neugeborenem richten. Etwa 20 Minuten nach der Entbindung des Kindes wird die Nachgeburt (Plazenta) ausgestoßen. Danach wird die Mutter mit einer sterilen Vorlage an der Scheide versorgt und in die Fritsch’sche Lagerung gebracht. Achtung auf Nachblutungen! Die Nachgeburt 134 7. Sonstige Notfälle ist einer Hebamme oder einem Arzt zu übergeben. Uhrzeit und Geburtsort sind zu dokumentieren (für das Standesamt wichtig)! Überblick über die Maßnahmen bei der Geburt ■ ■ ■ ■ ■ keimfreie Unterlage Gebärende über Vorgehen und Maßnahmen informieren frühzeitiger Notarztruf, evtl. Hebammenruf Betreuung der Mutter Abnabelung Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ihr werdet bei winterlichen Wetterverhältnissen zu einem Aussiedlerhof gerufen, da der reguläre Rettungsdienst aufgrund der Schneehöhe den Hof nicht erreichen kann. Bei diesem Einsatz sollt ihr eine junge Frau mit einsetzender Geburt in ein Krankenhaus bringen. Als ihr am Einsatzort ankommt, stellt ihr fest das bereits Fruchtwasser und blutiger Schleim abgegangen sind. Die junge Frau, die ihr erstes Kind erwartet, hat Wehen im Abstand von 15 Minuten. Komplikationen sind bisher nicht aufgetreten. Im Mutterpass sind auch keine Besonderheiten eingetragen. 1. Welche Maßnahmen führt ihr in welcher Reihenfolge bei einer plötzlich einsetzenden Geburt durch, wenn in den nächsten 5 bis 10 Minuten ein Arzt oder Hebamme eintreffen? 2. Ihr werdet im Rahmen des Winterdienstes zur Bergstation gerufen, wo sich eine ca. 20-jährige Patientin aufhält, die über plötzlich auftretende Schmerzen im Unterbauch klagt. Die Betroffene hat seit drei Wochen eine ausgebliebene Regelblutung. Sie gibt an, plötzlich einen stechenden Schmerz im Unterbauch verspürt zu haben. 4. Wie lange dauert normalerweise eine Schwangerschaft und was sind Anzeichen einer einsetzenden Geburt? 2. Welche Gefahren können bei gynäkologischen Blutungen auftreten? 3. Wozu hat eine werdende Mutter einen Mutterpass und was könnt ihr daraus entnehmen? Nach der Geburt ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Zustandsbeurteilung des Neugeborenen Vitalfunktionen prüfen und sichern Versorgung, Überwachung und Betreuung des Neugeborenen Versorgung, Überwachung und Betreuung der Mutter Dokumentation (Zeitpunkt der Geburt, Zustand des Neugeborenen und der Mutter, weiterer Verlauf) Wärmeerhalt Gratulieren!!! Transport in eine geeignete Klinik Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 3. Im Rahmen eines Sommerdienstes auf einer Hütte kommt eine junge Frau mit ihrem Begleiter zu euch und klagt über folgende Beschwerden: Schmerzen und starkes Brennen beim Wasserlassen sowie stechende Schmerzen im Unterbauchbereich. Sie war zwei Nächte in den Bergen mit dem Schlafsack unterwegs, und die Symptome haben sich in den letzten 12 Stunden verstärkt. Welche Erkrankung könnte vorliegen und welche Empfehlungen gebt ihr der jungen Frau? 135 7. Sonstige Notfälle 7.3 Stromunfall und Blitzschlag Störung und Gefahren Bei einem Stromunfall wird der menschliche Körper Teil eines Stromkreises, die durchlaufene Körperpartie ist kurzfristig ein elektrischer Leiter. Die Stärke des Stromes, die den Körper nach dem Schluss zweier unter Spannung stehender Teile durchströmt, spielt bei der Störung bestimmter Organe und der Schädigung von Körpergewebe eine große Rolle. Bei Niederspannungsunfällen überwiegen die elektrischen Schädigungen an Herz und Nervensystem. Bedingt durch Verkrampfung der Herzkranzgefäße und Schädigungen am Herzmuskel können Reizbildungs- und Reizleitungsstörungen (Kammerflimmern) auftreten. Durch Einwirken auf die Nervenbahnen kann es zu unkoordinierten Verkrampfungen oder Lähmungserscheinungen kommen bis der Stromkreislauf unterbrochen wird. Bei Unfällen mit hoher Spannung dominiert dagegen die thermische Einwirkung auf Körperoberfläche und Organe. Der hohe Widerstand der Haut im Vergleich zum Körperinneren bewirkt an der Ein- und Austrittstelle des elektrischen Stroms erhebliche Wärmebildung. Dies kann großflächige und schwere Verbrennungen verursachen. Beim Kontakt mit Spannungsträgern oder Blitzeinschlägen in den Kopf kann der Strom von oben nach unten den gesamten Körper durchfließen, so dass neben einer Schädigung des Gehirns auch andere Organe und das Rückenmark betroffen sein können. Bei einem durch einen Stromunfall ausgelösten Kreislaufstillstand ist der schnellstmögliche Einsatz eines AED sinnvoll. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Verlauf und Erscheinungsbild Bei Stromunfällen oder Blitzschlag reagieren die Muskelfasern auf den elektrischen Reiz mit heftiger Verkrampfung. Diese sog. Muskelspasmen können zu schweren Verletzungen des Bewegungsapparates führen (Knochenbrüche, Muskelfaserund Bänderrisse). Bei längerer Einwirkzeit oder hohen Spannungen kann es durch die Verkrampfung der Koronargefäße zu Herzrhythmusstörungen bis zum Herz- Kreislaufstillstand kommen. Wird an den Kontaktstellen die Wärmeschwelle des menschlichen Gewebes überschritten, bilden sich Strommarken. Strommarken sind rundliche, von einer zentimeterbreiten weißlichen und harten Zone umgebene Hautverbrennungen. Bei entsprechend hoher Spannung kann es sowohl auf der Körperoberfläche als auch im Körperinneren zu ausgedehnten Verbrennungen mit den bekannten Problemen der Organ- und Hautzerstörung kommen. Maßnahmen Der Eigenschutz steht immer im Vordergrund, dabei gilt Sicherheit vor Schnelligkeit. Grundsätzlich muss der Stromkreis im häuslichen Bereich unterbrochen werden. Bei Hochspannungsunfällen muss das E-Werk bzw. die Bahn benachrichtig werden und ein Sicherheitsabstand von mind. 10 Metern eingehalten werden. Nach erfolgter Rettung müssen die Vitalfunktion gesichert und ggf. wieder hergestellt werden. Frühzeitiger Notarztruf! Strommarken werden keimfrei und locker bedeckt. Achtung auf Begleitverletzungen! Das Bergrettungsteam muss jederzeit Herz-Lungen-Wiederbelebungsbereit sein. Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Strommarken an Ein- und Austrittsstellen Krämpfe, Lähmungserscheinungen Verbrennungen evtl. Begleitverletzungen Bewusstlosigkeit Herzrhythmusstörungen Herz-Kreislauf-Stillstand ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Eigensicherheit beachten, Stromkreise unterbrechen Rettung aus dem Gefahrenbereich ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Notarzt Sauerstoffgabe auf Begleitverletzungen achten Brandwunden versorgen Herz-Lungen-Wiederbelebungsbereitschaft lückenlose Überwachung und Dokumentation Transport in geeignete Klinik (Brandverletzungen!) 136 7. Sonstige Notfälle Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ein Bergwanderer ist in einem Klettersteig unterwegs als ein Gewitter aufzieht. Es kommt zu einem Blitzschlag, der den Bergsteiger trifft. Er hängt bewusstlos im Klettersteig. Aufgrund des Wetters ist eine Rettung aus der Luft nicht möglich und ihr macht Euch zu Fuß auf den Weg. 1. Von welchen Faktoren ist die Schwere eines Elektrounfalls abhängig? 2. Bei Wartungsarbeiten an einer Bergbahn greift ein Mitarbeiter an ein Kabel, welches unter Strom steht. Ein anderer unterbricht kurz darauf den Stromkreis. Ihr kommt mit eurem Einsatzfahrzeug zu der Bergbahn und findet den Arbeiter mit Verbrennungen an beiden Händen vor. Er ist ängstlich und kaltschweißig. 3. Mit welchen Verletzungen muss außer Brandwunden bei Hochspannungsunfällen bzw. Blitzschlag noch gerechnet werden? 3. Ein Bergbauer repariert eine kaputte Lampenfassung auf seiner Alm. Hierbei kommt es zu einem Stromschlag worauf er die Leiter herunter fällt. Er schlägt mit dem Kopf auf und liegt bewusstlos im Stall. Als ihr ihn vorfindet, seht ihr den linken Arm in abnormer Lage. 5. Auf was müsst ihr als erstes achten, wenn ihr zu einem dieser Unfälle gerufen werdet? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 2. Welche Ausrüstungsgegenstände nehmt ihr im Fall eins mit auf den Weg zur Einsatzstelle? 4. Welche Möglichkeiten kennt ihr, einen Betroffenen, der noch im Stromkreis hängt, von diesem zu trennen? 137 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 139 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung 8.1 Ermüdung und Erschöpfung, Bergungstod Störungen und Gefahren Wird ein Organismus dauerhaft stark beansprucht, kommt es zur Ermüdung. Ermüdung kann sowohl muskulär als auch geistig sein. Häufig ist es eine Mischform aus beidem. Sie führt immer zu einer Minderung der Leistungsfähigkeit. Das Überschreiten der eigenen Leistungsgrenze in Kombination mit Energie- und Flüssigkeitsmangel, zu wenigen Pausen, Nässe, Kälte, einer leichten Unterkühlung oder örtlichen Erfrierung führt zu einem raschen Verfall der Leistungsfähigkeit. Kommt dann noch Angst, Konzentrationsschwäche und Lustlosigkeit hinzu, führt Ermüdung zur Erschöpfung mit all ihren Gefahren. Durch Konzentrationsmangel kann es zur Fehlbeurteilung von kritischen Situationen kommen, durch muskuläre Schwäche drohen Fehltritt und Absturz. Im Erschöpfungszustand mobilisiert der Körper die letzten Reserven. Er ist in einer maximalen Stressreaktion. Körpereigene Hormone (Adrenalin und Cortison) haben eine wichtige Überlebensfunktion. Kommt nun Hilfe zu den Betroffenen, kann es zum Wegfall der lebenswichtigen Stressreaktion und zum Bergungstod kommen. Um dies zu verhindern, sollte der Betroffene zur aktiven Mitarbeit an der Rettung aufgefordert werden. Keinesfalls sollte ihm die sichere Gewissheit der Rettung „jetzt ist alles gut“ nahe gebracht werden. Der Betroffene muss mit allen Mitteln wach gehalten werden. Bergsteiger, die Aufputschmittel wie Koffeinkonzentrate, Anabolika oder Spezialdrinks verwenden, vermindern die natürliche Leistungsreserve und haben im Ernstfall ein höheres Risiko eines Bergungstodes. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Müdigkeit und Kraftlosigkeit verspürt jeder Mensch, der sich körperlich betätigt. Greift der Betroffene hier nicht regulierend mit Energie- und Flüssigkeitszufuhr sowie angemessenen Pausen ein, verschlechtert sich sein Zustand sehr schnell. Konzentrationsmangel und zunehmende Teilnahmslosigkeit folgen. Am Ende dieses Abbauprozesses steht dann die Bewusstlosigkeit mit drohendem Herz-Kreislauf-Versagen. Überblick über das Erscheinungsbild bei Ermüdung und Erschöpfung, Bergungstod ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Müdigkeit Kraftlosigkeit, Leistungsschwäche zunehmende Gleichgültigkeit Unruhe, Reizbarkeit, Angstzustände bis Panik Gleichgewichtsstörungen evtl. Durchfälle und Erbrechen, Seitenstechen dauerhafte Erhöhung von Puls und Atmung nur verzögerte Normalisierung von Puls und Atmung im Ruhezustand irrationale Handlungen (z.B. sich im Schneesturm ausziehen usw.) Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit Herz-Kreislauf-Versagen Maßnahmen Wenn möglich Pause und Reduzierung der körperlichen Belastung. Zufuhr von energiereicher und schnell verfügbarer Nahrung und Getränken. Schutz vor Kälte. Wird ein Abstieg in Erwägung gezogen, muss auf die verminderte körperliche Leistungsfähigkeit Rücksicht genommen werden. Bei Bewusstseinstörungen muss ein Notarzt hinzugezogen werden. Zur Diagnosesicherung sollte eine Blutzuckerbestimmung durchgeführt werden. Überblick über die Maßnahmen bei Ermüdung und Erschöpfung, Bergungstod ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Patienten über Maßnahmen informieren und beruhigen Notarzt rufen je nach Erkrankungsschwere / Situation Blutzuckertest (wenn möglich) kältegeschützte Pause und warme, gezuckerte Getränke an einem windgeschützten Ort Lagerung abhängig der Bewusstseinslage Wärmeerhalt, zusätzliche Kleidung, Biwaksack Energiezufuhr durch Schokolade und Müsliriegel langsamer Abstieg nach Erholung (Rucksack abnehmen) psychische Betreuung, nie alleine lassen Hoffnung, aber keine Gewissheit der Rettung geben lückenlose Überwachung und Dokumentation 140 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ein Mitglied einer Wandergruppe bleibt erschöpft am Wegrand sitzen. Er klagt über Kraftlosigkeit und Blasen an den Füßen. Zudem gibt der Wanderer an, am Morgen mehrfach wegen Durchfalls auf der Toilette gewesen zu sein. 1. Welche Ursachen können eine Ermüdung und eine Erschöpfung auslösen? 2. Du findest einen Bergsteiger, der die Nacht in einem Biwak verbracht hat. Er wirkt sehr erschöpft und zittert am ganzen Körper. 3. Wie führst du eine Blutzuckermessung durch? 3. Ihr werdet zu einer Wandergruppe gerufen, die 2 Tage auf einem Grat blockiert war. Einer der Erschöpften steht in Unterwäsche da. 2. Welche Maßnahmen ergreifst du bei Erschöpfungszuständen? 4. Welche anderen, euch bekannten Krankheitsbilder, können ein ähnliches Zustandsbild wie das einer Erschöpfung haben? 5. Welche Getränke sind für eine erschöpfte Person geeignet, welche nicht? 6. Was sind die Ursachen eines Bergungstodes, wie kann man ihn vermeiden? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 141 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung 8.2 Lawinenverschüttung Gründe hierfür sind: eine Verlegung der Atemwege mit Schnee eine Behinderung der Atemmechanik durch die Schneemassen sehr hohe CO2 (Kohlendioxid) Konzentrationen durch die Ausatemluft und Sauerstoffmangel im umgebenden Schnee ■ Ein weiterer Faktor, der den Verschütteten bedroht, ist die fortschreitende Unterkühlung. Aus diesem Grund wird ab einer Verschüttungsdauer von über 35 Minuten der Verschüttete schonend geborgen, um das kalte Schalenblut nicht mit dem warmen Kernblut zu vermischen. Grund für dieses Vorgehen sind statistische Forschungsergebnisse: ■ ■ Im Schnee ist so viel Sauerstoff gespeichert, dass ein Überleben über einen gewissen Zeitraum möglich ist. Ab einer Verschüttungsdauer von 35 Minuten ist ein Überleben ohne Atemhöhle sehr unwahrscheinlich. Von einer Atemhöhle spricht man, wenn Mund und Nase nicht mit Schnee oder Erbrochenem verlegt sind. Es kann sich auch ein wenige Zentimeter breiter Spalt vor den Atemwegen befinden. Das Vorhandensein einer Atemhöhle zum Zeitpunkt der Rettung ist ein sicherer Beweis dafür, dass der Verschüttete nach dem Stillstand der Lawine noch geatmet hat und gibt Grund zur Hoffnung auf ein Überleben des Verschütteten. Darüber hinaus ist das Vorhandensein einer Atemhöhle ein wichtiges Entscheidungskriterium für den Notarzt, wie lange die Reanimationsbemühungen sinnvoll erscheinen. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Bis 18 Minuten Verschüttungsdauer überleben ca. 91%. 9% haben tödliche Verletzungen erlitten. Von 18 bis 35 Minuten Verschüttungsdauer fällt die Zahl der Überlebenden drastisch auf ca. 34% ab. Ein Großteil der Verschütteten verstirbt am akuten Sauerstoffmangel (alle ohne Atemhöhle). 35 bis 90 Minuten Verschüttungsdauer überleben ca. 27% mit geschlossener Atemhöhle. Bei mehr als 90 Minuten Verschüttungsdauer tritt der Tod durch langsames Ersticken und Unterkühlung ein (in der Lawine beträgt der Kerntemperaturabfall 3 Grad pro Stunde, in Einzelfällen bis 8° pro Stunde je nach Kleidung) 130 Minuten bis 24 Stunden und mehr Verschüttungsdauer überleben ca. 7% mit nach außen offener Atemhöhle. Entscheidungskriterien für das weitere Vorgehen des Notarztes sind die Verschüttungsdauer, das Vorhandensein einer Atemhöhle und die gemessene Körperkerntemperatur. 100 Überlebenswahrscheinlichkeit (%) Störung und Gefahren Drei Hauptgefahren lauern auf den Wintersportler in der Lawine. Verletzungen, die beim Lawinenabgang entstehen, Ersticken und Unterkühlung. Wird der Lawinenabgang überlebt, droht der Verschüttete zu ersticken. 80 60 40 20 0 0 30 60 90 120 150 180 Verschüttungsdauer (Minuten) 142 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Der Bewusstseinszustand kann von ansprechbar bis bewusstlos reichen. Ebenso groß ist die Bandbreite an möglichen Verletzungen. Der Grad der Unterkühlung richtet sich nach der Verschüttungsdauer und der Kleidung. Maßnahmen bis 35 min Verschüttungsdauer Bis zu einer Verschüttungsdauer von 35 Minuten zählt jede Minute. Beim Ausgraben des Verschütteten konzentriert man sich zuerst auf die Atemwege und den Brustkorb. Noch während der Rettung müssen verlegte Atemwege so rasch wie möglich freigelegt werden. Bei einem Atemstillstand muss die Beatmung noch in der Bergungshöhle begonnen werden. Bei einem Kreislaufstillstand wird der Verschüttete rasch geborgen und die HerzLungenwiederbelebung begonnen. Maßnahmen über 35 Min. Verschüttungsdauer Ab einer Verschüttungsdauer von 35 Minuten wird der Verschüttete schonend geborgen. Beim Ausgraben sollten möglichst zuerst die Atemwege und der Brustkorb freigelegt werden. Im Bereich des Kopfes wird besonders auf das Vorhandensein einer Atemhöhle geachtet. Um ein weiteres Auskühlen zu vermeiden müssen überflüssige Körperbewegungen vermieden werden. Auch die Schaffung einer großen Bergehöhle hat sich aus diesem Grund bewährt. Sind Bewegungen des Rumpfes und der großen Gelenke für die Bergung und Lagerung notwendig, so müssen sie so langsam wie möglich durchgeführt werden. Überblick über die Maßnahmen bei Lawinenverschüttung ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Ein weiteres Auskühlen sollte durch Herstellen windstiller Verhältnisse und Wärmeerhalt mittels Decken und Wärmepacks verhindert werden! ■ ■ Notarzt rufen Atemwege und Brustkorb freilegen auf Atemhöhle achten ABC-Sicherung rasche Bergung bei Verschüttungsdauer unter 35 min schonende Bergung bei Verschüttungsdauer über 35 min Reanimation bei Kreislaufstillstand Wärmeerhalt andere Maßnahmen nach Notwendigkeit lückenlose Überwachung und Dokumentation Ein weiteres Auskühlen sollte durch Herstellen windstiller Verhältnisse und Wärmeerhalt mittels Decken und Wärmepacks verhindert werden! Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 143 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ihr werdet in ein Skitourengebiet gerufen, wo ein Schneebrett einen Skitourengeher verschüttet hat. Ihr werdet mit einem Hubschrauber auf das Lawinenfeld gebracht und findet dort ein bereits geborgenes Lawinenopfer vor. Der Betroffene wurde von seinen Kameraden bereits nach ca. 25 Minuten ausgegraben. Er ist bedingt ansprechbar und klagt über Schmerzen im Brustkorb. 1. Wann spricht man von einer Atemhöhle? 2. Ein Schneeschuhwanderer bricht mit einer Schneewächte ca. 100 m in die Tiefe. Ihr werdet ca. 1 Stunde später alarmiert und rückt sofort zur Unfallstelle aus. Der Vermisste wird nach ca. 2 Stunden gefunden. Beim Ausgraben stellt ihr fest, das der Betroffene nicht mehr atmet und keinen Puls mehr hat. Mund und Nase sind schneefrei, er hat eine vereiste Atemhöhle. 2. Warum ist es so wichtig, bei der Bergung auf eine Atemhöhle zu achten? 3. Wodurch sind Verschüttete gefährdet? 4. Warum hat ein Verschütteter ohne Atemhöhle eine schlechtere Prognose als ein Verschütteter mit Atemhöhle? 5. Ab wie viel Minuten Verschüttungsdauer geht man zusätzlich auch von einer Unterkühlung aus? 6. Was sind die Ursachen eines Bergungstodes bei einem Unterkühlten und wie sind die Gegenmaßnahmen? 3. An einem winterlichen Nachmittag beobachtet ihr einen Lawinenabgang in eurem Dienstgebiet. Ihr seht, wie ein Skifahrer von den Schneemassen mitgerissen wird. Ca. 20 Minuten nach Abgang der Lawine habt ihr den Betroffenen freigelegt (keine Atemhöhle). Er besitzt keine Lebenszeichen. Wie geht ihr vor? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 144 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung 8.3 Hänge- und Rotationstrauma Hängetrauma Störung und Gefahren Unter einem Hängetrauma versteht man eine Störung, die von einem Kreislaufzusammenbruch durch bewegungsloses freies Hängen in einem Anseilgurt verursacht wird. Durch Versacken des Blutes in tiefer hängende Körperregionen kommt es zur Mangeldurchblutung lebenswichtiger Organe (z.B. Lunge, Nieren, Herz und Gehirn). Durch diese Kreislaufregulationsstörung entsteht ein lebensbedrohlicher Schockzustand. Auch nach einer Rettung und Erstversorgung muss mit einer Verschlechterung des Zustandes gerechnet werden. Der Grund dafür ist das schnell zum Herzen zurückströmende Blut aus den unteren Körperregionen, das zu einer Herzüberlastung mit lebensbedrohlichen Auswirkungen führen kann. Auch schwere Begleitverletzungen wirken sich ungünstig auf den Zustand des Verletzten aus. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Mögliche Auslöser eines Hängetraumas können ein Sturz ins Seil beim Felsklettern, ein Gletscherspaltensturz oder auch eine Baumlandung beim Gleitschirmfliegen sein. Bei Patienten mit Brust-Sitzgurtkombination kommt es zu einem allmählich einsetzenden Ausfall der Armnerven mit völliger Bewegungsunfähigkeit und durch Einengung des Brustkorbes zur einer Behinderung der Atmung. Das Versacken des Blutes in die die unteren Körperregionen führt zu einem Volumenmangelschock. Die daraus resultierende verminderte Hirndurchblutung führt zu Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit. Überblick über das Erscheinungsbild beim Hängetrauma ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Unfallhergang Atemnot Schockzeichen Schmerzen evtl. Begleitverletzungen evtl. Unterkühlung Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit 145 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Maßnahmen Nach jedem freien Hängen im Seil soll der Verletzte trotz Zeichen des Volumenmangelschocks zuerst etwa 3-5 Minuten an den Fels lehnen bzw. mit Unterstützung stehen. Danach je nach Zustand des Verletzten für 20-40 min. in Kauerstellung verbringen. Nach Normalisierung der Kreislaufverhältnisse erfolgt eine Flachlagerung. Die anderen Maßnahmen der Schockbekämpfung wie Wärmeerhalt, psychische Betreuung und Sauerstoffgabe dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden. Begleitverletzungen müssen nach Art und Schwere versorgt werden. Ein Notarzt wird je nach Schwere der Störung hinzugezogen. Nach mehr als 30 minütigem Hängen sollte der Patient passiv mit dem Kopf nach oben abtransportiert werden. Die Lagerung erfolgt nach Bewusstseinslage. Überblick über die Maßnahmen beim Hängetrauma ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Rettung aus dem Gefahrenbreich, Eigenschutz abwägen ABC-Sicherung Ganzkörpercheck Sauerstoffgabe Notarzt rufen 3-5 Minuten stehend mit Unterstützung, danach Kauerstellung nach Normalisierung der Kreislaufverhältnisse situationsgerecht lagern Wärmeerhalt Versorgung von Begleitverletzungen lückenlose Überwachung und Dokumentation Jedes Hängetrauma muss im Krankenhaus stationär überwacht werden! Maßnahmen bei Bewusstlosen oder Schwerverletzten Die Bewusstlosigkeit kann durch mangelnde Hirndurchblutung entstehen. Oberstes Ziel muss die Wiederherstellung eine ausreichenden Hirndurchblutung sein. Dazu wird der Patient wenn möglich aus dem Hängen heraus auf eine Schaufeltrage übernommen. Ist keine Schaufeltrage vorhanden wird der Verletzte so schonend wie möglich hingelegt. Jetzt werden an beiden Oberschenkeln durch Blutdruckmanschetten venöse Stauungen angelegt und der bewusstlose Patient vorsichtig in Seitenlage gebracht. Dann werden über einen Zeitraum von 10-30 Minuten die Stauungen der Oberschenkel gelöst Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 im Seil hängt. Der Kletterer gibt an, dass er wegen eines Steinschlages abgestürzt ist und sich nicht selbst befreien konnte. Er klagt über Schwindel und Schmerzen in der rechten Schulter und in den Beinen. 3. Ein 60-jähriger Mann stürzt 5 Meter in einem Klettersteig ins Seil und bleibt dort hängen. Ihr kommt nach einer Stunde am Einsatzort an und stellt fest, dass der Betroffene lediglich Schürfwunden hat. Er ist blass und klagt über massive Übelkeit mit Erbrechen. Übungsfragen 1. Welche Gefahren bestehen bei längerem Hängen im Seil? Fallbeispiele 2. Was ist bei einem Betroffenen, der länger im Seil hing, bei der Lagerung zu beachten? 1. Ihr werdet zu einem Gleitschirmflieger gerufen, der in einem Waldstück abgestürzt ist. Nach ca. 4 Stunden Suche findet ihr einen bewusstlosen Piloten in ca. 8 m Höhe in den Bäumen hängen. Beschreibt den Vorgang der Rettung und der Erstversorgung des ca. 30-jährigen Mannes. 3. Welche Organe des menschlichen Körpers sind besonders beim Hängetrauma betroffen? 2. In einem Klettergarten kommt es zu einem Kletterunfall. Ihr werdet dorthin gerufen und findet nach ca. 30 min. Fahrt zum Einsatz einen 19-jährigen Patienten vor, der noch immer 5. Was muss bei einer bewusstlosen Person, die hängend im Seil aufgefunden wird, beachtet werden, welche Zusatzgefahren bestehen? 4. Aufgrund welcher Unfälle kann es zu einem Hängetrauma kommen? 146 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Rotationstrauma Störungen und Gefahren Ein Rotationstrauma entsteht durch die auf den Körper wirkenden Kräfte, welche die Körperflüssigkeiten in den Bein- und den Kopfbereich verlagern, was neben Blutverteilungsstörungen zu massiven lokalen Druckanstiegen führen kann. Es kann zum Platzen von Blutgefäßen mit Einblutungen kommen (Schädel-Hirn-Trauma). Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Beim Aufnehmen eines Bergesackes mit dem Hubschrauber beginnt sich der Bergesack um die eigene Achse zu drehen. Dabei werden je nach Dauer des Vorganges enorme Beschleunigungskräfte (bis 15 G = fünfzehnfaches der Erdbeschleunigung!) im Kopf- und Beinbereich erreicht. Dadurch wird die Blutzirkulation stark beeinträchtigt und das Blut in den Kopf und die unteren Extremitäten verlagert. Dieser Mechanismus führt zu massiven lokalen Druckanstiegen. Der Betroffene ist rasch bewusstseinsgetrübt und bereits nach kurzer Zeit bewusstlos. Zudem entstehen Einblutungen im Gesicht bzw. in den Augenhöhlen, ins Gewebe (geplatzte Kapillargefäße) oder sogar ins Schädelinnere (Hirnblutung). Es besteht dabei die Gefahr des Atem- und Kreislaufstillstandes. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Überblick über das Erscheinungsbild beim Rotationstrauma ■ ■ ■ ■ ■ ■ Unfallhergang, Ablauf des Windenvorganges Schwindel, Übelkeit Einblutungen (Gesicht, Gewebe, Augen!) Schockzeichen evtl. Begleitverletzungen Bewusstseinstrübung bis Bewusstlosigkeit 147 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Maßnahmen Die Maßnahmen sind die gleichen wie beim Schädel-Hirn-Trauma. Nach einem Ganzkörpercheck erfolgt je nach Verletzungsschwere eine Notarztnachforderung. Die Lagerung orientiert sich an der Bewusstseinslage und den Kreislaufverhältnissen. Ansprechbare Patienten werden mit leicht erhöhtem Oberkörper gelagert. Bewusstseinsgetrübte oder bewusstlose Patienten in die stabile Seitenlage bringen. Weitere Maßnahmen sind Schockbekämpfung mit Sauerstoffgabe, Wärmeerhaltung und psychischer Betreuung. Während des Abtransportes wird der Patient engmaschig überwacht. Anschließend werden alle Maßnahmen dokumentiert. Überblick über die Maßnahmen beim Rotationstrauma ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Ganzkörpercheck Notarzt rufen Sauerstoffgabe Patienten beruhigen situationsgerechte Lagerung Schockbekämpfung, Wärmeerhaltung lückenlose Überwachung und Dokumentation Fallbeispiel 1. Ihr habt einen abgestürzten Kletterer versorgt, der jetzt durch die Winde eines Hubschraubers aufgenommen wird. Eine Anti-Rotations-Leine ist in Verwendung. Plötzlich ändert der Hubschrauber seine Position und die Antirotationsleine verfängt sich in einem Baum und reißt ab. Der Betroffene im Bergesack rotiert immer schneller. Der Pilot erkennt dies und fängt dies durch Vorwärtsflug ab. Am Zwischenlandeplatz müsst ihr die Versorgung sicherstellen. Übungsfragen 1. Wie kann man die gesundheitlichen Schäden durch ein Rotationstrauma erkennen? 2. Wie werden Betroffene versorgt? 3. Durch welchen Mechanismus entsteht ein Rotationstrauma? 4. Wie stark können die Beschleunigungkräfte im Bergesack werden? 5. Warum kann ein Rotationstrauma lebensbedrohlich werden? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 148 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung 8.4 Höhenerkrankungen Störung und Gefahren Kalte, trockene Luft, erhöhte UV-Strahlung und vor allem Sauerstoffmangel sind die wesentlichen Faktoren, die zu einer Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit in der Höhe führen. Die Zusammensetzung der Luft ist bis in große Höhen gleich, der Barometerdruck aber halbiert sich alle 5500 Höhenmeter, so dass mit zunehmender Höhe der Sauerstoffpartialdruck abnimmt. Bei raschem Aufstieg in mittlere Höhen (1500-2500 m über dem Meer) kommt es bereits zu Funktionseinschränkungen des Gehirns. Große Höhen sind Höhen zwischen 2500 und 5300 m über dem Meer. Hier ist eine Akklimatisation erforderlich. Akklimatisation ist die dauerhafte Anpassung an einen verminderten Sauerstoffpartialdruck. Es gibt drei wesentliche Formen von Höhenerkrankungen. 1. akute Höhenkrankheit (AMS) 2. Höhenlungenödem (HAPE) und 3. Höhenhirnödem (HACE) Die gemeinsame Ursache aller drei Formen ist der Sauerstoffmangel. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Akklimatisation Eine gute Akklimatisation kann das Erkrankungsrisiko reduzieren. Wichtig ist eine langsame Gewöhnung an die Höhe. Die Akklimatisation war erfolgreich, wenn der Ruhepuls und das Leistungsniveau wieder den Werten im Tal entsprechen und eine ausreichende Urinproduktion besteht. Akklimatisationsregeln ■ ■ ■ “climb high-sleep low“: Schlafhöhe täglich um 300 – 500 m erhöhen “don’t go too high too fast”: Langsam aufsteigen, keine Aufstiegshilfen wie Helikopter etc. “don’t go up until symptoms go down“: achte auf Frühzeichen der akuten Höhenkrankheit Verlauf und Erscheinungsbild Die akute Höhenkrankheit tritt vermehrt in Höhen zwischen 2500 und 6000 m auf. Die Beschwerden treten typischerweise 6 bis 48 Stunden nach Höhenexposition auf. Anfangs treten so genannte Frühzeichen wie Kopfschmerz, Appetitlosigkeit, unruhiger Schlaf, und nächtliche Atempausen auf. In dieser Phase der Erkrankung kann man noch auf gleicher Höhe eine Besserung abwarten. Später können Warnsymptome hinzukommen. Starker anhaltender Kopfschmerz, Übelkeit, markanter Leistungsabfall, Schwindel und Bewusstseinsstörungen müssen sehr ernst genommen werden. Das Höhenhirnödem ist eine schwere Verlaufsform der akuten Höhenkrankheit. Sie verläuft häufig tödlich. Die Häufigkeit ist mit 0,3% in großen Höhen geringer als beim Höhenlungenödem. Es tritt fast immer mit Gangunsicherheit und schwersten Kopfschmerzen in Erscheinung. Zudem treten Übelkeit und Erbrechen, Schwindel, Lichtscheue, Sehstörungen und Halluzinationen bis hin zu Bewusstseinsstörungen und Bewusstlosigkeit auf. Das Höhenlungenödem kommt in Höhen über 2500 Metern vor. Es beginnt meist in der zweiten Nacht in einer neuen Höhe. Auf 4500 m haben 15% der Bergsteiger unter starker körperlicher Belastung ein leichtes Höhenlungenödem. Wichtige Hinweise für ein beginnendes Höhenlungenödem sind der plötzliche Leistungsabfall, Atemnot zu Beginn nur bei Anstrengung, später in Ruhe, Blauverfärbung der Schleimhäute, trockener Husten, später Husten mit blutig schaumigen Auswurf, Rasselgeräusche und Fieber bis 38,5°C. Zwei weitere höhenbedingte Erkrankungen sind periphere Höhenödeme (Schwellungen an Fingern, Füßen und Gesicht) sowie Einblutungen der Netzhaut. Beide sind an sich harmlos, gelten aber als Warnhinweise für einen gestörten Akklimatisationsprozess. 149 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Überblick über das Erscheinungsbild Akute Höhenkrankheit (AMS) Überblick über das Erscheinungsbild Höhenlungenödem (HAPE) Frühzeichen Kopfschmerzen Übelkeit Appetitlosigkeit Unruhiger Schlaf Nächtliche Atempausen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Warnsymptome rapider Leistungsabfall konstante, schwere Kopfschmerzen Schlaflosigkeit schwere Übelkeit, Erbrechen Schwindel, Benommenheit Gleichgewichtsstörungen periphere Höhenödeme ■ ■ ■ ■ ■ plötzlicher Leistungsabfall Atemnot bei Anstrengung mit verzögerter Erholung in Ruhe später Atemnot in Ruhe Blauverfärbung der Schleimhäute trockener Husten, später mit blutig schaumigem Auswurf Rasselgeräusche in der Lunge Erbrechen Fieber bis 38,5°C Flachlagerung unmöglich Lagen abgestiegen werden. Auf ausreichenden Kälteschutz ist immer zu achten, Sauerstoff sollte verabreicht werden. Ein Erkrankter darf nie alleine gelassen werden. Prinzipiell sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden (4-5 Liter pro Tag). In den Alpen ist bei Flugwetter ein Rettungshubschrauber das geeignete Rettungsmittel. Überblick über die Maßnahmen Milde Höhenkrankheit (AMS) ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Überblick über das Erscheinungsbild Höhenhirnödem (HACE) ■ ■ ■ ■ ■ ■ schwerste Kopfschmerzen Übelkeit und Erbrechen Gang- und Stehunsicherheit Schwindel Lichtempfindlichkeit und Sehstörungen Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit Maßnahmen Die effektivste Maßnahme zur Behandlung der akuten Höhenkrankheit ist die Erhöhung des Sauerstoffpartialdruckes entweder durch Abstieg, durch Sauerstoffgabe oder indem man den Betroffenen in einen Überdrucksack legt. Die medikamentöse Therapie ist häufig hilfreich, in einigen Fällen sogar lebensrettend, sollte aber „Spezialisten“ vorbehalten bleiben. Bei Frühzeichen der akuten Höhenkrankheit darf nicht weiter aufgestiegen werden, sondern müssen ein bis zwei Ruhetage ohne körperliche Belastung eingelegt werden. Verbessert sich der Zustand des Betroffenen nicht, muss abgestiegen werden. Bei Warnsymptomen der akuten Bergkrankheit, von Höhenhirnödem oder Höhenlungenödem muss immer sofort in tiefere Schwere Form der akuten Höhenkrankheit, Höhenhirnödem (HACE), Höhenlungenödem (HAPE) ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 nicht weiter aufsteigen Ruhepause (1-2 Tage) Abstieg, ggf. Betroffenen tragen viel trinken Kopfschmerztherapie mit Ibuprofen, ASS, usw. (Unverträglichkeit abklären) sofortiger Abtransport in tiefe Lagen Sauerstoffgabe Wärmeerhaltung heiße, gezuckerte Getränke mit Mineralien (abhängig von der Bewusstseinslage), evtl. Infusionstherapie durch Arzt evtl. Überdrucksack Notarzt rufen (Hubschrauber) Lagerung abhängig der Bewusstseinslage, wenn möglich Oberkörperhochlage medikamentöse Therapie (Diamox, Dexamethason bei HACE, Nifedipin bei HAPE) durch Arzt lückenlose Überwachung und Dokumentation 150 8. Spezielle Notfälle in der Bergrettung Fallbeispiele Übungsfragen 1. Ihr werdet nachts in einer Hütte auf 2485 m vom Hüttenwirt geweckt. Ein Bergsteiger hat Atemnot. Er kann im Sitzen besser atmen als im Liegen. Seine Lippen sind blau verfärbt. 1. Ab welcher Höhe können Höhenkrankheiten auftreten und welche? 2. Ihr macht privat eine alpine Hochgebirgstour auf 3500 m und findet eine 40-jährige Frau vor. Die Frau klagt über Atemnot und Übelkeit, möchte aber weiter Aufsteigen. Welchen Rat gebt ihr? 3. Ihr seid privat auf das Jungfraujoch mit der Bahn hochgefahren (3500 m). Ein älteres Ehepaar kommt ins Restaurant und klagt über Unwohlsein mit Übelkeit, leichte Kopfschmerzen und Schwindel. Sie erzählen, dass das Frühstück heut morgen nicht so gut war. Was denkt ihr? 2. Bei welchen Symptomen darf nicht weiter aufgestiegen werden? 3. Bei welchen Symptomen muss sofort versucht werden, weiter abzusteigen oder einen Überdrucksack zu verwenden? 4. Nenne drei durch große Höhe ausgelöste Krankheiten! 5. Dürfen Bergsteiger mit Höhenlungenödem trinken? 4. Ihr seit mit der Bahn auf 3650 m hochgefahren und habt dort übernachtet. Am nächsten Morgen wollt ihr einen Viertausender besteigen. Ihr habt beim Frühstück bereits rasende Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit. Was macht ihr? 5. Ihr seit im Basislager auf 5300 m. Ein Bergsteiger fällt durch Gangunsicherheit, Teilnahmslosigkeit und massive Kopfschmerzen auf. Das Essen hat er bereits erbrochen. 6. Am Jubiläumsgrat (Zugspitze) werden zwei Bergsteiger nach 3 Tagen Suchaktion im Winter gefunden und gerettet. Sie sind unverletzt klagen aber über Übelkeit, Schwindel, „kalte Füße“ und Kopfweh. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 151 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 9. Psychische Notfälle Einsatz Todesfall, psychische Belastung und Erkrankungen Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 153 9. Psychische Notfälle 9.1 Einsatz Todesfall Die Feststellung des Todes erfolgt prinzipiell durch einen Arzt. Nur im Ausnahmefall kann die aktive Einsatzkraft die Todesfeststellung übernehmen bei Verletzungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind oder bei Vorliegen sicherer Todeszeichen wie Totenflecken, Leichenstarre oder Verwesungszeichen. Vorsicht allerdings besonders bei Unterkühlung und Vergiftungen. Würde und Anstand sind die ersten Gebote im Umgang mit Verstorbenen. An der Leiche soll nicht manipuliert und die Lage oder Auffindesituation nicht unnötig verändert werden. Der Verstorbene muss solange vor Ort belassen werden, bis die Polizei anwesend ist und den Leichnam freigibt. Erfolgt eine Bergung der Leiche ohne Inaugenscheinnahme durch die Polizei, sollten nach Möglichkeit zumindest Fotos gemacht werden. Für Bergung und Transport von Leichen werden in der Regel besondere Transportsäcke verwendet. Der Verstorbene soll unmittelbar nach der Todesfeststellung zugedeckt werden, auch wegen unbeabsichtigt vorbeikommender Passanten oder Einsatzkräften. Helfer, die noch nicht mit Toten im Einsatz konfrontiert waren und belastet wirken, sollten darauf angesprochen werden. Die Überbringung von Todesnachrichten an Angehörige wird in der Regel in Zusammenarbeit von Polizei und Kriseninterventionsdienst durchgeführt. Die Verabschiedung vom Verstorbenen durch Angehörige und Tourenpartner ist ein wichtiger Schritt im Umgang mit dem Tod und wird deswegen von den Einsatzkräften der Krisenintervention unterstützt und vorbereitet. 1. Eine erfolglose Reanimation wird durch den Notarzt abgebrochen. Der Einsatzort befindet sich im Skipistengelände 500 m oberhalb der Talstation. 2. Bei Anbruch der Dunkelheit werdet ihr zu einem abgestürzten Kletterer gerufen. Der Seilpartner war zur Hütte abgestiegen, um die Bergwacht zu verständigen. Der Absturz erfolgte über eine Wandhöhe von 300 m. Die Verletzungen sind nicht mit dem Leben vereinbar, ein Notarzt ist nicht mit vor Ort. Ein Hubschraubereinsatz ist auf Grund von Dunkelheit und Gelände nicht möglich. Überblick über die Maßnahmen Einsatz Todesfall ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Fallbeispiele Todesfeststellung nur durch den Notarzt Alarmierung Kriseninterventionsdienst keine Manipulation am Leichnam Abdecken des Leichnams Alarmierung der Polizei Abtransport nach Anweisung durch die Polizei ggf. bildliche Dokumentation Übungsfragen 1. Wer ist vor der Bergung eines Leichnams zu verständigen? 2. Wer ist für die Todesfeststellung zuständig? 3. Nenne Beispiele für sichere Todeszeichen. 154 9. Psychische Notfälle 9.2 Psychische Belastung Im Zuge von Freizeit und Erleben im Gebirge stellen Tod und Unfallereignisse psychische Ausnahmesituationen für Beteiligte und Angehörige dar. Störung und Gefahren Betroffene können Angehörige, Hinterbliebene Gruppenmitglieder, Ersthelfer sein, aber auch Dritte die sich betroffen fühlen. Auslösende Faktoren sind Ereignisse, auf die sich der Betroffene nicht einstellen kann, weil sie überraschend kommen und als Bedrohung des Lebens oder der Existenz erlebt werden, unabhängig davon, ob dies objektiv nachvollziehbar ist. Dazu kann auch der Tod eines Angehörigen oder eines nahestehenden Menschen zählen. Erscheinungsbild (Symptome) und Verlauf Der Betroffene erlebt völlige Hilflosigkeit, intensive Angst, Entsetzen oder Grauen, sowie Chaos oder Orientierungslosigkeit. Erkennungsmerkmale dafür sind z.B. Gefühllosigkeit, Abgestumpftheit oder fehlende emotionale Reaktionsfähigkeit. Verminderung der Wahrnehmungsfähigkeit der Umwelt und unangebrachte Verhaltensweisen können zu Selbstgefährdung führen, bis hin zum Gefühl, alles passiere nur im Traum oder sei unwirklich wie in einem Film. Zum Teil kann man sich an wichtige Aspekte des Geschehenen nicht mehr erinnern. Auswirkungen davon können sich auch erst nach einigen Stunden oder Tagen zeigen, z.B. durch auffälliges Vermeiden von Gesprächen, Gedanken, Handlungen, Personen und Orten, die Erinnerungen an das Ereignis hervorrufen. Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Weitere Symptome können gesteigerte Aggressivität, Reizbarkeit und Überempfindlichkeit, Schlafstörungen, Alpträume, Konzentrationsstörungen, Schreckhaftigkeit und innere Unruhe sein. Diese Symptome sind eine normale Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis. Sie können nur einige Tage aber auch bis zu vier Wochen andauern. Die Art und Form der emotionalen Reaktion hängt von der persönlichen Entwicklung und Erfahrungen ab und können nicht abgeschätzt werden. Maßnahmen Die aktive Einsatzkraft sollte sich einen Überblick verschaffen und frühzeitig den Kriseninterventionsdienst alarmieren, Betroffene – auch emotional – nicht alleine lassen, zuhören und bei Antworten diese nicht werten. Gefühle und Aussagen sollten akzeptiert werden und bei Unklarheiten sollten nur gesicherte Tatsachen wertungsfrei weitergegeben werden. Ziel bei der Betreuung Betroffener ist die emotionale Stabilisierung in der akuten Notfallsituation. Die längerfristige Begleitung oder psychotherapeutische Betreuung ist Aufgabe professioneller Stellen. Überblick über das Erscheinungsbild Zeitnah zum Geschehen ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Entsetzen, Grauen, Fluchtreaktionen Chaos, Orientierungslosigkeit völlige Hilflosigkeit Gefühllosigkeit sachlich unangepasstes Verhalten intensive Angst Selbstgefährdung Schuldgefühle 155 9. Psychische Notfälle Ersthelfer Bei der Betreuung von Ersthelfern ist darauf zu achten, sie nicht zu übersehen, sie zu motivieren und Wert zu schätzen. Oft leidet ein Ersthelfer unter dem Gefühl, nicht genug oder das Falsche getan zu haben. Vorhandene Schuldgefühle sollten dabei relativiert und ihm für sein Engagement gedankt werden. Auch kann er – sofern er das möchte – evtl. in die weitere Versorgung mit eingebunden werden. Betreuung kann auch bedeuten, dem Ersthelfer verwendetes Verbandsmaterial zu ersetzen, etwas zu essen oder trinken anzubieten oder bzgl. der Fortsetzung/ Abbruch der Tour zu beraten. Die Möglichkeit zum „Durchschnaufen“ sollte in jedem Fall ermöglicht werden. Gruppen Gruppen, die durch den Unfall eines Mitgliedes unmittelbar betroffen sind, dürfen keinesfalls unbeachtet bleiben. Unter Berücksichtigung der körperlichen und psychischen Verfassung kann ein sicherer Abstieg im Rahmen einer Betreuung durch den Kriseninterventionsdienst erfolgen. Ggf. sollte spätestens nach Ankunft im Tal der Betreuungsbedarf abgeklärt werden, bevor die Gruppe auseinander geht. Starke psychische Belastungen vermindern die Leistungsfähigkeit, weshalb auf ausreichend Pausen geachtet werden soll. Umgang mit Medien Beim Umgang mit Medien ist insbesondere bei Einsätzen mit Schwerverletzten und/oder Toten darauf zu achten, dass die Medienarbeit grundsätzlich im Interesse der Bergwacht ist, deshalb aber auch im Aufgabenbereich von Pressesprechern liegt. Bei Unklarheiten kann der EL Bergwacht kontaktiert werden. Patienten, Angehörige und alle Betroffenen sollten vor der Medienberichterstattung geschützt werden, wir selbst unterliegen der Schweigepflicht und es ist auch nicht unsere Aufgabe, über mögliche Schuldfragen zu befinden. Da alle am Einsatz beteiligten aktiven Einsatzkräfte mehr oder weniger stark emotional beteiligt sind, ist es häufig besser, jemandem die Arbeit mit der Presse zu übertragen, der etwas Abstand zu dem Einsatz hat. Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ Gelegentlich realisieren Betroffene die Tragweite eines Ereignisses erst zeitversetzt, weshalb die emotionalen Reaktionen individuell und sehr unterschiedlich auftreten können. Häufig tritt dies bei Gruppenmitgliedern auf, die anfänglich distanziert, „abgeklärt“ oder „cool“ wirken. Es ist wichtig, darauf zu achten, wie Gruppenmitglieder miteinander umgehen (Schuldzuweisungen, o.ä.) und ob evtl. Einzelgespräche notwendig sind. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ Überblick über das Unfallgeschehen und Beteiligte verschaffen Kontakt zu Beteiligten herstellen und durchgehend sicherstellen Akzeptanz zeigen für die Situation des Betroffenen sprechen, informieren und zuhören Selbständigkeit unterstützen ggf. Alarmierung Krisenintervention Kriseninterventionsdienst Für die Betreuung von Betroffenen, Angehörigen, Bergkameraden, Freunden und Ersthelfern stehen Kriseninterventionsdienste zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um Einsatzkräfte aus dem Berg- bzw. Rettungsdienst, welche über eine Zusatzausbildung für diese Aufgabe verfügen. Sie stehen im Einsatzfall zeitnah zur Verfügung und entlasten die Einsatzkräfte, welche in den unmittelbaren Rettungseinsatz eingebunden sind. Ziel dieser Arbeit ist die Unterstützung der Betroffenen zur Wiedererlangung von Handlungsfähigkeit in dieser außergewöhnlichen Situation. Ferner soll Vorsorge gegenüber der Entstehung einer psychischen Krankheit (z.B. Posttraumatische Belastungsstörung, „krankhafte“ Trauer) in Folge des Unfallereignisses getroffen werden. Ein Alarmierung sollte möglichst zeitnah erfolgen bei: Einsatzsituation für Krisenintervention ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Reanimation oder Todesfall Polytrauma Lawinenunglück Vermisstensuche Seilbahn- oder Liftunglück Schwerer Verkehrs- oder Arbeitsunfall am Berg Suizid (auch Versuch) Tod eines Kindes Überbringen einer Todesnachricht an Hinterbliebene Nach Einschätzung / Bedarf des Einsatzleiters, der Einsatzkräfte 156 9. Psychische Notfälle Umgang mit der eigenen Belastung Der Umgang mit der eigenen Belastung beginnt im Rahmen der Anwärterausbildung. Ein hohes Maß an fachlicher Qualifikation im Bereich der Bergrettung und eine entsprechende körperliche Fitness erhöhen die Reizschwelle für das Aufkommen von Stress. Eine gut funktionierende Kameradschaft und ein konstruktives Miteinander kann die Einsatzbelastung jedes Einzelnen deutlich verringern. Nur ca. 5 – 10% aller Bergretter/-innen werden innerhalb ihrer Bergwachttätigkeit mit dem Anblick eines toten Menschen konfrontiert. Dennoch muss jeder darauf vorbereitet sein. Einsatznachbesprechungen sollten sich generell nicht ausschließlich auf den taktischen Ablauf des Einsatzes beschränken. Oberstes Ziel muss es immer sein, die emotionale Belastung der Einsatzkräfte zu reduzieren. Die Maßgabe für das, was als belastend empfunden wird, ist dabei nicht die allgemeine Meinung, sondern das, was jeder Einzelne für sich als belastend empfindet. Auch Bergretter /-innen mit sehr viel Einsatzerfahrung sind vor akuter Traumatisierung nicht gefeit. Es ist wesentlich mutiger zu sagen: „Der Einsatz ist mir nahe gegangen“, oder „ich bekomme das Bild dieser schweren Verletzung nicht aus dem Kopf“, als vorzugeben „das macht mir gar nichts aus“. Galgenhumor und Witze reißen muss nicht zwangsläufig ein Zeichen von Gefühllosigkeit sein. Meist ist es nur ein Mittel, um mit der Situation umgehen zu können. Vorsicht, dies darf nicht in der Nähe von Betroffenen oder über Funk geschehen. Feste Rituale sind ein gutes Mittel, um bewusst aus dem Einsatz zu kommen. z.B. Einsatzleiter: „Danke für Eure gute Arbeit, jetzt ist Einsatzende“ und den Einsatz nachbesprechen. Ablegen der Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Die Tragödie oder das körperliche Leid, das uns bei manchen unserer Einsätze umgibt verändert häufig die Biographie der Beteiligten. Uns als Retter sollte aber sehr bewusst sein, dass dies das Schicksal anderer Menschen ist und wir in den entsprechenden Einsätzen unser Möglichstes geleistet haben bzw. zukünftig unser Möglichstes tun. Die Bergwacht möchte, dass du als Helfer keinen Schaden an Leib und Seele nimmst. Deshalb erachtet die Bergwacht es als einen zentralen Bestandteil der Personalfürsorge, dass besonders belastende Ereignisse im Bergwacht-Dienst verantwortet und strukturiert aufgearbeitet werden. Einsatzspezifische Belastungen (Schlafstörungen, Wiedererinnerung, verändertes Essverhalten, Befindlichkeitsstörungen) sind eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis. Sie können sich jedoch zu posttraumatischen Belastungsstörungen als schwerem gesundheitlichen Folgeschaden auswirken. Kennzeichnend hierfür können sein: wiederkehrende belastende Erinnerung an das Ereignis, anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Wachsamkeit, übertriebene Schreckreaktion und die Verminderung sozialer Kontakte. Entscheidend zur Erhaltung der seelischen Gesundheit ist der Umgang mit sich selbst. Zu einer guten Verarbeitung von außergewöhnlichen belastenden Einätze helfen folgende Regeln. Überblick über die Maßnahmen ■ ■ ■ ■ ■ akzeptiere die eigenen Reaktionen und Gefühle (sie sind keine Schwäche sondern Ergebnis der geleisteten Arbeit!) bewusst Abstand gewinnen, Zeit für Erholung und Abstand planen sich Zeit für die Verarbeitung nehmen, im Gespräch oder durch „Aufschreiben“ des Erlebten, körperliche Aktivität, Sport Unterstützung bei Freunden und Familien suchen und annehmen vertraute Alltags- und Freizeitgewohnheiten beibehalten Einsatznachbesprechungen sollten nicht nur auf einsatztechnischer Seite durchgeführt werden, sondern auch einen die Psyche entlastenden Teil beinhalten. Maßnahmen dieser Art werden bei entsprechenden Einsätzen nach Anforderung durch die Mitarbeiter eines SbE Teams (SbE = Stressbearbeitung nach belastenden Einsätzen) durchgeführt. 157 9. Psychische Notfälle 9.3 Psychische Störungen und Erkrankungen ■ ■ ■ Akute Belastungsreaktion – ABR Akute Belastungsstörung – ABS PTBS Post Traumatische Belastungsstörung Suizidalität bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen Akute Belastungsreaktion / (-Störung) Die Akute Belastungsreaktion ist eine normale körperliche und seelische Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis, welche zu Beginn noch keinen eigenen Krankheitswert besitzt. Allerdings kann sich im Rahmen des Erscheinungsbildes ein Leidensdruck entwickeln, der dann auch die Handlungsfähigkeit einschränken kann. Daraus kann sich eine psychische Störung oder sogar psychiatrische Erkrankung entwickeln wie z.B. ein verschleppter und unbehandelter grippaler Infekt sich zu einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung ausbreiten kann. Die akute Belastungsreaktion kann durch ein Unfallereignis mit Bedrohung des Lebens, der Sicherheit oder Unversehrtheit des Betroffenen oder einer geliebten Person durch z.B. Unfall, Naturkatastrophe oder ungewöhnliche plötzliche und bedrohliche Veränderung der sozialen Stellung ausgelöst werden. An Symptomen zeigt sich meist ein gemischtes und gewöhnlich wechselndes Bild mit anfänglicher „Betäubung“, dann Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität oder Rückzug. Häufig werden Ausschnitte der Situation „wiedererlebt“ in Form von Geräuschen, Bildern, Gerüchen und Sinneseindrücken (Intrusionen). Die Symptome sind rasch rückläufig nach Ende der unmittelbaren Belastung können aber auch bis zu 48 Stunden (Belastungsreaktion) bzw. bis zu 4 Wochen (Belastungsstörung) anhalten. Grundausbildung Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Grundausbildung || Notfallmedizin Posttraumatische Belastungsstörung Hält die Symptomatik über den Zeitraum von 4 Wochen hinaus an, kann sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als verzögerte oder verlängerte seelische und körperliche Reaktion auf ein belastendes Ereignis entwickeln. Belastende Ereignisse können sein, eine außergewöhnliche Bedrohung oder ein katastrophenartiges Ausmaß einer Situation (z.B. bei schwerem Unfall, gewaltsamen Tod oder Naturkatastrophen). Symptome sind zusätzlich zu den Merkmalen einer Akuten Belastungsreaktion wiederholtes Erleben der Belastung („flash-backs“), ein andauerndes Gefühl des Betäubtseins, emotionale Stumpfheit, Teilnahmslosigkeit und die Unmöglichkeit, Freude zu empfinden. Dies führt zur Vermeidung von auslösenden Faktoren, Angst, Panik und Aggression, einer Übererregtheit und Überempfindlichkeit des Gehirns („Hyperarousal“) bis hin zum Suchtmittelmissbrauch und Suizidalität. Mit diesen psychiatrischen Erkrankungen ist die aktive Einsatzkraft der Bergwacht am ehesten im Rahmen von Suizidalität konfrontiert. Effektive spezifische Maßnahmen sind meist nur durch professionelle Stellen möglich, allerdings kann die Einsatzkraft die Situation durch einige allgemeine Maßnahmen entschärfen. Überblick über das Erscheinungsbild bei psychischen Notfällen / Erkrankungen Mögliche Merkmale: Orientierungslosigkeit, Verwirrtheit Angst und Panik Wechsel von Ruhe und Erregung, Aggression Verkennung der Realität Kontaktaufnahme ist erschwert Gedankensprünge, Wahnvorstellungen körperliche Erregtheit, Schwitzen, Übelkeit, Benommenheit Äußerungen über suizidale Absichten Äußerungen über Art und Weise des geplanten Selbstmordes ■ ■ ■ ■ ■ ■ Suizidalität Dazu abzugrenzende psychiatrische Erkrankungen sind Anpassungsstörungen, Störungen bei denen Gefühle, Gedanken und Wahrnehmung nicht mehr zusammenarbeiten (disoziative Störungen), affektive und wahnhafte Störungen, Zwangsund Somatisierungsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen und Sucht. ■ ■ ■ 158 9. Psychische Notfälle Maßnahmen Man sollte offen sein und zuhören, mit dem Unerwarteten rechnen, auf Eigenschutz und Fremdsicherung achten. Ein „Lösen“ des „Problems“ ist normalerweise nicht möglich, allerdings können im Rahmen einer Deeskalation Perspektiven angeboten werden. Sehr zeitnah sollte professionelle Hilfe hinzugezogen werden. Freiheitsentzug, z.B. durch Unterbringung auf einer geschlossenen Station eines Nervenkrankenhauses, ist normalerweise nur durch ein Gericht, die Polizei oder das Ordnungsamt mit entsprechender ärztlicher Stellungnahme möglich. Dafür müssen entweder Selbstgefährdung, Fremdgefährdung oder andere Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegen. Fallbeispiele Fallbeispiele 1. Ihr werdet zu einem Felsköpfchen gerufen. Dort hält sich eine Person auf, die Selbstmordabsichten geäußert hat. Polizei und ein Polizeipsychologe werden gleichzeitig mit Euch alarmiert, brauchen aber ca. 20 Min. länger als ihr. Ihr findet eine 28-jährige Frau vor, die mit einem Sprung in die Tiefe droht. 1. Der Tourenführer einer 6-köpfigen Gruppe ist bei einem Lawinenabgang tödlich verschüttet worden. Nach der Bergung sind noch mehrere Einsatzkäfte mit der Gruppe auf dem Lawinenfeld. 2. Eure Bereitschaft wird zu einer Vermisstensuche alarmiert. Der Vermisste soll laut Freundin unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehen und trägt eine Waffe bei sich. Das Suchgebiet erstreckt sich über steiles Waldgelände. 2. Vor der Bergrettungswache wirst du nach einer erfolglosen Vermisstensuche von einem Reporter angesprochen, ob es nicht unvernünftig von der vermissten Person war, allein unterwegs zu sein. Der gleiche Reporter will von dir wissen, warum die Suche abgebrochen wurde. Übungsfragen Überblick über die Maßnahmen bei psychischen Notfällen/Erkrankungen ■ ■ ■ ■ ■ ■ Eigenschutz und Fremdgefährdung beachten, Distanz wahren Sicherheit vermitteln; Kontakt aufrechterhalten Notarzt, Polizei, Kriseninterventionsdienst rufen Gedanken und Äußerungen der Betroffenen zur Selbsttötung sind immer ernst zu nehmen nur in Ausnahmefällen Gewalt zum Fremd- und/oder Eigenschutz anwenden Transport und Weiterbehandlung rechtzeitig organisieren Übungsfragen 1. Welche Personen werden bei Einsätzen häufig vergessen? 1. Wie soll man sich als Bergretter gegenüber Personen verhalten, die Selbstmordabsichten geäußert haben? 2. Wer sollte noch möglichst früh alarmiert und nachgefordert werden? 3. Darf ein Patient mit Gewalt von einem Selbsttötungsversuch abgehalten werden? 2. Wer übernimmt die Aufgabe der Betreuung von Tourenpartnern und Angehörigen nach Unfällen mit weitreichenden Folgen? 3. Wie können Reaktionen von Beteiligten nach einem tödlichen Unfall im Gebirge ausfallen? 4. Worin besteht der Unterschied zwischen Akuter Belastungsreaktion und Posttraumatischer Belastungsstörung? 5. Welche Verhaltensweisen sind typisch für eine akute Belastungsreaktion? Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 159 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 10. Praktisches Arbeiten Fachbereich: Ausbildungsstufe: Stand: Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Notfallmedizin Grundausbildung 12 / 2007 161 10. Praktisches Arbeiten 10.1 Beurteilen, messen und überwachen Beurteilung der Haut Durch genaues Beobachten des Betroffenen stellt man fest, ob die Hautfarbe normal rosig, blass oder blau (Zyanose) verändert ist. Eine Blaufärbung ist zuerst an den Schleimhäuten, z.B. Zunge oder an Lippen, Ohrläppchen und Fingernägeln sichtbar. Durch Anfassen ist feststellbar, ob die Haut warm oder kalt, trocken oder feucht ist. Pulskontrolle Handgelenk Der Puls ist eine durch Blutauswurf des Herzens entstehende Druckwelle. Er ist an den oberflächlich verlaufenden Arterien tastbar bzw. sichtbar. Beim Pulsfühlen können die Frequenz (Anzahl der Schläge pro Minute) und der Rhythmus (Regelmäßigkeit des Pulses) beurteilt werden. Puls an der Handgelenksschlagader (Radialispuls) Von der Daumenseite her kommend, tastet man mit den Fingerbeeren den Puls am Arm. Eine Kontrolle dieses peripheren Pulses ist jedoch nicht immer möglich, da z. B. die Zentralisierung beim Schock bewirken kann, dass der Puls am Handgelenk kaum oder nicht tastbar ist. Puls an der Halsschlagader (Carotispuls) Es wird mit drei Fingerbeeren seitlich neben dem Kehlkopf der Puls getastet. Normalwerte des Pulses im Ruhezustand: Neugeborenen ca. 140 Schläge/Min. 2-jährigem ca. 120 Schläge/Min. 10-jährigem ca. 90 Schläge/Min. Erwachsener ca. 60 bis 80 Schläge/Min. ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 162 10. Praktisches Arbeiten Blutdruck / RR (nach Riva Rocci) Die durch die Tätigkeit der linken Herzkammer hervorgerufenen rhythmischen Druck- und Volumenschwankungen im arteriellen System werden durch die Aorta und die großen Arterien gedämpft und weitergegeben. Die Wände dieser Arterien werden während der Austreibungsphase (Systole) des Herzens gedehnt und speichern (Windkesselfunktion) dabei etwa die Hälfte des Schlagvolumen. Diese Blutmenge wird während der Erschlaffungsund Füllungszeit (Diastole) des Herzens an die anschließenden Gefäßabschnitte weiter gegeben. Die Druckschwankungen in den Gefäßen werden durch Angabe der Maximal- und Minimalwerte angegeben. ■ ■ Systolischer Druck (oberer Wert) Diastolischer Druck (unterer Wert) Die gemessenen Normalwerte des Blutdrucks liegen meist bei 120/80 mm Hg. Zur besseren Beurteilung kann der Patient auch nach seinen normalen Blutdruckwerten gefragt werden. Mit zunehmendem Lebensalter steigen der systolische und weniger stark der diastolische Blutdruck an. Aber auch bei älteren Menschen betrachtet man systolische Werte von über 160 mm Hg und diastolische Werte über 95 mm Hg als krankhaft. Das Blutdruckverhalten hängt von folgenden Faktoren ab: Schlagkraft des Herzens Widerstand in den Gefäßen des Körpers zirkulierende Blutmenge (Volumenmangel) Stress, Angst, Schmerzen ■ ■ ■ Blutdruckmessung mit Stethoskop Dazu wird die luftleere Blutdruckmanschette um die Mitte des entblößten Oberarmes gelegt und der Verschluss zusammengefügt. Die Manschette sollte etwa 2/3 des Oberarmes bedecken. Für Kinder oder Babys gibt es spezielle Manschetten. Das System wird z.B. mit einer Stellschraube geschlossen und das Stethoskop in der Ellenbeuge angelegt. Man betätigt den Gummiball und achtet auf Blutdruckgeräusche. Alternativ kann dies auch durch Pulskontrolle am Handgelenk geschehen (danach wird das Stethoskop aufgesetzt). Die Manschette wird soweit aufgepumpt, bis keine Geräusche mehr hörbar sind, die Arterie ist nun völlig zusammengedrückt. Der Druck in der Manschette ist größer als der Blutdruck. Man beobachtet jetzt die Druckanzeige genau und lässt durch langsames Öffnen des Systems den Druck ab. Die Druckentlastung führt zur Öffnung der Arterie und damit wieder zum Durchfluss des Blutes im Bereich der Engstelle. Das Durchströmen des Blutes an der Engstelle im Gefäß erzeugt mit dem Stethoskop wahrnehmbare Geräusche. Beim ersten wahrgenommen Ton liest man die Skala ab und merkt sich den Wert (systolischer Druck). Nun wird der Druck weiter langsam abgelassen. Die Arterie öffnet sich weiter, das Geräusch des durchfließenden Blutes wird deutlicher. Wenn das Geräusch verschwindet, fließt das Blut wieder ungehindert in der Arterie. Der Druck in der Manschette entspricht dem Druck in den Gefäßen. Beim letzten hörbaren Ton liest man wieder die Skala ab und merkt sich diesen zweiten Wert (diastolischer Druck). ■ Normalwerte im Ruhezustand: 10-jährigem Erwachsener Systole 90-125 100-140 Diastole 60 mmHg 60-90 mmHg Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 163 10. Praktisches Arbeiten Blutdruckmessung ohne Stethoskop In schwierige Situationen (Kälte, Lärm, Transport) kann es notwendig sein den Blutdruck ohne Stethoskop palpatorisch, d.h. durch Tasten, ggf. über der Kleidung zu messen. Die Blutdruckmanschette wird wie oben beschrieben angelegt und aufgepumpt. Anschließend wird der Manschettendruck abgelassen bis wieder ein Puls am Handgelenk tastbar ist. Dieser Wert auf dem Manometer entspricht ungefähr dem systolischen (oberen) Blutdruckwert. Ein diastolischer (unterer) Blutdruckwert kann so nicht ermittelt werden. Bei Messungen über der Kleidung kann der Wert verfälscht sein (meist wird ein zu hoher Druck gemessen). Pulsoximeter Mit dem Pulsoximeter kann die Sauerstoffsättigung im Blut gemessen werden. Gleichzeitig kann dieses Gerät noch die Pulsfrequenz anzeigen. Beim gesunden Menschen sind Werte von über 95% als normal anzusehen. Liegt der Messwert darunter, sollte Sauerstoff verabreicht werden. Verschiedene Erkrankungen- oder Verletzungen machen es trotz guter Messwerte notwendig, Sauerstoff zu verabreichen. Da das Gerät nur im zirkulierenden Blut die Sauerstoffsättigung misst, kann es bei einem Volumenmangelschock zwar anfangs einen normalen Wert anzeigen, der Körper hat jedoch ein Sauerstoffdefizit (z.B bei starken Rauchern). Kohlenmonoxid im Blut kann einen falschen Wert vorgaukeln. Kalte Finger des Patienten können dazu führen, dass eine Messung der Sauerstoffsättigung nicht möglich ist. ���� ���� Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 164 10. Praktisches Arbeiten EKG, Defibrillator EKG Mit einem EKG kann die elektrische Aktivität des Herzens sichtbar gemacht werden. Es lassen sich Aussagen zu elektrischen Aktionen und Beeinträchtigungen des Herzens treffen. Hierzu klebt man mehrere Elektroden auf den Brustkorb, die durch das Patientenkabel mit dem EKG verbunden werden. Die gebräuchlichste Ableitung zur einfachen Beurteilung des Herzrhythmus ist die Dreikanal-Ableitung. Hierzu werden je nach Modell drei bis vier Elektroden benötigt. Blutzucker-Messgerät / BZ Messstreifen Es gibt verschiedene Blutzuckermessgeräte und Teststreifen, mit denen der Blutzuckergehalt des Blutes gemessen werden kann. Hier müssen die jeweiligen Herstellerangaben beachtet werden. Defibrillator Im Rettungsdienst ist meist im EKG ein Defibrillator integriert. Er kann durch gezielte Stromstöße (Defibrillation) Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern und Kammerflattern beenden. AED Neuere EKG Geräte können lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen erkennen. Nach der Diagnose eines defibrillierbaren Rhythmus wird ein Elektroschock vorgeschlagen und freigegeben. Um ein EKG oder einen Defibrillator in der Bergrettung zu benutzen, bedarf es einer Einweisung gemäß dem Medizinproduktegesetz (MPG). Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 165 10. Praktisches Arbeiten 10.2 Atemwegssicherung, Inhalation und Beatmung Umgang mit Sauerstoff Technische Hinweise Sauerstoff (O2) wird in weißen Flaschen und dem Kennbuchstaben „N“ unter Druck aufbewahrt (bis 2006 waren Sauerstoffflaschen blau mit einem weißen Kopfring). Sauerstoffflaschen sind vor Stoß und Druck zu schützen. Alle Teile, die mit dem unter Druck stehenden Sauerstoff in Berührung kommen, dürfen keinesfalls gefettet oder geölt werden, da sonst Explosionsgefahr besteht! Inhaltsdruck Ein Inhaltsdruck der Sauerstoffflasche von 200 bar bedeutet, dass sich im Vergleich zu einer Flasche ohne Druckbefüllung die 200-fache Menge an Sauerstoff in der Flasche befindet. Flascheninhalt Flascheninhalt = Rauminhalt x Inhaltsdruck Demnach befinden sich in einer gefüllten 2-Liter-Flasche bei einem Druck von 200 bar 400 Liter Sauerstoff (2 Liter x 200 bar = 400 Liter Sauerstoff) Zubehör Der ausströmende Sauerstoff wird zunächst von einem Druckminderer auf einen „Arbeitsdruck“ von ca. 4,5 bar reduziert, dort kann meist auch die Abgabemenge in Liter / Minute eingestellt werden. Dies gilt nur für die Geräteeinstellung „Sauerstoffinhalation“. Demandventile ermöglichen beim Beatmen mit dem Beatmungsbeutel eine maximale Sättigung der Einatemluft mit Sauerstoff. Wird mit Beatmungsgeräten beatmet, ist der Sauerstoffverbrauch pro Minute den Herstellerhinweisen zu entnehmen. Sauerstoffinhalation Sauerstoff kann dem Patienten über verschiedene Hilfsmittel verabreicht werden. Zur Sauerstoffinhalation können eine Nasensonde, Sauerstoffbrille, Sauerstoffmaske und Sauerstoffmaske mit Reservoir verwendet werden. Die Sauerstoffausbeute für den Patienten ist bei der Nasensonde am schlechtesten und bei der Sauerstoffmaske mit Reservoir am besten. Sauerstoffmasken benötigen eine Mindestdurchflussmenge (Herstellerangaben). Berechnung des Sauerstoffvorrates Die Zeit, für die der Sauerstoffvorrat einer 2-Liter-Flasche mit einem Inhaltsdruck von 200 bar bei einer Sauerstoffabgabe von 4 Litern/Minute (flow) ausreicht, wird folgendermaßen berechnet: Flaschengröße x Inhaltsdruck = mögliche Behandlungsdauer Abgabemenge pro Minute Beispiel: 2 l-Flasche x (200) bar 4 l pro Minute Mögliche Behandlungsdauer = 100 Minuten Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 166 10. Praktisches Arbeiten Methoden der Beatmung Ist ein Atemstillstand vorhanden, muss kontrolliert beatmet werden. Der Bergretter kniet oberhalb des Kopfes und hält den Hals leicht überstreckt. Die Beatmungsmaske wird so auf das Gesicht gesetzt, dass Mund und Nase bedeckt sind. Mit Daumen und Zeigefinger wird die Maske fest auf das Gesicht gedrückt (C-Griff) und mit den restlichen Fingern wird der Unterkiefer nach vorne und oben gezogen. Der Guedeltubus wird, mit der Spitze zum Gaumen zeigend, zunächst zu ca. 2/3 seiner Gesamtlänge eingeführt. Danach wird er unter Drehung von 180 Grad ganz hinein geschoben. Sollte der Patient dabei würgen, ist der Patient nicht tief bewusstlos. Sind bei liegendem Tubus die Atemwege nicht frei, muss er ggf. durch einen größeren Tubus ersetzt werden . Absaugen Absaugen kann man je nach Absaugpumpenmodell mit dem Absaugrüssel oder einem Absaugkatheter. Der Absaugkatheter sollte nicht zu klein gewählt werden, damit er ein ausreichendes Absaugvolumen hat. Die maximale Einführlänge des Absaugkatheters entspricht der Strecke zwischen Mundwinkel und Ohrläppchen. Andernfalls könnte der Kehlkopfbereich (z.B. Stimmritze/Kehlkopfdeckel) verletzt oder ein Würgereiz provoziert werden. Zum Einführen des Absaugkatheters nimmt man die Position am Kopfende des Betroffenen ein. Der Mund wird für den Absaugkatheter geöffnet und „ohne Sogwirkung“ eingeführt, da sich ansonsten der Absaugkatheter bereits beim Einführen an der Rachenwand festsaugen kann. Erst wenn der Absaugkatheter eingeführt und „positioniert“ ist, darf der „Sog“ erzeugt werden. Hierbei wird der Absaugkatheter „unter Sog drehend“ langsam herausgezogen. Vorsicht! Während der gesamten Absaugprozedur findet keine Beatmung statt! ■ ■ Guedeltubus Bei Maskenbeatmungen ist bei tief bewusstlosen Patienten das vorherige Einführen eines Guedeltubus in den Mund-RachenRaum empfehlenswert. Er verhindert, dass Zunge und Zungengrund die Atemwege verlegen. Guedeltuben gibt es in verschiedenen Größen. Die richtige Größe ergibt sich am Patienten durch Abmessung der Entfernung zwischen Mundwinkel und Ohrläppchen. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ Bei häufigem Absaugen muss ggf. der Auffangbehälter entleert werden. Es kann sich als hilfreich erweisen, wenn der Patient zum Mundraum ausräumen/absaugen mit zwei Helfern auf die Seite gedreht wird. 167 10. Praktisches Arbeiten 10.3 Assistenz des Notarztes Das folgende Kapitel beschreibt Maßnahmen, die grundsätzlich nur vom Notarzt durchgeführt werden. Der Bergretter muss aber in der Lage sein, diesen in besonderen Situationen (z.B. Massenanfall von Verletzten, schwieriges Gelände, Notarzt ohne Begleitung eines Rettungsassisten/-Sanitäter) bei der Ausführung seiner Tätigkeit zu unterstützen. Dazu gehört u.a. auch die Assistenz bei folgenden Maßnahmen: Vorbereiten einer intravenösen Infusion Benötigtes Material: Infusionslösung nach Anordnung des Notarztes (Plastikflaschen oder Plastikbeutel ) steril verpacktes Infusionsbesteck steril verpackte Venenverweilkanülen (im allg. Sprachgebrauch “Viggos/Braunülen“) Blutdruckmanschette oder Stauschlauch Hautdesinfektionsmittel sterile Kompresse oder Tupfer Fixierpflaster für Venenverweilkanülen Heftpflaster Einmalhandschuhe elastische Binde Abwurfbehälter für Venenverweilkanülen ■ ■ ■ ■ Intravenöse Infusion Der Begriff intravenöse ( = in eine Vene) Infusion bezeichnet das Einfließen von Flüssigkeit über eine Venenverweilkanüle in den Körper. Diese besteht aus einer Metallkanüle mit transparentem hinteren Ende und einem diese umgebenden Kunststoffkatheter. Nach der Punktion wird dieser flexible Katheter in die Vene vorgeschoben und dort belassen, die Metallkanüle wird entfernt. Über die Venenverweilkanüle ist es dem Notarzt auch möglich, Medikamente intravenös zu verabreichen (intravenöse Injektion). ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Vorbereitung der intravenösen Infusion Infusionslösung prüfen (vom Notarzt vorgegebene Art der Lösung, Ablaufdatum, Flüssigkeit klar, mechanische Beschädigungen, Mengeninhalt) Schutzkappe der Infusionsflasche entfernen Infusionssystem aus steriler Verpackung nehmen Rollklemme des Infusionssystems schließen Schutzkappe an der Infusionsflasche/Beutel entfernen Schutzkappe am Einstichdorn entfernen und Einstichdorn des Infusionssystems in die dafür vorgesehene Öffnung der Infusionsflasche einstechen Infusionsflasche hoch halten flexible Tropfkammer des Infusionssystems durch vorsichtigen Druck bis zur Hälfte mit Infusionslösung füllen Rollklemme des Infusionssystems öffnen und den Infusionschlauch vollständig entlüften, bis sich keine Luftbläschen mehr darin befinden ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Alko Alkoholthoupltuferpfer Ri Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 168 10. Praktisches Arbeiten Hilfe beim Anlegen der Infusion Möglichst hygienisch arbeiten! Staubinde anreichen Desinfektion der geplanten Einstichstelle Verpackung der Venenverweilkanüle (Größe bzw. Farbe nach Angaben des Notarztes) öffnen und so anreichen, dass der Notarzt die Kanülenflügel fassen kann nach erfolgter Venenpunktion Stauung lösen das Ansatzstück des Infusionsschlauches steril anreichen Metallkanüle der Venenverweilkanüle nach evtl. Blutzuckermessung im Abwurfbehälter entsorgen (Achtung! Verletzungsgefahr!) Fixierung der Venenverweilkanüle mit Fixierpflaster und des Infusionsschlauches mit Heftpflasterstreifen und Mullbinde ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Intravenöse Injektion Der Begriff intravenöse Injektion bezeichnet das heute im Rettungsdienst übliche Verfahren der Verabreichung von Medikamenten über eine Venenverweilkanüle in eine Vene. Injektionslösungen stehen in Glasampullen (häufigste Verwendungsform), Plastik- und Stechampullen zur Verfügung. Normalerweise werden heutzutage Brechampullen verwendet, bei denen ein Anfeilen nicht mehr nötig ist. Viele Ampullen haben Aufkleber, die abgezogen und auf die Einwegspritzen mit der aufgezogenen Injektionslösung angebracht werden können. Alle Größen von Einwegspritzen sind passend für den Ansatzkonus von Venenverweilkanülen, nach dem sog. Luer-System, das in Deutschland Verwendung findet. Benötigtes Material: Ampulle mit Injektionslösung (Brech- oder Stechampulle) nach Anordnung des Notarztes Einwegspritze (Größe nach Volumeninhalt der Injektionslösung) Einwegkanüle Hautdesinfektionsmittel sterile Kompresse oder Tupfer zur Hautdesinfektion Kompressen zum Öffnen der Brechampulle Abwurfbehälter ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Alkohopf ltuerpfer Alkoholtu Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 169 10. Praktisches Arbeiten Vorbereiten einer Injektion Jede Injektionslösung muss überprüft werden beim Bereitlegen vor dem Aufziehen vor der Verabreichung Entnahme der Stechampulle ■ ■ ■ ■ ■ ■ Vorbereiten der Einwegspritze Spritze der Verpackung entnehmen Kanüle der Verpackung entnehmen, Schutzkappe nicht entfernen Kanüle auf Spritze aufstecken ■ ■ ■ Entnahme aus der Brechampulle ■ ■ ■ ■ Brechampulle prüfen (vom Notarzt vorgegebene Art der Lösung, Ablaufdatum, Flüssigkeit klar, mechanische Beschädigungen, Mengeninhalt) evtl. vorsichtig Injektionsflüssigkeit aus dem Ampullenkopf in den Ampullenkörper klopfen/schütteln Ampullenkopf abbrechen (zur Vermeidung von Schnittverletzungen Tupfer oder Kompresse mit dem Daumen und Zeigefinger um den Ampullenhals klemmen) Spritze nehmen, Schutzkappe der Kanüle abnehmen und Injektionslösung aufziehen ■ Spritze entlüften ■ Neue Kanüle aufsetzen ■ Spritze kennzeichnen (entweder Aufkleber, mit wasserfesten Stift beschriften oder die verwendete Ampulle zusammen mit der Spritze anreichen) und dem Notarzt übergeben Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 ■ ■ ■ ■ ■ Stechampulle prüfen (vom Notarzt vorgegebene Art der Lösung, Ablaufdatum, Flüssigkeit klar, mechanische Beschädigungen, Mengeninhalt) Verschlusskappe der Stechampulle entfernen Spritze nehmen, Schutzkappe der Kanüle abnehmen und die gleiche Menge an Luft aufziehen, wie anschließend als Lösungsmenge entnommen werden soll Gummikappe der Stechampulle durchstoßen und die in der Spritze befindliche Luft einspritzen Spritzenkolben vorsichtig zurück ziehen und hierdurch Spritze mit Medikament füllen neue Kanüle aufsetzen Spritze kennzeichnen (entweder Aufkleber, mit wasserfesten Stift beschriften oder die verwendete Ampulle zusammen mit der Spritze anreichen) und dem Notarzt übergeben muss evtl. nochmals Injektionslösung aus der gleichen Stechampulle aufgezogen werden, wird die Gummikappe der Stechampulle mit Desinfektionslösung desinfiziert (Einwirkzeit beachten!) und neue Spritzen und Kanülen verwendet! Gebrauchtes Spritzen- und Ampullenmaterial immer im Abwurfbehälter entsorgen und eine lückenlose Dokumentation von Menge und Art der verabreichten Medikamente sicherstellen! 170 10. Praktisches Arbeiten Endotracheale Intubation Der Bergriff endotracheale ( = in die Luftröhre) Intubation bezeichnet das Einführen eines Kunststoffschlauches über den Mund (orotracheal) oder die Nase (nasotracheal) in die Luftröhre. Die Intubation stellt die sicherste Beatmungsmöglichkeit für den Notarzt dar. Durch den hinter der Spitze des Endotrachealtubus angebrachten Ballon (sog. Cuff) wird eine Aspiration von Blut und Erbrochenem verhindert und gleichzeitig die optimale Belüftung beider Lungenflügel gewährleistet. Diesem Cuff wird über einen in der Tubuswand eingebauten Schlauch, der bis außerhalb des Mundes reicht, mit einer Einwegspritze Luft verabreicht, bis die Luftröhre abgedichtet wird. Das sog. Laryngoskop ( = Kehlkopfspiegel) ermöglicht dem Notarzt die nötige Sicht in den Kehlkopf, um eine sichere Intubation durchführen zu können. Es besteht aus einem Batteriegriff und einem in der Größe auswechselbaren Spatel mit einer Lichtquelle am vorderen Ende. Bei schwierigen Intubationsverhältnissen wird vorher ein Führungsstab (sog. Mandrin) in den Tubus eingeführt. Es gibt auch Tuben mit bereits eingelegtem Führungsstab. Er erleichtert die nötige Krümmung und Stabilisierung des Tubus für eine erfolgreiche Intubation. Die Magill-Zange wird zur Entfernung von Fremdkörpern aus dem Mund-Rachenraum und zur nasotrachealen ( = über die Nase in die Luftröhre) Intubation verwendet. Vorbereiten einer Intubation ■ ■ Laryngoskop (Spatelgröße nach Angaben des Notarztes) Endotrachealtuben (2 Tuben verschiedener Größe nach Angaben des Notarztes) ■ Führungsstab (-mandrin) ■ Blockerspritze, 10 ml ■ Guedeltubus als Beißschutz ■ evtl. Gleitmittel für Tubus ■ Stethoskop ■ Beatmungsbeutel, Sauerstoffreservoir und Sauerstoff-Flasche ■ Handschuhe anziehen ■ Tubus auf Dichtigkeit des Ballons prüfen ■ geprüften Tubus mit Gleitmittel vorbereiten ■ ■ ■ ■ befeuchteten Führungsstab in den Tubus bis zur Tubusspitze einführen und am entgegengesetzten Tubusende umknicken Laryngoskop zusammensetzen und prüfen (Lichtquelle ausreichend?) Laryngoskop dem Arzt (Rechtshänder) in die linke Hand geben evtl. absaugen Tubus (evtl. mit Führungsstab) an die rechte Hand des Notarztes (Rechtshänder) reichen ■ Fixierbinde oder Tubus-Fixateur ■ Einmalhandschuhe Magillzange ■ ■ evtl. Kopf-/Hals-Lage auf Anweisung des Notarztes korrigieren Absauggerät mit Absaugkathetern ■ ■ Tubus nach erfolgter Intubation mit 10ml-Spritze blocken ■ ■ Ankerstich Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Assistenz bei der Durchführung der Intubation Beatmungsbeutel anschließen und zur Kontrolle der richtigen Tubuslage Patienten vorsichtig beatmen. Notarzt prüft gleichzeitig die Tubuslage mittels Stethoskop ■ Guedeltubus einführen ■ Tubus fixieren ■ Blockerspritze entfernen ■ Beatmung durchführen Nach erfolgter Intubation muss der Tubus immer gesichert werden, um ein Abknicken oder Verrutschen zu verhindern! Bei fehlgeschlagener Intubation oder Verschmutzung des Tubus neuen Tubus verwenden! 171 10. Praktisches Arbeiten 10.4 Ruhigstellungsmaßnahmen und Wundversorgung Grundsätze der Ruhigstellung von Frakturen Benachbarte Gelenke werden mit ruhig gestellt! Helm abnehmen Viele Sportler tragen mittlerweile Helme. Integralhelme verhindern oder erschweren die Kontrolle von Bewusstsein, Atmung und Kreislauf und die Durchführung lebensrettender Sofortmaßnahmen. Der Helm bei Wintersportlern erschwert oftmals das Anlegen einer Halskrause, so dass dieser abgenommen werden muss. Nach dem Anlegen einer Halskrause sollte wieder der Helm Grundausbildung Grundausbildung || Notfallmedizin Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 oder eine Mütze aufgesetzt werden, um eine Unterkühlung zu verhindern. Beim Abnehmen des Helmes ist darauf zu achten, dass die Halswirbelsäule möglichst wenig bewegt wird. Ein Helfer am Kopf fixiert den Helm während der zweite Helfer die Helmverschlüsse öffnet und den Kopf im Nacken unterstützt. Der Helfer am Kopf zieht nun den Helm nach oben weg und übernimmt anschließend wieder die Stabilisierung des Kopfes. 172 10. Praktisches Arbeiten HWS Stabilisierung (Halskrause oder Inline-Methode) Die Wahl der richtigen Größe des HWS-Stützkragens ist wichtig für eine optimale Patientenversorgung. Ein zu kleiner Kragen gewährleistet eine nur unzureichende Ruhigstellung. Ein zu großer Kragen kann eine Überstreckung des Halses bewirken (Größenwahl nach Angaben des Herstellers in der Bedienungsanleitung). Das fachgerechte Anlegen eines Immobilisationskragens erfolgt möglichst immer durch zwei Helfer. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Ein Helfer kniet hinter dem Patienten und hält die Halswirbelsäule in Neutralposition, d.h. ohne Zug. Der zweite Helfer misst mit seinen Fingern den Abstand zwischen Schulterhöhe und Kinn ab und vergleicht den Abstand mit den Markierungen auf der Halskrause. Er bereitet die passende Halskrause vor und entfernt störende Kleidungstücke und Schmuck. Dann drückt er die Kinnstütze brustwärts fest an den Hals und legt die Halsstütze um den Nacken. Jetzt wird der Klettverschluss unter mäßigem Zug geschlossen. 173 10. Praktisches Arbeiten Vakuummatratze Ein ideales Ruhigstellungsmittel zur Stabilisierung des gesamten Körpers ist die Vakuummatratze. Insbesondere bei Wirbelbrüchen, Beckenbrüchen, Oberschenkelbrüchen, aber auch bei polytraumatisierten Patienten soll möglichst immer die Vakuummatratze eingesetzt werden. Die Vakuummatratze wird vorbereitet, indem das Ventil geöffnet, die Oberfläche geglättet bzw. vormodelliert und etwas angesaugt wird. Je nach Art der Verletzung und der zur Verfügung stehenden Ausstattung werden unterschiedlich viele Bergretter benötigt. In jedem Fall ist darauf zu achten, dass der Bruchbereich beim Überheben nicht bewegt wird. Befindet sich der Betroffene auf der Vakuummatratze, so wird das Ventil wieder geöffnet und die Matratze anmodelliert und abgesaugt. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Die Schaufeltrage Die Schaufeltrage dient insbesondere zur „bewegungsarmen Umlagerung“ (da nur geringe Bewegungsveränderungen im Bereich der Wirbelsäule) von Patienten mit Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung. Die Schaufeltrage wird zuerst neben dem Betroffenen auf die benötige Länge eingestellt. Durch Öffnen der Verschlüsse wird die Schaufeltrage in zwei Hälften geteilt. Die beiden Hälften der Schaufeltrage werden dann vorsichtig von der Seite unter den Verletzten geschoben. Die Schaufeltrage wird am Kopf- und Fußende zusammen gefügt, so dass die Verschlüsse einrasten. Der Verletzte wird mit der Schaufeltrage angehoben und auf die leicht angesaugte Vakuummatratze verbracht. Anschließend die Schaufeltrage entfernen, den Patienten vollständig in die Vakuummatratze einsinken lassen und absaugen. Muss der Verletzte mit der Schaufeltrage über eine größere Wegstrecke getragen werden oder muss die Rettung mit der Schaufeltrage in steilem Gelände erfolgen, ist der Verletzte unbedingt anzugurten. Vakuumschiene Die Vakuumschiene arbeitet nach demselben Funktionsprinzip wie die Vakuummatratze: Durch Erzeugen eines Vakuums im Inneren wird die Schiene fest und stabilisiert so die Verletzung. Die Schiene gibt es für Arme und Beine in unterschiedlichen Größen. Die verletzte Extremität wird von einem Helfer gehalten, während der zweite Helfer die Schiene anlegt und die Klettverschlüsse schließt. Durch das nun anschließende Absaugen wird die Schiene hart. Die Klettverschlüsse sollten der Reihe nach den veränderten Verhältnissen eingepasst werden. Universell einsetzbares Schienenmaterial (z.B. Sam Splint, Kramerschiene) Nach dem Entrollen der Schiene wird diese je nach Länge der zu versorgenden Extremität vorgeformt und ggf. durch Umfalten gekürzt. Um die Stabilität der Schiene zu verstärken, kann sie so gebogen werden, dass die Form einer „Dachrinne“ (U-Form) oder T entsteht. Nun wird die Schiene möglichst genau an die anatomischen Gegebenheiten der verletzten Extremität angepasst und mit Leukoplast, Mullbinden, elastischen Binden oder Dreiecktüchern fixiert. 174 10. Praktisches Arbeiten Lagerungen Die richtige Lagerung erfüllt mehrere Zwecke zugleich. Einerseits soll sie vor weiterem Schaden schützen, andererseits den Abtransport so angenehm wie möglich für den Patienten gestalten. Durch Ruhigstellung und Schienung verletzter Körperregionen werden Schmerzen gemildert. Durch Oberkörperhoch- oder Flachlagerung kann der Kreislauf unterstützt oder entlastet werden. Letztendlich soll jedoch der Patient das Maß aller Dinge sein, denn er fühlt, welche Körperhaltung für ihn die angenehmste ist. Der Transport im Ackja oder der Gebirgstrage ist auch Bestandteil der Lagerung, da hier die Lage zur Horizontalen ständig verändert wird. Nur im flachen Gelände sollte der Patient mit dem Kopf nach unten transportiert werden, wenn dies das Verletzungs- oder Erkrankungsmuster erfordert. Ansonsten ist der Kopf- oben- Transport vorzuziehen, da hier der Druck im Inneren des Schädels weniger ansteigt und somit mögliche sekundären Schädigungen des Patienten verhindert werden. Außerdem ist diese Lage wesentlich angenehmer für den Patienten. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Stabile Seitenlage Die stabile Seitenlage wendet man bei selbstständig atmenden, bewusstseinsgetrübten oder bewusstlosen Patienten an. Durch die Stabile Seitenlage werden die Atemwege frei gemacht und eine versehentliche Anatmung von Flüssigkeit und Feststoffen, wie Speichel, Blut und Erbrochenem verhindert. Besteht der Verdacht auf weitere Verletzungen sollte der Verletzte mit mehreren Helfern in die stabile Seitenlage gedreht werden (Im engen Ackja ist es hilfreich, das obere Bein anzuwinkeln). 1. 3. 2. 4. 175 10. Praktisches Arbeiten Schocklage Die Schocklagerung wird angewendet, wenn aufgrund von Volumenverlust der Körper keinen ausreichenden Blutdruck zur Durchblutung erzeugen kann. Das aus den Beinen zurückströmende Blut unterstützt hier die Kreislauffunktion. Bei Patienten die aufgrund ihrer Verletzung nicht bewegt werden sollten, erfolgt die Schocklage mittels „schräg stellen“ der Gebirgstrage/Ackja. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Flachlagerung Die Flachlagerung findet Anwendung bei allen schwereren Verletzungsmustern, sowie Erkrankungen mit schlechten Kreislaufverhältnissen. Atemunterstützende Lagerung Bei Atemnot (Lungenödem, Asthma) werden die Patienten oft selbständig eine Position einnehmen, um die Atemhilfsmuskulatur besser auszunützen. Hier kann der Bergretter unterstützend tätig sein. Oberkörperhochlagerung Die Oberkörperhoch-Lagerung findet Anwendung bei Erkrankungen des Herzens, um die Belastung des Herzens zu verringern. Ebenso bei Kopfverletzungen, um den Druck im Inneren des Schädels zu verringern und den venösen Abfluss zu verbessern. Lagerung mit Knierolle Mit einer Knierolle erreicht man eine Entlastung der Bauchdecke, sie findet Anwendung bei Erkrankungen, die mit Bauchschmerzen einhergehen. Eine Knierolle kann auch zusätzlich mit anderen Lagerungen angewendet werden, um das Liegen angenehmer zu machen. 176 10. Praktisches Arbeiten Verbände Ein Verband ist nötig sobald die Haut verletzt wurde. Er schützt die Wunde vor weiterer Verschmutzung und damit vor Infektionen. Die einfachste Art des Verbandes ist das Heftpflaster, mit dem man kleinere Wunden versorgt. Sobald die Wunden großflächiger sind oder stark bluten, muss man mit anderen Verbandsmaterialien (Verbandpäckchen, Verbandtuch und sterilen Kompressen) arbeiten. ...geiil ! Rahmenverband Der Rahmenverband findet Anwendung bei Wunden, die wegen ihrer Größe nicht mehr mit einem Heftpflaster versorgt werden können. Eine Sterile Wundauflage wird mit langen Pflasterstreifen über der Wunde befestigt. Druckverband Bei stark blutenden Wunden wird auf die sterile Wundauflage zusätzlich noch ein Verbandpäckchen oder eine Binde gelegt, um den Druck direkt auf die Wunde auszuüben und so die Blutung zu stoppen. Nach dem Anbringen des Druckverbandes muss an der betroffenen Extremität noch ein Puls tastbar sein. ...geiil ! Hier einige Verbände mit denen man den Großteil aller Wunden adäquat versorgen kann: Kopfverband Bei Wunden im Kopfbereich fixiert man die sterile Wundauflage des Verbandpäckchens mit zwei Kreisgängen. Damit der „Turban“ nicht nach oben rutscht, geht man einen Kreisgang unter dem Kinn hindurch. Wichtig ist, dass kein Kreisgang um den Hals geführt wird. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Armtrageschlinge Mit einer Armtrageschlinge können Verletzungen der Schulter und des Armes ruhig gestellt werden. Diese Ruhigstellungsmaßnahme kann auch mit einem „Sam Splint“ kombiniert werden (Handgelenksverletzung). 177 10. Praktisches Arbeiten 10.5 Desinfektion und Hygiene Allgemeines Wir sind umgeben von Bakterien, Viren und Pilzen. Manche benötigen wir zum Leben (Darmflora), andere können Krankheiten auslösen (Infektionskrankheiten), wenn sie in unseren Körper gelangen. Übertragungswege sind z.B. kleine Tröpfchen in der Luft beim Husten (Tröpfcheninfektion), Körperkontakt (Schmierinfektion) oder über Körperflüssigkeiten. Auch indirekte Übertragungen über Gegenstände oder Tiere sind möglich. Ausschlaggebend für eine Ansteckung sind verschiedene Faktoren: Wie hoch ist die Keimbelastung? Ist z.B. ein Virus besonders aggressiv? ■ ■ ■ Ist das betroffene Immunsystem durch Krankheit oder Verletzung geschwächt? Erleichtern Wunden als Eintrittspforten den Weg in den Körper? Ein intaktes Immunsystem kämpft ständig gegen eine Vielzahl von Krankheitserregern. Es „lernt“ ständig dazu, was durch Impfungen unterstützt werden kann. Einige Krankheiten können nur über Körperflüssigkeiten übertragen werden. Andere werden bevorzugt über Tröpfcheninfektionen verbreitet. Hygiene Um die Anzahl von Krankheitserregern gering zu halten, ist es ratsam sich an allgemeine Hygieneregeln zu halten. Das Händewaschen nach dem Toilettengang verhindert, dass über Schmierinfektionen Fäkalkeime weiterverbreitet werden. Die Hand vor den Mund halten beim Husten verringert die Gefahr von Tröpfcheninfektionen. In der Bergrettung sind zwei Personengruppen gefährdet: der Retter und der Patient. Die Rettungsmannschaft ist zum Beispiel durch Blut gefährdet, das Krankheiten wie Aids oder Hepatitis übertragen kann. Allgemeine Schutzmaßnahme ist das Vermeiden von Blutkontakt durch das Tragen von flüssigkeitsdichten Schutzhandschuhen. Der erkrankte oder verletzte Patient ist durch Krankheitserreger gefährdet, die sich in der Umwelt oder auf unserer Ausrüstung befinden. Schutz bietet hier das sterile Verbinden von Wunden (Eintrittspforten) und die sorgfältige Verwendung von sterilem Material. Sterilisation Beim Sterilisieren eines Medizinproduktes werden alle enthaltenen Mikroorganismen und deren Sporen abgetötet sowie Viren, Prionen (infektiöse Proteine), Plasmide und andere DNAFragmente zerstört. Sterilisiert wird unter anderem mit Hitze, Chemikalien, Gasen oder Strahlen. Desinfektion Beim Desinfizieren reduziert man die Keimanzahl so, dass eine Infektion bzw. Übertragung ausgeschlossen werden kann. Es gibt Desinfektionsmittel, die je nach Art für verschiedene Einsatzzwecke geeignet sind. So wird unterschieden zwischen Flächendesinfektionsmitteln, Mittel für Instrumentendesinfektion, Händedesinfektions- und Hautdesinfektionsmitteln. Das Desinfektionsmittel muss auf die verschiedenen Keime (Viren, Bakterien, Sporen, Pilze) abgestimmt sein. Bei der Desinfektion muss auch die vom Hersteller vorgeschriebene Einwirkzeit und Konzentration eingehalten werden. Die Desinfektion selbst erfolgt durch Wischen oder Einlegen in Desinfektionlösung. Bei der Anwendung des Desinfektionsmittels müssen folgende Punkte bedacht werden ■ ■ ■ ■ Grundausbildung Notfallmedizin| |12 12//2007 2007 Grundausbildung || Notfallmedizin richtiges Desinfektionsmittel (Fläche, Instrumente, Hände, Haut) richtiger Einsatzzweck (Viren, Bakterien, Pilze) richtige Konzentration richtige Einwirkzeit 178 10. Praktisches Arbeiten Hygienische Händedesinfektion Durch die hygienische Händedesinfektion sollen diejenigen Keime unschädlich gemacht werden, die durch Kontakt mit kontaminierten Objekten auf die Oberfläche der Haut gelangt sind. Kontaminierte Hände dürfen erst nach der Desinfektion mit Wasser und Seife gereinigt werden, da Seife das Desinfektionsmittel neutralisieren kann. Eigenschutz Zum Eigenschutz gehört das Vermeiden von Übertragungskontakt mit infektiösen Patienten, Körperflüssigkeiten oder Material. Dies kann mittels Schutzhandschuhen, Schutzbrille oder Desinfektion von verwendetem Material (z. B. blutige Schiene) geschehen. Das Desinfektionsmittel wird zunächst in ausreichender Menge in die hohle Hand gegeben und anschließend über die Hände verteilt. Die Hände sind 30 Sek. lang mit Desinfektionsmittel gründlich zu benetzen und gegeneinander zu reiben. Besondere Sorgfalt ist auf die Desinfektion der Fingerkuppen und des Nagelfalzes zu legen. Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 179 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Grundausbildung | Notfallmedizin | 12 / 2007 Bergwacht-Zentrum für Sicherheit und Ausbildung Am Sportplatz 6 83 646 Bad Tölz [email protected] www.bw-zsa.org In enger Zusammenarbeit mit den Landesverbänden und Gliederungen der Bergwacht des Deutschen und Bayerischen Roten Kreuzes