MPG-official form - Max Planck Institute for Chemical Ecology

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7. November 2016
Nr. 15/2016 (170)
Abhängigkeit kann ein evolutionärer Vorteil sein
An ihre Umwelt angepasste und von anderen abhängige Bakterien wachsen
besser
Es ist eine weitverbreitete Annahme, dass es für Lebewesen vorteilhaft ist möglichst
unabhängig von anderen zu sein. Einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts für
chemische Ökologie ist es nun gelungen experimentell zu zeigen, dass es ganz im
Gegenteil für Bakterien sinnvoll sein kann ihre Autonomie zur Herstellung von Stoffen
aufzugeben und sich von anderen abhängig zu machen. Dies bedeutet, dass nicht nur
der Erwerb neuer Eigenschaften, sondern auch der Verlust von bestimmten
Fähigkeiten die evolutionäre Anpassung von Bakterien an die Umwelt – und
möglicherweise auch anderen Organismen – vorantreibt (PLOS Genetics, DOI:
10.1371/journal.pgen.1006364)
Geschäftsführender
Direktor
Prof. Dr. David G. Heckel
Tel.: +49 (0)3641 – 57 1500
[email protected]
Presse
Angela Overmeyer M.A.
Tel.: +49 (0)3641 – 57 2110
FAX:+49 (0)3641 – 57 1002
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Anschrift
Beutenberg Campus
Hans Knoell Str. 8
07745 Jena, Germany
Internet
www.ice.mpg.de
Durch natürliche Auslese entstehen metabolische Abhängigkeiten. Die ursprünglich unabhängige
Population des Bakteriums Escherichia coli (linke Seite) spaltet sich auf in zwei genetisch
unterschiedliche Teilpopulationen (rechte Seite): eine, die weiterhin unabhängig ist und sämtliche
Metaboliten selbstständig herstellen kann (vollständige Zellen), und eine, die bestimmte Fähigkeiten
verloren haben (offene Zellen). Die so neu entstandenen Zellen werden von den metabolisch
autonomen Zellen abhängig, da diese die Stoffe, wie beispielsweise Aminosäuren (Dreieck, Kreis und
Quadrat), produzieren, die sie zum Überleben brauchen. Grafik: Glen D’Souza, Christian Kost, MaxPlanck-Institut für chemische Ökologie
Es ist schon seit längerem bekannt, dass gentechnisch veränderte Bakterien, die
einen bestimmten Stoff nicht mehr selbst herstellen können, diesen jedoch von
Quellen in ihrer Umwelt erhalten können, deutlich besser wachsen, als Bakterien, die
alles selbst herstellen (siehe Pressemeldung “Arbeitsteilung im Reagenzglas” vom
2.12.2013). Christian Kost, Leiter der Studie und inzwischen Professor an der
Universität Osnabrück, wollte daher wissen, ob auch durch natürliche Selektion der
Verlust von Eigenschaften begünstigt wird und Bakterien damit abhängiger von ihrer
Umwelt werden. Um dieser Frage nachzugehen, kultivierten er und sein Doktorand
Glen D’Souza das Darmbakterium Escherichia coli für mehrere Generationen unter
optimalen Nährstoffbedingungen. Die Kultur wurde regelmäßig in frische Nährlösung
überführt und bei jedem dieser Schritte wurde auch eine Probe genommen, um die
Fähigkeiten der Bakterien sowie deren Erbsubstanz zu untersuchen.
Die Ergebnisse bestätigten die Vermutung: Bakterien, die ursprünglich autonom
waren, verloren ihre Fähigkeiten zur Herstellung von Stoffen, wie beispielsweise
Aminosäuren. Sie wurden damit von ihrer Umwelt abhängig, die mit diesen
Nährstoffen angereichert war. „Zu unserer Überraschung fanden wir das gleiche
Ergebnis, wenn keine Nährstoffe extern zugegeben wurden“, erläutert Glen D’Souza,
Erstautor der Studie. „Die Bakterien teilten sich in zwei Gruppen: Eine Gruppe war
nach wie vor autonom, während die andere von diesen autonomen Bakterien
abhängig wurde, die die Stoffe noch selbst herstellen konnten.“
Der Verlust von Merkmalen wurde nicht nur bei Bakterien beobachtet, sondern ist
auch für andere Gruppen von Lebewesen bekannt. So kann auch der Mensch viele
Vitamine nicht selbst herstellen, sondern ist dafür auf seine Nahrung oder
vitaminproduzierende Bakterien im Darm angewiesen. Auch viele Krankheitserreger
brauchen für ihre Vermehrung Stoffe, die nur ihr Wirt produziert. Bisher war
weitgehend unklar, warum Lebewesen in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt ihre
Selbständigkeit aufgeben und sich damit in eine Abhängigkeit von anderen
Organismen begeben. Die Studie zeigt nun, dass der Verlust von Eigenschaften
entwicklungsgeschichtlich vorteilhaft sein kann und dadurch die evolutionäre
Anpassung vorantreibt.
„Es gab noch weitere Ergebnisse, mit denen wir nicht gerechnet haben. Die
Erbsubstanz der abhängigen Bakterien war nicht nur an den Stellen verändert, die
direkt an der Herstellung der Aminosäuren beteiligt sind, sondern es waren auch
Gene verändert, die solche Stoffwechselprozesse über aktivierende oder hemmende
Proteine steuern“,
berichtet Christian Kost. Das bedeutet, dass die gleiche
Anpassung in der Bakterienpopulation auf unterschiedliche Weise erreicht werden
kann. In der Studie fand sich nur eine einseitige Anpassung einer Gruppe von
Bakterien, die von einer anderen abhängig wurde. Die Autoren sind sich aber sicher,
dass bei einer längeren Versuchsdauer auch gegenseitige und wesentlich komplexere
Abhängigkeiten entstanden wären. Das Experiment soll daher noch weiter fortgeführt
werden. Natürliche Selektion hängt nicht nur von der genetischen Ausstattung,
sondern auch von der Populationsgröße ab. In der Natur schwankt die Größe von
Bakteriengemeinschaften sehr stark in Abhängigkeit von deren Lebensstil. Daher
möchte das Team herausfinden, wie die Größe von Bakterienpopulationen die
Entwicklung von Abhängigkeit und damit die Veränderung ihrer Genome beeinflusst.
Ein schwieriges Problem in der biologischen Forschung ist die Unkultivierbarkeit der
allermeisten Bakterienarten. Die Ergebnisse der neuen Studie tragen zu einer
Erklärung dieses Phänomens bei: Bakterienpopulationen entwickeln sehr schnell
metabolische Abhängigkeiten von ihrer Umgebung, die sich in einer Veränderungen
des bakteriellen Genoms manifestieren. Metagenomische Analysen von Umweltproben, die die ökologischen Wechselwirkungen mikrobieller Lebens-gemeinschaften
in ihrer natürlichen Umgebung einbeziehen, könnten helfen, dieses Problem zu lösen.
Auch in eher anwendungsorientierten Zusammenhängen sind die Forschungsergebnisse von Interesse. Bakterielle Lebensgemeinschaften spielen eine wichtige
Rolle für die Gesundheit von Menschen, Pflanzen und Tieren. Metabolische
Kooperation, also die Frage, wie sich Bakterien am wechselseitigen Stoffaustausch
beteiligen, könnte ein wichtiges Kriterium bei der Zusammenstellung solcher
Gemeinschaften für eine Anwendung in der Landwirtschaft und auch im
Gesundheitswesen sein. Bakterien könnten so ausgewählt werden, dass sie entweder
das Wachstum oder die Abwehr gegen Krankheitserreger unterstützen. [KG/AO]
Originalveröffentlichung:
D’Souza, G., Kost, C. (2016). Experimental evolution of metabolic dependency in
bacteria. PLOS Genetics. DOI: 10.1371/journal.pgen.1006364
http://dx.doi.org/10.1371/journal.pgen.1006364
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christian Kost, Abteilung Ökologie, Fachbereich Biologie, Universität
Osnabrück, Barbarastraße 13, 49076 Osnabrück, Tel: Tel. +49 541 969-2853, E-Mail
[email protected]
Kontakt und Bildanfragen:
Angela Overmeyer M.A., Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str.
8, 07743 Jena, +49 3641 57-2110, E-Mail [email protected]
Download von hochaufgelösten Fotos über www.ice.mpg.de/ext/downloads2016.html
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