Die Shoah im Baltikum

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Birgit Seemann
Die Shoah im Baltikum
Erinnerung und Ausblick anhand dreier neuer Studien
S
eit dem Fall des »Eisernen Vorhangs«, der den Zugang zu den Archiven Osteuropas und
die Befragung dort lebender Zeitzeugen ermöglichte, widmet sich die hiesige Forschung intensiver der lange vernachlässigten Shoah im Baltikum. In den Blick rückt dabei die vielfältige Kultur der seit Jahrhunderten ansässigen jüdischen Minderheit, zugleich aber auch
deren fortlaufende Gefährdung zwischen den Fronten des russischen Zarismus, des Sowjetstalinismus und der nationalen Selbstbehauptung der kleinen baltischen Länder gegen ihre
Okkupanten. Erst das Vernichtungsprogramm des NS-Regimes beendete dann in nur drei
Jahren Besatzungszeit endgültig die Geschichte des Judentums im Baltikum, das zugleich
ein zentraler Tatort des Massenmords am deutschsprachigen Judentum wurde.
HISTORISCHER ABRISS
Der Begriff »Baltikum« bezeichnet die drei kleineren nordosteuropäischen Ostseestaaten
Estland, Lettland und Litauen. Das weitgehend katholische Litauen grenzt südlich an Polen,
südwestlich an die russische Enklave Kaliningrad (Königsberg), östlich und südöstlich an
Weißrussland, im Norden an Lettland. Lettland und Estland, beide protestantisch geprägt,
unterhalten von jeher enge Beziehungen zu ihren größeren Nachbarn Schweden bzw. Finnland. Nach dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk erklärten sich im Jahre 1918 alle drei
Staaten zu unabhängigen Republiken (Teile Litauens wurden allerdings von Polen annektiert). Die Befreiung vom Joch des russischen Zarenreichs wurde zum Teil der Aktivität
deutscher Freikorps zugeschrieben, während der historisch belegte jüdische Anteil an den
nationalen Befreiungskämpfen offenbar verdrängt wurde. Dem demokratischen Zwischenspiel folgte seit Mitte der 1920er Jahre in allen drei Ländern ein nationaler Rechtsruck mit
antisemitischen Tendenzen, der autoritäre Regierungen an die Macht brachte, während sich
außenpolitisch bereits der erneute Verlust der mühsam erkämpften Unabhängigkeit abzeichnete. Die drei geheimen Zusatzprotokolle zu dem auf den 23. August 1939 datierten
deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt (»Hitler-Stalin-Pakt«) der beiden Diktaturen wiesen Lettland, Estland sowie Finnland, später auch Litauen, dem sowjetischen Einflussbereich
zu. Noch im gleichen Jahr wurden Zehntausende »Deutschbalten« »heim ins Reich« geholt.
1940 rückten sowjetische Truppen ins Baltikum vor, seit Juni 1941 häuften sich – kurz vor
dem NS-Einmarsch – die Internierungen, Hinrichtungen und Massendeportationen von Oppositionellen, Intellektuellen und so genannten bürgerlichen »Elementen« auch jüdischer
Herkunft in die stalinistischen Lager Sibiriens und Kasachstans. Gleichwohl konnte das offenbar von den deutschen Besatzern lancierte Gerücht greifen, die jüdische Bevölkerung
habe mit den Bolschewisten kollaboriert und sich an den Verschleppungen beteiligt. Obwohl
die kommunistische Seite das Judentum wiederum des Kapitalismus und Kosmopolitismus
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bezichtigte, versuchten viele Jüdinnen und Juden, den Nationalsozialisten zu entkommen,
indem sie sich dem Rückzug der Roten Armee anschlossen.
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 besetzte die Wehrmacht in rascher Folge zunächst Litauen, dann Lettland und Estland. Anfangs wurden die
Deutschen von Teilen der Bevölkerung, die sich von dem Einmarsch die Befreiung vom stalinistischen Terror und die Wiedererlangung der staatlichen Autonomie erhofften, mit Jubel
empfangen. Hitlers »Mission« der »Endlösung« wurde sogleich umgesetzt und verlief in
drei Phasen: Von Juni bis Dezember 1941 initiierten die NS-Besatzer Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung, woran einheimische »Selbstschutz«-Kommandos wie das berüchtigte
lettische Arajs-Kommando und insbesondere in Litauen Teile der nichtjüdischen Bevölkerung aktiv mitwirkten. Hinzu kamen Massenverhaftungen von baltischen Oppositionellen
und nicht rechtzeitig geflohenen Kommunisten. Seit Juli 1941 organisierten Einsatzgruppen
der deutschen Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes den planmäßigen Massenmord
am baltischen Judentum, mitausgeführt von litauischen, lettischen und estnischen Kollaborateuren. Der Shoah fielen in nur wenigen Monaten fast 85 Prozent der baltischen Jüdinnen
und Juden, etwa 220 000 Menschen, zum Opfer. In der zweiten Phase wurden von Januar
1942 bis März 1943 in Vilnius, Riga und anderen größeren Städten Ghettos errichtet, um jüdische Häftlinge für die NS-Kriegswirtschaft auszubeuten. Von April 1943 bis Juli 1944
folgte als dritte Phase die Liquidierung der bis dahin überlebenden Juden durch Mordaktionen und Deportationen in Lager wie Stutthof bei Danzig. Nur etwa drei Prozent der vor dem
NS-Einmarsch nicht geflüchteten Jüdinnen und Juden sollen die Shoah überlebt haben.
Dazu kamen die Massenerschießungen tausender aus Deutschland, Österreich und der
Tschechoslowakei deportierter Juden und Jüdinnen (vgl. Scheffler / Schulle 2003).
Den Genozid stoppte erst die erneute Machtübernahme der Roten Armee im Herbst 1944.
Die baltischen Staaten wurden zu Sowjetrepubliken umgeformt, Hunderttausende wirkliche
oder vermeintliche Kollaborateure verhaftet oder deportiert. Zuvor waren Tausende von Litauern, Letten und Esten mit den Deutschen nach Westen geflohen, um später nach Kanada,
Süd- und Nordamerika oder Australien auszuwandern. Der zahlreiche Widerstand antibolschewistischer Partisanen (»Waldbrüder«), unter ihnen NS-Kollaborateure und Mittäter der
Shoah, gegen Sowjetherrschaft und Russifizierung wurde blutig gebrochen.
DREI NEUE STUDIEN
Am 25. Juli 1941 hatten die Nationalsozialisten das »Reichskommissariat Ostland« mit
Litauen, Lettland, Estland und »Weißruthenien« (Weißrussland) gebildet. Über die Menschheitsverbrechen in dieser Region sind im vergangenen Jahr gleich drei wichtige Veröffentlichungen erschienen: im Verlag Ferdinand Schöningh (Paderborn) die beiden Studien von
Wolfgang Curillas und Ruth Bettina Birns über die deutsche Ordnungspolizei im Baltikum
und in Weißrussland bzw. über die Sicherheitspolizei in Estland, in der Wissenschaftlichen
Buchgesellschaft (Darmstadt) Andrej Angricks und Peter Kleins Studie über die »Endlösung« in Riga. Aus unterschiedlichen Perspektiven leisten alle drei Publikationen einen wesentlichen Beitrag zur NS-Täterforschung, indem sie die Bereiche Ordnungs- und Sicherheitspolizei sowie Formen einheimischer Kollaboration anhand neu bearbeiteter und
aufgefundener Quellen weiter durchdringen. Zugleich liefern die Studien wichtige Informationen über viele Opfergruppen, einige Überlebende und wenige Retter.
Den Rang eines Standardwerks könnte insbesondere das ebenso detailliert recherchierte
wie engagiert geschriebene Kompendium des Juristen und Hamburger Ex-Senators Wolf-
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gang Curilla über die Beteiligung der deutschen Ordnungspolizei an der »Endlösung« im
»Reichskommissariat Ost« erreichen; noch im Erscheinungsjahr 2006 folgte der (trotz des
Umfangs von über 1.000 Seiten) rasch vergriffenen ersten Auflage bereits die zweite. Die
Studie basiert auf zahlreichen bisher größtenteils unveröffentlichten Dokumenten und Zeugenaussagen aus mehr als 150 Strafverfahren gegen NS-Täter in der BRD, der damaligen
DDR sowie Österreich. Gegliedert nach Einheiten und Einsatzgebieten wird die Aktivität der
mehr als 20 000 deutschen Ordnungspolizisten von 1941 bis 1944 in Litauen, Lettland und
Estland sowie in Weißrussland rekonstruiert: Hierzu zählten neben Front- und Partisaneneinsätzen Mordaktionen gegen die jüdische Bevölkerung sowie die Öffnung von Massengräbern, als es galt, angesichts des Vorrückens der Roten Armee alle Spuren der Shoah-Verbrechen zu tilgen. Seit dem 26. Juni 1936 unterstand die Ordnungspolizei (OrPo) durch einen
Erlass Heinrich Himmlers als ein Hauptamt der SS direkt dem Reichsführer-SS und Chef der
Deutschen Polizei. Ihr Vorgehen im Baltikum stellt der Autor im Vergleich mit anderen NSInstitutionen wie Sicherheitspolizei, Sicherheitsdienst, Zivilverwaltung, Wehrmacht und
Waffen-SS sowie einheimischen »Selbstschutz«-Kommandos in den Gesamtkontext der organisierten deutschen Vernichtungspolitik im Baltikum und in Weißrussland.
An dieser Stelle sei kurz auf die komplexe Situation in dem zwischen Polen, der Ukraine,
Russland, Lettland und Litauen gelegenen Weißrussland – die amtliche Bezeichnung lautet
heute Belarus, unter der NS-Besatzung wurde es Weißruthenien, im späteren DDR-Sprachgebrauch Belorussland genannt – eingegangen (vgl. u. a. Chiari 1998). Noch unter dem Eindruck der Verschleppungen hunderttausender so genannter Volksfeinde – polnische Adelige,
jüdische und polnische Unternehmer, weißrussische Intellektuelle, Geistliche aller Konfessionen, in Ungnade gefallene Kommunisten – in die stalinistischen Gulags begrüßten viele
Weißrussen den sowjetischen Rückzug, bis sich die zerstörerische Dynamik des NS-Regimes zeigte: Sie kostete von 1941 bis 1944 rund zweieinhalb Millionen Einwohnerinnen
und Einwohner Weißrusslands – mehr als ein Viertel der Bevölkerung – das Leben, mehr als
200 Städte und 9 000 Dörfer wurden zerstört. Vielfach trieben die deutschen Soldaten die
Dorfbewohner in Scheunen und brannten diese nieder. Allein in Minsk ermordete die deutsche Besatzungsmacht mehr als 100 000 Menschen. Nahezu vernichtet wurde das Judentum, neben den Weißrussen und Polen eine der größten Bevölkerungsgruppen des Landes:
Etwa acht bis neun Prozent aller in der Shoah umgekommenen Juden und Jüdinnen Europas
stammten aus Weißrussland.
Nicht jedem in guter Erinnerung ist die deutsch-kanadische Historikerin Ruth Bettina
Birn (Den Haag), ehemals Chefhistorikerin der Abteilung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit des kanadischen Justizministeriums: Gemeinsam mit
dem umstrittenen Politikprofessor Norman G. Finkelstein versuchte sie eine Widerlegung
von Daniel Jonah Goldhagens Buch »Hitlers willige Vollstrecker« (1996), worin er die
These eines spezifisch deutschen eliminatorischen Antisemitismus vertritt. Andererseits
zeichnet Birn für sorgfältige Arbeiten zur Geschichte von SS und Polizei und der deutschen Besatzungspolitik in Osteuropa verantwortlich. Wie Curillas Studie über die Ordnungspolizei behandelt auch ihre Untersuchung über das destruktive Wirken der Sicherheitspolizei und ihrer – hier estnischen – Kollaborateure ein schwierig recherchierbares,
kaum aufgearbeitetes Thema der Shoah im Baltikum, u. a. gestützt auf Fallakten im
Staatsarchiv Tallinn. Die zunächst für schwere und politische Verbrechen zuständige Sicherheitspolizei (Sipo) fungierte neben der Ordnungspolizei als zweiter Arm der nationalsozialistisch deformierten Polizeistruktur; sie unterstand dem Reichsführer-SS
(RFSS) Heinrich Himmler und dem Chef von Sipo und SS-Sicherheitsdienst (einschließ-
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Birgit Seemann
lich der KZs) Reinhard Heydrich. Mit der Schaffung des Reichssicherheitshauptamts
(RSHA) am 27. September 1939 wurde die Sipo mit dem SD zusammengelegt und damit
Teil der SS. Speziell in Estland wurde die Sicherheitspolizei von der Dienststelle des
»Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD Estland« (KdS) mit Sitz in der Hauptstadt Reval (dem heutigen Tallinn) koordiniert. Die Besonderheit lag in der Gliederung in
einen deutschen und einen estnischen Teilapparat. Zwar dominierte der deutsche Part,
doch trugen die über das ganze Land verteilten estnischen Sipo-Dienststellen erheblich
zur effektiven Jagd auf wirkliche und vermeintliche Gegner des NS-Besatzungsregimes
bei. Auch Birns Buch gedenkt der Opfer: Detailliert schildert die Autorin die nationalsozialistisch gesteuerten und von Kollaborateuren mitausgeführten Aktionen gegen Kommunisten, Juden, »Zigeuner«, Kriminelle und »Asoziale« sowie sowjetische Kriegsgefangene (nähere Angaben über die Verfolgung von Homosexuellen und physisch und
psychisch »Behinderten« fehlen). Diskussionswürdig erscheint hier der von Birn übernommene Begriff »Strafpraxis«, insbesondere im Hinblick auf die antisemitische und antiziganistische Verfolgung von Juden und Roma. Birns Verdienst, nach verschiedenen Opfergruppen zu differenzieren, birgt andererseits das Risiko der Relativierung, was die
Singularität der Shoah angeht. Dabei führt sie selbst überzeugend den Nachweis, dass die
primär antistalinistisch ausgerichtete estnische Bevölkerung auf den ihr unbekannten Vernichtungsantisemitismus der NS-Besatzer mit Unverständnis reagierte. So ließ die estnische Sipo als antikommunistisch identifizierte Juden und Jüdinnen wieder frei, während
die deutsche Sipo sie erneut verhaftete – ein Beleg für die von Birn zu wenig beachtete
wahnhafte »Mission« Hitlers, das gesamte Baltikum mittels einer perfektionierten Mordmaschinerie »judenfrei« zu machen.
Andrej Angrick und Peter Klein, beide Historiker an der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und u. a. an der Neukonzeption der Wehrmachtsausstellung beteiligt, haben mit ihrer chronologisch angelegten und gut lesbaren Regionalstudie die erste Gesamtdarstellung der Shoah in der lettischen Hauptstadt und baltischen
Metropole Riga vorgelegt. Vom NS-Regime als eine Mordstätte auch des deutschsprachigen Judentums ausersehen, trafen nach den Vernichtungsaktionen gegen Lettlands Juden
im Wald von Rumbula seit dem Winter 1941/42 aus dem gesamten »Großdeutschen
Reich« Transporte ein. Viele Menschenleben endeten gewaltsam im Waldgebiet von Bikernieki. Dem Genozid im besetzten Riga fielen zwischen 1941 und 1944 zehntausende
einheimische und verschleppte Jüdinnen und Juden zum Opfer. Durch die Konzentration
der Studie auf einen geographischen Ort erhält die Shoah im Baltikum weitere beklemmende Konturen.
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Alle drei hier vorgestellten Veröffentlichungen belegen anhand sorgfältig ausgewerteten
Quellenmaterials noch einmal eindrücklich den eliminatorischen Antisemitismus als ein
spezifisch nationalsozialistisches Phänomen (vgl. auch in Curilla 2006: S. 25-48 die einschlägigen Zitate Hitlers, Himmlers u. a. NS-Führer), das bei allen antijüdischen Aspekten
weder dem Sowjetstalinismus noch trotz der aktiven Mittäterschaft so genannter Selbstschutztruppen dem antibolschewistischen Nationalismus in den baltischen Staaten inhärent
war. Diesen Faktor gilt es bei einer gerechten äußeren Beurteilung der kontroversen Geschichtsdiskurse in diesen Ländern zu beachten, zumal die umfassende Aufarbeitung stalinistischer Verbrechen auch im deutschen Kontext eine Herausforderung bleibt.
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Heute vereinigt das Baltikum drei recht unterschiedliche Gemeinwesen mit jeweils eigener Geschichte, Sprache, Grenze und Währung, die sich im Perestroika-Prozess ihre Unabhängigkeit zurück erkämpften. Noch immer leiden Litauen, Lettland und Estland unter den
Folgen der jahrzehntelangen Sowjetherrschaft. Vielleicht liegt darin ein Grund für die mangelnde Aufarbeitung eigener Verstrickungen in die Shoah, zumal die Sowjetunion die jüdischen NS-Verfolgten unter die Opfer des Faschismus subsumierte und jegliches Gedenken
jenseits dieser willkürlichen Zuschreibung boykottierte.
Inzwischen sind – vor allem durch das Engagement Überlebender – Dokumentationszentren, Gedenkstätten und Mahnmale entstanden. So erinnert in Litauens Hauptstadt Vilnius
das staatliche jüdische Museum (»Grünes Haus«), zugleich Holocaust-Dokumentationszentrum, an das einstige »Jerusalem des Ostens«, dessen geistige Kultur auf das Judentum in
aller Welt ausstrahlte. Im Waldgebiet des gleichnamigen Stadtteils mahnt die Gedenkstätte
Paneriai mit Genozid-Museum an etwa 100 000 NS-Opfer, davon zwei Drittel Jüdinnen und
Juden. Die beiden einzigen aktiven größeren Synagogen befinden sich in Kaunas und in Vilnius, das vor dem Zweiten Weltkrieg mehr als 100 Synagogen beherbergte. In Estland wurde
neben weiteren kleineren Gedenkstätten am 1. September 1994 ein zentrales Shoah-Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen KZs Klooga eröffnet. Die jüdische Gemeinde im
kleinsten baltischen Land umfasst derzeit rund 3 000 Mitglieder, fast ein Viertel des estnischen Judentums wurde vernichtet.
In Lettlands Hauptstadt Riga gründete der jüdische Historiker und Überlebende Margers
Vestermanis ein jüdisches Museum mit Archiv, integriert in ein Gemeindehaus, das nach der
Auslöschung des lettischen Judentums vor allem russisch-jüdische Zuwanderer mit Leben
erfüllen. Die Ausstellung des Okkupationsmuseums über den stalinistischen und nationalsozialistischen Terror weist ebenfalls auf die Shoah hin. In der historischen Altstadt ist Rigas
einzige unzerstörte Synagoge zu besichtigen, die Ruine einer weiteren Synagoge nahe des
Zentralbahnhofs ist heute Mahnmal (»Klagemauer«). Im Stadtteil Moskauer Vorstadt erinnert nur noch ein Gedenkstein an den alten jüdischen Friedhof am Rande des einstigen Rigaer Ghettos. Etwas außerhalb liegt der neue Jüdische Friedhof mit einer Gedenksäule für
die vergessenen jüdischen Teilnehmer an den nationalen Befreiungskämpfen der 1920er
Jahre. An Shoah-Tatorten in Waldgebieten in und bei Riga wurden die Gedenkstätten Rumbula und Bikernieki errichtet. Heute leben laut Bürgerregister (2004) etwa 9 800 zumeist
russische Jüdinnen und Juden (0,4 Prozent der Bevölkerung) in Lettland, etwa 6 000 engagieren sich in jüdischen Organisationen und Initiativen. »Laßt uns, die alle EINEN HIMMEL hoffen / Auch EINER ERDE gleiche Bürger sein« – diese bereits vor zwei Jahrhunderten von Rigaer Juden geäußerte Hoffnung blieb unerfüllt.
LITERATUR:
Andrej Angrick / Peter Klein: Die »Endlösung« in Riga. Ausbeutung und Vernichtung
1941–1944. Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart,
Bd. 6. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 520 S., 74,90 Euro
Ruth Bettina Birn, Die Sicherheitspolizei in Estland 1941–1944. Eine Studie zur Kollaboration im Osten. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006, 286 S., 34,90 Euro
Wolfgang Curilla, Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in
Weißrussland 1941–1944. 2. durchges. Aufl. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006,
1041 S., 68 Euro
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