Chronobiologische Aspekte des Essens

Werbung
Berührung ist Begegnung
Shiatsu-Ausbildungen Austria
Dr. Eduard Tripp
A-1120 Wien, Schönbrunner-Schloss-Str. 21/8
Tel: +43 (676) 61 74 970
[email protected], www.shiatsu-austria.at
Chronobiologische Aspekte des Essens
In einem Experiment der Max-Planck-Gesellschaft lebten 400 Versuchspersonen freiwillig
zwischen drei und vier Wochen in einem Bunker mitten im Berg von Andechs, völlig
abgeschieden von der Welt. Viele von ihnen machten bei dem Versuch mit, um sich ungestört
auf eine Prüfung vorzubereiten. Durchgeführt wurde das Experiment vor allem, um
experimentell abzuklären, ob der menschliche 24-stündige Wach-Schlafrhythmus angeboren
oder von außen gesteuert ist.
Die an dem Versuch teilnehmenden Menschen lebten in einem unterirdischen Zimmer mit
Küche, Bad und Zimmerfahrrad. Sie hatten keinerlei Zeitinformationen und auch keinen Kontakt
nach draußen. Ihre einzige Verbindung zur Außenwelt war eine Art Schleuse, über die sie
Bestellungen aufgeben konnten und das Bestellte auch erhielten.
Äußere Zeitgeber
steuern unsere inneren
Rhythmen
Die
Versuchspersonen
konnten sich ihre Zeit
individuell einteilen, wann
sie arbeiten, trainieren,
kochen,
essen
und
schlafen. Dabei zeigte sich,
dass die Studienteilnehmer
ziemlich regelmäßig etwa
zwei Drittel der Zeit wach
waren und ein Drittel
schliefen. Der Rhyhmus
von Schlafen und Wachen
war
erwartungsgemäß
circadian getaktet, allerdings war es kein 24-Stunden-Rhythmus, sondern ein (durchschnittlich)
knapp 25-Stunden-Rhythmus (die Schwankungen lagen zwischen 23 und 27 Stunden).
Seite 1 von 5
Berührung ist Begegnung
Shiatsu-Ausbildungen Austria
Dr. Eduard Tripp
A-1120 Wien, Schönbrunner-Schloss-Str. 21/8
Tel: +43 (676) 61 74 970
[email protected], www.shiatsu-austria.at
Obwohl der innere circadiane Rhythmus ca. 25 Stunden dauert, leben wir faktisch aber im 24Stunden-Rhythmus der Erde. Unsere innere Uhr wird dazu durch äußere Zeitgeber auf die 24
Stunden der Erddrehung abgestimmt. Der mit Abstand wichtigste Zeitgeber ist das Sonnenlicht
(oder künstliches Licht, das deutlich heller ist als die übliche Beleuchtung).
Erreicht morgens und tagsüber genug helles Licht die Augen - und damit den
suprachiasmatischen Kern (SCN) -, synchronisiert dieses alle circadianen Rhythmen auf 24
Stunden. Dann laufen diese Prozesse parallel, so dass gegen 3 Uhr morgens verschiedene
Phänomene gleichzeitig auftreten: die niedrigste Körpertemperatur, der tiefste Schlaf, die
höchste Konzentration an Wachstumshormon und die langsamste Verdauung im Darm.
Weitere, wenngleich schwächere und deshalb oft nur unterstützende Zeitgeber sind soziale
Ereignisse, regelmäßige Tätigkeiten und regelmäßige Mahlzeiten, die vielfach zudem einen
sozialen Charakter haben.
Mahlzeiten sind circadiane Zeitgeber
In der Untersuchung der Max-Planck-Gesellschaft zeigte sich, dass die Versuchspersonen auch
dann regelmäßig essen, wenn sie über keine äußeren Zeitgeber verfügen (und ihr innerer Tag
durchschnittlich 25 Stunden dauert). Die meisten Studienteilnehmer bereiteten sich dreimal eine
Mahlzeit zu, manche nur zweimal. Bei allen blieb ihr Gewicht konstant. Manche Teilnehmer
hatten zwischendurch auch so etwas wie "Ausreißertage". Dabei verkürzte sich ihre SchlafWachperiode bis auf 10 Stunden (7 wach und 3 schlafend) oder verlängerte sich auf bis zu 35
Stunden (25 wach und 11 schlafend). Dennoch aßen sie an diesen Tagen genau so oft wie
sonst, so dass die Zeiten zwischen den Mahlzeiten sehr kurz wurden oder sich stark
verlängerten. Subjektiv bemerkten sie nicht, wie anders diese Tage und Nächte waren. Im
"zeitfreien", d.h. von äußeren Zeitgebern freiem Bunker wurden die Versuchspersonen also
nicht automatisch nach vier, fünf Stunden hungrig, wie es der normale chronobiologische
Rhythmus ist. Veränderten sich die Abstände zwischen den Mahlzeiten, dann verschob das beim Fehlen äußerer Zeitgeber - die gesamte innere circadiane Rhythmik.
Zeitgeber sind den Ergebnissen der Studie zufolge nicht nur sozial notwendig (zur
Synchronisierung der Schlaf-Wachrhythmen der Menschen), sondern auch individuell. Wir sind
nur dann ausgeglichen, gesund und leistungsfähig, wenn unser Schlaf und die anderen
circadianen Rhythmen synchronisiert sind. Entkoppeln sie sich, leiden zuerst die Stimmung und
die Leistungsfähigkeit. Später folgen ziemlich schnell Schlafstörungen, die wiederum andere
gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und
Verdauungsstörungen.
Seite 2 von 5
Berührung ist Begegnung
Shiatsu-Ausbildungen Austria
Dr. Eduard Tripp
A-1120 Wien, Schönbrunner-Schloss-Str. 21/8
Tel: +43 (676) 61 74 970
[email protected], www.shiatsu-austria.at
Essen und Schlafen
Chronobiologisch betrachtet werden Menschen alle vier bis fünf Stunden hungrig. Dass wir im
Schlaf nicht durch Hunger geweckt werden, liegt vermutlich am Hormon Leptin.1 Leptin wird in
den Fettzellen des Körpers gebildet und reguliert das Hungergefühl. Der Höhepunkt der LeptinKonzentration im Blut ist um 3 Uhr nachts, zum selben Zeitpunkt, wenn die Körpertemperatur
am geringsten ist. Dabei folgt das Leptin aber keinem inneren circadiären Rhythmus, sondern
ist von den Essgewohnheiten abhängig. Verschieben Versuchspersonen ihre letzte Mahlzeit um
sechs Stunden, ohne dass sie zwischendurch schlafen, dann verschiebt sich der Höhepunkt der
Leptinkonzentration im Blut sofort parallel mit. Die circadiäre Körpertemperatur hingegen
verläuft nach einer solchen Verschiebung zunächst völlig unverändert. Sie passt sich nur sehr
verzögert an.
Leptin verhindert Hunger aber nur, wenn wir schlafen. Bleiben wir nachts auf, werden wir
dennoch hungrig. Im Gegenteil erleichtert Essen Nachtarbeitern, ihre Arbeit gut durchzustehen.
Weil die Chronizität der menschlichen Abläufe darauf ausgerichtet ist, dass der Mensch nachts
schläft, ist die Konzentrationsfähigkeit allerdings herabgesetzt. Und aus demselben Grund ist
der Organismus auch nicht darauf eingerichtet, schwere Mahlzeiten zu verdauen. Suppen und
andere leichte Kost sind deshalb empfehlenswerter.
Wirklich gut verträglich ist Nachtarbeit aber selbst dann nicht. Neun von zehn Menschen, die
regelmäßig nachts arbeiten, klagen nach relativ kurzer Zeit über Müdigkeit und
Schlafstörungen. Längerfristig leiden drei Viertel der Nachtarbeiter unter Problemen mit Herz
und Kreislauf oder Verdauung. Mittlerweile weiß man allerdings, dass der Umstand, dass
nachts gegessen wird,
zumindest teilweise dafür
verantwortlich ist.
Die Folgen von
nächtlichem Essen
Welche Folgen eine sanfte
Variante des nächtlichen
Essens hat, wurde von
einer
japanischen
Forschergruppe um Li-Qian
1
Wenn Menschen regelrecht hungern, also unterernährt sind, funktioniert dieser Schutz nicht, sondern der Hunger
weckt sie aus dem Schlaf.
Seite 3 von 5
Berührung ist Begegnung
Shiatsu-Ausbildungen Austria
Dr. Eduard Tripp
A-1120 Wien, Schönbrunner-Schloss-Str. 21/8
Tel: +43 (676) 61 74 970
[email protected], www.shiatsu-austria.at
Qin untersucht.2 Sieben Studenten führten drei Wochen lang ein "normales" ("tagbetontes") und
drei Wochen lang ein "nachtbetontes" Leben, bei dem sie bis 1 Uhr 30 aufblieben und dafür bis
8 Uhr 30 schliefen. Die Nachtbetonten frühstückten nicht, aßen aber normal zu Mittag.
Zwischen 19 Uhr und 1 Uhr 30 konnten sie essen, soviel sie wollten. Die einzige Bedingung
war, dass sie genau so viel essen wie sonst, aber mindestens die Hälfte davon ab 19 Uhr.
Subjektiv spürten die Studenten in ihrer nachtbetonten Zeit keine Veränderungen und passten
sich der Phasenverschiebung problemlos an. Objektiv aber zeigten sich dennoch
Konsequenzen. Da alle Versuchsteilnehemer abends kleinere Mengen statt einer großen
Mahlzeit aßen, stieg ihr Leptinspiegel nicht so stark an wie beim tagbetonten Lebensrhythmus.
Langfristig zu wenig Leptin in der Nacht führt allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass
zu viel gegessen wird, was leicht Fettleibigkeit (mit allen Folgen) verursachen kann.
Dazu kommt das veränderte Verhalten des Insulin. Sobald man etwas isst, steigt die
Glukosekonzentration im Blut. Normalerweise wird daraufhin mehr Insulin gebildet, das die
Glukose verarbeitet. Das zeigte sich bei den tagbetonten, nicht aber bei den nachtbetonten
Studenten: Sie hatten die ganze Nacht über mehr Glukose im Blut als die Tagbetonten. Zu
Beginn der Nacht produzierten sie viel Insulin. Das endete aber abrupt gegen 6 Uhr morgens,
obwohl das Blut zu diesem Zeitpunkt immer noch viel Glukose enthielt. Im nachtbetonten
Rhythmus stellte der Organismus in der zweiten Nachthälfte nicht mehr die erforderliche Menge
an Insulin bereit, um die in der Nacht verzehrte Menge zu verarbeiten.
Nach drei Wochen nachtbetonter Lebensweise lieferte der Organismus nicht einmal mehr sofort
die notwendige Insulinmenge, wenn die Studenten etwas tagsüber gegessen hatten. Es bildete
sich zwar Insulin, aber ziemlich choatisch, wohingegen die Tagbetonten völlig korrekt dann
mehr Insulin produzierten, wenn sie etwas gegessen hatten (es handelte sich dabei,
wohlgemerkt, um dieselben Personen!).
Eine chaotische Insulinproduktion ist ein Vorstadium von Diabetes. Wenn Menschen zu Beginn
der Nacht größere Mengen an Nahrung zu sich nehmen, erhöht dies also bereits das Risiko für
Diabetes und Fettleibigkeit. Dieselben Vorgänge laufen bei Nachtarbeitern noch intensiver ab
und dürften zumindest teilweise zu deren Beschwerden beitragen.
Night Eaters (nächtliche Esser; Menschen, die zwar zu einer normalen Zeit schlafen gehen,
aber dennoch mehr als die Hälfte ihrer täglichen Kalorien nach 22 Uhr zu sich nehmen) sind im
Schnitt dicker als andere Menschen und schlafen auch schlechter. Obwohl die Teilnehmer der
Studie zumindest subjektiv gut schliefen, könnte der schlechte Schlaf bei den Nachtessern
zumindest teilweise auf ihr spätes Essen zurückzuführen sein. Nach Möglichkeit nämlich sollen
2
Qin Li-Qian: The effects of nocturnal life on endocrine patterns in healthy adults. Life Sciences, 73 (2003); 2467 2475.
Seite 4 von 5
Berührung ist Begegnung
Shiatsu-Ausbildungen Austria
Dr. Eduard Tripp
A-1120 Wien, Schönbrunner-Schloss-Str. 21/8
Tel: +43 (676) 61 74 970
[email protected], www.shiatsu-austria.at
zwischen der letzten Mahlzeit und dem Schlafbeginn mindestens zwei bis drei Stunden
vergangen sein, damit der Magen einigermaßen leer ist und der Darm ungestört arbeiten kann.3
Was gegessen wird, scheint die Schlafqualität nicht immer zu beeinflussen. Menschen, die
schlecht schlafen, sollten allerdings kein Risiko eingehen, weil bei ihnen ein voller Magen den
Schlaf beeinträchtigen kann. Zu achten wäre deshalb, so Barbara Krab, abends möglichst leicht
verdauliche Speisen (und auch möglichst nicht zu spät) zu sich zu nehmen. Das bedeutet:
fettarm, nicht gebraten, kein frisches Brot, keine schwer verdaulichen Gemüse wir Gurken oder
Paprika und wenig Rohes.
Schlussfolgerungen
Die klassischen drei Mahlzeiten täglich entsprechen den Erkenntnissen der Chronobiologie. Sie
können als zusätzlicher Zeitgeber wirken und so die Funktionen des circadianen Systems
stärken, der erholsamen Schlaf erlaubt. Wer regelmäßig und relativ früh zu Abend isst,
erleichtert den Schlaf und unterstützt auch die Verdauung tagsüber. Nächtliches Essen
hingegen kann die Funktionen des Organismus durcheinanderbringen, insbesondere bei
häufiger Nachtarbeit.
_____________________________________
Quelle: Barbara Krab: Zeit und Essen. Chronobiologische Aspekte der Nahrungsaufnahme. Moderne Ernährung
heute 4/2005
Bildquelle: www.pixelio.de
3
Der Darm sollte allerdings nach Möglichkeit auch immer etwas zu tun haben. Wenn Menschen hungern (gleich, ob
freiwillig oder aus Not), schlafen sie schlecht.
Seite 5 von 5
Herunterladen