Bei Schlaflosigkeit wirkt Verhaltenstherapie so gut wie ein Medikament Ein Drittel seines Lebens verschläft der Mensch. Trotzdem gibt es rund um den Schlaf noch viele Geheimnisse, welche die Hirnforscher beschäftigen. «das Gehirn» sprach mit dem Schlafforscher Prof. Dr. Hans Peter Landolt über schlaflose Nächte und was man dagegen unternehmen kann. Hans Peter Landolt, muss auch ein Schlafforscher manchmal Schäfchen zählen? Ja, hin und wieder kann ich nicht einschlafen. Man sollte dann das Schlafzimmer verlassen und etwas Anderes tun, bis man schläfrig wird. Das ist mein Rezept. Warum müssen wir schlafen? Das wissen wir noch nicht. Es gibt verschiedene Theorien, die sich manchmal mit dem Zeitgeist ändern. Aktuell meint man, der Schlaf unterstütze die neuronale Plastizität, das heisst: Im Schlaf werden Gehirnfunktionen, die für den Wachzustand wichtig sind, optimiert. So kann das Gehirn im Schlaf zum Beispiel Gedächtnisinhalte verfestigen oder «löschen». Ich denke: Der Schlaf hat nicht nur eine Funktion, sondern gibt Körper und Geist Gelegenheit, sich in verschiedenen Bereichen zu erholen. Schlafforscher Hans Peter Landolt Quelle: zvg Stimmt es, dass die meisten Menschen zu wenig schlafen? Das ist sehr unterschiedlich. Vor einem Jahr führte unsere Forschungsgruppe mit Kollegen aus Basel in der Schweiz eine repräsentative Umfrage durch. Sie zeigte, dass die meisten Menschen zwischen sieben und acht Stunden schlafen, um sich wohl zu fühlen. Rund 5% der Bevölkerung können regelmässig nicht einoder durchschlafen. Quelle: Fotolia 3 Das Gehirn 1/2016 Einige wenige brauchen bloss fünf Stunden oder mehr als zehn Stunden Schlaf. Wie lange ein Mensch schläft, ist etwa zur Hälfte genetisch bestimmt. Bin ich nach einer schlaflosen Nacht noch leistungsfähig? Anspruchsvolle Bereiche wie das Kurzzeitgedächtnis oder das kognitive Denken funktionieren noch recht gut. Aber die Reaktionsfähigkeit verschlechtert sich. Nach einer Nacht ohne Schlaf reagieren Sie so langsam wie mit 0,8 Promille Alkohol im Blut. Und nach mehreren durchwachten Nächten? An der Uni Zürich wurde zu dieser Frage ein Modell entwickelt: das ZweiProzess-Modell der Schlafregulation. Demnach beeinflussen zwei Faktoren den Schlafbedarf. Einerseits der homöostatische Prozess: Je länger man wach ist, desto grösser wird das Bedürfnis zu schlafen. Andererseits spielt auch die innere Uhr eine Rolle. Sie gibt den Rhythmus von Schlafund Wachphasen an. Nach einer durchwachten Nacht sind Sie müde, die Leistung lässt nach. Wenn die innere Uhr in eine Wachphase übergeht, verbessert sich die Leistungsfähigkeit wieder. Der Leistungsabbau verläuft daher nicht linear. Ist es gesund, ein Leben lang vom Wecker geweckt zu werden? Ob es gesund ist, wissen wir nicht. Aber wer jeden Morgen einen Wecker braucht, hat vermutlich ein Schlafmanko. Sonst würde er spontan erwachen. Es gibt Hinweise, dass chro- Erschöpft, aber nicht schläfrig? Medikamente sind vor allem längerfristig nicht der beste Ausweg. Quelle: iStockphoto nisch zu wenig Schlaf zum Beispiel zu Übergewicht oder Diabetes führen kann. Bewiesen ist dieser Zusammenhang aber nicht. Kann man vorschlafen, wenn eine kurze Nacht bevorsteht? Ja, man kann vor- und auch nachschlafen. Wer eine Nacht durchgemacht hat, schläft in der nächsten Nacht länger – aber nicht doppelt so lange. Nach einer gewissen Zeit gibt die innere Uhr das Signal zum Aufwachen. Dafür schläft man intensiver. Das Schlafmanko wird teilweise durch tieferen Schlaf kompensiert. Schlafen Naturvölker mehr als Menschen in Industriestaaten? Dazu wurden kürzlich mehrere Studien veröffentlicht. Man untersuchte das Schlafverhalten von drei Stämmen in Afrika und Südamerika, die als Jäger und Sammler leben. Im Schnitt ruhen diese Menschen wie wir rund 7,5 Stunden. Es zeigte sich, dass der Schlaf mit der Aussentemperatur korreliert. Wenn es nachts kühler wird, sinkt auch die Körpertemperatur, und der Mensch schläft. So spart der Körper wahrscheinlich Energie. Wie viele Menschen haben eigentlich Probleme mit dem Schlaf? 4 Das Gehirn 1/2016 Rund fünf Prozent der Bevölkerung leiden an einer Insomnie, der häufigsten Schlafstörung. Sie können nicht ein- oder durchschlafen. Eine klinisch relevante Insomnie ist nicht zu verwechseln mit gelegentlichen Schlafstörungen. Diese kennt fast jeder, sie sind harmlos. Was können Betroffene unternehmen? Ich rate zunächst, die Schlafhygieneregeln zu beachten: am Abend kein Koffein zu sich nehmen, keinen Alkohol und keine schweren Mahlzeiten. Das Schlafzimmer sollte dunkel, still und nicht zu warm sein. Und Sport? Das macht müde, oder? Ja, eine leichte körperliche Aktivität am Abend hilft beim Einschlafen. Die Bewegung sollte aber nicht unmittelbar vor dem Schlaf und nicht zu intensiv sein; ein Spaziergang genügt. Empfehlen Sie Hausmittel wie Kräutertee oder Baldrian? Pflanzliche Mittel haben einen schwach schlaffördernden Effekt, sind aber nicht harmlos. Sie enthalten verschiedene Wirkstoffe. Man weiss oft nicht, welche Substanz den Schlaf fördert und welche Nebenwirkungen zu erwarten sind. Johannis- krautpräparate beispielsweise haben Nebenwirkungen, und sie können die Aufnahme und Wirkung von anderen Medikamenten verändern. Sind Schlafmittel sinnvoll? Nicht als erste Massnahme. Wer sich in Absprache mit dem Arzt doch dafür entscheidet, soll sie nur eine Woche lang nehmen. Sonst besteht die Gefahr, abhängig zu werden. Stimmt es, dass ... ... ältere Menschen weniger Schlaf brauchen? Man weiss nicht, ob sie weniger Schlaf brauchen oder einfach nicht länger schlafen können. Zudem gibt es Hinweise, dass alte Menschen nicht weniger schlafen, aber mehrmals am Tag. ... Teenager natürlicherweise am Morgen länger schlafen? Das stimmt. Die innere Uhr von Teenagern ist verschoben. Sie gibt das Signal zum Schlaf und Aufwachen später am Tag als bei Erwachsenen. Deshalb gehen Teenager lieber spät ins Bett und schlafen am Morgen länger. Sie schlafen aber nicht mehr. ... elektronische Geräte wie Smartphone und Tablet schlafhemmend wirken? Gewisse Studien besagen, dass diese Geräte den Schlaf verspäten und verkürzen. Aber die Resultate sind umstritten. Richtig ist: Die innere Uhr interpretiert das blaue Licht am Bildschirm als Tageslicht, als ein Signal zum Aufwachen. Aber auch anderes Licht hat diese Wirkung, zum Beispiel das helle Licht der Neonröhre im Badezimmer, wo man sich vor dem Schlafengehen die Zähne putzt. Was wäre eine Alternative zu Baldriantropfen und Schlaftablette? Eine kognitive Verhaltenstherapie. Dabei lernt der Patient, sich weniger unter Druck zu setzen, wenn er nicht schlafen kann. Diese Programme sind so wirksam wie unsere heutigen Medikamente. Welches sind die Ursachen von Schlafstörungen? Das ist sehr verschieden, sie können seelisch oder körperlich sein. Der Schlaf reagiert beispielsweise empfindlich auf Schmerz. Deshalb können Menschen mit medizinischen Problemen schlechter schlafen. Auch wenn das Gehirn erkrankt, etwa an Demenz, treten häufig Schlafprobleme auf. Soll man wegen einer Insomnie zum Arzt gehen? Eine Insomnie ist nicht lebensbedrohlich, aber sie beeinflusst die Lebensqualität. Ein Arztbesuch ist angezeigt, wenn die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität eingeschränkt werden. Das ist etwa der Fall, wenn die Schlafstörung mehrere Wochen andauert. Prof. Dr. Hans Peter Landolt ist Co-Leiter der Abteilung Chronobiologie und Schlafforschung am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich. Denkspiel Frohes neues Jahr! Machen Sie Musik. Sie können ein Mit der ersten Ausgabe 2016 wünscht Ihnen die Schweizerische Hirnliga ein frohes neues Jahr! Wir haben Ihnen sechs gute Vorsätze zusammengestellt, die es einzuhalten lohnt – und fordern Sie auf, mindestens einen davon im Laufe des Jahres umzusetzen. Viel Erfolg! Instrument neu lernen oder zum Beispiel einem Chor beitreten. Dann ist Ihr Gehirn durch all die neuen Namen und sozialen Beziehungen noch mehr gefordert. Lernen Sie eine neue Sprache – und wenn Sie bloss so weit kommen, dass Sie in einem Restaurant fliessend Ihr Lieblingsgericht bestellen könnten. Essen Sie sich schlau. Verzichten Sie bewusst häufiger auf Süsskram, Kuchen und Weissbrot. Setzen Sie dagegen auf die mediterrane Ernährung mit viel Gemüse, Vollkornprodukten, Fisch und Geflügel. Machen Sie sich Freunde. Gehen Sie mutig aus sich heraus und sprechen Tanzen Sie. Tanzen fordert Körper und Gehirn gleichermassen. Koordination, Aufmerksamkeit und das Gedächtnis profitieren davon. Noch besser ist es, wenn Sie mit wechselnden Partnern tanzen – das ist für Ihr Gehirn jedes Mal eine neue Herausforderung. 5 Das Gehirn 1/2016 Sie einen Fremden im Zug an – und lassen Sie sich eine Geschichte erzählen. Vielleicht ergibt sich aus den Begegnungen mehr als eine Zufallsbekanntschaft. Engagieren Sie sich ehrenamtlich! Setzen Sie sich für andere ein – und Sie werden sehen, dass deren Glück auch auf Sie übergeht. Ebenso wächst das Gehirn an den neuen Kontakten und Aufgaben.