Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Reinhardt, Jan D. / Jäckel, Michael (2005): Massenmedien als Gedächtnis- und Erinnerungsgeneratoren – Mythos und Realität einer Mediengesellschaft. In: Rössler, Patrick / Krotz, Friedrich (Hg.): Mythen der Mediengesellschaft – The Media Society and its Myths. Exposé im Rahmen der Vorlesung Medienpädagogik Vorgelegt von Boateng Sarah, 0647244 Braunecker Marlene, 0447415 Dames Jana, 0103636 Fasslabend Elsa, 0604323 Gondi Anett, 0207464 Gottlieb Susanne, 0606951 Gruber-Fischnaller Stephan, 0309549 Kvarda Karin, 0500562 Miclaus Iulia, 0550944 In der Reflexion über den folgenden Artikel zum Thema „Massenmedien als Gedächtnis und Erinnerungsgeneratoren – Mythos und Realität einer ,Mediengesellschaft`“ von Jan D. Reinhard und Michael Jäckl wird versucht, die aktuellen Ergebnisse experimenteller Gedächtnispsychologie und Neurowissenschaften mit medialer Massenkommunikation in Verbindung zu bringen. Dabei werden die Auswirkungen auf Gesellschaft und (Sozial)Wissenschaften miteinbezogen. In der folgenden Arbeit wird versucht anhand des Textes und dessen zentralen Aussagen und Begriffe zu erklären was der Zusammenhang zwischen Massenmedien und Gedächtnis für die Theorie der Medien bedeutet. Zentrale Problemstellung Medien beeinflussen Erfahrung, Deutung und Gedächtnis des Individuums und Gesellschaft. Die Funktion der Speicherung hat aber nicht immer in den Mediendefinitionen und Theorien eine Rolle gespielt. Erst durch den technischen Fortschritt wurde die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen Speicher und Gedächtnis geweckt. Es wurde festgestellt, dass sich auf Grund der Medien zu dem individuellen, ein kollektives Gedächtnis entwickelt hat. Unter dem individuellen Gedächtnis versteht man die Informationen, die für das alltägliche Leben des Einzelnen von Bedeutung ist. Das kollektive Gedächtnis beschreibt jene Inhalte die sich gesamtgesellschaftlich überschneiden. Der Mensch benötigt heutzutage beide Ebenen des Gedächtnisses um sich in der Gesellschaft zu orientieren. Was bei den bereits genannten Beobachtungen auffällt, ist dass es bei der Problemstellung um kein neues Phänomen handelt. Bereits Plato kritisierte die damalige neueste Errungenschaft, die Schrift, mit ähnlichen Argumenten, mit denen die Massenmedien heute kritisiert werden. Die Befürchtung war, dass das menschliche Gedächtnis durch neue Medien weniger Informationen selbständig abspeichert und sich dadurch immer mehr zurückbildet. Das Bedenken von damals ist jedoch nicht in der erwarteten Form eingetreten; durch technologischen Fortschritt ist es jedoch möglich und nötig geworden die Speicherung von einigen Informationen zu vernachlässigen und sich dafür andere zu merken. Des Weiteren ist es notwendig, alte Gedächtnisinhalte auch zu behalten, um neue von ihnen unterscheiden zu können. Die Selbstverständlichkeit immer und überall benötigte Informationen abrufen zu können, grenzt an einer Abhängigkeit der Individuen von den Medien. Dies kommt erst zum Ausdruck, wenn Informationen nicht abgerufen werden können. Man kann sich der täglichen Medienrezeption nicht entziehen. Denn selbst wenn man nicht direkt Medieninhalte aufgenommen hat, erfährt man welche durch Kommunikation mit anderen Menschen. Durch die direkte und indirekte mediale Informationsaufnahme werden Erfahrungen abgespeichert, die nicht aus selbstständig gemachten Erfahrungen heraus entstehen (sekundäre Erfahrungen). Diese ergänzen die eigenständig gemachten primären Erfahrungen des Individuums. Durch die zunehmende Globalisierung, werden beide Erfahrungsarten benötigt. Zentrale Begriffe der Argumentation Der wahrscheinlich wichtigste Begriff des Textes ist die Mediengesellschaft. Reinhardt und Jäckel verstehen darunter eine sozialwissenschaftliche Perspektive, die auf Massenkommunikation angewiesen ist. In diesem Zusammenhang wird Massenkommunikation als Konstruktion gesellschaftlicher Realität aufgefasst, die individuelle, kollektive und soziale Gedächtnisse generiert. Individuelles Bewusstsein bedeutet, Informationen aus dem Leben zu beziehen, die für das Individuum, also den Einzelnen, von Bedeutung sind. Folglich ist das individuelle Gedächtnis die Erinnerung an diese gemachten Erfahrungen. Eine Ebene höher ist das kollektive Gedächtnis einzustufen, welches als Erinnern einer Gruppe an gemeinsame Gedächtnisinhalte bezeichnet werden kann. Dadurch können mehrere Inhalte verknüpft werden und somit wird eine größere Menge an Informationen verfügbar. Dies ermöglicht die Entstehung und Wiederholung von Ritualen und gewohnten Handlungsabläufen. Aus dem kollektiven Gedächtnis kann eine Art kollektiver Identität entstehen, wie das beispielsweise in historischer (Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Epoche), in geographischer (Zugehörigkeitsgefühl zu einem bestimmten Staat) und in kultureller (Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung) Hinsicht zu beobachten ist. Zum sozialen Gedächtnis gehören einerseits das kommunikative Gedächtnis und andererseits das kulturelle Gedächtnis, wobei das kulturelle Gedächtnis auch immer kommunikativ ist. Der Begriff des sozialen Gedächtnisses rührt daher, dass die Erinnerung immer mit kommunikativen Prozessen verbunden ist. Eine wichtige Differenzierung muss zwischen Erinnerung und Gedächtnis getroffen werden. Erinnerung kann als Gedächtnisgebrauch definiert werden, während Gedächtnis den Speicher erinnerbarer Inhalte bezeichnet, wobei von der Vorstellung des Gedächtnisses als „Karton“ Abstand zu nehmen ist, denn schließlich ist Gedächtnis auch stets von Kommunikation beeinflusst. Die Autoren nehmen essentielle Unterscheidungen verschiedenartiger Erinnerungen vor: Reflektierte Erinnerung ist das, was wir in unserer Alltagssprache unter Erinnerung verstehen: die bewusste Aktualisierung von Gedächtnisinhalten. Unreflektierte Erinnerung spiegelt sich in gewohnten Tätigkeiten wieder, an die wir uns erinnern, ohne uns das ständig bewusst zu machen. Willkürliche Erinnerung bedeutet, dass wir uns während des Erinnerns darüber im Klaren sind, dass das Erinnerte schon vorbei ist, also dass eine klare Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit gezogen werden kann. Unwillkürliche Erinnerung tritt auf, wenn bestimmte Ereignisse oder Tätigkeiten Erinnerungen wecken, die in uns Emotionen auslösen, sodass wir keine Distanz zum Erinnerten haben. Erwähnenswert ist auf jeden Fall die doppelte Rolle der Massenmedien, da sie nicht nur direkt Einfluss auf die Erinnerung nehmen, indem sie Inhalte immer wieder aktualisieren, sondern auch indirekt das Gedächtnis beeinflussen, indem sie Gedächtnisverluste Erinnerungstäuschungen thematisieren (zum Beispiel der Film „Memento“). und Abschließend ist auch die Selektivität der Erinnerung anzuführen, da jede Beobachtung (die zu einer Erinnerung werden kann) Rückschlüsse auf die Motive des Beobachters zulässt, weil dieser selektiv wahrnimmt, was für ihn individuell gerade von Bedeutung ist. Ein soziales Gedächtnis zu erzeugen ist für die Massenmedien deshalb besonders schwierig, weil jeder nur wahrnimmt, was für ihn selbst gerade interessant bzw. wichtig ist und sie daher mit der Schwierigkeit konfrontiert sind, die Interessen eines möglichst breit gefächerten Publikums zu treffen. Verwertbare Thesen für die Kommunikationswissenschaft Ein entscheidender neuer Aspekt für die Kommunikationswissenschaft ist, dass die Massenmedien mit dem Gedächtnis und der Erinnerung der Rezipienten arbeiten. Es geht nicht rein darum, was jeder Rezipient individuell für sich aus den Informationen mitnimmt, sondern dass ein kollektives Gedächtnis angesprochen wird, und möglichst viele dieselbe Assoziation damit verbinden. Kommunikationswissenschaft, da Dies es ohne ist besonders wichtig die Massenmedien in für der die heutigen individualisierten Gesellschaft wohl sonst nicht mehr zu einem kollektiven Gedächtnis kommen würde. Es geht nicht mehr nur um die Frage einer Medienrealität, und welche Seite hier welche beeinflusst, sondern auch um die Tatsache, dass diese Realität zum Teil dieses geschaffene kollektive Gedächtnis ist, dessen sich die Medien immer wieder aufs neue bedienen und auch ständig erweitern. Ähnlich der bereits akzeptierten Container-Metapher muss man auch beachten, dass die Medien und das Publikum auf die persönlichen Erinnerungen der letzteren Gruppe angewiesen sind. Da Erinnerung ein dynamischer Prozess ist, wird weder ein und dieselbe Erinnerung ewig dieselbe bleiben, genauso wenig wie daraufhin die Darstellung in den Medien immer exakt dieselbe sein wird. Wie auch in jedem anderen theoretischen Zugang der Kommunikationswissenschaft, ist es hier schwer zu sagen, wer der eigentliche Auslöser für das veränderte Gedächtnis ist, respektive die wechselnde Darstellung von ein und demselben Ereignis. Man kann wohl auch von einem gegenseitigen Beeinflussen reden. Ein großer Unterschied jedenfalls ist, dass dem Gedächtnis der Leute eine größere Rolle in der Schaffung von Information beigemessen wird. Viele Theorien wie etwa der 4-ohrige Empfänger von Schulz von Thun schreiben der individuellen Erinnerung eine bedeutsame Rolle zu, indem sie argumentieren dass so die ausgehende Nachricht entsprechend der Person und ihrer Vorerfahrung verschieden aufgenommen und gefiltert wird. Reinhardt und Jäckel gehen noch einen Schritt weiter und meinen, dass Information erst durch das Gedächtnis geschaffen wird. Hierbei ist nicht gemeint dass sie von etwaigen Personen erfunden wird, sondern ihre Gestalt aufgrund der Summe der individuellen Erinnerungen, welche ein kollektives Gedächtnis formen, annimmt. Ohne Medien könnte sich heutzutage kein kollektives Gedächtnis mehr halten. Jedoch stellt sich auf einer persönlichen Ebene die Frage, welcher unserer Erinnerungen wir in einer Welt der sekundär vermittelnden Informationen noch vertrauen können. Den Medien wird also ein hoher Stellenwert in der heutigen Gesellschaft zugeschrieben. Aufgrund der beschränkten Zeit der Individuen, als auch der Medien, ist eine Selektion der Inhalte notwendig. Medien filtern nach dem Prinzip der Nachrichtenwerte; Rezipienten nach ihren persönlichen Interessen. Dadurch entsteht eine doppelte Selektion. Die Problematiken, die sich daraus ergeben sind zum einen, dass das Individuum nicht die Möglichkeit bekommt vollständige Informationen zu erhalten zB.: zu einem bestimmten Beitrag – und zum anderen besteht die Gefahr einer möglichen Manipulation in Form von gezielter Berichterstattung durch die Medien. Medien fließen durch die ein Leben lang andauernde Sozialisation in die Kultur und den Fortschritt mit ein; geben diesen wieder und beeinflussen ihn mit. Es ist von den Medien abhängig, wie sie dieses Potenzial nutzen. Fazit: „Medien- und Lebenserfahrungen lassen sich nicht mehr voneinander trennen, sie greifen ineinander.“1 1 Jan D. Reinhardt/ Michael Jäckel: (2005): Massenmedien als Gedächtnis- und Erinnerungsgeneratoren – Mythos und Realität einer ‚Mediengesellschaft’. In: Rössler, Patrick / Krotz, Friedrich (Hrsg.): Mythen der Mediengesellschaft, Konstanz: Uvk, S. 106