Gesundheitsvorsorge bei der Planung von Stromübertragungstrassen Dr. H.-Peter Neitzke, ECOLOG-Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung Hannover Beverungen, 12.06.2014 2014 Gesundheitliche Auswirkungen von HGÜ-Trassen Direkte Wirkungen Indirekte Wirkungen - Elektrisches Feld Elektrisches Feld: - Magnetisches Feld - Aufladungen - Corona-Entladungen 2014 SuedLink: Elektrische und magnetische Felder SuedLink: Technische Daten • Spannung: 500 kV elektrisches Feld (quasi-statisch) nur Freileitung direkte Feldwirkungen indirekte Feldwirkungen: Corona-Entladungen, Aufladung von Luftpartikeln • Übertragungskapazität: • Strom: 4 GW (2 GW pro Verbindung) 4000 A magnetisches Feld (quasi-statisch) Freileitung und Erdkabel direkte Feldwirkungen 2014 Magnetfelder an HGÜ-Trassen HGÜ-Freileitung DHÜ-Freileitung Teilweise Kompensation der Beiträge der Leiterseile zum Magnetfeld abhängig von - Anordnung der Leiterseile - Abstand der Leiterseile - Phasenbelegung 2014 Natürliche elektrische und magnetische Felder Frequ. Stärke Schönwetterfeld 0 Hz 130 V/m Gewitterwolken 0 Hz bis 3 kV/m 5 bis 1000 Hz bis 0,5 V/m Elektrische Felder Atmosferics starke zeitl. Schwankungen Magnetische Felder Erdmagnetfeld 0 Hz Pole: 62 µT mitt. Breiten: 50 µT magn. Äquat.: 31 µT Prozesse Iono- u. Magnetosphäre 0 Hz 1 µT Wechselwirkung Sonne - Erde bis 100 Hz 0,02 nT bis 0,1 µT Atmosferics 5 bis 1000 Hz bis 0,5 10-4 µT lokale Anomalien: Untergrund zeitliche Veränderung: • Erdrotation / Sonnenwind • Sonnenaktivität • Verschiebung der Pole 2014 Forschungsansätze • Epidemiologische Studien Erkrankungsrate in der Bevölkerung in Abhängigkeit von der Exposition • Experimentelle Untersuchungen am Menschen Auftreten biologischer Effekte in Abhängigkeit von der Exposition • Experimentelle Untersuchungen am Tier Entwicklung von Krankheiten und Auftreten biologischer Effekte in Abhängigkeit von der Exposition • Experimentelle Untersuchungen (in vitro) an Gewebe oder Zellen Auftreten biologischer Effekte in Abhängigkeit von der Exposition, biophysikalische Wirkungsmechanismen 2014 Gesundheitsrisiken durch elektrische und magnetische Felder Übertragung elektrischer Energie DHÜ/HVAC HGÜ/HVDC Niederfrequente Felder Niederfrequente Felder Statische Felder f = 50 Hz f = n · 50 Hz f = 0 Hz Elektrisches Feld Magnetisches Feld ? Elektrisches Feld Magnetisches Feld ? ? Elektrisches Feld ? ? Magnetisches Feld Erdkabel 2014 Bewertung der Kanzerogenität von Alltagsnoxen (IARC 05/2012) • Gruppe 1: Agenzien, die karzinogen beim Menschen sind – – – – – – – – – • Gruppe 2A: Agenzien, die wahrscheinlich karzinogen beim Menschen sind – – – – • Acrylamid (1994) Biomasse (vor allem Holz), Verbrennung in Haushalten (2010) Insektizide (nicht arsenhaltig, 1991) Nitrat, Nitrit (Nahrungsaufnahme, 2010) Gruppe 2B: Agenzien, die möglicherweise karzinogen beim Menschen sind – – – – – – • Asbest (alle Formen, 2012) Autoabgase Diesel (2012) Benzol (2012) Holzstaub (2012) ionisierende Strahlung (alle Arten, 2012) Kohle, Verbrennung in Haushalten (2010) Ruß (berufliche Exposition, 2012) Tabak (in jeder Form), Tabakrauch (2012) UV-Strahlung (2012) Autoabgase Benzin (1989) Bitumen (1987) DDT (1991) extrem niederfrequente magnetische Felder (2002) hochfrequente elektromagnetische Felder (2011) Nitrobenzin (Lösemittel, 1996) Gruppe 3: Agenzien, die hinsichtlich ihrer Karzinogenität nicht klassifizierbar sind – – – – – Glaswolle, Steinwolle (Isolation, 2002) Saccharin (1999) extrem niederfrequente elektrische Felder (2002) statische elektrische Felder (2002) statische magnetische Felder (2002) 2014 Biologische Wirkungen niederfrequenter Magnetfelder Biologischer Effekt, gesundheitliche Auswirkung B [µT] Stromreizung: Akute Schädigung des Gehirns 150.000 Stromreizung: Herzkammerflimmern 100.000 Magnetophosphene 1500 Grenzwert (50 Hz, Stromversorgungsanlagen) 100 Gentoxizität (Tiere, Zellkulturen; Experiment) 100 Kanzerogenität (Tier, Experiment) 10 Hormonsystem (Melatonin, Erwachsene; Experiment) 10 Kanzerogenität (Krebs, Erwachsene; Epidemiologie) 1,0 Neurodegenerative Erkrankungen (Alzheimer, ALS, Erwachsene; Epidemiologie) 1,0 Psychische Beschwerden (Mensch; Experiment) 1,0 Herz-Kreislauf-System (Erwachsene; Experiment) 1,0 Zelluläre Funktionen (Zellkulturen; Experiment) 1,0 Zentrales Nervensystem (kognitive Funktionen, Erwachsene; Experiment) 0,5 Immunsystem (Erwachsene; Experiment) 0,5 Kanzerogenität (Leukämie, Kinder; Epidemiologie) 0,3 Nachgewiesener Effekt Wahrscheinlicher Effekt Evidenz Möglicher Effekt 2014 Biologische Wirkungen statischer Magnetfelder • Epidemiologische Untersuchungen: Erhöhte Risiken für verschiedene Krebserkrankungen bei beruflich Exponierten, u.a. − Lungenkrebs − Bauchspeicheldrüsenkrebs − Krebs des hämatologischen Systems (Feychting 2005a) Zahl der Studien gering Befunde nicht konsistent Exposition oft nur sehr grob ermittelt Beschäftigte an Arbeitsplätzen oft auch anderen Noxen ausgesetzt 2014 Biologische Wirkungen statischer Magnetfelder • • Tierexperimentelle Untersuchungen (biologische Wirksamkeit im Bereich von 10 bis 100 µT) − Störungen der Synthese des Hormons Melatonin in der Zirbeldrüse − Beeinträchtigungen des Orientierungsvermögens von Wirbeltieren und Wirbellosen (Reuss et al. 1983, Semm et al. 1980, WHO 2006) In vitro-Experimente: (biologische Wirksamkeit bereits bei wenigen µT) − Gentoxizität − Zellwachstum − Gen-Expression − Membranfunktionen − Enzymaktivität − Zellmetabolismus und Zellorientierung (WHO 2006) Zahl der Studien gering Befunde nicht konsistent 2014 Indirekte Wirkungen statischer elektrischer Felder Hohe elektrische Feldstärke Elektrische Entladungen (Corona-Entladungen) Bildung von Ionen Anlagerung an Aerosole Verdriftung Inhalation (erhöhte Lungengängigkeit) Gesundheitliche Risiken durch ionisierte Luftschadstoffe grundsätzlich möglich aber: Bisher keine epidemiologischen Untersuchungen zur Gesundheitsrelevanz 2014 Grenzwerte und Vorsorgeempfehlungen Freq. [Hz] D 26. BImSchV CH NISV Bioinitiative Working Group Immissionsgrenzwerte Immissionsgrenzwerte Anlagegrenzwerte Vorsorgeempfehlung 0 - - - - 50 5 kV/m 5 kV/m - - 0 500 µT - - - allgemein 50 200 µT Stromversorg.anlagen 50 100 µT 100 µT 1 µT 0,1 µT Elektrische Felder Magnetische Felder 2014 Vorsorgeempfehlungen des BfS (Dehos et al. (BfS) 2013) Der zusätzliche Immissionsbeitrag einer neuen oder wesentlich veränderten Hochspannungsleitung sollte die bestehende zivilisatorisch bedingte Hintergrundbelastung an Orten, wo sich Personen gewöhnlich einen großen Teil des Tages aufhalten, nicht wesentlich erhöhen. zivilisatorisch bedingte 50 Hz-Hintergrundbelastung (Neitzke et al. 2009, im Auftrag des BfS) Einfamilienhäuser: Mehrfamilienhäuser: 0,02 µT 0,07 µT Begrenzung auf 0,1 µT Bei Gleichstromanlagen soll der zusätzliche Immissionsbeitrag nicht höher als die natürliche Hintergrundbelastung (Erdmagnetfeld) sein. Unter Vorsorgegesichtspunkten zu hoch! Empfehlung ECOLOG: Begrenzung auf 0,1 µT 2014 2014 ECOLOG-Institut, Hannover www.ecolog-institut.de • Messung und Bewertung elektromagnetischer Immissionen • Auswertung von Forschungsergebnissen • Forschung und Beratung im Auftrag von parlamentarischen Gremien, Bundes- und Landesbehörden, Kommunen, Verbänden und Unternehmen: – Deutscher Bundestag, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Länderparlamente – Bundesamt für Strahlenschutz – Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag • Risikoanalysen • Risikokommunikation • Kooperative Entwicklung von Vorsorgestrategien und -maßnahmen 2014 Magnetfelder von Hochspannungsfreileitungen Magnetfeld an einer 380 kV-Freileitungstrasse 2014 Magnetfelder an Höchstspannungstrassen (380 kV/1520 A) FL_2S_P1: S RT S RT FL_2S_P3: Magnetfeld in 1 m Höhe über Grund S RT T SR K_E_3aG: oooo K_P_umG: oo oo FL Freileitung K Erdkabel 2014 Magnetfelder an Höchstspannungstrassen (380 kV, 1520 A) FL_2S_P1: S RT S RT FL_2S_P3: Magnetfeld in 1 m Höhe über Grund S RT T SR K_E_3aG: oooo K_P_umG: oo oo FL Freileitung K Erdkabel 2014 Magnetfelder an Hoch- und Höchstspannungstrassen Abstand von der Mitte bestehender 50 Hz-Leitungen, ab der die Stärke des Magnetfeldes in 1 m Höhe im Normalbetrieb unter dem Vorsorgewert von 0,1 µT liegt: 110 kV-Freileitung (Donaumast): bis 100 m 380 kV-Freileitung (Donaumast): bis 200 m 380 kV-Erdkabel: bis 25 m Hintergrund-Magnetfelder in Wohnungen fernab von Hochspannungstrassen 0,02 bis 0,07 µT 2014 Vorsorgeempfehlungen Strahlenschutzkommission 2008 • unnötige Expositionen vermeiden • Expositionen minimieren (Planung, Herstellung, Betrieb) • Expositionsgrenzwerte nicht völlig ausschöpfen • Störbeeinflussungssituationen von aktiven Implantaten durch gerätetechnische und regulatorische Maßnahmen verringern • alle vorhandenen Feldquellen berücksichtigen • elektrische und magnetische Emissionen von elektrischen Gleichstrom-Energieversorgungsanlagen in die gesetzlichen Regelungen aufnehmen 2014 Wissenschaftliche Evidenz Kategorien zur Klassifizierung wissenschaftlicher Evidenz (BUWAL 2003) • Nachgewiesener Effekt Die Kriterien der ICNIRP sind erfüllt: - Konsistenz der Untersuchungsergebnisse - Plausibilität der Wirkung • Wahrscheinlicher Effekt Es gibt mehrfache Hinweise für den Effekt. • Möglicher Effekt Es bestehen nur vereinzelte Hinweise für den Effekt. 2014 Zusammenfassung • • • • • Es gibt deutliche wissenschaftliche Hinweise, dass niederfrequente Magnetfelder auch bei Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte zu Gesundheitsrisiken führen (Leukämie, neurodegenerative Erkrankungen). Zu den mit Expositionen gegenüber technogenen statischen Magnetfeldern verbunden Gesundheitsrisiken liegen bisher nur sehr wenige Forschungsergebnisse vor. Von wissenschaftlichen Gremien, der Strahlenschutzkommission und dem Bundesamt für Strahlenschutz wird eine Minimierung der Expositionen der Bevölkerung gegenüber niederfrequenten Magnetfeldern bzw. die Einhaltung eines deutlich niedrigeren Vorsorgewertes empfohlen. (0,1 µT) Die Ausführung von Höchst- und Hochspannungstrassen als Erdkabel führt zu deutlich geringeren Breiten der Korridore entlang dieser Trassen, in denen die Expositionen über diesem Vorsorgewert liegen, und kann zu einer Minimierung der Expositionen beitragen. Die Akzeptanz von Erdkabeln ist in der Bevölkerung deutlich höher als bei Freileitungen. Mit einer erheblichen Verkürzung der Planungs- und Genehmigungszeiten für Erdkabeltrassen im Vergleich zu Freileitungstrassen ist zu rechnen. 2014