DISKUSSIONSPAPIERE AUS DER FAKULTÄT FÜR SOZIALWISSENSCHAFT RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM SOZIALRÄUMLICHE STRUKTUREN UND DISPARITÄTEN IN BOCHUM ZUSAMMENFASSUNG EINER FAKTORIALÖKOLOGISCHEN UNTERSUCHUNG DER AKTUELLEN DEMOGRAPHISCHEN UND SOZIO-ÖKONOMISCHEN SITUATION AUF ORTSTEILEBENE von Emanuel Hartkopf Diskussionspapier Nr. 06 – 2 Januar 2006 Korrespondenzanschrift: Emanuel Hartkopf Ruhr-Universität Bochum Institut für Pädagogik Lehrstuhl für Erwachsenenbildung GA 1/155 D-44780 Bochum Telefon 0234 – 32 24038 Die Diskussionspapiere aus der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum werden von der Fakultät für Sozialwissenschaft herausgegeben. Die inhaltliche Verantwortung für die Beiträge liegt bei den Autoren und nicht bei der Fakultät. Die Papiere können bei den jeweiligen Autoren angefordert werden. Die Liste aller Papiere finden Sie auf den Internet Seiten der Fakultät unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/sowi/ Rubrik „Forschung“ ISSN 0943 - 6790 INHALTSVERZEICHNIS Abbildungsverzeichnis .............................................................................................................. 3 Einleitung ................................................................................................................................. 5 A) Ausgangslage der Untersuchung................................................................................... 8 1. Vorbemerkungen und theoretische Grundannahmen .................................................... 8 1.1 Verfahrenskontext: Sozialraumanalyse................................................................... 8 1.2 Das Theoriedefizit der sozialraumanalytischen Forschung .................................... 9 1.3 Die Grundannahmen der Untersuchung................................................................ 10 1.4 Untersuchungskontext: Soziale Ungleichheit ....................................................... 12 1.5 Hinweise zum Raumbezug und zur Interpretation der Ergebnisse ....................... 16 2. Datenmaterial .............................................................................................................. 17 3. Methodisches Vorgehen .............................................................................................. 21 B) Ergebnisse der Faktorenanalyse ................................................................................ 24 1. 2. Methodische Ergebnisse.............................................................................................. 24 Interpretation der Faktoren.......................................................................................... 26 2.1 Faktor 1 – Sozialindex (Sozialer Status) ............................................................... 26 2.2 Faktor 2 – Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus)..................................................................................................... 28 2.3 Faktor 3 – Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen ........................................... 29 3. Räumliche Ergebnisdarstellung................................................................................... 30 3.1 Sozialindex (Sozialer Status) ................................................................................ 31 3.2 Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) ....................... 36 3.3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen ............................................................. 40 C) 1. 2. 3. D) Weiterführende Analyse: Betrachtung zusätzlicher Variablen............................... 44 Kinder und Jugendliche unter der deutschen und ausländischen Bevölkerung – Betrachtung der Jugendquotienten .............................................................................. 44 Vertiefende Wanderungsanalyse................................................................................. 48 Schulübergänge von der Grundschule zum Gymnasium ............................................ 53 Zusammenfassung und Ausblick ................................................................................ 56 1. 2. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung ................................................................ 56 Sozialräumliche Ungleichheit in Bochum – Ein Fazit ................................................ 61 2.1 Die Übertragbarkeit von Aggregatergebnissen auf die Individualebene .............. 63 2.2 Einordnung der Ergebnisse ................................................................................... 65 3. Weiterentwicklungsmöglichkeiten des faktorialökologischen Ansatzes .................... 66 Literaturverzeichnis.............................................................................................................. 69 Abbildungsverzeichnis 3 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. A-1.4.1: Die Beschreibung der räumlichen Gesellschaftsstruktur und der sozialen Ungleichheit anhand von statistischen Merkmalen und Sozialraumfaktoren. ................................................... 15 Abb. A-2.1: Variablenübersicht der Faktorenanalyse. ..................................................................................... 18 Abb. A-2.2: Variablenübersicht der weiterführenden Analyse. ....................................................................... 19 Abb. B-1.1: Erklärungsanteil der Faktoren an der Gesamtvarianz der 17 Untersuchungsvariablen................ 24 Abb. B-1.2: Faktorenmatrix – Übersicht der Korrelationen zwischen den Faktoren und Variablen. .............. 25 Abb. B-2.1.1: Zusammenhang zwischen dem Sozialindex (Sozialer Status) 2003 und dem Arbeitslosenquotienten März 2003 (mit linearer Regressionsgerade).............................................................. 27 Abb. B-3.1.1: Sozialindex (Sozialer Status) für die Bochumer Ortsteile 2003................................................... 31 Abb. B-3.1.2: Sozialraumkarte (Rang) für den Sozialindex (Sozialer Status) der Bochumer Ortsteile 2003..... 32 Abb. B-3.1.3: Sozialraumkarte (Cluster) für den Sozialindex (Sozialer Status) der Bochumer Ortsteile 2003.. 33 Abb. B-3.1.4: Clusterprofile für den Sozialindex 2003 nach Wertebereichen der Ausgangsvariablen. ............. 35 Abb. B-3.2.1: Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) der Bochumer Ortsteile 2003............................................................................................................................... 36 Abb. B-3.2.2: Sozialraumkarte (Rang) für den Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) der Bochumer Ortsteile 2003. ........................................................................... 37 Abb. B-3.2.3: Sozialraumkarte (Cluster) für den Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) der Bochumer Ortsteile 2003. ........................................................................... 37 Abb. B-3.2.4: Clusterprofile für den Index der Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) 2003 nach Wertebereichen der Ausgangsvariablen. ............................................................................. 39 Abb. B-3.3.1: Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen in den Bochumer Ortsteilen 2003. ............................. 41 Abb. B-3.3.2: Sozialraumkarte (Rang) für den Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen der Bochumer Ortsteile 2003............................................................................................................................... 42 Abb. B-3.3.3: Sozialraumkarte (Cluster) für den Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen der Bochumer Ortsteile 2003............................................................................................................................... 42 Abb. B-3.3.4: Clusterprofile für den Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 2003 nach Wertebereichen der Ausgangsvariablen. ................................................................................................................ 43 Abb. C-1.1: Jugendquotienten der deutschen und ausländischen Bevölkerung für die Bochumer Ortsteile 2003, sortiert nach Jugendquotient (ausl.)..................................................................... 45 Abb. C-1.2: Statistische Kennzahlen der Jugendquotienten. ........................................................................... 45 Abb. C-1.3: Korrelationen zwischen den Jugendquotienten und den Faktoren bzw. Indizes. ......................... 47 Abbildungsverzeichnis 4 Abb. C-2.1: Wanderungsquotienten der Außenwanderung und der Innerstädtischen Wanderung für die Bochumer Ortsteile im Zeitraum von 1998-2003, sortiert nach Wanderungsquotient der innerstädtischen Wanderung. ....................................................................................................... 49 Abb. C-2.2: Wanderungsbewegungen innerhalb der Bochumer Ortsteile 2003 in Prozent. ............................. 51 Abb. C-2.3: Korrelationen zwischen den Wanderungsmaßzahlen und den Faktoren bzw. Indizes................. 52 Abb. C-3.1: Schulübergangsquoten zum Gymnasium der Bochumer Ortsteile im Jahr 2003. ........................ 54 Abb. C-3.2: Zusammenhang zwischen dem Sozialindex (Sozialer Status) und der Schulübergangsquote zum Gymnasium im Jahr 2003 (mit linearer Regressionsgerade)................................................ 55 Abb. D-1.1: Clusterprofile für die Sozialraumtypisierung der Bochumer Ortsteile 2003 nach (Cluster-) Mittelwerten der einbezogenen Faktoren und Variablen (standardisierte Skala)......................... 57 Abb. D-1.2: Sozialraumtypisierung der Bochumer Ortsteile 2003. ................................................................. 61 Abb. D-2.2: Überregionaler und interkommunaler Vergleich. ........................................................................ 65 Einleitung 5 Einleitung Das Thema Soziale Ungleichheit, häufig verbunden mit Schlagworten wie Armut, Benachteiligung und Ausgrenzung, ist seit langem fester Bestandteil in allen gesellschaftspolitischen Debatten und steht im Kontext des sozio-kulturellen und demographischen Wandels der urbanisierten Gesellschaft. Es besteht zweifellos ein großer Bedarf an aktuellen Informationen zu diesem Themenkomplex, nicht nur zur sachgerechten Aufklärung der Öffentlichkeit, sondern auch – und vor allem – für die Entscheidungsträger in der Politik. Dementsprechend hat die amtliche und nicht-amtliche Sozialberichterstattung in Deutschland stark an Bedeutung gewonnen und liefert mittlerweile eine ganze Reihe von Berichten zu einzelnen Lebensbereichen, bestimmten sozialen Gruppen und gesellschaftlichen Problemen.1 In den letzten Jahren ist zu konstatieren, dass die Sozialberichterstattung auf kommunaler Ebene die Bedeutsamkeit der Raumbezogenheit empirischer Sozialforschung stärker betont. Für viele Kommunen und Ballungsräume liegen bereits kleinräumige Untersuchungen zur Sozialstruktur vor. Damit rückt die ungleiche räumliche Verteilung bestimmter Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt. In der modernen, urbanisierten Gesellschaft schlagen sich soziale Disparitäten in räumlichen Differenzierungen der Wohnstandorte der Bevölkerung nieder, die in der Stadt als Fokus gesellschaftlicher Prozesse am deutlichsten zu beobachten sind. In der Soziologie wird diese räumliche Ungleichverteilung (Konzentration) von Bevölkerungsgruppen mit dem Begriff der Residenziellen Segregation bezeichnet und verweist auf die soziale Ungleichheit in der Bevölkerung und die Isolierung einzelner Sozialgruppen. Die gestiegene Zahl kleinräumiger Untersuchungen hat zu einer Renaissance der sog. Sozialraumanalytischen Verfahren geführt.2 Darunter sind verschiedene Analyseverfahren zusammengefasst, die sich mit der systematischen Beschreibung, Klassifikation und graphischen Präsentation städtischer Teilgebiete anhand von demographischen und sozio-ökonomischen Merkmalen befassen. Die Stadt Bochum ist bisher noch nicht umfassend sozialraumanalytisch untersucht worden – nicht zuletzt auf Grund des Fehlens einer adäquaten Datenbasis. Neben den in den Statistischen Jahrbüchern der Stadt Bochum kleinräumig (nach Statistischen Bezirken bzw. Ortstei- 1 2 Vgl. den Sammelband zur Sozialberichterstattung in Deutschland von NOLL (1997). Vgl. auch den Aufsatz von DANGSCHAT (2004). Er konstatiert eine erneute Fokussierung der Segregationsforschung auf die Konzentration bestimmter sozialer Gruppen in städtischen Teilgebieten. Einleitung 6 len)3 ausgewiesenen demographischen Angaben zu Ethnizität, Altersverteilung, Wanderungsbewegungen etc. der Bevölkerung liegen mit der Veröffentlichung der „Sozialdaten der Stadt Bochum“ im Frühjahr 2004 erstmals auch aktuelle Daten zu Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen und Jugendgerichtshilfefällen für die insgesamt 30 Ortsteile vor. Mit dieser Datenlage ist es nun möglich über die bisher durchgeführten Analysen zur Sozialraumstruktur in Bochum deutlich hinauszugehen. Der vorliegende Text ist eine gekürzte und leicht veränderte Version meiner Diplomarbeit, die im Juni 2005 an der Fakultät für Sozialwissenschaft vorgelegt wurde. In dieser Arbeit werden die kleinräumigen demographischen und sozialen Strukturen in Bochum auf Grundlage der aktuellsten statistischen Datenbasis eingehend analysiert und zusammenfassend beschrieben. Dabei kommt – auf Bochum bezogen zum ersten Mal – ein Verfahren aus dem Bereich der multivariaten Statistik zur Anwendung: Die Faktorenanalyse. Dieses induktive Verfahren versucht aus einer größeren Anzahl von Variablen die wenigen, den Datenbestand zusammenfassend beschreibenden Dimensionen zu ermitteln. Dadurch werden einerseits die Zusammenhänge zwischen den statistischen Merkmalen sichtbar und andererseits wird die Charakterisierung der Teilgebiete sowie deren Vergleich erleichtert. In der sozialraumanalytischen Forschung wird dieser Untersuchungstyp kleinräumiger Stadtstrukturen der Faktorialökologie zugerechnet. Die statistische Untersuchung wird schließlich durch die Verwendung der Clusteranalyse zur Bildung verschiedener Sozialraumtypen von Ortsteilen komplettiert. Als Orientierungshilfe erwies sich die methodisch vorbildhafte und zudem sehr anschauliche Veröffentlichungsreihe „Sozialstrukturatlas Berlin“.4 Im Vergleich mit den anderen größeren Ruhrgebietsstädten ist die soziale und demographische Situation der Stadt Bochum insgesamt zwar eher als „durchschnittlich und unauffällig“ zu bezeichnen, dennoch gibt es stadtintern deutliche Disparitäten und ganz eigene Besonderheiten – diese gilt es aufzuzeigen und zu benennen. Einen hilfreichen Überblick über die allgemeinen strukturellen Voraussetzungen und Entwicklungen in Bochum lieferten mir die „Stichworte zum sozio-ökonomischen Wandel seit den fünfziger Jahren“ von Rainer Schulze.5 3 4 5 Die Statistischen Bezirke entsprechen den einzelnen Ortsteilnamen und werden im Folgenden nur als „Ortsteile“ bezeichnet. Der „Sozialstrukturatlas Berlin“ erschien erstmals 1990 und wird seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und aktualisiert. Für diese Arbeit wurde explizit auf den Sozialstrukturatlas von 1999 und 2003 zurückgegriffen; vgl. im Literaturverzeichnis MEINLSCHMIDT / BRENNER (1999) und MEINLSCHMIDT (2004). Vgl. SCHULZE (1992). Einleitung 7 Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil (A) werden zunächst einige theoretische Vorüberlegungen dargelegt, das verwendete Datenmaterial vorgestellt und das methodische Vorgehen erläutert. Der Hauptteil (B) befasst sich mit der Beschreibung, Klassifikation und graphischen Präsentation der Ergebnisse der Faktorenanalyse. Im anschließenden Teil (C) werden im Rahmen einer weiterführenden Analyse einige zusätzliche Variablen betrachtet. Der abschließende Teil (D) liefert eine zusammenfassende Sozialraumtypisierung der Bochumer Ortsteile und gewährt einen Ausblick auf die Weiterentwicklungsmöglichkeiten des faktorialökologischen Ansatzes für ein Bochumer Sozialraum-Monitoring. Ferner werden die Ergebnisse im Ruhrgebietsvergleich kurz eingeordnet und vertiefende Hinweise zur sozialräumlichen Ungleichheit in Bochum gegeben. Teil A-1.1 Verfahrenskontext: Sozialraumanalyse 8 A) Ausgangslage der Untersuchung 1. Vorbemerkungen und theoretische Grundannahmen Die Auseinandersetzung mit der sozialen Morphologie von Städten, insbesondere die eingehende Betrachtung und Charakterisierung städtischer Subräume (Bezirke, Stadtteile, Quartiere etc.) anhand von kleinräumigen statistischen Daten, ist eine der Hauptaufgaben der Stadtsoziologie, ferner auch der Stadtgeographie. Verschiedenste sozialraumanalytische Verfahren liefern Beschreibungen und Typisierungen städtischer Teilgebiete hinsichtlich der Verteilung der Bevölkerung nach sozio-ökonomischen und demographischen Merkmalen. Bevor jedoch auf die theoretischen Vorüberlegungen, insbesondere zu der in dieser Arbeit eingesetzten Faktorenanalyse, eingegangen wird, ist zunächst eine kurze Einordnung der Verwendung dieses Verfahrens im Kontext der Sozialraumanalyse angebracht. 1.1 Verfahrenskontext: Sozialraumanalyse Die Sozialraumanalyse entstand 1949 mit der Aufstellung einer Stadttypologie für Los Angeles durch Eshref Shevky und Wendell Bell, die 1955 mit „Social Area Analysis“ das erste Standardwerk dieser neuen empirischen Forschungsmethode der Sozialökologie6 veröffentlichten. Theoretischer Ausgangspunkt bei der Sozialraumanalyse ist die Annahme eines umfassenden sozialen Wandels. Demnach entwickeln sich „[...] Gesellschaften auf eine größere Differenzierung und auf eine größere Komplexität hin“, die sich in der Stadt als Produkt der Gesellschaft am deutlichsten manifestieren.7 Damit ist die Ausbildung von spezifischen sozialen, demographischen (familialen) und ethnischen Segregationsmustern8 gemeint, aber auch deren Veränderungen im Laufe der Zeit. Diese lassen sich durch eine, in der Berechnung und Darstellung sehr einfache, sozialräumliche Beschreibung und Klassifikation von städtischen Teilgebieten anhand universell einsetzbarer und intersubjektiv überprüfbarer analytischer 6 7 8 Die Sozialökologie befasst sich mit den Beziehungen zwischen Menschen bzw. Gesellschaft und ihrer räumlichen Umwelt, insbesondere mit der Verteilung und Strukturierung der Bevölkerung im städtischen Raum sowie der Gestaltung und Nutzung von städtischen Lebenswelten. Sie entstand in den 1920er Jahren in Chicago unter Park und Burgess (sog. Chicagoer Schule). FRIEDRICHS (1983), S. 197; vgl. auch die dt. Übersetzung des Textes „Social Area Analysis“ von SHEVKY und BELL in ATTESLANDER / HAMM (1974). Ein Segregationsmuster ist die mittels statistischen Datenmaterial festgestellte Art der Ungleichverteilung der Bevölkerung bzw. von bestimmten Bevölkerungsgruppen über die Teilgebiete (Stadtteile o.ä.) eines Gesamtraumes (Stadt oder Region). Hier ist die Residenzielle Segregation (also nach Wohnstandorten) gemeint, z.B. Wohneigentumsquoten in innerstädtischen und peripheren Wohnlagen oder der Anteil bestimmter ethnischer Gruppen in unterschiedlichen Quartieren. Teil A-1.1 Verfahrenskontext: Sozialraumanalyse 9 Faktoren, der sog. Sozial- oder Statusindizes, aufdecken.9 Weiterhin wird die Sozialraumanalyse genutzt, „[...] um aus unterschiedlichen Segregationsmustern Schlüsse auf kleinräumige Disparitäten von Lebensbedingungen und sozialen Milieus zu ziehen.“10 Während die Sozialraumanalyse, ausgehend von einer – wenngleich bescheidenen – theoretischen Basis, deduktiv die analytischen Dimensionen ermittelt, bietet sich hingegen mit der Faktorenanalyse ein Verfahren der multivariaten Statistik an, dass auf induktivem Weg die bedeutsamen Faktoren einer mittels umfangreicher statistischer Daten beschriebenen komplexen Wirklichkeit sichtbar macht.11 Die Einbeziehung der Faktorenanalyse zur Untersuchung sozialräumlicher Differenzierung ist zwar als methodische Erweiterung der klassischen Sozialraumanalyse zu verstehen, wird aber auch unter dem Namen Faktorialökologie als eigenständiges Konzept in der Sozialökologie begriffen.12 Die Faktorenanalyse untersucht die Struktur, die hinter einem i.d.R. recht umfangreichen Datensatz steht und ermittelt die wenigen grundlegenden Faktoren, die diesen Datenbestand hinreichend genau beschreiben können (Ziel der Datenreduzierung), wobei die Auswahl der Variablen für den Datensatz nicht explizit theoriegeleitet erfolgt, sondern sich an der vermuteten Relevanz und der Verfügbarkeit von statistischen Merkmalen orientiert. Die ermittelten Faktoren sind als nicht real messbare „Hintergrundfaktoren“ oder „Faktoren höherer Ordnung“ zu verstehen,13 sie können aber über die Faktorladungen (den Korrelationen zwischen den Variablen und den Faktoren) inhaltlich interpretiert werden.14 Die Faktorenanalyse ermittelt also quasi „theoretisch blind“15 aus einer vorgegebenen komplexen Datenstruktur heraus die wichtigen zusammenfassenden Beschreibungsdimensionen, hier für städtische Teilgebiete bzw. deren Segregationsmuster. 1.2 Das Theoriedefizit der sozialraumanalytischen Forschung Das Grundproblem sozialraumanalytischer Untersuchungen, die mehr oder minder theorielose Auswahl von Variablen, wurde eben schon deutlich. Die soziale Wirklichkeit wird verkürzt auf die durch die amtliche Statistik zur Verfügung stehenden Daten. Bei faktorial9 10 11 12 13 14 15 Die genauen Berechnungsmodalitäten und Anwendungsmöglichkeiten der Sozialraumanalyse werden knapp bei FRIEDRICHS (1983), S. 197ff erläutert. STROHMEIER (2003), S. 22. Vgl. HAMM (1977), S. 94. So z.B. bei LICHTENBERGER u.a. (1987). Vgl. HAMM (1977), S. 95. Vgl. auch MEINLSCHMIDT / BRENNER (1999), S. 135. Bzw. „explorativ“; vgl. LICHTENBERGER u.a. (1987), S. 31. Teil A-1.2 Das Theoriedefizit der sozialraumanalytischen Forschung 10 ökologischen Untersuchungen kommt noch eine gewisse Unschärfe in der Zielfokussierung durch den induktiven Ansatz, der technisch gesehen keinerlei theoretischer Vorüberlegungen bedarf, hinzu. HAMM hält berechtigt fest: „Es gibt auch in diesem Bereich [der Stadtforschung] keine empirische Forschung ohne die Orientierung an einem theoretischen Bezugsrahmen, wenn relevante Resultate erarbeitet werden sollen.“16 Dieses Theoriedefizit ist nicht wegzudiskutieren, gleichwohl aber als relativ unproblematisch zu betrachten, denn schließlich kann ein unausgereifter oder fehlender Theoriebezug auch nur dann kritisiert werden, wenn dem Anspruch nach aus der Methode heraus Erklärungen für die Ergebnisse entwickelt werden sollen. Es handelt sich hierbei jedoch um eine ausgeprägt empirisch-pragmatische Methode zur vereinfachten Beschreibung und Typisierung sozialräumlicher Differenzierung in der urbanisierten Gesellschaft, und nicht (!) um ein theoretisch durchsetztes Forschungskonzept zur Erklärung eben dieser Differenzierung im Kontext eines immer schneller und komplexer werdenden gesellschaftlichen Wandels. Die Realität, beschrieben anhand eines umfangreichen statistischen Datensets, wird genommen wie sie ist – nicht wie man sie sich vorstellt. Erst nach Betrachtung des empirischen Materials erhält man wertvolle Hinweise für die Bildung theoretischer Konstruktionen und gelangt mithin zu wirklich gehaltvollen Hypothesen, die dann in weitergehenden Untersuchungen geprüft werden können. Trotz dieser mangelnden theoretischen Fundierung ist die in der soziologischen Stadtforschung eingesetzte Faktorenanalyse zweifellos ein bewährtes und nützliches Instrumentarium zur Erkennung und Beschreibung räumlicher sozialer Ungleichheit. 1.3 Die Grundannahmen der Untersuchung Gänzlich ohne theoretische Annahmen kommt die faktorialökologische Forschung allerdings auch nicht aus. Die bei der Verwendung der Faktorenanalyse einzig zu Grunde liegende Hypothese bezieht sich auf die oben schon angesprochene Komplexität. Die Realität, die in Form eines umfangreichen statistischen Datensets beschrieben wird, ist zunächst ausgesprochen komplex und undurchsichtig, sie wird aber im Rahmen der Analyse durch Aussagen über die Art und Ausprägung der Zusammenhänge in dem untersuchten Datensatz erhellt. Diese Grundannahme gilt entsprechend auch in dieser Arbeit: 16 HAMM (1977), S. 146. Teil A-1.3 Die Grundannahmen der Untersuchung 11 Der vorliegende Datensatz dient als – ausschnitthafte und somit verkürzte –Beschreibung der Wirklichkeit unter demographischen und sozialen Gesichtspunkten in den Bochumer Ortsteilen. Der Datenumfang und die Datenstruktur lassen auf den ersten Blick zwar einige Zusammenhänge erahnen, aber nicht gänzlich und systematisch erfassen. So ist z.B. ein starker Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug erkennbar und auch nicht verwunderlich, da er sachlogisch nachvollziehbar und damit erwartbar ist. Jedoch bleibt der genaue Zusammenhang einer Vielzahl von z.T. sehr unterschiedlichen Variablen, bezogen auf das Untersuchungsgebiet Bochum, dem Betrachter zunächst verborgen. Weiterhin gilt es die Datenauswahl zu begründen, wenngleich sie nicht theoretisch abgeleitet, so doch immerhin theoretisch geleitet (im Einklang mit der Zielsetzung der Untersuchung) erfolgt. Allerdings liegen in Deutschland aktuelle statistische Daten für kleinräumige Gebietseinheiten meist nur für wenige Merkmale vor. Im wesentlichen sind das die Bevölkerungsdaten aus dem jeweiligen Melderegister und, sofern diese aufbereitet und gepflegt werden, die Daten der Arbeitslosen- und Sozialhilfestatistik und z.T. auch der Gesundheitsstatistik. Die Datenauswahl für sozialräumliche Untersuchungen orientiert sich daher eher an pragmatischen Gesichtspunkten (der Verfügbarkeit und Aktualität von statistischen Daten).17 Gleichwohl liefern die vorhandenen Datenquellen eine Fülle von Informationen und sollten nicht ungenutzt bleiben. Die für sozialraumanalytische Zwecke zur Verfügung stehenden Daten werden nach ihrer Relevanz in Bezug auf die Themenfelder der Untersuchung ausgewählt. Es werden i.d.R. Merkmale gewählt, die sich als geeignete Indikatoren für soziale Phänomene (z.B. „Mobilität“) oder Problemfelder (z.B. „Armut“) bewährt haben oder als hinreichend geeignet zur Erfassung und Beschreibung des entsprechenden Themenfeldes angesehen werden.18 Im Rahmen dieser Untersuchung wird angenommen: Die in die Untersuchung einbezogenen Variablen dienen als Indikatoren Sozialer Ungleichheit und bilden für die Zwecke der Untersuchung die Ungleichheitsdimensionen in Bochum zwar nicht umfassend, aber dennoch adäquat ab. Obige Annahme steht in enger Verbindung mit der Grundannahme zur Komplexität der Wirklichkeit, allerdings wird jetzt das Augenmerk auf die angenommene bzw. unterstellte Rele- 17 Vgl. weiterführend auch das Kapitel „Merkmalsauswahl zur sozialräumlichen Stadtgliederung“ in HEINES. 143f. Vertiefend ist hier Teil A des Landessozialberichtes, der sich mit indikatorengestützter Sozialberichterstattung befasst, zu empfehlen; vgl. MGSFF NRW (2003). BERG (2001), 18 Teil A-1.3 Die Grundannahmen der Untersuchung 12 vanz der Daten als Indikatoren gelegt. Der theoretische Bezugsrahmen besteht also lediglich aus diesen beiden grundlegenden Annahmen. Bisher wurde schon mehrfach von Sozialer Ungleichheit gesprochen, aber noch nicht für die Belange der Untersuchung konkretisiert. Im nachfolgenden Teil wird die Thematik deshalb eingehend behandelt. 1.4 Untersuchungskontext: Soziale Ungleichheit Indem die Ergebnisse sozialraumanalytischer Untersuchungen Auskunft über die demographischen und sozialen Strukturen des jeweiligen Untersuchungsgebietes geben, liefern sie immer auch ein Bild der sozialen Ungleichheit – hinsichtlich der Dimensionen und des räumlichen Verteilungsmusters sozialer Ungleichheit. Die vielfältigen Dimensionen sozialer Ungleichheit berühren faktisch alle menschlichen Lebensbereiche in der (Stadt-)Gesellschaft (z.B. Arbeit, Freizeit, Wohnen etc.) und werden durch die z.T. von der Gesellschaft mitgeformten Lebensbedingungen bzw. Lebenschancen (Einkommen, Bildung, Gesundheit, Prestige etc.) bestimmt. Lebenschancen im Sinne „wertvoller Güter“, die zudem mit den natürlichen Charakteristika (wie z.B. Geschlecht oder Nationalität) und ebenso auch mit den vorteiligen bzw. nachteiligen Eigenschaften einer Person / sozialen Gruppe korrespondieren, sind in der Bevölkerung naturgemäß ungleich verteilt. Der Grad der Ungleichverteilung ist jedoch durch die Gesellschaft determiniert und veränderlich. Soziale Ungleichheit verläuft entlang vertikaler (hoher vs. niedriger Status / Position bzw. obere vs. untere Schichten), wie horizontaler (verschiedene Lebensweisen, stile, Milieus) Verteilungsdimensionen.19 Obgleich sich die sozialraumanalytischen Verfahren in ihren Beschreibungen und Klassifikationen primär an der vertikalen Sozialstruktur der Gesellschaft orientieren, so erlauben sie durch die Aufdeckung von verschiedenen Segregationsmustern doch zumindest teilweise auch Rückschlüsse auf horizontale Ungleichheiten wie z.B. soziale Milieus.20 Obwohl soziale Ungleichheit durch den „Dualismus von Benachteiligung und Besserstellung“ gekennzeichnet ist und daher beides unauflösbar im Zusammenhang betrachtet werden muss, bleibt dennoch festzuhalten, dass sich soziale Ungleichheit – nicht zuletzt durch die begriffsinhärente negative Konnotierung – häufig auf die Betrachtung der „Problematik an der Sache“ 19 20 Vgl. auch die umfassenden Begriffsdefinitionen bei HRADIL (1999) und seine eingehende Behandlung des Themas. Vgl. auch Fußnote 10. Teil A-1.4 Untersuchungskontext: Soziale Ungleichheit 13 beschränkt: Die negativen Folgen für die nachteilig betroffene Bevölkerung und ihr Wohnumfeld, aber auch für die Gesellschaft insgesamt stehen im Vordergrund.21 Der Begriff der relativen Deprivation hebt besonders auf diese Problemfokussierung von sozialer Ungleichheit ab, indem er die Unterversorgung von Personen und Haushalten in den zur aktiven und erfolgreichen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erforderlichen Bereichen (Bildung, Wohnen, Gesundheit etc.) in Relation zum Rest bzw. zur durchschnittlichen Versorgung der Bevölkerung herausstellt.22 In letzter Konsequenz handelt es sich in dieser Betrachtungsweise um Menschen in prekären Lebenslagen, die von Armut oder Armutsgefährdung betroffen sind.23 Im Rahmen der faktorialökologischen Untersuchung der Stadt Bochum werden sowohl „Schlechterstellungen“ (Benachteiligungen) als auch „Besserstellungen“ unter den einzelnen Ortsteilen bzw. Ortsteilbevölkerungen aufgezeigt und keiner der beiden Aspekte vernachlässigt. Nur ein kleiner Teil der sozialen Ungleichheit wird über die Daten der amtlichen Statistik sichtbar und somit für die empirische Forschung greifbar. Neben den amtlichen Individualdaten, die jedoch aus Datenschutzgründen kaum verfügbar sind, handelt es sich meist um aggregierte Daten zu bestimmten Personengruppen oder räumlichen Gebieten bzw. Gebietseinheiten. Gerade auf kommunaler Ebene ist die Datenlage in den letzten Jahren deutlich besser geworden – nicht zuletzt durch ein stärkeres Problembewusstsein und die zunehmende Ökonomisierung der Verwaltung. Mittlerweile sind auch sehr umfassende Untersuchungen zur kleinräumigen Struktur sozialer Ungleichheit möglich. Die Einbeziehung einer räumlichen Betrachtungsweise sozialer Ungleichheit trägt der mannigfaltigen Verteilung von Menschen (einer Bevölkerungspopulation) über den physischen Raum (der Stadt) Rechnung. So „[...] kann man feststellen, daß die soziale Segmentierung ihren Ausdruck in der räumlichen Segmentierung findet.“24 Diese Feststellung entspricht der verbreiteten Annahme, dass sich soziale Distanz (Position/Status) in räumlicher Distanz (der Wohnstandorte) widerspiegelt.25 Die 21 22 23 24 25 Ähnlich, aber allerdings von den Folgen der residenziellen Segregation ausgehend, äußern sich HÄUßERMANN / SIEBEL (2000), S. 121. Vgl. KELLER (1999), S. 89. Diese Definition nach „objektiven Kriterien“ von Unterversorgung entspricht einer geringen Ausstattung mit Lebenschancen bzw. wertvollen Gütern (s.o.). Die subjektive Sicht der von Unterversorgung betroffenen Personen wird in der sozialpsychologischen Definition von relativer Deprivation erfasst: Menschen fühlen sich gegenüber anderen im gesellschaftlichen Statuswettbewerb benachteiligt; vgl. HILLMANN (1994), S. 146. Sie werden „[...] als arme oder armutsgefährdete Personen, deren in mehrfacher Hinsicht eingeschränkte Lebenssituation eine eigenständige Lebensbewältigung erschwert, definiert.“; vgl. MGSFF NRW (2003), S. 2, ferner auch S. 46. Armut wird ausführlich bei HAUSER (1997) behandelt. ATTESLANDER (1974), S. 79. So z.B. bei FRIEDRICHS (1983). Ähnlich äußert sich auch BOURDIEU (1991), allerdings geht er in seiner akteurstheoretischen Sichtweise davon aus, dass Akteure sich den physischen Raum aneignen und daher die Stellung im Raum als Indikator für soziale Akteurskonstellationen dienen kann. Teil A-1.4 Untersuchungskontext: Soziale Ungleichheit 14 empirische Betrachtung räumlicher sozialer Ungleichheit erfolgt über die Verteilung von Merkmalen sozialer Ungleichheit, den Indikatoren. Ein Merkmal sozialer Ungleichheit ist z.B. der Sozialhilfebezug, denn er gibt Auskunft über die Bedürftigkeit materieller Unterstützung. Zwischen Beziehern und Nicht-Beziehern von Sozialhilfe besteht offensichtlich eine Disparität bezüglich der Verfügung über persönliches Einkommen. Der Sozialhilfebezug der Bevölkerung in einem bestimmten Gebiet kann über die sog. Sozialhilfequote gemessen und mit der Quote anderer Gebiete (städtische Teilgebiete, Städte, Regionen) verglichen werden. Dadurch, dass die Quote unterschiedlich hoch ausfallen kann – und i.d.R. wird – gibt sie Auskunft über die jeweilige Stärke der Bedürftigkeit unter den betrachteten Bevölkerungspopulationen nach zusätzlichem Einkommen (Ersatz- bzw. Transfereinkommen) und dient damit als Anzeiger für soziale Disparitäten. Da sozioökonomische Merkmale auf die o.g. „wertvollen Güter“ abheben, ist ihre Verwendung als Indikatoren sozialer Ungleichheit unmittelbar einleuchtend. Demographische Merkmale hingegen sind keine Indikatoren sozialer Ungleichheit im engeren Sinne, allerdings hängen sie mit den „echten“ Indikatoren z.T. sehr stark zusammen, denn die soziale Struktur ist von der demographischen Struktur der Gesellschaft nicht losgelöst.26 Demographische Merkmale zeigen somit zwar nicht die Art und den Grad der sozialen Ungleichheit an, sie informieren aber über die formalen Eigenschaften (Geschlecht, Alter, Nationalität etc.) der betrachteten Bevölkerungsgruppen, die (besonders) von sozialer Ungleichheit – im positiven wie negativen Sinne – betroffen sind. Sozio-ökonomische und demographische Merkmale verweisen somit im gemeinsamen Verbund auf soziale Ungleichheit. Oder anders ausgedrückt: „Es sind jene Merkmale, hinsichtlich deren eine soziale Ungleichheit besteht, von denen also angenommen werden kann, daß sie eine große Zahl unterschiedlicher Handlungsmöglichkeiten zur Folge haben.“27 Die Betrachtung der räumlichen Differenzierung der Ausprägungen dieser Indikatorvariablen deckt die sozialen Unterschiede zwischen den betrachteten Gebieten auf. Mit der raumbezogenen Analyse demographischer und sozialer Strukturen werden also genaugenommen die Sozialräumlichen Disparitäten aufgedeckt und damit Hinweise zur sozialen Ungleichheit im Untersuchungsgebiet gegeben. Für die Untersuchung heißt das: 26 27 Mithin verläuft der demographische Wandel nicht einfach parallel zum sozio-kulturellen Wandel, vielmehr besteht zwischen beiden ein interdependentes Verhältnis. So ist z.B. für STROHMEIER (2001), S. 12 auch die natürliche Bevölkerungsentwicklung ein „Motor“ der Veränderung von Sozialstrukturen und sozialen Milieus. FRIEDRICHS (1983), S. 218. Er plädiert ausdrücklich für die Einbeziehung demographischer Merkmale in die Betrachtung sozialer Ungleichheit im Rahmen der Segregationsforschung. Teil A-1.4 Untersuchungskontext: Soziale Ungleichheit 15 Bei der Beschreibung und Typisierung der Bochumer Ortsteile geht es letztlich um die Analyse von sich räumlich abzeichnenden sozialen Disparitäten. Diese werden über die unterschiedliche Konzentration (Anteilswerte) von Merkmalen sozialer Ungleichheit, die mehrere spezifische Segregationsmuster der Stadt Bochum bilden, sichtbar. Raumbezogene statistische Merkmale (und die daraus ermittelten Faktoren) beschreiben einerseits die allgemeine gesellschaftliche Struktur und andererseits, in ihrer Verwendung als Indikatoren sozialer Ungleichheit, die sozialen Disparitäten im städtischen Raum. In der folgenden Abbildung sind die Zusammenhänge unter Berücksichtigung der für die sozialraumanalytische Untersuchung der Stadt Bochum zu Grunde gelegten Variablenfelder noch einmal übersichtlich dargestellt. Demo g ra phische & So zia le St rukt uren a uf Gebiet sebene ( O rt st eile) Demographische und Haushaltsstrukturelle Merkmale Sozio-ökonomische und andere Merkmale Variablenfelder: Variablenfelder: • Altersstruktur • Ausländer • Wanderungsbewegungen • Fruchtbarkeit • Familienstand • Haushaltsgröße F A K T O R E N • Arbeitslosigkeit • Sozialhilfebezug • Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen (bei Kindern) • Jugendgerichtshilfe • Schulübergänge (indirekt) Sind Indikatoren Sozialer Ungleichheit Sozialräumliche Disparitäten „Besser- und Schlechterstellungen“ Abb. A-1.4.1: Die Beschreibung der räumlichen Gesellschaftsstruktur und der sozialen Ungleichheit anhand von statistischen Merkmalen und Sozialraumfaktoren; eigene Darstellung. Teil A-1.5 Hinweise zum Raumbezug und zur Interpretation der Ergebnisse 1.5 16 Hinweise zum Raumbezug und zur Interpretation der Ergebnisse Zum Abschluss der Einführung sind noch drei kurze Bemerkungen zum Raumbezug der Untersuchung vor dem Hintergrund interpretatorischer Fehlschlüsse angebracht: • Das Untersuchungs- und damit Erkenntnisobjekt in dieser Arbeit ist die Stadt Bochum in ihrer kleinräumigen Gliederung nach Ortsteilen, mithin sind die Ortsteile die Merkmalsträger der Untersuchung. Zu beachten ist allerdings, dass die einzelnen Merkmale aber letztlich Informationen über die Bevölkerung in den Ortsteilen liefern, da hinter den Ortsteilen jeweils eine klar definierte, eigene Bevölkerungspopulation steht. Die Merkmale beziehen sich also auf räumliche (Sub-)Gebiete, werden aber durch verschiedene Eigenschaften (z.B. Alter oder Arbeitslosigkeit) der Bevölkerung, über die in Form von Anteilswerten (Teilmenge in Relation zur Gesamtmenge der gebietsbezogenen Bevölkerung) Auskunft gegeben wird, gebildet. Die untersuchten Stadtgebiete können in diesem Zusammenhang dann auch nicht per se, je nach Merkmalsausprägung (gleiches gilt für die Faktorwerte), mit einem positiven oder negativen Label versehen werden, denn letztlich wird nur ein Trend aufgezeigt, der die Bevölkerung in dem entsprechenden Gebiet und nicht grundsätzlich das Gebiet selbst betrifft. • Die interne Struktur der Bochumer Ortsteile hat Einfluss auf die Vergleichbarkeit der Ortsteilergebnisse untereinander. Die Teilgebietswerte (Variablen- und Faktorwerte) beziehen sich zwar auf Einheiten gleicher Art (Ortsteile), aber nicht auf Einheiten gleicher Größe und Struktur, da einerseits der Raum- und Populationsumfang und andererseits die gebietsinterne Verteilung der Bevölkerung von Teilgebiet zu Teilgebiet unterschiedlich ist. Die interne Heterogenität der Teilgebiete kann z.T. enorm schwanken, was die Vergleichbarkeit der Teilgebietsergebnisse untereinander relativiert.28 Mit zunehmend kleineren Gebietseinheiten (wie z.B. Verkehrszellen) verliert die Problematik allerdings generell an Relevanz. Für die Zwecke der Untersuchung werden die Bochumer Ortsteile unabhängig (!) von ihrer Größe und internen Bevölkerungsverteilung als Merkmalsträger betrachtet – es wird also unterstellt, sie seien vollkommen gleichartige Einheiten. Diese pragmatische und durchaus auch unbefriedigende Handhabung ist bei einer reinen Ein-EbenenBetrachtung (der Ortsteile) für Vergleichszwecke jedoch zweckmäßig und auch akzeptabel, gleichwohl sollte das Problem immer im Hinterkopf des Betrachters bleiben. In der 28 Vgl. auch FRIEDRICHS (1983), S. 210. Teil A-1.5 Hinweise zum Raumbezug und zur Interpretation der Ergebnisse 17 überwiegenden Zahl kleinräumiger Untersuchungen wird die Problematik hingegen überhaupt nicht angesprochen und vorgenannte Annahme implizit unterstellt. • Die aufzuzeigenden statistischen Zusammenhänge auf der Aggregatebene (Ortsteile) sind zu trennen von den nicht sichtbaren Zusammenhängen auf der Individualebene (Personen), entsprechend können auch keine Kausalitäten ermittelt werden. Hier ist besondere Vorsicht geboten, da die Gefahr von Interpretationsfehlern durch den sog. Ökologischen Fehlschluss besteht: Zusammenhänge von Merkmalen auf der Ortsteilebene bedeuten nicht, dass auch gleichzeitig einzelne Personen diesen Zusammenhängen unterliegen.29 Bestimmte sachlogische sowie allgemein bekannte Zusammenhänge, insbesondere bei der Kumulation von Problemlagen, können allerdings von der Aggregat- auf die Individualebene übertragen und damit dann auch konkrete Lebenslagen von Menschen beschrieben werden. Außerdem können mit den gewonnenen Ortsteilergebnissen hypothesenartig Vermutungen (Kontexthypothesen) über die Zusammenhänge auf der Individualebene angestellt werden. 2. Datenmaterial Die Stadt Bochum ist neben den üblichen katasteramtlichen und sonstigen verwaltungsbezogenen Gebietseinteilungen für die Zwecke der Kommunalstatistik in 30 Statistische Bezirke eingeteilt (die Ortsteile), die wiederum zu 6 Stadtbezirken zusammengefasst sind.30 In den Statistischen Jahrbüchern der Stadt Bochum werden alle relevanten demographischen Angaben für beide Gebietsebenen veröffentlicht, ebenso die Daten der letzten Volkszählung von 1987. Die Stabsstelle Sozialplanung hat in ihrer Veröffentlichung „Sozialdaten der Stadt Bochum – Sozialberichterstattung 2004“31 erstmalig auch aktuelle Daten zu Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen und Jugendgerichtshilfefällen auf Ortsteilebene vorgestellt und die kleinräumige Sozialstruktur, besonders im Hinblick auf die Benachteiligungen bestimmter Gruppen, in Ansätzen beschrieben. Allerdings wurden die verschiedenen Variablen kaum im Zusammenhang betrachtet und untersucht. Die Ebene der Ortsteile ist damit die derzeit niedrigste Gebietsebene in Bochum auf der umfangreiches und aktuelles statistisches Datenmaterial zur Verfügung steht. Für die Zusammenstellung des 29 30 31 Vgl. auch DANGSCHAT (2004), S. 10, ausführlicher ist der Aufsatz von ESSER (1988). Unterhalb der Ortsteilebene gibt es noch die (ca. 150) Statistischen Viertel. Vgl. STADT BOCHUM (2004a). Teil A-2. Datenmaterial 18 Untersuchungsdatensatzes wurden die einzelnen Variablen entweder direkt aus den vorgenannten Quellen übernommen oder aus dem vorhandenen Datenmaterial eigens berechnet. Der nachfolgenden Übersicht sind die in die Faktorenanalyse eingegangenen Variablen zu entnehmen. Variable Definition Quelle Demographie-/Haushaltsstruktur • Ausländeranteil Ausl. Personen (nicht-dt. Stat. Jahrbuch Pass) an der Bev. (eig. Berechn.) • Ausländeranteil unter Ausl. Personen b. u. 18 J. " Kindern und Jugendlichen an allen Personen b. u. 18 J. • Kinder- und Jugendanteil Pers. b. unter 18 J. a. d. Bev. " • Kleinkinderanteil Pers. b. unter 6 J. a. d. Bev. " • AltJungQuotient Personen 60 J. u. mehr/ " Personen bis 18. J. • Anteil hochbetagter Personen Pers. 75 J. u. mehr a. d. Bev. " • Anteil Geschiedener Geschiedene Personen " an der Bev. über 18 Jahren • Fruchtbarkeitsquote Anzahl der Geburten pro " 1000 der weiblichen Bev. im Alter von 15-44 Jahren • Wanderungsbewegung (%) Zu- und Fortzüge a. d. Bev. " • Anteil 1-Personenhaushalte 1-Personenhaushalte an Mikrozensus (eig. Berechn.) allen Haushalten1 • Anteil 4<-Personenhaushalte 4-und-mehr-Personen" haushalte an allen Haushalten1 Sozio-ökonomische Struktur • Arbeitslosenquotient Arbeitslose/20 bis unter Sozialdaten 60 Jährige2 Bericht 2004 • Sozialhilfequote Sozialhilfeempfänger " an der Bev.3 • Sozialhilfequote Kinder Sozialhilfeempfänger " u. 18 J. a. d. Bev. u. 18 J.3 Gesundheitsvorsorge • U8-Lücke Anteil der Kinder ohne " • U9-Lücke Vorsorgeheft oder Unters.4 " Jugendkriminalität • Jugendgerichtshilfeanteil (jugendliche Delinquenz) Jugendgerichtshilfefälle an der Bev. von 14 bis u. 21 J. " Zeitbezug 31.12.2003 31.12.2003 31.12.2003 31.12.2003 31.12.2003 31.12.2003 31.12.2003 2003 2003 2003 2003 März 2003 31.12.2002 31.12.2002 Sept. 2003 Sept. 2003 2001 Bevölkerung = Wohnbevölkerung (Melderegister) 1 2 3 4 Geschätzt m. d. Haushaltsmitgliederquotenverfahren des LDS (Mikrozensusquoten 2003). Definition weicht von der amtl. Arbeitslosenquote ab, da die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigen auf Ortsteilebene nicht bekannt ist und daher die „potenziell Erwerbstätigen“ zu Grunde gelegt wurden. Sozialhilfeempfänger sind Personen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Heimen und Anstalten erhalten. Kinder für die bei der Schuleingangsuntersuchung im September 2003 kein Vorsorgeheft vorgelegt wurde bzw. für die keine Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt worden sind. Abb. A-2.1: Variablenübersicht der Faktorenanalyse. Teil A-2. Datenmaterial 19 Einige weitere Variablen werden gesondert in Teil C der Arbeit betrachtet, da sie sich auf Grund eines nur geringen statistischen Zusammenhangs mit den anderen Variablen oder durch besondere Wertekonstellationen für eine Verwendung im Rahmen der Faktorenanalyse als ungeeignet erwiesen haben. Es handelt sich dabei um ergänzende Variablen zu den Wanderungsbewegungen der Ortsteilbevölkerungen für eine vertiefende Wanderungsanalyse, alternative Variablen zu Kindern und Jugendlichen unter der deutschen und ausländischen Bevölkerung sowie einer neuen Variablen zu Grundschulabgängern, die den im Hinblick auf soziale Ungleichheit wichtigen Parameter Bildung in die Analyse einbezieht. Variable Demographische Struktur • Jugendquotient (dt.) • Jugendquotient (ausl.) • Wanderungsquotient Außenwanderung • Wanderungsquotient Innerstädtische Wanderung • Ortsteilinterne Wanderungsbewegung (%) Bildung • Schulübergangsquote Gymnasium Definition Quelle Zeitbezug Personen unter 18 Stat. Jahrbuch Jahren/Personen (eig. Berechn.) 18 bis unter 60 Jahren - der deutschen Bev. - der ausländischen Bev. Zugezogene/Fortgezogene " über die Stadtgrenze Zugezogene/Fortgezogene " innerhalb der Stadt Wanderungen (Umzüge) " innerhalb a. d. Bev. 31.12.2003 31.12.2003 Schulübergänge von der ZEFIR Grundschule zum (eig. Berechn.) Gymnasium im Verhältnis zu allen Schulübergängen1 2003 1998-2003 1998-2003 2003 Bevölkerung = Wohnbevölkerung (Melderegister) 1 Es wurden nur die städt. Gemeinschaftsgrundschulen (58) und keine Schulen kirchlicher (3) oder privater Träger (2) in Bochum berücksichtigt. Da die Grundschulbezirke sich nicht gravierend mit den Ortsteilgrenzen überschneiden, wurden die einzelnen Schulen den jeweiligen Ortsteilen zugeordnet. Der Schulbezirk einer Schule deckt allerdings meist nicht einen gesamten Ortsteil ab, i.d.R. sind es mehrere Schulen in einem Ortsteil. Abb. A-2.2: Variablenübersicht der weiterführenden Analyse. Anmerkungen zum Untersuchungsdatensatz und einzelnen Variablen: • Arbeitslosenquotient, Sozialhilfequote, Sozialhilfequote Kinder und U8/U9-Lücke sind auf eine Stelle nach dem Komma gerundet (so liegen die Zahlen im Sozialbericht vor). Die Werte aller anderen Variablen sind auf zwei Stellen nach dem Komma gerundet. • Die meisten Variablen beziehen sich auf den Bevölkerungsstand am 31.12.2003 bzw. auf Ereignisse im Jahr 2003, für Variablen, die von diesem Zeitbezug abweichen, wird angenommen, dass sie (die Variablenwerte) – über die mit max. 2 Jahren ohnehin vergleichs- Teil A-2. Datenmaterial 20 weise kurze Zeit – relativ beständig sind. Die faktorialökologische Untersuchung der Variablen liefert damit eine Zustandsbeschreibung der sozialräumlichen Disparitäten im Jahr 2003, die allerdings auch für eine gewisse Zeit darüber hinaus Gültigkeit besitzen wird, da sich die demographischen und sozialen Strukturen zwar kontinuierlich, aber in einem überschaubaren Tempo verändern. • Bei den beiden Variablen zur Haushaltsgröße wurde das sog. Haushaltsmitgliederquotenverfahren eingesetzt, da Daten zur Haushaltsstruktur anderweitig nicht bzw. nur von der letzten Volkszählung 1987 vorliegen. Dieses Verfahren schätzt aus den nach Alter gruppierten Bevölkerungszahlen eines Gebietes unter Verwendung von Mikrozensusquoten die Zahl der Haushalte nach Größe hinreichend genau ab. Für die Untersuchung wurden dabei die Quoten der Gesamtstadt Bochum stellvertretend für die Bochumer Ortsteile zu Grunde gelegt. Die entstandene Verzerrung ist vertretbar, da sich die Quoten auch im Vergleich mit anderen Städten oder der Landesebene nicht wesentlich unterscheiden und letztlich die Altersverteilung der Bevölkerung der entscheidende Faktor in der Berechnung ist. • Für die Verwendung von Schulübergangsquoten wurden die städtischen Gemeinschaftsgrundschulen den Ortsteilen zugeordnet, weil der Einzugsbereich der Grundschulen das nahe Wohnumfeld und somit die Kinder der erwachsenen Ortsteilbevölkerung umfasst. Der Einzugsbereich ist ferner durch die Grundschulbezirksgrenzen geregelt, die festlegen, auf welche Grundschule Eltern ihre Kinder im Regelfall schicken müssen. Die Grundschulbezirke überschneiden sich nicht oder nur marginal mit den (statistischen) Ortsteilgrenzen, sie bilden zumeist Teilgebiete innerhalb der Ortsteile ab. Der Übergang zur Hauptschule (als Gegenpol) wurde nicht in die Betrachtung einbezogen, denn im Gegensatz zu den gymnasial eingestuften Schülern, geht ein gewichtiger Teil der potenziellen Hauptschüler auf die Gesamtschule über. Zu beachten ist noch, dass in Ortsteilen mit mehreren Grundschulen die Übergangsquoten zum Gymnasium unter diesen Schulen z.T. deutlich streuen – die Gründe hierfür liegen sicherlich in der ortsteilinternen Lage, dem Prestige und der Ausstattung der Schulen. • Die teilweise Verwendung von sehr ähnlichen (redundanten) Variablen im Rahmen der Faktorenanalyse, wie z.B. bei der U8-Lücke/U9-Lücke oder den beiden Sozialhilfequoten, begründet sich darin, dass durch den sehr deutlichen Zusammenhang der jeweiligen Variablenpaare das Ergebnis der Faktorenanalyse verfeinert wird (das Ladungsmuster wird gestützt). Teil A-2. Datenmaterial • 21 Eine Variable zur Bevölkerungsentwicklung wurde – entgegen der allgemeinen Praxis – nicht in die Untersuchung einbezogen, weil sich für viele Ortsteile in Bochum schon durch eine minimale Veränderung der Zeitspanne (um ein Jahr) die Richtung der Bevölkerungsentwicklung (positiv oder negativ) ändert. Die Bevölkerungsstände auf Ortsteilebene schwanken von Jahr zu Jahr mal nach oben und mal nach unten, sodass sich letztlich kein klarer Trend ergibt, sie bleiben über die Jahre gesehen erstaunlich konstant. Für die Stadt Bochum, aber auch die meisten Ortsteile entspricht der Bevölkerungstand am 31.12.2003 fast genau dem Bevölkerungsstand der Volkszählung vom 25.05.1987. Die Bevölkerung nimmt seit Mitte der 90er Jahre kontinuierlich, aber nur sehr langsam ab (Stagnation). Es lässt sich kein eindeutiger bzw. längerfristiger Negativtrend (getragen durch bestimmte Ortsteile) wie bei anderen großen Ruhrgebietsstädten (z.B. Essen oder Gelsenkirchen) erkennen. Des Weiteren hat sich in der Vorbereitungsphase dieser Arbeit gezeigt, dass für den Fall Bochum die Bevölkerungsentwicklung nicht oder nur sehr schwach mit den Untersuchungsvariablen zusammenhängt.32 • Der gesamte Variablenkatalog umfasst noch einige andere Variablen, die als – zumeist weniger aussagekräftige – Alternativen zu den in der Untersuchung verwendeten Variablen anzusehen sind (so steht z.B. neben der frauenspezifischen Fruchtbarkeitsquote auch die allgemeine Fruchtbarkeitsquote zur Verfügung). 3. Methodisches Vorgehen Die Faktorenanalyse wird in dieser Arbeit eingesetzt, um die Anzahl der Untersuchungsvariablen – die auch als Indikatoren sozialer Ungleichheit fungieren – für eine vereinfachte Beschreibung der sozialräumlichen Strukturen in Bochum zu reduzieren (Dimensionsreduktion) und damit einhergehend Erkenntnisse über die komplexen Variablenzusammenhänge zu gewinnen. Letztlich sollen die wenigen zusammenfassenden Beschreibungsdimensionen ermittelt werden, die zudem noch unabhängig voneinander sein sollen und damit als analytische Hauptkategorien der Sozialstruktur in Bochum dienen können. Für diesen Zweck bestimmt die Faktorenanalyse, aufbauend auf der Zusammenhangsstruktur der Variablen, zusätzliche Variablen, die Faktoren (auch Komponenten genannt). Die Faktoren sind real nicht greifbar, da sie gewissermaßen hinter dem Datensatz stehen, ihn jedoch zusammenfassend beschreiben können. Für die eigentliche Durchführung der Faktorenanalyse wurde die Statistiksoftware 32 Im Gesamtdatensatz steht die prozentuale Veränderung der Bevölkerung vom 31.12.1998 zum 31.12.2003 zur Verfügung. Es bestehen keine signifikanten Korrelationen mit den anderen Variablen. Teil A-3. Methodisches Vorgehen 22 SPSS (in der Version 12.0.1) eingesetzt. Die dem Programm zu Grunde liegenden Rechenprozeduren und gewählten Analyseoptionen sollen an dieser Stelle nur kurz beschrieben und nicht ausführlich dargestellt werden.33 Ausgangspunkt der Faktorenanalyse ist die Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen den einbezogenen Variablen mittels der Pearson´schen Korrelationsrechnung. Dazu werden die Variablenwerte (in SPSS automatisch) standardisiert, um die Variablen untereinander vergleichbar zu machen.34 Das Ergebnis ist eine (bivariate) Korrelationsmatrix, die für jedes der möglichen Variablenpaare den Korrelationskoeffizienten, also die Stärke des Zusammenhangs anzeigt – bei 17 einbezogenen Variablen bedeutet das, dass es insgesamt 136 verschiedene Variablenpaarungen und Korrelationskoeffizienten gibt. Da die 17 Untersuchungsvariablen nun untereinander korrelieren bzw. sich verschiedene Gruppen von untereinander hoch korrelierenden Variablen identifizieren lassen, können sie recht gut in einigen wenigen Faktoren zusammenfassend gebündelt werden.35 Die Bündelung der Variablen setzt die Annahme eines funktionalen Zusammenhangs zwischen den Variablen und den Faktoren voraus, der durch das sog. Fundamentaltheorem der Faktorenanalyse (auch Linearitätshypothese genannt) definiert ist: Es besteht ein linearer Zusammenhang (Regression) zwischen den Faktoren und den Untersuchungsvariablen. Jeder beobachtete Wert einer Variablen lässt sich in Form einer linearen Kombination aus mehreren Faktoren als theoretischer Erwartungswert reproduzieren. Die Faktorenanalyse bestimmt nun die Zahl der Faktoren, die Faktorladungen (Korrelationen zwischen den Variablen und den Faktoren – die eigentliche Variablenbündelung) und die Faktorwerte so, dass die reproduzierte Korrelationsmatrix möglichst gut mit der Korrelationsmatrix der Ausgangsvariablen übereinstimmt.36 33 34 35 36 Einen umfassenden Überblick zu den genauen mathematischen Grundlagen der verschiedenen Arten von Faktorenanalysen vermittelt der Klassiker von ÜBERLA (1977), für eine eher anwendungsorientierte Einführung unter Nutzung von SPSS ist das entsprechende Kapitel in BACKHAUS u.a. (2000) zu empfehlen. Da es sich hier um Relativdaten handelt, tritt bei der Standardisierung der Variablen durch die nötige Mittelwertberechnung eine gewisse Verzerrung ein: Die aus den Anteilswerten berechneten Mittelwerte der Ortsteile (die zusammen die Stadt Bochum bilden) weichen von den „wahren“ Mittelwerten der Gesamtstadt Bochum ab. Allerdings sind die Abweichungen und damit die Verzerrungen nur sehr gering, sie haben keinen maßgeblichen Einfluss auf die Ergebnisse. Darüber hinaus wurde zuvor bereits festgelegt, dass die Ortsteile unabhängig von ihrer Bevölkerungszahl als Merkamtsträger betrachtet werden. Der Eignungstest der Korrelationsmatrix zur Durchführung einer Faktorenanalyse nach dem Kaiser-MeyerOlkin-Kriterium ergab den Wert 0,764 (siehe SPSS-Output im Anhang). Dieser Wert kann als „ziemlich gut“ angesehen werden, der Umfang und die Stärke der Variablenzusammengehörigkeit ist also deutlich ausgeprägt. Damit ist ein Einsatz der Faktorenanalyse nicht nur sinnvoll, sondern auch sehr zu empfehlen; vgl. BACKHAUS u.a. (2000), S. 269. Vgl. VOß (2000), S. 272. Teil A-3. Methodisches Vorgehen 23 Als Extraktionsverfahren (Art der Herauslösung der Faktoren aus dem Datensatz) wurde die Hauptkomponentenanalyse verwendet,37 die davon ausgeht, dass es keine spezifischen Faktoren gibt und die Korrelationsmatrix somit vollständig durch gemeinsame Faktoren beschrieben werden kann. Um eine sinnvolle Interpretation der Faktorenmatrix, die die entscheidende Auskunft über die Faktorladungen (die eigentliche Variablenbündelung) gibt, zu ermöglichen, wurde der Faktorraum anschließend noch gedreht. Es kam dabei eine orthogonale Rotation nach dem Quartimax-Kriterium zur Anwendung.38 Durch die Rotation wurden voneinander unabhängige Faktoren erzeugt, der Variablenraum wurde sozusagen auf die Faktoren „aufgeteilt“. Schlussendlich stehen damit die wenigen grundlegenden Hauptdimensionen der Sozialraumstruktur in Bochum fest. Es sei noch erwähnt, dass zwei Modellvoraussetzungen der Faktorenanalyse nicht geprüft wurden: Normalverteilung der Variablen und Linearität der Beziehung zwischen den Variablen. Gerade bei sozio-ökonomischen Variablen sind diese Voraussetzungen wahrscheinlich nicht gegeben. Bei einem Verstoß gegen die Modellrestriktionen reagieren die Faktorenwerte zwar empfindlich, die Faktorenstruktur (Anzahl der Faktoren und Korrelation mit den Variablen) hingegen bleibt sehr stabil.39 Die z.T. strengen Voraussetzungen lassen sich, ebenso wie Empfehlungen oder Faustregeln zur Durchführung von Faktorenanalysen, gerade bei faktorialökologischen Untersuchungen generell kaum erfüllen. Trotz der auftretenden methodischen Probleme beim Einsatz der Faktorenanalyse in der Stadtforschung, hat sie sich als nützliches Instrumentarium zur Erkennung und Beschreibung von sozialräumlichen Strukturen bzw. räumlicher sozialer Ungleichheit bewährt und findet breite Anwendung, da sich gezeigt hat, dass die relative Stellung der Teilgebietswerte zueinander dennoch recht konstant bleibt, und darüber hinaus auch kein geeigneteres Verfahren zur Verfügung steht. Weil in dieser faktorialökologischen Untersuchung ein vernünftiges – wenn auch methodisch nicht absolut korrektes – Ergebnis erzielt wurde (im Sinne der Interpretationsfähigkeit und Nachvollziehbarkeit), soll der Einsatz der Faktorenanalyse aus methodischen Gründen letztlich auch nicht in Frage gestellt werden. Die genauen Ergebnisse der Faktorenanalyse und deren Verknüpfung mit räumlichen Aussagesystemen, den Sozialraumkarten, werden im nachfolgenden Teil B ausführlich vorgestellt und besprochen. 37 38 39 Hauptkomponentenanalyse mit Eigenwerten der Faktoren größer 1 (Kaiser-Kriterium). Bei dieser Rotationsmethode wird die Anzahl der Faktoren zur Erklärung der Variablen minimiert; vgl. BÜHL / ZÖFEL (2005), S. 483. Mit der gebräuchlicheren Varimaxrotation lässt sich kein so eindeutiges Ergebnis erzielen (sie kann den Variablenraum nicht so gut trennen). Vgl. LICHTENBERGER u.a. (1987), S. 32. Teil B-1. Methodische Ergebnisse B) Ergebnisse der Faktorenanalyse 1. Methodische Ergebnisse 24 Die Faktorenanalyse der für die Beschreibung der sozialräumlichen Strukturen und Disparitäten auf Ortsteilebene zu Grunde gelegten 17 Variablen führte zur Ermittlung von drei zusammenfassenden und voneinander unabhängigen Faktoren. Alle drei Faktoren zusammen erklären den Untersuchungsdatensatz (die Gesamtvarianz der 17 Variablen) zu 86,4% – das ist ein sehr respektabler Wert. Die nachstehende Abbildung gibt Aufschluss über den Erklärungsanteil der einzelnen Faktoren. Abb. B-1.1: Erklärungsanteil der Faktoren an der Gesamtvarianz der 17 Untersuchungsvariablen. Der Varianzanteil der einzelnen Untersuchungsvariablen, der durch die drei Faktoren zusammen statistisch erklärt wird, liegt zwischen 73,6% beim „Anteil Geschiedener“ und 97,3% beim „AltJungQuotienten“ (die sog. Kommunalität). Es lässt sich anhand dieser Zahlen festhalten, dass der Datenbestand mit (nur) drei Faktoren sehr gut reproduziert, also zusammenfassend beschrieben wird. Die entscheidende inhaltliche Interpretation der Faktoren erfolgt über die Betrachtung der Faktorenmatrix. Teil B-1. Methodische Ergebnisse 25 Faktorenmatrix (Ladungsmuster) Variable Faktor 1 2 3 Ausländeranteil 31.12.2003 0,9160 0,1547 -0,1279 Ausländeranteil u. Kindern u. Jugendl. 31.12.2003 0,9342 0,0896 0,0391 Sozialhilfequote 31.12.2002 0,8830 0,2555 0,0547 Sozialhilfequote Kinder 31.12.2002 0,8514 0,2293 -0,1152 Arbeitslosenquotient März 2003 0,9049 0,0725 0,2859 U8-Lücke Sept. 2003 0,9048 -0,0311 0,0889 U9-Lücke Sept. 2003 0,8881 0,0650 0,1724 Jugendgerichtshilfeanteil 2001 0,7466 -0,0177 0,4283 Wanderungsbewegung (%) 2003 0,8716 -0,1561 -0,2455 Kinder- und Jugendanteil 31.12.2003 0,0090 0,9044 0,3131 Kleinkinderanteil 31.12.2003 0,2751 0,7233 0,5613 AltJungQuotient 31.12.2003 -0,3730 -0,9128 0,0266 Anteil hochbetagter Personen 31.12.2003 -0,2693 -0,8660 0,2720 Anteil 1-Personenhaushalte 2003 0,2198 -0,9499 0,0534 Anteil 4-und-mehr-Personenhaushalte 2003 0,2516 0,9444 -0,0194 Fruchtbarkeitsquote (frauenspezifische) 2003 0,2530 0,1805 0,8396 Anteil Geschiedener a. d. vollj. Bev. 31.12.2003 0,5044 -0,2298 0,6549 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse Rotationsmethode: Quartimax mit Kaiser-Normalisierung (in 4 Iterationen konvergiert) Abb. B-1.2: Faktorenmatrix – Übersicht der Korrelationen zwischen den Faktoren und Variablen. Die Übersicht enthält die einzelnen Faktorladungen, die den Zusammenhang zwischen den Variablen und den Faktoren durch den Pearson´schen Korrelationskoeffizienten40 ausdrücken (das Ladungsmuster). Mit zwei Ausnahmen korrelieren alle Variablen immer nur mit einem der drei Faktoren sehr stark (sie laden hoch) und mit den anderen beiden Faktoren nur recht schwach (sie laden niedrig). Das Ladungsmuster weist mithin eine deutlich ausgeprägte Einfachstruktur auf.41 Dadurch ist eine inhaltlich sinnvolle Interpretation der Faktoren überhaupt 40 41 Er kann Werte zwischen –1 und +1 annehmen (definierter Wertebereich); Werte nahe ±1 zeigen einen starken positiven (gleichgerichteten) bzw. einen starken negativen (gegenläufigen) Zusammenhang an, beim Wert 0 besteht kein Zusammenhang. Die 17 Untersuchungsvariablen verteilen sich gewissermaßen auf die drei Faktoren, indem jeweils die Variablen, die untereinander hoch korrelieren (Korrelationsmatrix), eine Gruppe bilden und dann zusammen bzw. Teil B-1. Methodische Ergebnisse 26 erst möglich. Die Faktoren reproduzieren nun diejenigen Variablen, die hoch auf ihnen laden – sie sind quasi die „Stellvertreter“ oder „Repräsentanten“ dieser gebündelten Variablen. Damit ist neben der guten Datenreproduktion (hohe Varianzerklärung, s.o.) auch die Interpretationsfähigkeit der Faktorenanalyse gegeben. 2. Interpretation der Faktoren Bei der Interpretation der Faktoren wurden nur Korrelationen größer als 0,5 berücksichtigt.42 In den allermeisten Fällen sind die herangezogenen bzw. unberücksichtigten Korrelationen jedoch deutlich größer als 0,8 bzw. kleiner als 0,3 und somit im Hinblick auf die Eindeutigkeit der Faktoreninterpretation besonders aussagekräftig. 2.1 Faktor 1 – Sozialindex (Sozialer Status) Aus der Faktorenmatrix lässt sich ersehen, dass der erste Faktor stark positiv mit den folgenden Variablen korreliert: • Ausländeranteil • Ausländeranteil unter Kindern und Jugendlichen • Sozialhilfequote • Sozialhilfequote Kinder • Arbeitslosenquotient • U8-Lücke • U9-Lücke • Jugendgerichtshilfeanteil • Wanderungsbewegung (%) • Anteil Geschiedener an der vollj. Bev. (nur mäßig starke Korrelation) Der erste Faktor reproduziert diejenigen Variablen, die die soziale Situation und etwaigen Problemlagen in den Ortsteilen ansprechen – er zeigt den sozialen Rang der Ortsteile im gesellschaftlichen Statusgefüge an und macht Ortsteile mit mehrfachen sozialen „Belastungen“ bzw. „Benachteiligungen“, ebenso wie Ortsteile mit einer insgesamt eher positiven Sozialstruktur, sichtbar. Deshalb wird der erste Faktor als Sozialindex oder auch als Sozialer Status 42 in der klaren Mehrzahl der Variablen auf nur einem Faktor hoch laden (die Variablenbündelung). Diese Trennung des Variablenraumes wird als Einfachstruktur bezeichnet; weiterführend siehe ÜBERLA (1977), Kap. 5.2. Gemäß der gebräuchlichen Konvention von BACKHAUS u.a. (2000), S. 292. Teil B-2.1 Faktor 1 – Sozialindex (Sozialer Status) bezeichnet. Er ist der maßgebende Faktor für die Beschreibung der sozialen Ungleichheit in Bochum. Die Variablenkonstellation ist nun so zu interpretieren, dass ein hoher positiver Faktorwert auf einen hohen Ausländeranteil und gleichzeitig auf eine hohe Sozialhilfequote und eine starke Wanderungsbewegung usw. in dem betreffenden Ortsteil hinweist, entsprechend umgedreht verhält es sich bei Ortsteilen mit hohen negativen Faktorwerten. Allerdings wurden aus inhaltlichen Gründen die Faktorwerte nachträglich mit [-1] multipliziert, um den „problematischen“ Ortsteilen ein negatives Vorzeichen zu geben (Änderung der Interpretationsrichtung!). Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Variablen und dem Sozialindex wird in nachstehender Abbildung am Beispiel des Arbeitslosenquotienten verdeutlicht. Abb. B-2.1.1: Zusammenhang zwischen dem Sozialindex (Sozialer Status) 2003 und dem Arbeitslosenquotienten März 2003 (mit linearer Regressionsgerade); eigene Darstellung. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Variable „Anteil Geschiedener an der volljährigen Bevölkerung“, nach der zur Interpretation der Faktoren festgelegten Konvention (s.o.), sowohl durch den ersten als auch den dritten Faktor reproduziert wird. Die Rotation des Faktorraumes erbrachte hier keine eindeutige Zuordnung zu einem der beiden Faktoren. Der Sozialindex wird zwar durch diese Variable mitgeprägt, er kann sie aber durch die nur mäßig Teil B-2.2 Faktor 2 – Demographischer Index (Familienstatus) 28 starke Korrelation (im Vergleich zu den anderen Variablen) auch nur in entsprechend eingeschränkter Form wiedergeben. Die Hauptverortung der Variablen erfolgt im dritten Faktor. In seiner Funktion als Variablen bündelnder Faktor steht der Sozialindex stellvertretend für die Gesamtheit der vorgenannten Variablen. Letztlich kann aber auch jede dieser Variablen selbst als „Stellvertreterin“ betrachtet werden: Wird eine Variable gemessen, so werden die anderen Variablen quasi mitgemessen. Exemplarisch für die beiden Ausländeranteile – sie weisen die höchsten Faktorladungen auf und können daher als dominante Hauptvariablen des ersten Faktors angesehen werden – lässt sich somit festhalten, dass die Ausländer in Bochum tendenziell eher in den Ortsteilen leben, in denen auch die von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug betroffene (deutsche) Bevölkerung lebt, wo Eltern sich weniger um die Gesundheitsvorsorge ihrer Kinder kümmern (können) und die gerichtlich geahndete Jugendkriminalität (Delinquenz) sowie die Bevölkerungsfluktuation höher ist als in anderen Ortsteilen.43 2.2 Faktor 2 – Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) Der zweite Faktor korreliert mit folgenden Variablen stark positiv: • Kinder- und Jugendanteil • Kleinkinderanteil • Anteil 4-und-mehr-Personenhaushalte und stark negativ mit: • AltJungQuotient • Anteil hochbetagter Personen • Anteil 1-Personenhaushalte Der zweite Faktor ist ein Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (oder auch Demographischer Index), denn er bündelt nur Variablen zur Haushaltsgröße und die den Anteil von alten Menschen und von Kindern und Jugendlichen sowie deren Verhältnis zueinander (AltJungQuotient) aufzeigen. Er gibt Auskunft über „junge“ und „überalterte“ Ortsteile und ist zugleich auch ein Index für den Familienstatus, da Kinderreichtum und große Haushalte auf die Familienprägung von Ortsteilen hinweisen. 43 Dem entspricht auch die Feststellung von STROHMEIER (2002), S. 31: „Hohe Ausländeranteile finden wir in den armen Stadtteilen mit besonders niedrigem sozialen Rang [...].“ Teil B-2.3 Faktor 3 – Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 29 Die Variablenkonstellation ist hier so zu interpretieren, dass Ortsteile mit hohen positiven Faktorwerten einen hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen und 4-und-mehrPersonenhaushalten – also viele Familien – und gleichzeitig einen niedrigen Anteil an alten Menschen und 1-Personenhaushalten aufweisen, bei hohen negativen Faktorwerten verhält es sich wieder umgekehrt. 2.3 Faktor 3 – Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen Der dritte Faktor korreliert positiv mit den nachstehenden Variablen: • Fruchtbarkeitsquote • Anteil Geschiedener an der volljährigen Bevölkerung • Kleinkinderanteil (nur mäßig starke Korrelation) Der dritte Faktor ist der Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen. Er beschreibt die „Geburtenintensität“ und zugleich den Anteil von Menschen mit „gescheiterten Ehen“ (also nicht die Scheidungen i.e.S.) in den Bochumer Ortsteilen. Bei dieser Variablenkonstellation zeigen hohe positive Faktorwerte eine hohe Fruchtbarkeitsquote und einen hohen Kleinkinder- und Geschiedenanteil an, hohe negative Faktorwerte verweisen auf entsprechend niedrige Variablenwerte. Obwohl der Kleinkinderanteil schon deutlich mit dem zweiten Faktor korreliert und dort entsprechend zur Beschreibung der Altersstruktur der Ortsteilbevölkerungen herangezogen wird, ist auch seine – quasi „zusätzliche“ – Korrelation mit dem dritten Faktor nicht verwunderlich, da der Kleinkinderanteil die Geburten, die in die Berechnung von Fruchtbarkeitsquoten eingehen, der letzten Jahre widerspiegelt und diese über die kurze Zeit relativ konstant bleiben. Der Geschiedenanteil hängt sowohl mit dem Sozialen Status als auch der Fruchtbarkeit zusammen. Geschiedene in Bochum leben zumeist in Ortsteilen, in denen der Soziale Status niedriger und die Geburtenintensität höher ist als in anderen Ortsteilen. Die Werte für den dritten Faktor lassen sich daher allerdings nicht wie bei den anderen Faktoren im Sinne einer „günstigen“ oder „ungünstigen“ Ortsteilsituation begreifen. Aus diesem Grund, sowie der geringeren Anzahl gebündelter Variablen und der schwächeren Varianzerklärung, ist der dritte Faktor als strukturanalytische Hauptkategorie von nachrangiger Bedeutung. Teil B-3. Räumliche Ergebnisdarstellung 3. 30 Räumliche Ergebnisdarstellung Erst durch die Berechnung der Faktorwerte für die Bochumer Ortsteile wird die unterschiedliche Ausprägung der Faktoren und der durch sie repräsentierten Variablen in der Gebietsstruktur deutlich (sog. Anwendung der gefundenen Ordnung).44 Jeder Ortsteilswert kann, in Relation zu den anderen Ortsteilwerten, als „günstiger“ oder „ungünstiger“ Wert interpretiert werden (Ranking), ebenso lassen sich ähnliche Faktorwerte als Gruppe homogener Ortsteile begreifen. Zur graphischen Veranschaulichung werden die Faktorwerte mit einem räumlichen Aussagesystem verknüpft: Sozialraumkarten stellen die Faktorwerte kartographisch dar. Dadurch wird eine besonders übersichtliche und in der Handhabung sehr einfache Vergleichsmöglichkeit der Ortsteile ermöglicht. Für die kartographische Darstellung wurden zwei verschiedene Darstellungsvarianten gewählt: • Zunächst wurde eine Gleichverteilung der Faktoren zur Identifizierung von Ortsteilen mit hohen bzw. niedrigen Faktorwerten anhand einer Rangfolge vorgenommen. Dazu wurden die Faktorwerte in fünf gleich große Perzentile aufgeteilt (Unterteilung der Spannweite der Faktoren in Perzentilgruppen). Mit Hilfe dieser Methode kann jeweils ein Fünftel der betrachteten Gebietsebene (immer genau 6 von 30 Ortsteilen) einem Rang zugeordnet werden. „Dadurch wird die in den Faktoren möglicherweise vorhandene Schiefe eliminiert und gleichzeitig die ‘Chancengleichheit’, vom Standpunkt der räumlichen Einheiten aus gesehen, zum obersten Prinzip erhoben.“45 • Die anschließende systematische Ermittlung von Ortsteilen mit großer Ähnlichkeit (Gruppierung) hinsichtlich der Ausprägung der Faktorwerte wurde mittels der Clusteranalyse durchgeführt. „Das statistische Verfahren der Clusteranalyse („Cluster“ wörtlich übersetzt sind Klumpen) fasst möglichst ähnliche Einheiten zu Gruppen zusammen, die in sich möglichst homogen sind (d.h. die Einheiten innerhalb eines Clusters sind einander möglichst ähnlich) und voneinander möglichst verschieden sein sollen.“46 In dieser Arbeit wurde jeder Faktor einer Hierarchischen Clusteranalyse nach der Ward-Methode unter- 44 45 46 Vgl. hierzu auch FRIEDRICHS (1983), S. 192. LICHTENBERGER u.a. (1987), S. 37. STROHMEIER (2002), S. 41. Teil B-3. Räumliche Ergebnisdarstellung 31 zogen.47 Durch die Festlegung, dass immer fünf Cluster gebildet werden sollten, wurde somit zugleich auch die Homogenität innerhalb der einzelnen Perzentile (der Ränge) überprüft und die etwaigen „Ausreißer“ identifiziert. Die Besetzung der einzelnen Cluster ist damit nicht gleichverteilt, sondern entspricht der Homogenitätsstruktur auf der Ortsteilebene. Das Ergebnis ist die Identifikation von verschiedenen Typen von homogenen Ortsteilen. Für beide Darstellungsvarianten gilt, dass die intensivste Grautönung in jeder Sozialraumkarte die höchsten negativen Werte und die hellste Tönung die höchsten positiven Werte symbolisiert. Mit Ausnahme der Karten zum Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen lassen sich die Grauschattierungen entsprechend auch als „günstige“ bzw. „ungünstige“ Werte interpretieren. Die Interpretation der Einzelwerte orientiert sich aber in jedem Fall immer am Durchschnitt der Gesamtheit aller Werte (der Gesamtstadt Bochum). 3.1 Sozialindex (Sozialer Status) Aus nachstehender Abbildung lässt sich ersehen, dass insgesamt 18 der 30 Ortsteile über und 12 Ortsteile unter dem Bochumer Durchschnitt liegen. Der Vorort Stiepel nimmt mit einem Sozialindex von +1,63 dabei den besten Wert innerhalb der Bochumer Ortsteile ein, der Ortsteil Gleisdreieck in der Stadtmitte weist mit -2,43 den schlechtesten aller Werte auf. 2,0 1,5 Sozialindex (Sozialer Status) 1,0 1,63 1,33 1,32 1,17 0,77 0,73 0,70 0,66 0,63 0,60 0,36 0,35 0,28 0,22 0,20 0,17 0,09 0,07 0,5 -0,02 -0,07 -0,27-0,27 0,0 -0,5 Durchschnitt (Gesamtstadt Bochum) -0,49 -0,58 -0,83 -0,88 -1,0 -1,45 -1,5 -1,93 -2,0 -2,07 -2,43 -2,5 Le W ith e er n H of e st W ed at te ns Rie e ch m k ei d- e M itt e H Q am ue m e re n K ru bu p p rg w G e le is rke dr ei ec k W St ei i tm epe ar l -M ar Li k W ie Ep nde m pe n el ha nd us or G en f /B rum re n s me ch ed e D ah lh A a u lte n b sen oc H hu ar m pe n / Ho R os rde l K e W or ei nb nh tm er ar ar g pe L n/ ang Mit te Vo e ed n d re ee A r B er bzw ge n/ eig H La ilt ng ro en p dr La ee er rA G lte e r B rth ah e nh of W es te nf el d -3,0 Abb. B-3.1.1: Sozialindex (Sozialer Status) für die Bochumer Ortsteile 2003. 47 Bei der Hierarchischen Clusteranalyse nach der Ward-Methode werden die quadrierten Euklidischen Distanzen zwischen den Einheiten eines Clusters und seinem Mittelwert berechnet und jeweils immer die beiden Cluster zusammengefasst (sog. Fusionierung), die die niedrigste Distanzsumme ergeben; vgl. BÜHL / ZÖFEL (2005), S. 506. Teil B-3.1 Sozialindex (Sozialer Status) 32 Da der Sozialindex den Grad sozialer Problemlagen (Sozialhilfebezug etc.) in den Bochumer Ortsteilen anzeigt und damit auf die „Besser- und Schlechterstellung“ von Ortsteilen (bzw. Ortsteilbevölkerungen)48 im städtischen Statusgefüge verweist, beschreibt er somit die soziale Dimension der residenziellen Segregation in Bochum. Betrachtet man nun die räumliche Ausprägung des Sozialindizes in den nachfolgenden Sozialraumkarten, so lässt sich daraus schließlich das Soziale Segregationsmuster der Stadt Bochum ersehen: Die größte soziale Belastung findet sich im Innenstadtbereich, den nordwestlichen Ortsteilen sowie besonders im peripheren Universitätsortsteil Querenburg. Eine sehr günstige Sozialstruktur weisen hingegen tendenziell eher die südlichen Ortsteile auf. Im Osten der Stadt befinden sich vornehmlich durchschnittliche (unauffällige) Ortsteile. Bergen/ Hiltrop Riemke Hofstede Hordel Günnigfeld Hamme Leithe WattenscheidMitte Kruppwerke Höntrop Harpen/ Rosenberg Grumme Kornharpen/ Werne Voede-Abzweig Gleisdreieck Altenbochum Südinnenstadt Westenfeld Eppendorf Laer Langendreer-Alt. Bahnhof Langendreer Wiemelhausen/ Weitmar- Brenschede Mitte Querenburg WeitmarMark Dahlhausen Stiepel Linden Gerthe Sozialindex / Sozialer Status Rang Anzahl 1 (günstig / hoch) 2 3 4 5 (ungünstig / niedrig) Abb. B-3.1.2: Sozialraumkarte (Rang) für den Sozialindex (Sozialer Status) der Bochumer Ortsteile 2003; eigene Darstellung, Kartenquelle: Stadt Bochum. 48 Auch wenn sie nicht die eigentlichen Untersuchungsobjekte sind; vgl. Kapitel A-1.5. 6 6 6 6 6 Teil B-3.1 Sozialindex (Sozialer Status) 33 Bergen/ Hiltrop Riemke Hofstede Hordel Günnigfeld Gerthe Harpen/ Rosenberg Grumme Kornharpen/ Werne Voede-Abzweig Hamme WattenscheidMitte Leithe Gleisdreieck Kruppwerke Altenbochum Laer Westenfeld Höntrop Südinnenstadt Eppendorf Langendreer-Alt. Bahnhof Langendreer Wiemelhausen/ Weitmar- Brenschede Querenburg Mitte WeitmarMark Sozialindex / Sozialer Status Cluster Anzahl Dahlhausen Stiepel Linden 1 2 3 4 5 (deutl. überdurch.) (überdurchschn. ) (durchschnittlich) (unterdurchschn.) (deutl. unterdurch.) 4 6 12 4 4 Abb. B-3.1.3: Sozialraumkarte (Cluster) für den Sozialindex (Sozialer Status) der Bochumer Ortsteile 2003; eigene Darstellung, Kartenquelle: Stadt Bochum. Die Ortsteile Stiepel, Weitmar-Mark, Linden, Eppendorf, Grumme und Wiemelhausen/Brenschede weisen nach der Ranggruppierung die günstigsten Werte auf dem Sozialindex auf (Rang 1). Allerdings bilden nur Stiepel, Weitmar-Mark, Linden und Eppendorf eine Gruppe von deutlich über dem Bochumer Durchschnitt liegenden Ortsteilen (Cluster 1). Sie können demnach auch als die statushöchsten Ortsteile in Bochum angesehen werden. Die Sozialstruktur in diesen 4 Ortsteilen, in denen ca. 13% der Bochumer Bevölkerung leben, ist im Sinne sehr niedriger Werte auf den Ausgangsvariablen (z.B. niedrige Arbeitslosenquoten) als besonders günstig einzustufen. Die anderen beiden Ortsteile Grumme und Wiemelhausen/Brenschede setzen sich mit ihrem Sozialindex hingegen schon ein kleines Stück von dieser Vierergruppe ab und bilden zusammen mit den Ortsteilen Höntrop, Dahlhausen, Altenbochum und Hordel eine eigene, ebenfalls überdurchschnittliche Gruppe von homogenen Ortsteilen (Cluster 2). In diesen 6 Ortsteilen leben ca. 21% der Bevölkerung der Stadt Bochum. Insgesamt 12 Ortsteile, die 35% der Gesamtbevölkerung ausmachen, sind mit relativ durchschnittsnahen Indexwerten sozialstrukturell ausgeglichen (Cluster 3). Es handelt sich dabei Teil B-3.1 Sozialindex (Sozialer Status) 34 um die Ortsteile Harpen/Rosenberg, Weitmar-Mitte, Langendreer, Kornharpen/VoedeAbzweig, Bergen/Hiltrop, Laer, Gerthe, Langendreer-Alter Bahnhof, Südinnenstadt, Westenfeld, Günnigfeld und Leithe. Ihre Variablenwerte weichen i.d.R. nur vergleichsweise marginal von den Werten für die Gesamtstadt Bochum ab. Am Bochumer Statusgefüge gemessen nehmen sie dementsprechend auch eine mittlere Position ein. In der Ranggruppenbetrachtung belegen diese Ortsteile die Ränge 2, 3 oder 4, sie sind daher z.T. auch leicht positiv oder negativ zu bewerten. Die Ortsteile Werne, Hofstede, Riemke und Wattenscheid-Mitte bilden eine Gruppe von unterdurchschnittlichen Ortsteilen mit niedrigem sozialen Status (Cluster 4). Knapp 15% der Bevölkerung in Bochum leben in den 4 Ortsteilen. Der Sozialindex zeigt für diese Ortsteilgruppe an, dass soziale Problemlagen schon verstärkt vorhanden und benachteiligte Gruppen auch entsprechend überrepräsentiert sind. Die absolut niedrigsten Werte auf dem Sozialindex finden sich bei den Ortsteilen Hamme, Querenburg, Kruppwerke und Gleisdreieck, in denen etwa 16% der Bevölkerung leben (Cluster 5). Nach der Ranggruppierung weisen aber nicht nur diese 4 Ortsteile die ungünstigsten Werte auf dem Sozialindex auf, sondern auch die Ortsteile Wattenscheid-Mitte und Riemke (Rang 5). Diese Ortsteile besitzen den niedrigsten sozialen Status von allen Ortsteilen in Bochum, denn hier ist die soziale Belastung und Benachteilung am größten. Die Clusterprofile in der folgenden Abbildung zeigen für jedes Cluster die genauen Wertebereiche der im Sozialindex reproduzierten Variablen an (innerhalb der angegebenen Wertebereiche befinden sich die Werte der Ortsteile). Im Hinblick auf die Bedeutung von günstigen und ungünstigen Indexwerten wird damit die Tragweite der sozialen Unterschiede zwischen den einzelnen Ortsteilgruppen erst voll sichtbar. Teil B-3.1 Sozialindex (Sozialer Status) Variable / Cluster Cluster 1 (4 Ortsteile) 35 Cluster 2 Cluster 3 Cluster 4 (6 Ortsteile) (12 Ortsteile) (4 Ortsteile) Cluster 5 (4 Ortsteile) Ausländeranteil 2% - 5% 4% - 8% 4% - 11% 7% - 12% 14% - 22% Ausländeranteil unter Kindern und Jugendlichen 1% - 4% 3% - 12% 5% - 13% 11% - 19% 19% - 26% Sozialhilfequote 1% - 3% 2% - 4% 3% - 8% 5% - 8% 6% - 9% Sozialhilfequote Kinder 2% - 6% 3% - 9% 8% - 17% 11% - 17% 14% - 24% Arbeitslosenquotient 5% - 8% 8% - 10% 9% - 13% 12% - 15% 11% - 16% U8-Lücke 11% - 16% 15% - 24% 12%- 32% 30% - 41% 34% - 50% U9-Lücke 11% - 21% 17% - 30% 19% - 39% 29% - 40% 38% - 47% 1% - 3% 1% - 4% 1% - 5% 2% - 5% 3% - 7% 13% - 15% 12% - 20% 13% - 22% 16% - 24% 24% - 32% Jugendgerichtshilfeanteil Wanderungsbewegung (%) Abb. B-3.1.4: Clusterprofile für den Sozialindex 2003 nach Wertebereichen der Ausgangsvariablen. Da soziale Problemlagen im ersten Cluster nur recht marginal vorhanden, aber im fünften Cluster sehr deutlich ausgeprägt sind, ist der soziale Abstand zwischen diesen beiden Randclustern natürlich besonders eklatant. Ausländer, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sind in den Ortsteilen des fünften Clusters stark überrepräsentiert, hingegen in der ersten Ortsteilgruppe stark unterrepräsentiert. So liegt bspw. die Sozialhilfequote im fünften Cluster bei 6% bis 9%, bei Kindern sogar zwischen 14% und 24%, und in den Ortsteilen des ersten Clusters bei jeweils unter 3% und bei Kindern unter 6% – Kinder sind also auch in den „besseren“ Ortsteilen deutlich stärker als Erwachsene von Sozialhilfe betroffen bzw. abhängig! Der hohe Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in den Ortsteilen des fünften Clusters verweist darauf, dass dort besonders viele Menschen von relativer Einkommensarmut betroffen sind und sich in prekären Lebenslagen befinden. Die soziale Benachteiligung in den Ortsteilen des fünften Clusters wird durch die z.T. sehr beachtlichen Defizite bei den Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen und die höheren Anteile an Jugendgerichtshilfefällen vervollständigt. Schließlich kommt noch hinzu, dass die Bevölkerung in diesen Ortsteilen rein rechnerisch durch Zu- und Fortzüge alle drei bis vier Jahre einmal komplett ausgetauscht wird – längerfristige Bindungen an einen Ortsteil (einschließlich der sozialen Kontakte) sind dadurch kaum möglich. Auf die Auswirkungen sozialer Ungleichheit und die Bedeutungszusammenhänge auf der Ebene von Individuen wird noch genauer in Teil D der Arbeit eingegangen. Teil B-3.2 Demographischer Index (Familienstatus) 3.2 36 Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) Beim Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) weisen die peripheren Ortsteile Günnigfeld mit +1,41 und Hordel mit +1,38 die höchsten Werte von allen Bochumer Ortsteilen auf. Der mit Abstand niedrigste Wert findet sich beim innerstädtischen Ortsteil Altenbochum mit -2,46. Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) 2,0 1,5 1,41 1,38 1,22 1,14 1,01 1,0 0,91 0,90 0,85 0,0 -0,5 0,70 0,66 0,55 0,32 0,29 0,27 0,25 0,5 0,12 0,09 -0,13-0,14-0,22 -0,41-0,48 Durchschnitt (Gesamtstadt Bochum) -0,59 -0,84 -1,0 -0,96 -1,08 -1,24 -1,69 -1,5 -1,82 -2,0 -2,46 -2,5 D ah lh a La er us en Li nd e H of n st ed e Le ith e H a La m ng m en e dr ee St r ie pe l K We ru r pp ne w W at We erk te ns ste e ch nfe B ei d l d H erg -M ar i pe en/ tte n/ Hil R t r o o W sen p ei tm ber ar g K or nh Ep Ma rk a p rp W en e ie do m n/V r el ha oed Rie f m us e en -Ab ke /B z re w e ns ig ch ed W Gru e ei tm mm e ar -M itt e G le is d A lte rei nb eck oc hu m La ng e nd r ee rA lte H o r B rde ah l Q ue nh re o f nb ur G g er th e -3,0 Abb. B-3.2.1: Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) der Bochumer Ortsteile 2003. Der Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße beschreibt die demographischhaushaltsstrukturelle (familiale) Dimension der residenziellen Segregation in Bochum. Er zeigt nicht nur die räumliche Ungleichverteilung von eher jungen bzw. überalterten Ortsteilbevölkerungen an, sondern auch den Familienstatus der Ortsteile (Kinderanteil und Haushaltsgröße verweisen auf den Grad der Familienprägung). Über die Betrachtung der räumlichen Ausprägung des Indizes in den Sozialraumkarten erschließt sich das Familiale Segregationsmuster der Stadt Bochum: Im Innenstadtbereich sowie den nördlich und südlich angrenzenden Ortsteilen ist die Bevölkerung z.T. sehr stark überaltert, Kinder und Jugendliche sind hingegen deutlich unterrepräsentiert. Diese Ortsteile sind demnach nur sehr schwach bzw. kaum familiengeprägt. In den übrigen Ortsteilen am Rand der Stadt liegt der Anteil an minderjährigen Personen sowie 4-und-mehr-Personenhaushalten am oder über dem Durchschnitt, entsprechend weisen diese Ortsteile auch einen mittleren bis hohen Familienstatus auf. Teil B-3.2 Demographischer Index (Familienstatus) 37 Gerthe Bergen/ Hiltrop Riemke Hofstede Hordel Günnigfeld Harpen/ Rosenberg Kornharpen/ Grumme Voede-Abzweig Hamme WattenscheidMitte Leithe Gleisdreieck Langendreer-Alt. Kruppwerke Altenbochum Bahnhof Südinnenstadt Laer Langendreer Westenfeld Höntrop Werne WeitmarEppendorf Mitte Wiemelhausen/ Brenschede Querenburg WeitmarMark Index für die Altersstruktur u. Haushaltsgröße / Familienstatus Rang Anzahl Dahlhausen Linden Stiepel 1 (günstig / hoch) 2 3 4 5 (ungünstig / niedrig) 6 6 6 6 6 Abb. B-3.2.2: Sozialraumkarte (Rang) für den Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) der Bochumer Ortsteile 2003; eigene Darstellung, Kartenquelle: Stadt Bochum. Gerthe Bergen/ Hiltrop Riemke Hofstede Harpen/ Rosenberg Hordel Günnigfeld Grumme Kornharpen/ Voede-Abzweig Hamme WattenscheidMitte Gleisdreieck Leithe Kruppwerke Westenfeld Höntrop Werne Langendreer-Alt. Altenbochum Bahnhof Südinnenstadt Laer Langendreer WeitmarEppendorf Mitte Wiemelhausen/ Brenschede Querenburg WeitmarMark Index für die Altersstruktur u. Haushaltsgröße / Familienstatus Cluster Anzahl Dahlhausen Linden Stiepel 1 2 3 4 5 (überdurchschn.) (durchschnittlich +) (durchschnittlich –) (unterdurchschn.) (deutl. unterdurch.) 11 6 6 4 3 Abb. B-3.2.3: Sozialraumkarte (Cluster) für den Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) der Bochumer Ortsteile 2003; eigene Darstellung, Kartenquelle: Stadt Bochum. Teil B-3.2 Demographischer Index (Familienstatus) 38 Nach der Ranggruppierung weisen die Ortsteile Günnigfeld, Hordel, Langendreer-Alter Bahnhof, Querenburg, Gerthe und Höntrop die günstigsten Indexwerte im Sinne eines sehr hohen Familienstatus auf (Rang 1). Zusammen mit den Ortsteilen Laer, Dahlhausen, Linden, Hofstede und Leithe bilden sie eine homogene Gruppe von überdurchschnittlichen Ortsteilen (Cluster 1). In der Clusterbetrachtung weisen also insgesamt 11 Ortsteile den höchsten Familienstatus auf. Am Durchschnitt befinden sich zwei Ortsteilgruppen, die eine mit leicht überdurchschnittlichen und die andere mit leicht unterdurchschnittlichen Indexwerten. Zur ersten Gruppe gehören die Ortsteile Hamme, Langendreer, Stiepel, Werne, Kruppwerke und Westenfeld (Cluster 2). Die Ortsteile Wattenscheid-Mitte, Bergen/Hiltrop, Harpen/Rosenberg, Weitmar-Mark, Eppendorf und Riemke gehören der zweiten Gruppe an (Cluster 3). In den insgesamt 12 Ortsteilen dieser beiden Durchschnittsgruppen spiegelt sich die demographisch- haushaltsstrukturelle Situation der Gesamtstadt Bochum recht gut wider. Einen niedrigen Familienstatus besitzen die Ortsteile Kornharpen/Voede-Abzweig, Wiemelhausen / Brenschede, Grumme und Weitmar-Mitte (Cluster 4). Die ungünstigen Indexwerte dieser Ortsteile zeigen überdurchschnittlich hohe Anteile alter Menschen und vergleichsweise niedrige Anteile an minderjährigen Personen an. Die Ortsteile Südinnenstadt, Gleisdreieck und Altenbochum weisen den niedrigsten Familienstatus von allen Ortsteilen in Bochum auf (Cluster 5). Sie zeichnen sich insbesondere durch eine sehr starke Überalterung der Bevölkerung und relativ viele 1-Personenhaushalte aus. Nach der Ranggruppierung nehmen diese Ortsteile zusammen mit den Ortsteilen des vierten Clusters (mit Ausnahme von Kornharpen/Voede-Abzweig) den ungünstigsten Rang in Bochum ein (Rang 5). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Clustern werden auch hier wieder durch den Vergleich der Wertebereiche der Ausgangsvariablen verdeutlicht. Teil B-3.2 Demographischer Index (Familienstatus) Variable / Cluster Kinder- und Jugendanteil Kleinkinderanteil Anteil 4-und-mehr Personenhaushalte Cluster 1 Cluster 2 39 Cluster 3 Cluster 4 Cluster 5 (11 Ortsteile) (6 Ortsteile) (6 Ortsteile) (4 Ortsteile) (3 Ortsteile) 14% - 19% 14% - 17% 14% - 17% 13% - 15% 11% - 12% 4% - 6% 4% - 6% 4% - 5% 3% - 5% 12% - 14% 11% - 13% 11% - 12% 10% - 12% 3% - 4% 9% - 11% AltJungQuotient 97 - 160 133 - 190 163 - 210 200 - 228 197 - 276 Anteil Hochbetagter 3% - 9% 6% - 9% 8% - 11% 9% - 12% 9% - 15% Anteil 1-Personenhaushalte 41% - 44% 42% - 45% 43% - 45% 44% - 47% 46% - 48% Abb. B-3.2.4: Clusterprofile für den Index der Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) 2003 nach Wertebereichen der Ausgangsvariablen. Aus den Clusterprofilen lässt sich ersehen, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Ortsteilgruppen beim AltJungQuotienten besonders markant sind. Ebenfalls fällt die extrem große Gesamtspannweite der Werte (vom ersten bis zum fünften Cluster) bei dieser Variable auf. Im Ortsteil Querenburg kommen auf 100 Personen unter 18 Jahren 97 Personen über 59 Jahre, im Ortsteil Altenbochum kommen auf 100 unter 18jährige hingegen 276 über 59jährige. Während also alte Menschen gegenüber Kindern und Jugendlichen in Altenbochum sehr stark überrepräsentiert sind, so ist das Verhältnis in Querenburg nahezu ausgeglichen. Querenburg und Altenbochum stehen sich auch beim Anteil hochbetagter Personen diametral gegenüber (3,7% zu knapp 15%). In der Gesamtbetrachtung (beim Indexwert) steht Altenbochum allerdings dem Ortsteil Günnigfeld direkt gegenüber. Zusammen mit den anderen beiden, kaum familiegeprägten Ortsteilen des fünften Clusters, Südinnenstadt und Gleisdreieck, steht Altenbochum am unteren Ende der Skala in Bochum. Demgegenüber besitzen die 11 Ortsteile des ersten Clusters die stärkste Familienprägung und befinden sich am oberen Skalenende. Die Familienprägung nimmt also vom ersten bis zum fünften Cluster kontinuierlich ab und offenbart damit gleichzeitig die starke Überalterung der Bevölkerung. Anzumerken sei noch, dass der Ortsteil Querenburg in Bezug auf den Familienstatus als Sonderfall zu betrachten ist.49 Obwohl der Anteil an Kindern und Jugendlichen sowie Kleinkindern leicht unterdurchschnittlich ist, weist Querenburg einen hohen Indexwert auf (Platz 4) und landet in der Ranggruppen- und Clusterbetrachtung jeweils auch in der ersten Gruppe mit dem höchsten Familienstatus. Dieses Ergebnis ist allerdings nur den extrem unterdurch49 Im Sozialbericht der Stadt Bochum wird der Ortsteil Querenburg durchgängig als Sonderfall behandelt; vgl. STADT BOCHUM (2004a). Teil B-3.2 Demographischer Index (Familienstatus) 40 schnittlichen (niedrigsten) Werten beim AltJungQuotienten und beim Anteil an hochbetagten Personen zu verdanken (s.o.). In Querenburg sind einzig Personen im Alter von 18 bis 59 Jahren mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 70% außerordentlich stark überrepräsentiert (der Durchschnitt bzw. für die Stadt Bochum liegt bei knapp 59%). Der Grund für diese Besonderheit liegt sicherlich in dem Umstand begründet, dass es sich um einen schnell gewachsenen Universitätsortsteil mit überwiegend monofunktionaler Wohnbebauung (viele Geschossbauten bzw. Hochhaussiedlungen) handelt. Neben einer großen Zahl an Studenten, die in mehrgeschossigen Studentenwohnheimen einzeln oder in Wohngemeinschaften leben, sind in Querenburg vor allem viele kleine Singlewohnungen und nur wenige Familienhaushalte zu finden.50 Es muss deshalb auch angenommen werden, dass die Schätzung der verschiedenen Haushaltsgrößen in diesem Fall deutlich verzerrt ist. Die Zahl der 1-Personenhaushalte dürfte deutlich größer ausfallen. Letztlich ist die Familienprägung des Ortsteils Querenburg eher als sehr gering einzustufen. 3.3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen Der Ortsteil Leithe nimmt mit +1,91 den höchsten Wert auf dem Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen ein, gefolgt von Kruppwerke mit +1,42 und Wattenscheid-Mitte mit +1,36. In diesen Ortsteilen gab es im Jahr 2003 die meisten Geburten pro 1000 Frauen im gebärfähigen Alter und den größten Anteil an Kleinkindern, aber zugleich auch den größten Anteil an geschiedenen Personen. Der mit deutlichem Abstand niedrigste Indexwert findet sich beim Universitätsortsteil Querenburg mit -3,63. Von Querenburg abgesehen, wird die Indexplatzierung am unteren Rand von Wiemelhausen/Brenschede mit einem Wert von -0,91 beendet. 50 Entsprechende Hinweise liefert(e) auch die Volkszählung sowie die Gebäude- und Wohnungszählung von 1987 (in den Statistischen Jahrbüchern der Stadt Bochum), vgl. zur Verdeutlichung ferner die Sozialraumtypisierung für Querenburg in der Ruhrgebietsstudie von STROHMEIER (2002), S. 46. Teil B-3.3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 41 2,5 1,91 2,0 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 1,5 1,42 1,36 0,98 0,90 0,69 0,66 1,0 0,0 -0,5 0,57 0,56 0,34 0,33 0,26 0,5 Durchschnitt (Gesamtstadt Bochum) 0,14 0,10 0,00 -0,02-0,03-0,10 -0,13-0,17-0,21 -0,49 -0,67-0,68-0,70 -0,79-0,80-0,90-0,91 -1,0 -1,5 -2,0 -2,5 -3,0 -3,63 -3,5 H Ep ord p e el nd or f W ei tm ar G H a r le M a pe isd rk n/ r R e ie os c W en k ie be m rg el ha La us e en /B G e r r re ns the Q ch ue ed re e nb ur g W ei H am m W e tm ern e ar -M it t Li e n H d en of W st e e d A ste e lt e n fe n l b B er oc d ge hu n/ m La Hil ng tro K en p or D nh ah dre lh er La arp au ng en se e n /V dr oe Rie n ee d e m -A ke rA lte bzw r B ei ah g nh o St f ie G pel ru m m e W at K Le r te up ithe ns pw ch er k ei d- e M itt e -4,0 Abb. B-3.3.1: Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen in den Bochumer Ortsteilen 2003. Die residenzielle Segregation in Bochum wird durch den Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen, der die Disparitäten der „Geburtenintensität“ und dem Anteil an Menschen mit „gescheiterten Ehen“ auf der Ortsteilebene beschreibt, komplettiert. Aus den nachfolgenden Sozialraumkarten wird dieses Spezielle Segregationsmuster ersichtlich: Abgesehen von den nordwestlichen Ortsteilen mit tendenziell eher hohen Indexwerten, ist hier ein klares Muster nur schwer zu erkennen, es handelt sich eher um einen „Flickenteppich“. Teil B-3.3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 42 Gerthe Bergen/ Hiltrop Riemke Hordel Günnigfeld Hofstede Hamme WattenscheidMitte Harpen/ Rosenberg Grumme Kornharpen/ Werne Voede-Abzweig Gleisdreieck Leithe Kruppwerke Westenfeld Höntrop Altenbochum Südinnenstadt Laer WeitmarEppendorf Mitte Langendreer-Alt. Bahnhof Langendreer Wiemelhausen/ Brenschede Querenburg WeitmarMark Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen Rang Anzahl Dahlhausen Linden Stiepel 1 (hoch) 2 3 4 5 (niedrig) 6 6 6 6 6 Abb. B-3.3.2: Sozialraumkarte (Rang) für den Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen der Bochumer Ortsteile 2003; eigene Darstellung, Kartenquelle: Stadt Bochum. Gerthe Bergen/ Hiltrop Riemke Hordel Günnigfeld Hofstede Hamme WattenscheidMitte Gleisdreieck Leithe Kruppwerke Westenfeld Höntrop Harpen/ Rosenberg Grumme Kornharpen/ Werne Voede-Abzweig Langendreer-Alt. Altenbochum Bahnhof Südinnenstadt Laer Langendreer WeitmarEppendorf Mitte Wiemelhausen/ Brenschede Querenburg WeitmarMark Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen Cluster Anzahl Dahlhausen Linden Stiepel 1 2 3 4 5 (deutl. überdurch.) 3 (leicht überdurch.) 6 (durchschnittlich) 12 (leicht unterdurch.) 8 (extrem unterdurch.) 1 Abb. B-3.3.3: Sozialraumkarte (Cluster) für den Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen der Bochumer Ortsteile 2003; eigene Darstellung, Kartenquelle: Stadt Bochum. Teil B-3.3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 43 Die Ortsteile Leithe, Kruppwerke und Wattenscheid-Mitte weisen die höchsten Indexwerte auf und bilden eine eigene Ortsteilgruppe (Cluster 1). In diesen drei Ortsteilen liegt die Fruchtbarkeitsquote, der Kleinkinderanteil und auch der Anteil an geschiedenen Personen jeweils deutlich über dem Durchschnitt. Nach der Ranggruppierung kommen allerdings auch noch die Ortsteile Günnigfeld, Hamme und Werne hinzu (Rang 1). In der Clusterbetrachtung sind Günnigfeld, Hamme und Werne jedoch mit den Ortsteilen Weitmar-Mitte, Linden und Hofstede, die ebenfalls überdurchschnittliche bzw. noch recht hohe Indexwerte aufweisen, zusammengefasst (Cluster 2). Durchschnittliche Indexwerte weisen die Ortsteile Westenfeld, Altenbochum, Bergen/Hiltrop, Langendreer, Dahlhausen, Riemke, Kornharpen/Voede-Abzweig, Langendreer-Alter Bahnhof, Stiepel, Grumme, Höntrop und Hordel auf (Cluster 3). Entsprechend nah am Bochumer Durchschnitt liegen deshalb auch die Werte der Ausgangsvariablen für diese Gruppe von homogenen Ortsteilen. Die Ortsteile Eppendorf, Südinnenstadt, Weitmar-Mark, Gleisdreieck, Harpen/Rosenberg, Laer, Gerthe und Wiemelhausen/Brenschede bilden eine unterdurchschnittliche Ortsteilgruppe (Cluster 4). Bei diesen 8 Ortsteilen finden sich also vergleichsweise niedrige Fruchtbarkeitsquoten und niedrige Kleinkinder- und Geschiedenenanteile. Der Indexwert für den Universitätsortsteil Querenburg liegt so auffällig deutlich unter dem Durchschnitt, dass er auch hier wieder als Sonderfall betrachtet wird (Cluster 5). Der nachstehenden Abbildung sind die Clusterprofile für diesen Index zu entnehmen. Variable / Cluster Fruchtbarkeitsquote Cluster 1 (3 Ortsteile) Cluster 2 Cluster 3 Cluster 4 (6 Ortsteile) (12 Ortsteile) (8 Ortsteile) Cluster 5 (1 Ortsteil) 43 - 51 40 - 49 32 - 41 28 - 35 ~26 Kleinkinderanteil 5% - 6% 4% - 6% 3% - 6% 3% - 5% ~4% Anteil Geschiedener an der vollj. Bevölkerung 8% - 10% 6% - 9% 5% - 9% 6% - 10% ~5% Abb. B-3.3.4: Clusterprofile für den Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 2003 nach Wertebereichen der Ausgangsvariablen. Bei genauer Betrachtung der Clusterprofile sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Clustern und der Abstand zwischen den Randclustern (Gesamtspannweite) bei der Fruchtbarkeitsquote am größten. Während im Ortsteil Leithe knapp 51 Kinder pro 1000 der weiblichen Bevölkerung im Alter von 15 bis 44 Jahren im Jahr 2003 geboren wurden, waren es in Que- Teil B-3.3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 44 renburg nur ca. 26 Geburten. In Leithe sind also nach dieser statistischen Bezugsgröße gesehen ungefähr doppelt so viele Kinder wie in Querenburg geboren worden. Der Durchschnitt aller Ortsteile (für die Stadt Bochum) liegt bei 37 Geburten (entspricht Cluster 3). Bei den anderen beiden Variablen überschneiden sich die Wertebereiche (Einzelspannweiten) der einzelnen Ortsteilgruppen viel deutlicher, sodass eine klare Unterscheidung teilweise nicht eindeutig möglich ist. Allerdings ist das nicht verwunderlich, da die Korrelation zwischen dem Index und diesen beiden Variablen auch deutlich schwächer als bei der Fruchtbarkeitsquote ausgeprägt ist (s.o. Teil B, Punkt 1). Dennoch ist zu erkennen, dass mit steigender Clusternummer die Werte tendenziell abnehmen. Die extrem niedrigen Werte für Querenburg bei der Fruchtbarkeitsquote und dem Anteil geschiedener Personen an der volljährigen Bevölkerung lassen sich auf die studentische Prägung der Bevölkerung und die insgesamt sehr große Zahl an jungen Menschen im erwerbsfähigen Alter zurückführen. Neben der (weiter oben schon angesprochenen) sehr schwachen Familienprägung Querenburgs, fällt ferner durch den mit etwa 37% ebenfalls deutlich unterdurchschnittlichen Anteil an verheirateten Personen natürlich auch das rechnerische Potenzial für Scheidungen – und damit letztlich der Anteil an geschiedenen Personen – relativ gering aus. C) Weiterführende Analyse: Betrachtung zusätzlicher Variablen 1. Kinder und Jugendliche unter der deutschen und ausländischen Bevölkerung – Betrachtung der Jugendquotienten Das zahlenmäßige Verhältnis der „alten“ zur „jungen“ Generation wurde bereits im Rahmen der faktorialökologischen Untersuchung durch den AltJungQuotienten (reproduziert im Familienstatus) beschrieben. Es ergeben sich allerdings auch einige interessante Befunde, wenn Kinder und Jugendliche im Verhältnis zur erwerbsfähigen (Eltern-)Bevölkerung – also der „mittleren“ Generation –, sowohl für die deutsche als auch die ausländische Bevölkerung, betrachtet werden. Dieses Generationenverhältnis wird über den Jugendquotienten gemessen: Er stellt die unter 18jährigen den Personen (pro 100) im Alter von 18 bis 59 Jahren gegenüber. Die folgende „Spinnennetzgraphik“ stellt die Jugendquotienten der deutschen und ausländischen Bevölkerung für alle Ortsteile vergleichend dar. Teil C-1. Betrachtung der Jugendquotienten 45 Abb. C-1.1: Jugendquotienten der deutschen und ausländischen Bevölkerung für die Bochumer Ortsteile 2003, sortiert nach Jugendquotient (ausl.); eigene Darstellung. Ergänzend einige statistische Kennzahlen zu den Jugendquotienten für beide Bevölkerungsgruppen: Jugendquotient (dt.) Jugendquotient (ausl.) 17,11 9,16 (Gleisdreieck) (Stiepel) 32,10 49,04 (Günnigfeld) (Hordel) Spannweite 14,99 39,88 Mittelwert 26,74 26,51 Stadt Bochum (exakter Mittelwert) 26,23 26,16 Standardabweichung 3,68 9,18 Minimum Maximum Abb. C-1.2: Statistische Kennzahlen der Jugendquotienten. Auffällig ist zunächst, dass die Extremwerte des Jugendquotienten der ausländischen Bevölkerung die Extremwerte des Jugendquotienten der deutschen Bevölkerung umfassen – viel größer sind mithin auch Spannweite (ca. 2,7 Mal) und Standardabweichung (knapp 2,5 Mal). Dieser erste Befund deutet auf eine größere Heterogenität unter der ausländischen Bevölke- Teil C-1. Betrachtung der Jugendquotienten 46 rung hin. Allerdings ist das nicht verwunderlich, denn schließlich handelt es sich bei der Bevölkerungsgruppe der „Ausländer“ um eine Zusammenfassung verschiedener Nationalitäten,51 die sich hinsichtlich Altersaufbau, generativem Verhalten und Verteilung innerhalb der Stadt deutlich voneinander unterscheiden dürften52 – und damit die Schwankungsbreite des Jugendquotienten maßgeblich beeinflussen. Beim Mittelwert unterscheiden sich beide Bevölkerungsgruppen jedoch nicht, auf 100 Erwachsene bis unter 60 Jahren kommen jeweils ungefähr 26 Kinder und Jugendliche. Betrachtet man die regionale Ausprägung der Jugendquotienten, so lassen sich sofort zwei besondere Ortsteilgruppen identifizieren, die sich jeweils durch große Abstände zwischen den Jugendquotienten beider Bevölkerungsgruppen auszeichnen. Die eine Gruppe umfasst die Ortsteile Stiepel, Wiemelhausen/Brenschede, Weitmar-Mark, Eppendorf und Linden. Sie weisen alle einen durchschnittlichen Jugendquotienten bei der deutschen Bevölkerung und einen außerordentlich niedrigen Jugendquotienten bei der ausländischen Bevölkerung auf. So kommen bspw. im Ortsteil Stiepel bei der ausländischen Bevölkerung rein rechnerisch auf 100 Personen im Alter von 18 bis 59 Jahren noch nicht einmal 10 minderjährige Personen – im Vergleich zu etwa 26 bei der deutschen Bevölkerung. Für diese Ortsteilgruppe kann schon fast von einem Fehlen der heranwachsenden Generation unter der ausländischen Bevölkerung gesprochen und somit auf einen extrem niedrigen Familienstatus geschlossen werden. Ferner weisen gerade diese Ortsteile auch die niedrigsten Ausländeranteile und den höchsten sozialen Status in Bochum auf (s. Teil B, Punkt 3.1). Die ausländische Bevölkerung in diesen Ortsteilen muss sich also signifikant von der ausländischen Bevölkerung in den anderen Bochumer Ortsteilen unterscheiden. In der Studie „Ethnisches Mosaik des Ruhrgebiets“ werden Stiepel, Wiemelhausen/Brenschede, Weitmar-Mark, Eppendorf und Linden als Ortsteile in städtischer Randlage mit sehr geringen Ausländeranteilen, überwiegend erwachsenen Ausländern gemischter (außereuropäischer) Herkunft, die sich häufig in der Orientierungsphase (Aufenthaltsdauer von unter 4 Jahren) befinden, typisiert.53 Denkbar wäre aber auch, dass gerade die hochqualifizierten Ausländer, deren „Elternphase“ schon vor51 52 53 In den Statistischen Jahrbüchern der Stadt Bochum wird zwar auch die ausländische Bevölkerung nach Nationalität kleinräumig ausgewiesen, allerdings nur nach Türken, Italienern, Spaniern, Griechen und Jugoslawen. Die sonstigen Nationalitäten stellen allerdings in jedem Ortsteil einen gewichtigen Anteil – häufig auch die deutlich größte Gruppe – dar (mit durchschnittlich 48,5% (31.12.2003)), sodass eine Betrachtung der ausländischen Bevölkerung nach dieser Einteilung trotzdem zu undifferenziert und damit auch nur wenig sinnvoll erscheint. Entsprechende Hinweise zur kleinräumigen (Ungleich-)Verteilung der ausländischen Bevölkerung nach verschiedenen Kriterien (Nationalität, Altersverteilung, relativer Aufenthaltsdauer etc.) liefert die Studie „Ethnisches Mosaik des Ruhrgebiets“; vgl. ZENTRUM FÜR TÜRKEISTUDIEN (2002). Vgl. ebd. S. 134. Teil C-1. Betrachtung der Jugendquotienten 47 über ist, eher in den gehobenen Ortsteilen – vorübergehend oder dauerhaft – leben. Die Jugendquotienten müssen so zwangsläufig sehr niedrig ausfallen. Zu der anderen Ortsteilgruppe gehören Hordel, Hofstede und Werne. Hier liegen die Jugendquotienten der deutschen Bevölkerung mit Werten von etwa 30 leicht über dem Durchschnitt und die der ausländischen Bevölkerung mit Werten zwischen 38 und fast 50 ausgesprochen deutlich darüber. Da es sich bei der ausländischen Bevölkerung in diesen Ortsteilen überwiegend um junge Personen bzw. Familien mit Kindern aus Flüchtlingsländern und Osteuropa handelt,54 sind diese sehr hohen Jugendquotienten auch nicht verwunderlich. Die ausländische Bevölkerung in diesen Ortsteilen ist also besonders stark familiengeprägt. Die Ortsteile Altenbochum, Südinnenstadt, Querenburg, Grumme, Kornharpen/VoedeAbzweig weisen sowohl unterdurchschnittliche Jugendquotienten bei der deutschen als auch bei der ausländischen Bevölkerung auf. Beim Ortsteil Gleisdreieck liegt zudem der Jugendquotient der deutschen Bevölkerung auch noch deutlich unter dem Jugendquotienten der ausländischen Bevölkerung. Kinder und Jugendliche sind in jedem dieser Ortsteile unterrepräsentiert, der Familienstatus fällt insgesamt sehr gering aus (s. Teil B, Punkt 3.2). Bei den übrigen Ortsteilen liegen beide Jugendquotienten immer in einem relativ engen Bereich um den Wert 30 herum (±5). Das Generationenverhältnis der deutschen Bevölkerung unterscheidet sich hier nicht von dem der ausländischen Bevölkerung. Im Folgenden werden noch die Zusammenhänge zwischen den Jugendquotienten und den zuvor ermittelten Grunddimensionen der sozialräumlichen Strukturen in Bochum, den Faktoren bzw. Indizes, betrachtet. Jugendquotient (dt.) Jugendquotient (ausl.) 0,312 -0,325 0,746* 0,455* 0,375** 0,404** Faktor 1 Sozialindex (Sozialer Status) Faktor 2 Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) Faktor 3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen * Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. Abb. C-1.3: Korrelationen zwischen den Jugendquotienten und den Faktoren bzw. Indizes. 54 Vgl. ebd. S. 134 u. 135. Teil C-1. Betrachtung der Jugendquotienten 48 Der Abbildung sind – wie schon beim Ladungsmuster der Faktorenanalyse (s. Abb. B-1.2) – die einzelnen Korrelationskoeffizienten für die verschiedenen Paarungen zu entnehmen. Zwischen den beiden Jugendquotienten und dem Sozialindex bestehen keine signifikanten Zusammenhänge, die Korrelationswerte fallen niedrig aus. Sozialstruktur und Generationenverhältnis (der deutschen als auch der ausländischen Bevölkerung) sind also voneinander unabhängig. Beim Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße lässt sich hingegen eine signifikante Korrelation mit beiden Jugendquotienten feststellen. Da es sich jedoch beim Jugendquotienten um eine demographische Komponente handelt, die unmittelbar von der Altersstruktur der Bevölkerung abhängt, ist ein Zusammenhang mit dem zweiten Faktor auch nicht verwunderlich.55 Hohe Faktor- bzw. Indexwerte verweisen also auf ein tendenziell günstiges Generationenverhältnis und damit auch wieder auf einen hohen Familienstatus. Der Grund für die deutlich schwächere Korrelation des zweiten Faktors mit dem Jugendquotienten der ausländischen Bevölkerung liegt darin, dass die deutsche Bevölkerung maßgeblich die Werte für die Gesamtbevölkerung der im zweiten Faktor gebündelten Variablen determiniert, sie „verschluckt“ gewissermaßen die Besonderheiten der ausländischen Bevölkerung. Obwohl auch beim dritten Faktor, dem Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen, signifikante Korrelationen mit beiden Jugendquotienten bestehen, so fallen sie doch niedriger aus als zuvor beim zweiten Faktor und sind insgesamt nur wenig aussagekräftig. Der vorhandene schwache Zusammenhang begründet sich durch den Zusammenhang von Fruchtbarkeitsquote und Jugendquotienten (Reproduktion des Generationenverhältnisses bzw. Familienstatus in der Fruchtbarkeitsquote). Für die Jugendquotienten lässt sich zusammenfassend sagen, dass nicht nur zwischen den Ortsteilen (auf der Ortsteilebene), sondern auch in einigen Ortsteilen zwischen den Jugendquotienten beider Bevölkerungsgruppen (auf der Bevölkerungsebene) deutliche Disparitäten bestehen. 2. Vertiefende Wanderungsanalyse In die Faktorenanalyse ist bereits eine Variable zu Wanderungsbewegungen (Wohnortwechseln) der Ortsteilbevölkerungen eingegangen und im Sozialindex reproduziert worden: Der prozentuale Anteil der melderechtlich registrierten Zu- und Fortzüge (über Ortsteilgrenzen 55 Alternativ zu den Anteilswerten von Altersgruppen kann der Altersaufbau einer Bevölkerung auch durch Jugend- und Altenquotienten beschrieben werden (Altenquotienten sollen in dieser Arbeit nicht betrachtet werden). Man spricht hier auch von den sog. Lastenquotienten, die die „Belastung“ der mittleren Generation durch die jüngere bzw. ältere Generation anzeigen; vgl. hierzu MEINLSCHMIDT / BRENNER (1999), S. 28f. Teil C-2. Vertiefende Wanderungsanalyse 49 hinweg) im Jahr 2003, gemessen am Bevölkerungsstand vom 31.12.2003. Diese Variable beschreibt die Bevölkerungsfluktuation, die tendenziell in Ortsteilen mit stark negativem Sozialindex sehr hoch und in Ortsteilen mit einer positiven Sozialstruktur sehr gering ist. Nachfolgend sollen nun verschiedene Wanderungsbewegungen etwas differenzierter betrachtet werden. Dazu wurde für jeden Ortsteil in Bochum der Wanderungsquotient (Zugezogene/Fortgezogene), getrennt für Umzüge über die Stadtgrenze und innerhalb der Stadt, für den Zeitraum von 1998 bis 2003 gebildet.56 Außerdem wurde die Ortsteilinterne Wanderungsbewegung (Wohnortwechsel innerhalb der Ortsteile prozentual an der Bevölkerung) für das Jahr 2003 berechnet. Zunächst werden die beiden Wanderungsquotienten vergleichend betrachtet. Ein Wanderungsquotient von größer bzw. kleiner als 1 bedeutet einen Wanderungsgewinn bzw. -verlust, bei 1 gleichen sich Zu- und Fortzüge im betrachteten Zeitraum genau aus.57 Abb. C-2.1: Wanderungsquotienten der Außenwanderung und der Innerstädtischen Wanderung für die Bochumer Ortsteile im Zeitraum von 1998-2003, sortiert nach Wanderungsquotient der innerstädtischen Wanderung; eigene Darstellung. 56 57 Durch die Wahl einer mehrjährigen Zeitspanne werden die jährlichen Schwankungen bei den Wanderungszahlen eliminiert und mittelfristige Trends aufgezeigt. Zum besseren Verständnis können die Werte mit 100 (oder 1000) multipliziert werden. Teil C-2. Vertiefende Wanderungsanalyse 50 Die Ortsteile Querenburg und Kruppwerke konnten im Beobachtungszeitraum die höchsten Wanderungsgewinne aus Außenwanderung verbuchen, mussten aber auch gleichzeitig die höchsten Wanderungsverluste aus innerstädtischer Wanderung hinnehmen. Für beide Ortsteile liegt der Wanderungsquotient der Außenwanderung bei knapp über 1,2 (d.h., dass auf 100 Fortgezogene 120 Zugezogene kommen) und für die innerstädtische Wanderung bei 0,75 bzw. 0,8 (auf 100 Fortgezogene kommen nur 75 bzw. 80 Zugezogene). Die deutlichen Wanderungsgewinne aus Außenwanderung für den Universitätsortsteil Querenburg lassen sich auf den traditionell sehr starken Zuzug von Studenten zurückführen. Da Querenburg und Kruppwerke erhebliche Wanderungsverluste aus innerstädtischer Wanderung zu verzeichnen haben, sind sie im Vergleich mit anderen Bochumer Ortsteilen offenbar als Wohngegenden nicht attraktiv genug. Vermutlich werden die beiden Ortsteile auch in Zukunft ein ähnliches Wanderungsbild zeigen. Für die innerstädtische Wanderung lässt sich eine positive Wanderungsbilanz bei den Ortsteilen Altenbochum, Hordel, Bergen/Hiltrop, Gerthe, Langendreer, Weitmar-Mark, WeitmarMitte, Leithe, Linden, Höntrop, Kornharpen/Voede-Abzweig, Eppendorf, Westenfeld, Wiemelhausen/Brenschede und Dahlhausen feststellen. Hier sind jeweils mehr Personen aus anderen Ortsteilen zugezogen als in andere Ortsteile fortgezogen. Mit einem Wanderungsquotienten für die innerstädtische Wanderung von fast 1,3 (auf 100 Fortgezogene kommen 130 Zugezogene) liegt Altenbochum in dieser Gruppe an der Spitze. Hordel und Bergen/Hiltrop weisen neben sehr hohen Wanderungsgewinnen aus innerstädtischer Wanderung zugleich auch mit die höchsten Wanderungsverluste aus Außenwanderung auf. Wanderungsgewinne aus Außenwanderung finden sich neben Querenburg und Kruppwerke nur noch bei Stiepel, Wiemelhausen/Brenschede und (minimal) bei Riemke. Alle anderen Ortsteile haben von 1998 bis 2003 im Bevölkerungsaustausch mit Gemeinden außerhalb Bochums mehr Bewohner verloren als hinzugewonnen. Der Bevölkerungsstand hat sich dadurch allerdings kaum verändert. Die gesamte Bochumer Bevölkerung ist von 1998 bis 2003 um 1,29% zurückgegangen.58 „Die Ursachen des [leichten] Bevölkerungsrückganges sind – vor allem in den letzten Jahren – weniger durch Wanderungsverluste als vielmehr durch Sterbeüberschüsse zu erklären.“59 Auch auf Ortsteilebene werden Bevölkerungsveränderungen nur marginal von den Wanderungsbewegungen beeinflusst, denn hier gleichen sich Außen- und Innenwanderung über die Jahre gesehen mehr oder minder aus. 58 59 Vgl. auch die Ausführungen zum Ausschluss von Variablen zur Bevölkerungsentwicklung auf Grund des Fehlens einer aussagekräftigen Tendenz in Teil A, Punkt 2. STADT BOCHUM (2003b), S. 30. Teil C-2. Vertiefende Wanderungsanalyse 51 Im Folgenden wird die Stärke der Wanderungsbewegungen innerhalb von Ortsteilen betrachtet. Sie lässt sich durch den prozentualen Anteil der ortsteilinternen Wohnortwechsel im Jahr 2003 am Bevölkerungsstand vom 31.12.2003 (des jeweiligen Ortsteils) beschreiben. Die genauen Zahlen sind aus nachstehender Abbildung ersichtlich. 5,0 Ortsteilinterne Wanderungsbewegung 2003 in Prozent 4,53 4,51 4,5 4,0 3,56 3,5 3,38 3,34 3,32 3,18 3,13 2,88 3,0 2,77 2,73 2,62 2,38 2,5 2,0 1,5 2,29 2,27 2,25 2,16 2,13 2,09 2,09 2,00 1,98 1,84 1,84 1,82 1,76 1,70 1,60 1,53 1,29 1,0 0,5 D Le a i B hlh the er ge aus n/ en H ilt ro G p W er es th te e nf el K d or nh La ar R er pe ie n/ m Vo H k ed ofs e e- te d A bz e w ei La g ng en dr Li nd ee ren A H l ar ter pe B n / ah R nh o A sen of lte be nb r oc g hu G m W ei rum tm m ar e G le -Mi t is W dr te ie ei m ec el ha S k us Ep tiep en e p /B en l re do ns r ch f ed e W ei Ho tm rd ar el -M ar k W at te ns c he i Q d-M ue i r tte K enb ru u pp rg w er k La W e e ng rn en e dr e H er am m e 0,0 Abb. C-2.2: Wanderungsbewegungen innerhalb der Bochumer Ortsteile 2003 in Prozent; eigene Darstellung. Mit deutlichem Abstand weisen Wattenscheid-Mitte und Querenburg die stärkste interne Wanderungsbewegung auf. Im Jahr 2003 sind jeweils innerhalb des Ortsteils ca. 4,5% der Bevölkerung umgezogen. Die schwächste ortsteilinterne Wanderungsbewegung findet sich beim Ortsteil Weitmar-Mark. Hier haben nur 1,29% der Bevölkerung ihren Wohnort innerhalb des Ortsteils gewechselt. Abschließend wird für die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Wanderungsmaßzahlen und den Faktoren wieder die Korrelationsrechnung herangezogen. Teil C-2. Vertiefende Wanderungsanalyse 52 Wanderungsquotient Wanderungsquotient (Zugezog./Fortgezog.) (Zugezog./Fortgezog.) Außenwanderung Innerstädt. Wanderung 1998-2003 1998-2003 Ortsteilinterne Wanderungsbewegung (%) 2003 Faktor 1 Sozialindex (Sozialer Status) g-0,404** 0,507* t-0,603* -0,143 -0,198 0,368 -0,209 0,221 0,127 Faktor 2 Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) Faktor 3 Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen * Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. Abb. C-2.3: Korrelationen zwischen den Wanderungsmaßzahlen und den Faktoren bzw. Indizes. Aus der Korrelationstabelle lässt sich ersehen, dass sowohl die beiden Wanderungsquotienten als auch die ortsteilinterne Wanderungsbewegung mit dem ersten Faktor, dem Sozialindex, zusammenhängen. Die Wanderungsmaßzahlen werden dabei als vom Sozialindex abhängige Variablen betrachtet. Zwischen den anderen beiden Faktoren und den Wanderungsmaßzahlen bestehen keine signifikanten Korrelationen. Die statushohen Ortsteile erzielen Wanderungsgewinne durch Zuwanderung aus anderen – vermutlich den weniger attraktiven und mehr von der Mittelschicht geprägten – Ortsteilen in Bochum, bei der Außenwanderung müssen sie tendenziell eher Wanderungsverluste hinnehmen. Bei Ortsteilen mit niedrigem sozialen Status fallen Wanderungsgewinne (bzw. nur schwache Wanderungsverluste) eher durch den Bevölkerungsaustausch mit den – wahrscheinlich sozial schwachen – Quartieren der Nachbarstädte an. Im Wohnungsmarktbericht für Bochum heißt es entsprechend: „Die unmittelbaren Nachbarstädte sind [...] die wichtigsten Zielgebiete der Fortziehenden, zugleich aber auch die Gemeinden, aus denen die meisten Zuzüge erfolgen.“60 Ferner wird konstatiert: „Die Abwanderer sind größtenteils Ein- und Zweipersonenhaushalte, die in der neuen Gemeinde weiterhin eine Mietwohnung beziehen. Häufig spielt bei der Abwanderung der Wunsch nach besseren Wohnumfeldqualitäten eine wichtige Rolle.“61 Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Sozialindex und den beiden Wanderungsquotienten ergibt sich aber nicht, da die Wanderungsbewegungen stark von städtebau60 61 Ebd. S. 31. Ebd. S. 32. Teil C-2. Vertiefende Wanderungsanalyse 53 lichen Maßnahmen62, der Lage auf dem Wohnungsmarkt und nicht zuletzt auch von persönlichen Motiven (z.B. Wohneigentumsbildung oder Nähe zum Arbeitsplatz) abhängen. Im Gegensatz zu den beiden Wanderungsquotienten fällt die Korrelation der ortsteilinternen Wanderungsbewegung mit dem Sozialindex viel deutlicher – und somit auch aussagekräftiger – aus. Die ortsteilinterne Wanderungsbewegung ist tendenziell sehr stark in Ortsteilen mit ungünstigem Sozialindex (z.B. Wattenscheid-Mitte oder Kruppwerke), hingegen eher sehr schwach in Ortsteilen mit besonders positiven Werten auf dem Sozialindex (wie z.B. Weitmar-Mark oder Stiepel). Neben den zuvor schon genannten städtebaulichen Maßnahmen, der allgemeinen Wohnungsmarktlage und persönlichen Motiven hat auch die Sozialstruktur der Ortsteile – in besonderem Maße vermittelt über ihr Prestige (insbesondere das Außenimage) – einen Einfluss auf die Wanderungsbewegungen. Damit sind letztlich die sozialen Unterschiede zwischen den Ortsteilen angesprochen, die sich im Sozialindex widerspiegeln, und gleichsam die Unterschiede in den Wanderungsbewegungen. Gerade besonders ungünstige und besonders günstige soziale Strukturen wirken wanderungsverstärkend und dürften insgesamt zu einer weiteren Verfestigung der sozialen Segregation in Bochum führen. 3. Schulübergänge von der Grundschule zum Gymnasium Um das Bild der sozialräumlichen Disparitäten in Bochum abzurunden, wird schlussendlich noch der klassische Parameter sozialer Ungleichheit, die Formale Bildung, in die Untersuchung einbezogen.63 Als Indikatorvariable wird hier die Schulübergangsquote zum Gymnasium verwendet, die dem prozentualen Anteil der Schulübergänge von der Grundschule zum Gymnasium an allen Schulübergängen zu weiterführenden Schulen (Sekundarstufe 1) entspricht.64 Sie zeigt den Grad der höheren Bildungsbefähigung von Grundschülern bzw. der Kinder im Ortsteil insgesamt an und lässt – natürlich in begrenztem Maße – Rückschlüsse auf das Bildungsniveau der Eltern und das vorherrschende soziale Milieu unter der Ortsteilbevölkerung zu. 62 63 64 Im Sozialstrukturatlas Berlin wird konstatiert: „Insbesondere durch städtebauliche Maßnahmen (Schaffung von neuem Wohnraum, Wohnraumverdichtung, Sanierung etc.) werden sozialstrukturabhängige Wanderungsströme [...] initiiert“; vgl. MEINLSCHMIDT / BRENNER (1999), S. 204. Formale Bildung ist hier als Ressource im Sinne eines „wertvollen Gutes“ bedeutender Parameter von sozialer Ungleichheit – also der ungleichen gesellschaftlichen Lebensbedingungen und -chancen, die sich durch unterschiedliche Bildungsniveaus ergeben; vgl. auch Teil A, Punkt 1.4. Vgl. auch die genaue Variablendefinition und zusätzliche Anmerkung in der Datensatzbeschreibung (Teil A, Punkt 2). Teil C-3. Schulübergänge von der Grundschule zum Gymnasium 54 Der nachstehenden Abbildung sind die Schulübergangsquoten zum Gymnasium der Bochumer Ortsteile zu entnehmen. Es ergibt sich ein sehr deutliches Wertegefälle. 70,0 60,0 55,3 49,1 50,0 47,4 46,5 46,4 45,0 44,6 43,6 38,7 38,6 40,0 37,4 36,2 33,7 33,3 30,0 31,8 30,7 30,0 29,1 29,0 28,9 27,4 27,0 27,0 24,6 19,5 20,0 15,7 15,5 11,1 10,0 ed S e tm tiep ar el Ep -Ma rk p D en ah do lh r au f se H n or de A l lt e nb oc H Q ar pe uer hum n/ en R os bur en g be rg W ei Lin tm d ar en -M itt e W at Lan te n s g en ch dr La ei ee d- r ng M en it dr G te ee er th rA e lt e B r Ba er h ge n n/ ho f H ilt r R op ie m H ke am m Le e H ith of e st ed K or e nh La ar er pe W n/ Vo G ern ed r u e e- m m A e b W zw es ei K ten g ru p f el G pw d le is erk dr e ei ec k 0,0 W ie m el h W ei au se n/ B re n sc h Anteil der Schulübergänger von der Grundschule zum Gymnasium 2003 in Prozent [Schulübergangsquote] 61,3 60,0 Abb. C-3.1: Schulübergangsquoten zum Gymnasium der Bochumer Ortsteile im Jahr 2003; eigene Darstellung. Der maximale Wert findet sich beim Ortsteil Wiemelhausen/Brenschede, in dem 61,3% der Schüler von der Grundschule zum Gymnasium übergegangen sind. Ebenfalls sehr hohe Übergangsquoten von über 50% weisen Stiepel und Weitmar-Mark auf. Bei den Ortsteilen Kornharpen/Voede-Abzweig, Westenfeld, Kruppwerke und Gleisdreieck finden sich mit Werten von unter 20% die niedrigsten Übergangsquoten zum Gymnasium. Im Ortsteil Gleisdreieck sind mit nur 11,1% die (relativ) wenigsten Schulübergänge zum Gymnasium zu verzeichnen. Die Schulübergangsquote zum Gymnasium für die Gesamtstadt Bochum liegt bei 35,5%. Zwischen der Schulübergangsquote zum Gymnasium und dem Sozialindex besteht ein mittelstarker positiver Zusammenhang (der Korrelationskoeffizient von +0,62 ist auf dem Niveau von 0,01 signifikant). Mit den anderen beiden Faktoren ergeben sich keine signifikanten Korrelationen. Diesem Befund entspricht auch die Verwendung der Schulübergangsquote als weiterer Indikator sozialer Ungleichheit. Da die Schulübergangsquote eng an den Sozialindex, der das soziale Segregationsmuster in Bochum beschreibt, gekoppelt ist, eignet sie sich ebenfalls als Statusanzeiger. Sie spiegelt also über das Bildungsniveau das soziale Umfeld der Ortsteilgrundschulen – das Elternhaus der Schüler – und damit den sozialen Status insgesamt wider. Der Zusammenhang zwischen dem Sozialindex und der Schulübergangsquote zum Gymnasium wird in folgender Abbildung noch einmal graphisch veranschaulicht. Teil C-3. Schulübergänge von der Grundschule zum Gymnasium 55 Abb. C-3.2: Zusammenhang zwischen dem Sozialindex (Sozialer Status) und der Schulübergangsquote zum Gymnasium im Jahr 2003 (mit linearer Regressionsgerade); eigene Darstellung. Wie sich aus der Abbildung ersehen lässt, steigt mit zunehmendem Sozialindex tendenziell auch die Schulübergangsquote zum Gymnasium an. Einige Ortsteile entsprechen diesem Zusammenhangsmuster jedoch überhaupt nicht – hier sei auf die Bedeutsamkeit von verschiedenen weiteren Einflussfaktoren (Ausstattung der Schulen, Betreuungsangebote und vieles mehr) verwiesen. So weist z.B. der Universitätsortsteil Querenburg mit einem sehr negativen Sozialindex eine überdurchschnittliche Schulübergangsquote zum Gymnasium auf, hingegen verhält es sich beim Ortsteil Grumme genau anders herum. Es ist besonders auffällig, dass gerade die beiden Ortsteile mit dem günstigsten Sozialindex (Stiepel und Weitmar-Mark) mit die höchsten Schulübergangsquoten zum Gymnasium in Bochum aufweisen, während sich bei den beiden Ortsteilen mit dem ungünstigsten Sozialindex (Gleisdreieck und Kruppwerke) die niedrigsten Schulübergangsquoten zum Gymnasium finden. Am oberen und unteren „Sozialen Rand“ der Stadt Bochum scheint der Zusammenhang zwischen dem Sozialindex und der Schulübergangsquote besonders eng, also die Sozialstruktur besonders prägend für den Bildungsweg der Kinder zu sein. Teil D-1. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung 56 D) Zusammenfassung und Ausblick 1. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung Die statistische Untersuchung der demographischen und sozialen Strukturen auf Ortsteilebene wird vor dem Hintergrund einer möglichst umfassenden Beschreibung der sozialräumlichen Disparitäten in Bochum durch die gemeinsame Betrachtung der ermittelten drei grundlegenden Faktoren und der zuvor in Teil C behandelten zusätzlichen Variablen im Rahmen einer Clusteranalyse abgeschlossen. Im Gegensatz zu einer willkürlichen und eher groben Klassifikation „von Hand“ ermöglicht die Clusteranalyse eine statistisch-analytische und sehr viel differenziertere Ermittlung (relativ) homogener Sozialraumtypen. Graphisch würde sich die Ähnlichkeit von Ortsteilen in der Bildung von Klumpungen in einer – der Anzahl der einbezogenen Merkmale entsprechenden – mehrdimensionalen Punktwolke ausdrücken. Die ermittelten Sozialraumtypen (Cluster) können letztendlich anhand des jeweiligen Wertemusters der Faktoren und Variablen inhaltlich interpretiert werden. Für die Sozialraumtypisierung der Bochumer Ortsteile wurden folgende Merkmale in die Clusteranalyse einbezogen: • Faktor 1 – Sozialindex (Sozialer Status) 2003 • Faktor 2 – Index der Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus) 2003 • Faktor 3 – Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen 2003 • Jugendquotient der deutschen Bevölkerung 2003 • Jugendquotient der ausländischen Bevölkerung 2003 • Wanderungsquotient Außenwanderung 1998-2003 • Wanderungsquotient Innerstädtische Wanderung 1998-2003 • Schulübergangsquote Gymnasium 2003 Wie schon bei der Gruppierung der Faktorwerte (Teil B) kam auch hier wieder eine Hierarchische Clusteranalyse nach der Ward-Methode zur Anwendung.65 Eine optimale Lösung im Sinne deutlich differenzierbarer Sozialraumtypen ergab sich erst bei der Berechnung von sechs Clustern. Bei einer geringeren Clusteranzahl würde sich für mindestens eines der einbezogenen Merkmale keine adäquate Gruppierung mehr ergeben. Die Clusteranalyse hat also sechs verschiedene Sozialraumtypen von Ortsteilen identifiziert. 65 Vgl. Fußnote 47. Teil D-1. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung 57 Die Clusterprofile in der folgenden Abbildung zeigen die typischen Werteprofile der Faktoren und Variablen für alle Sozialraumtypen (Cluster) an. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Werteprofile in Form von Balkendiagrammen, die die jeweiligen (Cluster-)Mittelwerte auf einer gemeinsamen Werteskala abbilden, dargestellt. Je weiter ein Balken in den positiven bzw. negativen Bereich hineinragt, desto über- bzw. unterdurchschnittlicher ist der betreffende Sozialraumtyp in Bezug auf das entsprechende Merkmal. Sozialraumtypen Cluster Typ Typ Typ Typ Typ Typ Ortsteile 1 2 3 4 5 6 4 10 3 10 2 1 Abb. D-1.1: Clusterprofile für die Sozialraumtypisierung der Bochumer Ortsteile 2003 nach (Cluster-)Mittelwerten der einbezogenen Faktoren und Variablen (standardisierte Skala); eigene Darstellung. Aus der Abbildung wird deutlich, dass jeder Sozialraumtyp ein eigenes, ganz spezifisches Werteprofil besitzt, das ihn von den jeweils anderen Sozialraumtypen unterscheidet. Entsprechend dieser Werteprofile werden die Sozialraumtypen im Folgenden einzeln beschrieben und charakterisiert.66 • Der Sozialraumtyp 1 umfasst 4 Ortsteile mit sehr hohem sozialen Status. Hier finden sich die höchsten Schulübergangsquoten zum Gymnasium und nur sehr geringe soziale Belas- 66 Zur eingehenden Interpretation der einzelnen Sozialraumtypen wurde auch eine ausführliche Clusterprofiltabelle verwendet, die hier aber nicht näher vorgestellt werden soll. Teil D-1. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung 58 tungen (Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug etc.). Ebenfalls sehr gering ist der Anteil an geschiedenen Personen. Der Familienstatus ist insgesamt als leicht unterdurchschnittlich einzustufen. Für die ausländische Bevölkerung muss allerdings von einer noch sehr viel geringeren Familienprägung ausgegangen werden, denn unter den ohnehin nur wenigen Ausländern (niedrigste Ausländeranteile) befinden sich kaum Kinder und Jugendliche (Fehlen der heranwachsenden Generation unter der ausländischen Bevölkerung). Für die Ortsteile dieses Sozialraumtyps ist zu erwarten, dass der demographische Überalterungsprozess rasch zunehmen und damit die Bevölkerung mittelfristig abnehmen wird, da ältere Menschen deutlich überrepräsentiert sind (hohe AltJungQuotienten) und die Fruchtbarkeitsquoten sehr gering ausfallen. Es handelt sich letztlich um „überalterte“ Mittel- und Oberschichtenquartiere in attraktiver, grüner Lage im Bochumer Süden (z.T. direkt am Stadtrand, exemplarisch Bochum-Stiepel), die sich zudem durch uneinheitliche, insgesamt aber eher ausgleichende Wanderungsbewegungen auszeichnen. • Der Sozialraumtyp 2 besteht aus 10 Ortsteilen mit leicht bis stark überdurchschnittlichem Sozialindex. Die Schulübergangsquoten zum Gymnasium liegen am Bochumer Durchschnitt, teilweise auch darüber. Der soziale Status ist dementsprechend als mittel bis mittelhoch einzustufen. Es sind typische Wohngegenden der familiengeprägten Mittelschicht am Stadtrand (z.B. Dahlhausen oder Langendreer). Gerade die hohen Jugendquotienten, sowohl für die deutsche als auch für die ausländische Bevölkerung, verweisen auf einen hohen Familienstatus. Der Index für Fruchtbarkeit und Scheidungen fällt uneinheitlich aus. Wanderungsgewinne finden sich hier vornehmlich aus innerstädtischer Wanderung, während bei der Außenwanderung tendenziell eher Wanderungsverluste zu verzeichnen sind. In der Gesamtbetrachtung gleichen sich die Wanderungsbewegungen aber größtenteils gegenseitig aus. Insgesamt sind die sozialen und demographischen Strukturen bei diesem Sozialraumtyp als ausgeglichen bis günstig zu bewerten. • Dem Sozialraumtyp 3 gehören 3 Ortsteile mit mittlerem sozialen Status an. Der Sozialindex weist durchschnittliche Werte bei überdurchschnittlichen Schulübergangsquoten zum Gymnasium auf. Dieser Sozialraumtyp zeichnet sich in besonderem Maße durch einen sehr niedrigen Familienstatus aus. Hier finden sich die höchsten AltJungQuotienten, die höchsten Anteile hochbetagter Personen und viele kleine Haushalte. Auf Grund der demographischen Überalterung werden diese Ortsteile in Zukunft erheblich schrumpfen. Die Fruchtbarkeitsquote und der Geschiedenanteil weisen durchschnittliche Werte auf. Bei diesen Ortsteilen fallen z.T. deutliche Wanderungsgewinne aus innerstädtischer Wande- Teil D-1. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung 59 rung an, während sich die Zu- und Fortzüge über die Stadtgrenze ausgleichen. Zusammenfassend handelt es sich bei diesem Sozialraumtyp um Wohngebiete einer „überalterten“, nur wenig familiengeprägten Mittelschicht im südlichen Innenstadtbereich (z.B. Altenbochum). • Der Sozialraumtyp 4 umfasst 10 Ortsteile aus dem nördlichen Stadtgebiet. Im Umfeld der ehemaligen Montanindustrie gelegen, findet sich hier noch am ehesten das typische „Arbeitermilieu“ (z.B. Bochum-Hamme). Deutliches Kennzeichen dieses Sozialraumtyps sind erhöhte Ausländeranteile (mit den Türken als dominante Gruppe) bei überdurchschnittlich vielen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Der niedrige soziale Status zeigt sich auch besonders deutlich beim Bildungsniveau. Die Schulübergangsquote zum Gymnasium liegt bei allen Ortsteilen dieses Sozialraumtyps unter dem Bochumer Durchschnitt. Die Fruchtbarkeitsquote und der Anteil an geschiedenen Personen sind überdurchschnittlich hoch. Die Familienprägung ist bei der ausländischen Bevölkerung deutlich stärker ausgeprägt als bei der deutschen Bevölkerung (die Jugendquotienten sind durchweg höher). Der Familienstatus zeigt sich insgesamt aber uneinheitlich. So finden sich bei einigen Ortsteilen auch problematische Altersstrukturen, die zu einem natürlichen Bevölkerungsrückgang führen werden. Die beiden Wanderungsquotienten zeigen in der Gesamttendenz für diesen Sozialraumtyp Wanderungsverluste an. Festzuhalten bleibt, dass es sich um schrumpfende Quartiere der Unterschicht bzw. einer absteigenden Mittelschicht handelt, weite Teile der Bevölkerung, in besonderem Maße Kinder, sind hier von sozialer Benachteiligung betroffen. • Zum Sozialraumtyp 5 gehören die beiden Ortsteile mit dem niedrigsten sozialen Status innerhalb der Stadt Bochum, Gleisdreieck und Kruppwerke. Der Ortsteil Gleisdreieck bildet das Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum der Stadt Bochum (Fußgängerzone, Banken, Versicherungen, Gastronomie, Rathaus und Hauptbahnhof), während der angrenzende Ortsteil Kruppwerke ein vorwiegend schwerindustrielles Umfeld aufweist. In beiden Ortsteilen sind ungefähr ein Fünftel der Bevölkerung Ausländer, bei den Minderjährigen sogar ein Viertel (überwiegend türkischer Herkunft). Neben diesen sehr hohen Ausländeranteilen (Integrationsprobleme bzw. Konfliktpotenzial) ist die soziale Situation maßgeblich geprägt von sehr hoher Arbeitslosigkeit und besonders vielen Personen, die von Transfereinkommen abhängig sind (gerade Kinder und Jugendliche). Die stark überdurchschnittliche Jugenddelinquenz, die deutliche Lücke bei den Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen und die hohe Bevölkerungsfluktuation verweisen auf die besondere Proble- Teil D-1. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung 60 matik der ausgeprägten Armut in beiden Stadtgebieten. Des Weiteren kann hier besonders deutlich von „bildungsfernen Schichten“ gesprochen werden, wie die extrem niedrigen Schulübergangsquoten zum Gymnasium zeigen. Der Familienstatus der ausländischen Bevölkerung ist – ähnlich wie beim Sozialraumtyp 4 – wieder deutlich höher als bei der deutschen Bevölkerung. Im Ortsteil Kruppwerke fällt die Fruchtbarkeitsquote besonders hoch aus, die Familienprägung ist hier auch insgesamt stärker als im Gleisdreieck, aber dennoch auf niedrigem Niveau. In Bezug auf die Wanderungsquotienten zeigen sich Wanderungsgewinne bei der Außenwanderung und Wanderungsverluste bei der innerstädtischen Wanderung. Es wird angenommen, dass sich die zuziehende Bevölkerung aus den sozial noch schwächeren Gemeinden der Nachbarstädte rekrutiert, während die weniger benachteiligte Bevölkerung in statushöhere Ortsteile innerhalb Bochums wechselt. Zusammenfassend handelt es sich bei diesem Sozialraumtyp um gewachsene Armutsgebiete mit sehr starker sozialer Mehrfachbelastung. • Der Sozialraumtyp 6 besteht nur aus dem Universitätsortsteil Querenburg. Er unterscheidet sich durch sein Wertemuster so stark von den anderen Ortsteilen, dass er einen eigenen Sozialraumtypus bildet (als Sonderfall). Der Sozialindex fällt sehr ungünstig aus, bei einer allerdings überdurchschnittlichen Schulübergangsquote zum Gymnasium. Von allen Bochumer Ortsteilen weist Querenburg den mit Abstand höchsten Ausländeranteil (viele ausländische Studenten) und die höchste Sozialhilfequote unter Kindern auf. Obwohl der Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße sehr hoch ausfällt, so ist der Familienstatus auf Grund der besonderen demographischen Zusammensetzung der Bewohnerschaft (kaum alte Menschen, viele Personen im erwerbsfähigen Alter, Studenten) doch äußerst gering, wie auch die niedrigen Jugendquotienten zeigen. Die Fruchtbarkeitsquote und der Geschiedenenanteil liegen erheblich unter dem Durchschnitt. Es findet sich ein deutlicher Außenwanderungsgewinn bei deutlichen Wanderungsabgaben an andere Ortsteile in Bochum. Insgesamt ist Querenburg mit seiner dominanten Hochgeschossbebauung ein nur wenig familiengeprägtes Quartier einer sehr heterogenen Erwachsenenbevölkerung. Die folgende Sozialraumkarte zeigt abschließend das Segregationsmuster der Sozialraumtypen in Bochum. Teil D-1. Zusammenfassende Sozialraumtypisierung 61 Gerthe Bergen/ Hiltrop Riemke Hofstede Hordel Günnigfeld Harpen/ Rosenberg Grumme Kornharpen/ Werne Voede-Abzweig Hamme WattenscheidMitte Leithe Westenfeld Höntrop Gleisdreieck Langendreer-Alt. Kruppwerke Altenbochum Bahnhof Südinnenstadt Laer Langendreer Eppendorf WeitmarMitte Wiemelhausen/ Brenschede Querenburg WeitmarMark Sozialraumtypen Cluster Dahlhausen Linden Stiepel Typ Typ Typ Typ Typ Typ 1 2 3 4 5 6 Ortsteile 4 10 3 10 2 1 Abb. D-1.2: Sozialraumtypisierung der Bochumer Ortsteile 2003; eigene Darstellung, Kartenquelle: Stadt Bochum. 2. Sozialräumliche Ungleichheit in Bochum – Ein Fazit Der induktive Ansatz dieser Untersuchung hat zur Identifikation von drei Sozialraumfaktoren geführt, die den betrachteten Datensatz hinreichend gut in zusammenfassender Form beschreiben können. Sie dienen als analytische Hauptkategorien (Dimensionen) der komplexen sozialräumlichen Strukturen und Disparitäten auf Ortsteilebene. Während die ersten beiden Faktoren, der Sozialindex (Sozialer Status) und der Index für die Altersstruktur und Haushaltsgröße (Familienstatus), dem üblichen Analyseschema sozialraumanalytischer Untersuchungen entsprechen, muss der dritte Faktor als spezifischer Bochumer Sonderfall betrachtet werden. Da auf der Ortsteilebene eine signifikante Korrelation zwischen der Fruchtbarkeitsquote und dem Anteil geschiedener Personen besteht und diese beiden Variablen zudem nur vergleichsweise gering mit den anderen Untersuchungsvariablen korrelieren, wurden sie in einem eigenen Faktor separat gebündelt. Eine besondere Bedeutung ergibt sich daraus aber noch nicht, zumal dieser Zusammenhang durch den Zufall begründet sein kann und womöglich auf einer anderen Gebietsebene verschwinden würde. Die Faktorenstruktur (das La- Teil D-2. Sozialräumliche Ungleichheit in Bochum – Ein Fazit 62 dungsmuster) bleibt auch bei größeren Veränderungen der Variablenauswahl oder bei Modellveränderungen der Faktorenanalyse in der Grundtendenz sehr stabil. Aus diesem Grund werden alle drei Faktoren als gegeben hingenommen – auch wenn für den dritten Faktor eine plausible Erklärung nicht greifbar ist. Dem Sozialindex kommt in seiner Funktion als maßgebender Faktor für die Beschreibung der sozialen Ungleichheit auf Ortsteilebene eine Schlüsselrolle zu, denn er gibt Auskunft über den Grad sozialer Problemlagen und zeigt den sozialen Rang im städtischen Statusgefüge an. Die Zusammenführung der drei Faktoren und einiger weiterer Variablen im Rahmen einer Clusteranalyse erbrachte eine systematische Klassifikation homogener Ortsteile: Die Bildung von sechs verschiedenen Sozialraumtypen. Sie erlauben eine recht einfache, aber dennoch differenzierte Gesamtbeschreibung der sozialen und demographischen Situation in Bochum. Es bleibt zunächst zu konstatieren, dass die sozialen Disparitäten auf der Ortsteilebene in Bochum deutlich ausgeprägt sind. Am oberen und unteren „Sozialen Rand“ der Stadt setzt sich jeweils eine Vierergruppe von Ortsteilen ab (Sozialindex, Cluster 1 und 5), die die beiden gegensätzlichen „Sozialen Pole“ innerhalb der Stadt Bochum markieren. Die Bevölkerungen dieser beiden Ortsteilgruppen leben offenbar in völlig unterschiedlichen Lebenswelten. Besonders erstaunlich sind in diesem Zusammenhang die äußerst starken Korrelationen zwischen den im Sozialindex reproduzierten Variablen. Während die eine Gruppe von Ortsteilen geprägt ist durch sehr hohe Ausländeranteile, hohe Arbeitslosigkeit und viele Bezieher von Transfereinkommen, bei gleichzeitig hoher Jugenddelinquenz, großen Lücken bei den Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen und starker Bevölkerungsfluktuation, handelt es sich bei der anderen Ortsteilgruppe in Bezug auf alle diese Merkmale nur um mehr oder minder marginale Randerscheinungen. Die deutliche Kumulation der sozialstrukturellen Benachteiligung ist damit das eigentliche Problem der belasteten Ortsteile. Gerade Kinder und Jugendliche sind weitaus stärker von Einkommensarmut betroffen als Erwachsene. Die Sozialhilfequote unter den Minderjährigen liegt bei allen (also auch den „bessergestellten“) Ortsteilen deutlich über der allgemeinen Sozialhilfequote. Die relativ breite Einkommensarmut in den besonders benachteiligten Ortsteilen wird ergänzt durch eine ausgeprägte Bildungsarmut, die Schulübergangsquoten zum Gymnasium sind hier tendenziell sehr niedrig. Von besonderer Bedeutung ist ferner die Tatsache, dass ausländische Kinder fast ausschließlich in den benachteiligten, sozialstrukturell problematischen Ortsteilen aufwachsen. Die Familienprägung unter der ausländischen Bevölkerung ist hier deutlich stärker ausgeprägt als Teil D-2. Sozialräumliche Ungleichheit in Bochum – Ein Fazit 63 bei der deutschen Bevölkerung. In den „bessergestellten“ Ortsteilen gibt es z.T. so gut wie gar keine heranwachsende Generation unter der ausländischen Bevölkerung. Ein großer Teil der zukünftigen Erwachsenengeneration besitzt also keinen deutschen Pass und wächst in einem schwierigen sozialen Umfeld auf. Auch insgesamt lebt die ausländische Bevölkerung in Bochum überwiegend in den mehrfach benachteiligten Ortsteilen. Der Ausländeranteil kann somit sehr gut als universaler Sozialindikator eingesetzt werden. Die sozialen Probleme (Mehrfachbelastungen) der betroffenen Ortsteile sind in erster Linie die Folgen von Arbeitslosigkeit und der mit ihr gewachsenen Armut. „Die arbeitsmarktbedingten Polarisierungseffekte schlagen sich [...] auch in sozial-räumlichen Mustern der Verteilung der städtischen Wohnbevölkerung nieder. Auf städtischer Ebene besitzt der Raum mit seinen Aneignungs- und Nutzungsformen eine wichtige Funktion für die Organisation einer sich polarisierenden Gesellschaft.“67 Die relative „Besser- und Schlechterstellung“ von Ortsteilen wird zwar in feinen Abstufungen dargestellt (Cluster- und Ranggruppierung), doch wird eben gerade durch den Vergleich der positiven mit der negativen Randgruppe der soziale Kontrast und die Tragweite der sozialen Ungleichheit in Bochum besonders deutlich. 2.1 Die Übertragbarkeit von Aggregatergebnissen auf die Individualebene Da in dieser Untersuchung mit Aggregatdaten (Ortsteildaten) gearbeitet wurde und es sich deshalb auch um Aggregatergebnisse (Ortsteilergebnisse) handelt, können die obigen Befunde nicht direkt auf einzelne Personen übertragen werden. „Hohe Korrelationen zwischen den Indikatoren lassen keine eineindeutige Übertragung auf das Individualverhalten zu.“68 Gleichwohl ist es aber z.B. für Ortsteile mit einem sehr negativen Sozialindex einleuchtend, dass bei der Vielzahl von gebündelten Sozialindikatoren, die alle hohe Anteilswerte aufweisen, rein rechnerisch einzelne Personen – und gerade Familien – mehrfach von sozialer Benachteiligung betroffen sein müssen. Die Korrelationen auf der Ortsteilebene können sich somit auch auf der Ebene von Individuen reproduzieren. Für eine adäquate Übertragung müssen die Ergebnisse der Aggregatebene aber in einen für die Handlung von Individuen bedeutsamen (relevanten) Kontext eingebunden werden. „Kontexte setzen die Rahmenbedingungen für das Handeln von Individuen.“69 Letztlich kann von den Zusammenhängen auf der Aggregatebene (Ortsteile) in Form von Kontexthypothesen auf die Zusammenhänge auf der 67 68 69 DANGSCHAT (2000), S. 153. MEINLSCHMIDT (2004), S. 11. Vgl. auch die kurze Ausführung zum Ökologischen Fehlschluss in Teil A, Punkt 1.5 dieser Arbeit. FRIEDRICHS (1988), S. 66. Teil D-2.1 Die Übertragbarkeit von Aggregatergebnissen auf die Individualebene 64 Individualebene (Personen) geschlossen werden. In diesem Rahmen wäre z.B. vorstellbar, dass gerade durch Arbeitslosigkeit und Einkommensarmut deprivierte Eltern sich nicht so intensiv um die Gesundheitsvorsorge ihrer Kinder kümmern. Auch eine erhöhte Jugenddelinquenz wird vor dem Hintergrund von Armut und sozialer Benachteiligung erklärbar. Die mehrfachen Problemlagen der Ortsteile werden sich damit in der Mehrfachbelastung einzelner Bewohner widerspiegeln. Die soziale Benachteiligung kumuliert sich also sowohl auf der räumlichen Aggregatebene als auch auf der Ebene von Individuen. In Bezug auf soziale Ungleichheit ist das von besonderer Bedeutung, da soziale Ungleichheit i.e.S. nicht zwischen städtischen Teilgebieten, sondern zwischen einzelnen Individuen (oder auch Familien) besteht. Die Segregation der Wohnbevölkerung muss also von sozialer Ungleichheit zwischen Personen unterschieden, beides aber in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden. Der entscheidende Zusammenhang zwischen Segregation und sozialer Ungleichheit ergibt sich aus der Tatsache, dass der Raum selbst einen Kontexteffekt darstellt: „Ein Quartier wird nicht nur durch die Segregation deprivierter Gruppen zum benachteiligten, es selber benachteiligt in verschiedenen Dimensionen seine Bewohner, wirkt benachteiligend.“70 Die soziale Lage der Bewohner beeinflusst u.a. den Umgang mit dem öffentlichen Raum, die Eigen- und Fremdwahrnehmung und die Kontaktbereitschaft – diese Beeinflussung kann dann im ungünstigen Fall in Form von Verwahrlosungen, Stigmatisierungen und Apathie auf die Lebenswelt der Bewohner zurückfallen. Entsprechend umgedreht verhält es sich für die Bewohner gehobener, sozialstrukturell unbelasteter Wohnlagen, die bspw. am positiven Image ihres Wohnumfeldes partizipieren können. Die wechselseitige Beeinflussung könnte für die besonders stark benachteiligten Ortsteile in Bochum zu einer Problemspirale werden. In diesem Zusammenhang wird bereits im Sozialbericht der Stadt Bochum auf die Problematik der hohen Bevölkerungsfluktuation in diesen Ortsteilen hingewiesen: „Der Umstand der hohen örtlichen Fluktuation ist deshalb besonders bemerkenswert, weil die Differenzierung und räumliche Ungleichheit durch weitere selektive Wanderungsbewegungen verschärft werden könnte.“71 Damit würde eine weitere Entwertung der betroffenen Ortsteile und eine Verfestigung der Segregation insgesamt einsetzen. Der räumliche Kontext der sozialen Ungleichheit verweist letztlich darauf, dass die Quantität der Armut auch Auswirkungen auf die Qualität der Armut hat. 70 71 KELLER (1999), S. 89. STADT BOCHUM (2004a), S. 42. Teil D-2.2 Einordnung der Ergebnisse 2.2 65 Einordnung der Ergebnisse In jeder faktorialökologischen Untersuchung werden die Teilgebietswerte auf ihre relative Stellung zum Mittelwert des Gesamtgebietes bezogen. Einzig der Durchschnitt der untersuchten Stadt wird damit zunächst zum Maßstab der sozialen Verortung bei der Beurteilung der einzelnen Stadtgebiete.72 Dementsprechend sind auch die Ergebnisse dieser Untersuchung auf den Mittelwert aller Ortsteile (sprich die Gesamtstadt Bochum) bezogen. Zur besseren Einordnung der Ergebnisse ist deshalb ein Vergleich mit der demographischen und sozioökonomischen Situation anderer Städte bzw. einer höheren Gebietsebene angebracht. Auf Grund der begrenzten Verfügbarkeit vergleichbarer Kennzahlen kann an dieser Stelle allerdings, neben einigen allgemeinen Hinweisen, nur ein kurzer, überblickshafter Vergleich gezogen werden. Die nachstehende Abbildung vergleicht die Stadt Bochum in Bezug auf Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug und den Ausländeranteil einerseits mit dem Landes- und Bundesdurchschnitt und andererseits mit den großen Ruhrgebietsstädten. Abb. D-2.2: Überregionaler und interkommunaler Vergleich; Aus: STADT BOCHUM (2004a), S. 42. 72 Nach einer Mittelwertstandardisierung der Teilgebietswerte einer Stadt ergeben sich bei jeder noch so kleinen Streuung immer Teilgebiete mit positiven und Teilgebiete mit negativen Standardwerten. Werden aber bspw. alle Teilgebiete einer Region zu Grunde gelegt, dann kann es durchaus sein, dass die auf den Durchschnitt der Region bezogenen Teilgebiete der betreffenden Stadt auf einmal alle über- oder unterdurchschnittlich sind und mit einem entsprechendem sozialen Label versehen werden. Je nach Analyseebene ergeben sich also andere Ergebnisse. In vielen Untersuchungen orientiert sich die Beurteilung der einzelnen Teilgebiete nur am Maßstab des betrachteten Gesamtgebietes (Stadt) und vernachlässigt dabei die Stellung in einem größeren räumlichen Kontext. Teil D-2.2 Einordnung der Ergebnisse 66 Der Ausländeranteil in Bochum ist niedriger als auf der Landes- und Bundesebene, im Vergleich mit den anderen Großstädten im Ruhrgebiet z.T. sogar deutlich niedriger. Arbeitslosenund Sozialhilfequote liegen über dem Landes- und Bundesdurchschnitt, aber unter dem Niveau der anderen großen Ruhrgebietsstädte (mit Ausnahme der Stadt Essen, die eine etwas niedrigere Arbeitslosenquote aufweist). Bei diesen Sozialindikatoren nimmt die Stadt Bochum insgesamt unter den Großstädten der Region Ruhrgebiet die beste Position ein. Auch dürfte die Streuung innerhalb der Stadt, gerade im Vergleich zu den beiden größten Städten im Ruhrgebiet, Essen und Dortmund, deutlich geringer sein. Hinweise liefert die Studie der Projekt Ruhr GmbH „Bevölkerungsentwicklung und Sozialraumstruktur im Ruhrgebiet“, in der alle Stadtteile der kreisfreien Städte im Ruhrgebiet im Hinblick auf ihren Sozialen Rang und den Familienstatus untersucht worden sind: „Ein Drittel der gemischten, „durchschnittlichen“ Stadtteile in der Mitte liegt in Bochum.“73 Der Familienstatus ist auch bei den in dieser Untersuchung als positiv bewerteten Ortsteile im Ruhrgebietsvergleich eher durchschnittlich bis unterdurchschnittlich. Die meisten Ortsteile in Bochum weisen eine problematische Altersstruktur auf. Der Überalterungsprozess wird sich aus der derzeitigen Lage heraus dramatisch beschleunigen und zu einem natürlichem Bevölkerungsrückgang führen. Die demographische Situation in Bochum kann in dieser Hinsicht – im Gegensatz zur sozialen Situation – als insgesamt sehr ungünstig bezeichnet werden. Bei einer sehr groben Vergleichsbetrachtung ist eine gewisse Homogenität der Ortsteile untereinander für Bochum letztlich geradezu charakteristisch. Die im Rahmen dieser Untersuchung aufgedeckten und beschriebenen sozialräumlichen Disparitäten sind zwar deutlich ausgeprägt, aber im Vergleich mit den anderen großen Ruhrgebietsstädten auf einem niedrigerem Niveau. 3. Weiterentwicklungsmöglichkeiten des faktorialökologischen Ansatzes Abschließend soll noch ein kurzer Ausblick auf die Weiterentwicklungsmöglichkeiten des faktorialökologischen Ansatzes vor dem Hintergrund einer Vertiefung und Verfeinerung dieser Untersuchung gegeben werden. Zunächst muss konstatiert werden, dass der Gebietszuschnitt auf Ebene der Ortsteile sehr ungünstig ist. Es handelt sich räumlich, wie auch von der Bevölkerungszahl immer noch um sehr große und heterogene Einheiten. Hier ist insbesondere der Universitätsortsteil 73 STROHMEIER (2002), S. 34. Teil D-3. Weiterentwicklungsmöglichkeiten des faktorialökologischen Ansatzes 67 Querenburg zu nennen, dessen Heterogenität besonders durch seine diametralen Bebauungsstrukturen sofort augenfällig wird, ferner aber auch die anderen peripheren Ortsteile wie z.B. Langendreer oder Dahlhausen. Die Heterogenitätsproblematik relativiert die Aussagen über die Ortsteile und kann sogar den Ortsteilvergleich insgesamt in Frage stellen (s. auch Teil A, Punkt 1.5). Es wird „[...] häufig an überkommenen Gliederungen in bestimmte räumlichstatistische Bezugseinheiten festgehalten und mit großem Aufwand Zahlenmaterial veröffentlicht, das weder für die Planung noch für die Wissenschaft, z. B. für sozialräumliche Stadtgliederungen, von größerem Nutzen ist.“74 Aus diesem Grund liefert diese Untersuchung auch nur einen groben und zudem nicht ganz vorbehaltlosen Überblick über die sozialräumlichen Disparitäten in Bochum, für einen ersten Eindruck sind die Ergebnisse dennoch überaus interessant. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass statistisches Datenmaterial derzeit nur auf der Ebene der Stadtbezirke und der Statistischen Bezirke (Ortsteile) veröffentlicht wird. Eine vertiefende Analyse auf Ebene der Statistischen Viertel wäre wünschenswert, um das Problem der Heterogenität räumlicher Einheiten zu minimieren. Dadurch würde man zu einer differenzierteren Beschreibung der sozio-demographischen Strukturen und Disparitäten gelangen. Die Faktorenstruktur würde sich unter Zugrundelegung der gleichen oder ähnlicher Variablen mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum verändern, lediglich Einzelzusammenhänge könnten sich anders präsentieren (z.B. bei der Fruchtbarkeitsquote und dem Anteil geschiedener Personen). In letzter Konsequenz wäre eine dynamische Anpassung der städtischen Gebietszuschnitte unter Berücksichtigung der sozialen Trennungslinien dann gerade für eine an gesellschaftlichen Problemen orientierte Raumplanung und für eine gezieltere Durchführung von Sozialmaßnahmen sinnvoll. Ein weiterer Aspekt besteht in der Überprüfung und Verfeinerung der Variablenauswahl. Die Verwendung von Variablen als Indikatoren für bestimmte Sachverhalte und Phänomene muss einer steten Überprüfung unterliegen. In Zukunft sollten nicht mehr nur primär die klassischen sozio-ökonomischen und demographischen Variablen verwendet werden, sondern verstärkt Variablen aus dem Komplex der Verhaltensmerkmale. Insbesondere diese Variablen, die direkt auf das Verhalten von Individuen abzielen (z.B. Bevölkerungsfluktuation, Jugendgerichtshilfeanteil, Gesundheitsvorsorgelücke) sind als Ansatz für sozialplanerische Maßnahmen sicherlich von besonderem Interesse. Auch können – und sollten – weitere Sachverhalte in Abhängigkeit von den sozialen und demographischen Strukturfaktoren kleinräumig untersucht werden, wie z.B. politische Partizipation, Kriminalität, Infrastrukturausstattung, Vereinsstrukturen und -mitgliedschaften und Bildungsbeteiligung um nur einige Ansatzpunk74 HEINEBERG (2001), S. 144f. Teil D-3. Weiterentwicklungsmöglichkeiten des faktorialökologischen Ansatzes 68 te zu nennen. Allerdings muss sich die Datenlage in Bochum insgesamt deutlich verbessern. Hier bestehen vielfältige Möglichkeiten der Anschlussforschung. Auch sei auf die Möglichkeit der Einbeziehung ergänzender qualitativer Forschungsmethoden (Experteninterviews, Einzelfallstudien) hingewiesen. Dadurch könnten zusätzliche Informationen bzw. Anhaltspunkte über soziale Ungleichheit gewonnen, die Ergebnisse der Faktorenanalyse geprüft, und die Zusammenhänge auf der Ebene von Individuen sicherer und genauer bestimmt werden. Weiterhin kann durch eine Wiederholung der Faktorenanalyse nach einigen Jahren bzw. durch regelmäßige faktorialökologische Studien das Ausmaß und die Art der Veränderung von städtischen Teilgebieten untersucht werden.75 Eine faktorialökologische Zeitreihung dieser Untersuchung würde wichtige Erkenntnisse über die Entwicklung der sozialräumlichen Strukturen und Disparitäten in Bochum liefern. Ferner könnten durch den intertemporalen Vergleich demographische Trends frühzeitig erkannt und zukünftige Armuts- und Benachteiligungspotenziale gezielt aufgedeckt werden. Erst die Regelmäßigkeit der kleinräumigen Analysen ermöglicht die für die Planung, Steuerung und Evaluation von kommunalen Maßnahmen relevanten Veränderungen in den Wohnquartieren sichtbar zu machen. Die Chance liegt letztlich in einer Verstetigung der Untersuchung zu einem umfassenden Bochumer Sozialraum-Monitoring. In dessen Rahmen könnten die sozialräumlichen Strukturen und Disparitäten auf unterschiedlichen Gebietsebenen im Zeitverlauf eingehend betrachtet und eine konsequente Verbesserung der faktorialökologischen Methodik betrieben werden. 75 Diese Thematik wird ausführlich behandelt im Kapitel „Faktorialökologische Längsschnittanalyse“ bei FRIEDRICHS (1983). Literaturverzeichnis 69 Literaturverzeichnis ATTESLANDER, Peter (1974): Dichte und Mischung der Bevölkerung. Raumrelevante Aspekte des Sozialverhaltens, Walter de Gruyter, Berlin. ATTESLANDER, Peter / HAMM, Bernd [Hrsg.] (1974): Materialien zur Siedlungssoziologie, Kiepenheuer und Witsch, Köln. BACKHAUS, Klaus u.a. (2000): Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung, (9. überarb. und erw. Auflage), Springer, Berlin. BOURDIEU, Pierre (1991): „Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum“; In: WENTZ, Martin (1991): Stadt-Räume, Campus, Frankfurt a.M.. BÜHL, Achim / ZÖFEL, Peter (2005): SPSS 12. 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