Regierungspräsidium Tübingen Bauleitung Wangen Die geologischen Lehrpfade auf den Rastplätzen „Ettensweiler“ und „Humbrechts“ der Autobahn A 96 bei Wangen im Allgäu Ulm Rastplatz Ettensweiler A7 A 96 München A 96 Memmingen Kempten Wangen i.A. Rastplatz Humbrechts Lindau Bregenz Impressum Tel: 07522 71-2560 Regierungspräsidium Tübingen Bauleitung Wangen Lindauer Straße 21, 88239 Wangen Fax: -2630 E-mail: [email protected] Fachliche Beratung: Dr. H. Heierli, St. Gallen Prof. Dr. A. Köhler, Weingarten Ing.-Geol. E. Krayss, St. Gallen Dr. R. Oberhauser, Wien Prof. Dr. A. Schreiner, Freiburg Gesamtentwurf (1989 - 1991) Baurat R. Schmidt Zeichnungen und Kartierung: Landesamt für Straßenwesen Baden-Württemberg und Bauleitung Wangen Zeittafel Bau der Autobahnumfahrung Wangen: Einweihung der geologischen Lehrpfade: 15.04.1982 - 29.11.1990 08.05.1991 Inhaltsverzeichnis Seite Autobahn und Eiszeitalter 2 Die Informationstafeln auf den Rastplätzen Ettensweiler und Humbrechts: 5 Westallgäuer Hügelland Findlinge Die Entstehung der Gesteine 5 6 6 Schichtreihen der alpinen Decken Karte des Rheingletschers 7 8 Liste der Findlinge Fotos Der erratische Block (J.V. Scheffel) Blick zum Hohen Freschen 9 10 12 13 Anlagen Stand: 15.11.10 Autobahn und Eiszeitalter Goethe wäre sicher "gerne hangen geblieben" Spuren der Eiszeit wurden beim Bau der Autobahn-Umgehung Wangen gesichert und in einer eindrucksvollen Darstellung die Zusammenhänge zwischen Entstehung des Westallgäuer Hügellandes, Eiszeitalter und Bildung des Alpen- und Alpenvorlandes verständlich gemacht. Die schweren Baumaschinen, die die Trasse der Autobahn herstellten, machten es möglich, die vereinzelt zu Tage getretenen großen Steinblöcke - auch Findlinge oder Erratiker genannt - auf den Rastplätzen Humbrechts und Ettensweiler zu sammeln und nach gesteinskundlichen Gesichtspunkten zu sortieren und aufzustellen. Die Alpen in Baden-Württemberg "Kein Allgäu ohne Alpen" formulierte W. Benz (Eglofs) einmalig prägnant. Bis in große Tiefen besteht im Alpenvorland der Untergrund aus Gesteinsablagerungen die aus den Alpen "stammen". Eine Bestimmung des Gesteins und die Angabe der Herkunft - weit entfernt vom Entstehungsort und aus ihrem Zusammenhang gerissen - ist auch für den Geologen nicht einfach. Mit Dr. Heierli (St. Gallen), E. Krayss (St. Gallen), Dr. Oberhauser (Wien) und Prof. Dr. Schreiner (Freiburg) standen kompetente Fachleute zur Verfügung. Sie stellten folgende Gesteinsarten fest: Gneise und verwandte kristalline Gesteine, Kalksteine in verschiedenster Art, Dolomite, Alpine Sandsteine sowie Nagelfluh und Molasse-Sandsteine, die als alpine Ablagerungsgesteine sogar noch in die Alpenfaltung einbezogen worden waren. "Raritäten" sind verbackene Trümmer- und Bruchgesteine, die Faltung und Überschiebung von Gesteinsschichten dokumentieren. Der zusammengeschobene Meeresboden (- und nichts anderes sind die Alpen!) Sind die Gesteine bestimmt, lassen sie sich in das System der Alpengeologie einordnen. Die immerwährende Bewegung der Kontinentalplatten auf dem flüssigen Erdinnern hat die verschiedenen Gesteinsschichten des Meeresuntergrundes zwischen einem UrAfrika und einer europäisch-asiatischen "Südküste" (Zentralmassiv - Vogesen Schwarzwald - Böhmen) seit ca. 70 Millionen Jahren zusammengedrückt, emporgehoben, verfaltet und überschoben. Verschiedene Schichtpakete sind zu unterscheiden. Sie bilden als "Decken" die Baueinheiten der Alpen. Im Wesentlichen sind es das Helvetikum, Penninikum und das Ostalpin, die den Aufbau der Alpen bestimmen. Für jede Decke gibt es sogenannte Schichtreihen, in der die übereinanderliegenden Gesteinsarten aufgeführt sind. Die zutreffende Bestimmung eines Gesteins schließt auch die Benennung der zugehörigen Decke ein, aus der das Gestein stammt. -2- Richtgeschwindigkeit: 100 km in 200 Jahren Die Frage nach dem genaueren "Woher" der Findlinge führt in das bis zu 2 Millionen Jahre zurückliegende Eiszeitalter, das in verschiedene Eiszeiten gegliedert wird, als die Gletscher sich bis weit ins Alpenvorland verschoben. Hierbei wurden Gesteinsteile und Steinblöcke, die in Folge der Abtragung einzeln oder als größere Bergstürze herabgefallen waren, in Seiten-, Mittel- und Obermoränen auf dem Rücken der Gletscher getragen oder im Eis bis über 200 km weit mitgeschoben und beim Abschmelzen des Eises an ihrem Rand abgelagert. Das Westallgäu und Oberschwaben bedeckten die verschiedenen Rheingletscher der einzelnen Eiszeite, zuletzt der der Würmeiszeit. Ihr Einzugsgebiet in den Alpen erstreckte sich ungefähr auf das "Nährgebiet" der Rheingletscher, während ihr "Zehrgebiet" im Land vor den Alpen lag. Der Verlauf der Eisströme durch das Alpenrheintal und seine Seitentäler liefert Hinweise zur Bestimmung der Herkunft der Gesteine. Ergänzend kann man noch berücksichtigen, dass es zunächst die höheren Partien der Berge waren, die im besonderen Maße der Erosion ausgesetzt waren und dem Gletscher Gestein zuführten. Rechts des Rheins und links der Ill Das Ergebnis der Untersuchungen ist, dass die Findlinge in der Hauptmasse vom Rätikon-Hauptkamm kommen, also ungefähr von Liechtenstein bis zur Silvretta, weiterhin aus dem schweizerischen Prättigau (Landquart, Klosters, Davos, Arosa) und aus Vorarlberg vom rechten Rand des Rheintals zwischen Feldkirch und Pfänder stammen. Die Gesteine wurden vornehmlich in der rechten Randmoräne des Rheingletschers und in der linken Randmoräne des seitlich einmündenden Illgletschers (Montafon - Bludenz - Feldkirch) transportiert. Damit ist das sogenannte "Liefergebiet" bestimmt. Rastplatz, Spielplatz, Lehrpfad Je ca. 20 Vertreter der alpinen Gesteine liegen - dekorativ mit einer Pflasterzeile eingerahmt - auf den Rastplätzen und bieten zunächst Reisenden Gelegenheit zum Sitzen, Klettern und Verstecken. Die Herkunftsbezeichnungen an den Steinen nennen vielleicht sogar den Urlaubsort. Die Karte des Rheingletschers z.Zt. der Würmeiszeit zeigt, dass man sich auf der A 96 genau in Eisstromrichtung bewegt und nach Nordosten in Richtung der Donau den Weg der abgeflossenen Schmelzgewässer nimmt. Die eingetragenen Transportwege der Findlinge bilden eine Harfe vom Liefergebiet bis zu ihren Ablagerungsstellen bei Wangen. Die aufgestellten Findlinge und die geologisch-geographischen Informationen sind ideales Anschauungsmaterial für Gesteinskunde, Alpen- und Voralpengeologie und auch für die Verkehrsgeographie. -3- Goethe, der sich auch mit Geologie befasst hat, erkannte schon, dass die erratischen Blöcke bei Weimar durch Gletscher transportiert worden waren. Auf seiner Rückreise von Italien über den Splügenpass und das Alpenrheintal wäre er heute sicher an diesem Rastplatz hangen geblieben. Tausende von Jahren waren die Findlinge als Urkunden und älteste Datenträger unseres Raumes verborgen, geschützt von Gestein und Boden bedeckt. Nun sind sie unserem Klima und der Atmosphäre ausgesetzt. Diese werden über längere Zeiträume hinweg ihre Spuren an den Steinen hinterlassen. A. Köhler, Weingarten R. Schmidt, Wangen Zugänge außerhalb der Autobahn -4- Die Informationstafeln auf den Rastplätzen Ettensweiler und Humbrechts Westallgäuer Hügelland Von Memmingen kommend verläuft die A 96 zwischen Leutkirch und der bayerischen Landesgrenze durch das gefällige Hügelland des württembergischen Allgäus. Diese Landschaft entstand in dem bis zu 2 Millionen Jahren zurückreichenden Eiszeitalter (Pleistozän), als zu verschiedenen Eiszeiten (Günz, Mindel, Riss, Würm) die Gletscher bis in das Alpenvorland vordrangen. Gletscher (schematisch) LawinenBergstürze Seitenmoränen Gletscherzunge Mittelmoräne Randmoräne Schmelzwassersee Ausfluss Hierbei wurden Sand, Geröll und Steinblöcke in Seiten- oder Mittelmoränen bis über 200 km transportiert und beim Schmelzen des Eises abgelagert. Die entsprechenden Ablagerungsformen wie Rand- oder Endmoränen sind heute noch deutlich zu erkennen. Hierzu gehören auch elliptische Hügel in Eisstromrichtung (Drumlins), die durch erneutes Vordringen der Gletscher aus schon abgelagertem Material (Grundmoräne) oder durch Überarbeitung von in vorangegangenen Eiszeiten entstanden Moränen modelliert wurden. Letzlich geformt wurde das Gelände vor 20 bis 10.000 Jahren beim Abschmelzen des Rheingletschers in der Würm-Eiszeit (70 bis 10.000 Jahre vor heute).Der Moränenwall südwestlich von Leutkirch bildet die Wasserscheide zwischen Rhein und Donau. Die Autobahntrasse liegt exakt in Richtung des Eisstroms und nimmt zwischen Leutkirch und Memmingen den Weg der nach Nordosten abgeflossenen Schmelzwässer. Gletscherzunge (schematischer Längsschnitt) mit dem hier anstehenden Untergrund -5- Findlinge Die auf dem Rastplatz aufgestellten Findlinge (“Erratische Blöcke”) wurden beim Bau der Autobahn in der Grundmoräne der Geländeeinschnitte zwischen der Oberen Argen und der Unteren Argen gefunden. Die Blöcke waren in feinkörnigem Material - Sand und Schluff - eingebettet, das durch den Abrieb der Gesteine entstand. Durch die Transportbewegung wurden sie abgerundet, poliert und abgeschliffen. Harte Einzelkörner ritzten Furchen ein (“Gekritztes Geschiebe”). Während der Alpenfaltung bildeten sich die mit Kalzit oder Quarzit gefüllten Risse in den Gesteinen (“Gequältes Gestein”). Die Steine stammen aus dem östlichen Liefergebiet des Rheingletschers zwischen Bregenz und Chur, sowie aus dem Kristallin der Silvretta, das über die seitlichen Gletscher zufloss. Ein Kalksandstein aus dem Prättigau zum Beispiel dürfte für den ca. 100 km langen Weg nach Wangen 200 bis 400 Jahre gebraucht haben. Die Entstehung der Gesteine Die Gesteinsmassen der Alpen wurden überwiegend durch Zusammenschub aus den Tiefen eines Meeres - der Tethys, einem gewaltigen Ur-Mittelmeer - emporgehoben, verfaltet, zerbrochen und überschoben. Entsprechend den Vorgängen während der Gesteinsablagerung im Trog der Tethys und der anschließenden Gebirgsbildung, bei der Gesteine durch Druck und Hitze teilweise umgewandelt wurden, finden wir heute die Gesteine in verschiedenster Art und Anordnung in unterschiedlichen Schichtpaketen, den sogenannten Decken als den alpinen Baueinheiten vor. Die Farbe der Gesteinsbezeichnungen an den Findlingen entspricht der Farbe der Decke, aus der das Gestein stammt. Die Bildung der Alpen (schematisch) seit ca. 100 Millionen Jahren Profil Bodensee - Engadin -6- -7- -8- Rastplatz Ettensweiler Gestein Kalkbrekzie Herkunft Arosa Nagelfluh Pfänder Molasse-Sandstein Bildstein Reiselsberger Sandstein Feldkirch Tristelkalk Liechtenstein Kalksandstein Ruchberg-Serie Prättigau Gault-Grünsandstein Götzis Buntsandstein Montafon Lias-Fleckenmergel Zimba Tektonisch Penninikum (Arosa Schuppenzone) OSM USM 2 3 Gestein Zweiglimmergneis Herkunft Gargellen Tektonisch Ostalpin (Kristallin) Biotitgneis östlich Klosters Muskovit-Flasergneis Grenzkamm Montafon Prättigau Augengneis östlich Klosters " " 4 5 Ölquarzit KlostersDavos Penninikum (Prättigau Flysch) Helvetikum 6 Amphibolit Piz Linard Gebiet 7 Tektonische Brekzie KlostersDavos Ostalpin (Kalkalpin) Ostalpin (Kalkalpin) 8 9 Betliskalk Dornbirn Feinkörniger Gaultsandstein Liechtenstein Penninikum Naafkopf (Falknisdecke) 10 11 Betliskalk Dornbirn Gault-Sandstein mit Konglomeratlage Liechtenstein Penninikum (Falknisdecke) 12 13 Hornsteinkalk Montafon Kalksandstein Eggberg Serie Prättigau 14 15 16 Lias-Fleckenmergel Zimba Hauptdolomit Rätikon Hornsteinkalk Montafon 17 18 Verrucano Montafon Gault-Grünsandstein Hohenems 19 Tristelkalk Liechtenstein Penninikum 20 21 Molasse - Sandstein Bildstein USM Kalkbrekzie Arosa Penninikum (Arosa Schuppenzone) Götzis Helvetikum Kalksandstein Gyrenspitz-Serie Prättigau Schrattenkalk Hohenems Penninikum (Prättigau Flysch) Helvetikum Sulzfluhkalk DrusenfluhSulzfluh Penninikum (Sulzfluhdecke) Hauptdolomit Rätikon Amphibolit Gargellen Ostalpin (Kalkalpin) Ostalpin (Kristallin) Muskovitgneis Quarz-Brekzie Grenzkamm Montafon Prättigau östlich Klosters Grenzkamm Montafon Prättigau Arosa Zweiglimmergneis Gargellen Granitgneis 1 Rastplatz Humbrechts Penninikum (Vorarlberger Flysch) Penninikum (Falknis-Decke) Betlis-Kalk Augengneis Schild Nr. " " " Penninikum (Arosa Schuppenzone) Ostalpin (Kristallin) " Penninikum (Arosa Schuppenzone) Ostalpin (Kristallin) Penninikum (Arosa Schuppenzone) Helvetikum Helvetikum Ostalpin (Kalkalpin) Penninikum (Prättigau Flysch) Ostalpin (Kalkalpin) " Ostalpin (Kalkalpin) " Helvetikum -9- Bau der Autobahn Sammeln der Findlinge - 10 - Bestimmen der Gesteine Einweihung der Rastplätze am 08.05.1991 - 11 - Der erratische Block Einst ziert' ich, den Äther durchspähend, Als Spizze des Urgebirgs Stock. Ruhm, Hoheit uns Stellung verschmähend, Ward ich zum erratischen Block. Aus <Gaudeamus!> von Joseph Victor Scheffel, Stuttgart, 1869 Man sagt, wenn's dem Denker zu wohl ist, So wagt er sich kecklich auf's Eis: Mir winkten, wo's klüftig und hohl ist, Schneejungfrau'n, verführend und weiss. Doch als ich mit Poltern und Lärmen Abstürzend auf's Firnfeld mich hub, Verbüsst ich mein jugendlich Schwärmen Mit tausendjährigem Schub. Scharf wies mir der Gletscher die Zähne: <Hier, Springinsland, wirst du polirt, Und im Schutt meiner grossen Moräne Als Fremder thalab transportirt.> Geritzt und gekritzt und geschoben Entrollt' ich in spaltige Schluft, Ward stossweis nach oben gehoben, Gewälzt und gepufft und geknufft. Da bleib' Einer sauber und munter In solchem Gerutsch und Geschlamm; ... Ich kam immer tiefer herunter, Bis der Eiswall ins's Urmeer zerschwamm. Und der spielt die traurigste Rolle, Dem die Basis mit Grundeis ergeht ... Ich wurde auf treibender Scholle In des Ozeans Brandung verweht. Plimp, plump! Da gieng ich zu Grunde, Lag elend versunken und schlief, Bis in spät erst erlösender Stunde Sich Gletscher und Sündflut verlief. Den entwässerten Seegrund verklärte Die Sonne mit wärmerem Strahl, Und mit der Rhinozerosheerde Spazierte der Mammut durch's Thal. Nun lagern wir Eiszeitschubisten Nutzbringend als steinerne Saat, Und dienen dem Heiden wie Christen Als Baustoff für Kirche und Staat. *** Dies ist zwei Forschern gelungen Im Gau zwischen Aare und Reuss; Das Wirtshaus, in dem sie es sungen, War ganz von erratischem Gneus. Sie sungen es ernst und dramatisch In die Findlinglandschaft hinein, Und schoben sich selbst dann erratisch Mit Holpern und Stolpern vom Wein. - 12 - - 13 - Rastplatz Ettensweiler : Blick zum Hohen Freschen , 2004 m , Bregenzerwald