Barometer

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Januar
2012
Januar
2017
Barometer
Konjunktur- und Zinsperspektiven
Volkswirtschaft und Research
IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht
Chefvolkswirt
+49 211 8221 4118
[email protected]
Dr. Carolin Vogt
+49 211 8221 4492
[email protected]
Ralf Heidrich
[email protected]
Daniel Schönekäs
[email protected]
Eugenia Wiebe
[email protected]
Deutsche Konjunktur: Robuster Ausblick nicht ohne
Risiken
2
Kapitalmärkte: Steigende Inflation lässt reale Renditen
sinken, eine Wende am langen Ende der deutschen Zinskurve zeichnet sich dennoch ab
4
Starke Konsumdynamik dürfte etwas nachlassen • Staatliche Ausgaben
für Flüchtlinge haben Peak erreicht • Starke Importnachfrage dämpft
Impuls des Außenbeitrags • Nur verhaltene Unternehmensinvestitionen
aufgrund anhaltender Unsicherheiten
Inflation zieht an • Doch die EZB hält sich mit Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik zurück • Inflation muss nach EZB-Meinung nachhaltig 2 %-Inflationsziel erreichen • Langfristzinsen sollten steigen, bleiben
aber grundsätzlich niedrig • Anhaltend negative Zinsen sind angesichts
sich festigender Euro-Konjunktur eher unwahrscheinlich
Deutschland – Zinsen und Sparen: Muss es erst schlimmer
kommen, damit es besser werden kann?
6
Inflationsanstieg bereitet Sparern Sorgen • Geldpolitische Wende der
EZB ist erst mit nachhaltig höherer Inflation zu erwarten • Ausgereizte
Schuldentragfähigkeit vieler Euro-Staaten benötigt niedrige Zinsen •
Nur mehr Inflation bringt die Zinswende
Harter Brexit: Pfund wird abwerten
9
Harter Brexit steht bevor • Zugang zum EU-Binnenmarkt wird erschwert
• Neuausrichtung der britischen Wirtschaft soll negative Folgen kompensieren • Zur Stärkung der Industrie und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit benötigt UK ein schwaches Pfund • Aktuelle Stärke ist nicht
haltbar
Türkische Lira: Erdogans Kampf gegen Abwertung wird
zum Eigentor
11
Schwache türkische Lira spiegelt Inflationsdifferenzial zur Euro-Zone,
chronisches Leistungsbilanzdefizit und politische Unsicherheit der Türkei
wider • Interventionen schaden mehr, als dass sie nützen • Gegenmaßnahmen führen zu noch mehr Besorgnis und damit zur Abwertung
IKB-Barometer
Januar 2017
Auftragseingang des Verarbeitenden Gewerbes
in % zum Vorjahresmonat
40
30
IKB-Prognose
2017 und 2018
Reale Veränderung in %,
kalenderbereinigt
Ausland
20
10
0
-10
Inland
Deutschland
BIP-Wachstum 2017
BIP-Wachstum 2018
1,6
1,8
Euro-Zone
BIP-Wachstum 2017
BIP-Wachstum 2018
1,4
1,7
-20
-30
-40
1998
2000
2002
2004
2006
2008
2010
2012
2014
2016
Quelle: Statistisches Bundesamt (IKB-Berechnung: reale gleitende 3-Monats-Zuwachsraten in %)
Deutsche Konjunktur: Robuster Ausblick …
Nach ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes erhöhte sich das reale Bruttoinlandsprodukt
(BIP) im Jahr 2016 kalenderbereinigt um 1,8 % (kalenderunbereinigt um 1,9 %). Damit dürfte sich das
Wachstum im vierten Quartal 2016 wieder beschleunigt haben; Daten hierzu werden erst später veröffentlicht. Der BIP-Jahresanstieg der gesamtwirtschaftlichen Leistung fiel etwas kräftiger aus als im Vorjahr
(+1,5 % bereinigt). Getragen wurde der Zuwachs vor allem von der starken Binnennachfrage. Der private
Konsum stieg real um 2,0 % und profitierte von der anhaltend günstigen Arbeitsmarktlage und den mit der
geringen Teuerung verbundenen hohen realen Zuwächse des verfügbaren Einkommens. Der Staatsverbrauch wurde insbesondere zu Jahresbeginn 2016 im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise stark ausgeweitet und erhöhte sich kräftig um 4,2 %. Einen stärkeren Zuwachs hatte es zuletzt 2002 infolge der
deutschen Wiedervereinigung gegeben. Die Bauinvestitionen wurden zusätzlich durch die günstigen Finanzierungsbedingungen gestützt. Sie nahmen um 3,1 % zu. Die Investitionen in Ausrüstungen enttäuschten
dagegen mit einem Plus von 1,7 %. Auch der Anstieg der Exporte (+2,5 %) fiel durch den schwächeren
Welthandel im Vergleich zu den Vorjahren gedämpft aus. Dabei war vor allem die Exporttätigkeit deutscher
Unternehmen in Staaten außerhalb der Euro-Zone verhalten.
Als Wachstumstreiber erwies sich insbesondere der Konsum, der 2016 mit 1,9 %-Punkten den höchsten Beitrag lieferte. Dabei steuerten der private Verbrauch 1,1 %-Punkte und der staatliche Verbrauch 0,8 %-Punkte
zur Dynamik bei. In den Jahren nach der Wiedervereinigung lieferten beide Komponenten im Durchschnitt
Wachstumsbeiträge in Höhe von nur 0,7 bzw. 0,3 %-Punkten. 2016 ist das erste Jahr nach der Wiedervereinigung, in dem der inländische Konsum stärker zur Dynamik beitrug als die Exporte, die 1,2 %-Punkte an
Zuwachs brachten. Ausnahmen sind die Jahre 1991 und 1992 direkt nach der Wiedervereinigung sowie
2009 während der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, als die Exporte schrumpften bzw. deutlich einbrachen
und damit negative Wachstumsbeiträge lieferten.
Das aktuell günstige Konsumumfeld mit niedriger Inflationsrate, robustem Arbeitsmarkt und fehlender Anlagemöglichkeit infolge der geringen Zinsen stützt den privaten Konsum. Diese Entwicklung dürfte – zwar abgeschwächt – in der Tendenz im laufenden Jahr anhalten, sodass der private Verbrauch eine wichtige
Wachstumsstütze bleibt. Der staatliche Konsum expandierte infolge der Flüchtlingsmigration ebenfalls kräftig. Dabei zogen die öffentlichen Ausgaben insbesondere Ende 2015 und Anfang 2016 an. Infolge geringerer
Flüchtlingszuwanderung verlangsamte sich auch die Ausgabendynamik der öffentlichen Hand, sodass der
Staatskonsum im laufenden Jahr weniger zum BIP-Wachstum beitragen dürfte. Damit sollte der gesamte inländische Verbrauch 2017 nicht mehr so stark zulegen und geringere Wachstumsbeiträge liefern. Bei lebhafterer Weltkonjunktur werden die deutschen Exporte nach und nach anziehen. Etwas kräftiger dürften die
Importe im Zuge der recht hohen binnenwirtschaftlichen Dynamik expandieren, sodass der Außenbeitrag
insgesamt erneut keinen Wachstumsimpuls liefert. Die Bauinvestitionen dürften weiter zulegen. Bei den Ausrüstungsinvestitionen sieht die IKB weiterhin nur eine verhaltene Entwicklung. Anhaltende Unsicherheiten
könnten zu einer Fortsetzung der Investitionszurückhaltung führen.
2
IKB-Barometer
Januar 2017
… nicht ohne Risiken
Die IKB geht für 2017 von einem leicht schwächeren BIP-Wachstum gegenüber 2016 aus.
Zwar bleibt der gesamte Konsum eine wichtige
Stütze, aber er wird weniger stark zulegen als im
Vorjahr. Zudem bleiben Abwärtsrisiken, die die
Investitionen in Ausrüstungen weiterhin dämpfen
dürften. Für die Gesamtwirtschaft erwartet die
IKB daher einen kalenderbereinigten BIPZuwachs von 1,6 %. Aufgrund der geringeren
Anzahl von Arbeitstagen im Vergleich zu 2016
dürfte die unbereinigte Wachstumsrate 2017 um
ca. 0,2 %-Punkte niedriger ausfallen.
BIP-Wachstumsbeiträge in %-Punkten
8,0
6,0
4,0
2,0
0,0
-2,0
-4,0
-6,0
-8,0
2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015
Konsum
Exporte
Quelle: Statistisches Bundesamt
BIP-Spanne auf Basis des ifo-Index
Kalenderbereinigt, real; in % zum Vorquartal
1,2
Simulation
0,8
0,4
0,0
-0,4
2013Q1
2014Q1
2015Q1
2016Q1
2017Q1
BIP-Wachstum, tatsächlicher Wert und Prognose
Spannbreite
Quellen: Statistisches Bundesamt; IKB-Prognose
ifo Geschäftsklima
Kalender- und saisonbereinigter Index
125
120
Lage
115
Klima
110
105
100
95
Erw artungen
90
85
80
75
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
Quelle: ifo Institut
Die IKB-Einschätzung wird durch das aktuelle ifo
Geschäftsklima, das sich im Gegensatz zur Konsenserwartung überraschend klar eingetrübt hat,
bestätigt. Der Index sank von 111,0 auf 109,8
Punkte. Dabei sind die Unternehmen zwar erneut
zufriedener mit ihrer aktuellen Geschäftslage, der
Wert stieg leicht um 0,2 Zähler, jedoch blicken sie
weniger optimistisch auf die kommenden sechs
Monate. Die Erwartungskomponente fiel deutlich
um 2,3 auf 103,2 Punkte. Dieses Muster – leicht
verbesserte Lageeinschätzung und eingetrübte
Geschäftsperspektiven – zieht sich durch alle
Sek-toren und wichtige Industriebranchen. Trotz
der Verschlechterung des ifo Konjunkturklimas
bleibt es weiterhin auf einem hohen Niveau.
Der ifo-Index ist ein relativ guter Frühindikator für
das BIP-Wachstum des Folge-Quartals. Der Anstieg des Index im vierten Quartal 2016 stützt
somit die BIP-Wachstumseinschätzung für das
erste Quartal 2017. Da der aktuelle ifo-Wert den
ersten Wert dieses Anfangsquartals darstellt, sollte das Risiko eines Rückgangs des BIP-Wachstums im zweiten Vierteljahr nicht überbetont werden. Aktuell erwartet die IKB auf der Grundlage
keiner bedeutenden Korrekturen des ifo-Index eine stabile Wachstumsdynamik in den kommenden Quartalen. Infolge der anhaltenden Unsicherheit über die Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik
der USA und Großbritanniens ist es jedoch nicht
ausgeschlossen, dass der ifo-Index auch in den
kommenden Monaten unter Druck geraten könnte. Das Prognoserisiko für das deutsche BIPWachstum im zweiten und den weiteren Quartalen hat sich unweigerlich erhöht, wie in der mittleren Abbildung anhand der Prognosespannbreite
zu erkennen ist.
Dr. Carolin Vogt, [email protected]
3
IKB-Barometer
Januar 2017
Rendite 10-jähriger Bundesanleihen und Inflationsrate in %
10
10-jährige Bundesanleihen in %
8
6
4
2
Preisindex der Lebenshaltung in %
ggb. Vorjahresmonat
0
-2
1985
1987
1989
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
2013
2015
Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesbank
Kapitalmärkte: Steigende Inflation lässt reale Renditen sinken, …
Inflation in der Euro-Zone und Prognose für 2017
in %
3,5
Prognose
3,0
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0
-0,5
-1,0
2010
2012
Quelle: EZB; IKB-Prognose
2014
2016
Trotz steigender Inflationsraten hält sich die EZB
bezüglich einer Wende in ihrer Zinspolitik bedeckt – und dies zu Recht. Schließlich ist nicht
die aktuelle Inflationsrate, die gegenwärtig durch
einmalige Basiseffekte maßgeblich bestimmt
wird, für geldpolitische Entscheidungen bedeutend, sondern der mittelfristige Inflationspfad und
die damit verbundenen Erwartungen. Gemäß
EZB gibt es noch keine überzeugende Information dafür, dass sich die Inflationsdynamik in der
Euro-Zone nachhaltig verbessert hat. Eine bedeutende, geldpolitische Stimulierung wird deshalb weiterhin benötigt, um die Teuerungsrate
nachhaltig auf das Inflationsziel von knapp unter
2 % anzuheben. Für 2017 geht die IKB in der
Euro-Zone von einer Inflationsrate von um die
1,5% aus.
In ihrer jüngsten Pressekonferenz betonte die EZB nochmals, dass sie im Falle erneut eskalierender konjunktureller Risiken ihre Politik weiter ausweiten würde. Doch das aktuelle Konjunkturbild deutet eher darauf
hin, dass in Zukunft eventuell weniger Aktionismus gewünscht ist. Der Gedanke, dass auf Sicht weniger Stimulierung gefordert ist, wird bei der EZB jedoch immer noch als Luxusproblem angesehen, um das man sich
gegenwärtig nicht zu kümmern braucht trotz des Ausmaßes der aktuellen geldpolitischen Maßnahmen. Wird
die EZB eine höhere Inflation zulassen? EZB-Präsident Draghi verwies darauf, dass die Inflationsrate auch
dann stabil sein muss, wenn die aktuellen geldpolitischen Maßnahmen nicht mehr vorhanden sind. Der
Fokus liegt auf der mittelfristigen Entwicklung. So wird die EZB dann ihre Geldpolitik ändern, wenn eine normale geldpolitische Ausrichtung, die sicherlich kein Aufkaufprogramm und keine negativen Zinsen beinhaltet,
mit einer mittelfristige Inflationserwartung von knapp unter 2 % in Einklang steht. Von solch einer Überzeugung ist man jedoch noch weit entfernt. Kurzläufige Renditen werden somit noch auf Sicht preisbereinigt negativ sein. Zwar wird dies von Sparern als kritisch angesehen, doch gemäß EZB-Präsident Draghi müssen
die Zinsen aktuell niedrig sein, damit sie mittelfristig wieder steigen können (siehe Beitrag auf S.6).
4
IKB-Barometer
Januar 2017
…eine Wende am langen Ende der deutschen Zinskurve zeichnet sich dennoch ab
Euro-Zone: Zinssätze in %
2,0
1,5
1,0
Hauptrefinanzierungssatz
0,5
0,0
EURIBOR
1 Monat
Einlagenfazilität
-0,5
2010
2012
2014
2016
Quelle: EZB
EZB-Bilanz in Mrd. €
4000
3500
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
2008
2010
2012
2014
2016
Quelle: EZB
EUR/USD-Wechselkurs (1 Euro = … US-Dollar)
1,60
1,50
1,40
1,30
1,20
1,10
1,00
2010
Quelle: EZB
2012
2014
2016
Von einem nachhaltigen Anstieg der Inflationsrate
ist die Euro-Zone noch entfernt, auch wenn sich
die aktuelle konjunkturelle Erholung als relativ robust erweist. Eine kurzfristige Eliminierung von
negativen Zinsen ist daher nicht zu erwarten.
Dennoch ist dies mittelfristig nicht auszuschließen,
weil eine solche Entscheidung nicht nur auf geldpolitischen Überlegungen beruhen kann, sondern
auch auf einer technischen Anpassung als Folge
von Kosten-/Nutzen-Analysen (z. B. Probleme von
Finanzinstituten). So mag das Zinsrisiko in
2017/18 am kurzen Ende zu vernachlässigen sein.
In den Folgejahren ist jedoch dank der zu erwartenden Konjunkturerholung und einer sinkenden
Sinnhaftigkeit von negativen Zinsen durchaus mit
einem Zinsänderungsrisiko zu rechnen.
Am langen Ende der deutschen Zinskurve scheint
eine Wende eingeleitet, auch wenn sich diese
hinziehen könnte. Die deutschen Langfristzinsen
werden durch das kurze Ende der Zinskurve und
damit der EZB-Zinspolitik, US-Renditen sowie Inflationserwartungen maßgeblich bestimmt. Hinzu
kommt aktuell der Einfluss des EZB-Aufkaufprogramms. Alle diese Treiber deuten kurz- bis
langfristig auf steigende deutsche Renditen hin.
Die Beendigung bzw. das Auslaufen des Aufkaufprogramms Ende 2017 und die damit verbundene
Veränderung in der Erwartung über die zukünftige
EZB-Politik sollten verstärkt für Auftrieb sorgen.
Da kurzfristig von keiner eskalierenden Inflationsentwicklung auszugehen ist, sollten die Renditeanstiege am langen Ende eher überschaubar
bleiben und das Renditeniveau selbst mittelfristig
noch auf einer niedrigen Höhe verharren. Doch
anhaltend negative reale Renditen sind anhand
des zu erwartenden Konjunkturbildes für die EuroZone eher unwahrscheinlich.
Die US-Konjunktur wird durch Trumps Fiskalpolitik
kurzfristig positive Wachstumsimpulse erfahren.
Dies wird der Fed den Raum geben, ihren Leitzins
2017 und 2018 anzuheben. Ambitionierte Anhebungen sollten allerdings durch das Risiko eines
aufwertenden US-Dollar gebremst werden. Der
mittelfristige Einfluss und die Nachhaltigkeit von
Trumps Wirtschaftspolitik sind jedoch deutlich kritischer zu sehen, vor allem, wenn Protektionismus
im Vordergrund steht und die US-Schuldenquote
(erwartungsgemäß) deutlich ansteigt. Diese Entwicklungen begrenzen das mittelfristige Potenzial
für die Fed, ihren Leitzins nachhaltig anzuheben.
Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]
5
IKB-Barometer
Januar 2017
Deutschland – Zinsen und Sparen: Muss es erst schlimmer kommen, damit es besser
werden kann?
Die Inflationsrate in Deutschland war von 1,7 % im Dezember 2016 auf 1,9 % im Januar 2017 angestiegen.
Dies war nicht ganz überraschend, haben doch viele Volkswirte schon seit Monaten immer wieder auf die
Basiseffekte verwiesen, die der Ölpreis mit sich gebracht hat und die die Jahresrate in die Höhe haben
schnellen lassen. In den kommenden Monaten könnte die jährliche Inflationsrate in Deutschland und der
Euro-Zone weiter hoch bleiben, und für 2017 ist im Durchschnitt von Raten von 1,8 % (Deutschland) und
1,6 % (Euro-Zone) auszugehen. Mit diesem Inflationsausblick steht die EZB nun zunehmend in der Kritik, ihre expansive Geldpolitik zügig zu überdenken.
Doch diese Kritik ist nur teilweise nachvollziehbar. Die aktuelle Inflationsrate spiegelt den Preisanstieg der
letzten 12 Monate und ist somit eher als Rückblick zu werten. Geldpolitik hingegen muss nach vorne schauen, um Inflationsentwicklungen zu antizipieren. Für die geldpolitische Ausrichtung spielen deshalb aktuelle
Inflationsraten eine eher untergeordnete Rolle. Von Interesse sind hier vielmehr die Inflationserwartungen.
Die Inflationsprognosen der EZB für 2017 haben sich schon seit Langem über der Marke von 1 % bewegt,
und die aktuelle Inflationsrate der Euro-Zone bestätigt diese Erwartung. Entscheidender für die Geldpolitik
wird aber sicherlich das Jahr 2018. Aktuell lässt sich aus den jüngsten Inflationszahlen kein erhöhter Handlungsdruck für die EZB ableiten. Die grundsätzliche Frage ist eher, ob die expansive Geldpolitik aufgrund der
sich stabilisierenden Konjunktur in der Euro-Zone weiterhin fortgeführt werden sollte. Die Renditen des Bundes haben schon reagiert. Doch der marginale Anstieg deutet darauf hin, dass die Finanzmärkte an einem
nachhaltigen Inflationsanstieg weiterhin zweifeln. Allerdings ist es aufgrund der Interventionen der EZB in
Form von Anleiheaufkäufen schwierig, eine saubere Marktmeinung aus den gehandelten Renditen ableiten
zu können.
Die Geldpolitik wird vor allem im Kontext der negativen Implikationen für Sparer als kritisch gesehen. Doch
dies ist aus makroökonomischer Sicht nur bedingt zulässig. Europa bzw. der industrialisierten Welt fehlt es
an effektiver Nachfrage. Das Problem für die Notenbank liegt darin, dass Sparer nicht genug in der Realwirtschaft ausgeben – in Form von Konsum oder Investitionen –, während der verschuldete Teil nur begrenzt
zusätzliche Nachfrageimpulse liefern kann. Die Kritik, dass Sparer eine negative Rendite erhalten, ist aus
geldpolitischer Sicht gewollt, da die Notenbank im keynesianischen Sinn klare Anreize für die Stimulierung
der Wirtschaft schaffen will. Der aus der Geldpolitik resultierende Erfolg ist jedoch bisher überschaubar;
denn weder scheint sich Europa zu entschulden, noch scheint sich die Sparquote zu reduzieren. Ob weiter
sinkende reale Renditen als Folge des Inflationsanstiegs dies ändern werden, bleibt zweifelhaft, auch weil
ein realer Kapitalverlust zu höherem Sparen animieren könnte.
Die EZB rechtfertigt ihre Geldpolitik, indem sie auf ein anhaltendes Deflationsrisiko verweist. Dies wird durch
einen temporären Inflationsanstieg als Folge von Basiseffekten nicht entscheidend reduziert. Allerdings war
die niedrige Inflation im Jahr 2016 in der Euro-Zone (0,2 %) größtenteils ebenfalls durch temporäre Effekte
(sinkender Ölpreis) verursacht worden. Ob es in der Euro-Zone grundsätzlich ein strukturelles Deflationsrisiko gibt, ist aus dem Inflationsverlauf der letzten Jahre nicht ersichtlich. Konjunkturelle Risiken für die EuroZone sowie die Gefahr möglicher Staatsbankrotte muten da schon realer an. Es scheint auch ein gewisser
Widerspruch zu bestehen; denn viele Euro-Länder sollen gemäß der EZB Reformen umsetzen, um ihre
Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Da dies durch eine Abwertung nicht erreicht werden kann, bleibt nur
ein absoluter Rückgang in den Lohnkosten und damit in den Preisen, was wiederum ein steigendes Deflationsrisiko mit sich bringt.
Wird die Notenbank als wichtiges Instrument der Wirtschaftsstimulierung gesehen, so steht die EZB nur bedingt in der Kritik. Schließlich verfolgt sie denselben Kurs wie die Notenbanken der USA, Schweiz, Großbritannien und Japan. In all diesen Ländern ist der Zinssatz der Notenbanken preisbereinigt negativ. Selbst der
Leitzins der Fed ist trotz Zinswende real noch immer negativ und sollte dies auch auf Sicht bleiben. In der
Euro-Zone kommt noch hinzu, dass die EZB durch ihre Zinspolitik die Schuldentragfähigkeit vieler Staaten
stabilisiert bzw. verbessert. Fakt ist: Die Zinspolitik der EZB sichert die Schuldentragfähigkeit vieler EuroLänder, die aufgrund des schwachen Wachstums ansonsten weiterhin gefährdet wäre. So ist auch die Kritik,
dass die EZB mit ihrer Politik keinen positiven Einfluss auf die europäische Wirtschaft hat, nicht nachvollziehbar. Zwar mögen die Zinsen die Kreditnachfrage nur begrenzt beeinflussen, und der Euro-Devisenkurs
ist seit der Abwertung in Folge der Ankündigung eines Aufkaufprogramms eher stabil; doch die EZB trägt
6
IKB-Barometer
Januar 2017
entscheidend zur Schuldentragfähigkeit der Länder bei und reduziert somit Konjunkturrisiken bzw. stellt den
Erhalt des aktuellen Euro-Systems sicher.
Die Kosten dieser Politik tragen die Sparer in Form niedriger Renditen. In einem Umfeld schwachen Wachstums kann die Schuldentragfähigkeit des Staates nur durch Umverteilung erreicht werden. Früher ist das oft
durch eine eskalierende Inflation erfolgt, wenn sich der Staat bei der Notenbank bedient hat. Heute sind es
niedrige Renditen und somit ein sich eher länger hinziehender Prozess der Umverteilung bzw. der Staatsentlastung. Eigentlich sollten Reformen und ein Anstieg des potenziellen Wachstums die Grundlage für positive
Renditen legen. Zu argumentieren, dass steigende Zinsen Anreize für Reformen schaffen und die EZB diese
aktuell somit eher verschleppt, ist aufgrund der Reaktion vieler Euro-Länder infolge der Euro-Krise doch eher
realitätsfremd. Die Euro-Länder haben steigende Renditen bisher selten als Startsignal für Reformen betrachtet, sondern als Notruf an die EZB bzw. EU verstanden.
Abb. 1: Verbraucherpreisinflation in Deutschland und 10-jährige deutsche
Staatsrenditen
12
10
8
6
4
2
0
-2
1972
1976
1980
1984
1988
1992
VPI in % ggü. Vorjahr; ab 1992 Gesamtdeutschland
1996
2000
2004
2008
2012
2016
Börsennotierte Bundeswertpapiere/10 Jahre RLZ; in %
Quellen: Deutsche Bundesbank; Statistisches Bundesamt
Mit einer Inflationsrate von deutlich über 1 % im Jahr 2017 wird die geldpolitische Ausrichtung der EZB aufgrund des sinkenden negativen realen Zinsniveaus expansiver. Doch wie nachhaltig dieser Inflationsanstieg
sein wird, hängt von fundamentalen Entwicklungen bei Kapazitätsauslastung, Wachstum und Arbeitsmarkt
ab. Aktuell bleibt es eher fraglich, ob die Inflationsrate auf Sicht nachhaltig und bedeutend ansteigen wird.
Wäre dies der Fall, so wäre die EZB gefordert, sich von ihrer äußerst expansiven Geldpolitik zu verabschieden. Es wird jedoch mehr als eine höhere Inflationsrate in diesem Jahr nötig sein, um die EZB zu einer
Kursänderung zu bewegen, auch weil die Inflationsrate selbst in diesem Jahr deutlich unter der 2 %-Marke
bleiben sollte. So dürfte das Umfeld für Sparer kurzfristig eher schwieriger werden, bevor es wieder besser
werden kann. Denn nur bei einer nachhaltig stabilen und höheren Inflationsrate wird sich die EZB zu einer
Kursänderung bewegen lassen.
Bleibt das Wachstum schwach, ist die Sparquote zu hoch und die Renditen müssen weiter niedrig gehalten
werden. Dies wäre zumindest gemäß Keynes neben der Fiskalpolitik die richtige Medizin. Und die EZB
verschreibt diese Medizin am kurzen, wie am langen Ende der Zinskurve. Die „österreichische Schule“ hingegen sieht darin eher den Grund allen Übels als die Hoffnung auf Genesung, da die EZB einen notwendigen Anpassungsprozess verhindert. Allerdings würde es ohne billiges Geld nicht zu einer geordneten
Anpassung bzw. einem Reinigungsprozess kommen, sondern eher zu drastischen Schuldenschnitten in vielen Euro-Staaten. Dies würde zu ebenfalls – und sicherlich – drastischeren Vermögensumverteilungen führen als im Falle negativer Renditen, zudem wäre von einem Ende des Euro in seiner jetzigen Ausgestaltung
auszugehen.
Ein Dauerzustand sind negative Renditen dennoch nicht. Inflationserwartungen werden infolge anhaltend
hoher Inflation ebenfalls ansteigen und die Zinskurve am langen Ende nach oben bewegen. Eine steilere
Zinskurve bzw. Inflationserwartungen können der EZB aber nicht egal sein, da dadurch die Glaubwürdigkeit
ihrer aktuellen Geldpolitik womöglich nachhaltig Schaden nehmen könnte. Ein sich festigender Anstieg am
langen Ende der Zinskurve muss daher früher oder später durch steigende Leitzinsen der Notenbank eingefangen werden. Bleibt die Inflationsrate relativ stabil, wenn auch deutlich über 0 %, so ist dies allerdings kei7
IKB-Barometer
Januar 2017
ne kurzfristige Sorge für die EZB. Für Sparer scheint eine deutlich ansteigende Inflationsrate weniger kritisch
zu sein, auch wenn dies kurzfristig eine Ausweitung der negativen Renditen bedeutet, da die Notenbank zu
einer Umkehr ihre Geldpolitik genötigt wird. Worst case wäre sicherlich eine anhaltend stabile, aber niedrige
Inflationsrate, die die 0 %-Zinspolitik der EZB bestätigen und für anhaltend negative Renditen über die gesamte Zinskurve sorgen würde.
Fazit
Der aktuelle Anstieg der Inflationsrate ist für viele Sparer ein Grund zur Sorge. Denn die EZB wird sich noch
auf Sicht zu keiner Umkehr ihrer Zinspolitik bewegen lassen, und eine steigende Inflation sorgt bei anhaltend
niedrigen Zinsen für eine Ausweitung der negativen Renditen. Erst bei einer nachhaltigen Erhöhung der
Inflationsrate ist mit einer geldpolitischen Wende zu rechnen. Bis dahin benötigt die ausgereizte Schuldentragfähigkeit vieler Euro-Staaten nachhaltig niedrige Zinsen, vor allem bei schwachem Wachstum. Denn
Schuldenstabilität ohne Wirtschaftswachstum kann nur durch Vermögensumverteilung erreicht werden.
Auch wenn die realen Renditen kurzfristig noch weiter ins Negative sinken werden: Letztlich könnte sich ein
deutlicher Anstieg der Inflationsrate sogar als vorteilhaft für Sparer herausstellen, da dies auf Sicht die
Chancen einer geldpolitischen Wende erhöht.
Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]
8
IKB-Barometer
Januar 2017
Harter Brexit: Pfund wird abwerten
Premierministerin Theresa May hat eine klare Trennung Großbritanniens von der EU angekündigt, und das
britische Pfund hat zunächst aufgewertet. Dafür gibt es keine fundamental nachvollziehbare Begründung.
Zwar verkaufte die britische Premierministerin den harten Brexit in ihrer Rede vom 17. Januar als ihre eigene
Entscheidung und stellte ihn als Opportunität dar, mit Hilfe derer Großbritannien wieder weltweit an Bedeutung gewinnen könne. Doch unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen wird
die britische Wirtschaft bei einem harten Brexit in Mitleidenschaft gezogen werden, da die Vernetzung mit
der EU nachlassen und somit der Handel von Gütern und Dienstleistungen unweigerlich belastet wird. Zwar
verwies Theresa May umgekehrt auf die negativen Folgen eines eingeschränkten Handels mit Großbritannien für die EU. Aber die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, wer die bessere Verhandlungsposition hat.
So gehen ca. 44 % der britischen Exporte in die EU, während nur 7 % der EU-Exporte nach Großbritannien
fließen. Die Insel macht dabei 21 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der verbleibenden 27 EU-Länder aus.
Die EU hat bei allen Verhandlungen mit Ländern, die uneingeschränkten Zugang zu ihrem Binnenmarkt
wünschen, auf die „vier Freiheiten“ bestanden – also die freie Bewegung von Menschen, Kapital, Gütern und
Dienstleistungen. Diese Freiheiten scheinen für Großbritannien laut Referendum nicht akzeptabel zu sein.
Das betrifft vor allem die freie Bewegung von Menschen. Die EU sollte jedoch auf ihren Prinzipien bestehen,
auch im Sinne der Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten bzw. aller Staaten, die einen Sonderstatus mit der
EU vereinbart haben, wie es bei der Schweiz oder Norwegen der Fall ist. Deswegen sollte eine Sonderregelung für Großbritannien nicht möglich sein, mit einem harten Brexit als Folge. Ziel der Verhandlungen über
die zukünftige Zusammenarbeit zwischen EU und Großbritannien dürfte deshalb ein neues Handelsabkommen nach Vorbild der WTO sein. Da solch ein Abkommen den Handel mit und den generellen Zugang zum
EU-Binnenmarkt reduzieren wird, sind mittelfristig verhaltene Wachstumsprognosen für Großbritannien
durchaus angebracht. Theresa May spricht lieber von einem Neustart für Großbritannien und versucht durch
Betonung auf Globalisierungs- und Industrialisierungsaspekte mögliche negative Effekte zu banalisieren. Die
Rede dokumentiert deshalb eher die heikle Lage der britischen Politik als die Aufbruchstimmung in der Wirtschaft. Der harte Brexit führt zu einem Neuanfang, der Großbritannien zu alter Stärke führen wird, so die britische Premierministerin. Sie geht sogar so weit, dass sie die EU-Mitgliedschaft als kontraproduktiv für den
britischen Handel bezeichnet. Sie verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der britische Handel seit
Beginn der EU-Mitgliedschaft im Vergleich zum britischen BIP eher stagniert. Ursachen, Folgen und Einflüsse der EU-Mitgliedschaft werden hierbei „phantasievoll“ interpretiert.
Die Idee von Theresa May, sich nach jahrelangem Fokus auf die Finanzdienstleistungsbranche auf die Industrie zu besinnen, ist nicht wirklich neu. Der neue Fokus kann natürlich auch unabhängig von der EUMitgliedschaft verfolgt werden. Mit direktem Zugang zu den Absatzmärkten der EU wären die Erfolgschancen für die britische Industrie allerdings bei Weitem größer. Die Devisenmärkte wie auch das Feedback der
britischen Presse sehen das allerdings anders. Theresa May ist im Augenblick erfolgreich, die kritische Lage
der britischen Wirtschaft als Chance für Erfolg und Wohlstand zu verkaufen. Dies ist auch deshalb der Fall,
weil May einen vollständigen Zugang zum EU-Binnenmarkt weiterhin als die offensichtlich beste Lösung für
beide Parteien proklamiert. So erhöht sie den Druck auf die EU. Anders formuliert: Die Briten wollen die EU
verlassen, negative Konsequenzen wollen sie jedoch eher der „unkooperativen“ EU zuweisen. Allerdings
muss die EU nach dem Referendum nicht mehr die britischen Interessen berücksichtigen, sondern die der
anderen 27 Mitgliedsstaaten. Das Ergebnis der Verhandlungen wird folglich anders aussehen, als das, was
Theresa May als ideal ansehen würde. Gerade aus diesem Grund betont sie, dass es Kompromisse geben
wird und muss.
Theresa May verfolgte in ihrer Rede vom 17. Januar die gleiche Strategie wie Gewerkschaften und Arbeitgeber bei Tarifverhandlungen Zu Anfang werden Lohnentwicklungen gefordert, von denen jeder weiß, dass
sie nicht eintreten werden bzw. nicht akzeptabel sind. Sie weisen extreme Differenzen auf, um Raum für
Verhandlungen zu schaffen und die Erwartungen der Gegenseite zu beeinflussen. Doch wie bei Tarifverhandlungen, so wird auch in diesem Falle das Ergebnis ein anderes sein. Deshalb ist es umso überraschender, dass das Pfund infolge der Rede deutlich aufgewertet hat. Die Märkte scheinen daran zu glauben, dass
das von May geforderte Maximum auch erreicht werden kann. Eine Fehleinschätzung! Großbritannien
braucht ein schwächeres Pfund, vor allem, wenn das Land seine Industrie modernisieren und weiterhin
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IKB-Barometer
Januar 2017
selbst mit Zöllen in einem der größten Märkte der Welt wettbewerbsfähig sein will. Deshalb ist auf Sicht mit
einer tendenziellen Abwertung des Pfund zu rechnen.
Abb. 1: Wechselkurs - Pfund je Euro
1,1
1,0
0,9
0,8
Simulation
0,7
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Quellen: Bank of England; IKB
Fazit
Das klare Bekenntnis der EU zu ihren vier Freiheiten – also die freie Bewegung von Menschen, Kapital,
Gütern und Dienstleistungen – zwingt Großbritannien zu einem harten Brexit. Was immer die Austrittsverhandlungen bringen werden, sie werden einen erschwerten Zugang Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt
beinhalten. Dies wird wirtschaftliche Konsequenzen mit sich bringen, die Premierministerin Theresa May mit
einer grundsätzlichen Neuausrichtung Großbritanniens einzudämmen versuchen will. Die Aufwertung des
Pfund bescheinigt May einen anfänglichen Erfolg ihrer Strategie. Wenn Großbritannien seine Industrie
modernisieren und trotz Zöllen in einem der größten Märkte der Welt wettbewerbsfähig bleiben will, benötigt
das Land allerdings ein schwächeres Pfund. Deshalb ist die aktuelle Stärke des Pfund nicht nachhaltig, die
Volatilität wird zunehmen.
Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]
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IKB-Barometer
Januar 2017
Türkische Lira: Erdogans Kampf gegen Abwertung wird zum Eigentor
Die Türkische Lira ist unter Druck geraten – nicht erst seit Beginn des neuen Jahres. Die Türkei ist ein Land
mit chronischem Leistungsbilanzdefizit, das vor allem über den Zufluss von Portfoliokapital finanziert wird.
Dieses wiederum benötigt eine attraktive Rendite. Steigen an den internationalen Kapitalmärkten die politischen Unsicherheiten und damit die erwarteten Risikoprämien für das Land, fließt verstärkt Kapital ab, was
wiederum zu höheren Renditen führt, aber auch die Türkische Lira unter Druck setzt.
Doch die Türkei ist kein Einzelfall. Viele Schwellenländer, wie etwa Südafrika, haben ein strukturelles Leistungsbilanzdefizit, das hauptsächlich durch liquides und somit kurzfristiges Portfoliokapital finanziert wird.
Und wie der Südafrikanische Rand, so gerät auch die Türkische Lira aufgrund innenpolitischer Unsicherheit,
relativ hoher Inflation und damit verbundener Erwartungen einer eskalierenden Abwertung regelmäßig unter
Abwertungsdruck. Dieser relativiert sich oftmals erst nach deutlicher Übertreibung, wie es auf den Devisenmärkten typisch ist. Strukturelle Probleme in Kombination mit eskalierenden Risikoprämien führen zudem
häufig zu einem Kreislauf eines sich beschleunigenden Abwertungstempos durch „self-fulfilling prophecies“.
Das Ergebnis ist eine Eskalation der Devisenkrise, die zu deutlichen Marktübertreibungen führt, die fundamental nicht nachvollziehbar sind.
in %des BIP
Abb. 1: Leistungsbilanz der Türkei; in %
4
2
0
-2
-4
-6
-8
-10
-12
1987
1990
1993
1996
1999
2002
2005
2008
2011
2014
Quelle: E.I.U.
Ein Land kann seine Währung nicht nachhaltig durch Zinspolitik stützen, wenn die fundamentalen Entwicklungen für eine Abwertung sprechen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Abwertungsdruck eskaliert und sich
einseitige Erwartungen festigen. Bei zunehmendem Abwertungsdruck raten viele Volkswirte, Notenbankzinsen anzuheben, um die Renditen attraktiver zu gestalten. Grundsätzlich mag dies auch richtig sein: Bei
einem Leistungsbilanzdefizit werden ausreichend attraktive Renditen benötigt, um genügend NettoKapitalzuflüsse sicherzustellen. Doch in einer Phase eskalierender Abwertung sind Zinsanhebungen keine
Lösung: Denn Gegenmaßnahmen durch die Notenbank sind nur dann erfolgreich, wenn sie als nachhaltig
wirksam angesehen werden und somit den Kreislauf aus Abwertungen und Erwartungen anhaltender
Schwäche durchbrechen können. Zweifeln die Märkte hingegen an der Nachhaltigkeit und der Wirksamkeit
von Zinsanhebungen, verstärken solche Maßnahmen eher die Erwartung einer eskalierenden Abwertung, da
die Märkte davon ausgehen, dass der aktuelle Kurs künstlich gestützt wird, was die Erwartung weiterer Korrekturen festigt.
Die strukturelle Lösung für eine stabile türkische Lira liegt auf der Hand. Sie benötigt entweder ein geringeres Leistungsbilanzdefizit und eine sinkende Inflation oder mehr innenpolitische Stabilität. Beides braucht allerdings Zeit. Kurzfristig wäre eine beschleunigte Abwertung der Lira eine Lösung, welche die Übertreibung
der Märkte spiegelt und dadurch für ausgeglichene Erwartungen sorgt. Eine Abwertung führt aber zunächst
oftmals eher zu höherer Inflation als zu einer nachhaltigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und damit einer verbesserten Leistungsbilanz. Ohne Reformen, die das Potenzialwachstum steigern, ist eine Verbesserung der Leistungsbilanz allerdings nur schwer vorstellbar, auch weil der Zusammenhalt der Gesellschaft in Folge einer schwachen Nachfrage getestet werden könnte.
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IKB-Barometer
Januar 2017
Abb. 2: Verlauf der Verbraucherpreisinflation; in % zum Vorjahr
12
10
8
6
4
2
0
2004
2007
2010
Euro-Zone
2013
2016
Türkei
Quelle: E.I.U.
Die Vergangenheit kennt viele Beispiele für Währungen in Abwärtsspiralen, bei denen Zinsanhebungen oder
Interventionen am Devisenmarkt ineffektiv und kontraproduktiv waren: etwa der Versuch der britischen
Notenbank 1992, das Pfund zu stabilisieren, oder die Asienkrise von 1997, als der IWF Ländern Devisenkredite zur Verteidigung ihrer Währung zur Verfügung stellte. In beiden Fällen waren die Interventionen erfolglos, da der Markt von einer notwendigen Abwertung überzeugt war, und die hohen Zinsen als nicht
nachhaltig angesehen wurden. Zudem war relativ schnell klar, dass die Notenbanken nicht ausreichend
Devisenreserven besaßen – trotz der Zusagen des IWF. Die Geschichte der Devisenkrisen zeigt, dass ein
Land seine Währung nicht künstlich stärken oder verteidigen kann, da ihm früher oder später die Devisen
ausgehen, oder der Zinsanstieg die Wirtschaft dermaßen belastet, bis niemand an die Nachhaltigkeit des
Kurses mehr glaubt.
Präsident Erdogans Aussage, dass es Spekulanten seien, welche die Lira unter Druck setzen, ist eine typische Reaktion eines Politikers auf die eskalierende Abwertung einer Währung. Wie bereits die Euro-Krise
beeindruckend gezeigt hat, ist die Meinung von Politikern zu Marktpreisbewegungen abhängig von der Konjunkturentwicklung. Wertet die Währung auf oder sinken die Risikoprämien, so ist es der guten politischen
und wirtschaftlichen Führung zu verdanken. Verhält es sich umgekehrt, sind „böse“ Spekulanten Schuld.
Doch in der Türkei gibt es fundamentale Gründe, eine Korrektur der Lira zu erwarten. Forciert der Markt eine
deutliche Preisbewegung, so hat dies einen fundamentalen Grund. Die einseitige Erwartung der LiraAbwertung ist auf den fundamentalen Problemen sowie der in den letzten Monaten eskalierenden Abwertung
zurückzuführen. Das Problem sind nicht die Spekulanten, sondern dass es relativ wenig gibt, was Zweifel an
einer weiteren Abwertung aufkommen lassen könnte. In solch einer Situation ist es eher kontraproduktiv, den
Märkten zu drohen und anzukündigen, den Devisenkurs zu stützen. Dies mag zwar kurzfristig für etwas Stabilität sorgen, was auch aktuell bei der Türkischen Lira zu beobachten, doch es bestätigt nur die Erwartungen, dass die Lira weiter abwerten wird. Denn Interventionen des Staates sind nicht haltbar, solange die
eigentlichen Ursachen der grundsätzlichen wie eskalierenden Abwertung nicht angegangen werden.
Auch wenn Präsident Erdogan den Märkten droht, seine Abwehrkräfte sind begrenzt. Er spielt daher ein gefährliches Spiel, zumal die Lira bereits eine Historie von eskalierenden Abwertungen vorweisen kann, die
typisch für ein Land mit hoher Inflation und strukturellem Leistungsbilanzdefizit sind. Am 24. Januar 2017
trifft sich die Türkische Notenbank zu ihrer nächsten Zinssitzung, und sie ist in einer schwierigen Lage. Hebt
sie die Zinsen nicht an, so wird dies die Lira kurzfristig weiter unter Druck setzen und die Überreaktion der
Märkte beschleunigen. Versucht sie, den Devisenkurs durch eine Zinsanhebung zu stützen, so mag dies
kurzfristig für Stabilität sorgen, gleichzeitig nimmt aber die Furcht vor einer voraussichtlich drastischen Korrektur der Lira eher zu. Die nur vorübergehende Aufwertung der Lira infolge einer Zinsanhebung sollte somit
nicht als Wendepunkt in der aktuellen Devisenkrise der Türkischen Lira gesehen werden. Allerdings hat die
Lira beim aktuellen Kurs von rd. 4,0 zum Euro bereits deutlich abgewertet, und eine Übertreibung bezüglich
des Inflationsdifferenzials ist bereits zu erkennen. Dies schafft mittelfristig Raum für Stabilität – wenn auch zu
einem schwachen Devisenkurs der türkischen Lira.
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IKB-Barometer
Januar 2017
Wechselkurd
Abb. 3: Wechselkursentwicklung Türk.
Lira; 1 EUR = ... TRY, Monatsdaten
5
4
3
2
1
0
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
Quelle: Deutsche Bundesbank
Fazit
Die Türkische Lira zeigt eine Abwertung, die der im Vergleich zur Euro-Zone langfristig höheren Inflationsrate der Türkei entspricht. Gleichzeitig hat die Türkei ein chronisches Leistungsbilanzdefizit, das attraktive
Renditen benötigt, damit Portfoliokapital in das Land fließt, welches die Finanzierung sicherstellt. Eskalierende innenpolitische Entwicklungen schüren in solch einem Umfeld die Sorge vor einer weiter eskalierenden
Abwertung.
Wenn die Erwartungen über den weiteren Kursverlauf der Türkischen Lira ausgeglichen wären, könnten höhere Zinsen und Stützungsmaßnahmen der Regierung eine Abwertung womöglich verhindern. Doch die
Märkte erwarten weitere Abwertungen und haben eine dynamische „self-fulfilling prophecy“ geschaffen.
Deshalb sind Gegenmaßnahmen aktuell eher kontraproduktiv, da weder Deviseninterventionen noch Zinsanhebungen nachhaltige Lösungen bringen, sondern eher zu der Erwartung führen, dass diese Politik scheitert. Die Märkte können sich dabei auf Entwicklungen berufen, die bereits bei einer Vielzahl von
Devisenkrisen – gerade in Schwellenländern – zu beobachten waren. Die Türkei dürfte keine Ausnahme bilden. So steht die Türkische Lira wahrscheinlich vor weiteren Abwertungen, vor allem wenn die Regierung ihre Devisenreserven zur Stützung einsetzen sollte und die Schuld weiterhin Spekulanten zuweist. Eine
kurzfristige Aufwertung infolge von Zinsschritten sollte ebenfalls als nicht nachhaltig angesehen werden. Mittelfristig dürfte eine deutliche Überreaktion der Märkte allerdings Raum für etwas mehr Stabilität beim
Euro/Lira-Devisenkurs sorgen.
Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]
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IKB-Barometer
Januar 2017
Daten auf einen Blick (30. Januar 2017)
Gesam tw irtschaft
Mrd. €
Reale Veränderung in % zum Vorjahr (kalenderbereinigt)
2016
2014
2015
2016v
2017p
3.133,9
1,6
1,5
1,8
1,6
1.677,9
0,9
2,0
2,0
1,4
Staatsverbrauch
617,5
1,2
2,7
4,2
2,1
Ausrüstungsinvestitionen
205,3
5,5
3,7
1,7
1,3
Bauinvestitionen
309,6
1,9
0,3
3,1
1,8
Exporte
1.440,0
4,1
5,2
2,5
3,2
Importe
1.198,0
4,0
5,5
3,4
3,9
0,9
0,3
0,5
1,8
Veränd. in %
zum Vorjahr
Okt 16
Nov 16
Dez 16
110,5
110,4
111,0
Sep 16
Okt 16
Nov 16
111,2
116,8
113,9
Sep 16
Okt 16
Nov 16
BIP
Privater Verbrauch
Verbraucherpreise
Frühindikatoren
Index* 2010 = 100
ifo-Geschäftsklima
2015
108,1
2015
Auftragseingänge**
110,2
0,1
Veränd. in %
zum Vorjahr
1,0
Produktion und Handel**
Index* 2010 = 100
2015
Veränd. in %
zum Vorjahr
Verarbeitendes Gew erbe
110,3
0,5
111,8
112,2
112,6
Bauhauptgew erbe
119,0
-0,7
118,0
120,4
125,2
Einzelhandel (ohne Kfz)
105,8
3,0
105,6
108,2
106,2
Sep 16
Okt 16
Nov 16
Außenhandel nom inal***
2015
Veränd. in %
zum Vorjahr
Warenexporte Mrd. €
1.193,6
6,5
106,0
101,6
108,5
Warenimporte Mrd. €
949,2
4,2
81,8
82,2
85,8
Veränd. in %
zum Vorjahr
Okt 16
Nov 16
Dez 16
Arbeitsm arkt**
2015
Erw erbstätige in Mio.
Arbeitslose in Mio.
Arbeitslosenquote in %
42,979
0,9
43,447
43,481
-
2,793
-3,6
2,661
2,655
2,638
6,0
6,0
6,0
in 3 Monaten
in 6 Monaten
in 9 Monaten
Ende 2017
6,4
Wechselkurse
27.01.17
1 € = ... US-$
1,07
1,02
1,03
1,04
1,04
1 € = ... SFR
1,07
1,06
1,07
1,07
1,07
-0,33
-0,32
-0,32
-0,30
-0,25
USD 3-Monats-Libor
1,04
1,28
1,36
1,40
1,49
10-jährige Bundesanleihen
0,46
0,50
0,60
0,60
0,47
10-jährige US-Staatsanleihen
2,48
2,77
2,80
2,80
2,65
Zinsen in %
3-Monats-Euribor
p = Prognose; v = vorläufig * Durchschnittswerte; ** saisonbereinigt; *** Spezialhandelsstatistik;
Quellen: Bloomberg; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; Statistisches Bundesamt; IKB- Prognosen
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IKB-Barometer
Januar 2017
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(Stand: 31. Januar 2017)
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