Das Europäische Währungssystem (EWS)

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4.2. Von der D-Mark zum Euro
• Leitfragen
– Weshalb und wie schuf sich Europa eine
Einheitswährung?
– Was war die Rolle und Haltung Deutschlands?
– Welches sind die Kosten und Vorteile der Einführung
einer Einheitswährung?
– Warum kam es zur Eurokrise?
– Wie wird versucht, die Eurokrise zu überwinden?
152
4.2.1. Einige Grundlagen (I)
• Wesen einer Währungsunion
– Geographisch abgegrenztes Gebiet, in dem mehrere nationale
Volkswirtschaften eine einzige Währung als Tauschmittel haben
und eine gemeinsame Währungspolitik betreiben.
– Ökonomisch (!) entsteht sie durch die unwiderrufliche
Fixierung der Wechselkurse der nationalen Währungen der
Mitgliedsstaaten gegeneinander.
– Anschließende werden die nationalen Währungen durch eine
einheitliche Währung ersetzt. Ökonomisch ist dies aber nicht
zwingend notwendig.
– Übertragung der Geldpolitik auf eine Zentralbank
153
Der Wechselkurs
€
$
= Wieviel € muß man für 1 Dollar bezahlen?
€
z.B. 0,7034 $ : Für 1 $ muß man 0,7034 € bezahlen ⇒Preisnotierung
Alternativ: Um 1 € zu erwerben muß man 1/0,70345= 1,4217 Dollar
aufbringen ⇒ Mengennotierung
154
Der Devisenmarkt
€
$
= Wieviel € muß man für 1
Dollar bezahlen?
€
0,95 : Für 1 $ muß man 0,95
$
€ bezahlen
⇒Preisnotierung
Alternativ: Um 1 € zu
erwerben muß man 1/0,95=
1,052 Dollar aufbringen ⇒
Mengennotierung
Der Devisenmarkt bringt die Nachfrage nach einer Währung von Ausländern, die inländische
Waren, Dienstleistungen und Vermögensgegenstände kaufen wollen, in Übereinstimmung mit
dem Angebot einer Währung von Inländern, die ausländische Waren, Dienstleistungen und
Vermögensgegenstände kaufen möchten. Abgebildet ist der Dollarmarkt mit einem
Gleichgewichtspunkt E, der einem Wechselkurs von 0,95 Euro je Dollar entspricht.
155
Aufwertung des Dollars
Ein Anstieg der Nachfrage nach Dollars ergibt sich vielleicht aus den Vorlieben
europäischer Investoren für die USA (tauschen deshalb Euros in Dollars um) oder
weil die Europäer mehr US-Produkte importieren (US-Produkte sind in Dollars zu
zahlen). Die Nachfragekurve nach Dollars verschiebt sich von D1 nach D2. Die
gleichgewichtige Anzahl von Euros pro Dollars steigt – der Dollar wird aufgewertet;
der Euro wird abgewertet.
156
Der reale Wechselkurs (I)
• Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Handel – wie viel exportiert und importiert
wird – ist der reale Wechselkurs.
• Der reale Wechselkurs (WK) berücksichtigt Unterschiede
in den Preisniveaus zweier Länder.
• Realer Wechselkurs (WK) bei Preisnotierung:
–
$ =
€
$
( ) ∙
– z.B. nominaler WK = 0,7€/$, Preisindex US = 110, Preisindex EU=100
€ !!"
→
$ = 0,70 ∙
= 0,78 ⇒reale Aufwertung des $
US$ !""
Produkte werden teurer.
• Realer Wechselkurs (WK) bei Mengennotierung:
–
$ =
$
€
( ) ∙
$
– z.B. nominaler WK = 1,4 $/€, Preisindex US = 110, Preisindex EU=100
$ !""
→
$ = 1,40 € ∙ !!" = 1,27 ⇒reale Aufwertung des $
USProdukte werden teurer
157
Der reale Wechselkurs (II)
• Ist das inländische Preisniveau > ausländische Preisniveau und bleibt der nominale Wechselkurs unverändert dann wertet die heimische Währung real auf
(hier im Beispiel der Dollar) und die heimischen
Produkte verlieren an Wettbewerbsfähigkeit (weil sie
für die Ausländer teurer werden).
• Beachte !!!!
− Auch in einer Währungsunion, in der die nominalen
Wechselkurse absolut fixiert sind, können sich die realen
Austauschverhältnisse verschieben, wenn die Inflation in
einem Land höher ist als in einem anderen.
− Wenn z.B. die Inflation in Italien größer ist als in Deutschland,
dann wertet der „italienische Euro“ gegenüber dem „deutschen
Euro“ real auf. Damit wird es für Italiener günstiger deutsche
Waren zu kaufen.
158
Geldpolitik und Wechselkurs
Hier wird gezeigt, was bei einer Senkung des Zinsniveaus in Genovia auf dem Devisenmarkt
geschieht. Einwohner von Genovia haben weniger Anreize, ihr Erspartes im eigenen Land
anzulegen und verlagern ihr Kapital ins Ausland. Damit verschiebt sich die Angebotskurve an
Genos von S1 zu S2 nach rechts. Zur selben Zeit haben auch Ausländer geringere Anreize,
Kapital nach Genovia zu leiten. So verschiebt sich die Nachfragekurve nach Genos von D1 zu D2
nach links. Der Geno wird abgewertet: Der gleichgewichtige Wechselkurs
sinkt von XR1 auf XR2.
159
159
Feste Wechselkurse
€
$
$
160
Devisenmarktinterventionen bei festen
Wechselkursen
Fällt der Kurs des französischen Franc gegenüber der DM aufgrund eines höheren Angebots an FF
(Verschiebung der Angebotskurve von A nach A’), dann hätte sich das Marktgleichgewicht von Punkt Q auf Punkt
V verschoben. Der Wechselkurs wäre von q auf v gesunken. Die Bundesbank und die Banque de France waren
jedoch verpflichtet, französische Franc solange aufzukaufen (Rechtsverschiebung der Nachfragekurve von N zu
N’), bis der zum Mindestpreis geltende Franc-Angebotsüberschuss abgebaut war und der Kursverfall des Franc
auf eine zulässige Abweichung innerhalb der Bandbreite begrenzt (z.B. Punkt W) wurde.
161
4.2.2. Die Anfänge der europäischen
Währungsintegration (I)
162
4.2.2. Die Anfänge der europäischen
Währungsintegration (II)
• 1969 : Die Staats- und Regierungschefs der EG-Staaten beschließen
in Den Haag, stufenweise eine Wirtschafts- und Währungsunion
(WWU) zu schaffen.
• 1971 : Der Werner-Plan wird verabschiedet. Unter Leitung des
luxemburgischen Ministerpräsident und Finanzminister Pierre Werner
wurde ein Plan zur Realisierung der WWU erarbeitet.
• 1972 : Gründung des Europäischen Währungsverbundes. Die Wechselkurse der Währungen der EWG-Staaten dürfen nur um höchstens
2,25 Prozent nach oben oder unten von den vereinbarten Leitkursen
abweichen ("Währungsschlange").
• 1979 : Ablösung der "Währungsschlange" durch das Europäische
Währungssystem (EWS) und Einführung des ECU als Rechnungsund Währungseinheit.
• 1989 : Verabschiedung des Delors-Plans zur Einführung der
Wirtschafts- und Währungsunion in drei Schritten.
163
4.2.2. Die Anfänge der europäischen
Währungsintegration (I)
• 1992 : Vertrag von Maastricht: Realisierung der WWU bis 1999
• 1994 : In Frankfurt am Main wird das Europäische Währungsinstitut
(EWI) als Vorläufer der Europäischen Zentralbank errichtet.
• 1996 : Der Europäische Rat in Dublin billigt am 13./14. Dezember
einen "Pakt für Stabilität und Wachstum" : Präzisierung und
Verschärfung der Verpflichtung der Euro- Teilnehmerstaaten zu
dauerhafter Stabilität, die bereits im Maastrichter Vertrag geregelt
ist.
• 1998 : Festlegung der teilnehmenden Länder an der gemeinsamen
Währung: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien,
Niederlande, Luxemburg, Österreich, Portugal und Spanien.
• 1999 : Einführung des Euro im bargeldlosen Zahlungsverkehr.
• 2001 : Griechenland wird Mitglied der WWU
• 2002 : Einführung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel und des
Euro-Bargeldes
164
Der Europäische Wechselkursverbund (1972-1976) (I)
• = „Währungsschlange“ oder „Schlange im Tunnel“
• Ziel: Verringerung der Schwankungsbreiten zwischen
den 6 Währungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf ±2,25 %, bei gleichzeitiger Begrenzung der
Schwankungsbreite gegenüber dem US-Dollar auf
ebenfalls ±2,25 % („Währungstunnel“)
• Hintergrund:
• Krise im Bretton-Woods System 1971: USA setzt Konvertibilität
des US-$ gegenüber Gold aus.
• Bretton-Woods-System (1944-1973): Fixierung der Wechselkurse zum US-Dollar auf eine Schwankungsbreite von ± 1 % und
Fixierung des US-$ gegenüber Gold auf 35 $ je Unze
165
Der Europäische Wechselkursverbund (1972-1976) (II)
• Nicht besonders erfolgreich!
– Wiederholte Änderung der Wechselkursrelationen
(Realignment) aufgrund von unterschiedlichen Entwicklungen bei
Preisen, Kosten und Zahlungsbilanzen der einzelnen Mitglieder.
– Italien, Großbritannien und Irland, später auch Frankreich traten
angesichts nachhaltiger monetärer Spannungen aus dem
Verbund aus und gaben den Wechselkurs ihrer Währung auch
gegenüber den Schlangen-Währungen frei.
– Übrig blieb ein Hartwährungsclub: Bundesrepublik
Deutschland, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und
Dänemark.
166
Das Europäische Währungssystem (EWS)
(1979-1998) (I)
• initiiert von Helmut Schmidt und Valéry Giscard
d'Estaing
• Mitgliedsstaaten:
− Zunächst: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland,
Italien, Luxemburg und die Niederlande.
− 1990 Beitritt von Großbritannien und Spanien, 1992 von Portugal
− 1995 Beitritt von Österreich und 1996 von Finnland
− Aber: 1992 Austritt von Großbritannien und Italien aus dem
EWS und Freigabe ihrer Wechselkurse. Italien trat 1997 dem
WKM wieder bei, Griechenland Anfang 1999.
1
167
Das Europäische Währungssystem (EWS)
(1979-1998) (II)
• Ziele:
− Währungsstabilität zwischen den teilnehmenden Ländern zur
Förderung des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr
zwischen den EG-Ländern.
− Förderung der inneren (politischen) Stabilität der
entsprechenden Länder (insbes. Italiens)
− Die stabile Währungszone in Europa sollte sich darüber das
internationale Währungssystem stabilisieren.
1
168
Das Europäische Währungssystem (EWS)
(1979-1998) (III)
• Funktionsweise
− Statt einer Leitwährung, Einführung eines Währungskorbes mit allen
Währungen der teilnehmenden Länder
− Europäische Währungseinheit (ECU) als Bezugsgröße.
Quelle: Schnabel (2009): Lehrbrief Wechselkurse und Währungssysteme
1
169
Das Europäische Währungssystem (EWS)
(1979-1998) (IV)
• Funktionsweise (Fortsetz.)
− Die bilateralen Wechselkurse aller Mitgliedsländer wurden auf
Grundlage eines Paritätengitters festgelegt mit dem ECU als
Bezugsgröße.
− Die zulässige Schwankungsbreite zwischen zwei ESWWährungen betrug bis 1993 +/- 2.25 %, für Italien, GB, Spanien
und Portugal +/- 6 %.
− Überschritt der Wechselkurs diese Bandbreite, so mußten beide
betroffenen Zentralbanken auf dem Devisenmarkt so lange
intervenieren, bis der Kurs wieder innerhalb des Bandes lag.
− War der Kurs durch Interventionen nicht mehr in der Bandbreite
zu halten, so konnte man in einem Realignment neue Leitkurse
fixieren, wovon man zwischen 1979 und 1993 17 Mal Gebrauch
machte.
− Kreditmechanismus zur Finanzierung der
Interventionsverpflichtungen.
1
170
Das Europäische Währungssystem (EWS)
(1979-1998) (V)
• Wirkungen:
− 1979-Anfang 1983: Unruhige frühe Phase
• 7 Wechselkursanpassungen, z.B. Juni 1982: Aufwertung der DM
gegenüber dem frz. Franc um 11 %
• Fortsetzung des Musters der Währungsschlange: Die Währungen
Belgiens/Luxemburgs, Dänemarks, Frankreichs, Italiens und Irlands
standen unter ständigem Abwertungsdruck gegenüber der DM
• Keine Absenkung der Inflation noch Inflationskonvergenz
− 1983-Anfang 1987: Konsolidierungsphase
• Nur 2 Kursanpassungen: Abwertung gegenüber DM und Gulden
• Senkung der durchschnittlichen Inflationsraten von 10 auf 2 % bei
gleichzeitiger Inflationskonvergenz
• EWS-Partnerländer importierten Preisstabilität aus Deutschland,
wo die Bundesbank eine strikte monetaristische Geldmengenpolitik
betrieb.
1
171
Inflationskonvergenz im EWS
1
172
Das Europäische Währungssystem (EWS)
(1979-1998) (VI)
– 1987-1992: Stabilitätsphase
• Keine Anpassungen der Leitkurse
– 1992-1993: Turbulenzen und Quasi-Zerfall
• September 1992 Massive Interventionen zur Stützung der Lira,
später auch des britischen Pfundes gefolgt von der Aussetzung
beider Währungen am EWS
• Juli 1993: Abwertung des französischen und belgischen Francs
sowie der dänischen Krone bis unter den unteren Interventionspunkt
• 1. August 1992: Erweiterung der zulässigen Bandbreite auf +/15 %.
173
Das Europäische Währungssystem (EWS)
(1979-1998) (VII)
– Ursachen für die Krise nach 1992:
• Unzureichende Konvergenz bei der Inflationsbekämpfung,
insbes. in Italien und Spanien
reale Aufwertungen
• Unzureichende Koordination der Geld- und Wirtschaftspolitiken
– Wegen inflationärem Druck im Zuge der Wiedervereinigung
Hochzinspolitik in Deutschland
– Rest Europas war in Rezession und folgte nicht der deutschen
Zinspolitik→ starkes Zinsgefälle →Aufwertungsdruck für DM
– Spekulative Kapitalströme erhöhten Druck auf einige
Währungen, ausgelöst von Zweifeln an der weiteren monetären
Integration wegen Problemen bei der Ratifizierung des
Maastricht-Vertrages (z.B. Ablehnung im Referendum in
Dänemark)
174
Flexible versus feste Wechselkurse
Argumente für flexible
Wechselkurse
Argumente für feste Wechselkurse
Sie verhindern tendenziell die
Festlegung eines „falschen“
(politischen) Wechselkurses.
Sie stabilisieren Erwartungen im
internationalen Handel.
Sie führen automatisch zum Ausgleich
der Zahlungsbilanz.
Sie reduzieren Wechselkosten und
damit Transaktionskosten.
Sie sind ein preispolitischer Puffer
(über Abwertung).
Sie verlangen geringe institutionelle
Anforderungen.
Flexible Wechselkurse können durch
entsprechende Kurssicherungsgeschäfte vergleichsweise
kostengünstig abgesichert werden.
175
Andere aktuelle multinationale Währungsunionen
• Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion:
CFA-Franc BCEAO
• Zentralafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion:
CFA-Franc BEAC
• Ostkaribische Währungsunion: Ostkaribischer Dollar
• Schweiz und Fürstentum Liechtenstein: Schweizer
Franken
176
Frühere Währungsunionen
• Skandinavische Münzunion zwischen Schweden, Dänemark und
Norwegen (1873 bis 1914)
• Lateinische Münzunion zwischen Frankreich, Belgien, Italien, der
Schweiz und Griechenland (1865 bis 1927)
• Union nach dem Wiener Münzvertrag von 1857 zwischen den
Staaten des Deutschen Zollvereins, dem Kaiserreich Österreich
und Liechtenstein.
• Die UEBL (Union Économique Belgo-Luxembourgoise) zwischen
Luxemburg und Belgien (1922 bis 2002)
• Währungsunion nach der deutschen Reichsgründung 1871:
Guldenwährung der süddeutschen Staaten und die Talerwährung
im Norddeutschen Bund durch die neu geschaffene Mark im
Kaiserreich ersetzt.
• Währungsunion der Bundesrepublik mit der DDR 1990.
177
Wer gehört zur Eurozone?
178
4.2.3. Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)
nach dem Vertrag von Maastricht 1992
• Motive:
– Europäische Kommission sah in der Wirtschafts- und Währungsunion einen logische und notwendigen Schritt zur Vollendung
des Binnenmarktes.
• Umfassendere Integration der europäischen Märkte
• Völlige Freiheit für Kapitalbewegungen
– Frankreich, aber auch Italien forderten ein neues monetäres
Arrangement, bei dem sie bei geldpolitischen Entscheidungen
mitsprechen konnten.
• Bei der entstandenen Asymmetrie im EWS (deutsche Dominanz) waren
sie gezwungen, der deutschen Bundesbank zu folgen, deren Geldpolitik
ausschließlich auf Preisstabilität ausgerichteten war.
• Forderung Frankreichs als Bedingung für die Zustimmung zur deutschen
Wiedervereinigung
• Aber: Grundsteine für die Währungsunion wurden schon
1988/ 1989 mit dem Drei-Stufen-Plan von Delors gelegt.
179
Drei Stufen des Delors-Berichts von 1988/89
180
Die Rolle der Deutschen Wiedervereinigung (I)
• Einführung der ersten Stufe der EWWU (völlige Freiheit
des Kapitalverkehrs) war relativ unproblematisch.
• Für die Umsetzung der weiteren Stufen, insbes. einer
Europäischen Zentralbank einschließlich der Festlegung
ihrer Aufgaben sowie der Kriterien und des Zeitablaufs von
der zweiten zur dritten Stufe war eine Reform des EGVertrags notwendig.
• Die Bereitschaft Deutschlands für diese Vertragsreform
kam mit der deutschen Wiedervereinigung 1990.
– Im Rahmen des Zwei-plus-Vier-Vertrags machte vor allem Frankreich die
Zustimmung zur Wiedervereinigung davon abhängig, daß Deutschland der
WWU zustimmt und die DM aufgibt.
– Entgegen französischen Plänen gelang es jedoch die Preisstabilität zur
höchsten Priorität der Europäischen Zentralbank zu erklären und zudem
deren vollständige politische Unabhängigkeit festzuschreiben.
181
Die Rolle der Deutschen Wiedervereinigung (II)
• Der Euro ist nichts anderes als der Preis für die
Wiedervereinigung (Richard v. Weizsäcker, Die Woche,
19.09.1997).
• Die Einführung des Euro ist die Einlösung der
Versprechen, die während des Einigungsprozesses
gemacht wurden (H-D. Genscher, zitiert in: Henkel, 2010, Rettet
unser Geld, S. 59).
• Die deutsche Bundesregierung war jetzt in einer Position,
in der sie praktisch jede französische Europainitiative
akzeptieren mußte (Horst Teltschik, außenpol. Berater von
Helmuth Kohl, 3 Wochen nach dem Fall der Mauer, zitiert in: Vaubel,
The Euro and the German Veto, S. 83).
184
Die Rolle der Deutschen Wiedervereinigung (III)
• Dank der Zurückhaltung Frankreichs im Hinblick auf eine
bedingungslose Wiedervereinigung [Deutschlands] haben
wir eine gemeinsame Währung…Ohne die Zurückhaltung
von Francois Mitterand wäre eine gemeinsame Währung
nicht ins Leben gerufen worden (Jacques Attali, Berater
Mitterands, 1995, zitiert in Bagus, 2011, S. 70).
• Der Präsident wusste 1989 die Gelegenheit am Schopfe
zu packen, um von [dem deutschen Bundeskanzler
Helmut] Kohl eine Zusage zu erhalten…Sechs Monate
später wäre es zu spät gewesen: Kein französischer
Präsident wäre noch in der Lage gewesen, vom
deutschen Bundeskanzler eine Zusage zur Einführung
einer gemeinsamen Währung zu erhalten (Hubert Védrine,
zitiert in Bagus, 2011, S. 70).
185
Krugman, Obstfeld, Melitz: Internationale Wirtschaft © Pearson 2011
Die Maastrichter Konvergenzkriterien (I)
• Preisstabilität:
– Die Inflationsrate darf die durchschnittliche Inflationsrate der
drei preisstabilsten Mitgliedstaaten um nicht mehr als 1,5% übersteigen.
• Zinsniveau:
– Die langfristigen Nominalzinssätze dürfen von den
durchschnittlichen Zinssätzen der drei Mitgliedstaaten mit den
niedrigsten Zinssätzen um nicht mehr als 2% abweichen.
• Haushaltsdefizit:
– Die Haushaltsdefizite der Mitgliedstaaten dürfen 3 % des BIP
nicht übersteigen. Eine geringfügig höheres Defizit ist zulässig,
• Wenn es erheblich und laufend zurückgegangen ist, oder
• Der Referenzwert von 3 % nur ausnahmsweise und vorübergehend
überschritten wird.
187
Die Maastrichter Konvergenzkriterien (II)
• Staatsverschuldung:
– Der staatliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60% des BIP
ausmachen.
• Wechselkursstabilität:
– Die Wechselkurse dürfen in den zwei Vorjahren die zulässige
Wechselkursbandbreite nicht überschritten haben.
• Institutionelle Kriterien:
– Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) und der
nationale Zentralbanken
– Verbot der monetären Finanzierung von Staatsschulden durch
die EZB oder die nationalen Notenbanken
188
Warum gibt es diese Kriterien? (I)
• Wechselkurskriterium
– Wechselkurse müssen sich annähern, da eine Währungsunion
auf der unwiderruflichen Fixierung der Wechselkurse.
– Damit steht die Währungspolitik nicht mehr als Instrument zur
Verfügung, um durch Abwertungen einen Schock abzufedern
und die Wettbewerbsposition zu verbessern.
• Inflationskriterium
– Unterschiedliche Auffassungen in den Mitgliedsländern über die
Bedeutung der Preisniveaustabilität, insbes. zwischen
Deutschland (stabilitätsorientiert) sowie Frankreich und Italien
(Preisniveaustabilität gilt als nachranging gegenüber kurzfristiger
Verringerung der Arbeitslosigkeit).
– Unterschiedliche Preisniveaus würden die Stabilität der
Wechselkurse gefährden.
189
Warum gibt es diese Kriterien? (I)
• Zinskriterium
– Ergibt sich fast automatisch bei Inflations- und Wechselkurskonvergenz, weil die Ursachen für unterschiedliche langfristige
Zinsen erwartete Wechselkursänderungen, unterschiedliche
Inflationsraten und unterschiedliche Bonität von Schuldnern sind.
• Schuldenstand- und Defizitkriterium
– Fiskalpolitik ist nach wie vor in der Kompetenz der Mitgliedsländer → gravierender ordnungspolitischer
Konstruktionsfehler der Währungsunion!
– Die Interessenlage der stabilitätsorientierten Ländern machte
eine fiskalpolitische Mindeststabilität wünschenswert, weil:
• Je höher der Schuldenstand eines Landes ist, umso größer ist der Anreiz
durch Inflation den realen Wert der Staatsschulden zu senken.
• Übermäßiges Schuldenmachen eines Mitgliedslandes erhöht die Kosten und
Risiken in allen anderen Mitgliedsländern (Spillover- oder externe Effekte).
190
Nichtbeistands-Klausel (No-bail-out-Klausel)
• Aufnahme in den Vertrag von Maastricht am 7. Februar
1992 als Art. 104b und Übernahmen als Art. 125 in den
AEU-Vertrag (Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union)
• Inhalt: Ausschluß der Haftung der Europäischen
Union sowie aller Mitgliedstaaten für
Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten!
• Ausnahmen (nach Art. 122 AEU-Vertrag):
– Notsituationen (Versorgungsengpässe)
– Naturkatastrophen und
– andere „außergewöhnliche Ereignisse, die sich der Kontrolle des
Mitgliedstaates entziehen
191
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) von 1997
• Er verpflichtet die Euro-Länder auf Dauer zur
Haushaltsstabilität:
– In wirtschaftlich normalen Zeiten soll ein annähernd ausgeglichener
Staatshaushalt angestrebt werden (Begrenzung der Höhe ihres
jährlichen Haushaltsdefizits auf 3 % ihres BIP)
– Begrenzung der öffentlichen Verschuldung auf 60 % des BIPs
• Sanktionen bei Überschreitung des Haushaltsdefizit 3 %
des BIP
– „Frühwarnung“ („Blauer Brief“) bei drohender Überschreitung der Marke
von 3 % des BIPs.
– Bei Überschreitung Aufforderung an das betroffene Land zur Vorlage
eines Plans zum Abbau des Defizit
– Bei Nicht-Einhaltung des Planes Geldstrafen von 0,2 bis zu 0,5 % des
BIP.
– Wichtig: Über die Sanktionen entscheidet der Ministerrat mit
qualifizierter Mehrheit, wobei das betroffene Land kein Stimmrecht hat.
192
Warum Nichtbeistandsklausel und SWP?
Das Trittbrettfahrerproblem (I)
• Angenommen, ein Land erfährt einen Abschwung in
seiner Wirtschaft.
• Die Regierung plant zur Ankurbelung der Wirtschaft
zusätzliche Staatsausgaben (keynesianische Politik des
deficit spending) und verschuldet sich.
• Wenn die Staatsschulden zu hoch werden, besteht die
Gefahr, dass die Schulden nicht mehr zurückgezahlt
werden.
• Dann verlangen die Finanzmärkte einen Zinsaufschlag.
• In einer Währungsunion führt eine starke Verschuldung
eines Landes zum Anstieg der (langfristigen) Zinsen (für
staatliche Schuldverschreibungen) in der gesamten
Währungsunion.
193
193
Warum Nichtbeistandsklausel und SWP?
Das Trittbrettfahrerproblem (II)
• Was passiert in einer Währungsunion, wenn alle anderen
Länder dem hoch verschuldeten Land beistehen (= Bail
Out)?
– Der Zinsaufschlag für dieses Land entfällt (oder ist geringer als
sonst), während die Zinsen für alle anderen Länder ansteigen.
– Das hoch verschuldete Land nutzt also die Vorteile der Verschuldung und bürdet allen anderen Ländern die Kosten dafür auf.
• Die Mitgliedsländer der EWU haben sich verpflichtet, hoch
verschuldeten Ländern nicht zu helfen, um den Anreiz zur
übermäßigen Verschuldung zu reduzieren (No Bail-Out
Klausel).
• Da das Abkommen aber nicht glaubwürdig ist, wurde der
SWP vereinbart, der Regeln für die Fiskalpolitik aller
Mitglieder der Währungsunion festschreibt.
.
194
Erfüllung der Konvergenzkriterien in der Realität (I)
195
Erfüllung der Konvergenzkriterien in der Realität (II)
• Mehrere Länder verletzten die Obergrenze für ihr
Budgetdefizit, darunter Frankreich und Deutschland
2002 und 2003.
• Diese Länder überredeten die anderen Länder im
Ministerrat, keine Bußgelder zu verhängen.
• 2004 hat die Europäische Kommission unter Einwirkung
von Deutschland, Frankreich, Italien und Griechenland
die Regeln des Pakts abgeschwächt.
• Damit ist das Glaubwürdigkeitsproblem sowie das
Trittbrettfahrer- und Moral Hazard-Problem der
Währungsunion verstärkt worden.
196
Die Beziehung der Nicht-Mitglieder zur Eurozone
• Grundlage ist der Wechselkursmechanismus II (WKM II)
• Mit den EU-Länder, die noch nicht Mitglieder der WWU sind
wird eine Wechselkurs gegenüber dem Euro mit einer
bilateralen Schwankungsbreite von ±15% vor.
• Der WKM II wurde aus folgenden Gründen für notwendig
erachtet:
− Er soll einem Abwertungswettlauf der außen stehenden EUMitglieder gegenüber dem Euro vorbeugen.
− Er soll Anwärtern auf die WWU-Mitgliedschaft eine Möglichkeit
geben, das im Maastricht-Vertrag festgelegte Kriterium der
Wechselkursstabilität zu erfüllen.
1
197
Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB)
EZB + Zentralbanken der EULänder, die den
Euro eingeführt
haben
ESZB umfaßt die
Zentralbanken aller EUMitgliedstaaten und die EZB
198
199
200
201
202
203
204
Unabhängigkeit der EZB
• funktionelle Unabhängigkeit:
– EZB hat alleinige Kompetenz für die Geldpolitik, vornehmlich zur
Sicherung der Preisstabilität (eindeutige Aufgabenbeschreibung)
• personelle Unabhängigkeit:
– Nicht völlig erreichbar, da die Ernennung der ESZB-Mitglieder auf
politischen Grundlagen erfolgt.
– Aber vor weiterem politischen Einfluß sollen die längeren Amtszeiten des Direktoriums (acht Jahre) und die fünfjährige Amtszeit
des EZB Präsidenten bei möglicher Wiederwahl schützen.
• instrumentelle Unabhängigkeit:
– EZB ist frei bei der Wahl der Instrumente um das Ziel der
Sicherung der Preisniveaustabilität durchzusetzen.
– Probleme:
• Wie soll eine gemeinsame Geldpolitik für 25 Länder mit teilweise sehr
unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen aussehen
• Politik kann in der Öffentlichkeit dennoch Druck gegen die EZB erzeugen
205
4.2.4. Ist die Einführung des Euro ökonomisch
vorteilhaft? (II)
• Theorie des optimalen Währungsraumes
– Sucht nach Kriterien, die zeigen, wann es optimal ist,
eine gemeinsame Währung einzuführen.
– „Optimal“ bezieht sich auf die Fähigkeit der einzelnen Länder,
die Kosten der Währungsunion zu begrenzen und
die Vorteile für sich zu nutzen.
(Robert A. Mundell, *1932)
− Zwar profitieren die Wirtschaftssubjekte der beteiligten Staaten
in der Regel von rückläufigen Transaktionskosten (weil die
Umtauschkosten entfallen) und von erhöhter Planungssicherheit bei Investitionen, weil Wechselkurse nicht mehr schwanken.
− Andererseits wird mit dem Verzicht auf eine eigenständige
nationale Geldpolitik die Möglichkeit aufgegeben, gesamtwirtschaftliche Anpassungen an sogenannte asymmetrische
wirtschaftliche Schwierigkeiten über Zins- und Wechselkursveränderungen durchzuführen.
206
4.2.4. Ist die Einführung des Euro ökonomisch
vorteilhaft? (II)
− Verbleibende Anpassungsmechanismen:
• Faktorpreisflexibilität, insbes. Lohnflexibilität (Lohnsenkungen in
Deutschland würden dort die Arbeitslosigkeit reduzieren)
• Faktormobilität:
• Mobilität der Arbeitskräfte (in Deutschland entlassene Arbeiter wandern
nach Frankreich)
• Kapitalmobilität (insbesondere des Finanzkapitals) (Einwohner des
Rezessionslandes könnten auf dem Kapitalmarkt bei Einwohnern des
Aufschwunglandes Kredite aufnehmen).
• Finanztransfers, von prosperierenden zu Krisenländern.
Schlußfolgerung: Währungsunionen eignen sich am besten für
solche Wirtschaftsräume,
• die ein hohes Maß an Faktorpreisflexibilität und Faktormobilität aufweisen
oder ausreichend Finanztransfers leisten können, weil dies die Kosten der
Währungsunion senkt, sowie
• einen hohen Grad an Handelsintegration (Offenheitsgrad) haben, weil sich
dadurch die Vorteile der Währungsunion vergrößern.
2
207
Ist Europa ein optimaler Währungsraum? (I)
•
Handelsintegration
− Krugmann et al. (2011): Nicht tief genug - die meisten EULänder exportieren nur 10% bis 20% ihrer Produktion in andere
EU-Länder.
− Mankiw & Taylor (2011): Der Grad der Handelsintegration ist
unterschiedlich, im Durchschnitt allerdings beachtlich hoch
und hat im Zeitablauf tendenziell zugenommen.
• Finanztransfers
− Gab es bis zur Eurokrise nur in Form des Kohäsionsfonds; EUHaushalt war ansonsten zu gering dafür.
− Problem: Transfers können den Druck zu Reformen und
Schuldenabbau in Krisenländern langfristig mindern.
208
Handelsintegration der EU
2
209
Ist Europa ein optimaler Währungsraum? (II)
•
Flexibilität der Reallöhne
– Sehr gering. Europäische Arbeitsmärkte gehören zu den
rigidesten der Welt, u.a. wegen großer Bedeutung der
Gewerkschaften und Tarifverhandlungen.
– Sehr restriktives Arbeitsrecht, sodass die Kosten für
Entlassungen und Neueinstellungen hoch sind.
•
Mobilität der Arbeitskräfte
–
Sehr gering, nicht zuletzt wegen der Sprachbarrieren
210
Ist Europa ein optimaler Währungsraum? (III)
•
Mobilität des Kapitals
–
Nach der Euro-Einführung ist der Integrationsgrad der großen
Finanzmärkte (auf dem große Finanzintermediäre –
Großbanken und Investmentfonds – und Großunternehmen)
stark angestiegen.
•
•
–
Es entstand ein liquider Euro-Geldmarkt mit einheitlichen Zinssätzen.
Auch im Markt für staatliche Schuldverschrei-bungen ist der
Integrationsgrad hoch.
Der Integrationsgrad der kleinen Finanzmärkte (Geschäftsbanken und Sparkassen) ist dagegen weit geringer.
→ Nationale Bankensektoren sind noch stark voneinander
getrennt.
Europa ist eher kein optimaler Währungsraum!
211
Die Euro-Klage in Deutschland 1998
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7809467.html
12.01.1998
212
Die Argumente der Euro-Kläger 1998 (I)
• Hauptargument: Die wirtschaftliche Entwicklung sowie
die Wirtschafts- und Finanzpolitiken der Mitgliedsländer
sind noch zu unterschiedlich. Damit ist die Stabilität der
neuen Währung nicht gesichert.
– Die Produktivitätsniveaus der Volkswirtschaften in Europa sind
noch immer sehr unterschiedlich, aber auch die Arbeitsmärkte,
Steuer- und Sozialsysteme unterscheiden sich stark.
– Mit dem Wegfall des Wechselkursmechanismus als Pufferinstrument werden diese Unterschiede im Konkurrenzkampf um
Investitionen an Bedeutung gewinnen.
– Unter Berufung auf das Prinzip der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Union, werden die wirtschaftlich schwächeren
Mitgliedstaaten Transferleistungen einfordern. Weil diese nicht
leistbar sein werden, sind Haß und Mißgunst desintegrierend in
den Beziehungen der Völker zu befürchten.
213
Die Argumente der Euro-Kläger 1998 (II)
– Es bestehen Zweifel an der vollständigen Unabhängigkeit
der Europäischen Zentralbank, weil der Einfluß der Länder,
die der Geldwertstabilität keine vorrangige Bedeutung beimessen, groß ist. Grund: Im EZB-Rat hat jedes Mitgliedsland nur
einer Stimme.
– Nicht zuletzt aufgrund des Trittbrettfahrerproblems bestehen
Zweifel an der fiskalpolitischen Disziplin aller Mitgliedsländer.
– Hohe Haushaltsdefizite und Verschuldung einiger Mitgliedsländern sowie der steigende Bedarf nach Finanzhilfen ärmerer
Länder führten dann zu einem Druck auf die Zentralbank,
diesen Finanzbedarf zu decken.
– Damit kommt es zwangsläufig zu einer Geldmengenaus-weitung
und einem schwachen Euro
214
Die Argumente der Euro-Kläger 1998 (III)
• Die Kläger befürworten die sogenannte Krönungstheorie,
nach der eine Währungsunion nur dann sinnvoll ist,
wenn die Stabilitätsbedingungen im Inneren dauerhaft
und glaubwürdig abgesichert sind. Dazu müssen
zunächst die Wirtschafts- und Finanzpolitik in den EUStaaten vereinheitlicht werden. Erst dann kann quasi als
„Krönung“ eine gemeinsame Währung eingeführt
werden.
• Demgegenüber argumentieren Anhänger der Grundsteintheorie (oder auch Lokomotivtheorie), daß die Einführung einer Gemeinschaftswährung möglichst früh im
Integrationsprozeß erfolgen sollte, weil dies die weiteren
Integrations- und Konvergenzbemühungen der
Mitgliedsstaaten beflügeln würde.
215
Vierzig unvorgreifliche Erkundigungen
- Auszüge (I)
Hans Magnus Enzensberger in „Tatort Euro“
• Worum handelt es sich, wenn eine intelligente Frau in hoher
Position behauptet: »Wenn der Euro scheitert, scheitert
Europa«?
1. Um eine Drohung?
2. Um eine Schutzbehauptung?
3. Oder um eine Dummheit?
4. Haben Sie den Eindruck, dass unser Kontinent nach wie vor
existiert, obwohl im Lauf der letzten 2000 Jahre schon viele
Währungen, so das Talent, der Denar, der Gulden, die Lira, das
Lepton und die Reichsmark untergegangen sind?
5. Wissen Sie, wer das Stummelwort Euro erfunden hat, das vor
dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts niemand in den Mund
nahm?
216
Vierzig unvorgreifliche Erkundigungen
- Auszüge (II)
6. Ist Ihnen in den letzten Jahren mitgeteilt worden, dass die
Entscheidungen dieser Institutionen »alternativlos«
sind?
7. Sind Obdachlose, Fixer, Lohnempfänger oder Rentner
nicht ebenso berechtigt, Finanzbedarf »anzumelden«,
wie etwa Mitglieder der Eurogruppe, Bankvorstände und
Fernsehintendanten?
8. Kennen Sie die Namen und die genaue Adresse der
»Märkte«, die den Eurorettern vorschreiben, was sie zu
tun haben?
9. Muss die Küstenwacht prüfen, ob Passagiere in Seenot
»systemrelevant« sind, bevor sie gerettet werden
dürfen?
217
Vierzig unvorgreifliche Erkundigungen
- Auszüge (III)
10. Sind Sie in der Lage, Akronyme wie EZB, EFSF, ESM,
EBA und IMF zu entziffern?
11. Vermuten Sie, dass die meisten europäischen Länder seit
geraumer Zeit nicht mehr von demokratisch legitimierten
Instanzen, sondern von diesen Abkürzungen regiert werden?
12. Haben Sie diese Einrichtungen gewählt?
12. Ist Ihnen in der letzten Zeit der Fachausdruck «finanzielle
Repression» begegnet? Falls ja, sind damit gemeint:
13.
14.
15.
16.
17.
18.
Rentenkürzungen?
Steuererhöhungen?
Schuldenschnitte?
Zwangsabgaben?
Inflation?
Währungsreformen?
218
Vierzig unvorgreifliche Erkundigungen
- Auszüge (IV)
• Was bedeutet der Ausdruck «quantitative Lockerung»?
19. Eine Yoga-Übung?
20. Die Beschleunigung der Notenpresse?
21. Können Sie sich mit der blühenden Metaphorik der EuroRetter anfreunden, oder kommt sie Ihnen martialisch,
konfus oder gar lächerlich vor? Sind Sie in der Lage,
zwischen Schirmen, Hebeln, Bazookas, Dicken
Berthas, Brandmauern und Hilfspaketen punktgenau zu
unterscheiden?
219
Vierzig unvorgreifliche Erkundigungen
- Auszüge (V)
• Stimmen Sie den folgenden Ansichten zu:
22. »Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten
einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei
gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was
da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt,
bis es kein Zurück mehr gibt.« (Jean-Claude Juncker, Vorsitzender
der Eurogruppe, 1999)
23. »Politiker sind wie schlechte Reiter, die so stark damit beschäftigt
sind, sich im Sattel zu halten, daß sie sich nicht mehr darum
kümmern können, in welche Richtung sie reiten.« (Joseph A.
Schumpeter, 1944)
220
Vierzig unvorgreifliche Erkundigungen
- Auszüge (VI)
23. Hat der Verfassungsrechtler Gusy aus Bielefeld recht,
wenn er sagt: „Wo ein Trog ist, sammeln sich Schweine“?
24. Wenn sich herausstellt, dass die Einführung einer neuen
Papierwährung statt zur Integration Europas zu seiner
Spaltung, und wenn sie statt zur Verständigung zu Hass
und gegenseitigem Ressentiment geführt hat, wäre es da
angezeigt, diese Position zu räumen, statt nach dem Motto
«Augen zu und durch» zu verfahren?
25. Oder ist das undenkbar, weil es eine narzisstische Kränkung der verantwortlichen Politiker bedeuten würde?
26. Verstehen Sie, warum die Europa-Politiker mit den
Römischen Verträgen und dem Traktat von Maastricht so
umgehen, als hätten sie diese Papiere nie unterschrieben?
221
4.2.5. Eurokrise
• Wesen der Eurokrise
– Sie ist im Kern eine Staatsschulden- bzw. -finanzierungskrise.
– Allerdings gibt es Verbindungen zu zwei weiteren Krisen:
• US-Bankenkrise/Transatlantische Bankenkrise 2008/09: Staat
rettete Banken → Erhöhung der Schuldenquote
(Staatsschuld/Bruttoinlandsprodukt)
• Rezession in UK und Eurozone (nur gering in Deutschland) im
Gefolge der globalen Finanzkrise.
– Man spricht deshalb auch einer dreifachen Krise (Welfens 2012).
– Allerdings dürften die eigentlichen Ursache der Eurokrise in den
Konstruktionsfehlern der Währungsunion liegen:
• Zu große Unterschiedliche in der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der
Wirtschafts- und Finanzpolitiken der Mitgliedsländer.
• Trittbrettfahrerproblem bei dezentralisierter, nationaler Finanzpolitiken
wegen fehlender Glaubwürdigkeit der No-Bail-Out-Klausel und fehlender
Sanktionierung der Verletzung der Konvergenzkriterien.
222
Die dreifache Krise
Schaubild 20
Teufelskreis der Banken-, Staatsschulden- und makroökonomischen Krise1)
Wirtschaftlicher Abschwung führt zu Kreditausfällen
Makroökonomische
Krise
Wegbrechende Kreditvergabe an Unternehmen
vermindert Investitionen
Bankenkrise
Bankenrettung durch den
Staat verschlechtert die
Finanzsituation der
öffentlichen Haushalte
Wegbrechende Steuereinnahmen und steigende
Transfers belasten die
öffentliche Haushalte
Unvermeidliche staatliche
Konsolidierung schwächt
die Binnennachfrage
Kursverluste bei Staatsanleihen
verschlechtern die Bilanz- und
Kapitalposition der Banken
Staatsschuldenkrise
1) Darstellung in Anlehnung an Shambaugh (2012).
© Sachverständigenrat
223
Der Weg in die Krise (I)
• Mit der Währungsunion erhöht sich die Möglichkeiten zur
Verschuldung und macht diese billiger, weil:
– das Wechselkursrisiko entfällt;
– aufgrund des Ansehens der nach dem Vorbild der deutschen
Bundesbank gestalteten EZB die Inflationserwartungen und damit
die Zinsen sanken („Eurodividende“),
– die Risikoprämie für den Zahlungsausfall entfällt, da die Kapitalmärkte nicht davon ausgehen, daß die Union ein Mitgliedstaat
pleite gehen lassen wird.
• Tatsächlich sanken die Realzinsen, insbesondere in den
Ländern der Peripherie der Währungsunion, die bislang
keine besonders soliden Finanzen hatten und/oder eine
geringere wirtschaftliche Entwicklung aufwiesen
rekordverdächtig auf deutsches Niveau → Die
Möglichkeiten, sich zu verschulden, steigen dramatisch.
224
Realzinsen in der Eurozone
225
225
Schaubild 22
Renditen 10-jähriger Staatsanleihen sowie geschätzter marginaler Einfluss
auf den Schuldenstand
Renditen 10-jähriger Staatsanleihen für ausgewählte
Länder des Euro-Raums1)
Frankreich
Deutschland
Irland
Italien
Portugal
Griechenland3)
Spanien
Geschätzter marginaler Effekt des Schuldenstands
auf den Risikoaufschlag gegenüber Deutschland2)
95%-Konfidenzbereich
% p.a.
60
18
16
50
14
40
12
10
30
8
20
6
10
4
0
2
0
95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
1) Quelle: Thomson Financial Datastream.– 2) Schätzergebnisse für den Euro-Raum (ohne Luxemburg) entsprechend der Methodik von
Bernoth und Erdogan (2012). Ein Anstieg der Schuldenstandsquote um einen Prozentpunkt führt zu einer Erhöhung der Risikoprämie um x
Basispunkte. Die Schätzung enthält als weitere erklärende Variablen die Differenz des für das Folgejahr erwarteten Haushaltsdefizits zu
Deutschland (OECD Economic Outlook) und ein Maß für die allgemeine Risikoaversion (Renditedifferenz US-amerikanischer Unternehmensanleihen mit Baa-Rating zu US-amerikanischen Staatsanleihen).– 3) Vom 05.09.2011 bis 12.10.2012 dauerhaft über 18 % p.a.; zur
besseren Lesbarkeit werden die Werte für diesen Zeitraum nicht dargestellt.
© Sachverständigenrat
-10
Quelle:http://www.crp-infotec.de/02euro/finanzen/grafs/schulden_full_eurozone.gif
227
Quelle:http://www.crp-infotec.de/02euro/finanzen/grafs/schulden_entw_eurozone.gif
228
Quelle: http://www.crp-infotec.de/02euro/finanzen/grafs/schulden_vgl_euro_eu27.gif
229
Der Weg in die Krise (II)
• Infolge der sinkenden Realzinsen war Kredit so billig wie
nie. Die Folgen waren:
–
–
–
–
Bau- und Immobilienboom, vor allem in Spanien und Irland
inländischer Konsum steigt; Inflation steigt
steigende Löhne
Importe steigen, auch wegen der stabileren Währung, aber
Exporte werden zu teuer; Handelsbilanzdefizit als Folge
– steigende Staatsverschuldung (vor allem in Griechenland); vor
allem gegenüber dem Ausland (Euro-Banken);
– Verwendung der Schulden für Konsum; nicht für Investitionen
• Im Zuge der globalen Finanzkrise verschuldeten sich die
Länder zur Rettung ihrer Banken und der Konjunktur
noch mehr.
230
Der Weg in die Krise (III)
• Ende 2009 kündigte die griechische Regierung an, daß
ihr Haushaltsdefizit statt der ursprünglich gemeldeten 3,7
% 12,7 % des BIP beträgt.
• Reaktion der Kapitalmärkte:
– Herabstufung des Rating griechischer Staatsanleihen
– Zinsanstieg
Zinsen wurden wieder differenziert nach
Ausfallrisiko
• Höhere Zinsen für Auslandschulden verschärften die
Schuldenkrise der Griechen, weil sie immer mehr
Einnahmen zur Zinszahlung aufbringen mußten.
231
Rettungsmaßnahmen
• Bail-out
– Rettungsschirme: EFSM, ESFS, ESM
– Monetäres Bail-out: quantitative Easing
• Fiskal- und Transferunion:
– Europäisches Semester (= feste zeitliche Abfolge von 6 Monaten
zur frühzeitigen Überprüfung der nationalen Haushalts- und
Reformentwürfe zwecks Sicherung der nationalen
Haushaltsdisziplin und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft)
– Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts
– Koordination der Wirtschaftspolitik
– Euro-Bonds
232
Übersicht über die aktuellen Rettungsmaßnahmen
233
Liqiuditätshilfen des EFSF und ESM im Vergleich
234
Euro-Klagen 2012 (I)
Alle Klagen richten sich gegen
• Fiskalpakt und
• Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)
Kläger
Argumente
Fraktion „Die Linke“
• Sozial- und Demokratieabbau
• Milliardenrisiken des ESM und
Sparvorgaben des Fiskalpaktes
berauben den Bundestag seiner
Haushaltsrechte
Verein „Mehr Demokratie“
Herta Däubler-Gmelin (SPD)
• weitreichende Eingriffsrechte der
EU-Institutionen gegenüber
Mitgliedsstaaten ohne
demokratische Legitimation .
• massiver Eingriff in das
Budgetrecht des Bundestags.
237
Euro-Klagen 2012 (II)
Kläger
Argumente
Peter Gauweiler (CSU)
• Klage nur gegen den ESM
• Aufhebung des „Bail-out-Verbot“
• Eine demokratisch nicht legitimierte
Organisation bestimme über die
Verwendung deutsche Steuergelder
Freie Wähler & die Gruppe um Karl
Albrecht Schachtschneider (EuroKläger von 1998)
• Das Prinzip der Haftung für die
eigenen Schulden werde außer
Kraft gesetzt.
Wilhelm Hankel,
Wilhelm Nölling,
Joachim Starbatty
Bürgerklagen
Einzelheiten nicht bekannt
238
Euro-Klagen 2012 (III)
• 18.03.2014 Bundesverfassungsgericht weist alle
Verfassungsbeschwerden gegen den ESM endgültig ab.
• Bereits im Herbst 2012 hatte das Verfassungsgericht
schon in einer Eilentscheidung grundsätzliches den ESM
als nicht verfassungswidrig bezeichnet, dabei allerdings
Auflagen gestellt.
– Erhöhung der deutschen Haftungsobergrenze von 190 Mrd. €o nur
mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundestags
– umfassende Unterrichtung der Abgeordneten über alle
Maßnahmen im Zusammenhang des ESM.
239
Euro-Klagen 2012 (III)
• Offen sind noch Beschwerden über die EuroRettungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).
– unbegrenzte Kauf von Staatsanleihen durch die EZB sei nicht
mit EU-Recht vereinbar
– Das Verfassungsgericht hat diese Fragestellung mittlerweile
dem Europäischen Gerichtshof zur endgültigen Entscheidung
vorgelegt.
– Urteil wahrscheinlich 2015
240
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