Neue Zürcher Zeitung Im Namen der Rose

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Walt Disney Concert Hall
135 North Grand Avenue
90012 Los Angeles, Vereinigte Staaten von
Amerika
Im Namen der Rose
Eröffnung der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles
SAMMLUNG
Neue Zürcher Zeitung
ARCHITEKTIN
Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue,
von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte
Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich
gelungen.
Frank O. Gehry
FUNKTION
Theater und Konzert
BAUENDE
2003
von Peter Hagmann
I did it. Stellte mich mitten auf die Champs- Elysées, blickte in die Strassenschlucht und
liess die Wolkenkratzer wirken. Natürlich nicht auf die wirklichen Champs-Elysées, sondern
ihr Abbild in der Neuen Welt, die Grand Avenue in Downtown Los Angeles, die aus
gegebenem Anlass gesperrt und autofrei war. Der Anlass: die Eröffnung der neuen Walt
Disney Concert Hall des Architekten Frank Gehry und des Akustikers Yasuhisa Toyota, die
mit drei Konzerten, einer Ausstellung zum Werk des Architekten, mit Empfängen und
Feuerwerk begangen wurde. Das Kulturzentrum auf dem Bunker Hill mit dem Dorothy
Chandler Pavilion, in dem die Los Angeles Opera jetzt allein residiert, und den beiden
anderen Theatern des Music Center, mit dem Museum of Contemporary Art und der
privaten Colburn School of Performing Arts hat durch den Konzertsaal eine kräftige
Aufwertung erfahren. Ob die Grand Avenue damit ihrem Vorbild näher kommen und die
Riesenstadt in Kalifornien ein Wahrzeichen jenseits von Hollywood erhalten wird, muss die
Zukunft weisen.
Der Haupteingang mit seiner Treppe aus Travertin nimmt sich schon einmal
vergleichsweise bescheiden aus - aber das hat auch damit zu tun, dass der eigentliche
Eingang dort liegt, wo es zu den Parkplätzen geht. In dieser so sehr in die Breite
gestreuten Stadt, in der es nur wenig öffentlichen Verkehr gibt, bewegt man sich mit dem
Privatauto, und so hat die Regionalverwaltung, die das Grundstück zur Verfügung gestellt
hat, eine sechsstöckige Tiefgarage gebaut, die ebenso viele Plätze aufweist wie der
Konzertsaal. In den hellen, weiten Foyers, denen sich zahlreiche Nebenräume für
Einführungsveranstaltungen und private Versammlungen anschliessen, fallen die
gekurvten Holzelemente auf, die wie riesige Rispen in die Höhe streben. Der Weg an den
Platz führt an einer Wand aus Filz vorbei, an der die Namen unzähliger Gönner aufgeführt
sind; tatsächlich sind die 274 Millionen Dollar für den Bau des neuen Konzertsaals voll und
ganz von privater Seite aufgebracht worden - eine Bürgerinitiative der besonderen Art.
Runde Formen dominieren auch den Konzertsaal. Von Anfang an hatte die Berliner
Philharmonie von Hans Scharoun als Vorbild gegolten. Der Akustiker Yasuhisa Toyota
vom Büro Nagata in Tokio hatte dem entgegengehalten, dass die parallelen Wände der
Schuhschachtel, die etwa dem Goldenen Saal im Wiener Musikverein zugrunde liegt, der
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Walt Disney Concert Hall
Klangentfaltung im Saal dienlicher seien. Weshalb Gehry einen Mittelweg gewählt hat. Im
Grundriss geht die Disney Hall von einem Rechteck aus, doch präsentiert sie sich nicht in
italienischer Anordnung mit dem Podium vorne und den Sitzreihen dahinter; die Plätze sind
vielmehr wie in der Berliner Philharmonie in steil ansteigenden Gruppen
zusammengefasst, die, den Terrassen eines Weinbergs gleich, um das Podium verteilt
sind. Eine Art Arena also - und die weiche Rundung bestimmt auch die durchwegs in Holz
gehaltenen Verkleidungen der Wände und der Decke. Selbst bei der Orgel hat Gehry das
stramme Nebeneinander der Pfeifen zu vermeiden gesucht - und deshalb den Prospekt als
einen etwas durcheinander geratenen Blumenstrauss entworfen, hinter den die deutsche
Firma Glatter-Götz das (noch nicht fertig intonierte) Instrument gebaut hat.
Hinter dem Raumkonzept steht die Überzeugung, dass das Konzert seine Attraktion vorab
aus dem Live-Charakter und dem gemeinschaftlichen Erleben gewinnt - in einer
Medien-Stadt wie Los Angeles mag das besonders ins Gewicht fallen. Trotz der relativ
hohen Zahl von 2226 Plätzen sollte das Gefühl der Intimität und der direkten Wirkung
erhalten bleiben. Der Blick aufs Podium wie in den Kreis der Zuhörerschaft sollte von allen
Plätzen aus gewährleistet sein; und der Klang sollte so unmittelbar aufs Ohr treffen, dass
sich der Zuhörer involviert, ja körperlich angesprochen fühlt. Das ist alles eindrücklich
gelungen. Der mit floralen Mustern dekorierte, bunte Bezug der Sitze ist
gewöhnungsbedürftig, aber optisch wirkt der übrigens durch Tageslicht erhellte Saal in
keiner Weise monumental. Und die Akustik, die sich ja nicht bis ins Letzte errechnen lässt,
gehört zum Besten in diesem Bereich. Wie im Luzerner Konzertsaal von Jean Nouvel und
Russell Johnson sind die musikalischen Abläufe bis in die Einzelheiten zu verfolgen, doch
anders als bei diesem eigentlichen Gegenstück strahlt der Klang Fülle, Wärme und direkt
einwirkende Kraft aus - wie in dem ebenfalls vom Büro Nagata gestalteten Kitara-Saal im
japanischen Sapporo.
Wenn sich die Disney Hall als konventioneller Konzertsaal mit fester Bestuhlung und nur
wenig modifizierbarer Akustik versteht, so herrscht hier doch ausgeprägt der Geist der
Gegenwart. Das ist dem Los Angeles Philharmonic und Esa-Pekka Salonen, seinem
Chefdirigenten, zu verdanken. Seit Jahren liegt in den Programmen der Akzent auf der
Musik des 20. und 21. Jahrhunderts - was sich auch in den drei Eröffnungskonzerten
niedergeschlagen hat. «Sonic LA» nannte sich das erste, und es führte von der kleinsten
Besetzung mit der Sängerin Diane Reeves, welche die amerikanische Nationalhymne solo
vortrug, über die Raumwirkungen in «The Unanswered Question» von Charles Ives zur
Grossformation von Igor Strawinskys «Sacre du printemps» - der in einem Saal mit dem
Namen Walt Disneys natürlich nicht fehlen durfte.
Am zweiten Abend, «Living LA», stellte Salonen mit den «LA Variations» ein eigenes Stück
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vor und gab es das Cellokonzert von Witold Lutosawski mit dem blendend aufgelegten YoYo Ma sowie eine gewiss anregend ausgedachte, aber für europäische Ohren fragwürdige
Uraufführung von John Adams. Bis hin zu der Filmmusik von «Soundstage LA» am dritten
Abend bewährte sich das Los Angeles Philharmonic, das anders als die amerikanischen
Orchester auf einem gestuften Podium auftritt, als ein Klangkörper von hoher Qualität;
jetzt, da es nicht mehr im 3000 Plätze fassenden Opernhaus des Dorothy Chandler
Pavilion, sondern im eigenen Saal auftreten kann, eröffnen sich ihm bemerkenswerte
Perspektiven.
Wer mochte, konnte in der Pause den erhöhten Park aufsuchen, der, auf zwei Seiten des
Gebäudes, über den Büros sowie den grosszügigen Garderoben, Üb- und
Aufenthaltsräumen angelegt ist. Auch hier südlich helle Bodenplatten und schon grosse
Bäume, die so ausgewählt seien, dass sich je nach Jahreszeit eine andere Blütenpracht
einstellt. Da begegnet man dem kleinen Einfamilienhaus, das Gehry für Esa-Pekka
Salonen und die Gastdirigenten entworfen hat, und der separaten Lounge für die
besonders zahlungskräftigen Donatoren, die nicht mit dem matten Edelstahl des
Hauptgebäudes, sondern mit dessen glänzender Ausführung eingefasst ist. Und man kann
jenen Brunnen aufsuchen, den Gehry in Form einer grossen Rose gestaltet hat; Liliane
Disney, die Witwe von Walt Disney, die zusammen mit ihrer Familie ein gutes Drittel der
Baukosten getragen hat, sei eine Liebhaberin von Blumen, insbesondere von Rosen
gewesen. Ein Idyll ist das hier - gut abgeschirmt von der Armut, die wenige Schritte weiter,
in dem ganz und gar mexikanisch geprägten Teil der Innenstadt herrscht.
Neue Zürcher Zeitung, 28.10.2003
WEITERE TEXTE
Stadtwerdung einer Metropole, Roman Hollenstein, Neue Zürcher Zeitung, 07.11.2003
Wogende Wände, Roman Hollenstein, Neue Zürcher Zeitung, 07.11.2003
Stahlplatten-Wirbelwind, Manuel Brug, Die Welt, 27.10.2003
Fun aus dem Edelstahlbad, Jörg Häntzschel, Süddeutsche Zeitung, 24.10.2003
Eruption aus Edelstahl, Jörg Häntzschel, Süddeutsche Zeitung, 19.05.2003
Eine Rose für das kalte Herz, Claus Spahn, Die Zeit, 06.11.2003
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