Fast normal Programmheft

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FAS T N O R M A L
Von Tom Kitt und Brian Yorkey
FAS T NOR M A L
Musik von Tom Kitt
Buch und Gesangstexte von Brian Yorkey
D E U T S C H VO N Titus Hoffmann
O R I G I N A L -B R OA DWAY P R O D U K T I O N VO N DAV I D S T O N E , J A M E S L . N E D E R L A N D , B A R B A R A W H I T M A N ,
PAT R I C K C AT U L L O A N D S E C O N D S TAG E T H E AT R E
DI A NA
DA N GA BE
N ATA L I E H E N RY
DR . F I N E / DR . M A DDE N
Carolin Fortenbacher
Robin Brosch
Elias Krischke
Alice Hanimyan
Jan Rogler
Tim Grobe
PI A NO
G I TA R R E V IOL I N E , SY N T H E SI Z E R
BA S S
S C H L AG Z E U G , P E R C U S S I O N Matthias Stötzel/Mathias Weibrich
Henrik Kolenda/Sönke Rust
Dana Anka
Lars Hansen
Helge Teschner
R EGI E
AU S S TAT T U N G M USI K A L ISCH E L EI T U NG
E I N S T U D I E RU N G , 2 . M U S I K A L I S C H E L E I T U N G D R A M AT U R G I E R EGI E A S SIST E NZ
AU S S TAT T U N G S A S S I S T E N Z R E G I E H O S P I TA N Z Harald Weiler
Lars Peter
Matthias Stötzel
Mathias Weibrich
Anja Del Caro
Jonas Werminghausen
Nele Richter
Celine Fortenbacher-Poplawska, Alexandra Hilpert,
Natascha Weigang
L ICH T
TON
Gerald Timmann
Matthias Koehl
T ECH N ISCH E L EI T U NG
PRODU K T IONSL EI T U NG
BÜ H N E N M EIST ER
R EQU ISI T E
M A SK E
S T E L LW E R K L I C H T S T E L LW E R K T O N B Ü H N E N B AU I NSPI Z I E NZ
S T E L LW E R K KO S T Ü M W E R K S TAT T A N K L E I DE R I N N E N
Steffen Rottenkolber
Sandra Eßmann
Martin Piemeyer
Anika Kopka, Daniela Dalvai
Biljana Ristić-Hippler und Maskenteam Kammerspiele
Maik Merkel, Ralf Strobel
Jan Mark Behrens, Matthias Koehl
Thorsten Förster, Steffi Müller, Dobrin Tomov, Conny Winter
Anika Kopka
Maik Merkel, Ralf Strobel
Britta Broers, Laura Loehning
Joke Kühnert, Diana Möller, Feline Reisberg
*P R E M I E R E A M 4 . S E P T E M B E R 2 016 I N D E N H A M B U R G E R K A M M E R S P I E L E N
AU F F Ü H RU N G S R E C H T E : Musik und Bühne Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden
AU F F Ü H RU N G S DAU E R : ca. 2 Stunden, 15 Minuten inkl. Pause
Die Premiere in New York wurde produziert vom Second Stage Theatre, New York, im Februar 2008,
Carole Rothmann, A R T I S T I C D I R E C T O R Ellen Richard, E X E C U T I V E D I R E C T O R .
N E X T T O N O R M A L wurde anschließend im November 2008 von Arena Stage produziert.
Entwickelt am Village Theatre, Issaquah, WA
(Rob Hunt, E X E C U T I V E P R O D U C E R , Steve Tomkins A R T I S T I C D I R E C T O R ).
Eine frühere Version wurde 2005 beim New York Musical Theater Festival produziert.
Die Entwicklung von N E X T T O N O R M A L wurde durch die Jonathan Larson Foundation unterstützt.
TOM K I T T – MU S I K
FA S T N O R M A L (N E X T T O N O R M A L )
Der US-amerikanische Komponist, geboren
1974 in Oceanside, New York, arbeitet seit 2002
als Dirigent und Arrangeur am Broadway und
komponierte darüber hinaus u. a. die Musicals
High Fidelity und Bring it on sowie die Musik
für die New Yorker Public Theatre in the ParkProduktion von Das Wintermärchen. Außerdem
kreiert er Kompositionen für Fernsehserien und
Musiker, wie Greenday, und ist Gründer und
Pianist der Tom Kitt Band. Zusammen mit
Brian Yorkey erarbeitete er Bühnenstücke wie
If/Then und In your eyes. 2010 erhielten beide
den Pulitzer Preis 2010 für Drama sowie den
Tony Award 2009 für die Beste Musik für Fast
normal – Next to normal. 2014 wurde Tom Kitt
der Emmy Award für seine Komposition Bigger,
Neil Patrick Harris' Eröffnungsnummer der
Tony Award Zeremonie 2013, verliehen.
B R I A N YO R K E Y –
BUCH & GESANGSTEX TE
FA S T N O R M A L (N E X T T O N O R M A L )
Der US-amerikanische Autor, geboren 1970
in Omaha, Nebraska, nahm mit Tom Kitt am
berühmten BMI Lehman Engel Musical Theater
Workshop in New York City teil. Er schreibt
und entwickelt TV-Serien und Drehbücher u.a.
für Universal und Warner Brothers und hat
Musicals, wie Funny Pages (1993), Making Tracks
(2002), The Wedding Banquet (2003) oder Play
it by Heart (2005) kreiert. Mit Sting erarbeitete
er ein Musiktheaterstück, das auf dem Album
The Soul Cages des britischen Musikers aufbaut.
Für Fast normal – Next to normal erhielt Yorkey
zusammen mit Tom Kitt den Pulitzer Preis 2010
für Drama und den Tony Award 2009 für die
beste Musik. Ende 2016 ist mit dem Musical
Freaky Friday die Weltpremiere einer erneuten
Zusammenarbeit der beiden geplant. Auch eine
Musical-Adaptation des US-Films Magic Mike
ist für 2016/17 angekündigt.
T I T U S H O F FM A N N – Ü B E R S E T Z E R
FA S T N O R M A L (N E X T T O N O R M A L )
Titus Hoffmann studierte an der Guildford
School of Acting in London Schauspiel, Tanz
und Gesang und war zehn Jahre als freischaffender Schauspieler in ganz Europa unterwegs.
Als Resident und Associate Director und
Übersetzer zeichnete er 2008 verantwortlich
für die deutsche Produktion von The Producers
im Wiener Ronacher und Berliner Admiralspalast. Zudem ist er maßgeblich an den Dauerbrennern Heiße Zeiten – Die Wechseljahre-Revue
und Wir sind mal kurz weg – eine musikalische
Midlife-Crisis beteiligt. Seit 2012 spielt seine
feinsinnige Tragikomödie Pu Pu Pidu um
Stilikone Marylin Monroe am Stadttheater
Gießen. Im Oktober 2015 Jahres übersetzte er
das Broadway Musical Next to normal und
inszenierte dessen Deutschsprachige Erstaufführung am Stadttheater Fürth.
FA S T N O R M A L – N E X T T O N O R M A L K L E I N E AU F F Ü H R U N G S G E S C H I C H T E
Im Oktober 2013 fand die Deutschsprachige
Erstaufführung am Stadttheater Fürth statt.
Diese Produktion gastierte auch in der
Wiener Stadthalle. 2014 brachte das Theater
für Niedersachsen Fast normal in Hildesheim
heraus. Im gleichen Jahr fand die Österreichische
Erstaufführung am Landestheater Linz statt.
2015 produzierte das Renaissance Theater in
Berlin Fast normal. Von Berlin aus gastierte
diese Produktion in München am Deutschen
Theater. Ebenfalls 2015 spielte es das Stadttheater
Lüneburg. 2016 lief Fast normal am Opernhaus
in Dortmund.
I N T E RV I E W MI T H A R A LD W E I LE R
ZU FAS T NOR M A L
Was war dein erster Eindruck beim Lesen
des Stückes/Librettos?
Das ist ein Geschenk! So eine aufregende Musik;
eine sehr spannende Geschichte mit einem für
ein Musical sehr untypischen Ende.
Und beim Hören der Musik?
Die Musik hat wirklich alles, was ein gutes
Musical braucht. Sehr emotionale Songs und
auch immer wieder sehr rockige Nummern.
Die Musik macht etwas mit dem Zuschauer und
treibt die Geschichte sehr voran. Vielleicht kann
man sagen, dass sie einen sogar verführt.
Worin unterscheidet sich für dich Fast normal
von anderen dir bekannten Musicals?
Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich, mit
wenigen Ausnahmen, bis jetzt einen eher
spärlichen Umgang mit dem Genre Musical
hatte. Die Musicals, die ich gesehen hatte, waren
alle laut, bunt, viele Kostüme, große Bühne mit
vielen Effekten – eher eine Show als ein Theaterstück. Als mir die Regie für Fast normal
angeboten wurde, war ich natürlich sehr gespannt
auf das Stück. Beim Lesen war ich ziemlich
schnell begeistert. Alle Figuren haben eine
Tiefe. Sie gehen einen wirklich an. Ein Musical
zu schreiben, dessen Hauptfigur eine Bipolare
Störung hat, ist ungewöhnlich und sehr mutig.
Trotz dieser scheinbaren Schwere können wir
erstaunlich leicht und manchmal fast humorvoll
damit umgehen.
Durch die Krankheit der Hauptfigur Diana
wird die Ehe mit ihrem Mann Dan auf eine
harte Probe gestellt.
Ja, das stimmt. Und dennoch gibt es sogar darin,
selbst in den akuten Phasen von Dianas Krankheit, große Momente der Zusammengehörigkeit
und Vertrautheit. Das Paar kämpft wirklich um
die Beziehung, um den Erhalt der Familie. Und
das möchten wir auch zeigen.
Die Tochter Natalie steckt mitten in der
Pubertät und fühlt sich von ihrer Mutter oft
nicht gesehen, wie unsichtbar.
Diana ist durch den sehr frühen Tod ihres
Sohnes Gabe stark traumatisiert. Gabe wächst
quasi in Dianas Kopf und in ihrem Herzen im
Familienverbund mit heran. Diana lebt und
kommuniziert weiterhin mit ihm – das geht auf
Kosten von Natalie. Das Schöne ist, dass diese
Situationen und Konflikte bei aller Tiefe fast
mit Humor gezeichnet sind. Im Grunde so, wie
sich das Leben oft zeigt. Dieses Musical ist nicht
schwarz oder weiß.
Hast du schon mal ein Musical inszeniert?
Ja, ich habe 2011 Das Orangenmädchen von
Jostein Gaarder als Musical im Altonaer Theater
inszeniert. Übrigens mit Carolin Fortenbacher
in der Hauptrolle.
Siehst du Unterschiede im Inszenieren eines
Musicals im Gegensatz zu einem Schauspiel?
Die Musik ist im Gegensatz zum Schauspiel
vorgegeben. Das hat Vorteile. Aber manchmal
zwingt die Musik einen auch in ein Korsett, von
dem man sich befreien muss. Bei Fast normal
ist die Musik allerdings so genial geschrieben,
dass sie die Figuren trägt und ihnen immer
einen emotionalen Teppich bereitet. Im Musical
werden ja die Emotionen einer Figur durch die
Musik sehr vergrößert; das ist für den Zuschauer
sofort spürbar. Wenn Situation und Musik
stimmen, kann man sich nicht entziehen. Das
gibt eine tolle Energie auf der Bühne.
Was machst du anders?
Das weiß ich gar nicht so genau. Ich inszeniere
das Stück so, wie ich ein Schauspiel inszenieren
würde. Ich suche den Konflikt in einer Szene.
Ich versuche, die Figuren erlebbar zu machen
und achte darauf, dass die Schauspieler nicht
schlauer sind als ihre Figuren. Nur, dass sie hier
ihren Text singen. Das ist der einzige Unterschied
zum Schauspiel.
Gibt es etwas, was du ganz bewusst NICHT
so machst, wie es vielleicht ein (typischer)
Musical-Regisseur machen würde?
Ich versuche auf jeder Probe, die Szene, die wir
arbeiten, sehr genau zu analysieren. Wer will in
der Szene was von wem? Das hört sich vielleicht
kompliziert an, ist es aber nicht. Das sind für
mich immer die wichtigsten Fragen in einer
Szene: Was will ich von meinem Gegenüber?
Wie bekomme ich das, was ich will? Wenn wir
das geklärt haben, versuchen wir es mit Hilfe des
Textes bzw. der Musik herauszufinden und zu
klären. Ich lasse die Schauspieler also aufeinander los und sage ihnen nicht, wo sie
stehen sollen und wie sie eine Szene spielen
sollen. Das finden sie selber heraus.
DA S I N T E RV I E W F Ü H R T E A N J A D E L C A R O
BIP OL A RE S TÖRUNGE N
– E I N E E RK R A N KU N G MI T Z W E I G ES I C H T E RN
Was sind Bipolare Störungen?
Bei Menschen, die an Bipolaren Störungen
leiden, kommt es zu völlig übersteigerten
Stimmungsschwankungen, die sich zwischen
himmelhoch jauchzend (manisch) und zu Tode
betrübt (depressiv) bewegen und durchaus sehr
verschiedene und individuelle Ausprägungen
sowie Verläufe haben können. Typischerweise
treten sie entweder ohne einen entsprechenden
Anlass auf oder sie bleiben nach einer bestimmten
Lebenssituation wie z.B. dem Verlust eines
nahestehenden Menschen auch dann weiter
bestehen, wenn die auslösende Situation
eigentlich keine Belastung mehr darstellt. Die
Stimmungsschwankungen entwickeln also eine
Eigendynamik, die nicht mehr mit äußeren
Umständen erklärbar ist.
Es handelt sich um keine klar umschriebene
Erkrankung wie man es etwa vom Bluthochdruck oder Diabetes mellitus kennt, sondern
um eine in Episoden verlaufende psychische
Erkrankung, die das ganze Spektrum der
menschlichen Stimmungszustände widerspiegeln
kann. […]
Die Dauer der Krankheitsepisoden kann
zwischen einigen Tagen, mehreren Monaten
und einigen Jahren variieren. Bipolare Störungen
sind »richtige Krankheiten«, die nicht nur unsere
Stimmung betreffen, sondern auch Auswirkungen
auf unser Denken, unsere Gefühle, unseren
Körper und unsere Fähigkeit zur Lebensbewältigung haben. Patienten, die an einer
Bipolaren Störung leiden, sind genauso krank
wie Menschen mit einem Herzleiden.
Die Erkrankung ist weder ihre eigene Schuld,
noch haben die Betroffenen eine schwache
Persönlichkeit. Bipolare Störungen sind
behandelbare Erkrankungen, die jeden von
uns betreffen können.
Welche Symptome gibt es bei Bipolaren
Störungen?
Bei einer Bipolaren Störung schwankt die Stimmung des Erkrankten zwischen den Phasen der
Hochstimmung und der Niedergeschlagenheit.
Dazwischen können immer wieder Phasen einer
ausgeglichenen Stimmung liegen. Im klassischen
Verlauf wechseln die Betroffenen während Ihrer
Erkrankung immer wieder zwischen folgenden
Zuständen: Der Manie, Hypomanie, Depression
und einer als besonders einschränkend empfundenen Mischform zwischen Manie und Depression.
Manische Episoden (Manie)
Eine manische Episode oder Manie ist gekennzeichnet durch ein intensives Hochgefühl, eine
übersteigerte und häufig unbegründete gute
Laune sowie erhöhte persönliche Leistungsfähigkeit. Die Betroffenen empfinden sich selbst
als außergewöhnlich leistungsstark, kreativ und
schöpferisch. Darüber hinaus haben sie nur ein
sehr geringes Schlaf- und Erholungsbedürfnis.
Maniker empfinden Schlaf als Zeitverschwendung und Unterbrechung ihres (oft ziellosen)
Tatendrangs. Diese Stimmungslage kann
allerdings schnell in einen Zustand der Euphorie
übergehen, die unter anderem durch eine
mangelnde Einschätzung der Realität gekennzeichnet ist. […]
Menschen, die sich gerade im Zustand der Manie
befinden, leugnen hartnäckig, dass sie in irgendeiner Art und Weise Probleme hätten und
reagieren oft gereizt, wenn sie von anderen auf
offensichtliche Schwierigkeiten hingewiesen
werden. Aus diesem Grund ist es auch beinahe
unmöglich die Patienten davon zu überzeugen,
dass sie krank sind. Deshalb müssen die Betroffenen in der akuten Krankheitsphase häufig
gegen ihren Willen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses
behandelt werden.
Depressive Episode (Depression)
Obwohl die meisten Menschen den Begriff
Depression mit Traurigkeit gleichsetzen, ist eine
Depression mehr als nur ein Gemütszustand.
Eine Depression ist eine Krankheit, die sowohl
unser psychisches Gleichgewicht als auch unser
Denken, unser Handeln und unseren Körper
betrifft. […] Charakteristisch für depressive
Menschen ist nicht, dass sie traurig sind, sondern
dass ihre Gefühlswelt erloschen ist. Auf der
einen Seite sind sie nicht in der Lage, sich zu
freuen. Andererseits können sie aber bei einer
traurigen Lebenssituation, wie dem Verlust eines
Angehörigen auch nicht weinen. Depressive
Menschen wirken oft nicht nur wie versteinert,
sie sind es auch, jedenfalls was ihr Gefühlserleben betrifft.
Wie wird eine Bipolare Störung diagnostiziert?
Obwohl Bipolare Störungen »richtige« und vor
allem auch ernst zu nehmende Erkrankungen
sind, gibt es zurzeit keinerlei Möglichkeiten, die
Diagnose mithilfe von Laboruntersuchungen
oder anderen Untersuchungsmethoden zu stellen.
Die Diagnose kann nur im Rahmen einer
intensiven Befragung des Erkrankten, manchmal
auch der nächsten Angehörigen, eruiert werden.
Wesentlicher Bestandteil der Diagnosefindung
ist ein genauer Bericht der Lebensgeschichte und
der Probleme des Erkrankten. Der behandelnde
Arzt wird in diesen Gesprächen versuchen,
bestimmte für Bipolare Störungen charakteristische
Symptome zu finden. Im schlechtesten Fall
können vom Auftreten der ersten Symptome,
beispielsweise einer depressiven Phase, bis zur
korrekten Diagnose bis zu 15 Jahre vergehen.
Wie können Bipolare Störungen entstehen?
Die Entstehung Bipolarer Störungen ist im Sinne
einer anlagebedingten Verletzlichkeit des Nervensystems zu verstehen, die von vielen weiteren
äußeren Faktoren beeinflusst wird. Ob ein Lebensereignis eine Bipolare Störung auslöst, hängt
also von der individuellen Disposition ab. Folgende
Faktoren werden als ursächlich angesehen:
Genetische Faktoren
In Zwillings-, Familien-, und Adoptionsstudien
konnte gezeigt werden, dass bei Verwandten ersten Grades von Patienten mit Bipolaren Störungen
eine Häufung solcher Erkrankungen auftritt.
Biologische Faktoren
Bei Patienten mit Bipolaren Störungen sind
Veränderungen im Neurotransmitterhaushalt
festgestellt worden. Unter Neurotransmittern
versteht man chemische Botenstoffe, die an der
Weiterleitung von Nervenimpulsen beteiligt
sind. So fand sich bei Depressiven ein Mangel
an den Neurotransmittern Noradrenalin und
Serotonin. Inzwischen wird davon ausgegangen,
dass nicht einzelne Veränderungen der Neurotransmitter, sondern eine Störung des Gleichgewichts verschiedener Transmitter ursächlich
ist. Außerdem ist bei Depressiven die Empfindlichkeit und Dichte der Rezeptoren, auf welche
die Neurotransmitter einwirken, verändert. Neurotransmitter scheinen auch bei der Entstehung
der Manie eine Rolle zu spielen. Bei dieser Störung
liegt eine erhöhte Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin vor.
Welche Behandlungsmethoden werden bei
Bipolaren Störungen eingesetzt?
Grundsätzlich werden in der Behandlung
Bipolarer Störungen verschiedene Behandlungsmethoden eingesetzt. Neben der medikamentösen
Therapie, die die meisten Patienten den Rest
ihres Lebens begleitet, kommen auch Verfahren
der Psychotherapie sowie Wach- und Elektrokrampftherapie zum Einsatz. Welche Therapiemethoden eingesetzt werden, hängt sowohl
von der Schwere der Erkrankung als auch vom
Verlauf ab.
AU S Z Ü G E AU S D E R I N F O R M AT I O N S S C H R I F T
DER DEU TSCHEN GESELL SCH A FT FÜ R BIPOL A R E
S T Ö RU N G E N E .V. F Ü R PAT I E N T E N U N D A N G E H Ö R I G E
DU BIS T E I N SC H AT T E N
Du bist ein Schatten am Tage
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich auch nach dir frage,
Find ich von dir Bericht,
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich mein Zelt aufschlage,
Da wohnst du bei mir dicht;
Du bist mein Schatten am Tage
Und in der Nacht mein Licht.
Du bist ein Schatten am Tage
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.
F R I E D R I C H RÜ C K E R T, 1 83 4
E R IS T F O RT
DA N
Er ist fort…
Er ist fort.
Schatz, er ist nicht da. Du wünschst dir,
er wär hier.
Schatz, es ist nicht wahr.
Warum lässt du ihn nicht los?
Trauerst oder träumst du bloß?
Begreif doch, was geschah.
Er ist tot, schon seit Jahr'n.
Liebling, schau, er ist fort.
WAS W E IS S T DU?
DI A N A
Wird das Aufstehen jeden Morgen
dir zur allergrößten Not?
Liest du, wer gestorben ist
und bist ganz neidisch auf den Tod?
Man steht immer nah am Abgrund
und weiß nie, ob man springt…
Was weißt du?
Was weißt du, wenn man um sein
Leben ringt?
Es verblasst alles, was bunt war,
in schwarzweiß versinkt dein Glück.
Deine Zukunft wird zum Schrecken,
doch du stirbst, blickst du zurück.
Was weißt du?
Ich weiß, nichts weißt du.
Du sagst, dass du leidest.
Und lässt es nicht zu.
Was weißt du?
Es schmerzt geradezu,
wenn du sagst, gib Ruh.
Doch ich frag: was weißt du?
…vom Gefühl nur noch zu schreien,
doch du bleibst mucksmäuschenstill
…und vom immer tiefer Fallen, doch du triffst
nie auf dein Ziel – alles rast dir nur entgegen,
Tag für Tag für Tag für Tag…
Was weißt du?
Was weißt du von den Qual'n,
die ich ertrag?
Wie getrieben renn' ich weiter,
denn sonst bringt es mich noch um, wenn's mich
einholt, wird's mich töten
und ich weiß nicht mal, warum.
B RI E FE AUS D EM WO LK E N KUC KUC KS H E IM
Mein lieber Matz,
nun bin ich schon eine Weile hier, und erst jetzt
verstehe ich so langsam, was in den letzten Wochen
und Monaten alles passiert ist und warum ich
schließlich hier gelandet bin. Ja genau. Gelandet,
wie ein Raumschiff. Zuerst ist es mir auch
wirklich wie ein anderer Planet vorgekommen.
Ich war ja so schnell in der letzten Zeit. Wie
ein Raumschiff bin ich durchs Leben geflogen.
So schnell, dass ich vieles gar nicht mehr sehen
konnte. Ja, vor allem auch Dich. Das tut mir leid
und war für Dich bestimmt sehr schwer. Damit
ich wieder langsamer werden kann, brauche
ich Hilfe von speziellen Ärzten, mit spezieller
Medizin. Vielleicht hat Dir jemand gesagt:
»Dein Papa ist in der Klapsmühle«. So hat man
den Ort, wo ich gerade bin, früher tatsächlich
genannt. Da kamen eben alle hin, die einen
Klaps hatten. Früher sagte man auch Irrenhaus
oder Irrenanstalt. Heute heißt das psychiatrische
Klinik. Das kann man kaum aussprechen, und
es klingt irgendwie unheimlich. Darum habe
ich mir überlegt, vielleicht nenne ich es einfach
Wolkenkuckucksheim. Was meinst Du?
Das Wort kommt aus einem Theaterstück, das
ein alter Grieche vor langer Zeit geschrieben hat.
Darin übernehmen die Vögel die Weltherrschaft
und erbauen eine eigene Stadt im Himmel. Und
die heißt Wolkenkuckucksheim. Das passt gut.
Man sagt doch auch: Du hast einen Vogel! Oder:
Du hast ’ne Meise! Siehst Du, und diese Spezialärzte hier, die nenne ich Meisendoktoren. Die
sollen mir helfen, meine »Meise« einzufangen.
Du fragst dich jetzt bestimmt, wie ich die Meise
überhaupt bekommen habe. Wo ich doch Dich
und Mami habe. Das ist nicht so leicht zu
beantworten. Selbst ganz schlaue Forscher haben
darauf noch keine Antwort gefunden. Einige
sagen, es sei Vererbung. Das heißt, jemand in der
Familie hat es schon gehabt, und so ist es immer
ein bisschen weitergegeben worden.
Bei mir ist das die Familie von Omi Frauke. Sie
hatte einen Onkel, der hieß auch Matz. Über den
gibt es sehr lustige Geschichten. Und weil der
mir durch diese Geschichten vertraut und lustig,
aber auch unbegreiflich vorkam, wollte ich, dass
Du seinen Namen trägst. Frag Omi mal danach.
Eine Cousine von ihr, Tante Marion, die hat das
auch. Und mein Cousin Georg in Amerika. Das,
was wir haben, nennen die Ärzte nicht Meise,
sondern: bipolar. Klingt nach Nordpol, finde ich.
Polarforscher. So bin ich mir auch ein wenig vorgekommen. Ein Forscher, der die Pole auskundschaftet. Ich meine damit, die Endpunkte. Oben
und unten. Da, wo es nicht mehr weitergeht.
gibt es einen langen Flur, von dem gehen die
Zimmer ab. Meistens Zweierzimmer. In der
Mitte des Flurs gibt es ein Extra-Zimmer für die
Ärzte und Pfleger und Schwestern. Um Punkt
acht Uhr abends gibt es für alle die Medizin.
Da muss ich jetzt hin. Ich schreibe wieder.
Versprochen.
Ich hab Dich lieb. Papa
[…]
Lieber Matz,
Zum Nordpol muss man eine weite Strecke
zurücklegen. Das habe ich auch getan. Ich bin
zwar nicht an die Grenzen der Erde gestoßen,
aber an meine Grenzen. Und an Mamis und
Deine. Nur, dass ich das gar nicht gemerkt habe.
So, wie wenn Du Geburtstag hast, und Du hast
alle Deine Freunde zu Besuch, und es gibt den
ganzen Tag nur Süßes, und abends siehst Du
sogar noch einen Film. Dann willst Du unbedingt,
dass es immer so weitergeht. Mehr Geschenke.
Mehr Freunde. Mehr Süßes. Mehr Spaß. Und
auf einmal werden die Freunde abgeholt, und
Du kannst nicht verstehen, dass nun alles vorbei
sein soll. So ein Gefühl hat man sonst nur, wenn
man noch ein Kind ist. Wenn man älter wird,
freut man sich zwar noch, aber es fühlt sich
nicht mehr so stark an. Die Erwachsenen sagen,
sie haben ihre Gefühle im Griff. Das stimmt. Im
Würgegriff. Weil sie das so, wie die Kinder fühlen, gar nicht mehr aushalten würden. So. Und
eines Tages vor vier Monaten, kurz nach Deinem
Geburtstag, bin ich aufgewacht und habe wieder
so starke Gefühle gehabt. Das hat sich erst mal
toll angefühlt, wie ein Zaubertrank.
heute hat mich Onkel Hans besucht. […] Wir
saßen am Eingang, auf der Bank gegenüber
der Pförtnerschranke, und haben stundenlang
geredet und geraucht. Ich habe ganz viel weinen
müssen, weil mir klar geworden ist, wie viel ich
kaputt gemacht habe. Das ist so, so, so scheiße.
Entschuldigung. Ein Euro in die Schimpfwortkasse. Aber stimmt doch. Guck mal. Eigentlich
sollte ich jetzt mit Dir auf dem Spielplatz sein.
Oder Eis essen. Oder Dir vorlesen. Oder mit Dir
spielen. Ich verstehe jetzt erst, wenn die Leute
sagen, man habe »die Beherrschung verloren«.
Ich versuche sie wieder zu erlangen. Das ist
schwierig, weil ich immer schneller abwechselnd
ganz glücklich und im nächsten Moment todtraurig bin. Das ist eben die Krankheit.
Du wirst jetzt vielleicht denken: Aber warum
geht das nicht weg, wo er doch die Medikamente
bekommt? Es dauert eine Weile, bis die wirken
und bis die richtige Dosis eingestellt ist. Bei einem Rennwagen dauert es schließlich auch sehr
lange, bis er so läuft, wie man sich das wünscht.
Und wenn er läuft, dann muss man ihn weiter
gut beobachten, weil er so empfindlich ist. Ich
werde also noch von den Ärzten getestet. Aber ich
bin auf dem Weg. Auf dem Weg zurück zu Dir.
Ja, so war das. Ich muss jetzt Schluss machen. Es
ist Zeit für die Medizin. Hier im Krankenhaus
Ich liebe Dich. Papa
[…]
Hey, Matz,
ich kann es gar nicht erwarten. Das ist für mich
so aufregend wie Geburtstag, Ostern und Weihnachten an einem Tag! Auf der Station herrscht
schon seit Tagen Aufbruchstimmung. Jeden Tag
ist jemand anderes verabschiedet worden. […]
Auch wenn sie am Ende alle sehr nett waren,
ich möchte hier nicht wieder rein. Nicht weil es
hier so schlimm ist (ich habe für Mami sogar
einen Seidenschal angemalt!), sondern weil ich
will, dass die Meise gefangen bleibt. Ich habe es
geschafft. Dank des Lithiums, dank der Ärzte
und Schwestern, dank Mami, dank der Omis
und Onkels und Tanten, dank Darian und Peer,
dank Wolfgang.
Aber das wäre alles nichts gewesen, wenn es
Dich nicht gegeben hätte, mein lieber Matz.
Der Gedanke an Dich hat mir immer wieder
Kraft gegeben, wenn ich am liebsten aufgegeben
hätte oder vor Traurigkeit verschwunden wäre.
Tatsächlich warst Du in dieser schweren Zeit
für mich, was ich sonst für Dich sein will. Die
Orientierung in der Not. Dafür danke ich Dir.
So. Jetzt möchte ich Dir erst mal keine Briefe
mehr schreiben. Jetzt beginnt mein zweites
Leben. Alles beim Alten. Alles neu.
Ich liebe Dich. Los geht’s. Papa
SEBASTI A N SCHLÖSSER
Die Kammerspiele noch
entspannter erleben!
LI T E R AT U RN AC H W E IS E
Friedrich Rückert, Kindertodtenlieder, Insel Verlag, 1993
Sebastian Schlösser, Lieber Matz, Dein Papa hat ’ne Meise, Ullstein Buchverlage Berlin, 2011
www.zeit.de/2010/37/Briefe-an-den-Sohn
www.dgbs.de/fuer-angehoerige/
Einige Texte und Überschriften wurden zum Teil redaktionell bearbeitet, gekürzt und der neuen Rechtschreibung angepasst.
Wir danken Sebastian Schlösser, den Ullstein Buchverlagen und dem Insel Taschenbuchverlag für die freundliche Genehmigung
des Nachdrucks ihrer Texte.
Impressum
H E R AU S G E B E R : Hamburger Kammerspiele
I N T E N DA N T: Axel Schneider
G E S C H Ä F T S F Ü H R E R : Holger Zebu Kluth
R E DA K T I O N : Anja Del Caro
G E S TA LT U N G : Felix Wandler
T I T E L F O T O : Anatol Kotte P R O B E N F O T O S : Bo Lahola
D RU C K : kleinkariert medien
Sie möchten eine Vorstellung in den Kammerspielen von
Anfang an genießen und nicht nach einem Parkplatz suchen?
Dann nutzen Sie gerne die Annehmlichkeiten unserer
Tiefgarage mit 500 Stellplätzen und starten Sie sorglos
in den Abend. Die Kammerspiele sind von uns fußläufig in
10 Minuten zu erreichen.
Als stimmungsvollen Ausklang des Tages empfehlen wir Ihnen
einen Besuch in unserer Brasserie Flum mit französischer Küche
bis 23:30 Uhr oder einen ausgefallenen Drink in der Bourbon
Street Bar.
Elysée Hotel AG Hamburg I Rothenbaumchaussee 10 I 20148 Hamburg
T +49 (0) 40 41 41 2-0 I [email protected] I www.grand-elysee.com
HAMBURGER KAMMERSPIELE
H A RT U N G S T R A S S E 9 -11 I 2 014 6 H A M BU RG
0 4 0 - 4 1 3 3 4 4 0
W W W. H A M B U R G E R-K A M M E R S P I E L E . D E
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