Aus dem Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Universität zu Köln Klinik und Poliklinik für Allgemeine Kinderheilkunde Direktor: Universitätsprofessor Dr. med. D. V. Michalk Querschnittsymptomatik bei Neuroblastom Therapiekonzepte und Langzeitergebnisse Inaugural - Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegt von Catherina - Annika Niemann aus Hannover Promoviert am 19. Mai 2010 Dekan: Universitätsprofessor Dr. med. J. Klosterkötter 1. Berichterstatter: Privatdozent Dr. med. Th. Simon 2. Berichterstatter: Universitätsprofessor Dr. med. W. F. Haupt Erklärung Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des Manuskriptes habe ich keine Unterstützungsleistungen erhalten. Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden Arbeit nicht beteiligt. Insbesondere habe ich nicht die Hilfe einer Promotionsberaterin/eines Promotionsberaters in Anspruch genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten Dissertationsschrift stehen. Die Dissertationsschrift wurde von mir bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt. Köln, den 11.01.2010 Catherina - Annika Niemann Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Daten wurden mit Hilfe eines von mir entwickelten Fragebogens erhoben und unter Mitarbeit der behandelnden Kliniken vervollständigt. Die Krankengeschichten wurden von mir selbst ausgewertet. Die statistische Auswertung der erhobenen Daten erfolgte in Zusammenarbeit mit Herrn Privatdozent Dr. med. Thorsten Simon. Danksagung Herrn Professor Dr. med. Frank Berthold danke ich für die Erlaubnis, das sehr interessante und kontroverse Thema bearbeiten zu dürfen sowie für die volle Unterstützung und wertvolle Kritik, die weiterführenden Diskussionen und das äußerst angenehme Arbeitsklima. Herrn Privatdozent Dr. med. Thorsten Simon möchte ich für die hervorragende Betreuung, sein Engagement und das Interesse am raschen Fertigstellen der Arbeit danken. Die stetige Ansprechbarkeit sowie die anregenden Diskussionen waren sehr wertvoll für mich. Frau Dr. med. Barbara Hero gilt mein besonderer Dank, da sie neben ihren vielen Aufgaben trotzdem Zeit für mich gefunden hat. Ihre konstruktive Kritik und Unterstützung haben sehr zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Mein Dank gilt weiterhin allen Mitarbeitern des Studienbüros, insbesondere Frau Schmitz, Frau Breuer und Frau Sowada für die jederzeit umfassende Hilfe und die gute Arbeitsatmosphäre. Meinen Eltern und meiner Familie möchte ich von Herzen danken, ohne sie wäre diese Dissertation nicht möglich gewesen. Ich kann mich glücklich schätzen, während dieser Zeit durch meine engsten Freunde begleitet und unterstützt worden zu sein. Danke, dass ihr immer da gewesen seid. meiner lieben Familie Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung..............................................................................................................1 1.1 Das Neuroblastom: Definition........................................................................1 1.2 Epidemiologie und Ätiologie .........................................................................1 1.3 Früherkennung und Screening........................................................................2 1.4 Klinik und neurologische Symptomatik .........................................................2 1.5 Diagnostik .....................................................................................................5 1.6 Differentialdiagnose.......................................................................................6 1.7 Stadieneinteilung ...........................................................................................7 1.8 Therapiestrategien..........................................................................................8 1.8.1 Chirurgische Therapie............................................................................9 1.8.2 Chemotherapie .....................................................................................10 1.8.3 Radiotherapie.......................................................................................10 1.8.4 Erhaltungstherapie ...............................................................................10 1.8.5 Begleittherapie .....................................................................................11 1.9 Prognose und beeinflussende Faktoren.........................................................11 1.10 Spätschäden .................................................................................................12 1.11 Pathophysiologie spinaler Kompression.......................................................12 1.12 Fragestellung und Ziel der Arbeit.................................................................13 2. Material und Methoden.......................................................................................15 2.1 Studiendesign und Datenerhebung ...............................................................15 2.2 Patientenkollektiv ........................................................................................15 2.2.1 Einschlusskriterien ...............................................................................15 2.2.2 Untersuchte Parameter .........................................................................16 2.2.3 Dokumentationsbogen..........................................................................16 2.3 2.3.1 NB 90 - Protokoll.................................................................................17 2.3.2 NB 95 - Protokoll.................................................................................18 2.3.3 NB 97 - Protokoll.................................................................................18 2.3.4 NB 2004 - Protokoll.............................................................................19 2.3.5 Remissionskriterien..............................................................................20 2.4 3. Definitionen der Risikogruppen und Therapie..............................................17 Datenauswertung und statistische Methoden ................................................21 Ergebnisse ...........................................................................................................22 3.1 Patientencharakteristika ...............................................................................22 3.2 Initiale neurologische Symptomatik .............................................................25 3.2.1 Charakteristik der neurologischen Symptomatik...................................26 3.2.2 Initialsymptomatik in Abhängigkeit von der Primärtumorlage..............27 3.2.3 Symptomdauer .....................................................................................29 3.3 Initiale Behandlungsstrategien .....................................................................30 3.3.1 Status nach initialer Behandlung ..........................................................30 3.3.2 Status bei Therapieende........................................................................32 3.4 Spätschäden .................................................................................................33 3.4.1 Spätschäden in Abhängigkeit von der Patientencharakteristik...............33 3.4.2 Langzeitergebnis der einzelnen initialen Behandlungsstrategien...........34 3.4.3 4. Die häufigsten Spätschäden in Abhängigkeit von der Ersttherapie........36 3.4.3.1 Wachstumsstörungen........................................................................36 3.4.3.2 Skoliose und Behandlungsnotwendigkeit..........................................37 3.4.3.3 Gehfähigkeit.....................................................................................38 3.4.3.4 Sensibilitätsausfälle..........................................................................39 3.4.3.5 Neuropathisches Schmerzsyndrom ...................................................40 3.4.3.6 Neurogene Blase ..............................................................................40 3.4.3.7 Obstipation.......................................................................................42 Diskussion...........................................................................................................43 4.1 Patientenkollektiv und beeinflussende Faktoren...........................................43 4.2 Behandlung..................................................................................................45 4.2.1 Neurochirurgische Operation und Chemotherapie ................................45 4.2.2 Kortikoidtherapie .................................................................................45 4.3 Spätschäden .................................................................................................46 4.3.1 Abhängigkeit von Prognosefaktoren.....................................................46 4.3.2 Zusammenhang von Langzeitschäden und Initialtherapie .....................46 4.3.3 Häufige Spätschäden, Einfluss der Initialtherapie.................................47 4.4 Schlussfolgerung .........................................................................................49 5. Zusammenfassung ...............................................................................................52 6. Literaturverzeichnis.............................................................................................54 7. Anhang................................................................................................................63 8. Lebenslauf...........................................................................................................65 Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung ADCC antibody dependent cellular cytolysis ASCT autologous stem cell transplantation BDNF brain - derived neurotrophic factor bzw. beziehungsweise ca. circa CDC complement dependent cytolysis CR complete remission CT Computertomographie Cum Survival kumuliertes Überleben EFS event free survival etc. et cetera evtl. eventuell FISH Fluoreszenz - in - situ - Hybridisation G - CSF Granulozyten - Kolonie - stimulierender Faktor ggf. gegebenenfalls Gy Gray IL - 10 Interleukin 10 INPC International Neuroblastoma Pathology Committee INRC International Neuroblastoma Response Criteria INRG International Neuroblastoma Risk Group INSS International Neuroblastoma Staging System LDH Laktatdehydrogenase Lek Laminektomie LK Lymphknoten Lot Laminotomie / Hemilaminektomie MR mixed response MYCN MYCN - Onkogen 123 I - mIBG 123 Jod - Meta - Jodbenzylguanidin 131 I - mIBG 131 Jod - Meta - Jodbenzylguanidin MRT Magnetresonanztomographie n. nicht NGF nerve growth factor NNM Nebennierenmark NR non - response NSE Neuronenspezifische Enolase OS overall survival p Irrtumswahrscheinlichkeit PR partial remission PROG progression SPSS Statistical Package for the Social Sciences 99 Tc 99 Technetium u.a. unter anderem VGPR very good partial response VIP vasoaktives intestinales Polypeptid 5yEFS 5 - Jahres - ereignisfreies Überleben 5yOS 5 - Jahres - Gesamtüberleben Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Häufigkeit der Initialsymptome in der deutschen Neuroblastomstudie NB97 (aus [67]).....................................................................................................3 Tabelle 2: Stadieneinteilung des Neuroblastoms anhand des International Neuroblastoma Staging System (INSS) .................................................................8 Tabelle 3: Neuroblastomstudie NB 90 ..................................................................17 Tabelle 4: Neuroblastomstudie NB 97 ..................................................................18 Tabelle 5: Neuroblastomstudie NB 2004...............................................................19 Tabelle 6: Internationale Neuroblastomremissionskriterien (INRC) (aus [11]) ......20 Tabelle 7: Vergleich der Patientencharakteristik der Kollektive mit und ohne symptomatischer epiduraler Kompression............................................................23 Tabelle 8: INSS - Stadienverteilung bei Querschnittsymptomatik ohne multilokuläre Fälle ..............................................................................................24 Tabelle 9: Zusammenhang intraspinaler Befall und Symptomatik.........................25 Tabelle 10: Initialsymptomatik bei 97 Patienten mit intraspinalem Befall ...............26 Tabelle 11: Initialsymptomatik nach Primärtumorlage............................................27 Tabelle 12: Zusammenhang von Symptomdauer bis zur Krankenhausaufnahme und dem Auftreten von Spätschäden (p=0,967) ..........................................................29 Tabelle 13: Häufigkeit einer begleitenden Kortisontherapie (p=0,410)....................30 Tabelle 14: Symptomatik nach initialer neurochirurgischer Operation bzw. Chemotherapie (p=0,882) ....................................................................................31 Tabelle 15: Symptomatik nach Initialtherapie Kortison (p=0,026) ..........................31 Tabelle 16: Symptomatik nach Therapieende (p=0,749) .........................................32 Tabelle 17: Symptomatik nach Therapieende mit Kortison (p=0,031).....................32 Tabelle 18: Häufigkeit von Spätschäden in Abhängigkeit von Alter, MYCN - Status und INSS - Stadium.............................................................................................33 Tabelle 19: Outcome nach Initialtherapie (p=0,057) ...............................................34 Tabelle 20: Outcome nach Operationstechnik (p=0,495).........................................35 Tabelle 21: Outcome nach Operationsradikalität des neurochirurgischen Eingriffs (p=0,137) ............................................................................................................35 Tabelle 22: Outcome für Initialtherapie Kortikoide (p=0,509).................................35 Tabelle 23: Häufigkeit von Wachstumsstörungen (p=0,360)...................................36 Tabelle 24: Häufigkeit von Skoliosen (p=0,736).....................................................37 Tabelle 25: Notwendigkeit einer Skoliosebehandlung (p=0,561).............................38 Tabelle 26: Gehfähigkeit nach Therapie (p=0,110) .................................................39 Tabelle 27: Sensibilitätsstörungen (p=0,512) ..........................................................39 Tabelle 28: Schmerzsyndrom (p=0,901) .................................................................40 Tabelle 29: Häufigkeit einer neurogenen Blasenentleerungsstörung (p=0,977)........41 Tabelle 30: Behandlung der neurogenen Blasenstörung ..........................................41 Tabelle 31: Obstipation (p=0,071) ..........................................................................42 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Sagittales MRT mit T1-Wichtung zeigt ein Neuroblastom mit massiver Spinalkanalkompression ........................................................................................5 Abbildung 2: Axiales, T1-gewichtetes MRT mit intraspinalem Einwachsen des Neuroblastoms durch ein erweitertes Neuroforamen........................................................5 Abbildung 3: Ereignisfreies Überleben und Gesamtüberleben der 2617 Neuroblastompatienten ........................................................................................22 Abbildung 4: Ereignisfreies Überleben und Gesamtüberleben für die Patientengruppen mit und ohne Querschnittsymptomatik im Vergleich................23 1. Einleitung 1.1 Das Neuroblastom: Definition Das Neuroblastom ist der häufigste extrakranielle solide Tumor des Kindesalters [61]. Es stammt von embryonalen Zellen des sympathischen Nervensystems ab und kann überall entlang des sympathischen Grenzstranges, in den Nebennieren (NNM) oder in sympathischen Paraganglien des Abdomens auftreten. Die häufigste Lokalisation ist das Abdomen (70 %), wobei etwa die Hälfte der Tumoren bei Diagnosestellung schon metastasiert ist. Metastasen finden sich häufig im Knochenmark und Knochen, in regionären und entfernten Lymphknoten, seltener in Leber, Haut und intrakranial [25]. Bei ca. 5 % der Patienten wächst der Tumor von paravertebral durch die Foramina intervertebralia in den Spinalkanal ein und führt so zu einer epiduralen Kompression des Rückenmarks mit neurologischer Ausfallssymptomatik [16]. In 80 - 85 % der Fälle produziert der Tumor Katecholamine, welche zur Diagnosefindung beitragen können. Insgesamt bietet das Neuroblastom ein sehr variables Erscheinungsbild mit schwer vorhersehbaren Verläufen von aggressivem Wachstum mit schlechter Prognose [8, 42, 50] bis hin zu einer spontanen Regression [26]. 1.2 Epidemiologie und Ätiologie Neuroblastome haben einen Anteil von 6 - 10 % an allen malignen Erkrankungen im Kindesalter, in der Neonatalperiode sogar 15 - 50 % [73]. Mit einer relativen Häufigkeit von 21,1 % folgen sie direkt den Leukämien und malignen Lymphomen (45,6 %). Die Inzidenz liegt bei 1,1 - 3 Neuerkrankungen auf 100.000 Kinder. Sie stieg nach Einführung des Neuroblastom - Screenings, welches heute jedoch keine Anwendung mehr findet [61]. Die Wahrscheinlichkeit einer spinalen Infiltration ist bei lokalisierten, regional begrenzten Tumoren höher als bei disseminierten [17, 32]. Der Tumor ist embryonaler Genese, was sich neben der Histologie auch in der mit dem Lebensalter rapide sinkenden Inzidenz widerspiegelt. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung ist 15 Monate, 40 % werden bereits im ersten Lebensjahr diagnostiziert, und bis zum 6. Lebensjahr sind fast alle Neuroblastome entdeckt [30, 34]. Bei Erwachsenen wurde nur in einzelnen Fällen von einer Erkrankung berichtet. 1 Histologisch besteht der Tumor zu variablen Anteilen aus zellmorphologisch unreifen Neuroblasten ähnelnden embryonalen Vorläuferzellen und Schwann’schem Stroma [64, 78]. Erschwert durch die klinische und genetische Heterogenität konnte die Ätiologie des Neuroblastoms noch nicht zufriedenstellend geklärt werden [3]. Eine familiäre Häufung ist selten, und eine eindeutige Identifizierung von ausschlaggebenden Umweltfaktoren oder einem spezifischen veränderten Genlocus war bisher noch nicht möglich [39]. 1.3 Früherkennung und Screening Basierend auf der Tatsache, dass bei Kindern mit einem Neuroblastom häufig Katecholaminmetabolite im Urin nachgewiesen werden können, wurde ein Urintest entwickelt, welcher die Früherkennung besonders der metastasierten, prognostisch ungünstigen Variante des Neuroblastoms ermöglichen sollte. Dieser hatte jedoch eine steigende Gesamtinzidenz zur Folge, da solche Neuroblastome entdeckt wurden, die sonst aufgrund ihrer Spontanremission unbehandelt geblieben wären [2, 60, 80]. Zu viele Patienten erfuhren dadurch eine unnötige Therapie, während dagegen fortgeschrittene Tumoren mit schlechter Prognose nicht früher erkannt und verhindert werden konnten. Hier kam es nicht zu der erwünschten Senkung der Mortalität. So besteht vom heutigen Standpunkt aus keine Empfehlung, ein Neuroblastom - Screening durchzuführen [12, 60]. 1.4 Klinik und neurologische Symptomatik Die Symptomatik kann sehr unterschiedlich sein und erstreckt sich von asymptomatischen Zufallsbefunden bis hin zu einem bedrohlichen Krankheitsbild mit Fieber, Schmerzen und komplettem oder inkomplettem Querschnitt (Paraplegie, Paraparese). Die Häufigkeit der Initialsymptome in der deutschen Neuroblastomstudie NB97 zeigt Tabelle 1. 2 Tabelle 1: Häufigkeit der Initialsymptome in der deutschen Neuroblastomstudie NB97 (aus [67]) Symptom Häufigkeit Zufallsentdeckung 34% Schmerzen 29% Reduzierter Allgemeinzustand 26% Fieber 22% Tumorschwellung 21% Gewichtsabnahme 11% Metastasenschwellung 9% Querschnittssyndrom (inkomplett oder komplett) 5% Lymphknotenschwellung 4% Durchfall 3% Horner - Syndrom 3% Brillenhämatom 3% Ataxie 2% Arterielle Hypertonie 2% Je nach Lage und Größe des Tumors treten intrathorakal Luftnot bis hin zu Mediastinalverlagerungen mit Einflussstauung und Herzrhythmusstörungen auf; abdominal gelegene Tumoren können zu einem Harnstau mit nachfolgender Hydronephrose und Obstipation führen, sie fallen später durch ein ausladendes Abdomen mit harter, unverschieblicher Raumforderung auf. Zervikale Tumoren verursachen häufig ein Horner - Syndrom durch Affektion des Ganglion stellatum [1]. Ca. 5% der Patienten mit Grenzstrangtumoren zeigen eine neurologische Ausfallssymptomatik, welche durch das Vorwachsen in die Foramina intervertebralia nach intraspinal mit zunehmender Kompression des Duralsacks und somit der Nervenwurzeln und des Rückenmarks entsteht [16]. Je nach Ausmaß der Einengung des Spinalkanales variiert die motorische Störung von eingeschränkter Beweglichkeit bis hin zu einer Paraparese vornehmlich der unteren Extremitäten und kann von 3 Sensibilitätsstörungen begleitet werden. Weiterhin können oft radikuläre Schmerzen, eine neurogene Blasenentleerungsstörung und Obstipation beobachtet werden. Über die Hälfte der Neuroblastompatienten weist zum Diagnosezeitpunkt bereits eine Metastasierung auf. Diese findet sich im Stadium 4 am häufigsten in Knochenmark und Knochen, im Stadium 4S in der Leber. Vor allem die disseminierte Erkrankung manifestiert sich häufig mit einer Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes in Form von Schmerzen, Fieber, Gewichtsverlust und Gedeihstörungen. Hämatologische Symptome wie Anämie, Leukopenie und Thrombopenie entstehen durch Verdrängung des Knochenmarkes bei ausgeprägter Knochen- und Knochenmarksinfiltration [55]. Eine retrobulbäre Infiltration kann periorbitale Ekchymosen wie ein Brillenhämatom zur Folge haben. Vornehmlich Säuglinge leiden bei fortgeschrittenem Leberbefall (Pepper - Syndrom) unter respiratorischen Störungen und zeigen gelegentlich bläulich livide subkutane Knötchen bei Hautmetastasen. Des Weiteren muss auch paraneoplastischen Syndromen Beachtung geschenkt werden. Ein Opsomyoklonus - Ataxie - Syndrom (Kinsbourne - Syndrom) manifestiert sich mit schnellen, kurzen, ungerichteten Augenbewegungen, Ataxie und Myoklonien des Rumpfes und der Extremitäten. Oft kann eine opisthotone Körperhaltung beobachtet werden. Mit einer Häufigkeit von nur 1 - 3 % aller Neuroblastome und der Rarität des Auftretens ohne Bezug zu einem Neuroblastom bietet dieses Syndrom einen wichtigen diagnostischen Hinweis [41, 57]. Therapieresistenter Durchfall durch eine vermehrte Produktion von VIP ist in 3,9 % der Fälle zu beobachten. Solch eine sekretorische Diarrhö (Verner - Morrison - Syndrom) tritt bevorzugt bei Ganglioneuroblastomen auf, da differenzierte Ganglienzellen VIP enthalten. Sie verschwindet normalerweise nach erfolgreicher Resektion des Tumors [22, 45, 74, 75]. Seltener ist eine intestinale Pseudoobstruktion, wohl ebenfalls verursacht durch eine erhöhte VIP - Sekretion [29]. Eine Katecholaminausschüttung durch den Tumor kann zu einer arteriellen Hypertonie (1,3 %), Schwitzen, Kopfschmerzen und Flush führen [22]. In der Mehrzahl der Fälle wird die Ursache der Hypertension jedoch in einer Kompression der Nierenarterie und der daraus resultierenden permanenten Stimulation des Renin - Angiotensin - Aldosteron - Systems gesehen. 4 1.5 Diagnostik Die Diagnose Neuroblastom gilt als gesichert, wenn eine zweifelsfreie pathologische Identifikation des Tumorgewebes im Lichtmikroskop gelungen ist, oder wenn eindeutig ein mikroskopisch nachweisbarer Knochenmarksbefall zusammen mit erhöhten Urinoder Serumkatecholaminmetaboliten festgestellt worden ist [10]. Zahlreiche Risikofaktoren wurden für das Neuroblastom beschrieben [38, 48], so dass eine umfassende immunhistochemische und molekulargenetische Untersuchung des Biopsiematerials erforderlich ist. Zur Bildgebung von Primärtumor und Metastasen eigenen sich die Sonographie und das MRT. Das MRT unterliegt zwar in der Darstellung der charakteristischen Verkalkungen dem CT, ist aber in Anbetracht der Strahlenbelastung und der Detailauflösung vorzuziehen und sollte nativ und mit Kontrastmittel in drei Ebenen unter Einbezug der angrenzenden Wirbelsäulenabschnitte erfolgen. So kann bei paraspinal gelegenen Tumoren eine Infiltration des Rückenmarkkanales aufgedeckt werden. Abbildung 2: Axiales, T1-gewichtetes MRT mit intraspinalem Einwachsen des Neuroblastoms durch ein erweitertes Neuroforamen Abbildung 1: Sagittales MRT mit T1Wichtung zeigt ein Neuroblastom mit massiver Spinalkanalkompression 5 Eine 123 I -mIBG - Szintigraphie wird zur spezifischen Markierung des Primärtumors 123 und seinen Fernmetastasen eingesetzt. Bei I - mIBG - negativen Tumoren ist alternativ markiertes Somatostatin [18], markierte monoklonale Antikörper [6] oder eine 99 Tc -Szintigraphie zur Klärung eines Skelettbefalls indiziert. Bei Erhärtung des Verdachts auf Metastasierung sollten eine gezielte Lebersonographie sowie ein MRT des Schädels erfolgen. Zur Beurteilung eines Knochenmarkbefalls sind Knochenmarkuntersuchungen an vier Stellen erforderlich. Zur Verlaufskontrolle sind die typischen Tumormarker geeignet. Diese umfassen die Katecholaminmetabolite Homovanillinmandelsäure und Vanillinmandelsäure im Urin und Serum und die NSE. Letztere hat zwar eine geringe Spezifität aber eine hohe Sensitivität [14, 81, 82]. 1.6 Differentialdiagnose Das Nephroblastom (Wilms - Tumor) ist als häufigster embryonaler Tumor die klassische Differenzialdiagnose neben den sehr seltenen Keimzelltumoren oder dem Hepatoblastom. Auch das Esthesioneuroblastom (ENB, olfaktorisches Neuroblastom) sei trotz seiner Seltenheit an dieser Stelle mit aufgeführt, es steht in engem Zusammenhang zum Riechepithel und findet sich deshalb intrakraniell [4]. Die Allgemeinsymptomatik bei metastasiertem Neuroblastom kann in Verbindung mit Knochenschmerzen als Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis oder Osteomyelitis fehlinterpretiert werden. Aufgrund der ähnlichen Histologie kommen Ewing - Sarkome, primitive neuroektodermale Tumoren, Rhabdomyosarkome und Non - Hodgkin - Lymphome ebenfalls in Betracht und müssen ggf. mit Hilfe immunhistochemischer oder molekulargenetischer Methoden weiter untersucht werden. Das Opsomyoklonus - Ataxie - Syndrom und die neurologischen Ausfallserscheinungen bei epiduraler Erkrankungen Rückenmarkskompression imponieren, beispielsweise können als als primär neurologische Guillan - Barré - Syndrom oder Myasthenia gravis [33, 58]. Aufgrund der Katecholaminsekretion kann initial an ein Phäochromozytom oder an andere chromaffine Tumoren gedacht werden, und schließlich kann das Verner - Morrisson - Syndrom in die falsche Richtung einer infektiösen oder entzündlichen Darmerkrankung lenken. 6 1.7 Stadieneinteilung Die Stadieneinteilung von Evans [19] aus dem Jahre 1971 wurde von der INSS Klassifikation abgelöst. Diese berücksichtigt auch chirurgische Gesichtspunkte sowie das Ansprechen auf Therapie und grenzt lokalisierte Tumoren (Stadien 1, 2a, 2b und 3) von metastasierten (Stadium 4, Sonderfall 4S bei Säuglingen bis 1 Jahr mit Hepatomegalie und Fähigkeit zur Spontanregression/ausreifung) ab [11]. Aktuell wurde die Stadieneinteilung der Neuroblastome erneut überarbeitet. Die neue INRG Klassifikation ermöglicht eine Klassifizierung des Patienten unabhängig vom Ausmaß einer Tumorresektion und berücksichtigt biologische Faktoren [13, 46]. Je nach Differenzierungsgrad der Tumorzellen und Anteil an Schwann’schen Zellen wird eine histologische Einteilung nach der INPC - Klassifikation [63] vorgenommen, welche auf der Shimada - Klassifikation aus dem Jahre 1984 basiert [65, 66]. Unter Einbeziehung des Mitose - Karyorrhexis - Index (MKI) und des Patientenalters wird so eine Zuordnung zu einer Gruppe mit günstiger und ungünstiger Prognose möglich. Die Einteilung nach Differenzierungsgrad erfolgt nach Hughes et al., modifiziert nach Harms [23, 28]. 7 Tabelle 2: Stadieneinteilung des Neuroblastoms anhand des International Neuroblastoma Staging System (INSS) Stadium 1 Stadium 2a Lokalisierter Tumor mit makroskopisch kompletter Entfernung, mit oder ohne mikroskopischem Resttumor. Repräsentative ipsi- und kontralaterale LK sind histologisch ohne Tumorbefall, Tumoradhärente LK dürfen befallen sein. Lokalisierter Tumor mit makroskopisch inkompletter Entfernung, repräsentative ipsilaterale, nichtadhärente LK histologisch ohne Tumorbefall. Stadium 2b Lokalisierter Tumor mit makroskopisch kompletter oder inkompletter Entfernung, mit positiven nichtadhärenten LK ipsilateral. Kontralaterale LK sind histologisch negativ. Stadium 3 Nichtresektabler unilateraler Tumor mit Überschreiten der Mittellinie, mit oder ohne regionalem LK - Befall – oder – lokalisierter unilateraler Tumor mit kontralateralem regionalem LK - Befall – oder – nichtresektabler Mittellinientumor mit bilateraler Ausbreitung durch Infiltration oder durch LK - Befall. (Eine Mittellinienüberschreitung wird definiert durch infiltratives Wachstum bis zur Wirbelkante der Gegenseite oder darüber hinaus.) Stadium 4 Disseminierung des Primärtumors in entfernte LK, Knochen, Knochenmark, Leber, Haut oder andere Organe, ausgenommen Stadium 4S. Stadium 4S Lokalisierter Primärtumor (wie bei Stadium 1, 2a oder 2b) mit begrenzter Disseminierung in Leber, Haut und/oder Knochenmark, hier nur mit minimalem Befall <10%. Betrifft nur Säuglinge innerhalb des 1. Lebensjahres. 1.8 Therapiestrategien Da sich der Verlauf der Erkrankung sehr heterogen darstellt, ist es besonders wichtig, vor Therapiebeginn ein komplettes Staging und eine Zuordnung zu einer der drei Behandlungsgruppen (Beobachtungs-, Mittlere Risiko- und Hochrisikogruppe; aktuelle deutsche Studie NB2004) vorzunehmen und risikoadaptiert zu behandeln. Eine frühe Diagnosestellung mit schneller Intervention ist unabdingbar zur Vermeidung von Langzeitschäden. Während der gesamten Behandlung ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig, am Besten in einem onkologischen Zentrum im Rahmen kontrollierter Studien. 8 1.8.1 Chirurgische Therapie Der initiale chirurgische Eingriff dient der histologischen Diagnosesicherung, der Bestimmung von MYCN und anderen molekulargenetischen Markern und ermöglicht ein exaktes Staging. Es wird eine möglichst vollständige Tumorresektion angestrebt, welche organerhaltend und ohne jegliche Patientengefährdung zu absolvieren ist. Hierbei kann evtl. eine Zweit- oder Drittoperation nötig werden. Bei rapide progressiver oder kürzer als 12 Stunden bestehender kompletter Querschnittsymptomatik ist eine sofortige operative Dekompression zu erwägen. Im Wesentlichen sind hierbei zwei dorsale Techniken voneinander abzugrenzen: Laminektomie Die erste Laminektomie wurde 1887 von Sir Victor Alexander Haden Horsley am University College London durchgeführt. Dabei wird der Wirbelbogen des betroffenen Segments mit dem Dornfortsatz eines oder mehrerer Wirbel entfernt, um den Druck auf die Nervenwurzel und die abgehenden Nerven zu nehmen (Dekompression) und den Duralsack sofort und sicher zu entlasten. Da es durch die Operation zu Instabilitätserscheinungen im Bereich der Wirbelsäule, insbesondere Luxationen kommen kann, wird diese klassische Methode in den letzten Jahren zunehmend durch eine minimal - invasive Operation ersetzt (mikrochirurgische Dekompression). Der Vorteil einer solchen Technik ist, dass die Stabilität der Wirbelsäule weniger beeinflusst wird, da Wirbelbogen und auch seitliche Wirbelgelenke weitgehend erhalten bleiben. Laminotomie Wird nicht der ganze Wirbelbogen entfernt, sondern nur eine Hälfte, spricht man von einer Hemilaminektomie oder Laminotomie. Je nach Verfahren ist zwischen der bilateralen Laminotomie und der unilateralen Laminotomie mit kontralateralem Undercutting zu unterscheiden. Bei der unilateralen Laminotomie mit kontralateralem Undercutting ist der perioperative Blutverlust signifikant geringer als bei der Laminektomie. Jedoch führen alle Methoden bezüglich der Operationsdauer, der perioperativen Morbidität und der Komplikationsrate zu ähnlichen Ergebnissen. Die bilaterale Laminotomie weist die geringste Komplikationsrate auf. 9 1.8.2 Chemotherapie Ziel der Chemotherapie ist eine Größenreduktion des Tumors (als neoadjuvante Therapie) bzw. das Erreichen einer Remission. Bei Säuglingen im Stadium 4S ist oft bereits eine milde Chemotherapie zur Induktion der Regression ausreichend. Zum Einsatz kommen u.a. Alkylantien, Anthrazykline, Etoposid, Melphalan, Carboplatin und Cisplatin [51, 52]. Um die schwerwiegenden Nebenwirkungen möglichst gering zu halten und die therapiebedingte Letalität zu senken, sind gewichtsadaptierte Dosierungen, kontrollierte Dosisreduktionen und die G - CSF - Gabe eingeführt worden. Zur Intensivierung der Chemotherapie wird die Megatherapie mit autologem Stammzellsupport (ASCT) eingesetzt. Ihr geht eine Sammlung von Stammzellen voraus, deren Gewinnung möglichst zeitnah des Eintretens einer Remission im Knochenmark aus peripherem Blut erfolgt. 1.8.3 Radiotherapie Die Radiotherapie findet hauptsächlich Anwendung bei drohendem Querschnitt mit bestehenden Kontraindikationen gegen eine Operation, drohender Erblindung durch Orbitainfiltration oder bei verbliebenem Resttumor nach Chemotherapie. Sie findet lokal, unter Berücksichtigung der Toleranzschwelle der im Strahlenfeld liegenden Organe, statt. Ziel ist eine Gesamtdosis von 36 – 40 Gy im betroffenen Bereich des Resttumors. Sind mIBG - speichernde Tumorreste vorhanden, kann im Rahmen der Megatherapie auch mit 131 I - mIBG in therapeutischen Dosen bestrahlt werden [20, 40]. Hierbei ist jedoch auf eine ausreichende Schilddrüsenblockade zu achten. 1.8.4 Erhaltungstherapie In der Immuntherapie findet der monoklonale Anti - GD2 - Antikörper ch 14.18 Anwendung. Er wird über die Dauer von einem Jahr appliziert und induziert die komplementabhängige (CDC) und antikörperabhängige zelluläre Zytolyse (ADCC). Die 6 - monatige Therapie mit Retinolsäure stellt eine wirksame Methode zur Behandlung der minimalen Resterkrankung dar [42]. 13 - cis - und all - trans - Retinolsäure können die Proliferation und die MYCN - Expression selbst in 10 chemotherapieresistenten Tumorzellen hemmen und fördern deren Differenzierung [56]. 1.8.5 Begleittherapie Dexamethason wird begleitend zur Chemotherapie bei Kindern mit Zeichen einer Rückenmarkskompression angewendet. Initial angewendet soll die abschwellende, antiödematöse Wirkung den Verlauf positiv beeinflussen. Abhängig von der Therapiedauer ist auf ein Ausschleichen der Dosis zu achten. 1.9 Prognose und beeinflussende Faktoren Die Prognose wird maßgeblich vom Alter des Patienten bei Diagnosestellung und dem klinischen Stadium beeinflusst [15]. Molekulargenetische Faktoren, wie das Vorhandensein einer MYCN - Amplifikation [62], einer 1p(36.3) - Deletion [72], Dioder Tetraploidie der Tumorzellen [36] oder fehlende TrkA - Expression [47] sind mit einem ungünstigen Verlauf assoziiert [39]. Bei Diagnosestellung sind serologische Faktoren, wie erhöhte Konzentrationen von LDH [7], NSE [81] und Ferritin [37] im Serum richtungsweisend. Die 5 - Jahres - Gesamtüberlebensrate (OS) liegt bei allen Kindern bei ca. 72 %, wohingegen sie bei der Beobachtungspatienten der Studie NB97 bei 96±1 %, bei Patienten mit mittlerem Risiko bei 89±3 % und bei der Hochrisikogruppe bei nur 50±3 % liegt [67]. Insgesamt ist über die Jahre eine Verbesserung der Prognose zu verzeichnen, auch bei den Gruppen mit ungünstigem Verlauf [12]. In der speziellen Gruppe mit epiduraler Kompression werden häufiger lokalisierte Stadien beobachtet, was in Zusammenhang mit der geringeren Rate an MYCN - Amplifikationen und dem jüngeren Alter der Patienten das insgesamt bessere Outcome (5 - Jahres - OS ca. 85 %) erklärt [16]. Bei Kindern mit intraspinaler Beteiligung verhält sich die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen neurologischen Rekonvaleszenz umgekehrt proportional zur Schwere Diagnosezeitpunkt [27, 32]. 11 und Dauer der anfänglichen Symptomatik zum 1.10 Spätschäden Die stetig verbesserten Behandlungsmöglichkeiten mit genau zugeschnittener Therapie und der daraus resultierenden besseren Prognose für die kleinen Patienten bringt es mit sich, dass Spätfolgen einer antineoplastischen Therapie wie auch Zweitmalignome häufiger zu Tage treten. Bei den Kindern mit intraspinaler Tumorausdehnung können im Verlauf Atrophien des Binde- und Stützgewebes und Skoliosen physiotherapeutischen und auftreten, die einer weiteren intensiven orthopädischen Behandlung bedürfen [44]. Wachstumsstörungen, persistierende Paraplegien, sowie motorische Dysfunktionen und neurogene Blasenentleerungsstörungen und Inkontinenz sind weitere mögliche Langzeitschäden [49]. Neben der klinischen und neurologischen Untersuchung müssen auch nephrologische (hochgradiger vesikoureteraler Reflux mit chronischer HWI und Nierenversagen), kardiologische (Kardiomyopathien durch Anthrazykline) und audiologische Defizite (Hochtonschwerhörigkeit durch Platinderivate) [35, 68] erfasst werden. Als häufigste Zweitneoplasien werden Myelodysplasien und Leukämien, Malignome der Schilddrüse, Weichteilsarkome und Osteosarkome berichtet [2, 26, 30]. 1.11 Pathophysiologie spinaler Kompression Durch eine chronische Kompression des Rückenmarks wird ein bisher noch nicht vollständig erklärter Mechanismus induziert, welcher zu einem Untergang der Motoneuronen im Vorderhorn führt. Dieser Verlust ist eine irreversible pathologische Veränderung, die besonders in den Fällen mit langdauernder Kompression von 6 - 9 Wochen eintritt. In zahlreichen Studien wurden neurotrophische Faktoren bezüglich ihres Einflusses auf das Überleben spinaler Motoneuronen untersucht. Der bedeutsamste darunter ist BDNF (brain - derived neurotrophic factor). Es ist anzunehmen, dass es sich um einen kompensatorischen Mechanismus handelt, da die Expression von BDNF in den Neuronen und Gliazellen des Rückenmarks nach 6 - wöchiger Kompression erhöht ist, jedoch nach 12 Wochen wieder abfällt. Einen ähnlichen Verlauf zeigt auch die Expression von NGF. In Übereinstimmung dazu wurde festgestellt, dass entlastende Maßnahmen nur bis zu 6 Wochen nach begonnener Einengung des Spinalkanales die 12 Motoneuronen erhalten konnten. Operationen zu einem späteren Zeitpunkt waren nicht mehr erfolgreich. Dies bietet einen Anhaltspunkt dafür, dass eine chirurgische Dekompression, besonders im frühen Stadium mit noch aktiver Gegenregulation, zu besseren Ergebnissen führt [31]. Weiterhin führt eine derartige Affektion des Rückenmarks zu einer Zerstörung der aufund absteigenden axonalen Bahnen, welche motorische, sensorische und autonome Funktionen steuern. In diesem degenerativen Prozess spielen Entzündungsreaktionen eine wichtige Rolle. Endogenes IL - 10 als Regulator von Immun- und Entzündungsantwort vermindert die Entwicklung von Gewebsschäden nach spinaler Kompression. Eine Deletion des IL - 10 Gens verschlechtert die Aussichten auf neurologische Erholung erheblich [21]. 1.12 Fragestellung und Ziel der Arbeit Bis heute herrscht bei Patienten mit Querschnittsymptomatik keine Einigkeit über die beste therapeutische Strategie, welche u.a. Neurochirurgie, Chemotherapie und Bestrahlung umfassen. Der obige Sachverhalt mit Früh- und Spätkomplikationen und das weiterhin schlechte Outcome einiger Patientengruppen legt nahe, dass noch genauer eruiert werden muss, welche Therapieoptionen bei welchem Risikoprofil anzuwenden sind bzw. individuell angepasst und abgewägt werden müssen. Die Etablierung von Leitlinien zur konsequenten einheitlichen Therapie des Querschnitts bei Neuroblastom wäre wünschenswert [16].So ergibt sich die Fragestellung wie folgt: - Welche Therapiekonzepte bieten das beste neurologische Outcome und hohe Lebensqualität bei Vermeidung von Rezidiven? - Welche prognostischen Faktoren (Alter bei Diagnosestellung, Stadium der Erkrankung und molekulargenetischen Besonderheiten) sind relevant? Diese Problematik soll im Rahmen dieser Arbeit anhand einer retrospektiven Datenerhebung und Datenanalyse geklärt werden. In Zusammenarbeit mit den in den deutschen Neuroblastomstudien kooperierenden Kliniken soll eine möglichst genaue Darstellung erfolgen, um die Vor- bzw. Nachteile und Anwendungsgebiete der 13 verschiedenen Therapiestrategien detailliert zu beschreiben und so Anhalt für eine optimierte Behandlung des intraspinalen Neuroblastoms zu geben. 14 2. Material und Methoden 2.1 Studiendesign und Datenerhebung Die vorliegende Arbeit basiert auf den prospektiv erhobenen Daten der Neuroblastomstudien NB 90, NB 95, NB 97 und NB 04 der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie, welche multizentrische Therapieoptimierungsstudien darstellen. Die teilnehmenden Kliniken melden die Diagnose und übermitteln Informationen zu Therapie, Therapieerfolg und Langzeitverlauf anhand von Erhebungsbögen an die Studienzentrale in Köln. Vorrangige Zielsetzung ist die Optimierung der Therapieschemata und Etablierung von übersichtlichen Richtlinien, um Prognose und ereignisfreie Überlebenszeiten zu steigern. Die vorhandenen Daten wurden im Rahmen dieser Arbeit durch zusätzlich in den behandelnden Kliniken erhobene Parameter ergänzt und sollen eine detaillierte Aussage über Vor- und Nachteile der Therapiemodalitäten im speziellen Fall der epiduralen Kompression ermöglichen. 2.2 Patientenkollektiv 2.2.1 Einschlusskriterien Die Analyse umfasste Patienten der Neuroblastomstudien NB 90, NB 95, NB 97 und NB 04 aller Stadien mit nachgewiesenem intraspinalem Befall und initialer kompletter oder inkompletter Querschnittsymptomatik mit Diagnosestellung vor dem 01.01.2008. Insgesamt wurden 123 Patienten mit einer symptomatischen Kompression des Spinalkanales im Alter von 0 bis 36 Jahren gemeldet, bei 26 Patienten blieben die Verlaufsdaten trotz gezielter Nachfragen unvollständig. Die deutschen Neuroblastomstudien wurden von der Ethikkommission der Universität zu Köln und den kooperierenden Institutionen gemäß den geltenden Richtlinien genehmigt. Eine schriftliche Einwilligungserklärung zur Datenerhebung und Verarbeitung sowie zur Behandlung wurde in den Kliniken von den Eltern oder einem gerichtlichen Betreuer für jedes teilnehmende Kind eingeholt. 15 2.2.2 Untersuchte Parameter Von Interesse waren insbesondere die Zeitspanne zwischen erstem neurologischen Symptom und Beginn der Therapie und die Qualität der neurologischen Symptomatik zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme. Das Ausmaß der motorischen Störungen wurde unter Angabe der Wirbelhöhe der epiduralen Kompression in den folgenden drei Abstufungen bewertet: Grad 1: eingeschränkte Beweglichkeit und Gehfähigkeit Grad 2: aufgehobene Gehfähigkeit, Restbeweglichkeit vorhanden Grad 3: vollständige Parese, Paraplegie Weiterhin wurde das Vorliegen von Sensibilitätsstörungen, Schmerzen, neurogenen Blasenentleerungsstörungen mit Restharn sowie einer begleitenden Obstipation erfasst. Das initiale Therapieelement wurde jeweils mit Datum und einer evtl. begleitenden Kortikoidbehandlung angegeben. Bei der neurochirurgischen Operation wurde noch genauer zwischen der Art des Eingriffs (Laminektomie oder Hemilaminektomie) und der Vollständigkeit der Entfernung der intraspinalen Tumoranteile (komplett oder inkomplett) differenziert. Insgesamt wurde die Entwicklung der Symptomatik nach erstem Therapieelement und nach Abschluss der gesamten Intensivtherapie vor Beginn einer Dauer-, Antikörperoder Retinsäuretherapie verglichen. Abschließend wurden Daten zum Zeitpunkt der letzten Vorstellung in der behandelnden Klinik erfragt. Im Einzelnen waren dies Angaben zu Körpergröße, Wachstumsstörungen, Skoliose, Gehfähigkeit, Sensibilitätsausfällen, neuropathischem Schmerzsyndrom, neurogenen Blasenentleerungsstörungen und Obstipation. 2.2.3 Dokumentationsbogen Um den Arbeitsaufwand für die kooperierenden Kliniken so gering wir möglich zu halten, wurde ein Fragebogen angefertigt und anhand der Studiendatenbank mit den vorhandenen Daten vorausgefüllt. Der Bitte um Vervollständigung sind 46 von 56 Kliniken nachgekommen, dennoch konnten trotz ergänzender Nachfragen nicht immer alle nötigen Informationen zusammengetragen werden. Die Gestaltung und der Aufbau des Bogens sind im Anhang auf den Seiten 63 und 64 zu ersehen. 16 2.3 Definitionen der Risikogruppen und Therapie 2.3.1 NB 90 - Protokoll In dieser Studie wurde die Risikogruppeneinteilung der Patienten mit Diagnosestellung bis zum vollendeten 20. Lebensjahr nach Stadienzugehörigkeit anhand der INSS Kriterien bestimmt und zusätzlich durch bestimmte Risikofaktoren (RF) unterteilt. Tabelle 3: Neuroblastomstudie NB 90 Makroskopisch komplette operative Entfernung des Primärtumors. Stadium 1 Stadium 2a und 2b 3-A : kein RF ungünstig 3-B : 1 RF ungünstig Stadium 3 Op, 4 Blöcke Chemotherapie (N1, N2) und evtl. Zweitoperation. keine Vollremission ! Weiterbehandlung wie Stadium 3 Risikogruppe C, D 3-C : 2RF ungünstig 3-D : 3 RF ungünstig RF: erhöhte LDH, nur biopsierbarer Primärtumor, Alter "9 Monate bei D. 4-A : LDH normal 4-B : LDH erhöht, keine weiteren RF Stadium 4 4-C : LDH erhöht, 1 - 3 RF RF: nicht komplett entfernbarer Primärtumor, erniedrigte Leukozyten, Histologiegrad 3 nach Hughes. 4S-A : Primärtumor komplett entfernbar, initialer AZ ohne prognostische Bedeutung Stadium 4S Stadium 3-C, D und Stadium 4 PR, MR: Dauertherapie für 1 Jahr Stadium 4 CR, VGPR: ASCT oder alternativ 1 Jahr niedrig dosierte Dauertherapie Beobachtung, Erwarten einer Spontanregression 4S-B : Primärtumor nicht komplett entfernbar, initialer AZ nicht kritisch 4S-C : Primärtumor nicht komplett entfernbar, initialer AZ kritisch 17 Op, 8 Blöcke Chemotherapie (N1, N2), evtl. Bestrahlung von Knochenmetastasen beim 2.N1und N2 - Block, KM - Entnahme nach 4. Block, Konsolidierungstherapie mit lokaler Bestrahlung des Primärtumors: 4 Injektionen N3, evtl. Erweiterung auf 8. Bei Progredienz niedrig dosierte Leberbestrahlung. 2.3.2 NB 95 - Protokoll Die Neuroblastomstudie NB 95 schloss nur Säuglinge ein, zur Aufnahme mussten die folgenden Kriterien erfüllt werden: INSS - Stadium 1,2,3 oder 4S mit vorliegendem MYCN - Status, Alter #1 Jahr bei Diagnosestellung und keine Notwendigkeit einer Chemotherapie in den folgenden 6 Monaten. Von diesen Studienpatienten wurden nur diejenigen als Beobachtungspatienten geführt, bei denen keine aussagekräftige MYCN Untersuchung und / oder ein primäres Stadium 4 vorlag und / oder eine Chemotherapie innerhalb von 6 Monaten nach Diagnose gegeben werden musste. 2.3.3 NB 97 - Protokoll Im Studienprotokoll von 1997 wurden Neuroblastompatienten im Alter von 0 - 20 Jahren erstmalig einer Beobachtungs-, Standardrisiko- oder Hochrisikogruppe zugewiesen, siehe nachfolgende Tabelle. Tabelle 4: Neuroblastomstudie NB 97 Säuglinge im Stadium 1 - 3 und 4S Beobachtungsgruppe Kinder >1 Jahr im Stadium 1, im Stadium 2 nur bei weitgehend reseziertem Tumor (Tumorrest <10 % des Ausgangsvolumens) alle jeweils ohne MYCN - Amplifikation Säuglinge im Stadium 2 und 3 mit bedrohlicher tumorassoziierter Symptomatik Standardrisikogruppe Beobachtungspatienten mit Progress oder ungenügender Regression bzw. Differenzierung am Ende des Beobachtungszeitraumes Kinder >1 Jahr im Stadium 2 mit einem Residualtumor von >10 % sowie Kinder >1 Jahr im Stadium 3 Hochrisikogruppe Stadium 4 alle Patienten mit MYCN - Amplifikation Beobachtungszeit 6 - 12 Monate. Erwarten einer spontanen Tumorregression. PROG ! Stadien 1 - 3 wie Standardrisikogruppe, Stadium 4S Chemotherapie mit N4 - Blöcken Op / Biopsie, 4 Blöcke Chemotherapie (N5, N6), evtl. Zweit - Op PR, MR, NR, PROG ! Bestrahlung der aktiven Tumorreste mit 36 - 40 Gy, evtl. begleitende mIBG - Therapie Op / Biopsie, 6 Blöcke intensive Chemotherapie (N5, N6) mit G CSF - Gabe in den Pausen, evtl. Zweit - Op Randomisierung in den Megatherapie- oder Erhaltungstherapiearm 18 Die myeloablative Megatherapie mit anschließender ASCT setzte eine möglichst frühzeitige Stammzellsammlung voraus [9]. Die Erhaltungschemotherapie bestand aus vier Blöcken N7 und konnte ambulant erfolgen. Weiterhin konnte in beiden Therapiearmen unter bestimmten Voraussetzungen eine Radiotherapie sinnvoll sein [69]. Abschließend wurde über 1 Jahr eine Immuntherapie mit dem Antikörper ch 14.18 in 6 Zyklen unter Morphingabe durchgeführt [70]. 2.3.4 NB 2004 - Protokoll Tabelle 5: Neuroblastomstudie NB 2004 Stadium 1: Alter 0 - 21 J., keine MYCN - Amplifikation Op / Biopsie und Beobachtung Beobachtungspatienten Stadium 2: Alter 0 - 21 J., keine MYCN - Amplifikation, keine Deletion oder Imbalance von Chromosom 1p Stadium 3: Alter 0 - 2 J., keine MYCN - Amplifikation, keine 1p Aberration Bedrohliche Symptomatik, PROG ! maximal 4 Blöcke Chemotherapie N4. Weiterer PROG ! Behandlung wie Standardrisikopatienten Progression zum Stadium 4 ! Behandlung wie Hochrisikopatienten (Alter "1 J.) Stadium 4S: Alter 0 - 1 J., keine MYCN - Amplifikation Stadium 2 und 3: Alter 0 - 21 J., Deletion oder Imbalance von Chromosom 1p im Tumorgewebe, keine MYCN - Amplifikation Standardrisikopatienten Stadium 3: Alter "2 - 21 J., keine MYCN - Amplifikation Stadium 4: Alter <1 J., keine MYCN Amplifikation Op / Biopsie, 6 Blöcke Chemotherapie (N5, N6 im Wechsel), evtl. Zweit - Op Bestrahlung aktiver Tumorreste und orale Erhaltungstherapie mit 4 Blöcken N7. 13 - cis - Retinolsäure über 6 Monate, nach 3 Monaten Pause erneut für 3 Monate mit Supportivtherapie (Transfusionen, G CSF - Gabe etc.) Op / Biopsie, Randomisation in Experimental- oder Standardarm Stadium 4: Alter "1 - 21 J. Hochrisikopatienten 19 alle Patienten mit MYCN Amplifikation Experimentalarm: 2 Blöcke N8, dann wie Standardarm Standardarm: 6 Blöcke Chemotherapie (N5, N6), ASCT mit mIBG - Therapie, Bestrahlung aktiver Tumorreste, 13 - cis Retinolsäure über 1 Jahr mit Supportivtherapie 2.3.5 Remissionskriterien Zur Beurteilung des Remissionsstatus der Neuroblastompatienten werden die internationalen Neuroblastomremissionskriterien (INRC) angewandt. Dabei gilt, dass Primärtumor und Metastasen getrennt zu bewerten sind, und der ungünstigere Fall das Ergebnis bestimmt. Tabelle 6: Internationale Neuroblastomremissionskriterien (INRC) (aus [11]) CR (Vollremission) Kein Tumor, keine Metastasen, Katecholamine normal VGPR (sehr gute Teilremission) Primärtumor verkleinert um 90 - 99 %, keine Metastasen, Katecholamine normal. Skelett - Szintigramm kann positiv sein. PR (Teilremission) Primärtumor und alle messbaren Metastasen verkleinert um >50 %. Knochenläsionen um >50 % verringert, höchstens ein Knochenmarksaspirat oder eine Biopsie positiv für Tumorzellen. MR (gemischte Remission) Keine neuen Tumorherde; teils >50 %, teils <50 % Verkleinerung des Primärtumors oder der Metastasen, aber keine Zunahme um >25 % eines Tumorherdes. NR (keine Remission) Keine neuen Tumorherde; Verkleinerung um <50 % und Vergrößerung nicht >25 %. PROG (Progression) Jeder neue Tumorherd; Vergrößerung um >25 % eines Tumorherdes und / oder bislang negatives Knochenmarkmaterial jetzt tumorzellhaltig. 20 2.4 Datenauswertung und statistische Methoden Die im Dokumentationsbogen erhobenen Daten wurden in einer Access - Datenbank mittels einer speziellen Eingabemaske zusammengefasst und durch bereits dokumentierte Daten aus der bestehenden Datenbank des Studienbüros ergänzt. Die statistische Auswertung erfolgte mit der wissenschaftlichen Software SPSS (Version 17.0.0). Univariate Analyse: Die Überprüfung der Unabhängigkeit der Variablen erfolgte mittels Chi2 - Test oder exaktem Fisher - Test. Als Signifikanzniveau wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % festgelegt. Der Mann - Whitney - U Test fand seine Anwendung als Alternative zum t - Test im Vergleich der Altersverteilung von zwei unabhängigen Gruppen. Bei den Überlebenszeitanalysen wurde die Kaplan Meier Methode angewandt. Die Unterschiede in den Überlebensfunktionen wurden durch den Log - Rank - Test (Mantel - Cox, gewichtet Unterschiede am Ende des Untersuchungszeitraums stärker) beschrieben. Das ereignisfreie Überleben (EFS) wurde berechnet aus der Zeit vom Diagnosedatum bis zum Ereignis oder der letzten Untersuchung, falls der Patient kein Ereignis hatte. Rückfall, Progression, Sekundärmalignome und Tod wurden als Ereignisse gewertet. Das Gesamtüberleben (OS) wurde berechnet als die Zeit vom Diagnosedatum bis zum Tod oder der letzten Untersuchung, wenn der Patient noch überlebte. In diesem Fall wurde die Überlebenszeit als zensiert bezeichnet. 21 3. Ergebnisse 3.1 Patientencharakteristika Insgesamt wurden im untersuchten Zeitraum 2617 Patienten mit Neuroblastom registriert. Die mediane Beobachtungszeit der Gesamtgruppe betrug 7,4 Jahre (range 0 - 18,4). Die mediane Beobachtungszeit der 123 Querschnittpatienten war 7,8 Jahre (range 1,1 17,0), davon überlebten 102 Patienten länger als 2 Jahre. Das 5 - Jahre ereignisfreie Überleben der Gesamtgruppe betrug 62,0 % ± 1,0 %, das 5 Jahres Gesamtüberleben 73,2 % ± 0,9 % (Abbildung 3). Abbildung 3: Ereignisfreies Überleben und Gesamtüberleben der 2617 Neuroblastompatienten Das ereignisfreie Überleben von Patienten mit Querschnittsymptomatik (5yEFS 67,8 % ± 4,4 %) war nicht verschieden von Patienten ohne Querschnittsymptomatik (5yEFS 61,6 % ± 1,0 %, p=0,191). Das Gesamtüberleben der Patienten mit Querschnittsymptomatik war besser (5yOS 87,0 % ± 3,2 % vs. 72,5 % ± 0,9 %, p<0,001), siehe Abbildung 4. 22 Querschnittsymptomatik, n=123 Querschnittsymptomatik, n=123 Keine Querschnittsymptomatik, n=2494 Keine Querschnittsymptomatik, n=2494 p=0.191 p<0.001 Abbildung 4: Ereignisfreies Überleben und Gesamtüberleben für die Patientengruppen mit und ohne Querschnittsymptomatik im Vergleich In den folgenden Tabellen werden die Patientengruppen mit und ohne spinale Beeinträchtigung bzw. Myelopathie gegenübergestellt. Tabelle 7: Vergleich der Patientencharakteristik der Kollektive mit und ohne symptomatischer epiduraler Kompression Querschnittsymptomatik nicht vorhanden vorhanden Total Anzahl 2494 123 2617 m/w 1358 / 1136 61 /62 2617 Median Minimum / Maximum 1,299 0,742 0,00 / 36,25 0,00 / 20,4 1 552 (22,1%) 6 (4,9%) 558 (21,3%) 2 355 (14,2%) 21 (17,1%) 376 (14,4%) 3 387 (15,5%) 61 (49,6%) 448 (17,1%) 4 923 (37,0%) 25 (20,3%) 948 (36,2%) 4S 271 (10,9 %) 10 (8,1%) 281 (10,7%) Alter bei Diagnosestellung in Jahren INSS-Stadium 23 p-Wert 0,538 <0,001 <0,001 Querschnittsymptomatik Lokalisation des Primärtumors MYCN nicht vorhanden vorhanden Total p-Wert multilokulär 6 (0,2%) 0 (0%) 6 (0,2%) Nebenniere 1326 (53,2%) 14 (11,4%) 1340 (51,2%) Abdomen 655 (26,3%) 51 (41,5%) 706 (27,0%) Thorax 344 (13,8%) 50 (40,7%) 394 (15,1%) Hals 79 (3,2%) 0 (0%) 79 (3,0%) Becken 59 (2,4%) 8 (6,5%) 67 (2,6%) Sonstige 2 (0,1%) 0 (0%) 2 (0,1%) nicht auffindbar 29 (1,2%) 0 (0%) 29 (1,1%) nicht amplifiziert 1822 (73,1%) 98 (79,7) 1920 (73,4%) amplifiziert 386 (15,5%) 6 (4,9%) 392 (15,0%) unbekannt 286 (11,5%) 19 (15,4%) 305 (11,7%) <0,001 =0,004 Tabelle 8: INSS - Stadienverteilung bei Querschnittsymptomatik ohne multilokuläre Fälle Querschnittsymptomatik INSS-Stadium nicht vorhanden vorhanden Total lokalisiert 1294 (52,0%) 88 (71,5%) 1382 (52,9%) 4 923 (37,1%) 25 (20,3%) 948 (36,3%) p-Wert <0,001 4S Total Von den 2617 Kindern 271 (10,9%) 10 (8,1%) 281 (10,8%) 2488 (100,0%) 123 (100,0%) 2611 (100,0%) mit Diagnose Neuroblastom hatten 123 eine Querschnittsymptomatik. Das mediane Alter bei Diagnosestellung lag mit 0,74 Jahren niedriger als bei Patienten ohne Myelopathie (1,30 Jahre, p<0,001). 24 Die Stadienverteilung zeigt für die von einem Querschnitt betroffenen Patienten eine Häufung des Stadiums 3 (49,6 % gegenüber nur 15,5 % der Vergleichsgruppe). Dagegen ist in der Vergleichsgruppe das Stadium 4 mit 37,0 % häufiger zu beobachten. Das Stadium 4S ist in beiden Gruppen ähnlich oft vertreten (p<0,001). Ein Ausschluss der multilokulären Fälle führt zu demselben Ergebnis. In der Gruppe ohne neurologische Symptomatik lagen die meisten Tumoren in der Nebennierenloge, während dagegen der Großteil der Tumoren bei den symptomatischen Kindern in Abdomen (41,5 %) und Thorax (40,7 %) lokalisiert war (p<0,001). Patienten mit Querschnittsymptomatik hatten deutlich seltener eine MYCN Amplifikation (4,9 % vs. 15,5 %, p=0,004). 3.2 Initiale neurologische Symptomatik Ein intraspinaler Befall ist ein eindeutiger Nachweis von Tumorgewebe im Spinalkanal im kontrastmittelangereichertem MRT und ist nicht mit einer Querschnittsymptomatik gleichzusetzen. Die folgende Tabelle zeigt, dass nur etwa die Hälfte der Patienten mit Tumoreinwachsen in den Spinalkanal auch wirklich eine Symptomatik entwickelt. Tabelle 9: Zusammenhang intraspinaler Befall und Symptomatik Intraspinaler Befall nicht vorhanden Total 2324 (100,0%) 157 (56,1%) 2481 (95,3%) 0 (0%) 123 (43,9%) 123(4,7%) 2324 (100,0%) 280 (100,0%) 2604 (100,0%) vorhanden nicht Querschnittsymptomatik vorhanden vorhanden Total 25 p-Wert <0,001 Bei insgesamt 13 Patienten (0,5 %) fehlen Angaben über ein mögliches intraspinales Einwachsen des Neuroblastoms. Bei 26 Patienten blieben die klinischen Daten trotz Nachfragen unvollständig, so dass diese von den folgenden Analysen ausgeschlossen wurden. 3.2.1 Charakteristik der neurologischen Symptomatik Nahezu alle Patienten mit Myelopathiesymptomen zeigen motorische Defizite (94,8 %), hierbei waren die schwereren Beeinträchtigungen häufiger als die leichten. So waren nur 23,7 % der Patienten in ihrer Beweglichkeit gering eingeschränkt, wohingegen jeweils 35,1 % bzw. 36,1 % nur noch eine minimale Restbeweglichkeit oder vollständige Parese aufwiesen. Tabelle 10: Initialsymptomatik bei 97 Patienten mit intraspinalem Befall Häufigkeit Erstsymptomatik ja Motorische Störungen Grad 1 23 (23,7%) Grad 2 35 (36,1%) Grad 3 34 (35,1%) nein nicht beurteilbar nicht untersucht Total 5 (5,2%) 97 (100%) Sensibilitätsstörungen 43 (44,3%) 30 (30,9%) 6 (6,2%) 18 (18,6%) 97 (100%) Schmerzen 43 (44,3%) 35 (36,1%) 13 (13,4%) 6 (6,2%) 97 (100%) Neurogene Blase 34 (35,1%) 43 (44,3%) 7 (7,2%) 13 (13,4%) 97 (100%) Restharn 25 (25,8%) 40 (41,2%) 4 (4,1%) 28 (28,9%) 97 (100%) Obstipation 25 (25,8%) 48 (49,5%) 3 (3,1%) 21 (21,6%) 97 (100%) Sehr häufig manifestierte sich das intraspinale Neuroblastom mit Sensibilitätsstörungen und Schmerzen (jeweils zu 44,3 %), häufig bestand eine neurogene Blasenentleerungsstörung mit 35,1 %. Daraus resultierende Restharnmengen waren ebenso wie eine Obstipation nur bei einem Viertel des untersuchten Patientenkollektivs nachzuweisen. Die Aussage wird dadurch eingeschränkt, dass bei einigen Patienten trotz Nachfrage keine verwertbaren Informationen zu erheben waren. 26 3.2.2 Initialsymptomatik in Abhängigkeit von der Primärtumorlage Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Tumorlage und Auftreten motorischer (p=0,540) oder sensibler Defizite (p=0,693) und Schmerzen (p=0,290) ließ sich nicht nachweisen. Neurogene Blasenentleerungsstörung (p=0,001) und signifikanter Restharn (p=0,013) traten besonders häufig bei pelvinen Tumoren auf. Eine Obstipation war nicht mit der Lokalisation des Primärtumors assoziiert (p=0,705). Tabelle 11: Initialsymptomatik nach Primärtumorlage Tumorlage p-Wert Nebenniere Abdomen Thorax Becken Total 10 40 36 6 92 Grad 1 5 8 8 2 23 Grad 2 1 20 14 0 35 Grad 3 4 12 14 4 34 nein 1 1 2 1 5 ja 4 20 15 4 43 nein 3 11 14 2 30 ja Motorische Störungen Sensibilitätsstörungen 0,693 n. beurteilbar 0 2 4 0 6 n. untersucht 4 8 5 1 18 ja 7 19 14 3 43 nein 3 11 19 2 35 n. beurteilbar 1 9 2 1 13 n. untersucht 0 2 3 1 6 11 41 38 7 97 Schmerzen Total 27 0,540 0,290 Tumorlage p-Wert Neurogene Nebenniere Abdomen Thorax Becken Total ja 3 16 8 7 34 nein 7 18 18 0 43 Blasenstörung 0,001 n. beurteilbar 0 0 7 0 7 n. untersucht 1 7 5 0 13 ja 2 12 5 6 25 nein 4 19 17 0 40 Restharn 0,013 n. beurteilbar 0 1 3 0 4 n. untersucht 5 9 13 1 28 ja 3 10 8 4 25 nein 6 20 21 1 48 n. beurteilbar 0 2 1 0 3 n. untersucht 2 9 8 2 21 11 41 38 7 97 Obstipation Total 0,705 28 3.2.3 Symptomdauer Vom ersten Symptom eines Querschnitts bis zur Diagnosestellung vergingen im Median 12 Tage (range 0 - 1838), die Latenzzeiten sind in Tabelle 12 aufgelistet. Es ist auffällig, dass über die Hälfte der Patienten erst nach 1 - 4 Wochen oder später aufgenommen und diagnostiziert wurde. Nur 39 von 97 Patienten wurden innerhalb einer Woche behandelt. Interessanterweise sind die Auswirkungen auf spätere Schäden nicht signifikant unterschiedlich (p=0,967). Tabelle 12: Zusammenhang von Symptomdauer bis zur Krankenhausaufnahme und dem Auftreten von Spätschäden (p=0,967) Spätschäden Symptomdauer Total 29 nein ja Total # 1 Tag 3 11 14 > 1 bis # 3 Tage 2 5 7 > 3 bis # 7 Tage 5 13 18 > 7 bis # 28 Tage 8 22 30 > 28 Tage 9 19 28 27 70 97 3.3 Initiale Behandlungsstrategien Die initiale Behandlung eines Patienten mit tumorassoziiertem Querschnittsyndrom kann durch Operation, Chemotherapie oder Strahlentherapie erfolgen. Häufig erhalten die Patienten zur kurzfristigen Abschwellung zusätzlich Kortikoide. Insgesamt 51 der 97 Patienten (52,6 %) wurden primär neurochirurgisch behandelt. Es wurden 30 Patienten laminotomiert und 21 laminektomiert. Eine vollständige Entfernung des intraspinalen Tumoranteils gelang in 66,7 % der Laminotomien und in 61,9 % der Laminektomien (p<0,001). Die übrigen 46 Patienten erhielten initial Chemotherapie. Eine initiale Radiatio wurde bei keinem Patienten vorgenommen. Bei 59 der 97 Patienten wurden begleitend Kortikoide verabreicht, wobei in der retrospektiven Erfassung oft nur unvollständige Angaben zu Kortisondosis und Behandlungsdauer zu erheben waren. Die Tabelle 13 zeigt die Häufigkeit einer Behandlung mit Kortison in Abhängigkeit von der Initialbehandlung (p=0,410). Tabelle 13: Häufigkeit einer begleitenden Kortisontherapie (p=0,410) Kortisontherapie nein ja Total Neurochirurgische Operation 18 (47,4 %) 33 (55,9%) 51 (52,6%) Chemotherapie 20 (52,6%) 26 (44,1%) 46 (47,4%) Total 38 (100,0%) 59 (100,0%) 97 (100,0%) 3.3.1 Status nach initialer Behandlung Um die Auswirkungen der initialen Therapie auf die weitere Entwicklung genau darzustellen, wurde jeweils der Status nach dem ersten Therapieelement (neurochirurgischer Eingriff oder erster Chemotherapiezyklus) erfasst. Die Einteilung erfolgte in symptomatische Verbesserung, unveränderte Symptomatik oder Verschlechterung. In einigen Fällen konnten keine Angaben erhoben werden. 30 Tabelle 14 erfasst die Entwicklung nach neurochirurgischer Operation und Chemotherapie. Insgesamt sind die prozentualen Verteilungen jedoch recht ähnlich, und es kann keine signifikante Abhängigkeit der untersuchten Therapieformen und dem resultierenden Zustand gezeigt werden (p=0,882). Tabelle 14: Symptomatik nach initialer neurochirurgischer Operation bzw. Chemotherapie (p=0,882) Symptomatik nach Initialtherapie Therapieform nicht Besserung Status idem Verschlechterung Neurochirurgie 35 (68,6%) 12 (23,5%) 1 (2,0%) 3 (5,9%) 51 (100,0%) Chemotherapie 30 (65,2%) 12 (26,1%) 2 (4,3%) 2 (4,3%) 46 (100,0%) Total 65 (67,0%) 24 (24,7%) 3 (3,1%) 5 (5,2%) 97 (100,0%) bekannt Total Mit einer begleitenden Kortisontherapie konnte eine signifikante Verbesserung der Symptomatik erreicht werden. Kein Patient verschlechterte sich in seinem Zustand. Die statistische Prüfung zeigt, dass die Auswirkung einer Kortisontherapie auf die weitere Entwicklung von signifikanter Bedeutung ist (p=0,026). Tabelle 15: Symptomatik nach Initialtherapie Kortison (p=0,026) Symptomatik nach Initialtherapie Therapieform nicht Besserung Status idem Verschlechterung nein 24 (63,2%) 7 (18,4%) 3 (7,9%) 4 (10,5%) 38 (100,0%) ja 41 (69,5%) 17 (28,8%) 0 (0,0%) 1 (1,7%) 59 (100,0%) 65 (67,0%) 24 (24,7%) 3 (3,1%) 5 (5,2%) 97 (100,0%) bekannt Total Kortison Total 31 3.3.2 Status bei Therapieende Tabelle 16 zeigt den symptomatischen Status bei Therapieende in Abhängigkeit vom initialen Eingriff. Hier findet sich kein Unterschied zwischen den Modalitäten primäre Chemotherapie oder neurochirurgische Operation (p=0,749). Tabelle 16: Symptomatik nach Therapieende (p=0,749) Symptomatik nach Therapieende Therapieform Besserung Status idem Verschlechterung nicht bekannt Total Neurochirurgie 41 (80,4%) 6 (11,8%) 2 (3,9%) 2 (3,9%) 51 (100,0%) Chemotherapie 34 (73,9%) 8 (17,4%) 3 (6,5%) 1 (2,2%) 46 (100,0%) Total 75 (77,3%) 14 (14,4%) 5 (5,2%) 3 (3,1%) 97 (100,0%) Aus Tabelle 17 ist zu entnehmen, dass eine Begleittherapie mit Kortison bei 83,1 % der Patienten zu einer Verbesserung der Symptomatik führt, wogegen unbehandelte Kinder nur zu 68,4 % eine Besserung erfahren. Im Chi2 - Test ist dieser Unterschied als signifikant zu werten (p=0,031) und entspricht damit dem Ergebnis von Tabelle 15. Tabelle 17: Symptomatik nach Therapieende mit Kortison (p=0,031) Symptomatik nach Therapieende Therapieform nicht Besserung Status idem Verschlechterung nein 26 (68,4%) 5 (13,2%) 4 (10,5%) 3 (7,9%) 38 (100,0%) ja 49 (83,1%) 9 (15,3%) 1 (1,7%) 0 (0,0%) 59 (100,0%) 75 (77,3%) 14 (14,4%) 5 (5,2%) 3 (3,1%) 97 (100,0%) bekannt Total Kortison Total 32 3.4 Spätschäden Von den 97 Patienten leiden 70 (72,2 %) noch immer an den Folgen ihrer Tumorerkrankung, während nur 27 Patienten (27,8 %) ohne Langzeitschäden sind. Im Einzelnen fanden sich folgende Spätschäden: Wachstumsstörungen wie Beinlängendifferenz, Beckenschiefstand, Kleinwuchs und atrophische Beinmuskulatur bei 14 Patienten (14,4 %), eine Skoliose bei 31 Patienten (32,0 %) und Gehstörungen mit einem Spektrum von Spitzfuß bis hin zu Paresen bei insgesamt 41 Patienten (42,3 %). Sensibilitätsausfälle persistierten bei 17 (17,5 %) und ein neuropathisches Schmerzsyndrom bei 5 der untersuchten Patienten (5,2 %). Bei 26 Patienten (26,8 %) war eine neurogene Blasenentleerungsstörung und bei 19 Patienten (19,6 %) war eine Obstipation zu finden. 3.4.1 Spätschäden in Abhängigkeit von der Patientencharakteristik Ein Zusammenhang zwischen Häufigkeit von Spätschäden und Alter bei Diagnose (p=0,628 bei Altersgrenze 12 Monate und p=0,611 bei Altersgrenze 18 Monate), MYCN - Status (p=1,000) oder INSS - Stadium (p=0,431) konnte nicht gefunden werden. Tabelle 18: Häufigkeit von Spätschäden in Abhängigkeit von Alter, MYCN - Status und INSS - Stadium Spätschäden p-Wert < 12 Monate nein ja Total 17 49 66 Alter 0,628 > 12 Monate 10 21 31 < 18 Monate 19 53 72 > 18 Monate 8 17 25 nicht amplifiziert 25 53 78 amplifiziert 1 3 4 unbekannt 1 14 15 Alter MYCNStatus 33 0,611 1,000 Spätschäden p-Wert INSSStadium nein ja Total 1 1 3 4 2 3 12 15 3 12 37 49 4 9 11 20 4S 2 7 9 27 70 97 Total 0,431 3.4.2 Langzeitergebnis der einzelnen initialen Behandlungsstrategien Eine operative Entfernung des Tumors ging tendenziell häufiger mit Spätschäden einher als eine Chemotherapie (80,4 % vs. 63,0 %, p=0,057), siehe Tabelle 19. Ein Unterschied hinsichtlich der Art des neurochirurgischen Eingriffs fand sich nicht (p=0,495, Tabelle 20). Tabelle 21 zeigt, dass Patienten nach einer kompletten Resektion zu 87,9 % Folgeschäden davontrugen, nach inkompletter Entfernung nur zu 66,7 % (p=0,137). Für die begleitende Kortisontherapie entfielen 74,6 % auf Spätschäden, ohne Behandlung sind es nur 68,4 % (p=0,509), siehe Tabelle 22. Tabelle 19: Outcome nach Initialtherapie (p=0,057) Initialtherapie Neurochirurgische Operation Chemotherapie Total nein 10 (19,6%) 17 (37,0%) 27 (27,8%) ja 41 (80,4%) 29 (63,0%) 70 (72,2%) 51 (100%) 46 (100%) 97 (100%) Spätschäden Total 34 Tabelle 20: Outcome nach Operationstechnik (p=0,495) Operationstechnik Laminektomie Laminotomie (Hemilaminektomie) Total nein 3 (14,3%) 7 (23,3%) 10 (19,6%) ja 18 (85,7%) 23 (76,7%) 41 (80,4%) 21 (100,0%) 30 (100,0%) 51 (100,0%) Spätschäden Total Tabelle 21: Outcome nach Operationsradikalität des neurochirurgischen Eingriffs (p=0,137) Radikalität inkomplett komplett Total nein 6 (33,3%) 4 (12,1%) 10 (19,6%) ja 12 (66,7%) 29 (87,9%) 41 (80,4%) 18 (100,0%) 33 (100,0%) 51 (100,0%) Spätschäden Total Tabelle 22: Outcome für Initialtherapie Kortikoide (p=0,509) Kortikoide nein ja Total nein 12 (31,6%) 15 (25,4%) 27 (27,8%) ja 26 (68,4%) 44 (74,6%) 70 (72,2%) 38 (100,0%) 59 (100,0%) 97 (100,0%) Spätschäden Total 35 3.4.3 Die häufigsten Spätschäden in Abhängigkeit von der Ersttherapie 3.4.3.1 Wachstumsstörungen Störungen des Wachstums wie Kleinwuchs oder Beinlängendifferenz treten langfristig gehäuft auf und wurden in Tabelle 23 der angewendeten Therapie zugeordnet. Nach Chemotherapie haben 13,0 % der Patienten Wachstumsstörungen, nach Laminektomie 23,8 % und nach Laminotomie 10,0 %. Mit p=0,360 liegt eine Abhängigkeit dieser Variablen aber nicht vor. Tabelle 23: Häufigkeit von Wachstumsstörungen (p=0,360) Wachstumsstörungen Therapieansatz Total nein ja Total Chemotherapie 40 (87,0%) 6 (13,0%) 46 (100,0%) Laminektomie 16 (76,2%) 5 (23,8%) 21 (100,0%) Laminotomie 27 (90,0%) 3 (10,0%) 30 (100,0%) 83 (85,6%) 14 (14,4%) 97 (100,0%) 36 3.4.3.2 Skoliose und Behandlungsnotwendigkeit Pathologische Krümmungen und Drehungen der Wirbelsäule kommen bei fast einem Drittel der Patienten mit einem intraspinalem Neuroblastom vor. Zu einer Abhängigkeit von der Initialtherapie lässt sich keine eindeutige Aussage treffen (p=0,736), siehe Tabelle 24. Tabelle 24: Häufigkeit von Skoliosen (p=0,736) Skoliose Therapieansatz Total nein ja Total Chemotherapie 33 (71,7%) 13 (28,3%) 46 (100,0%) Laminektomie 14 (66,7%) 7 (33,3%) 21 (100,0%) Laminotomie 19 (63,3%) 11 (36,7%) 30 (100,0%) 66 (68,0%) 31 (32,0%) 97 (100,0%) Da Wirbelsäulenfehlstellungen gerade im Wachstumsalter langfristig gravierende Folgeschäden haben können, wurde die weitere Behandlung der aufgetretenen Skoliosen erfragt. So lässt sich auch der Schweregrad ableiten. Knapp die Hälfte der skoliotischen Fehlstellungen bedurften keiner weiteren Therapie, 6 Patienten bekamen Krankengymnastik, 4 trugen zeitweise ein Korsett und 6 Patienten wurden operativ korrigiert. Ein Zusammenhang der Schwere der Skoliose und der anfänglichen Therapie ließ sich hieraus aufgrund der kleinen Fallzahl aber nicht ableiten (p=0,675), siehe Tabelle 25. 37 Tabelle 25: Notwendigkeit einer Skoliosebehandlung (p=0,561) Skoliosebehandlung Therapie keine Kranken- Behandlung gymnastik Chemotherapie 5 Laminektomie Laminotomie Total Korsett OP Total 2 3 3 13 3 1 1 2 7 7 3 0 1 11 15 6 4 6 31 3.4.3.3 Gehfähigkeit Um den aktuellen Stand der Mobilität des Patienten möglichst genau zu erfassen, wurde die Gehfähigkeit in verschiedene Stufen unterteilt. Dabei wiesen von den 46 chemotherapeutisch behandelten Patienten 27 ein normales und 3 ein eingeschränktes Bewegungsmuster auf und waren nicht von Hilfsmitteln abhängig, 10 benötigen Gehhilfen oder Orthesen und 6 Patienten sind auf einen Rollstuhl angewiesen. Von den 21 Patienten, die eine Laminektomie erhielten, sind 14 normal gehfähig, 5 eingeschränkt und jeweils ein Patient auf Orthese bzw. Rollstuhl angewiesen. Nach einer Laminotomie war nur die Hälfte der Patienten normal gehfähig, jeweils 7 Patienten waren in ihrer Bewegung eingeschränkt oder benötigten Gehhilfen. Ein Patient war zudem nicht gehfähig. Insgesamt ist aus Tabelle 26 zu ersehen, dass mindestens die Hälfte der Patienten unabhängig von der Therapiemethode eine normale Gehfähigkeit erlangen kann. Die statistische Testung führt zu dem Ergebnis der Unabhängigkeit von Therapie und Gehfähigkeit (p=0,110). 38 Tabelle 26: Gehfähigkeit nach Therapie (p=0,110) Gehfähigkeit eingeschränkt normal ohne Hilfsmittel Therapie Gehhilfe Orthese / Rollstuhl Total Chemotherapie 27 (58,7%) 3 (6,5%) 10 (21,7%) 6 (13,0%) 46 (100,0%) Laminektomie 14 (66,7%) 5 (23,8%) 1 (4,8%) 1 (4,8%) 21 (100,0%) Laminotomie 15 (50,0%) 7 (23,3%) 7 (23,3%) 1 (3,3%) 30 (100,0%) 56 (57,7%) 15 (15,5%) 18 (18,6%) 8 (8,2%) 97 (100,0%) Total 3.4.3.4 Sensibilitätsausfälle Die Entwicklung bzw. Persistenz von Sensibilitätsstörungen stellt sich folgendermaßen dar: Nach Chemotherapie haben 6 von 46 Patienten, nach einer Laminektomie knapp 1/4 und nach einer Laminotomie 1/5 der Patienten Sensibilitätsausfälle. Somit geht die Chemotherapie am Seltensten mit dieser Problematik einher. Im Chi2 - Test ist aber kein signifikanter Zusammenhang nachzuweisen (p=0,512). Tabelle 27: Sensibilitätsstörungen (p=0,512) Sensibilitätsstörungen Therapieansatz Total 39 nein ja Total Chemotherapie 40 (87,0%) 6 (13,0%) 46 (100,0%) Laminektomie 16 (76,2%) 5 (23,8%) 21 (100,0%) Laminotomie 24 (80,0%) 6 (20,0%) 30 (100,0%) 80 (82,5%) 17 (17,5%) 97 (100,0%) 3.4.3.5 Neuropathisches Schmerzsyndrom Die Häufigkeit eines bleibenden Schmerzsyndroms ist relativ gering. Aus der Gruppe der Chemotherapie und der Laminotomie sind jeweils zwei Patienten betroffen, aus der Gruppe der Laminektomie nur ein Patient. Ein Bezug zur Therapieform kann auch hier nicht festgestellt werden (p=0,901). Tabelle 28: Schmerzsyndrom (p=0,901) Neuropathische Schmerzen Therapieansatz nein ja Total Chemotherapie 44 (95,7%) 2 (4,3%) 46 (100,0%) Laminektomie 20 (95,2%) 1 (4,8%) 21 (100,0%) Laminotomie 28 (93,3%) 2 (6,7%) 30 (100,0%) 92 (94,8%) 5 (5,2%) 97 (100,0%) Total Drei der fünf Patienten mit einem neuropathischen Schmerzsyndrom erhielten eine Schmerzdauertherapie. Die zwei Patienten mit initialer Chemotherapie wurden mit Morphin und Carbamazepin behandelt, der Patient mit Laminektomie erhielt ebenfalls Morphin. Die beiden Patienten mit Laminotomie hatten keine Dauertherapie zur Kupierung der Schmerzen. 3.4.3.6 Neurogene Blase Mit 26 von 97 Patienten ist das Auftreten einer neurogenen Blasenentleerungsstörung eine wichtige Spätfolge des intraspinalen Neuroblastoms. Ca. ein Viertel der Patienten mit Chemotherapie und Laminotomie leiden darunter. Der Zusammenhang ist nicht statistisch signifikant (p=0,977). 40 Tabelle 29: Häufigkeit einer neurogenen Blasenentleerungsstörung (p=0,977) Neurogene Blasenentleerungsstörung Therapieansatz nein ja Total Chemotherapie 34 (73,9%) 12 (26,1 %) 46 (100,0%) Laminektomie 15 (71,4%) 6 (28,6%) 21 (100,0%) Laminotomie 22 (73,3%) 8 (26,7%) 30 (100,0%) 71 (73,2%) 26 (26,8%) 97 (100,0%) Total Tabelle 30 gibt einen Überblick über die Folgen und Behandlungsbedürftigkeit der Blasenstörung. Am Häufigsten ist eine regelmäßige (Selbst-)Katheterisierung notwendig. Weiterhin sind rezidivierende Harnwegsinfektionen, die eine antibiotische Dauerprophylaxe erfordern, problematisch. Eine Anti - Reflux - Operation ist bei 5 Patienten durchgeführt worden, trotzdem konnte bei 2 Patienten eine Refluxnephropathie nicht verhindert werden. Tabelle 30: Behandlung der neurogenen Blasenstörung Behandlung einer Blasenstörung regelmäßige Reflux- Katheteri- nephro- sierung pathie Chemotherapie 6 (42,9%) 2 (100,0%) 2 (40,0%) 6 (66,7%) 4 (44,4%) Laminektomie 3 (21,4%) 0 (0,0%) 2 (40,0%) 1 (11,1%) 1 (11,1%) Laminotomie 5 (35,7%) 0 (0,0%) 1 (20,0%) 2 (22,2%) 4 (44,4%) Total 14 (100,0%) 2 (100,0%) 5 (100,0%) 9 (100,0%) 9 (100,0%) p-Wert 0,908 0,322 0,265 0,466 0,573 Therapie 41 AntirefluxOP HWI AB-Dauerprophylaxe 3.4.3.7 Obstipation Bei 19 Patienten aus unserer Analyse traten auch noch langfristig Stuhlentleerungsprobleme auf. Vergleichsweise häufig waren diese mit 28,3 % in der Chemotherapie - Gruppe zu finden. Das Risiko einer Obstipation ist für eine Laminotomie im Gegensatz zu einer Laminektomie erhöht. Diese Beobachtung ist nach dem Chi2 - Test grenzwertig signifikant (p=0,071). Tabelle 31: Obstipation (p=0,071) Obstipation Therapieansatz Total nein ja Total Chemotherapie 33 (71,7%) 13 (28,3%) 46 (100,0%) Laminektomie 20 (95,2%) 1 (4,8%) 21 (100,0%) Laminotomie 25 (83,3%) 5 (16,7%) 30 (100,0%) 78 (80,4%) 19 (19,6%) 97 (100,0%) 42 4. Diskussion Das Neuroblastom ist als vielgestaltiger Tumor mit schwer vorhersehbarem individuellen Verlauf in Therapieoptimierungsstudien den vergangenen gewesen. Der Jahren Versuch, Gegenstand eine zahlreicher praktisch - sinnvolle Behandlungsrichtlinie zu konstruieren, soll, anlässlich der auf internationaler Ebene immer noch bestehenden kontroversen Ansichten, durch die Ergebnisse dieser Arbeit unterstützt werden. Die Daten der deutschen Neuroblastomstudien bieten die Möglichkeit, das bereits existierende risikoadaptierte Therapiekonzept zu optimieren. 4.1 Patientenkollektiv und beeinflussende Faktoren Von den 2617 in den Neuroblastomstudien NB 90 bis einschließlich NB 04 registrierten Patienten, die vor dem 01.01.2008 diagnostiziert wurden, wiesen 280 Patienten einen intraspinalen Befall auf. Ein besonderes Charakteristikum unseres Patientenkollektivs ist der Umstand, dass nur Patienten mit nachgewiesenen intraspinalen Befall und vorliegender Querschnittsymptomatik in die weitere Analyse mit einbezogen wurden. Dies hat zur Folge, dass sich die Fallzahl im Vergleich zur Gesamtpopulation der an einem Neuroblastom erkrankten Kinder auf 123 verringert, und dass Therapiestrategien aufgrund der durch die Myelonkompression häufiger eintretenden Notfallsituationen differieren. Das 5 - Jahre ereignisfreie Überleben und das 5 - Jahres Gesamtüberleben der Patienten ohne Querschnittsymptomatik (5yEFS 61,6 % und 5yOS 72,5 %) ist schlechter als bei Patienten mit Querschnittsymptomatik (5yEFS 67,8 % und 5yOS 87,0 %). Die Erklärung dafür ist in den als prognostisch bedeutsam identifizierten Faktoren jüngeres Alter bei Diagnosestellung, niedrigeres INSS - Stadium und keine MYCN - Amplifikation zu suchen. Bei Querschnittpatienten lag das mediane Alter bei unter 12 Monaten (vgl. 1,3 Jahre bei Patienten ohne Querschnitt), was als günstige Eigenschaft erwiesen ist [5, 59]. Ein Vergleich mit der Literatur zeigt ein übereinstimmendes Resultat [16, 32]. Das prognostisch ungünstige Stadium 4 ist am häufigsten in der Gruppe ohne Querschnittsymptomatik vertreten. Die lokalisierten Stadien finden sich 43 dagegen häufiger, das Stadium 4S ähnlich oft, bei Querschnittpatienten. Die Beobachtungen bisheriger Studien laufen damit konform [16]. Eine MYCN Amplifikation fand sich mehr als dreimal so häufig in der Gruppe ohne Querschnittsymptomatik [71]. Die Lokalisation des Primärtumors in Abdomen und Thorax ist aufgrund der räumlichen Nähe zur Wirbelsäule am häufigsten mit einer Querschnittsymptomatik assoziiert. In der Nebenniere findet er sich dagegen bei über der Hälfte der Patienten ohne Querschnitt. Insgesamt entsteht aber nur bei knapp der Hälfte der Patienten (43,9 %) mit einem nachgewiesenen intraspinalen Befall eine symptomatische Kompression des Myelons. In anderen Studien wurde ebenfalls ein Anteil von asymptomatischen Patienten mit intraspinalem Befall beschrieben, diesbezüglich bestand keine Einigkeit darüber, wie und ob man diese Patienten behandelt. Die Tendenz geht jedoch zu einer abwartenden Haltung ohne umgehenden Handlungsbedarf [16]. Kommt es zu einer Querschnittsymptomatik, so wird diese in nahezu allen Fällen (94,8 %) durch motorische Defizite auffällig. Dies wird durch eine Schädigung der Motoneurone im Vorderhorn erklärt, welche sich durch die Kompression nach etwa 6 Wochen beginnen irreversibel pathologisch zu verändern [33]. Schwere Beeinträchtigungen (Grad 2 und 3) sind hierbei häufiger als leichte Störungen. Über eine Zerstörung der auf- und absteigenden axonalen Bahnen, welche motorische, sensorische und autonome Funktionen steuern, kommt es in jeweils 44,3 % zu Sensibilitätsstörungen und Schmerzen, gefolgt von neurogenen Blasenentleerungsstörungen in 35,1 %, die bei einem Viertel der Betroffenen mit Restharnbildung einherging [21]. Hier ließ sich auch ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Primärtumorlage und Erstsymptomatik herstellen: Alle Tumoren des Beckens verursachten eine derartige Störung. Eine Obstipation wurde dagegen am Seltensten beobachtet und war auch nicht mit einer Lokalisation im Becken assoziiert. Auch bei den anderen Erstsymptomen eines intraspinalen Neuroblastoms war keine klare Zuordnung zu einer Primärtumorlage in Nebenniere, Abdomen, Thorax oder Becken möglich. Die Latenzzeit vom ersten Auftreten eines Symptoms bis zur Krankenhausaufnahme variiert erheblich und spannte sich bei 28 Patienten sogar über mehr als 4 Wochen. Dies 44 beeinflusste in unserer Auswertung nicht die Prognose. Auch in anderen Studien wird dieser Aspekt kontrovers diskutiert. Einerseits wird ein deutlicher Effekt postuliert, z.B. in Form einer ausbleibenden neurologische Erholung in Verbindung mit einer höhergradigen Kompression des Myelons bei lang bestehender Symptomatik [24, 27, 53], andererseits wird kein grundlegender Zusammenhang gesehen [16]. Eine frühe Diagnosestellung und Behandlungsbeginn erfolgte wahrscheinlich eher bei Patienten mit schweren, eindrucksvollen Komplikationen, während eine weniger markante Symptomatik bei leichteren Defiziten zu Verzögerungen in der Diagnostik führen kann. 4.2 Behandlung Die initiale Therapie unserer Patienten erfolgte durch Neurochirurgie oder Chemotherapie mit einer begleitenden abschwellenden Kortikoidbehandlung bei einem Teil der Patienten. Es fand keine primäre Bestrahlung statt, auch in anderen Ländern ist dies nicht die Regel. Üblicherweise kommt sie nur im weiteren Therapieverlauf zum Einsatz und ist für Risikopatienten reserviert [16]. 4.2.1 Neurochirurgische Operation und Chemotherapie Von 51 initial operierten Patienten erhielten 30 eine Laminotomie und 21 eine Laminektomie, erstere mit einer etwas häufigeren vollständigen Entfernung des intraspinalen Tumoranteils (66,7 % vs. 61,9 %). Insgesamt ist weder nach initialer Therapie noch nach Abschluss der Behandlung ein statistisch relevanter Unterschied zu den 46 Patienten mit Chemotherapie ersichtlich. Dies steht im Kontrast zur Ansicht anderer Autoren, die eine Tendenz zur Überlegenheit der Chemotherapie sehen und diese in vielen Fällen vorziehen würden [16, 17, 77]. 4.2.2 Kortikoidtherapie Insgesamt wurden 59 Patienten mit Kortison behandelt, tendenziell erhielten eher die neurochirurgisch behandelten Patienten eine begleitende Kortisontherapie (55,9 %). Bei 69,5 % der Patienten verbesserte sich unter Kortison die Symptomatik schon nach initialer Behandlung, nach Therapieende waren sogar 83,1 % gebessert. Nur ein Patient verschlechterte sich im Verlauf in seinem Zustand. Da die Ursache nicht in der unterschiedlichen Haupttherapie zu suchen ist, kann in dieser Hinsicht von einem signifikanten 45 Vorteil durch eine abschwellende und entzündungshemmende Kortikoidbehandlung ausgegangen werden - im Gegensatz zu den widersprüchlichen Ergebnissen anderer Studien [16]. Eine Korrelation mit der Dauer oder Kumulativdosis einer Kortisonbehandlung war aufgrund fehlender Daten nicht möglich. Die Therapiemodule Neurochirurgie und Chemotherapie sind gleich effektiv, so dass unmittelbar nach Beginn der Behandlung 67,0 % und nach Abschluss sogar 77,3 % der Patienten gebessert sind, eine Verschlechterung zeigte sich nur bei 5,2 %. Auf lange Sicht gingen in unserer Untersuchung auch die Folgeschäden der Patienten mit epiduraler Kompression auf 72 % zurück, wogegen in Italien zwischen 1979 und 2002 noch ca. 85 % zu verzeichnen waren [16]. 4.3 Spätschäden Das zentrale Problem einer initialen Querschnittsymptomatik bleibt trotz allem die Zahl der mannigfaltigen Spätschäden (70 von 97 Patienten in dieser Analyse, 72,2 %). Diese formen sich zum einen aus einer persistierenden Erstsymptomatik und zum anderen aus neu auftretenden Komplikationen wie Wachstumsstörungen, Skoliose, Gehstörungen und neuropathischem Schmerzsyndrom. 4.3.1 Abhängigkeit von Prognosefaktoren Der anfangs dargestellte Einfluss von Alter bei Diagnosestellung, INSS - Stadienzugehörigkeit und MYCN - Status legt nahe, dass sich diese Prognosefaktoren auch auf die Häufigkeit von Spätkomplikationen auswirken. Dies konnte jedoch in unseren Daten nicht bestätigt werden. 4.3.2 Zusammenhang von Langzeitschäden und Initialtherapie Es traten nach operativer Tumorentfernung tendenziell häufiger Spätschäden ein als nach Chemotherapie (80,4 % vs. 63,0 %). Analog dazu zeigten Patienten diese häufiger nach kompletter Resektion als nach einer inkompletten Tumorentfernung (87,9 % vs. 66,7 %). In Kongruenz hierzu wurde in der Literatur eine Empfehlung zu einer radikalen Tumorresektion nur bei Patienten über 1 Jahr und lokalisiertem Stadium ausgesprochen [76]. Die Operationsradikalität ist aber nicht maßgebend für die Langzeitprognose. Weiterhin gibt es keinen richtungsweisenden Zusammenhang zwischen der Operationstechnik Laminektomie bzw. Laminotomie und allgemeinem 46 Outcome, wenngleich die Spätschäden nach Laminektomie mit 85,7 % führen. Japan und Frankreich favorisieren eine Behandlung ohne Neurochirurgie bzw. ohne initiale Laminektomie. Wie auch die USA und andere europäische Länder sind sie der Auffassung, dass orthopädische Schäden nach Chemotherapie seltener sind [16, 32]. Dieser Punkt wird in der folgenden detaillierten Aufführung der Schäden weiter erörtert. Der oben beschriebene Effekt einer begleitenden Kortisontherapie spiegelt sich im Bezug auf das Auftreten von Spätkomplikationen nicht klar in unseren Daten wieder. Sie traten nach Kortisongabe etwas häufiger auf, eine Auswirkung für die Praxis ergibt sich daraus jedoch nicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Kortisontherapie kurzfristig die Symptomatik verbessert, aber keinen Effekt auf die Langzeitentwicklung hat. Auf Grund des retrospektiven Designs ist nicht auszuschließen, dass die Rate an Spätschäden dennoch durch Kortison günstig beeinflusst wurde. Deshalb ist der Einsatz von Kortison zu befürworten. 4.3.3 Häufige Spätschäden, Einfluss der Initialtherapie Residuelle Behinderungen der Gehfähigkeit rangierten in unserem Patientenkollektiv mit 42,3 % an erster Stelle. Ein normales Bewegungsmuster konnte jedoch unabhängig von der Behandlung erlangt werden, sodass sich hier keine besonders risikobehaftete Behandlung hervorheben lässt. Diese These wird von anderen Autoren insofern gestützt, als bei partiellen neurologischen Defiziten eine von der Therapieart unabhängige Besserung festgestellt wurde bzw. sich die Häufigkeit einer völligen Genesung ungeachtet ihrer Behandlung invers zur Schwere der Initialsymptomatik verhält [27, 32, 54]. Die Entwicklung einer Skoliose bei 32,0 % der Patienten war ebenfalls nicht eindeutig auf eine spezielle Behandlung zurückzuführen. Es wurde zwar überwiegend operiert, vor allem in Form einer Laminotomie, jedoch erwiesen sich diese Fälle im Ausmaß anhand der Notwendigkeit einer weiteren Therapie der Skoliose als nicht behandlungsbedürftig bzw. als ausreichend mit Krankengymnastik beübt. Nach Chemotherapie ist das Gesamtrisiko einer Skoliose geringer, schwere Verläufe mit anschließender operativer Korrektur sind dagegen etwas häufiger. Der Anteil an 47 Patienten, die im Verlauf der gesamten Behandlung eine Radiotherapie des Primärtumors erhalten haben, war in den einzelnen Behandlungsgruppen Chemotherapie, Laminektomie und Laminotomie gleich (p=0,495). Eine Auswirkung der Radiotherapie auf die Skoliosehäufigkeit, welche insbesondere nach asymmetrischer Bestrahlung der Wirbelsäule vorhanden sein soll, ist bei uns nicht festzustellen (Daten hier nicht gezeigt) [43, 44]. Was Entstehung und Ausprägung einer skoliotischen Fehlstellung der Wirbelsäule beeinflusst, kann mit unserer Untersuchung nicht abschließend beantwortet werden. Der oft vermutete Zusammenhang von Laminektomie und Skoliose kann durch unsere Analyse nicht bestätigt werden [16, 27]. Eine neurogene Blasenentleerungsstörung bereitet langfristig 26,8 % der Patienten Probleme. Insgesamt lässt sich weder zur Verhinderung ihres Auftretens noch zur Vermeidung ihrer Folgen eine klare Empfehlung ableiten. In Italien wurde dagegen eine deutlich vermehrte Entwicklung dieser Störung bei Patienten nach Laminotomie gegenüber einer Chemotherapie beobachtet, was hier nicht gefunden wurde [16]. Patienten mit einer fortbestehenden Obstipation (19,6 %) erhielten meist ursprünglich eine Chemotherapie (28,3 %). Ein Zusammenhang mit den INSS-Stadien lokalisiert, 4 oder 4S besteht nicht (p=0,479), so dass trotz seltenem Auftreten einer Obstipation im intensiv behandelten Stadium 4 eine Verbindung durch die Neurotoxizität der verabreichten Substanzen (Vinca - Alkaloide) gegeben sein kann [83]. Weiterhin ist eine Persistenz einer intestinalen Pseudoobstruktion im Rahmen des paraneoplastischen Syndroms denkbar [79]. Sensibilitätsstörungen sind mit 17,5 % ein weiterer wichtiger Folgeschaden. Sie sind nach Chemotherapie vergleichsweise selten, eine chirurgische Nervenverletzung im Zuge der Tumorentfernung oder eine Druckschädigung des Nervs könnte hier ursächlich sein. Dieser Punkt ist aufgrund seiner Genese der wohl am wenigsten modifizierbare. Es muß beachtet werden, dass gerade im Säuglingsalter der Nachweis einer Sensibilitätsstörung schwierig bzw. nur bei vollständigem Sensibilitätsausfall möglich ist. Wachstumsstörungen entwickeln sich im Vergleich zu einer Skoliose relativ selten (14,4 %) und in der Mehrzahl der Fälle nach operativer Therapie. Dabei insbesondere 48 nach Laminektomie (35,7 %), erklärt durch die Operationsmethodik mit Entfernung des gesamten Wirbelbogens. Ein neuropathisches Schmerzsyndrom bei insgesamt 5,2 % der Patienten war ohne Bezug zur Therapieform und wurde auch von anderen Autoren nicht beobachtet [16, 17, 32]. Zur Kritik ist anzumerken, dass es nicht ersichtlich ist, ob die Symptome schon initial bestanden und im Verlauf persistierten oder erst nach begonnener Therapie auftraten. Aus bisherigen Studien geht dies ebenfalls nicht eindeutig hervor, eine Verknüpfung ist hier retrospektiv nicht ausreichend herzustellen. 4.4 Schlussfolgerung Eine richtige Einschätzung unserer Ergebnisse setzt eine Diskussion möglicher Fehler im Kontext voraus. Der Studienaufbau war nicht randomisiert und die Analyse retrospektiv. Damit ist nicht auszuschließen, dass Patienten mit ausgeprägten Symptomen häufiger einer der Therapieformen unterzogen wurden. Dies kann auch die Häufigkeit von Spätschäden in Abhängigkeit von der Initialtherapie beeinflussen. Auch die übrige Therapie des Neuroblastoms erfolgte risikoadaptiert. Der unvollständige Datenrücklauf und die kleinen Fallzahlen können hier zu einer Über- bzw. Unterbewertung einzelner Aspekte geführt haben. Bei begrenzten Patientenzahlen sind mittels statistischer Tests nur starke Effekte zu erkennen, schwächere Effekte bleiben unerkannt. Dennoch ist die Serie im Vergleich zu vorangehenden Studien von Bernardi und Mitarbeitern (76 Patienten) und von Katzenstein und Kollegen (83 Patienten) die bisher umfangreichste [17, 32]. Auf Grund der niedrigen Inzidenz der Erkrankung sind größere Patientenzahlen nur durch internationale Kooperation erreichbar [16]. Prospektive randomisierte Studien sind kaum durchführbar. Die Ergebnisse können also als repräsentativ angesehen werden. Als Fazit lassen sich folgende Punkte aus der Analyse extrahieren: 1. Ein intraspinaler Befall bedingt nicht immer eine Querschnittsymptomatik und ist nicht mit einer epiduralen Kompression gleichzusetzen. 49 Weniger als die Hälfte (43,9 %) der Patienten mit nachgewiesenem intraspinalen Tumorbefall entwickeln eine Symptomatik. Hier besteht kein akuter Handlungsbedarf, eine genaue Überwachung, um bei Verschlechterung sofort Eingreifen zu können, ist aber selbstverständlich. 2. Die komplizierte Diagnostik aufgrund der variablen Störungsbilder führt zu einer verzögerte Diagnosestellung mit langer Persistenz der Symptomatik. Um dies in Zukunft zu vermeiden, muss das Bewusstsein für die klinische Relevanz des intraspinalen Neuroblastoms geschärft werden. Diese zwar speziellen aber dennoch sehr häufigen Fälle könnten durch eine frühzeitige Erkennung und Überweisung in kinderonkologische Zentren von einer verbesserten Prognose profitieren und weniger Langzeitschäden davontragen. 3. Der initiale Erfolg einer neurochirurgischen Operation ist äquivalent zu einer Chemotherapie. Eine begleitende Behandlung mit Kortison ist effektiv. Auf Basis eines risikoadaptierten Behandlungskonzeptes bietet sich die Chemotherapie als eine adäquate Alternative zur neurochirurgischen Entlastung an, diese sollte primär bei schnell fortschreitender Symptomatik oder fehlendem Ansprechen der medikamentösen Therapie zum Einsatz kommen. Hierbei sollte die Entscheidung zur Laminektomie oder Laminotomie im Einzelfall individuell nach Tumorausbreitung und bestmöglichem Zugang getroffen werden. Der therapiebegleitende Einsatz von Kortison hat sich als günstig herausgestellt, hier muss eine weiterführende Untersuchung bezüglich optimaler Dosis und Behandlungsdauer erwogen werden. 4. Die Überlebensprognose unseres Patientenkollektivs ist besser als die der anderen Neuroblastome, jedoch zeigt sich eine hohe Spätmorbidität. Zwischen Neurochirurgie und Chemotherapie gibt es hier keinen Unterschied, auch Kortison bleibt ohne Effekt. Durch die gestiegene Lebenserwartung ist die Reduzierung von Spätschäden mit Ermöglichung einer hohen Lebensqualität in den Vordergrund gerückt. Eine multimodale Nachsorge zur Früherkennung und patientenorientierte somatische und psychosoziale Rehabilitationsmaßnahmen sind hier gefordert. 50 Wachstumsverzögerungen, Wirbelsäulendeformationen und eine Skolioseprophylaxe, sowie Atrophien und Hypoplasien des Binde- und Stützgewebes erfordern eine zeitnahe Ergo- und Physiotherapie. Einer Osteoporose durch hohe kumulative Kortikoiddosen oder Radiatio muss ebenfalls frühzeitig entgegengesteuert werden. Vorsorgeuntersuchungen und ein additives Screening zur Früherkennung der häufigsten Begleitschäden, komplettiert durch psychologische Unterstützung im Bedarfsfall, sollten das Risiko von Spätkomplikationen weiter verringern und ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Diese verstehen sich inklusive engmaschiger urologischer Überwachung und neurologischer Untersuchung (NLG) zuzüglich spezieller Maßnahmen zur Diagnose von Hochtonschwerhörigkeit, Kardiomyopathie und Zweitmalignomen abgestimmt auf die absolvierte Therapie. 51 5. Zusammenfassung Hintergrund: Die schwerwiegenden Folgen machen das intraspinale Neuroblastom zu einem wichtigen Thema in der Pädiatrie. Ziel dieser Arbeit war es, die kurzfristige und langfristige Effektivität verschiedener Therapieansätze zu analysieren und Anhaltspunkte zur Vermeidung von Spätschäden zu geben. Methoden: Die retrospektive Analyse schloss insgesamt 2617 Patienten aus den Neuroblastomstudien NB 90, NB 95, NB 97 und NB 04 im Alter von 0 bis 36 Jahren mit Diagnosestellung vor dem 01.01.2008 ein. Bei 280 Patienten wurde ein intraspinaler Befall nachgewiesen, davon waren 123 von einer initialen kompletten oder inkompletten Querschnittsymptomatik betroffen. Diese 123 Kinder wurden mit den Kindern ohne Querschnittsymptomatik verglichen und anschließend genauer auf ihr Therapieprofil und entstandene Langzeitschäden untersucht. Die weitere univariate Analyse basierte auf zusätzlich erhobenen Informationen aus einem neu entworfenen Dokumentationsbogen, welcher an die behandelnden Kliniken verschickt und dort ergänzt wurde. Auf diese Weise konnten bei 97 Patienten zusätzliche detaillierte Daten erhoben werden. Ergebnisse: Bei der Hälfte der Patienten mit intraspinalem Tumorbefall kam es zu einer symptomatischen Kompression, die fast immer durch motorische Defizite (94,8 %) begleitet war. Häufig traten auch Schmerzen (44,3 %) und Sensibilitätsstörungen (44,3 %) damit in Erscheinung. Frühe Symptombesserung und die Häufigkeit von Spätschäden waren nach initialer Chemotherapie (46 Patienten) und nach neurochirurgischer Entlastung (51 Patienten) gleich. Dagegen war durch eine Kortisontherapie eine deutliche Besserung der initialen Symptomatik zu verzeichnen, während ein Einfluss auf die Häufigkeit von Spätschäden nicht nachweisbar war. Die häufigste Spätkomplikation bestand in einer Einschränkung der Gehfähigkeit (42,3 %), gefolgt von der Entwicklung einer Skoliose (32,0%) und einer neurogenen Blasenentleerungsstörung (26,8 %). Obstipation (19,6 %), Sensibilitätsstörungen (17,5 %) und Wachstumsstörungen (14,4 %) waren seltener zu beobachten. Ein neuropathisches Schmerzsyndrom (5,2 %) persistierte nur in Einzelfällen. 52 Schlussfolgerung: Ein risikoadaptiertes Therapiemanagement ist auch für Kinder mit intraspinalem Neuroblastom sinnvoll. Der initiale Erfolg einer neurochirurgischen Operation entspricht dem einer Chemotherapie, allerdings könnten die Patienten in Zukunft von einer regelmäßig angewandten Kortisongabe weiter profitieren. Die Überlebensprognose ist besser als die anderer Neuroblastome, jedoch besteht eine hohe Spätmorbidität. Die üblichen in der Praxis angewandten Risikofaktoren erlauben keine Vorhersage auf das Auftreten von Langzeitschäden. Neurochirurgie und Chemotherapie sind hier weitgehend äquivalent, und eine Kortisongabe hat keinen langfristigen Effekt. Es sollte sich eine, genau auf die zu erwartenden Spätfolgen zugeschnittene, aufmerksame Nachsorge anschließen. 53 6. Literaturverzeichnis [1] Abramson SJ, Berdon WE, Ruzal-Shapiro C, Stolar C, and Garvin J (1993). 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