Handbuch - Unesco Sardona

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Handbuch
Tektonikarena Sardona, wichtigste Gesteinstypen
und Glarner Hauptüberschiebung
Simon Walker
Bachelorarbeit 2010/11
Institut für Geologie Universität Bern
1
Tektonikarena Sardona – UNESCO Weltnaturerbe:
Am 8. Juli 2008 wurde der zentrale Teil des Gebirges im Grenzbereich der Kantone Glarus,
St. Gallen und Graubünden unter der Bezeichnung „Tektonikarena Sardona“ zum UNESCO
Weltnaturerbe erklärt. Das Gebiet ist in Abbildung 1 dargestellt und umfasst eine Fläche von
ungefähr 330 km2 rund um den 3‘056 m ü. M. hohen Piz Sardona (siehe Titelbild). Die Aufnahme in die Welterbeliste der UNESCO war nach inniger Prüfung der Kandidatur beschlossen worden. Folgende drei Hauptgründe waren dafür ausschlaggebend:
- deutliche Sichtbarkeit der Phänomene der Gebirgsbildung in einer Berglandschaft
- Geschichte der Stätte als Forschungsobjekt
- Anhaltende Bedeutung für die Geologie
Abbildung 1: Geographische Lage der Tektonikarena Sardona. Das Gebiet des UNESCO-Weltnaturerbe ist rot
eingefärbt. Bild aus offiziellen Homepage www.tektonikarenasardona.ch.
Glarner Hauptüberschiebung:
Die Glarner Hauptüberschiebung zeigt sich an spektakulären Berggipfeln und diversen Aufschlüssen als messerscharfe, leicht zurückwitternde, gelbliche Kerbe.
Überschiebungsprozesse führten dazu, dass heute an der Glarner Hauptüberschiebung 250
bis 300 Millionen Jahre alter Verrucano (TS 2-4) der Glarner Decke über viel jüngeren Gesteinen zu liegen kommt. Im Süden sind dies mesozoische Kalke (unter anderem TS 6), im
nördlichen Teil känozoische Flyschgesteine (TS 7). Dazwischen eingeklemmt findet man den
2
nur 1-2 m dicken Lochsitenkalk (TS 8). Der Kalk wirkte bei der Deckenbewegung als eine
Art Schmiermittel und ermöglichte das nordwärts gerichtete Gleiten der Glarner Decke als
zusammenhängendes Paket. Dabei wurde der Lochsitenkalk unter hohen Druck- und Temperaturbedingungen richtiggehend durchgeknetet.
Die Lagerungsverhältnisse an der Glarner Hauptüberschiebung können besonders eindrücklich an der Lochsite bei Sool/ Schwanden (GL) betrachtet werden. Der Gesteinsaufschluss ist einer der bekanntesten im alpinen Raum und von immenser Bedeutung für die Erkenntnisse, wie Gebirge durch Deckenüberschiebungen entstanden sind. Abbildung 2 zeigt
eine detaillierte Geländeskizze der Lochsite: Der Lochsitenkalk wittert stark zurück. Er ist
wenige Dezimeter mächtig, gelbbeige angewittert und zeigt eine marmorartige Knetstruktur,
entstanden durch die starke plastische1 Verformung, während die Überschiebung in grosser
Tiefe aktiv war. Der Kalk wird durch eine scharfe Linie, auch Septum genannt, getrennt. Dies
ist eine spätere Schubfläche, an welcher der Lochsitenkalk unter geringeren Temperaturen
und Drucken spröd zerbrach. Im Liegenden der Überschiebung sind junge Flyschgesteine
aufgeschlossen. Über dem Lochsitenkalk liegen die alten Konglomerate der VerrucanoFormation, welche gegen die Überschiebung hin ihre Farbe durch Alteration von Rot- zu
Grüntönen ändern.
5
1 Flysch
4
2 Lochsitenkalk
3
3 Septum
2
4 grüner Verrucano
1
5 roter Verrucano
Abbildung 2: Gesteinsaufschluss der Glarner Hauptüberschiebung an der Lochsite bei Sool/ Schwanden (GL).
Originalzeichnung aus Alb. Heim (1878), basierend auf Escher.
Gesteinsbeschreibung:
Im Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung trifft man verschiedenste Gesteinstypen unterschiedlichen Alters an. Sie alle geben Einblick in die längst vergangenen Erdzeitalter ihrer
Entstehung und beinhalten wichtige Informationen, die zur Rekonstruktion der gebirgsbilden-
3
den Prozesse beitragen können. Im Förderkoffer liegen acht Gesteinstypen vor. Diese sind
grundlegend am Bau der Glarner Alpen beteiligt:
▪ TS 1: Epidot-Chlorit-Quarz Gneis
Lokalität:
Farbe:
Mineralogie:
Gefüge4:
Lithologie5:
Gesteinsart:
Alter:
Genese6:
Vättis (SG); Koordinaten: 751 787/197 212
verwittert:
dunkelgrün mit gelbbraunen und dunkelbraunen Flecken
frisch:
grünlich grau
- grauweisse, linsenartige Körner mit muscheligem
Bruch2
Quarz (65%)
- blassgrüne, lagige Bändchen
dunkelgrüne, schuppenartige Plättchen; können mit dem
Chlorit (20%)
Stahlnagel abgeschält werden; Anhäufungen fühlen sich
seifig an und verursachen Seidenglanz
Epidot (5-10%) grün, kleinprismatisch; deutlich härter als Chlorit
winzige, kupfergelbe, metallglänzende Würfelchen; häuPyrit (< 5%)
fig als verwachsene Aggregate3
Gefüge ist gneisartig ausgeprägt; Chloritminerale fliessen in dünnen Lagen
um Quarz und Epidot herum und definieren wellige Schieferung; Pyrit
überwächst zerbrochene Quarzkörner;
Gestein gehört zum Altkristallin des Aarmassivs
Metamorphit (Gneis)
Paläozoikum: frühkarbonisch und älter (> 300 Millionen Jahre alt)
Teil der alten kontinentalen Kruste des europäischen Kontinents; mehrfach
durch Gebirgsprozesse metamorph überprägt
▪ TS 2: feinkörniges Konglomerat
Murg (SG); Koordinaten: 734 932/219 092
Lokalität:
verwittert:
beigegrau
Farbe:
frisch:
rosa bis rotviolett
7
Fein-und Mittel- eckige sowie gerundete detritische Komponenten :
- Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (25%)
kiesfraktion
(2-20 mm gross)
- monomineralischer Quarz (5%)
Gerundete detritische Komponenten:
Grobsand- weissgraue bis blass rosafarbene Quarzkörner (30%)
Mineralogie:
fraktion
- Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (20-30%)
(0,63-2 mm gross)
- graue bis rote Feldspatkörner (10%)
karbonatführend; schäumt leicht bei Kontakt mit SalzMatrix8
säure
dichte, grobsandige Grundmasse mit eingeschwemmten grösseren KompoGefüge:
nenten; schlecht sortiert; keine Gradierung9
Verrucano
Lithologie:
Sediment (klastisches Ablagerungsgestein: Konglomerat)
Gesteinsart:
Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt)
Alter:
kontinentales Abtragungsprodukt des variszischen Gebirges10; Ablagerung
in einem tektonischen Graben durch episodische Flutereignisse; KongloGenese:
merat entspricht einer randnahen Ablagerung mit geringem Transportweg
4
▪ TS 3: roter Tonschiefer
Murgtal (SG); Koordinaten: 734 047/213 171
Lokalität:
verwittert:
helle Rottöne
Farbe:
frisch:
sattes weinrot mit weissgrünen Linsen
rot ausgebildete Schichtminerale mit Grössen < 0,002
Tonminerale
mm; können nicht als einzelne Körner ausgeschieden
(90%)
werden
Mineralogie:
winzig kleine Plättchen; silbriger Glanz; können mit dem
Serizit (5%)
Stahlnagel abgeschält werden
Quarz (5%)
winzig kleine Körner; farblos mit Glasglanz
Schieferung durch planare Einregelung der Tonminerale
Gefüge:
weissgrüne elliptische Linsen=Reduktionshöfe; Farbunterschied durch ReSpezielles:
duktion von Fe3+ zu Fe2+
Verrucano
Lithologie:
Sediment (klastisches Ablagerungsgestein: Tongestein)
Gesteinsart:
Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt)
Alter:
kontinentales Abtragungsprodukt des variszischen Gebirges; Ablagerung
in einem tektonischen Graben; troginterne Ablagerung mit langem aquatiGenese:
schem Transportweg.
▪ TS 4: grauer Chlorit-Serizit-Tonschiefer
Flims (GR); Koordinaten: 740 600/188 600
Lokalität:
verwittert:
hellgrau bis silbern
Farbe:
frisch:
mittelgrau bis blaugrau
mittelgraue bis blaugraue Schichtminerale mit Grössen
Tonminerale
< 0,002 mm; können nicht als einzelne Körner ausge(50-60%)
schieden werden
hellgraue bis grünliche Flächen; können mit dem FingerSerizit (25-30%) nagel geritzt werden; zeigen Perlmuttglanz; fühlen sich
Mineralogie:
seifig an
kleine, dunkelgrüne Plättchen; können mit dem StahlnaChlorit (5-10%)
gel abgeschält werden
mm grosse, kupfergelbe Würfelchen; meist rostfarben
Pyrit (< 5%)
verwittert
stark geschiefert; Tonminerale, Serizit und Chlorit allesamt eingeregelt;
Gefüge:
Pyrit häufig zwischen Schieferungsflächen
Verrucano
Lithologie:
Metamorphit (Schiefer)
Gesteinsart:
metamorphe Überprägung im Zusammenhang mit ÜberschiebungsprozesAlter:
sen im Oligozän bis Miozän (vor 30-20 Millionen Jahren)
fluidbedingte Reaktionen haben Ausgangsgestein (TS 3) umgewandelt bei
den gebirgsbildenden Prozessen (Bildung von neuen Mineralien, Farb- und
Genese:
Gefügeänderung)
5
▪ TS 5: Dolomitgestein
Tamins (GR); Koordinaten: 749 605/188 272
Lokalität:
verwittert:
weissgrau bis gelblich
Farbe:
frisch:
mittelgrau
Dolomitminerale zeigen nur zögerliche Reaktion mit
Salzsäure:
Dolomit
- wenige, winzig kleine, farblos durchscheinende Punkte
Mineralogie:
mit Glasglanz
- dichte feinstkörnige Masse
massig, dicht; durchzogen von feinen weissen, netzartig angelegten
Dolomitadern; keine sedimentär bedingten Strukturen sichtbar; im AufGefüge:
schlussmassstab jedoch leicht gebankt11
Typischer elefantenhautartiger Verwitterungsüberzug
Spezielles:
Röti-Dolomit
Lithologie:
Sediment (flachmarines, biochemisches Ablagerungsgestein)
Gesteinsart:
Mesozoikum: mittlere Trias (230-245 Millionen Jahre alt)
Alter:
chemische Ausfällung an flachen Küsten im Zusammenhang mit Wechsel
von Austrocknungs- und Überschwemmungsphasen, erhöhter Salinität
Genese:
sowie Einflüssen von meteorischen Grundwasserflüssen und Algenmatten
▪ TS 6: mikritisches Kalkgestein
Felsberg (GR); Koordinaten: 755 854/191 051
Lokalität:
verwittert:
mittel- bis dunkelgrau; matt
Farbe:
frisch:
mittel- bis dunkelgrau
Kalzitminerale zeigen heftige Reaktion mit Salzsäure:
- wenige, winzig kleine, farblos bis milchig weisse,
Kalzit (> 95%)
durchscheinende Punkte mit Glasglanz
Mineralogie:
- dichte feinstkörnige Masse
Limonit (< 5%) kleine, rostfarbene Punkte in korrosionsartigen Löchern
massig, dicht; diffuse Laminierung von feinen helleren und dunkleren LaGefüge:
gen; im Aufschlussmassstab gut gebankt
Quinten-Kalk
Lithologie:
Sediment (tiefmarines Ablagerungsgestein)
Gesteinsart:
Mesozoikum: spätjurassischer Malm (145-160 Millionen Jahre alt)
Alter:
weitverbreitete Ablagerung von feinem Kalkschlamm in grosser MeerestieGenese:
fe; später Kompaktion und Verfestigung
6
▪ TS 7: muskovitreicher Kalkarenit
Matt (GL); Koordinaten: 732 396/202 346
Lokalität:
verwittert:
dreckig grau
Farbe:
frisch:
dunkelgrau mit kleinen silbernen Punkten
- graue und schwarze Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (20%)
Fein- und Mittel- - silbern glänzende Muskovitschüppchen, können mit
kiesfraktion
Stahlnagel abgeschält werden (15%)
(0,063-0,63 mm)
Mineralogie:
- farblos bis weisse Quarzkörner, muscheliger Bruch,
nicht ritzbar (5-10%)
stark kalzithaltig; schäumt stark bei Kontakt mit SalzMatrix
säure (50%)
massig, dicht; Komponenten sind gut sortiert und homogen verteilt; im
Gefüge:
Aufschlussmassstab Wechsellagerung mit siltigen Zwischenlagen
Nordhelvetischer Flysch
Lithologie:
Sediment (klastisches Ablagerungsgestein: Kalksandstein=Kalkarenit)
Gesteinsart:
Känozoikum: spätes Eozän bis frühes Oligozän (25-30 Millionen Jahre alt)
Alter:
episodische Sedimentation in Tiefseetrog durch subaquatische
Genese:
Turbiditströme12
▪ TS 8: Kalk-Mylonit
Hätzingen (GL); Koordinaten: 722 735/202 401
Lokalität:
verwittert:
dreckig beigegrau
Farbe:
frisch:
weiss und grau; chaotisch strukturiert
- kleine, farblos durchscheinende, idiomorphe13 Kristalle
- graue Bändchen aus Kalkgestein
Kalzit
Mineralogie:
- milchig weisse Linsen und Adern
massig, dicht; chaotisches „Knetgefüge“ durch duktil14 verformte graue
und weisse Lagen; mehrere Generationen von Kalzitadern zerschneiden
Gefüge:
und versetzen duktile Lagen
schwarze, feingezackte Stylolithe=unlösliche Rückstände bei LösungsproSpezielles:
zessen
Lochsitenkalk
Lithologie:
Tektonit=Produkt der tektonischen Situation; wirkte als Schmiermittel der
Gesteinsart:
Glarner Hauptüberschiebung
Entstand beim Überschiebungsprozess im Oligozän bis Miozän (vor 30-20
Alter:
Millionen Jahren)
Entstehung steht im direkten Zusammenhang mit Bewegungen der Glarner
Schubmasse an der Überschiebungsfläche; grosse Reibung führte zum Abscheren von Gesteinsfetzen der darunterliegenden Gesteine; Gesteinsfetzen
Genese:
wurden durch enorme Scherkräfte duktil verformt; zudem kam es an Ort
und Stelle zu Kalzitausfällung (Adern) durch dynamisch hydrothermale15
Prozesse
7
Grundlegende Betrachtungen zur Bildung von Deckengebirgen:
Überschiebung
Der Prozess der Überschiebung soll anhand der schematischen Abbildung 3 erläutert werden:
Ehemals nebeneinander liegende Gesteinskörper brechen durch horizontale Einengung (grosse Pfeile). An der Bruchfläche, auch Aufschiebung genannt (kleine Doppelpfeile), wird ein
Block auf den anderen bewegt. Weitere horizontale Kompression führt dazu, dass der aufgeschobene Schichtstapel mit den Gesteinen B, C und D den anderen entlang der Überschiebungsfläche (rot) überfährt. Bei Überschiebungen dominiert also die horizontale Bewegung
über die vertikale. Im Wesentlichen führt dies dazu, dass ältere Gesteine (B) auf jüngere (D)
geschoben werden und so eine starke Verkürzung der Kruste als Anpassung an horizontale
Kompressionskräfte entsteht.
überschobener Schichtstapel
Abbildung 3: Überschiebung als Resultat horizontaler Einengung. Die Überschiebungsfläche ist rot gekennzeichnet. Bild aus Press & Siever (2008).
Plattentektonik – die alles erklärende Theorie
Die Ursache der enormen horizontalen Kompressionskräfte und somit des Motors der Gebirgsbildung war lange Zeit ein Rätsel. Erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann man die Rahmenbedingungen für die Bildung von Deckengebirgen zu verstehen. Die
Entdeckung der Plattentektonik führte zu einem umfassenden geologischen Paradigmenwechsel. Heute haben wir damit ein einziges Konzept, das die meisten grossräumigen geologischen
Erscheinungen erklären kann. Nach der Theorie der Plattentektonik ist die Lithosphäre, zu der
die Kruste und der oberste Bereich des Mantels gehören, über geologische Zeiten als starre,
feste äusserste Schale der Erde anzusehen. Die Lithosphäre, in welcher die Kontinente eingebettet sind, schwimmt auf einer weichen, teilweise geschmolzenen Schicht. Man nennt diese
Schicht Astenosphäre. Die Lithosphäre bildet jedoch keine durchgehende Schale, sondern ist
in mehrere grosse Platten zerlegt. Diese können sich relativ zueinander bewegen. Plattengrenzen sind dabei geologisch höchst aktive Zonen. Wo Platten zusammenstossen, entstehen Ge-
8
birge. Somit steht die Verteilung von Gebirgen mit dem globalen Plattendriftmuster in uru
sprünglichem Zusammenhang.
Deckengebirge – Kollision zweier Kontinentalplatten
Bei der Kollision von zwei Kontinentalplatten bildet sich eine stark deformierte Knautschzone
aus verdicktem Krustenmaterial aus. Die tektonische Zone weist
weist im Allgemeinen eine grossgros
räumig ausgebildete, keilförmige Geometrie auf. Deren Entstehung und Entwicklung haben
Ähnlichkeiten mit der Akkretion von Schnee vor einem Pflug (Abbildung 4a):
4 Der fahrende
Schneepflug entspricht in der Natur den konvergierenden
konvergierenden Plattenbewegungen. Der Keil
wächst frontal durch Akkretion. Dabei stapelt sich der Schnee dachziegelartig übereinander.
Dies ist in der Gebirgsbildung analog durch das Ausbilden einzelner Sedimentdecken
Sedimentd
zu sehen, welche sich entlang Überschiebungen stapeln
stapeln und so zur Krustenverkürzung
Krustenverkürz
beitragen.
Die frontale Akkretion ist also die Folge von tektonisch bedingter Krusteneinengung und bezieht sich auf Sedimentdecken, welche als grosse Gesteinspakete
ete abgeschert und in Richtung
Vorland übereinander geschoben
geschobe werden. Dieser Prozess findet bei relativ niedrigen TempeTemp
raturen und Drücken statt. Spätere Hebung und Erosion können die Überschiebungen an der
Gebirgsfront freilegen (Abbildung 4b).
4
(a)
(b)
Abbildung 4: (a) Schneepflug-Analogie
Analogie zur Entstehung des tektonischen Keils bei Kollision zweier KontinentalKontinenta
platten. Bild aus Fossen (2010). (b) Frontales Deckengebirge. Bild aus Frisch & Meschede (2005).
Parallel zur frontalen Akkretion können sich auch an der Basis des tektonischen Keils Gesteine
ne der subduzierten Oberkruste stapeln. Bei dieser basalen Akkretion sind die Drücke und
Temperaturen höher. Abbildung
dung 5 zeigt ein zwei-dimensionales
dimensionales numerisches Modell für KonKo
tinentkollision nach 240 km Konvergenz: Die rosafarbenen Sedimente wurden an der StirnseiStirnse
te des tektonischen Keils abgeschert und durch frontale Akkretion (FA) als Sedimentdecken
übereinander geschoben. Sowohl der penninische als auch der helvetische Deckenstapel sind
Beispiele
ispiele von frontaler Akkretion in den Alpen. Hebung entlang der Rückaufschiebung (R)
schafft Raum für basale Akkretion (BA). Dabei werden Teile der gelb eingefärbten Gesteine
9
der oberen Kruste gestapelt. In den Alpen betrifft dies die Stapelung der Kristallindecken sowie des Gotthard-, Tavetsch- und ansatzmässig des Aarmassivs. Frontale und basale Akkretion sind unabhängig voneinander und tendieren zur Stabilisierung des Subduktionsystems.
50 km
FA
BA
R
Abbildung 5: Numerisches zwei-dimensionales Modell für Kontinentkollision nach 240 km Konvergenz. FA:
frontale Akkretion, BA: basale Akkretion, R: Rückaufschiebung. Bild aus Selzer et al. (2008).
Tektonischer Bau der Glarner Alpen:
Folgender Text bezieht sich auf das Profil (Abbildung 6) auf Seite 11. Der Glarner Deckenkomplex (Gesteine zwischen Gl und Sä) gehört zu den helvetischen Decken. Die Gesteinsabfolgen des Helvetikums wurden während der Entstehung der Alpen als Folge der konvergierenden Plattenbewegung zerschert, gequetscht und zum Teil als mächtige Gesteinspakete,
Decken genannt, nordwärts verschoben. Im Falle des Glarner Deckenkomplexes fanden die
Bewegungen an einer Basisüberschiebung statt, die wir als Glarner Hauptüberschiebung bezeichnen. Die Überschiebungsbewegung hat vor ungefähr 30 Millionen Jahren im Oligozän
begonnen und ging bis ins Miozän weiter. Über mehrere Millionen von Jahren bewegte sich
die Glarner Decke mit Geschwindigkeiten von wenigen Zentimetern pro Jahr, mehr als 35 km
weit in nördliche Richtung und schob sich somit über die dort gelegenen Gesteine. Die Bewegung fand zu Beginn auf einer leicht nach Südsüdost geneigten Fläche, in maximaler Tiefe
von ungefähr 16 km, statt. An dieser Fläche wurden die Gesteine aufwärts geschoben. Durch
das spätere Heben der Alpen, das im Bereich des Aarmassivs schneller erfolgte als am Alpenrand und durch Abtrag der überliegenden Gesteinsmassen, kam die Überschiebungslinie zu
ihrer gekrümmten Form und an die heutige Position hoch in den Bergen.
Insgesamt beinhaltet die Glarner Decke eine Normalserie von permischen, mesozoischen
und vereinzelt auch känozoischen Sedimenten. Der obere Teil des Jurastockwerks ist nördlich
von Flums verdoppelt und weiter im Süden zwischen Flums und Ringelspitz als Faltenkaskade verkürzt worden. Die Gesteine der Kreide wurden grösstenteils als Säntis-Decke abgeschert und rund 12 km weiter nach Norden bewegt. Die Glarner Hauptüberschiebung vereinigt sich unter der Oberfläche im Norden mit der Säntis Überschiebung.
10
Die Einheiten unterhalb der Glarner Decke liegen teilweise noch auf dem Grundgebirge.
Man bezeichnet diese als Infrahelvetikum. Über dem aufgewölbten Aarmassiv befinden sich
parautochthone16 mesozoische Sedimente. Sie wurden nur über geringe Distanzen nordwärts
verschoben, jedoch verfaltet und zerbrochen. Darüber erkennt man die mächtige und stark
gefaltete känozoische Abfolge des Nordhelvetischen Flyschs. Im Norden wird er direkt durch
die Glarner Hauptüberschiebung diskordant17 geschnitten. Im Süden jedoch befinden sich
darüber noch zwei allochthone18 Pakete von südhelvetischen und ultrahelvetischen Sedimenten. Diese zwei Einheiten sind schon vor 32 Millionen Jahren auf den Nordhelvetischen
Flysch aufgeglitten und erst später von den helvetischen Decken überfahren worden.
Abbildung 6: Tektonischer Profilschnitt durch das östliche Helvetikum im Querschnitt St.Gallen - Versam. Die heutige Topographie wird durch die weisse Linie dargestellt.
Die Gesteine im Koffer gehören alle zum Helvetikum. TS 1: Kristallin undifferenziert; TS 2-TS 4: Perm; TS 5: Trias; TS 6: Später Jura (Malm); TS 7: Känozoikum; TS 8:
nicht ausgeschieden, würde auf der roten Linie Gl zu liegen kommen. Profil aus Pfiffner (2009).
11
12
Begriffserklärungen:
1) plastische Verformung:
Fähigkeit fester Stoffe sich unter einer Krafteinwirkung irreversibel zu verformen/ zu fliessen und diese Form
nach der Einwirkung beizubehalten
2) muscheliger Bruch:
Bruchflächen mit unregelmässig gebogener, muschelähnlicher Struktur ausgebildet
3) Aggregate
Verwachsungen von Kristallen entweder einer oder mehrerer Mineralarten
4) Gefüge
geometrischen Aspekte der Gemengteile; Form und Gestalt (Struktur) sowie Anordnung im Raum (Textur)
5) Lithologie
Zusammenfassender Überbegriff für genetisch verwandte Gesteine
6) Genese
die Entstehung der Gesteine betreffend
7) detritische Komponenten
physikalische Erosionsprodukte von Gesteinen
8) Matrix
feinstkörniger Anteil, „Schlamm“
9) Gradierung
sortierte Grössenverteilung von Komponenten
10) variszisches Gebirge
voralpine Gebirgsphase im mittleren Paläozoikum (vor ca. 300-400 Millionen Jahren)
11) Bankung
deutlich sichtbares, meist horizontal abgelagertes Schichtgefüge von Sedimenten
12) Turbiditströme
schnelle, subaquatische Materialbewegungen mit hoher Sedimentdichte an steilen Abhängen
13) idiomorph
Bezeichnung für vollständige Ausbildung der Eigengestalt; Form durch Kristallflächen definiert
14) duktil
stark verformbares Materialverhalten ohne Kohäsionsverlust
15) hydrothermale Prozesse
heisse, wässrige Lösungen betreffend
16) parautochthon
nur leicht verschobene, noch in unmittelbarer Verbindung zum Bildungsort stehend
17) diskordant
unregelmässig aufeinanderliegend; lagerungsgestört
18) allochthon
vom Bildungsort entfernt; ortsfremd
Titelbild: Piz Sardona – Piz Segnas mit Überschiebungslinie unterhalb der Berggipfeln. © IG Tektonikarena
Sardona, Foto: Ruedi Homberger, Arosa.
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