Handbuch Tektonikarena Sardona, wichtigste Gesteinstypen und Glarner Hauptüberschiebung Simon Walker Bachelorarbeit 2010/11 Institut für Geologie Universität Bern 1 Tektonikarena Sardona – UNESCO Weltnaturerbe: Am 8. Juli 2008 wurde der zentrale Teil des Gebirges im Grenzbereich der Kantone Glarus, St. Gallen und Graubünden unter der Bezeichnung „Tektonikarena Sardona“ zum UNESCO Weltnaturerbe erklärt. Das Gebiet ist in Abbildung 1 dargestellt und umfasst eine Fläche von ungefähr 330 km2 rund um den 3‘056 m ü. M. hohen Piz Sardona (siehe Titelbild). Die Aufnahme in die Welterbeliste der UNESCO war nach inniger Prüfung der Kandidatur beschlossen worden. Folgende drei Hauptgründe waren dafür ausschlaggebend: - deutliche Sichtbarkeit der Phänomene der Gebirgsbildung in einer Berglandschaft - Geschichte der Stätte als Forschungsobjekt - Anhaltende Bedeutung für die Geologie Abbildung 1: Geographische Lage der Tektonikarena Sardona. Das Gebiet des UNESCO-Weltnaturerbe ist rot eingefärbt. Bild aus offiziellen Homepage www.tektonikarenasardona.ch. Glarner Hauptüberschiebung: Die Glarner Hauptüberschiebung zeigt sich an spektakulären Berggipfeln und diversen Aufschlüssen als messerscharfe, leicht zurückwitternde, gelbliche Kerbe. Überschiebungsprozesse führten dazu, dass heute an der Glarner Hauptüberschiebung 250 bis 300 Millionen Jahre alter Verrucano (TS 2-4) der Glarner Decke über viel jüngeren Gesteinen zu liegen kommt. Im Süden sind dies mesozoische Kalke (unter anderem TS 6), im nördlichen Teil känozoische Flyschgesteine (TS 7). Dazwischen eingeklemmt findet man den 2 nur 1-2 m dicken Lochsitenkalk (TS 8). Der Kalk wirkte bei der Deckenbewegung als eine Art Schmiermittel und ermöglichte das nordwärts gerichtete Gleiten der Glarner Decke als zusammenhängendes Paket. Dabei wurde der Lochsitenkalk unter hohen Druck- und Temperaturbedingungen richtiggehend durchgeknetet. Die Lagerungsverhältnisse an der Glarner Hauptüberschiebung können besonders eindrücklich an der Lochsite bei Sool/ Schwanden (GL) betrachtet werden. Der Gesteinsaufschluss ist einer der bekanntesten im alpinen Raum und von immenser Bedeutung für die Erkenntnisse, wie Gebirge durch Deckenüberschiebungen entstanden sind. Abbildung 2 zeigt eine detaillierte Geländeskizze der Lochsite: Der Lochsitenkalk wittert stark zurück. Er ist wenige Dezimeter mächtig, gelbbeige angewittert und zeigt eine marmorartige Knetstruktur, entstanden durch die starke plastische1 Verformung, während die Überschiebung in grosser Tiefe aktiv war. Der Kalk wird durch eine scharfe Linie, auch Septum genannt, getrennt. Dies ist eine spätere Schubfläche, an welcher der Lochsitenkalk unter geringeren Temperaturen und Drucken spröd zerbrach. Im Liegenden der Überschiebung sind junge Flyschgesteine aufgeschlossen. Über dem Lochsitenkalk liegen die alten Konglomerate der VerrucanoFormation, welche gegen die Überschiebung hin ihre Farbe durch Alteration von Rot- zu Grüntönen ändern. 5 1 Flysch 4 2 Lochsitenkalk 3 3 Septum 2 4 grüner Verrucano 1 5 roter Verrucano Abbildung 2: Gesteinsaufschluss der Glarner Hauptüberschiebung an der Lochsite bei Sool/ Schwanden (GL). Originalzeichnung aus Alb. Heim (1878), basierend auf Escher. Gesteinsbeschreibung: Im Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung trifft man verschiedenste Gesteinstypen unterschiedlichen Alters an. Sie alle geben Einblick in die längst vergangenen Erdzeitalter ihrer Entstehung und beinhalten wichtige Informationen, die zur Rekonstruktion der gebirgsbilden- 3 den Prozesse beitragen können. Im Förderkoffer liegen acht Gesteinstypen vor. Diese sind grundlegend am Bau der Glarner Alpen beteiligt: ▪ TS 1: Epidot-Chlorit-Quarz Gneis Lokalität: Farbe: Mineralogie: Gefüge4: Lithologie5: Gesteinsart: Alter: Genese6: Vättis (SG); Koordinaten: 751 787/197 212 verwittert: dunkelgrün mit gelbbraunen und dunkelbraunen Flecken frisch: grünlich grau - grauweisse, linsenartige Körner mit muscheligem Bruch2 Quarz (65%) - blassgrüne, lagige Bändchen dunkelgrüne, schuppenartige Plättchen; können mit dem Chlorit (20%) Stahlnagel abgeschält werden; Anhäufungen fühlen sich seifig an und verursachen Seidenglanz Epidot (5-10%) grün, kleinprismatisch; deutlich härter als Chlorit winzige, kupfergelbe, metallglänzende Würfelchen; häuPyrit (< 5%) fig als verwachsene Aggregate3 Gefüge ist gneisartig ausgeprägt; Chloritminerale fliessen in dünnen Lagen um Quarz und Epidot herum und definieren wellige Schieferung; Pyrit überwächst zerbrochene Quarzkörner; Gestein gehört zum Altkristallin des Aarmassivs Metamorphit (Gneis) Paläozoikum: frühkarbonisch und älter (> 300 Millionen Jahre alt) Teil der alten kontinentalen Kruste des europäischen Kontinents; mehrfach durch Gebirgsprozesse metamorph überprägt ▪ TS 2: feinkörniges Konglomerat Murg (SG); Koordinaten: 734 932/219 092 Lokalität: verwittert: beigegrau Farbe: frisch: rosa bis rotviolett 7 Fein-und Mittel- eckige sowie gerundete detritische Komponenten : - Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (25%) kiesfraktion (2-20 mm gross) - monomineralischer Quarz (5%) Gerundete detritische Komponenten: Grobsand- weissgraue bis blass rosafarbene Quarzkörner (30%) Mineralogie: fraktion - Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (20-30%) (0,63-2 mm gross) - graue bis rote Feldspatkörner (10%) karbonatführend; schäumt leicht bei Kontakt mit SalzMatrix8 säure dichte, grobsandige Grundmasse mit eingeschwemmten grösseren KompoGefüge: nenten; schlecht sortiert; keine Gradierung9 Verrucano Lithologie: Sediment (klastisches Ablagerungsgestein: Konglomerat) Gesteinsart: Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt) Alter: kontinentales Abtragungsprodukt des variszischen Gebirges10; Ablagerung in einem tektonischen Graben durch episodische Flutereignisse; KongloGenese: merat entspricht einer randnahen Ablagerung mit geringem Transportweg 4 ▪ TS 3: roter Tonschiefer Murgtal (SG); Koordinaten: 734 047/213 171 Lokalität: verwittert: helle Rottöne Farbe: frisch: sattes weinrot mit weissgrünen Linsen rot ausgebildete Schichtminerale mit Grössen < 0,002 Tonminerale mm; können nicht als einzelne Körner ausgeschieden (90%) werden Mineralogie: winzig kleine Plättchen; silbriger Glanz; können mit dem Serizit (5%) Stahlnagel abgeschält werden Quarz (5%) winzig kleine Körner; farblos mit Glasglanz Schieferung durch planare Einregelung der Tonminerale Gefüge: weissgrüne elliptische Linsen=Reduktionshöfe; Farbunterschied durch ReSpezielles: duktion von Fe3+ zu Fe2+ Verrucano Lithologie: Sediment (klastisches Ablagerungsgestein: Tongestein) Gesteinsart: Paläozoikum: permokarbon (250-300 Millionen Jahre alt) Alter: kontinentales Abtragungsprodukt des variszischen Gebirges; Ablagerung in einem tektonischen Graben; troginterne Ablagerung mit langem aquatiGenese: schem Transportweg. ▪ TS 4: grauer Chlorit-Serizit-Tonschiefer Flims (GR); Koordinaten: 740 600/188 600 Lokalität: verwittert: hellgrau bis silbern Farbe: frisch: mittelgrau bis blaugrau mittelgraue bis blaugraue Schichtminerale mit Grössen Tonminerale < 0,002 mm; können nicht als einzelne Körner ausge(50-60%) schieden werden hellgraue bis grünliche Flächen; können mit dem FingerSerizit (25-30%) nagel geritzt werden; zeigen Perlmuttglanz; fühlen sich Mineralogie: seifig an kleine, dunkelgrüne Plättchen; können mit dem StahlnaChlorit (5-10%) gel abgeschält werden mm grosse, kupfergelbe Würfelchen; meist rostfarben Pyrit (< 5%) verwittert stark geschiefert; Tonminerale, Serizit und Chlorit allesamt eingeregelt; Gefüge: Pyrit häufig zwischen Schieferungsflächen Verrucano Lithologie: Metamorphit (Schiefer) Gesteinsart: metamorphe Überprägung im Zusammenhang mit ÜberschiebungsprozesAlter: sen im Oligozän bis Miozän (vor 30-20 Millionen Jahren) fluidbedingte Reaktionen haben Ausgangsgestein (TS 3) umgewandelt bei den gebirgsbildenden Prozessen (Bildung von neuen Mineralien, Farb- und Genese: Gefügeänderung) 5 ▪ TS 5: Dolomitgestein Tamins (GR); Koordinaten: 749 605/188 272 Lokalität: verwittert: weissgrau bis gelblich Farbe: frisch: mittelgrau Dolomitminerale zeigen nur zögerliche Reaktion mit Salzsäure: Dolomit - wenige, winzig kleine, farblos durchscheinende Punkte Mineralogie: mit Glasglanz - dichte feinstkörnige Masse massig, dicht; durchzogen von feinen weissen, netzartig angelegten Dolomitadern; keine sedimentär bedingten Strukturen sichtbar; im AufGefüge: schlussmassstab jedoch leicht gebankt11 Typischer elefantenhautartiger Verwitterungsüberzug Spezielles: Röti-Dolomit Lithologie: Sediment (flachmarines, biochemisches Ablagerungsgestein) Gesteinsart: Mesozoikum: mittlere Trias (230-245 Millionen Jahre alt) Alter: chemische Ausfällung an flachen Küsten im Zusammenhang mit Wechsel von Austrocknungs- und Überschwemmungsphasen, erhöhter Salinität Genese: sowie Einflüssen von meteorischen Grundwasserflüssen und Algenmatten ▪ TS 6: mikritisches Kalkgestein Felsberg (GR); Koordinaten: 755 854/191 051 Lokalität: verwittert: mittel- bis dunkelgrau; matt Farbe: frisch: mittel- bis dunkelgrau Kalzitminerale zeigen heftige Reaktion mit Salzsäure: - wenige, winzig kleine, farblos bis milchig weisse, Kalzit (> 95%) durchscheinende Punkte mit Glasglanz Mineralogie: - dichte feinstkörnige Masse Limonit (< 5%) kleine, rostfarbene Punkte in korrosionsartigen Löchern massig, dicht; diffuse Laminierung von feinen helleren und dunkleren LaGefüge: gen; im Aufschlussmassstab gut gebankt Quinten-Kalk Lithologie: Sediment (tiefmarines Ablagerungsgestein) Gesteinsart: Mesozoikum: spätjurassischer Malm (145-160 Millionen Jahre alt) Alter: weitverbreitete Ablagerung von feinem Kalkschlamm in grosser MeerestieGenese: fe; später Kompaktion und Verfestigung 6 ▪ TS 7: muskovitreicher Kalkarenit Matt (GL); Koordinaten: 732 396/202 346 Lokalität: verwittert: dreckig grau Farbe: frisch: dunkelgrau mit kleinen silbernen Punkten - graue und schwarze Gesteinsbruchstücke älterer Gesteine (20%) Fein- und Mittel- - silbern glänzende Muskovitschüppchen, können mit kiesfraktion Stahlnagel abgeschält werden (15%) (0,063-0,63 mm) Mineralogie: - farblos bis weisse Quarzkörner, muscheliger Bruch, nicht ritzbar (5-10%) stark kalzithaltig; schäumt stark bei Kontakt mit SalzMatrix säure (50%) massig, dicht; Komponenten sind gut sortiert und homogen verteilt; im Gefüge: Aufschlussmassstab Wechsellagerung mit siltigen Zwischenlagen Nordhelvetischer Flysch Lithologie: Sediment (klastisches Ablagerungsgestein: Kalksandstein=Kalkarenit) Gesteinsart: Känozoikum: spätes Eozän bis frühes Oligozän (25-30 Millionen Jahre alt) Alter: episodische Sedimentation in Tiefseetrog durch subaquatische Genese: Turbiditströme12 ▪ TS 8: Kalk-Mylonit Hätzingen (GL); Koordinaten: 722 735/202 401 Lokalität: verwittert: dreckig beigegrau Farbe: frisch: weiss und grau; chaotisch strukturiert - kleine, farblos durchscheinende, idiomorphe13 Kristalle - graue Bändchen aus Kalkgestein Kalzit Mineralogie: - milchig weisse Linsen und Adern massig, dicht; chaotisches „Knetgefüge“ durch duktil14 verformte graue und weisse Lagen; mehrere Generationen von Kalzitadern zerschneiden Gefüge: und versetzen duktile Lagen schwarze, feingezackte Stylolithe=unlösliche Rückstände bei LösungsproSpezielles: zessen Lochsitenkalk Lithologie: Tektonit=Produkt der tektonischen Situation; wirkte als Schmiermittel der Gesteinsart: Glarner Hauptüberschiebung Entstand beim Überschiebungsprozess im Oligozän bis Miozän (vor 30-20 Alter: Millionen Jahren) Entstehung steht im direkten Zusammenhang mit Bewegungen der Glarner Schubmasse an der Überschiebungsfläche; grosse Reibung führte zum Abscheren von Gesteinsfetzen der darunterliegenden Gesteine; Gesteinsfetzen Genese: wurden durch enorme Scherkräfte duktil verformt; zudem kam es an Ort und Stelle zu Kalzitausfällung (Adern) durch dynamisch hydrothermale15 Prozesse 7 Grundlegende Betrachtungen zur Bildung von Deckengebirgen: Überschiebung Der Prozess der Überschiebung soll anhand der schematischen Abbildung 3 erläutert werden: Ehemals nebeneinander liegende Gesteinskörper brechen durch horizontale Einengung (grosse Pfeile). An der Bruchfläche, auch Aufschiebung genannt (kleine Doppelpfeile), wird ein Block auf den anderen bewegt. Weitere horizontale Kompression führt dazu, dass der aufgeschobene Schichtstapel mit den Gesteinen B, C und D den anderen entlang der Überschiebungsfläche (rot) überfährt. Bei Überschiebungen dominiert also die horizontale Bewegung über die vertikale. Im Wesentlichen führt dies dazu, dass ältere Gesteine (B) auf jüngere (D) geschoben werden und so eine starke Verkürzung der Kruste als Anpassung an horizontale Kompressionskräfte entsteht. überschobener Schichtstapel Abbildung 3: Überschiebung als Resultat horizontaler Einengung. Die Überschiebungsfläche ist rot gekennzeichnet. Bild aus Press & Siever (2008). Plattentektonik – die alles erklärende Theorie Die Ursache der enormen horizontalen Kompressionskräfte und somit des Motors der Gebirgsbildung war lange Zeit ein Rätsel. Erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann man die Rahmenbedingungen für die Bildung von Deckengebirgen zu verstehen. Die Entdeckung der Plattentektonik führte zu einem umfassenden geologischen Paradigmenwechsel. Heute haben wir damit ein einziges Konzept, das die meisten grossräumigen geologischen Erscheinungen erklären kann. Nach der Theorie der Plattentektonik ist die Lithosphäre, zu der die Kruste und der oberste Bereich des Mantels gehören, über geologische Zeiten als starre, feste äusserste Schale der Erde anzusehen. Die Lithosphäre, in welcher die Kontinente eingebettet sind, schwimmt auf einer weichen, teilweise geschmolzenen Schicht. Man nennt diese Schicht Astenosphäre. Die Lithosphäre bildet jedoch keine durchgehende Schale, sondern ist in mehrere grosse Platten zerlegt. Diese können sich relativ zueinander bewegen. Plattengrenzen sind dabei geologisch höchst aktive Zonen. Wo Platten zusammenstossen, entstehen Ge- 8 birge. Somit steht die Verteilung von Gebirgen mit dem globalen Plattendriftmuster in uru sprünglichem Zusammenhang. Deckengebirge – Kollision zweier Kontinentalplatten Bei der Kollision von zwei Kontinentalplatten bildet sich eine stark deformierte Knautschzone aus verdicktem Krustenmaterial aus. Die tektonische Zone weist weist im Allgemeinen eine grossgros räumig ausgebildete, keilförmige Geometrie auf. Deren Entstehung und Entwicklung haben Ähnlichkeiten mit der Akkretion von Schnee vor einem Pflug (Abbildung 4a): 4 Der fahrende Schneepflug entspricht in der Natur den konvergierenden konvergierenden Plattenbewegungen. Der Keil wächst frontal durch Akkretion. Dabei stapelt sich der Schnee dachziegelartig übereinander. Dies ist in der Gebirgsbildung analog durch das Ausbilden einzelner Sedimentdecken Sedimentd zu sehen, welche sich entlang Überschiebungen stapeln stapeln und so zur Krustenverkürzung Krustenverkürz beitragen. Die frontale Akkretion ist also die Folge von tektonisch bedingter Krusteneinengung und bezieht sich auf Sedimentdecken, welche als grosse Gesteinspakete ete abgeschert und in Richtung Vorland übereinander geschoben geschobe werden. Dieser Prozess findet bei relativ niedrigen TempeTemp raturen und Drücken statt. Spätere Hebung und Erosion können die Überschiebungen an der Gebirgsfront freilegen (Abbildung 4b). 4 (a) (b) Abbildung 4: (a) Schneepflug-Analogie Analogie zur Entstehung des tektonischen Keils bei Kollision zweier KontinentalKontinenta platten. Bild aus Fossen (2010). (b) Frontales Deckengebirge. Bild aus Frisch & Meschede (2005). Parallel zur frontalen Akkretion können sich auch an der Basis des tektonischen Keils Gesteine ne der subduzierten Oberkruste stapeln. Bei dieser basalen Akkretion sind die Drücke und Temperaturen höher. Abbildung dung 5 zeigt ein zwei-dimensionales dimensionales numerisches Modell für KonKo tinentkollision nach 240 km Konvergenz: Die rosafarbenen Sedimente wurden an der StirnseiStirnse te des tektonischen Keils abgeschert und durch frontale Akkretion (FA) als Sedimentdecken übereinander geschoben. Sowohl der penninische als auch der helvetische Deckenstapel sind Beispiele ispiele von frontaler Akkretion in den Alpen. Hebung entlang der Rückaufschiebung (R) schafft Raum für basale Akkretion (BA). Dabei werden Teile der gelb eingefärbten Gesteine 9 der oberen Kruste gestapelt. In den Alpen betrifft dies die Stapelung der Kristallindecken sowie des Gotthard-, Tavetsch- und ansatzmässig des Aarmassivs. Frontale und basale Akkretion sind unabhängig voneinander und tendieren zur Stabilisierung des Subduktionsystems. 50 km FA BA R Abbildung 5: Numerisches zwei-dimensionales Modell für Kontinentkollision nach 240 km Konvergenz. FA: frontale Akkretion, BA: basale Akkretion, R: Rückaufschiebung. Bild aus Selzer et al. (2008). Tektonischer Bau der Glarner Alpen: Folgender Text bezieht sich auf das Profil (Abbildung 6) auf Seite 11. Der Glarner Deckenkomplex (Gesteine zwischen Gl und Sä) gehört zu den helvetischen Decken. Die Gesteinsabfolgen des Helvetikums wurden während der Entstehung der Alpen als Folge der konvergierenden Plattenbewegung zerschert, gequetscht und zum Teil als mächtige Gesteinspakete, Decken genannt, nordwärts verschoben. Im Falle des Glarner Deckenkomplexes fanden die Bewegungen an einer Basisüberschiebung statt, die wir als Glarner Hauptüberschiebung bezeichnen. Die Überschiebungsbewegung hat vor ungefähr 30 Millionen Jahren im Oligozän begonnen und ging bis ins Miozän weiter. Über mehrere Millionen von Jahren bewegte sich die Glarner Decke mit Geschwindigkeiten von wenigen Zentimetern pro Jahr, mehr als 35 km weit in nördliche Richtung und schob sich somit über die dort gelegenen Gesteine. Die Bewegung fand zu Beginn auf einer leicht nach Südsüdost geneigten Fläche, in maximaler Tiefe von ungefähr 16 km, statt. An dieser Fläche wurden die Gesteine aufwärts geschoben. Durch das spätere Heben der Alpen, das im Bereich des Aarmassivs schneller erfolgte als am Alpenrand und durch Abtrag der überliegenden Gesteinsmassen, kam die Überschiebungslinie zu ihrer gekrümmten Form und an die heutige Position hoch in den Bergen. Insgesamt beinhaltet die Glarner Decke eine Normalserie von permischen, mesozoischen und vereinzelt auch känozoischen Sedimenten. Der obere Teil des Jurastockwerks ist nördlich von Flums verdoppelt und weiter im Süden zwischen Flums und Ringelspitz als Faltenkaskade verkürzt worden. Die Gesteine der Kreide wurden grösstenteils als Säntis-Decke abgeschert und rund 12 km weiter nach Norden bewegt. Die Glarner Hauptüberschiebung vereinigt sich unter der Oberfläche im Norden mit der Säntis Überschiebung. 10 Die Einheiten unterhalb der Glarner Decke liegen teilweise noch auf dem Grundgebirge. Man bezeichnet diese als Infrahelvetikum. Über dem aufgewölbten Aarmassiv befinden sich parautochthone16 mesozoische Sedimente. Sie wurden nur über geringe Distanzen nordwärts verschoben, jedoch verfaltet und zerbrochen. Darüber erkennt man die mächtige und stark gefaltete känozoische Abfolge des Nordhelvetischen Flyschs. Im Norden wird er direkt durch die Glarner Hauptüberschiebung diskordant17 geschnitten. Im Süden jedoch befinden sich darüber noch zwei allochthone18 Pakete von südhelvetischen und ultrahelvetischen Sedimenten. Diese zwei Einheiten sind schon vor 32 Millionen Jahren auf den Nordhelvetischen Flysch aufgeglitten und erst später von den helvetischen Decken überfahren worden. Abbildung 6: Tektonischer Profilschnitt durch das östliche Helvetikum im Querschnitt St.Gallen - Versam. Die heutige Topographie wird durch die weisse Linie dargestellt. Die Gesteine im Koffer gehören alle zum Helvetikum. TS 1: Kristallin undifferenziert; TS 2-TS 4: Perm; TS 5: Trias; TS 6: Später Jura (Malm); TS 7: Känozoikum; TS 8: nicht ausgeschieden, würde auf der roten Linie Gl zu liegen kommen. Profil aus Pfiffner (2009). 11 12 Begriffserklärungen: 1) plastische Verformung: Fähigkeit fester Stoffe sich unter einer Krafteinwirkung irreversibel zu verformen/ zu fliessen und diese Form nach der Einwirkung beizubehalten 2) muscheliger Bruch: Bruchflächen mit unregelmässig gebogener, muschelähnlicher Struktur ausgebildet 3) Aggregate Verwachsungen von Kristallen entweder einer oder mehrerer Mineralarten 4) Gefüge geometrischen Aspekte der Gemengteile; Form und Gestalt (Struktur) sowie Anordnung im Raum (Textur) 5) Lithologie Zusammenfassender Überbegriff für genetisch verwandte Gesteine 6) Genese die Entstehung der Gesteine betreffend 7) detritische Komponenten physikalische Erosionsprodukte von Gesteinen 8) Matrix feinstkörniger Anteil, „Schlamm“ 9) Gradierung sortierte Grössenverteilung von Komponenten 10) variszisches Gebirge voralpine Gebirgsphase im mittleren Paläozoikum (vor ca. 300-400 Millionen Jahren) 11) Bankung deutlich sichtbares, meist horizontal abgelagertes Schichtgefüge von Sedimenten 12) Turbiditströme schnelle, subaquatische Materialbewegungen mit hoher Sedimentdichte an steilen Abhängen 13) idiomorph Bezeichnung für vollständige Ausbildung der Eigengestalt; Form durch Kristallflächen definiert 14) duktil stark verformbares Materialverhalten ohne Kohäsionsverlust 15) hydrothermale Prozesse heisse, wässrige Lösungen betreffend 16) parautochthon nur leicht verschobene, noch in unmittelbarer Verbindung zum Bildungsort stehend 17) diskordant unregelmässig aufeinanderliegend; lagerungsgestört 18) allochthon vom Bildungsort entfernt; ortsfremd Titelbild: Piz Sardona – Piz Segnas mit Überschiebungslinie unterhalb der Berggipfeln. © IG Tektonikarena Sardona, Foto: Ruedi Homberger, Arosa.