Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Dokumentation zum Vortrag „Margarete Teschemacher (1903 - 1953) – Eine berühmte und unvergessene Persönlichkeit des Dresdner Musiklebens“ (Autor: Wolfgang Pieschel, Bearbeitung: Nicole Schönherr M. A.) Meine sehr geehrten Damen und Herren, verklungen ist eine der beiden Arien oder Monologe der Daphne – genauer: der zweite Teil des Monologs „O bleib, geliebter Tag“ aus der Bukolischen Tragödie „Daphne“ von Richard Strauss in einer historischen Aufnahme Ende 1938 / Anfang 1939 – also produziert wenige Monate nach der Dresdner Uraufführung der „Daphne“ am 15. Oktober 1938. Es sang Margarete Teschemacher – die Uraufführungs-Daphne –, es spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Karl Böhm, dem Dirigenten der Uraufführung. In diesem Monolog beklagt Daphne das Scheiden der Sonne, in deren Strahlen ihr Bäume und Blumen, Quellen und Schmetterlingsfalter wie Brüder und Schwester waren. Hier werden Regungen und Stimmungen enger Naturverbundenheit zu einem Klang, der von lyrischen Melismen bis zu sich kraftvoll aufschwingendem Jubel reicht. Sensibles Empfinden der Naturschönheit und sich Bahn brechende Freude, aber auch Abschiedsschmerz über das allmähliche Verlöschen des Lichts eines strahlenden Tages werden wie in einem tönenden Universum lebendig. Der zu Gehör gebrachte zweite Teil des Monologs ist gewissermaßen eine Ode an die Schönheit eines Baumes in der Natur bei langsam hereinbrechender Dunkelheit: „O wie gerne blieb ich bei dir, mein lieber Baum. In der Kindheit Tagen gepflanzt und so mein Bruder! Wenn der Tag mich verlässt, die Sonne, Apollo, der große Gott, stolz dahinzieht nach Hause ins Gebirge der Götter, blicke ich zu dir!“ Und der Monolog endet, indem Daphne sich innig an den Baum schmiegt, mit ihren bekenntnishaften Worten und Tönen „O geliebter Baum!“ Eine solche Partie wie die Daphne von Richard Strauss verlangt einer Sängerin alles ab: zarteste Lyrik, Sensibilität, Ausgeglichenheit der Stimme in allen Lagen, edles Timbre, strahlende Leuchtkraft in der Höhe, überzeugende Charakterisierungskunst. Allen diesen außergewöhnlichen Anforderungen entsprach Margarete Teschemacher in nahezu idealer Weise. Sie gilt bis heute - obwohl es in den letzten 70 Jahren viele hervorragende Sängerinnen dieser Partie wie etwa Maria Cebotari, Hilde Güden oder Lucia Popp – um nur einige zu nennen – gab, als die beste Daphne aller Zeiten. Glänzte sie mit vielen Partien in Opern von Richard Strauss, so wurde Margarete Teschemacher in besonderem Maße immer wieder auch als Mozart- und Wagner-Sängerin gefeiert, aber auch als hervorragende Sängerin im italienischen Fach geschätzt. Worin liegt das Besondere der Gesangskunst der Margarete Teschemacher? Schwer zu beschreiben, aber einige Attribute seien angemerkt, ohne dabei auch nur annähernd dem Phänomen ihrer Stimme gerecht werden zu können. Besonders hervorgehoben seien die ideale Ausgeglichenheit, der berückende Schönklang in allen Lagen – von der Tiefe über die Mittellage bis hin zu einer blendenden Höhe – und die strahlende Leuchtkraft der Stimme, sowie eine beispielhafte Phrasierungskunst. Und kaum gibt es ein größeres Lob über eine Künstlerin, eine Sängerin, als dass man ihre Unverwechselbarkeit unter vielen anderen nennen kann, sie bereits nach wenigen Tönen als eine eigene Persönlichkeit erkennt. Worin dieses Geheimnis liegt, ist mit Worten nicht fassbar, man muss es erspüren, kann es letztlich nur emotional erfassen. An diese außergewöhnliche Sängerin Margarete Teschemacher, deren Todestag sich vor wenigen Tagen – am 19. Mai 2009 – zum fünfzigsten Mal jährte, wollen wir erinnern, war sie doch viele Jahre ihres Künstlerlebens eng der Sächsischen Staatsoper Dresden verbunden, ja zählte in der Ära Karl Böhm, der sie entdeckt und nach Dresden verpflichtet hatte, zu den meistbeschäftigten Sängerinnen und Protagonistinnen eines hochkarätigen Gesangsensembles. 1 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Wie verlief der künstlerische Weg Margarete Teschemachers, bevor sie an der Sächsischen Staatsoper Dresden Triumph über Triumph feiern konnte? Am 3. März 1903 in Köln geboren, erhielt sie ihre Gesangsausbildung am Konservatorium ihrer Heimatstadt. Ihr erstes Engagement erhielt sie im Alter von zwanzig Jahren am Opernhaus der Stadt Köln. Hier debütierte sie mit der kleinen Partie der Ruth in Eugen d’Alberts „Die toten Augen“, übrigens einer Oper, die 1916 in Dresden – noch im Königlichen Hoftheater – ihre Uraufführung gefunden hatte. Noch im ersten Jahr ihrer Zugehörigkeit zum Ensemble des Opernhauses Köln erhielt Margarete Teschemacher ihre erste Fachpartie: die Micaëla in Georges Bizets Oper „Carmen“. Hier konnte die junge Sängerin die lyrischen Qualitäten ihrer Stimme erstmals überzeugend zur Geltung bringen. Zwei Jahre später, 1925, wechselte sie an das Stadttheater Aachen, wo sie bis 1927 blieb. In der Spielzeit 1927 / 1928 sang Margarete Teschemacher am Stadttheater Dortmund, bevor sie danach 1928 bis 1930 ein Engagement am Nationaltheater Mannheim hatte. Die Opernbühnen, die sie sich nach und nach eroberte, wurden immer gewichtiger und bedeutungsvoller. Nach dem Nationaltheater Mannheim folgte 1931 die Verpflichtung an die Staatsoper Stuttgart, von wo aus sie ab 1934 ständig zu Gastspielen an die traditionsreiche Sächsische Staatsoper eingeladen wurde. Erstmals stand sie am 13. März 1934 als Elsa in Richard Wagners „Lohengrin“ auf der Bühne der Semperoper. Und in den folgenden Monaten folgten – immer noch als Gast – zahlreiche weitere Partien: Leonore in Giuseppe Verdis „Die Macht des Schicksals“, Agathe in Carl Maria von Webers „Der Freischütz“, Desdemona in Giuseppe Verdis „Othello“, Elisabeth in Richard Wagners „Tannhäuser“ und in Giuseppe Verdis „Don Carlos“, Rezia in Carl Maria von Webers „Oberon“, Octavian in „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss, die Gräfin in Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ und die Pamina in Mozarts „Die Zauberflöte“. Man bedenke, Margarete Teschemacher war zu dieser Zeit gerade erst 31 Jahre alt und schon welch breite Skala unterschiedlichster Partien! Mozart, Weber, Wagner, Strauss und Verdi – alles Komponisten, deren Werke sie ihr Leben lang begleiten werden und in denen sie künstlerische Höchstleistungen vollbringt. Welch eine Spannweite der stimmlichen Anforderungen von der Pamina über die Gräfin, die Verdi-Partien, von der Agathe und Rezia bis hin zu den Wagner-Partien Elsa und Elisabeth und dem Octavian im „Rosenkavalier“. Es ist für Margarete Teschemacher die Möglichkeit, ihre außergewöhnliche Fähigkeit in den verschiedenen Stimmfächern zu beweisen und überall künstlerisch zu überzeugen: im lyrischen und jugendlichen Sopranfach ebenso wie im sogenannten Zwischenfach, im dramatischen, ja sogar im hochdramatischen Fach, im italienischen Fach und auch – wie bei Octavian – ein Ausflug mit einer Mezzopartie in eine angrenzende tiefere Stimmlage. Es scheint so, dass Karl Böhm, der seit Januar 1934 sein Amt als Generalmusikdirektor und Operndirektor an der Sächsischen Staatsoper innehatte, Margarete Teschemacher bei ihren Gastspielen von März 1934 bis Mai 1935 von allen ihren Seiten kennenlernen wollte. Sie tat das so überzeugend, dass Karl Böhm von ihr und ihrer Stimme so begeistert war, dass er sie ab der Spielzeit 1935 / 1936 fest an die Sächsische Staatsoper Dresden verpflichtete. Die Antrittspartie der Margarete Teschemacher in ihrem Festengagement in Dresden war am 31. August 1935 die Partie der Gräfin in Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“, mit der sie bereits mehrfach im Dezember 1934 sowie im Januar, Februar und April 1935 an der Semperoper mit großem Erfolg gastiert hatte. Auf ein festes Engagement in Dresden freute sich Margarete Teschemacher sehr und teilte in einem Zeitungsartikel vom 10. März 1935, noch im Engagement in Stuttgart, im Voraus mit: „Mein Wunsch war, entgegen dem vielleicht 90 v. H. aller jungen Mädchen, nicht das Theater, obwohl ich aus einer reinen Theaterfamilie entstamme. Und trotzdem habe ich bereits als siebzehnjähriges Mädchen dem damaligen Generalmusikdirektor des Opernhauses Köln a. Rh., meiner Vaterstadt, vorgesungen. Das Urteil war immerhin so, dass meine Eltern den Versuch wagten, und so begann ein zweieinhalbjähriges ernstes und strenges Studium. 2 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Meine erste ’Partie’ – ich war zu dieser Zeit Elevin im Kölner Opernhaus - war die Micaëla in ’Carmen’, womit ich auch ein Engagement in Aachen als jungendliche Sopranistin erhielt. Wenn ich aber glaubte, nach vollendetem Studium nunmehr auch eine vollendete Sängerin zu sein, so habe ich in den nächsten Jahren immer wieder gesehen, wieviel noch dazuzulernen ist, wenn man seinen Beruf ernst auffasst und zur Befriedigung seines eigenen Ichs und der Zuhörer eine ganze Leistung erzielen will. Von Aachen ging ich bereits nach einem Jahr wieder weg, nach Dortmund, nach Mannheim. In dieser Zeit durfte ich zu meiner größten Freude und innerer Befriedigung den Lohn meines Arbeitens empfangen: Ich gastierte an der Covent-Garden-Oper in London und am Teatro Liceo in Barcelona. Die nächste Etappe war Stuttgart, in dessen wundervoll gelegenem Staatstheater ich die Spielzeit 1934 / 1935 noch fest verpflichtet bin. Der Kreis meiner Anhänger in Stuttgart ist so groß, dass es mir schwerfallen wird, von hier wegzugehen. Ich weiß auch heute, dass ich mich immer wieder gerne an meine Stuttgarter Zeit erinnern werde. Der Trost für den Abschiedsschmerz von meinen Stuttgartern ist das Bewusstsein, nach einer Stadt zu kommen, die in der Lage sehr viel Ähnlichkeit mit Stuttgart hat: Dresden. Ich verrate Ihnen, meine lieben Leserinnen und Leser, sehr gerne, dass ich mich durch Ihre freundliche Aufnahme während meiner verschiedenen Gastspiele in Dresden schon wie zu Hause fühle und ich mich auf meine Arbeit in der Dresdner Staatsoper riesig freue. Sie wollen noch mehr wissen? Welches meine Lieblingsrolle ist? Eigentlich sind alle Partien, die ich singe, für mich Lieblingsrollen; wenn ich Ihnen aber trotzdem eine Partie nennen muss, dann ist es vielleicht die Aida.“ Soweit Margarete Teschemacher in einem Dresdner Zeitungsartikel im März 1935, zu einer Zeit, in der sie von Stuttgart aus schon 26 mal in der Semperoper Dresden gastierte hatte und wenige Monate vor ihrem festen Engagement in Dresden stand. Wenn Margarete Teschemacher in diesem Beitrag davon spricht, wie dankbar sie für die freundliche Aufnahme bei ihren Gastspielen in Dresden war, so wusste nicht nur das Publikum, sondern auch die Presse die Leistungen der im Jahre 1935 zur Kammersängerin ernannten hochbegabten, begnadeten Sopranistin mit ihrer leuchtend schönen lyrisch-dramatischen Stimme zu würdigen und zu schätzen. Stellvertretend für viele Lobeshymnen auf Margarete Teschemacher während ihrer Dresdner Gastspieltätigkeit in den Jahren 1934 / 1935 von Stuttgart aus sei aus zwei Kritiken zu Aufführungen von Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ zitiert. Mit der Partie der Gräfin, die später auch ihre erste Partie im festen Dresdner Engagement war, sang sie sich auf Anhieb in die Herzen des Publikums und der Kritik. So war im „Dresdner Anzeiger“ vom 9. Dezember 1934 zu lesen: „Dresden hat das Glück, in Margarete Teschemacher jetzt eine Mozartsängerin von ersten Qualitäten zu besitzen. Ihre Verkörperung der Gräfin ist von einer goldenen Glorie umflossen. Stimmlich lässt sich etwas Reineres, Edleres nicht denken. Und in ihrer Kunst spielt sich Menschlichstes aus; das bleibt am wichtigsten.“ Und in einer weiteren Rezension von dem anerkannten Kritiker Eugen Schmitz in den „Dresdner Nachrichten“ mit gleichem Datum heißt es: „Erstaunlich, wie auch Margarete Teschemacher ihren doch beinahe hochdramatischen Sopran auf Mozarts Gräfin einzustellen wusste. Nächst ihrer Rezia im ’Oberon’ war das vielleicht überhaupt der stärkste gesangliche Eindruck, den wir bisher von ihr empfingen. Die wirklich meisterlich gesungene, so sehr schwierige zweite Arie fand stürmischen Sonderbeifall. Dabei stand der Sängerin die Rokokoeleganz der Gräfin sehr vorteilhaft zu Gesicht, und die Darstellung verriet in jedem Zug die im Werk voll aufgehende Künstlerin.“ Ihre Partner auf der Bühne bei dieser „Figaro“-Aufführung waren übrigens Mathieu Ahlersmeyer als Graf, Paul Schöffler als Figaro, Maria Cebotari als Susanne und Angela Kolniak als Cherubin – alles Namen eines erlesenen, hochkarätigen Sängerensembles, das zu Zeiten Karl Böhms als Dresdner Generalmusikdirektor und Operndirektor regelmäßig in den Aufführungen zu hören war. Zu den Partien, die Margarete Teschemacher 1934 und 1935 in Dresden gesungen hat und mit denen sie begeisterte, gehörte neben der in der mitgeteilten „Figaro“-Kritik erwähnten Rezia in Carl Maria von Webers letztem Opernwerk „Oberon“ auch die Agathe in Webers „Der Freischütz“. 3 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Wie großartig vermag Margarete Teschemacher die Szene und Arie der Agathe aus dem zweiten Akt zu gestalten! Voller Sorge und Beklommenheit in Erwartung der Heimkehr des von ihr geliebten Jägerburschen Max die einleitenden, eher rezitativischen Passagen „Wie nahte mir der Schlummer, bevor ich ihn gesehn? Ja, Liebe pflegt mit Kummer stets Hand in Hand zu gehn! [...]“, danach das verinnerlichte, von süßem Wohllaut erfüllte Gebet „Leise, leise, fromme Weise! Schwing dich auf zum Sternenkreise“, dann wieder das unruhvolle „O wie hell die goldnen Sterne“ bis hin zu dem Jubel, ja Freudentaumel „All meine Pulse schlagen, und das Herz wallt ungestüm.“ Die ganze Skala der Ausdruckmöglichkeiten der Stimme von Margarete Teschemacher kommt hier voll zum Tragen. Hören wir die Szene und Arie der Agathe aus dem 2. Akt der Oper „Der Freischütz“ in einer Aufnahme mit Margarete Teschemacher und der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Karl Elmendorff, aufgenommen im Mai 1944. Die Agathe in Carl Maria von Webers „Der Freischütz“, aus dem wir soeben die große Szene und Arie aus dem zweiten Akt gehört haben, sang Margarete Teschemacher, bevor sie diese Partie unter Karl Elmendorff zu Beginn der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts sang, vielfach unter Elmendorffs Vorgänger im Amt des GMDs der Sächsischen Staatsoper Dresden, Karl Böhm. Karl Böhm bezeichnete im Rückblick seine Dresdner Jahre (1934 bis Ende der Spielzeit 1942 / 1943) als die glücklichsten seines Lebens. Ihm stand hier ein starkes künstlerisches Potential zur Verfügung, neben der traditionsreichen Staatskapelle mit Weltgeltung auch ein in allen Stimmfächern herausragend besetztes Solistenensemble mit Sängerinnen und Sängern von bis heute legendärem Ruf. Dazu gehörten u. a. die Sopranistinnen Margarete Teschemacher, Marta Fuchs, Christel Goltz, Maria Cebotari, Elsa Wieber, Angela Kolniak, Erna Sack und Elisabeth Reichelt; die Mezzosopranistinnen bzw. Altistinnen Helene Jung, Irma Tervani, Inger Karén, Martha Rohs, Elisabeth Höngen und Helena Rott; die Tenöre Torsten Ralf, Martin Kremer, Max Hirzel, Lorenz Fehenberger, Max Lorenz, Rudolf Dittrich, Karl Wessely, Heinrich Tessmer und Willy Treffner; die Baritone Mathieu Ahlersmeyer, Friedrich Plaschke, Robert Burg, Paul Schöffler, Josef Herrmann, Rudolf Schmalnauer, Karl Scheidemantel und Arno Schellenberg; die Bässe Ludwig Ermold, Ivar Andrésen, Sven Nilsson, Gottlob Frick, Heinrich Pflanzl und Kurt Böhme. Mit all diesen Künstlern und anderen stand Margarete Teschemacher gemeinsam auf der Bühne. Es war vielleicht eines der letzten hervorragenden wirklichen Ensembles, bevor sehr bald in späteren Jahren ein Gastsystem mit Solisten ersten Ranges immer mehr Verbreitung im Opernbetrieb fand. Hatte schon Fritz Busch kontinuierlich ein erstklassiges Dresdner Sängerensemble aufgebaut, so war unter Karl Böhm die Entdeckung und Förderung weiterer hochtalentierter Sängerinnen und Sänger fortgeführt worden. Der Grundstamm wurde erhalten, das Ensemble gleichzeitig aber behutsam und systematisch erneuert. Es war – zumindest in Deutschland – an Gesangskultur, Ausstrahlung, Vielseitigkeit und Homogenität kaum zu übertreffen. Erstaunlich waren auch die Breite und der Umfang des Repertoires in der Böhm-Zeit. Stützen des Ensembles waren vor allem Marta Fuchs, Margarete Teschemacher, Torsten Ralf und Mathieu Ahlersmeyer. Eine besonders bevorzugte Stellung unter diesen nahm die von Karl Böhm wegen ihres blühenden Soprans, ihres facettenreichen Ausdrucks und wegen des unverwechselbaren, einzigartigen Timbres ihrer Stimme sehr geschätzte Margarete Teschemacher ein. Bis zu 25 verschiedene Partien ließ er sie oft pro Spielzeit singen, ganz zu schweigen von der Anzahl der Vorstellungen. Unter den zahlreichen Partien der Margarete Teschemacher waren die Mozartpartien Pamina, Gräfin, Donna Elvira und Donna Anna in „Don Giovanni“ sowie die Fiordiligi, die Partien Agathe im „Freischütz“ und Rezia in „Oberon“ von Carl Maria von Weber, die Wagner-Partien Senta, Elisabeth, Elsa, Eva und Sieglinde, die Richard Strauss-Partien Salome, Chrysothemis in „Elektra“, Octavian und Feldmarschallin im „Rosenkavalier“, die Arabella, Daphne und Gräfin in „Capriccio“ (EA 1944 unter Karl Elmendorff). Ihr italienisches Repertoire umfasste u. a. die Verdi-Partien Leonore im „Troubadour“ und in „Die Macht des Schicksals“, Amelia in „Der Maskenball“, Elisabeth in „Don Carlos“, Aida, Desdemona in „Othello“ und Mrs. Alice Ford in „Falstaff“. Dazu kamen die Puccini-Partien Tosca, Mimi, 4 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Butterfly und Minnie in „Das Mädchen aus dem goldnen Westen“: („La fanciulla del West“). Von den französischen Opern standen „Carmen“ (Micaëla) und „Margarete“ (Titelpartie) im Repertoire von Margarete Teschemacher, aus dem Bereich der slawischen Opern „Die verkaufte Braut“ (Marie), „Der Jakobiner“ von Antonin Dvo•ák (Frau Julia [von Harrasov]) und „Jenufa“ von Leoš Janá•ek (EA 1944 unter Karl Elmendorff: Titelpartie, später auch die Küsterin). Hinzu kamen als wichtige Partien die Katharina in „Der Widerspenstigen Zähmung“ von Hermann Goetz, die Santuzza in „Cavalleria rusticana“, Martha in „Tiefland“ und Rosalinde in „Die Fledermaus“. Bei Uraufführungen in Dresden sang sie neben der Daphne (1938 unter Kurt Böhm) die Eurydice in „L’Orfeo“ nach Claudio Monteverdi von Carl Orff (1940) und die Miranda in Heinrich Sutermeisters „Die Zauberinsel“ (1942). Es ist also – wie allein an der Aufzählung dieser von Margarete Teschemacher gesungenen Partien ersichtlich – ein außerordentlich breit gefächertes Repertoire mit den unterschiedlichsten gesanglichen und szenischen Anforderungen. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass sie parallel oder in verschiedenen Zeitabschnitten jeweils zwei völlig verschiedene Rollen in ein und derselben Oper gesungen hat: Donna Elvira und Donna Anna (Zwischenfach und jugendlich-dramatischer Sopran) in „Don Giovanni“, Jenufa und Küsterin (jugendlich-dramatischer Sopran und dramatischer bis hochdramatischer Sopran) in „Jenufa“ wie Octavian und Feldmarschallin (Mezzosopran und jugendlich-dramatischer Sopran) im „Rosenkavalier“. Lassen sie uns einige ihrer Rollen- und Szenenfotos betrachten! Es war schon davon die Rede, wie sehr Karl Böhm die Sopranistin, die große Künstlerin Margarete Teschemacher, schützte. Also kein Wunder, dass sie dem Ensemble angehörte, das im Spätherbst 1936 mit Karl Böhm und der Sächsischen Staatskapelle in London im berühmten Royal Opera House Covent Garden gastierte. Mit sensationellem Erfolg wurden in der englischen Hauptstadt „Die Hochzeit des Figaro“, „Don Giovanni“, „Tristan und Isolde“, „Der Rosenkavalier“ und „Ariadne auf Naxos“ aufgeführt. Margarete Teschemacher sang bei diesem Gastspiel die Gräfin in „Figaros Hochzeit“ und die Donna Elvira in „Don Giovanni“. Der Kritiker Hans Schnoor berichtete aus London: „Auf der Seite der Darstellerinnen ist Frau Teschemacher, die in London ja als Mozartsängerin schon bekannt ist, Favoritin“ (in einem Drahtbericht aus London „Dresdner Anzeiger“ vom 6.11.1936) und nach der Figaro-Aufführung: „Margarete Teschemacher war noch besser als in der Rolle der Elvira, ihr Gesang zeigte delikate Schattierungen.“ (in einem Drahtbericht aus London „Dresdner Anzeiger“ vom 7.11.1936). Hören wir nun, gesungen von Margarete Teschemacher, die Auftrittsarie der Donna Elvira „Ach werd ich ihn wohl finden, für den mein Herz noch glüht. Der schmeichelnd mich betörte, und der mich doch verließ […]“ Auf der Suche nach ihrem ungetreuen Liebhaber Don Giovanni schwört die von ihm verlassene Donna Elvira dem Treulosen Rache, während Don Giovanni (gesungen von Mathieu Ahlersmeyer) und Leporello (gesungen von Kurt Böhme) sie aus ihrem Versteck nicht erkennen und ihre Kommentare zu Elviras Schicksal abgeben. Die Aufnahme mit der Staatskapelle Dresden unter Karl Elmendorff stammt aus dem Jahr 1943, nachdem Karl Elmendorff mit Beginn der Spielzeit 1943 / 1944 als Nachfolger von Karl Böhm zum Chefdirigenten und Operndirektor der Sächsischen Staatsoper berufen worden war. Sieben Jahre liegen zwischen dem Gastspiel der Margarete Teschemacher als Donna Elvira in London und der Aufnahme aus dem Jahre 1943. War die Besetzung bei der eben gehörten Aufnahme unter Karl Elmendorff Mathieu Ahlersmeyer als Don Giovanni, Heinrich Pflanzl als Komtur, Marianne Schech als Donna Anna, Hans Hopf als Don Ottavio, Margarete Teschemacher als Donna Elvira, Kurt Böhme als Leporello, Gottlob Frick als Masetto und Elfriede Weidlich als Zerlina, so sangen unter Karl Böhm beim Gastspiel 1936 in London: Ebenfalls Mathieu Ahlersmeyer den Don Giovanni, Kurt Böhme den Komtur, Marta Fuchs die Donna Anna, Martin Kremer den Don Ottavio, natürlich Margarete Teschemacher die Donna Elvira, Ludwig Ermold den Leporello, Arno Schellenberg den Masetto und Maria Cebotari die Zerlina. 5 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Wie Margarete Teschemacher hier im Royal Opera House Covent Garden in London stürmisch gefeiert wurde, so auch bei ihren zahlreichen Gastspielen an berühmten Opernbühnen in Europa und in Übersee. Erwähnt seien Gastauftritte in Berlin, München, Hamburg, zu den Salzburger Festspielen, in Wien, an der Mailänder Scala, in Florenz, London, Barcelona, in Chicago und am Teatro Colon in Buenos Aires. Hier bei den Gastspielen sang sie vor allem die Partien Gräfin, Donna Elvira, Agathe, Senta, Elsa, Eva, Arabella, Amelia, Aida und Mimi. Vor dem Gastspiel 1936 in London mit „Don Giovanni“ hatte dieselbe Besetzung schon im Stammhaus in der Dresdner Semperoper gesungen. Der Kritiker Hans Schnoor hatte darüber im „Dresdner Anzeiger“ vom 18.12.1935 berichtet: „Die Donna Anna der Marta Fuchs, die Donna Elvira der Margarete Teschemacher, die Zerlina der Maria Cebotari – ein Dreieck fraulicher, jungfräulicher Temperamente, dem der erklärteste Sinnenmensch (gemeint ist hier Don Giovanni) schwer standzuhalten vermag. Was diese drei Sängerinnen an gesanglicher Schönheit und Charakteristik, an schauspielerischer Energie und Wahrhaftigkeit zu geben vermögen, das findet schwer einen Vergleich.“ Kommen wir von Mozart zu Richard Wagner – neben Mozart, Carl Maria von Weber und Richard Strauss einer der Komponisten, die profilbestimmend für die Opernarbeit in Dresden sind. Kein Wunder, dass Margarete Teschemacher mit ihrer Gesangskunst auch mit der Interpretation Wagnerischer Frauengestalten zu beeindrucken und zu faszinieren vermochte: Senta, Elisabeth, Elsa, Eva und Sieglinde begeisterten oftmals das Dresdner Publikum. Lobte man an der Senta Margarete Teschemachers: „den Genuss ihrer hohen Gesangskultur“ (Dr. Hans Schnoor im „Dresdner Anzeiger“ vom 9.10.1939), pries man ihre Elisabeth in „Tannhäuser“ als einen lyrischen Sopran „wie aus Silber gesponnen, von einer unwahrscheinlichen Süße“ (Karl Laux in den „Dresdner Nachrichten“ vom 27.9.1937), rühmte man an ihrer Elsa in „Lohengrin“ die „vollendete Kunst des Singens, bezwingende Echtheit des Gestaltens – eine Einheit von unvergleichlichem Zauber“ (Hans Schnoor im „Dresdner Anzeiger“ vom 25.11.1935), bedachte man auch ihre Leistung als Eva in den „Meistersingern von Nürnberg“ mit höchstem Lob. Und über eine Aufführung der „Walküre“ 1943 unter Karl Elmendorff war zu lesen: „Man war hingerissen von den ungewöhnlichen Leistungen des Orchesters und der Solisten [von der] Begegnung Sieglindes und Siegmunds [von der] unbeschreiblichen Zartheit [von der] lyrischen Verhaltenheit“ (Karl Laux in einer Rezension vom 3.5.1943). Und weiter wird gesprochen von „Margarete Teschemachers Sieglinde in der frühlingshaften Frische ihrer gesanglichen und darstellerischen Leistung.“ Hören wir nun einen Ausschnitt aus der ersten Szene des ersten Aufzuges der „Walküre“: Es ist die erste Begegnung zwischen Siegmund und Sieglinde. Von übermäßiger Anstrengung erschöpft, stürzt Siegmund in das Haus, wo Sieglinde wohnt: „Wess` Herd dies auch sei, hier muss ich rasten.“ Sieglinde nähert sich dem fremden Mann und reicht ihm ein Trinkhorn: „Erquickung schaff’ ich. Labung biet’ ich dem lechzenden Gaumen: Wasser, wie du gewollt.“ Eine ganz eigene poetische Anmut liegt über dieser Eingangsszene, in der die lyrische Qualitäten, vor allem aber die Skala der Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme der Margarete Teschemacher hörbar werden: Erregung, bange Ungewissheit, Hoffnung, Mitleid und alle Zwischenstufen dieser Gemütszustände. In einer Aufnahme mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Karl Elmendorff singen in dieser Szene Margarete Teschemacher (Sieglinde) und Max Lorenz (Siegmund). Die Aufnahme stammt aus dem Jahre 1944 und ist 2008 in der Reihe „Edition Staatskapelle Dresden“ als Vol. 23 beim Label „Profil • Edition Günter Hännsler“ erschienen. Nach Richard Wagner und dem Dirigenten Karl Elmendorff wollen wir uns nun Richard Strauss und dem Dirigenten Karl Böhm zuwenden: zunächst der „Arabella“, die am 1. Juli 1933 unter Leitung von Clemens Krauss mit Viorica Ursuleac in der Titelpartie in Dresden ihre Uraufführung erlebte. Margarete Teschemacher sang die Arabella in den Jahren 1935, 1938, 1941 und 1943 mehrfach in der Semperoper. 6 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Ebenfalls in der Reihe „Edition Staatskapelle Dresden“ sind beim Label „Profil • Edition Günter Hänssler“ als Vol. 18 Opernszenen von Richard Strauss erschienen. Dirigent war Karl Böhm. Bevor wir ein Duett aus „Arabella“ – Margarete Teschemacher mit Christel Goltz – hören werden, sei angemerkt, dass in der Neuinszenierung von „Arabella“ vom 22. Februar 1941 unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm gemeinsam mit Margarete Teschemacher Mathieu Ahlersmeyer den Mandryka, Christel Goltz die Zdenka, Josef Herrmann den Grafen Waldner und Elisabeth Höngen die Adelaide gesungen haben. Eine exquisite Besetzung hoher Dresdner Gesangskunst in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, in den letzten Jahren vor der Zerstörung der Semperoper im Februar 1945! Hans Schnoor schrieb im „Dresdner Anzeiger“ vom 24.2.1941: „Die Arabella der Frau Teschemacher ist bekannt und anerkannt als stimmlich-gesangliches Juwel.“ Lassen wir uns nun davon überzeugen: Es erklingt Szene und Duett Arabella / Zdenka aus dem Ersten Akt „Er ist der Richtige nicht“ / „Aber der Richtige, wenn’s einen gibt auf der Welt.“ Arabella wird zwar von vielen Verehrern umschwärmt, erträumt sich aber einen Gatten, der ihre hohen Ansprüche an das Leben und die Liebe erfüllen kann. Beginnend mit der Feststellung, dass der Jägeroffizier Matteo nicht der Mann ist, dem sie sich verbinden möchte („Er ist der Richtige nicht […]“), baut sich ein wunderbar fließender Melodiestrom auf, in dem zwei Frauenstimmen förmlich aufblühen und der in Arabellas sehnsuchtsvollen Gesang mündet: „Aber der Richtige, wenn’s einen gibt für mich auf dieser Welt, der wird einmal dastehn, da vor mir, und wird mich anschaun, und ich ihn, und keine Zweifel werden sein und keine Fragen, und selig werd’ ich sein und gehorsam wie ein Kind.“ Unüberhörbar ist die leichte Wehmut, die über dem Gesang liegt, der auf ein südslawisches Volkslied, das weit ausgesponnen wird, zurückgeht. Es singen Margarete Teschemacher (Arabella) und die Ende des Jahres 2008 verstorbene Christel Goltz (Zdenka). Bevor wir noch einmal zu Richard Strauss zurückkehren – und zwar zur Uraufführung der „Daphne“ mit Margarete Teschemacher in der Titelpartie – wollen wir kurz noch auf ein paar wichtige andere Leistungen der großartigen, unvergessenen Künstlerin der Sächsischen Staatsoper Dresden eingehen. Das ist zunächst die eindrucksvolle Interpretation der Rolle der Minni (einer extrem anspruchsvollen Partie) in der Dresdner Erstaufführung der selten gespielten Oper „Das Mädchen aus dem goldenen Westen“ („La fanciulla del West“) von Giacomo Puccini (Uraufführung mit Arturo Toscanini am Pult am 10. Dezember 1910 in New York). Über diese Dresdner Erstaufführung am 16. Juni 1940 unter der musikalischen Leitung von Kurt Striegler war in der Presse zu lesen: „Das Werk steht und fällt mit der Besetzung der Titelrolle. Emmy Destinn (die Vertreterin bei der Uraufführung) und Maria Jeritza (in Wien und New York) sind mit ihr berühmt geworden. Sie haben eine Nachfolgerin gefunden. Sie heißt: Margarete Teschemacher. Dass sie gesanglich mit der Rolle fertig würde, mit ihren Fortissimo - H’s und B’s, ebenso mit ihrer süßen Lyrik, war selbstverständlich. Dass unsere Elsa, unser Evchen, unsere Gräfin, unsere Sieglinde, unsere Mimi, unvergesslich in diesen Rollen, auch die Realistik dieses Wildwestmädchens so virtuos und zugleich von innen heraus beherrscht (um es fachlich auszudrücken: dass die hervorragende lyrische und jugendlich-dramatische Sängerin Teschemacher auch eine Zwischenfachsängerin von allererstem Rang ist), das war die große und freudige Überraschung des gestrigen Abends.“ Und da wir schon bei den Dresdner Erstaufführungen der 40 Jahre des 20. Jahrhunderts sind, so sind die drei folgenden eng mit den Interpretationen der Margarete Teschemacher verbunden: 2. Februar 1943 „Der Jakobiner“ von Antonin Dvo•ák unter Karl Elmendorff, 2. Januar 1944 „Capriccio“ von Richard Strauss, ebenfalls unter Karl Elmendorff und 31. März 1944 „Jenufa“ von Leoš Janá•ek, wiederum unter Karl Elmendorff. 7 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Bei der Dresdner Erstaufführung von „Capriccio“ sangen mit Margarete Teschemacher als Gräfin, Arno Schellenberg den Grafen, Willy Treffner den Musiker Flamand, Mathieu Ahlersmeyer den Dichter Olivier, Kurt Böhme den Theaterdirektor La Roche, Christel Goltz die Schauspielerin Clairon sowie Elisabeth Reichelt und Lorenz Fehenberger das italienische Sängerpaar. Bei der Dresdner Erstaufführung von „Jenufa“ sangen Margarete Teschemacher die Titelpartie, Martha Hafer-Sterkel die Alte Buryja, Pavel Mirov ihren Stiefenkel Laca Klemen, Lorenz Fehenberger ihren Enkel Stewa, Marta Fuchs die Küsterin und Heinrich Pflanzl den Altgesell. „In der Titelrolle schuf Margarete Teschemacher wieder eine ihrer poesieumwobenen Mädchengestalten, voll beseelter Innigkeit in Spiel und Gesang.“ „Jenufa“ war zugleich die letzte Premiere vor der Zerstörung der Semperoper, in der Margarete Teschemacher besetzt war. (Es folgte nur noch die UA der Oper „Die Hochzeit des Jobs“ von Joseph Haas am 02. Juli 1944, in der Margarete Teschemacher jedoch nicht besetzt war). Nachdem am 31. August 1944 die letzte Vorstellung vor der Zerstörung der Semperoper 1945 mit dem „Freischütz“ in dem Hause stattgefunden hatte, in dem Margarete Teschemacher seit 1934 so viele Erfolge feiern konnte und künstlerische Erfüllung fand, gab es bis Anfang 1945 in dem noch unzerstörten Gebäude weiterhin einige Veranstaltungen, in denen auch Solisten der Staatsoper mitwirkten. So sang beispielweise Margarete Teschemacher am 25. November 1944 in der Semperoper in einem Werkskonzert für verschiedene Rüstungsbetriebe. Wenige Wochen vorher hatte sie am 10. Oktober 1944 im Großen Festsaal des Dresdner Schlosses gemeinsam mit Arno Schellenberg einen Liederabend mit Karl Elmendorff als Liedbegleiter am Flügel gegeben. Auf dem Programm stand das“ Italienische Liederbuch“ von Hugo Wolf. Oft stand sie mit Arno Schellenberg gemeinsam auf der Bühne, und der Bariton erinnert sich an sie: „Sie war eine reizende Kollegin, immer heiter, von sprühendem Temperament erfüllt, ein offenes rheinisches Gemüt, ein Mensch von sympathischer Herzlichkeit.“ Neben der Oper fand Margarete Teschemacher auch immer wieder Zeit, in Konzert- und Oratorienaufführungen mitzuwirken, in denen sie stets mit ihrer hohen Gesangskultur Maßstäbe setzte. Besonders eng fühlte sie sich darüber hinaus der intimen Welt des Liedes verbunden. Nach dem Kriege begannen die Dresdner Theater schon bald auf mehreren Interimsbühnen zu spielen. Der Oper dienten vor allem die umgebaute ehemalige Tonhalle in der Glacisstraße – wo am 12. Juli 1945 das erste Opernkonzert und am 10. August 1945 mit „Figaros Hochzeit“ die erste Opernaufführung stattgefunden hatte – und der Große Saal des Kurhauses Bühlau, von den Dresdnern liebevoll „Kulturscheune“ genannt und als solche in die Dresdner Nachkriegsoperngeschichte eingegangen. In diesen Nachkriegsjahren blieb Margarete Teschemacher bis 1948 Dresden durch einen festen Gastvertrag mit garantierten Aufführungszahlen verbunden, obwohl sie ihren Wohnsitz in ihr Landhaus in Rottach am Tegernsee verlegt hatte. In der Tonhalle sang sie 1946 mehrfach die Gräfin in „Die Hochzeit des Figaro“, im Kurhaus Bühlau in Konzertanten Opernaufführungen unter Joseph Keilberth die Amelia in Giuseppe Verdis „Ein Maskenball“ und die Desdemona im“ „Othello“, (mit Bernd Aldenhoff als Othello und Josef Herrmann als Jago) sowie die Titelpartie in Giacomo Puccinis „Tosca“ in der Inszenierung von Heinz Arnold. „Tosca“ und „Maskenball“ standen auch 1947 auf dem Gastspielprogramm der Margarete Teschemacher in Dresden. 1948 kam in einer Inszenierung von Heinrich Tessmer und unter der musikalischen Leitung von Ernst Hintze – die Martha in Eugen d’Alberts der dem Verismo zugehörigen Oper „Tiefland“ hinzu. Ihre letzte Vorstellung in Dresden war am 13. Mai 1948 „Tiefland“. Noch einmal riss Margarete Teschemacher die Dresdner mit ihrer faszinierenden Interpretation der Martha zu wahren Begeisterungsstürmen hin. In der „Sächsischen Zeitung “vom 12. April 1948 war zu lesen:“ Was mag Margarete Teschemacher in diesem Orkan von Liebe und Begeisterung empfunden haben! Erinnerungen an große Opernabende mit der Rethberg und Pattiera wurden in uns lebendig: ein knisternder Funke der 8 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Verbundenheit und Begeisterung, der die Künstlerin während der ganzen „Tiefland“-Aufführung begleitete.“ Ähnlich war die Resonanz auch auf „Maskenball“, „Othello“, und „Tosca“. Aus den vielen glänzenden Kritiken zu „Tosca“ sei aus einer Kritik über die Premiere am 9. Oktober 1946 im Kurhaus Bühlau unter Joseph Keilberth und in der Inszenierung von Heinz Arnold zitiert (erschienen am 13. Oktober 1946 unter dem Signum “U“): „Als die Offenbarung bleibt doch jene unerhört theatralisch gebaute Duettszene des zweiten Aktes. Die Sängerin Margarete Teschemacher erhob sich hier zu einem ihrer meisterlichen Triumphe […].“ Ihre Partner waren Bernd Aldenhoff als Cavaradossi und Josef Herrmann als Scarpia. Und über eine Reprise der „Tosca“ mit Margarete Teschemacher als Gast war in der “Sächsischen Zeitung“ vom 6. Mai 1947 zu lesen: „Ein sehr erfreuliches Wiedersehen: Margarete Teschemacher ist wieder zurückgekehrt und überglänzte die Bühlauer ‚Tosca’ mit ihrer faszinierenden Gestaltung. Was gibt es Neues zum Ruhm dieser klassischen Opernverkörperung zu sagen? Die Teschemacher gewinnt ihre Hörer nicht nur durch den herrlichen Schmelz ihrer Stimme, sondern im gleichen Maße durch das Vibrierend- Seelische ihrer reifen Künstlernatur.“ Es ist die Reife der Gestaltung aller ihrer nach dem Krieg in Dresden gesungenen Partien durch die Margarete Teschemacher immer wieder beeindruckte und die Herzen des Publikums gewann. Schon parallel zu ihrer Gasttätigkeit bis 1948 in Dresden hatte Margarete Teschemacher 1946 einen Vertrag mit dem Opernhaus in Düsseldorf abgeschlossen, wo sie bis in der Spielzeit 1952 / 1953 auftrat. In Düsseldorf hat sie u. a. mehrfach ihre Lieblingspartie Aida und die Chrysothemis in der „Elektra“ von Richard Strauss gesungen. Erstmals – und das mag bei ihrer besonderen Verbundenheit zu Opern von Richard Strauss verwundern – sang sie hier in Düsseldorf die Titelpartie in „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss. Ein spätes Ariadne-Debüt für Margarete Teschemacher. Bedeutsam für sie wurde während ihrer Düsseldorfer Zeit auch die Partie der Frau des Matrosen in „Der arme Matrose“(„Le pauvre matelot“) von Darius Milhaud mit dem Text von Jean Cocteau. Ab 1952 erschwerten immer mehr gesundheitliche Probleme die künstlerische Tätigkeit Margarete Teschemachers, so dass sie sich bald ganz von ihren Bühnenauftritten zurückzog und mit ihrem Ehemann, dem aus Dresden stammenden Maler und Bühnenbildner Richard Panzer, die letzten Lebensjahre in ihrem Landhaus in Rottach am Tegernsee verbrachte. Am 19. Mai 1959 hörte ihr Herz zu schlagen auf: Im Alter von nur 56 Jahren verstarb sie in dem Ort Tegernsee (Anmerkung: in nahezu allen Publikationen wird fälschlich als Sterbeort entweder Rottach – Egern oder Bad Wiessee angegeben.) In einem Rückblick auf ihre künstlerische Laufbahn resümierte der Dresdner Kritiker Gottfried Schmiedel: „Es gibt Stimmen von so eigengeprägter Schönheit, dass man sie nie vergessen kann, auch wenn man sie nur ein einziges Mal gehört hat. Das gilt für die Sopranistin Margarete Teschemacher.“ Kommen wir noch einmal auf eine Partie Teschemachers zurück, für die sie die ideale Verkörperung war: die Daphne in der gleichnamigen Bukolischen Tragödie von Richard Strauss, die am 15. Oktober 1938 unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm, dem die Partitur auch gewidmet ist, in der Semperoper in Dresden ihre Uraufführung erlebte – eines der ganz großen Opernabende in der wahrlich nicht kleinen Zahl glanzvoller Aufführungen an dieser traditionsreichen Dresdner Bühne. Mit der Daphne errang Margarete Teschemacher einen grandiosen Erfolg. Die Presse reagierte mit wahren Lobeshymnen. So schrieb beispielsweise Eugen Schmitz am 17. Oktober 1938 in den „Dresdner Nachrichten“: „Eine wahre Bombenrolle hat Margarete Teschemacher als Daphne. Sowohl was Ausdauer wie Tonumfang, Musikalität und Vortragsgeschmack anlangt. Die Partie fordert leichteste Höhe und Beweglichkeit der Stimme, aber auch Beseelung und eine Fülle von lyrischer Wärm. Alledem wird Margarete Teschemacher gerecht. Sie wirkt dabei darstellerisch mit einer beglückenden jugendlichen Anmut.“ Und Hans Schnoor lobte im „Dresdner Anzeiger“ vom 17. Oktober 1938 den „sängerischen Triumph einer Künstlerin, die das Gottesgeschenk einer der schönsten Stimmen empfing, die musikalisch von 9 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 ihrer Aufgabe durchdrungen war, die aus reicher Begabung das Urbild der Daphne schuf – weiblich, lieblich, meisterlich – ein Klangtraum.“ Und über eine „Daphne“-Aufführung in Anwesenheit des Komponisten anlässlich der Festlichen Dresdner Strauss-Tage 1939 hieß es in den „Dresdner Nachrichten“ vom 19. Juni 1939: „Ist noch etwas zum Ruhme von Margarete Teschemacher hinzuzufügen? Sie ist die erste Daphne gewesen und wird die beste bleiben.“ Mit Margarete Teschemacher sangen die bewährten Dresdner Kräfte Sven Nilsson (Peneios), Helene Jung (Gaea), Martin Kremer (Leukippos) und Torsten Ralf (Apollo). Wer als Dresdner an die Bukolische Tragödie „Daphne“ von Richard Strauss denkt, denkt zugleich an Margarete Teschemacher. Hören wir abschließend den Schluss der Oper – Die Verwandlung der Daphne „Wind, spiele mit mir“. Daphne singt: “Wind … Wind … Spiele mit mir … Selige … Vögel … Wohnet in mir … Menschen … Freunde … Nehmt mich als Zeichen … Einziger Liebe.“ Wir hören den Beginn der Schlussszene – Verwandlung der Daphne – in einer Aufnahme mit Margarete Teschemacher und der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Karl Böhm, aufgenommen im Dezember 1938 oder Januar 1939 und erschienen beim Label Profil • Edition Günter Hänssler in der „Edition Staatskapelle Dresden“, Vol.18. Verklungen ist die Schlussszene der Daphne – ein wertvolles historisches Tondokument. Wir können uns glücklich schätzen, einige weitere historische Aufnahmen mit Margarete Teschemacher zu besitzen, die trotz mancher technischer Unzulänglichkeiten, uns etwas von der Schönheit und Unverwechselbarkeit ihrer Stimme vermitteln können. Einige dieser Aufnahmen mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter den Dirigenten Karl Böhm und Karl Elmendorff seien wenigstens in diesem Zusammenhang genannt: Richard Strauss: Szenen aus „Daphne“ 1938, Richard Wagner: „Die Meistersinger von Nürnberg“ 3. Akt (u. a. mit Hans-Hermann Nissen, Torsten Ralf, Sven Nilsson und dem Staatsopernchor), 1938, Ludwig van Beethoven: 9. Sinfonie (mit Elisabeth Höngen, Torsten Ralf, Josef Herrmann und dem Staatsopernchor), 1941, Richard Strauss: aus „Arabella“ Duett Arabella / Zdenka (mit Christel Goltz) und Duette Arabella / Mandryka (mit Mathieu Ahlersmeyer),1942, Wolfgang Amadeus Mozart: Gesamtaufnahme „Don Giovanni“ (mit Mathieu Ahlersmeyer, Heinrich Pflanzl, Marianne Schech, Hans Hopf, Kurt Böhme, Gottlob Frick, Elfriede Weidlich und dem Staatsopernchor),1944, Richard Wagner: „Die Walküre“, 1. Akt (mit Max Lorenz und Kurt Böhme), 1944, Hugo Wolf: Gesamtaufnahme „ Der Corregidor“ (mit Karl Erb, Josef Herrmann, Kurt Böhme, Georg Hann, Gottlob Frick, Marta Fuchs, Helena Rott, Karl Wessely und dem Staatsopernchor), 1944. Auch in diesen und anderen überlieferten Tondokumenten vermag die bestechende Lyrik, die Kultiviertheit, das Aufblühen der Stimme vom Piano bis zur strahlenden Leuchtkraft, die Ausdrucksintensität, die Legatokunst und das unverwechselbare einzigartige Timbre ihrer Stimme, das große Spektrum ihrer Gestaltungsmöglichkeiten den Hörer zu fesseln und Bewunderung für diese Künstlerin hervorzurufen. Oder wie es in einer biographischen Notiz im Booklet zur „Don Giovanni“-Gesamtaufnahme über die Sängerin heißt: “Eine typisch ’Dresdner Stimme’ von großem klanglichen Zauber und reicher menschlicher Ausstrahlung. Kenner wollten unter hundert Stimmen den unverwechselbaren Eigenton der Teschemacher herausgehört haben, den seltenen Ausgleich der Register, das makellose stimmliche Ebenmaß, das mühelose Entfalten und Strömen des Tones, den Glanz in der Höhe, die samtene dunkle Färbung in der Tiefe.“ 10 Frauenstadtarchiv Dresden, Dokumentation zum Vortrag von Wolfgang Pieschel am 25. Mai 2009 Was vorbildhaft an der Kunst einer Margarete Teschemacher bleibt, ist die leidenschaftliche Hingabe an die Musik. Diese Eigenschaft teilt sie mit mehreren anderen Künstlerinnen und Künstlern und ist gleich ihnen eine berühmte und unvergessene Persönlichkeit des Dresdner Musiklebens. Wolfgang Pieschel 11